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Alt 01.07.2005, 22:57   #1
JonB1982
 
Dabei seit: 03/2005
Beiträge: 102


Standard Proctaso 7

Ich hab mich mal wieder an einer Kurzgeschichte versucht. Hier also meine Bemühungen...

Proctaso 7

Ich war der erste, der getötet hat, und nun bin ich der letzte, der noch am Leben ist. Die tiefgehende Wunde an meinem rechten Oberarm macht mir schon einige Tage nicht mehr zu schaffen, der Schmerz ist von wesentlich größerer Pein überdeckt. Hunger ist der schlimmste Feind, dem ich bisher gegenübergestanden bin. Du kannst ihn nicht sehen, du kannst ihn verfluchen, aber er hört dich nicht. Du jedoch kannst ihn hören, wie er dich verlacht, mit jeder Sekunde lauter und dreckiger, sich bereits im Gefühl seines nahenden Sieges wähnend. Dieses Lachen, es treibt mich in den Wahnsinn. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, der körperliche Schmerz, oder die seelische Demütigung.
Drei lange Wochen weile ich nun schon auf diesem verdammten Felsbrocken Proctaso 7, drei lange Wochen, von denen nur die ersten Tage Adrenalin und Blut in Strömen flossen. Ich werde ihn wohl nicht so schnell vergessen, diesen 23. April, als ich mit meiner Einheit der Kolonialen Hilfstruppen abgesetzt wurde nahe der einzigen Siedlung auf diesem Haufen Stein und Staub. In Mileston, wo religiöse Spinner tatsächlich dachten, sie könnten sich frei machen von den „Fesseln des Imperiums“, und könnten auf Proctaso 7 einen eigenen Staat auf den Grundfesten ihres Glaubens gründen. Nun, ihr Gott hatte sie wohl mehr mit Verblendung denn mit Intelligenz gesegnet. Es ist durchaus nicht geheim, was mit Abtrünnigen geschieht in unseren heutigen Zeiten. Die Kolonialen Hilfstruppen sind nämlich nur für eines noch bekannter als für ihre Unfähigkeit im Kampf – ihre gnadenlose Blutrünstigkeit, wenn immer sich die Gelegenheit dafür bietet. In diesem Haufen kranker Schweine, wie wir so oft und so gerne bezeichnet werden, war ich wohl der kränkste. Ich war wie ein Gott – nur dass ich die Macht Leben zu geben niemals benutzte, die Macht Leben zu nehmen dafür umso ausgiebiger. So auch an diesem 23. April, als wir ungeordnet Richtung der Siedlung marschierten. Unsere Befehle waren eindeutig: Die Lage sichten, die Siedlung beruhigen, und möglichst geringe Verluste unter der Bevölkerung anrichten. Nicht gerechnet hatten wir allerdings damit, dass religiöser Fanatismus gepaart mit Angst ein alles andere als konfliktentschärfendes Moment darstellt. Wenige Meter vor der Grenze der Siedlung zischten uns die ersten Energiegeschosse entgegen, und als einer unserer frischen Rekruten in unserer Mitte getroffen zusammenbrach, war es vorbei mit Befehlen. Gehen wurde zu Laufen, Laufen zu Rennen, und ehe wir uns versahen standen wir auf dem Forum der Siedlung, wo uns ein wütender, aber noch schlechter als wir ausgebildeter und ausgerüsteter Mob erwartete. Der Leader unserer Kohorte feuerte sofort einige Energiestöße aus seinem Gewehr, und der Rest von uns zögerte ebenso kurz. Nach wenigen Minuten war das Feuergefecht auf dem Forum vorbei, und vor uns türmte sich ein riesiger Berg an Leichen auf. Keiner auf dem Forum hatte überlebt, außer dem Großteil unserer Kohorte. Aus einem Gang schlichen uns einige feindliche Kämpfer entgegen, ich sah und tötete sie jedoch bevor sie heran waren, es glich eher einer Exekution, alle drei starben innerhalb von Sekunden durch Kopfschüsse. Den Rest der versprengten Kämpfer richteten wir ohne weitere Verluste im Häuserkampf, die wenigen Frauen und Kinder verschonten wir ebenso wenig wie die bewaffneten Männer. Innerhalb einer guten Stunde hatten wir Mileston komplett entvölkert, ausgerottet, oder – wie der Commander so gern sagte – gesäubert, und das mit nur sieben Mann eigenen Verlusten.
