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Alt 18.12.2004, 11:23   #1
Doska
 
Dabei seit: 12/2004
Beiträge: 113


Standard Das Licht der Hajeps

Und hier kommt etwas ganz neues:
Böse Aliens habe die Erde erobert! Hä, hä, na klar, dieses Grundszenario wirkt auf den ersten Blick recht klassisch. Lasst euch davon nicht täuschen und lest ruhig weiter, denn meine Superhelden sind lauter eigenartige Leute, einschliesslich einer Oma mit einem fetten Kater, die sich mit ebenso seltsamen Aliens rumplagen müssen. Viel Spass beim Lesen.

Kapitel 1

„Blut, überall Blut!“ Margrit warf ihren Kopf zurück gegen die Metallwand, drehte ihn verzweifelt hin und her. Das, was sie da sah, war zu entsetzlich, zu furchtbar, um es wirklich begreifen zu können. Bis an die Wand der halbzerfallenen Kirche war der klebrigrote Lebenssaft gespritzt, zum Teil war er schon braun, an anderen Stellen noch feuerrot. Auf dem Boden hatte sich eine riesige Lache gebildet. Dunkel, fast schwarz war dort all das Blut - das Blut ihrer Freundin Marianna.
Etwa zweieinhalb Meter entfernt von dem nackten, aufgeschlitzten Körper auf dem Gang zwischen den Holzbänken lag zusammengekrümmt Armin, Mariannas große Liebe. Ihm war der Schädel aufgesägt worden.
Margrits Herz krampfte sich zusammen. Sie keuchte. Nicht einmal Kirchen scheuten diese Bestien! Zuerst hatte sie weglaufen mögen, so schrecklich war der Anblick gewesen. Nun aber sah sie in die weit aufgerissenen Augen Mariannas. Sie starrten sie an, als hätten sie stumm eine wichtige Nachricht weiterzugeben, nur ein einziges Wort: „Hoffnungslos!“
War jede Flucht wirklich sinnlos? Würden diese gefühllosen Wesen, die anscheinend nur lebten, wenn sie töteten, eines Tages auch sie - Margrit - mitsamt ihrer Familie bekommen und mit ihren Leben spielen?
Angstschweiß trat auf Margrits Stirn. Vielleicht waren diese Bestien ja noch in der Nähe? Da ... Schritte! Und nun ... Schatten ...!
„Die Hajeps !“ Dieses Wort entrang sich gellend ihren Lippen.
Margrits Kopf fuhr hoch, weg von der Metallwand des alten Zuges, an welcher sie im Schlaf gelehnt hatte.
„Nanu ?“ vernahm sie die vertraute Stimme Pauls.
Sie fühlte erst jetzt, dass er sie an ihrem linken Arm gepackt und ihren Oberkörper nach vorn gezogen hatte.
Tränen brannten in Margrits Augen, sie keuchte, das Herz schlug wie verrückt, doch ihr erster Blick galt Juliane, dem dreijährigen Mädchen auf ihrem Schoß. War die Kleine durch ihren spitzen Schrei und den furchtbaren Ruck, der durch ihren Körper gegangen war, etwa geweckt worden ? Julchen brauchte doch so dringend Schlaf, denn seit Tagen waren sie schon auf der Flucht. Aber nein, welch eine Erleichterung, das Kind schlief noch und, sie sah prüfend zur Seite, Tobias, er war nur ein Jahr älter als seine Schwester, Gott sei dank ebenfalls. Der Junge atmete gleichmäßig, behaglich an Margrits rechten Arm gekuschelt.
Margrits Blick streifte nun die Fahrgäste. Hoffentlich hatte ihr entsetzlicher Schrei diese armen Leute nicht allzu sehr geschockt! Dicht gedrängt standen sie im Gang des kleinen Abteils, während der uralte Zug durch die rotbraune Herbstlandschaft stotterte und wankte. Sie starrten aus großen, traurigen Augen teilnahmslos vor sich hin. Vorbei war die Zeit einer einst sehr hohen Kultur, in welcher man sorglos und kaum von Arbeit belastet leben konnte, denn die Hajeps hatten den Menschen alles zerstört. Es gab keine Lebensfreude mehr, es regierte nur noch die Angst und die Lebensbedingungen waren schrecklich. Überall stank es nach Lumpen und ungewaschenen Leibern. Jeder war auf der Flucht, hielt sich irgendwo fest, auch an der Hoffnung, ihnen doch noch entkommen zu können ... den Hajeps !
Diese hatten die Einwohner Berlins aufgefordert, die Stadt zu verlassen, weil sie von ihnen besiedelt werden würde. Dazu hatten die Menschen eine Woche Zeit, danach würde die Stadt dem Erdboden gleichgemacht werden, um neue hajeptische Gebäude zu errichten. Die Leute durften für ihre Flucht die verbliebenen Verkehrsmittel benutzen, denn alles, was den Hajeps gefährlich werden konnte, hatten sie ohnehin schon zerstört. Die meisten Menschen glaubten dieser Warnung und verließen die Stadt, so auch Margrit mit ihrer Familie.
„Schon wieder ein Albtraum ?“ Paul fragte leise.
Er hatte seinen Platz außen auf der gegenüberliegenden Bank von Margrit recht mühselig verlassen, da er dabei über halb zerrissene, prall gefüllte Kartons, Rucksäcke, Taschen und zusammengerollte Decken hatte klettern müssen, welche die Fahrgäste wegen der langen Fahrt einfach überall auf den Boden gelegt hatten, da die Gepäcknetze zum Teil zerrissen waren.
Margrit nickte Paul stumm zu, ein Kloß saß ihr immer noch im Hals, sie schluckte, wischte sich die Tränen hinter ihrer staubigen Brille weg und wagte ein kleines Lächeln.
„Wird schon noch, Paul !“ wisperte sie.
Pauls Gesicht war grau und ungewaschen, unter dem Bart konnte man kaum etwas von seinem hübschen Mund erkennen. Er grinste zurück, doch seine tiefe Bärenstimme klang ernst.
„Du musst dieses Erlebnis endlich vergessen, Margrit! Wir haben auf unserem Weg schon so viele zerfetzte Menschenleiber gesehen, da verkraften wir wohl auch noch diese, hm ? Bleibe nur ganz ruhig und versuche einfach wieder zu schlafen, denn du weißt, welche Anstrengungen wir noch zu erwarten haben!”
„ Und wenn ich nicht mehr schlafen kann ? „
„ Du meine Güte, Margrit, das musst du ganz einfach, wenn du vernünftig sein willst !“ Er balancierte sich schwankend an den Gepäckstücken vorbei und ließ sich mit einem Seufzer wieder auf seiner Bank fallen.
„Wir werden Berge erklettern, Wälder durchstreifen, Äcker und Wiesen überqueren, wie willst du das alles überstehen? Möchtest du dabei krank werden ?“
„ Will ich natürlich nicht !“
„ Na also ! Kuschele dich jetzt schön zurecht und penn!“
„ Du bist gut, mit einem Kind auf dem Schoß und dem anderen am Arm, wie soll ich da großartig kuscheln ?“
„ Das ist deine Angelegenheit !“ knurrte er. „ Du wolltest ja diese wildfremden Bälger unbedingt haben !“
„Bälger ?“ wiederholte sie traurig.
