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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 30.10.2006, 17:50   #1
Tyr
 
Dabei seit: 10/2006
Beiträge: 15

Standard Schreiben, die Liebe

Diese vier Texte, sagen für mich mehr aus, als alles andere vorstellbare!

Schreiben, die Liebe

I.

Also stehe ich nun in diesem dunklen Raum. Die Wände nicht sichtbar, keine Tür, kein Fenster, durch die das Licht eindringen könnte. Ich bewege mich, nach links, nach rechts, vorn und hinten, aber ich spüre nichts. Der Raum scheint endlos groß und leer. Nichts ist zu sehen, nicht einmal meine eigene Hand vor Augen. Ich warte. Ich warte auf das Licht, warte auf das Leben. Noch länger. Da kommt es, das Licht. Der Raum erhellt und hohe ,weiße Wände sind zu sehen, mit Gold verziert. Ein roter Teppich mit goldenen Strickmustern, lange rote Gardinen. Eine Tür, durch sie hindurch sehe ich einen großen Raum, noch viel schöner, viel größer, Leute tanzen. Zu einer lieblichen Musik, ruhig und gemächlich, sie sind zufrieden. Eine Dame trägt ein Kleid, es ist wunderschön, die Dame ebenfalls. Der Herr ist vornehm angezogen und weiß sich anscheinend zu benehmen. Ich entschliesse ihnen Gesellschaft zu leisten, ich gehe, setze einen Fuß vor den anderen. Und es wird dunkel. Ich drehe mich und suche. Wo ist das Licht hin? Die schöne Wand, der Teppich, die Dame und der Herr? Ich rufe, aber es antwortet niemand, es ist kein Echo zu hören, wo sind sie? Verschwunden. Sie leben, sie tanzen. Nur ich tanze nicht.

II.

Ein großer Kreis aus Menschen um mir. Was wollt ihr? Sie rühren sich nicht, ich gehe auf sie zu, aber ich komme nicht näher. Warum seid ihr so weit weg? Ich rufe, ich schreie, aber niemand hebt den Blick, niemand schaut mich an. Es versteht mich niemand, sie scheinen alle so unbeschäftigt, dennoch nimmt mich niemand wahr. Was ist mit euch? Da hebt jemand den Kopf, ich will ihn anschauen, er senkt den Kopf wieder. Ich strecke die Arme aus, ich will sie berühren, aber ich erreiche sie nicht. Sind sie blind? Taub? Warum versteht mich niemand? Ich suche den Kontakt, aber sie schauen alle woanders hin. Auf den Boden, in den Himmel, aneinander vorbei, niemand sieht jemand anderen an. Sie wollen sich nicht sehen, aber sie sind doch so nah beieinander, warum schämt ihr euch? Wo schaut ihr hin? Was gibt es denn zu sehen? Ich will es auch sehen.

III.

Ich sitze am Schreibtisch, die Treppe macht Geräusche, jemand kommt herauf. Die Tür geht auf, ich drehe mich um. Mein Sohn. Er steht in der Tür. Er kann nicht einschlafen, er ist süß, ich liebe ihn. Er ist das einzige was ich habe. Ich begleite ihn zu Bett und decke ihn zu, lese ihm eine Geschichte vor, bis er einschläft. Er schnarcht nicht. Er ist zufrieden. Es ist schon spät, ich lege mich ins Bett und schlafe ein. - Ich höre das Zwitschern von Vögeln, die in den Bäumen sitzen. Das Getuschel der Leute auf der Straße, ich kenne sie nicht. Ich habe mit ihnen nichts zu tun. Ich stehe auf und gehe ins Bad, ich wasche mich. Mein Sohn wird schon wach sein. Er steht immer früher auf als ich. Ein kleiner Frühaufsteher, das hat er von seiner Mutter geerbt. Und auch das schöne Gesicht hat er von seiner Mutter geerbt, wäre sie doch noch bei uns. Warum musste sie so früh sterben? Sie hat es nicht verdient, schon zu gehen. Sie war eine nette Frau. Ich horche an der Tür, er ist noch nicht wach. Ich werde ihn wecken, wir wollen heute in den Zoo. Und die Bahn fährt schon früh ab. Auch wenn sie Verspätung haben wird. Die Tür macht keine Geräusche beim Öffnen, ich habe sie erst vor kurzem frisch geölt. Er liegt noch da, in seinem Bett, er sieht friedlich aus, wenn er schläft. Er ist ein braver Junge, so wie seine Schwester es war. Ein reizendes Mädchen, die Schönheit ihrer Mutter und die Intelligenz ihres Vaters. Aber auch sie musste gehen. Ich habe auch sie geliebt, wie meine eigene Frau. Sie war so unschuldig, und musste gehen, sie hatte es nicht verdient. Ich streichle ihm über das Haar, es ist weich, er bemerkt es nicht, er wacht nicht auf. Ich fasse an seine Schulter, ich rüttle ihn. Er bemerkt es noch immer nicht. Wohl doch ein Lang- und Tiefschläfer. Ich spreche ihn leise an. Er rührt sich nicht. Was ist mit ihm? Er ist tot. Er hat mich verlassen, er hat es nicht verdient, ich habe ihn doch so geliebt. Drei Mal liebte ich und mein Herz zerbrach. Jetzt ist es zerstört und sehnt sich nach Ruhe. Ich werde mit der Bahn fahren, ein Stück weit, dann wird es endlich seine Ruhe haben.

IV.

Ich bin nie da, wo ich bin. Ich mache nie das, was ich gerade mache. Ich sage nie, was ich sage. Ich höre nie, was ich höre. Ich habe Angst.

Ich weiß, ich weiß, loses Gefühlsgedusel, aber auch ich brauche soetwas mal!

Tyr
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Alt 30.10.2006, 18:05   #2
FatLouie
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 61

Diese Texte haben mich wirklich sehr berührt, vor allem die ersten beiden, weil sie so gut ein bestimmtes Gefühl von Hilflosigkeit beschreiben, das auch ich kenne.
Gerne gelesen, auch sprachlich schön.
FatLouie ist offline   Mit Zitat antworten
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