Doch ausgerechnet der Commander beging anschließend einen großen Fehler, als er seinen Rapport beim Oberkommando ablieferte. Er rühmte sich für das überragende Gefecht, und verschwieg keine einzelne unserer Grausamkeiten. Die Reaktion darauf schien eher gleichgültig, es wurde uns mitgeteilt, dass wir in einem Tag von unserem Truppentransportschiff abgeholt würden. Dem Commander fiel aber leider nicht ein, dass unser Schiff ursprünglich im Orbit bleiben sollte, um uns gleich wieder aufnehmen zu können. Auch war ihm wohl im Siegesrausch entgangen, dass man es im Oberkommando nicht gerne sah, wenn Siedlungen von Hilfstruppen ausradiert wurden. Wenn das denn schon unbedingt nötig sei, dann sollten es doch bitte Spezialtruppen erledigen – nicht etwa, weil die es in einem Fall wie Mileston effektiver konnten, sondern einfach nur, weil die Mitglieder der Hilfstruppen als Quasselstrippen galten. Fuhren wir mal einen Sieg ein – was selten genug geschah – konnte man sicher sein, dass es am nächsten Tag alle erfuhren, die jemanden aus der Kohorte in einer Kneipe antrafen. Und das Auslöschen einer kompletten Siedlung sorgte nun mal nicht für sehr positive Resonanz in der öffentlichen Meinung des Imperiums – ergo sollten die Quasselstrippen der KHT bei Vernichtungsmissionen nicht dabei sein.
Während der Großteil meiner Kampfgefährten also beschloss, dass neben dem Rausch des Sieges auch der Rausch durch Schnaps nicht verwerflich war, und somit die einzige Bar der Siedlung selbst wiedereröffneten und die wenigen Vorräte an Alkohol dezimierten, hielt ich mich zurück und schärfte meine Sinne. Ich hatte stets ein Gespür für Gefahr, ohne dass ich wohl niemals acht Jahre im Dienst der KHT überlebt hätte, und dieses Gespür machte sich auf einmal immer stärker bemerkbar. Stundenlang zog sich das Warten hin, ich schlenderte durch die Strassen um die aufkommende Müdigkeit zu besiegen, vorbei an den Leichen derer, die ihre Träume der freien Religionsausübung mit dem Leben bezahlen mussten. Religion. Es gibt wahrlich Gründe dafür sein Leben zu lassen, aber es gibt wohl kaum einen antiquierteren als die Religion. Schon vor über einem Jahrhundert hatte sich das Imperium frei gemacht von der Geißel des Glaubens. Wir Menschen hatten soviel erreicht, es war einfach nicht mehr sinnig, an ein höheres Wesen zu glauben. Nichts kann uns jetzt mehr aufhalten, doch diese Spinner wollten unbedingt ihren Glauben ausleben. Es hätte sich wahrscheinlich nicht einmal jemand daran gestört, hätten sie nicht vor einem Monat einen treuen Gefolgsmann des Gouverneurs fortgejagt und beinahe massakriert. Und was ist das Ergebnis ihrer Spinnerei? Ein Haufen Leichen, eine leere Siedlung auf einem gottverlassenen Planeten am Ende des Imperiums, und sonst nichts. Wie armselig.
Jetzt, da ich hier allein sitze und hungere, jetzt erscheint mir ihr Grund zu sterben allerdings gar nicht mehr so töricht, wie noch vor drei Wochen. Sie waren alle weggemetzelt worden von uns, doch nicht einmal einen Tag später kam die Rache, und diese Rache hatte alle Züge der Rache eines Gottes. Ich stand in einer dunklen Ecke des Forums, wo sich unsere Kohorte versammelt hatte in Erwartung des Transportschiffes. Die meisten schliefen, denn zu mehr waren sie nach ihrer ausufernden Siegesfeier nicht mehr in der Lage. Die ersten von ihnen bekamen nicht einmal mehr mit, wie sie von tödlichen Energiegeschossen getroffen wurden, innerhalb kürzester Zeit war von unserer 250 Mann starken Kohorte nur noch ein armseliges Häufchen verstreuter Kämpfer übrig, die sich in Deckung flüchteten und gelegentlich auf die Häuser feuerten, aus denen die tödlichen Schüsse kamen. Ich war direkt unterhalb eines Fensters, aus dem offensichtlich ein Scharfschütze der Imperialen Eliteeinheiten einen meiner Kampfesbrüder nach dem anderen dahinraffte. Der blinde Hass in mir übernahm die Kontrolle, ich huschte in das Haus, schlich die Treppe hinauf, und stand einige Sekunden hinter dem Feind. Ich konnte an seinen