„ Ja, Margrit, ich habe dir von Anfang an gesagt, dass ich kein großartiger Kinderfreund bin. Darum hat es mich auch nie sonderlich gestört, dass du keine gebären kannst ! Aber du ... was machst du plötzlich ? Ganz entgegen unserer Abmachung nimmst du dich einfach dieser Geschwister an. Ich habe protestiert, ich habe geschimpft ... nichts hat
genutzt!“ Er wedelte hilflos mit den breiten Händen. „ Du musstest sie ja unbedingt mitnehmen, nur weil sie uns zufällig begegnet sind und ...“
„ Psst, nicht so laut, Paul, nachher wachen sie noch auf ! “ wisperte sie aufgeregt. „Zerstöre ihnen nicht diesen Traum, denn sie halten mich inzwischen schon für ihre leibliche Mutter ... außerdem, wie oft willst du mir das noch auftischen? Es ist bereits ein ganzes Jahr her, seit uns diese Kinderbande begegnet ist ...“
„ ...die uns bestehlen wollte !“ vollendete er wütend ihren Satz.
„ Na schön, sie wollten uns damals bestehlen, aber ...“
„ Da gibt`s kein aber, Margrit, so wie diese Kinder bereits aufgewachsen sind, werden sie nie lernen, vernünftige Menschen zu werden! Du bildest dir wohl ein, alles hinkriegen zu können, nur weil du früher Psychotherapeutin gewesen bist. Dabei ist es dir bis heute noch nicht geglückt, dem Bengel wenigstens seine ordinäre Sprechweise abzugewöhnen !“
„ Aber Julchen gefällt dir doch, und an Tobias wirst du dich auch noch gewöhnen !“
„ Julchen ist schnippisch ! Ich hatte ein Jahr Zeit und werde mich weder an sie noch an Tobias gewöhnen können, meine liebe Margrit ! So einfach ist das !“
„ Das ist zwar gar nicht einfach, aber das ewige Gemeckere über die Kinder bin ich ja von dir gewohnt ! Wenn du nichts dagegen hast, werde ich mir jetzt trotzdem Mühe geben endlich zu schlafen.” Margrit lehnte leicht schwankend, da der Zug gerade eine Kurve nahm, den Kopf auf die magere Schulter, schloss dabei die Augen und versuchte, sich zu entspannen.
„ Bei dieser Entscheidung gilt dir mein ganzes Wohlwollen, Margrit.“ Paul schwankte ebenfalls, er verschränkte dennoch die kräftigen Arme vor der breiten Brust. „ Ja, stärke dich ! So ist` s brav!” brummte er etwas friedlicher.
Unwillkürlich musterte Paul seine Margrit dabei gedankenversunken. Mein Gott, was hatte diese schreckliche Zeit nur aus seiner treuen Gefährtin gemacht! Margrits einst dichtes, braunes, schulterlanges Haar war dünn und ausgefranst. Die gründlich geflickte Kleidung hatte anscheinend die Art, stets größer zu werden. Das hüftlange Oberhemd verbarg den knochigen Körper wie ein schmutziges Zelt und wenn sie aufstand, konnte man sehen, dass die Baumwollhose mit den ausgebeulten Knien immer ein bisschen hinabrutschen wollte!
Er musste schmunzeln bei diesem Gedanken, wenigstens konnte er das noch, hin und wieder grinsen ! Bestimmt schaute er nicht viel anders aus, aber ein wenig vielleicht doch. Schon von klein auf hatte man ihn nämlich "Fettkloß" oder "Schweinchen Dick" gerufen. Wie gut war es in solchen Zeiten doch, wenn man solch einen Futtervorrat am Körper mit sich herumgetragen hatte. Heute hatte er eine sehr schlanke Figur, aber er war nicht dürr. Dennoch bereitete der ständige Vitaminmangel auch ihm Schwierigkeiten und vor allem der geringe Schlaf.
„Oh, Gott!“ unterbrach Margrit Pauls Gedankengänge. ”Jetzt muss ich immerzu an Muttsch denken!”
„Muttsch!” äffte er sie nach und sein Bein zuckte nervös. “Wie sich das schon anhört! Was soll denn schon Großartiges mit dieser Muttsch los sein ?”
„Na, seit damals haben wir sie nicht mehr wiedergesehen!”
„Ja, und ?”
„Ja und! Ja und!” fauchte sie. “Wohlmöglich haben die Hajeps nicht nur Marianna und Armin geschnappt, sondern auch sie ...”
„ ... und ihren treuen, alten Munk!” feixte Paul. ”Den solltest du dabei nicht vergessen!”
„Ja, du Witzbold, vielleicht auch den !”
„Aber Margrit, was sollten Außerirdische denn schon mit so einem alten Kater anfangen wollen, hm?“
„Weiß ich es ?”
„He, genauso wenig wird die Hajeps auch deine Muttsch interessiert haben, das glaube mir mal !”
„Paul, woher willst du das so genau wissen ?”
„Hach, wie das nervt!” Er schraubte die Augen nach oben. ”Hajeps suchen sich doch meist Kinder oder Menschen mit besonderem kindhaftem Gemüt für ihre verrückten Experimente aus. Das weißt du doch!“ Er grinste bei diesem Gedanken plötzlich merkwürdig. „ He, da fällt mir was ein, es ist zwar verrückt, aber das könnte doch stimmen, wer
weiß ? „
„ Was ?“
„ Na, womöglich sind diese Kinder in Wahrheit gar keine Kinder mehr, sondern bereits umgewandelte...“
„Pfui ! Jetzt wirst du aber gemein, Paul !“
Er kicherte und hielt sich, die Hände vor`s Gesicht, als würde er Schläge von Margrit erwarten. “Wieso? das ist doch gar nicht so abwegig. Schon oft genug haben uns Hajeps mit allem möglichen gefoppt, was sie als Mensch getarnt hatten ...“
„ Nun hörst du aber auf damit ! Außerdem, Armin und Marianna waren weder besonders jung noch gebärdeten sie sich irgendwie kindisch.”
„Dann haben sie die beiden halt ohne irgendeinen besonderen Grund ermordet. Weiß ich, was Hajeps so denken! Margrit, ich habe im Gegensatz zu dir schon lange aufgehört, mich zu diesem Thema auch nur irgendetwas zu fragen. Ich versuche zu überleben, das ist alles! Im übrigen hattest du damals keine weitere Leiche in der komischen Kapelle gefunden ...”
„Ich hatte keine Zeit, um mich genauer umzusehen!” schniefte sie. „Und das weißt du ganz genau !”
„Jetzt sind wir gleich am Weinen! Wie immer! Schon gut, lieber Himmel!“ Er seufzte. „Ich kann doch für den Tod deiner Freunde nicht! Also wirklich, gerade du mit deinem Studium solltest doch eigentlich wissen, was du am besten gegen dieses Schockerlebnis tun musst, dann wirst du auch nicht mehr so viel Schlechtes träumen.”
Sie lehnte den Kopf zurück, kämpfte mit den Tränen, dann atmete sie tief durch.
„Paul, das sagt sich so einfach... aber du hast Recht!“
„Also ehrlich...”, er kicherte ein bisschen verlegen, ”wann habe ich das mal nicht ?”
„Stimmt ! Ich werde mich bessern... aber die beiden hatten ein solches Ende wirklich nicht verdient, gerade die nicht!”
„He, du fängst ja schon wieder damit an !”
Sie nickte schuldbewusst. ”Daher frage ich mich...”
„Leider fragst du nicht nur dich! Das ist ja das Schlimme !” ächzte er.
Und tatsächlich fragte sie ihn weiter : “ Weshalb sind zum Beispiel... huch!” unterbrach sie sich.
„Wieso huch ?” fragte er verdrießlich.
„Na, es kribbelt plötzlich so komisch im Handgelenk !” Margrit bewegte vorsichtig ihren Arm, an welchem Tobias lehnte. “ Bis hinauf zu den Fingern! Ach, wenn nur alles so gut bei mir einschlafen würde !”
Leider wurde durch diese wenn auch sachte Bewegung nicht nur Tobias, sondern auch sein Schwesterchen auf dem Schoß wach. Beide begannen sich zu rekeln und der Kleine gähnte und zeigte dabei seine vielen Zahnlücken, da ihm wegen der ständigen Unterernährung etliche Milchzähne ausgefallen und keine neuen mehr nachgewachsen waren.
„T´schuldigung, Tobias, aber ich musste jetzt einfach dein Kissen ausschütteln!" Margrit schlenkerte den Arm hin und her.
„Daaas macht nichts, Mamms!“ krächzte das Kerlchen. ”Es war wieso zu dünne !"
„Das heißt sowieso, Tobias! Aber willst du damit etwa andeuten, dass dieses hervorragende Kissen nicht bequem genug war?"
Tobias krauste die sommersprossige Nase.
„Es kann eben nich jeder solche Kissen haben wie ich!" Er spannte den Arm an, sodass sich am Oberarm mühsam ein paar schwache Wölbungen in seinem Hemd zeigten. "Naaa - ah? Was sagst du dazu, Mamms, daas sind Muckis, stümms?“ keuchte das Bürschchen mit knallrotem Kopf.
„Alle Achtung!" wisperte Margrit und machte eine ehrfurchtsvolle Miene.
„Und hier...", er krempelte die Hosenbeine seiner Pluderhosen hoch, "...sind auch welche !"
„Ach, lass` nur gut sein, Tobi !" murmelte Margrit, dabei einen prüfenden Blick auf die dickliche Frau werfend, welche neben Tobias saß und die sich anscheinend ziemlich gestört fühlte.
„Ich hab` auch Muckis !” meldete sich Julchen.
„Du bist ein Mädchen !” knurrte Paul.
Julchen schaute an Paul vorbei, als ob er gar nicht vorhanden wäre. ”Ich bin ein Mädchen und habe trotzdem Muckis! Viel mehr als Tobias, so!”
„Haste nich! “ fauchte Tobias.
„Hab` ich doch!”
„Mädchen sind dafür hübscher !” versuchte Paul einzulenken.
Niemand schien ihn zu hören. Die Kinder schnitten Paul deutlich, da ihnen seine lautstarken Proteste, dass er sie nicht haben wollte, noch gut im Gedächtnis waren.
„Du liebe Scheiße !“ ächzte Tobias plötzlich.
„Tobias!“ gemahnte ihn Margrit. „So etwas wolltest du doch nicht mehr sagen !“
„ Aber ich hab ihn verloren !“ protestierte er.
„Wen ? Etwa einen deiner Muckis ?” feixte Paul.
Doch der Kleine meinte es ernst. Er war käseweiß geworden. Wie ein Wilder kramte er in sämtlichen Taschen seiner zerfledderten Kleidung. Er schien nach irgendetwas äußerst Wichtigem zu suchen. Er war dabei so hektisch, dass er mit dem Ellenbogen abwechselnd gegen die Hüften der dicken Frau oder gegen die Tasche, in der eine Ente saß, stieß. Die Ente fauchte deshalb empört, die Frau bekam einen roten Kopf und Paul kochte innerlich. Traumatisierte Kinder hin oder her - sollte er deswegen vielleicht selbst noch eine Macke bekommen? Wie der Bengel sich wieder einmal aufführte! Margrit ließ Tobias zu viele Freiheiten.
Der Kleine war nun vollends aufgesprungen, wohl weil er hoffte, dadurch tiefer in seine Hosentaschen hineingreifen zu können.
Die Leute sahen Tobias zu, denn sie hatten ja sonst nichts zu tun, und Paul bekam Schweißausbrüche.
„Wen hast du denn verloren ?“ fragte Julchen, sich dabei das blonde, verfilzte Haar zausend, denn seit die Hajeps auch die Kanalisationen und Wasserwerke beschädigt und manchmal sogar völlig zerstört hatten, stand es mit der Hygiene nicht gerade zum besten.
„Na, wen wird Tobias wohl suchen, Julchen, naaa ?" Paul war es jetzt nämlich eingefallen und deshalb lehnte er sich seufzend, die Arme übereinander geschlagen, in die Bank zurück.
Da Julchen nichts von sich gab und nur nach wie vor erstaunt dreinschaute, half er ihr etwas.
„Sicher seinen heißgeliebten ´Putti´!“
„Aber Paul,” kicherte Margrit, “dieser Hartgummiball heißt nicht ´Putti´, sondern ´Knuddi´!“
„Ist mir doch Wurst !” knurrte Paul eingeschnappt.
„Ich kann ihn nicht finden, ich kann ihn nicht...!“ kreischte Tobias jetzt mit hochrotem Kopf.
Oh Gott, wie peinlich ! Paul schaute zur Nervenberuhigung aus dem Fenster. Die alte Lok fuhr mit Dampf und so zuckelten Wiesen und Wälder ziemlich gemütlich am kleinen Abteil vorbei. Paul runzelte die Stirn. Auch die Fabriken waren von den Hajeps dem Erdboden gleich gemacht worden. Es gab kaum noch Busse, geschweige denn Autos. Wer von all diesen Menschen hier hätte sich je träumen lassen, eines Tages mit solch einem museumsreifen ´Ding´ durch die Gegend kutschieren zu müssen.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.12.2004, 10:54   #2
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 2

Nicht nur Paul, auch die Fahrgäste wurden inzwischen unruhig, als sie die beiden Kinder zwischen ihren wenigen aber für sie lebenswichtigen Habseligkeiten suchen sahen und einige murrten sogar, denn sie hatten Angst, es würde ihnen dabei etwas weggenommen.
„Was habe ich euch gesagt, was man als erstes tun soll?“ griff Margrit zur Pauls Erleichterung endlich ein, “ besonders, wenn etwas ganz Schreckliches passiert ist ?“ Sie machte ein ernstes Gesicht.
Paul seufzte. Ganz schrecklich nannte Margrit so etwas, oh Gott, oh Gott!
„Hast was Wicht´ges du verloren, schwitz nicht gleich aus allen Poren, bleibe ruhig, denk` erst mal nach!“ kam es, wie aus der Pistole geschossen, von den Kindern.
„Richtig,“ sagte Margrit, „also ... ?“
Es raschelte, die Ente fauchte, die dicke Frau neben Tobias schüttelte verärgert den Kopf und Paul bekam rote Ohren, denn gleich beide Kinder hatten einfach auf der Bank Platz genommen um nachzudenken.
„Woher hast du das mit dem Spruch, Mamms?” fragte Tobias ziemlich unkonzentriert.
„Na, das ist doch wieder typisch für Margrit, Tobias !” murrte Paul, ehe Margrit antworten konnte. ”Sprüche in einem Heftchen sammeln von irgendwelchen Leuten, als ob wir in diesen Zeiten nichts Wichtigeres zu tun hätten! ”
„Du, Tobi, duhuuuu ?” wandte sich Julchen, als hätte sie Paul gar nicht gehört, an ihren Bruder.
„Ja-ah ?” krächzte der.
„Vorhin, da hattest du dir den ´Knuddi´ noch angeguckt, stümms?“
„Stümmt!” Tobias kamen ob dieser Erinnerung die Tränen.
Ach, es waren wirklich die schrecklichsten Kinder, die man sich denken konnte. Entweder weinten sie darüber, dass sie etwas verloren hatten, oder weil sie durstig oder müde waren oder weil ihnen einfach alles gleichzeitig eingefallen war.