Abzeichen erkennen, dass er vom 7. Sturmbatallion der 3. Interplanetaren Armee war, ich musterte ihn noch kurz, bevor ich seine Kehle mit meinem Kampfmesser aufschlitze. Seinen Multifunktionsblaster konnte ich gut gebrauchen, mein veraltetes Sturmgewehr hatte somit seinen Dienst erfüllt und schmückte nun die Leiche zu meinen Füßen. Ein Blick aus dem Fenster offenbarte mir, dass nur noch zwei meiner Mitstreiter am Leben waren, sie hielten sich in einem Haus auf der anderen Seite des Forums versteckt, und ich konnte ihren Angstschweiß beinahe bis nach oben an mein Fenster riechen. Langsam sah ich einige der imperialen Elitesoldaten vorrücken, legte die soeben erst eroberte Waffe an, zögerte aber noch. Ich entschied mich dagegen, den sinnlosen Kampf fortzuführen, und beschloss zu verschwinden, solange ich noch etwas Zeit hatte. Auf dem Weg zur Treppe hörte ich unten im Haus Schritte, die sich offenbar Richtung Treppe bewegten. Ohne lange zu zögern legte ich an, stürmte einige Schritte vorwärts und feuerte. Drei Energiestrahlen bohrten sich in die Brust des Mannes, der so achtungslos Richtung Treppe lief. Als ich vorsichtig nach unten stieg fiel mein Blick auf das Gesicht meines letzten Opfers. Ich musste zunächst innehalten. Ich hatte keinen Feind getötet, nein, es war der Commander meiner Kohorte, der sich anscheinend in dieses Haus geschlichen hatte und den ich nun hingerichtet hatte. Zu trauern oder gar zu bereuen blieb mir jedoch keine Zeit – abgesehen davon war Reue noch nie eine meiner Stärken gewesen – und so schlich ich schnell weiter hinaus aus dem Haus, durch die schmalen Gassen Milestons, die weg vom Forum in die Außenbezirke der Siedlung führten. Ich begegnete keinem Soldaten mehr, und konnte ungesehen in die eintönige, braune, staubige Wildnis verschwinden, die Proctaso 7 so leer, kalt und hasserfüllt scheinen ließ. Erst als ich in Sicherheit war fiel mir auf, dass ich eine Wunde an meinem rechten Oberarm davongetragen hatte, bei welchem Schusswechsel war mir nicht klar, und es war letzten Endes ja auch vollkommen irrelevant. Kurze Zeit danach konnte ich die Ankunft eines Transportschiffes beobachten, das nun tatsächlich die Kohorte der KHT abholte, von der ich bis kurz zuvor noch ein Teil gewesen war. Jedoch war keiner dieser Kohorte mehr am Leben, und das Schiff war ganz bestimmt auch nicht in der Absicht gekommen, lebende Hilfstruppen mitzunehmen. Es ist so Usus: Ist eine Kolonie entvölkert auf Grund eines Vorfalles, wie es hier bei Mileston der Fall war, so werden die Leichen abtransportiert, alle Kampfspuren beseitigt, und binnen weniger Monate werden neue Kolonisten angesiedelt.
Diese Neuansiedlung werde ich aber nicht mehr erleben. Ich sitze hier in der Einöde von Proctaso 7, friere, der Hunger treibt mich in den Wahnsinn, und die Einsamkeit führt mir erst vor Augen, was für ein Monster ich doch war. Ich habe gemordet, gebrandschatzt und gestohlen, nie jedoch Reue empfunden. Jetzt vegetiere ich auf diesem Planeten vor mich hin, in meinen letzten Tagen, vielleicht sogar meinen letzten Stunden. Und je mehr ich nachdenke, desto mehr glaube ich, dass es den Gott der Siedler, die bis vor drei Wochen hier lebten, doch gibt. Und er war offensichtlich ganz und gar nicht erbaut darüber, dass wir sein Volk ausgerottet haben, seine Männer, Kinder und Frauen gleichermaßen ohne Gnade dahin gemetzelt haben. Er hat seine göttliche Rache folgen lassen – schneller und tödlicher als ich jemals erwartet hätte. Warum ich noch am Leben bin weiß ich nicht. Vielleicht will er mich besonders leiden lassen, womit er sicherlich Erfolg hat. Oder er hat andere Pläne für mich. Ich weiß es nicht. Und so warte ich weiterhin auf den unausweichlichen Moment, da er beschließt mir die Lebensgeister auszuhauchen, oder mir einen andere Ausweg als den Tod weist.


01-07-2005 J.B.
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