„Ohmannnohmannohmann!“ quiekte jetzt Julchen aufgeregt. „Du hast den ´Knuddi´ doch in deinen Rucksack getan, bevor du eingeschlafen bist, stümms ?“
„Stümmt!” Der Kleine schaute sofort in den halb zerfetzten Beutel, den er stets, genau wie Julchen den ihren, vor sich auf dem Boden liegen hatte.
„Du liebe Scheiße !” Tobias klatschte sich mit der flachen Hand total erleichtert gegen die Stirn.
„Tobias !” rügte ihn Margrit schon wieder und wurde nun auch ein bisschen rot.
„T`schuldigung!” Er lachte so heiser und befreit auf, dass die Ente in der Tasche einen gehörigen Schrecken bekam und mit den Flügeln zu schlagen begann. Die Bäuerin hatte Mühe, sie in der Tasche zu behalten und warf wieder wütende Blicke auf den Jungen.
Paul konnte nur stumm und fassungslos sein Haupt über Tobias schütteln, denn der holte nun die durchsichtige, in ihrem Inneren leicht marmorierte Hartgummikugel mit solch einer gewichtigen Miene hervor, als wäre sie ein Diamant.
„Oh, du mein gutes Gummi-Flummichen!“ schniefte Tobias gerührt und streichelte die dämliche Hartgummikugel etwas ungelenk aber zärtlich.
Dann hielt er den schimmernden Ball gegen das spärliche Herbstlicht, welches vom kleinen Fenster herkam.
“Stümms, der ist hübsch ?" fragte Tobias seine Schwester. "So schön wasserblaurichblau, stümms ?"
“Stümmt !” bestätigte Julchen ebenso hingebungsvoll.
"Wasser kann auch grün sein !" murrte Paul.
"Oh, ich glaube ", schwärmte Tobias trotzdem weiter, "ich nenn` ihn jetzt anders ... ´Blaulilli` nenn` ich den! Oder lieber doch nich ? Nee! Lilli hört sich nach einer ´sie´ an, stümms ?”
“Stümmt!” erwiderte Julchen nachdenklich.
“Und er ist doch ein ´er´ und..."
"Oh Gott, oh Gott, ist das dämlich !" stöhnte Paul.
"Er heißt ´Blauli´", sagte Tobias jetzt fest entschlossen und wandte sich dabei an die Fahrgäste, da er nun doch bemerkt hatte, dass sie seinen kleinen Darbietungen gefolgt waren, "und er ist unsere Erde !"
"Darf ich dich darauf aufmerksam machen, dass die Erde eine ´sie´ ist?" erklärte Paul etwas spitzzüngig.
Tobias dachte daraufhin angestrengt nach. Er balancierte dabei die Kugel, die einen Durchmesser von drei Zentimetern hatte, zwischen Daumen und Zeigefinger und Julchen schaute ihm weiterhin aufmerksam zu.
"Er ist ein ´er´!" beharrte Tobias. "Er heißt nämlich der Planet und darum ist er ein ´er´!"
Die Passagiere kicherten und Paul schraubte seine dunkelbraunen Augen hilflos nach oben.
"Und das sind seine Erdenteile ... Hajeps nennen sie jetzt ´OBAITIS´!" Tobias schwarz gerandeter Fingernagel wies auf die merkwürdig geformten Teilchen, die sich tief im Inneren der Kugel abzeichneten. "Und das Durchsichtige drum rum ist unsere Lufthülle. Hier liegt ` Rikarja `Afrika, seht ihr, seht ihr, seht ihr?" krächzte der Kleine aufgeregt und hielt sie den Fahrgästen entgegen. Diese nickten freundlich.
Paul hob überrascht die dichten Brauen, hatte doch der Junge inzwischen wohl über die Lautsprecher und Sender der Hajeps, die oft an den Stadträndern meist in Laternenmasten, Straßenschildern oder ähnlichem verborgen waren, und worüber die Hajeps den Menschen stets ihre – oft nur zum Teil übersetzten - Anordnungen erteilten, deren komische Bezeichnungen für einzelne Länder einfach auswendig gelernt. Das war recht beachtlich für so einen kleinen Kerl. Außerdem wies dieses eine komische Stückchen in dem verrückten Ball, wies tatsächlich die Form Afrikas auf. Er fragte sich insgeheim, weshalb er Tobias noch nie richtig zugehört, sobald der nur von seinem ´Puffi´ zu erzählen begonnen hatte.
"Und das Stückchen dort unten", erklärte Tobias weiter und die Fahrgäste, die hinten standen, machten deshalb lange Hälse, „ist `Kabajak` der Südpol. Von daaa kamen die meisten Außerirdischen, die unsere Erde vorher Jahr raus und Jahr rein vom All aus beobachtet haben. Sie landeten daaa und hielten sich daaa tief unten in Schnee und Eis erst für lange Zeit versteckt, bis genug von ihnen daaa waren ... und daaa ist ´DARA-TORI´ der Stille Ozean, von daaa aus den tiefsten Stellen dieses Meeres kamen auch wieder die, die Außerirdischen, weil das auch wieder keiner von uns Menschen sich`s so gedacht hat!"
"Tjaaa...", meinte Paul betroffen, "... dort ist das Meer an einigen Stellen über achttausend Meter tief, wer nimmt schon an, dass jemand dort im Laufe von Jahren still und heimlich Städte und Raumhäfen bauen kann."
"Einige Seefahrer haben sich früher über die komischen Fischwesen dann ganz Scheiße erschreckt ...”
“TOBIAS !“ Margrit errötete schon wieder.
“T`schuldigung ! Aber die sind manchmal vor ihnen so richtig in echt aus dem Wasser aufgetaucht, die Fischwesen, stümms, Mamms ?"
“Iiiiih, ich mag keine Fische ...” rief Julchen ungefragt dazwischen und ihre blauen Augen wurden darüber noch größer als sie es ohnehin waren, ”... wenn sie verwesen! Menschen verwesen auch immer und das stinkt dann immer so ekelig!”
“Aber Julchen, das meint Tobias doch nicht ! Ich glaube, dass diese Fischwesen harmlos sind”, wandte sie sich weiter an Tobias. ”Diese Geschöpfe haben niemandem etwas getan und tun uns auch heute nichts!"
“ Ich ... ich tu denen auch nix!“ mischte sich Julchen schon wieder ein. „ Auch nich heute ... die ... die sind bestümmt ganz schön ... ganz schön ... schuppig ...!” sagte Julchen sehr leise. „Stümms, die, die Fischverwesen? Ich mein`, so ganz und gar und am ganzen Körper !" Julchen knabberte jetzt an ihrem Ärmel.
"Verzeiht, wenn ich mich da einmische", ließ sich plötzlich ein recht groß gewachsener junger Mann vernehmen, der ebenso wie alle anderen die ganze Zeit aufmerksam zugehört hatte und sich nun durch die Menge der Fahrgäste schob, „aber ich habe den Eindruck, die junge Dame fürchtet sich trotz aller Tapferkeit ganz schrecklich vor Auleps!"
Er schob sich eine Strähne des schwarzen, dichten Haares aus der Stirn und Margrit merkte nebenbei, dass ihm die alte Lederjacke viel zu klein war, denn er konnte kaum den muskelbepackten Arm heben.
„Kein Grund zur Sorge, Julchen!" murmelte er. „Oft schaut alles schlimmer aus als es in Wahrheit ist. Wir Menschen sollten uns", sein Blick blieb an dem zerfransten Ärmel, aus dem das Mädchen gerade mit den Zähnen einen Faden zog, haften, "viel weniger fürchten und dafür mehr beobachten, das wäre besser!"
"Ööööh ... m .. meinst du mit fürchten etwa mich?" Julchen nahm den Ärmel noch etwas fester zwischen ihre Zähne.
"Könnte vielleicht sein !" Er nickte ihr grinsend zu.
"Stümmt nich ... ich fürcht` mich nie !" Julchen ließ den Ärmel los und verbarg ihn hinter ihrem Rücken. "Au ... auch nich vor Wasser ... hm ...wesen !"
"Auleps!" wiederholte er.
"Also, nich` vor Aulets ! Ich find` ihre Schuppen nur so ein ganz kleines winziges bisschen ekelig, weiter ist nichs ... so!"
"Auleps nennst du diiie?" mischte sich Tobias ein, den Burschen mit skeptischen Blicken beäugend.
"Ich nenne diie nicht so, sondern so heißen diie! Und zwar in der Sprache der Hajeps", erwiderte der ruhig, „es sind Kreaturen, die von den Hajeps für Unterwasserarbeiten gebraucht werden. Tja, unsere außerirdischen Eroberer haben verschiedene Sklavenvölker mitgebracht, so zum Beispiel die Trowes, ein derbes, muskelbepacktes Volk, oder die Senizen, schmal und feingliederig gebaut, oder die Kirtife, sehr kleine, kräftige Wesen, die sie wohl immer dann einsetzen, wenn sie nicht sofort alles so technisieren können, wie sie es für ihre Lebensweise unbedingt brauchen. Drähte, Sensorenfelder und Kabel von Robotern sind offensichtlich reparaturanfälliger als Muskeln und Hirnzellen. Sie haben wohl noch nicht genügende Fabriken gebaut. Außerdem pflegen Hajeps Energien, die sie für ihre nicht selten gewaltigen Maschinen brauchen, fast ausschließlich der Natur zu entnehmen. Das trauen sie sich aber noch nicht voll und ganz. Sie wollen den hochempfindlichen Erdenhaushalt wohl vorab schonen.
"Woher wissen sie das alles ?“ warf Margrit plötzlich ein. ”Mir ist in diesen zehn Jahren noch kein Mensch begegnet, der ein solches Wissen über unsere Feinde hat."
" Sehr richtig, uns auch nicht !“ ließen sich ebenso drei junge Kerle aus der Menge der Passagiere hören. Sie waren zwar ebenso unterernährt und schmutzig, wie alle anderen, doch sie hatten noch Kraft und daher ein kämpferisches Funkeln in den Augen.
„Tja, da haben sie dann wohl allesamt Pech gehabt !" entgegnete der Bursche keck und nun schauten ihm sogar sämtliche Fahrgäste verwirrt, ja fast misstrauisch ins Gesicht, denn sie wussten, dass Hajeps Menschen ´umdrehen´, ja sogar zu Halbrobotern umfunktionieren konnten und dass sich diese dann unter die Menge der Flüchtenden zu mischen pflegten. War diesem Jungen nicht zu viel herausgerutscht, um noch Mensch zu sein ?
"Nein ! Diese Antwort genügt uns nicht!" antwortete ihm Margrit. ”Um so genau informiert zu sein, müssten sie wohl die Sprache der Hajeps beherrschen und die ist bekanntlich zu kompliziert um sie so gut zu begreifen.”
Der Hüne lachte leise und die drei Burschen flüsterten deshalb wütend miteinander. Einer von ihnen schob sich nun an den Fahrgästen vorbei, um dem Hünen näher zu kommen. Der schien den nicht zu sehen.
"Nun gut", sagte er nur. "Ich war halt neugierig und habe es von anderen Leuten erfahren !"
"Erfahren?" Wiederholte Margrit verdutzt. "Das müssen ja vielleicht Leute sein ! So etwas erfährt man nicht so einfach.”
„Es ist ´djepato´(verboten) !" rief der Bursche, der sich dem Hünen genähert hatte und seine Kameraden die ihm inzwischen gefolgt waren nickten aufgeregt. „Niemand darf über Hajeps mehr wissen als sie uns freiwillig zukommen lassen!"
"Stimmt, Neugierde wird bekanntlich mit dem Tode bestraft !" brummte nun auch Paul nachdenklich.
"Ohne Scheiß ?”
“TOBIAS! Du hörst jetzt endlich damit auf!” fauchte Margrit.
“Es wird nicht bestraft, wenn wir die ´Kutmats´ (Untervölker) der Hajeps beobachten !" beharrte der Bursche.
"´Kutmats´ ?" wiederholte Margrit.
"Ich ... ich ... hab´ keine Angst vor ´Kumast´!" fauchte Julchen zornig, mit einem kurzen Blick auf den Hünen, der sie wieder im Auge hatte, und ihre Zähne ließen ihren Ärmel los. “ Warum müssen wir denn immer vor Hajeps weglaufen, Mamms ?“ wendete sie sich an Margrit.
„ Ja, warum eigentlich ?“ kam es auch von Tobias. „Können wir nicht maal irgendwo bleiben?"
"Das tun wir auch bald”, erklärte Margrit und musste dabei erheblich lauter werden, weil die Passagiere entspannter geworden und miteinander zu plaudern begonnen hatten, ”sobald wir in der Nähe von ..."
“Schscht !” unterbrach sie Paul. “Das braucht ja nun nicht jeder zu wissen, oder?”
"Si ... sind wir dann sicher?" meldete sich nun auch Julchen und kroch sicherheitshalber wieder auf Mamas Schoß.
"Sicher sind wir nie ! " murmelte Paul. "Die Hajeps können uns mit ihrer phantastischen Technik völlig unter Kontrolle bekommen, wenn sie nur wollen! Deswegen konnten wir Menschen sie ja auch nie besiegen, auch wenn wir tapfer gekämpft haben. Die sind ganz einfach weiter als wir !"
"Sch ... Schade !”
“ TOBIAS !”
“Hab`s ja nicht gesagt !”
“Können wir Menschen echt nichts gegen die, die, die Hajeps machen, Mamms?" Julchen wandte sich um und schaute prüfend ihrer Mamma ins blasse Gesicht.
"Ach, das wird schon noch !" Margrit warf Paul einen bitterbösen Blick zu, der ihm sagen sollte: Warum verrätst du so etwas ? Du machst den Kindern damit nur unnötige Angst, und sie fuhr laut fort: "Außerdem werden wir für einige Zeit dort erst einmal vor Hajeps in Sicherheit sein. Sonst hätten wir uns ja gleich all die Strapazen der Flucht ersparen können. Wir werden doch nicht etwas tun, was völlig sinnlos ist, Julchen ! "
“Nach meinen Beobachtungen”, meldete sich der Hüne wieder und zupfte sich die offene Lederjacke etwas mehr über seine breite Brust, ”können Hajeps auch nicht alles ! "
"Oh, daas dürfen Sie aber auch nicht so laut sagen", wisperte Margrit erschrocken und spähte dabei ganz besonders den drei jungen Burschen prüfend ins Gesicht, die sich je rechts und links von dem Hünen postiert hatten, "denn es könnte ja sein, dass... " sie brach beklommen ab.
"Ich finde es ganz reizend, dass Sie immer wieder so um mich besorgt sind", erwiderte der Hüne schäkernd, die drei Jungs dabei überhaupt nicht beachtend, "aber auch die Geschichten mit den ´Pajoniten´, die überall grassieren, halte ich für reichlich übertrieben.
"Meinen Sie mit ´Baji..."
"Pajonit ... Pajoniten !" half er ihr.
"Also, meinen Sie mit Pajoniten etwa jene Halbroboter, in welche die Menschen laut Gerücht manchmal umgewandelt werden, um für Hajeps zu spionieren oder gar zu töten ?"
"Genau !" Er nickte. "Vieles ist davon erstunken und erlogen!"
"Sie sind sehr mutig", murmelte Margrit anerkennend, "um nicht zu sagen frech, denn Sie stellen hier einfach Behauptungen auf, die einen ... also, die regelrecht verblüffen!"
"Und die Mut machen, nicht wahr ?" Er zwinkerte ihr zu. "Das haben Sie vergessen hinzuzufügen !"
" Pah !“ knurrte Paul missmutig. “Das ist doch alles nur Gequatsche. Die Wahrheit ist, dass die Menschheit ganz allmählich zu Grunde gehen wird und ...“
“Das is doch nich schlümm, wenn die Menschen mal `ne Runde dreh`n, stümms, Mamms ?" schmetterte Julchen aufgeregt dazwischen. “Ich drehe auch manchmal `ne Runde und der Tobias auch und die Oma ... die hat auch manchmal `ne Runde gedreht und der Munk, der hat auch und...“
"JULCHEN !“ bremste Margrit ihren Eifer.
“ Gemeint ist, du blöde Göre, dass die Hajeps uns tot machen werden, weil sie alle Teufel sind," mischte sich die Bäuerin neben Tobias ein und die Ente schnatterte ebenso laut wie die Frau und deshalb drückte die Bäuerin die Öffnung der Tasche einfach zu.
"Unter den Hajeps leben bestimmt genauso wenig oder viel Teufel wie bei uns Menschen", erklärte Margrit tapfer.
"Sooo, meinen sie tatsächlich, dass diese riesigen Blechwesen leben?" quiekte die Bäuerin zynisch lachend.
"Ja, das meine ich auch!" gab der junge Bursche einfach Margrit recht.
"Woher wollen Sie das wissen? " keifte die Bäuerin noch ein Stückchen lauter. "Haben Sie die denn je von Nahem gesehen, haben Sie je persönlich mit ihnen gesprochen? " Sie öffnete etwas die Tasche, damit die Ente wieder atmen konnte. "Ich für meinen Teil bin der festen Überzeugung", beharrte sie, "dass es ferngesteuerte Teufel aus Metall sind, weiter nichts, die gnadenlos mit unseren Leben spielen, weiß der Himmel, warum ! "
Margrit sah zu Boden, wo all die Kisten und Rucksäcke standen, denn insgeheim musste sie dieser Frau recht geben. Vor allem, wenn sie dabei an ihre Freunde dachte, die dermaßen qualvoll ermordet worden waren, trotzdem sagte sie laut : "Hajeps sind zwar grausam aber..."
"Was... aber?" hakte die Bäuerin nach, der Zug machte wieder mal eine Kurve und so wankten alle Insassen ein wenig nach rechts.
"Seltsamerweise töten nicht alle, obwohl sie das durchaus könnten. Ich habe gehört, dass kleinere hajeptische Einheiten und erst recht einzelne Soldaten”, Margrit keuchte aufgeregt, “ mitunter Menschen entkommen lassen! “ Komisch, jetzt schlug Margrits Herz sogar bis zum Halse. „Und ich frage mich“, fuhr sie trotzdem so ruhig wie nur irgend möglich fort und versuchte gleichmäßiger zu atmen, “weshalb handeln die so anders? ”
Margrit schob sich die Brille zurecht, denn das tat sie immer, wenn sie hochgradig nervös wurde, und blickte geradeaus, einfach irgendwo hin.
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Alt 22.12.2004, 11:49   #3
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 3

Die Bäuerin machte ein verdutztes Gesicht, und Paul sagte leise und in beruhigender Tonlage zu Margrit: „Hast du nicht das Gefühl, dass du unbedingt willst, dass es auch gute Hajeps geben könnte ? Wer weiß, was an diesen Geschichten, die so überall herumerzählt werden, schon Wahres dran ist ? Mir kommen sie jedenfalls ziemlich märchenhaft vor. Ich glaube, du kannst nur nicht die Vorstellung ertragen, dass eine sadistisch oder ähnlich krankhaft veranlagte oder ferngesteuerte Macht, gegen die wir Menschen uns nicht wehren können, gegen die wir nichts, wirklich absolut nichts tun können, uns eines Tages alle brutal ausrotten wird ... auch dich! “
“ Ohne Scheiß ? Nein ! ” kreischte Tobias. “Nich die Mama, die nich !” Und er legte beschützend seine Ärmchen um die Mutter und Julchen tat es ihm nach und die beiden Kinder begannen stumm vor sich hin zu weinen.
“Aber natürlich kommt eure Mamma auch dran !” mischte sich die Dicke wieder ein. ”Und du frecher Bengel bestimmt an erster Stelle !”
“ Sag` dass ´Schweinchen Dick` aufhören soll, solch einen Scheiß zu reden, Mamms !“ heulte Tobias wütend drauflos.
“Schw ... Schw ... Schweinchen Dick !“ stotterte die Frau und ihre runden Backen röteten sich vor Empörung.
“ Margrit, warum klebst du ihm nicht endlich eine !“ schimpfte Paul, ebenfalls rot im Gesicht.
„ Hach, was redet ihr denn alle ! “ zürnte Margrit. “Nimmt denn heutzutage keiner Rücksicht auf Kinder ! Es kommt niemand von uns dran, das verspreche ich euch!“
Julchen kroch erleichtert von Mamas Schoß herunter und sagte zu der Bäuerin: “ Siehste !“
Diese schüttelte unwirsch den Kopf. Margrit hingegen ballte ihre Hände zu Fäusten, damit die nicht allzu sehr zitterten.
“D ... das wollte ich nicht!” Paul tätschelte schuldbewusst Margrits Hände. “Tut mir leid, ehrlich ! He, vielleicht gibt es ja auch wirklich irgendwelche ... naja, gute Hajeps”, er schluckte, “ auf die wir Menschen bauen könnten. Wer
weiß ? Tja, womöglich überlegen die inzwischen sogar heimlich, wie sie die gesamte Menschheit vor den eigenen Artgenossen retten könnten ? Wissen wir das ?”
”Ach, Paul, du brauchst uns gar nicht so albern zu trösten ...”
“Doch, doch, ihr müsst irgendetwas haben, an das ihr euch klammern könnt, das sehe ich jetzt ein !”
“Und wenn es nun wahr wäre ?” Sie schob seine Hände mit einer unwirschen Geste von sich fort. “Selbst ein einziges gutes Korn birgt die Hoffnung auf Brot.”
“Haha ! Das ist wieder mal typisch klein Margrits Philosophie. Ach, werf` doch bitte, bitte, endlich dein komisches Heftchen weg, sonst versaut`s dich noch eines Tages ganz! “ Er lehnte sich wieder nach hinten in die Bank und lachte sie aus ... ziemlich künstlich, wie Margrit fand.
“He, das war aber richtig gut !” wandte sich der Bursche trotzdem wieder an Margrit. “Sie müssen mir mal bei Gelegenheit dieses Heft borgen !”
“Sofern wir uns wiedersehen!” kam Paul seiner Margrit einfach zuvor und lachte weiter.
“Oh, ich habe auch so Einiges über diese guten Körner gehört“, empörte sich der junge Bursche und sah zu Pauls Überraschung derart strafend hinüber, dass dem buchstäblich das Lachen im Halse stecken blieb. ”Es soll sie tatsächlich geben! Hatte mir allerdings bisher darüber noch nicht den Kopf zerbrochen", räumte das Kerlchen ein.
"Mich interessiert sowas auch nicht”, tönte die Bäuerin und tippte sich aufgeregt an die üppige Brust und die Ente schnatterte deshalb, "denn die meisten Menschen werden doch von den Hajeps von einem Ort zum anderen gescheucht.”
“Richtig, weil die Hajeps für sich selbst Land brauchen !” bestätigte der Bursche.
“Sie zerstören unsere Städte ...”
“... weil sie sich dort neue bauen wollen ...” erklärte er wieder.
“... jagen uns immer wieder auf verschiedene Art und Weise Angst ein und ... "
"Tjaaaaa, manche sind halt wie Kobolde!" lachte der Kerl.
"Also, ich habe keine Angst vor ... vor Koboldse !" schimpfte Julchen. "Mammaaaa-ah ? Was sind Koboldse ?" Sie schob sich den Ärmel tief in ihren Mund. Doch ihre Frage fand keine Antwort, da sie von der Bäuerin fast gleichzeitig übertönt wurde.
"Hören Sie mal, Sie junger Schnösel ! " keifte die. "Sie haben wohl nicht Genügend Schlimmes mit Hajeps erlebt, sonst würden sie nicht dermaßen grinsen können. Ich habe meine ganze Familie durch Hajeps verloren, jawohl, meine ganze Familie!"
„Oh, das tut uns aber leid !" krächzte Margrit anteilnehmend. "Ich kann Sie sehr verstehen, denn auch ich habe erst kürzlich ...“, ihre Stimme wurde unbeabsichtigt viel zu leise, „... Furchtbares durch Hajeps erlebt."
"Sehen Sie, sehen Sie", tönte die Bäuerin, "... daher fällt es mir schwer, mir auch nur irgendetwas Witziges bei dem Gedanken an Hajeps vorzustellen. Hat denn keiner mitbekommen, dass sich die Hajeps einzelne Menschen plötzlich herauspicken und ihnen...", sie japste nach Luft, "... an Ort und Stelle Organe entnehmen ?”
“Schei .. .ich muss kotzen, Mams !” Tobias hielt sich den Bauch.
“Uuuh”, ächzte Julchen, ”ich glaub`, ich auch ! Was sind denn Orbane, Tobi?”
“Orrgh, weiß nich´, aber bestümmt irgend so was ganz doll` Ekeliges, ooorgh!”
“Aber so beruhigt euch doch Kinder”, Margrit warf wieder einen strafenden Blick auf die Bäuerin, die jedoch ungerührt weiter plapperte.
”Ich frage mich dabei”, erklärte die, ”warum machen Hajeps das ? Wozu brauchen sie diese... diese Organe?"
"Ja, das frag` ich mich eben auch !” keuchte Tobias. ”Und noch etwas ... wo ist ein Napf, Mama ?”
“Es sind überwiegend Gehirnzellen !" stellte der junge Mann richtig. "Bestimmt nichts zum Essen!" Er kicherte.
"Woher wollen Sie das wissen ?" konterte die Bäuerin. "Ich für meinen Teil finde zum Beispiel, dass Entenleber ganz besonders gut schmeckt ... "
“Nicht alle sind so !” entgegnete Margrit. "Ich könnte nämlich dieser Ente nicht den Hals umdrehen !"
" Ich drehe auch manchmal einen Hals rum ... nämlich meinen so ein bisschen...“ Julchen machte es vor. „Aber nich Enten, stümms Mamms ? Die arme Ente !"
" Dennoch essen Sie alle Fleisch !” konterte das dicke Weib böse. ”Sogar Entenfleisch... geben Sie`s ruhig zu ! Ha, die meisten Menschen tun`s!" Sie sah sich herausfordernd nach allen Seiten um und alles nickte verstohlen.
"Tja, da haben Sie recht...", gestand auch Margrit ein, "ich esse Fleisch und habe ..."
"Ich auch !" warf der junge Mann ungefragt dazwischen. ”Es ist nur dabei wichtig, dass wir ...”
"Und mein Verhalten ist unkonsequent !" gab Margrit kleinlaut zu. ”Ich sollte deshalb ...”
"Finde ich gar nicht mal !" bemerkte der Bursche. ”Denn wenn man bedenkt, dass ...”
"Aber nichts ist nur ! " erklärte Margrit weiter. "Auch unter uns gibt es zum Beispiel Vegetarier und ein ganzes Volk", sagte Margrit jetzt mit fester Stimme, "kann daher nicht nur aus Bestien zusammengesetzt sein. Es wird auch Hajeps geben, die momentan vielleicht nicht zu Worte, eventuell noch nicht an die Macht gekommen sind. Auch bei uns hat es schon verbrecherische Despoten gegeben, die ganze Völker quälten und unterjochten und ..."
"Das ist sehr richtig! " bestätigte der Bursche aufgeregt. ”Hajeps haben nämlich eine ...”
"Heee Sie !" empörte sich Margrit. ”Sind Sie aber unhöflich ! Fallen mir dauernd in`s Wort !”
"Papperlapapp, jetzt bin ich endlich dran!" rief er frech. "Also, die Lage ist so: Hajeps halten uns wohl für eine minderwertige Spezies, die es zu vernichten gilt, wie etwa schädliche Insekten, ohne deshalb den Haushalt der Natur durcheinander zu bringen. Deshalb brauchen sie so viele Jahre, bis sie uns wirklich vollständig ausgerottet haben. Zu viele Leichen würden nämlich, wenn sie verwesen, der Natur schaden, deshalb lassen sie sich Zeit. In der Regel töten sie schnell, zum Beispiel mit ´Zagamastrahlen´ einer besonderen Gasfeuermischung, die uns Menschen noch unbekannt ist. Dabei haben sie kein Erbarmen mit unserer Spezies. Haben wir denn Erbarmen mit zum Beispiel einem Floh ? ”
“Ich mag keinen Floh !” sagte Julchen. “Weil ... der juckt immer so ganz dolle !” Sie rieb sich dabei eine Pobacke.
Der Hüne räusperte sich und fuhr einfach fort. “Hajeps wissen zwar, dass Menschen nicht dafür können, dass sie so sind, wie sie eben sind ! ” Er lachte plötzlich merkwürdig. “Dennoch geben sie ihnen überhaupt keine Chance. Sie glauben, die Menschen zu kennen, obwohl nicht ein einziger von ihnen je persönlich mit ihnen reden durfte. Es ist in der Regel sogar so, dass derjenige, der einem leibhaftigen Hajep begegnet, kaum Zeit hat den Mund zu öffnen, so schnell wird er getötet. Hajeps haben eben eine besondere Meinung über Menschen, die...”
"Aber sie töten nicht nur!” warf Margrit ein. „Oft haben sie auch Männer, Frauen, Kinder, ja, sogar Greise lebend gefangen, um ..."
"Ha ... erwischt ! Diesmal sind Sie mir ins Wort gefallen! So´ne Leute haben wir gerne!" Er grinste breit.
"Oh, tschuldigung !" Margrit errötete betroffen. ”Aber weshalb konnten denn diese Menschen, die ein bisschen mehr Zeit hatten, überhaupt keinen engeren Kontakt zu den Hajeps aufbauen ?”
“Keine Ahnung !” Der Bursche hob hilflos die Schultern an. ”Wir wissen nicht, was in den ´Wranos´ (Wohngebieten) der Hajeps passiert, in die sie ihre Gefangenen oft hineinschleppen, denn die ´Ygonen´ (Zäune und Mauern) sind unüberschaubar. Kein Mensch, der je in solch ein Gebiet verschleppt worden ist, kehrte lebend zu uns zurück. Es ist verboten, Hajepgebiete zu überfliegen.”
“ Die Mama hat mir auch was verboten ...“
„ Hach, Julchen !“ ächzte Margrit erschöpft.
Und die aller-allermächtigsten von den Hajeps heißen ´Montios´, stümms?” fragte Tobias.
“Sie sind ziemlich mächtig, aber nicht die aller – allermächtigsten !” erklärte der Hüne und schmunzelte. “Es herrschen wohl genau fünf ´Montios´ über unsere Erde.”
“Für jeden Erdteil einen“, brabbelte Tobias und starrte dabei andächtig auf seine Kugel, die er wieder hervorgeholt hatte. “Und wer ist nun der aller mächtigste ?“
“ Der Undasubo ! Er herrscht über diese ´Montios´”, berichtete der Bursche.
“Der Unda ... was ?”
“... subo !”
“Der ist dann ihr König, stümms ?”
“Ein bisschen. Er muss sich aber schon mit den fünf ´Montios´ abstimmen.”
“Und wo wohnt der, der, Unda ... hm ... subo ?”
“In ´Scolo´ !”
“´Scolo´ ? Was ist das für ein Erdenteil ? Aber es gibt doch nur fünf stümms ?”
“Stimmt ! ´Scolo´ ist die Zentrale der Hajeps. Niemand weiß, wo sich die befindet !”
”Was ist denn eine Zerale ?” erkundigte sich Julchen.
“So etwas wie eine Spinne mit Netz, weißt du ?”
“Iiiihgitt ! Ich mag keine Spinnen ! Auch nich welche mit Netz ! ”
“Ich auch, nich neee. Spinnen sind echt Kacke ! „
“ Tobias !“
“ Und die Spinne, die mit dem Netz, will uns tot machen, stümms ?” Julchen nagte schon wieder an ihrem Ärmel.
“ Ach, Kinder, davon lassen wir uns doch nicht bange machen !“ griff Margrit wieder beherzt ein. “In Amerika wüten die Hajeps aber nicht derart brutal unter den Menschen wie bei uns ?” fragte sie einfach den Hünen.
"Soviel ich erfahren habe, hat unser Verteidigungssystem erst kürzlich drei Sprengköpfe mit Nervengas in ein ´Wrano´, einen hajeptischen Wohnkomplex gejagt", sagte der Bursche.
Margrit schwieg betroffen, sie atmete schwer. "Und einem ... einem dieser schrecklichen Racheakte der Hajeps ... sind dann meine Freunde zum Opfer gefallen ?" hakte sie weiter nach.
Der junge Kerl nickte. "Vermutlich !"
"Hoffentlich konnte sich wenigstens Muttsch retten !” keuchte Margrit.
"Sie wissen nicht, ob ihre Mutter damals davongekommen ist ?" erkundigte sich der Bursche anteilnehmend. ”Und machen sich Sorgen ?”
Margrit nickte stumm und mit großen Augen.
"Ach, das ist nur so ein Tick von ihr !" wehrte ihn Paul ab, dann wandte er sich in beruhigender Tonlage an Margrit: "Sicher hat deine Mutter sich irgendwo anders versteckt als in der Nähe der Kirche. Deine Mutter ist eine patente Frau. Sie wird sich schon gerettet haben und ist ganz gewiss auch auf den Weg nach Magdeburg, wie wir es damals mit ihr besprochen hatten.”
"M ... meinst du sie wartet je am Bahnhof ? " Margrits Stimme klang halb erstickt. “ Aber ... auf welche Weise soll sie dort hingekommen sein ?"
Paul zuckte mit den Schultern. “Keine Ahnung, vielleicht hat sie irgendjemand mitgenommen ? Schließlich existieren doch noch ein paar Verkehrsmittelchen ! Du weißt, manch einer hat schon die verrücktesten Dinge zu einer Art Auto umfunktioniert !”
“Ja, das stimmt !” Margrit musste bei diesem Gedanken nun doch ein wenig schmunzeln. “ Aber es ist trotzdem gefährlich für diese Leute, denn die Hajeps erlauben uns keine anderen Fortbewegungsmittel, als die, welche sie für uns bestimmt haben.”
“Ach, Margrit! Was ist denn heutzutage nicht gefährlich !”
“Genau !” mischte sich wieder der Hüne ein und zwinkerte dabei Margrit zu.
Diese stellte plötzlich fest, dass er nicht nur schöne, sondern auch grüne Augen hatte und errötete darüber ein wenig.
Paul zog daraufhin die dichten Brauen zu einer tiefen Falte zusammen. Was mischte sich dieser Aufschneider eigentlich immerzu ein ? Er warf einen ziemlich verärgerten Blick auf den jugendlichen Schwätzer. Doch der nahm plötzlich von niemandem Notiz, sondern starrte nur verzückte auf die Landschaft, die draußen vorbeischaukelte.
Auch die Leute im Abteil stutzten. Verwunderte Ausrufe wurden augenblicklich laut. Selbst Julchen und Tobias quiekten begeistert im Duett und Margrit schob sich bei all der Aufregung immer wieder ihre Hornbrille auf der schmalen Nase zurecht, um besser nach draußen spähen zu können.
Riesige Flächen waren dort hügelauf und abwärts üppig bepflanzt mit palmenartigen Gewächsen, in deren Wipfeln feuerrote Blüten schaukelten. Sie wechselten sich ab mit meterhohen gelben Farnen oder weichen kakteenartigen Nadelbäumen in blauen oder lila Farbschattierungen. Büsche, deren lange, dünne Zweige statt mit grünen Blättern dicht bei dicht mit winzigen schneeweißen Blütenbällchen bewachsen waren, wirkten dazwischen wie schmale Hälmchen überschüttet mit Schnee. Es gab aber auch löffelartige, transparente Gebilde, die in grünlichen oder zartrosa Tönen schimmerten und es gab Bäume, die zwar gewaltige Stämme hatten, welche nicht selten geschuppt oder gar gestachelt zu sein schienen, die aber geradezu kümmerliche Baumkronen aus langen, struppigen Halmen besaßen. Diese ganze Vegetation ließ dennoch genügend Platz für diverse deutsche Eichen, Fichten und südeuropäische Pinien, die dort ebenfalls prächtig gediehen. Ab und zu flogen Graureiher auf, aber auch grellbunte Vögel mit nackter Haut, gewaltigen Schwingen und überlangen Schleierschwänzen.
“Was die Hajeps so alles machen”, knurrte Paul endlich, “mit unserer guten Mutter Erde! Schön”, er fuchtelte hilflos mit seinen großen Pranken in der Luft herum, “ich gebe zu, das sieht gut aus ... sehr gut sogar! ”
“Tja, Hajeps haben wunderbare Pflanzen und Tiere !” erklärte der Hüne. “Es ist eine regelrechte Traumlandschaft entstanden!”
“Hm, das kann man schon sagen”, murrte Paul. “Aber was soll das? Wollen die etwa unsere Erde in ihren Heimatplaneten verwandeln ? „
„ Genau ! Hier ist nicht Hajeptoan, hier ist unsere Erde!“ bestätigte der junge Bursche, der noch immer neben dem Hünen stand und seine Augen funkelten dabei zornig.
„... und sie bleibt unsere Erde, jawoll! “ brüllten seine Kameraden.
Bestätigende Rufe waren nun im kleinen Abteil zu hören. “Nieder mit den Hajeps! Nieder mit Hajeptoan! “
Und Tobias fragte schließlich in all dem Gebrüll: ”Die wollen unsere Erde anders machen, obwohl wir Menschen noch gar nicht ausgerottet sind, stümms, Mamms ?”
„ Ach, Unsinn, Tobias !“ Margrits Hand zitterte ein wenig, als sie dem Kleinen durchs Haar fuhr. ”He, ich finde, dass solch ein dichter, tropisch anmutender Wald besser aussieht als manch ein anderer Wald !” sagte sie mit fester Stimme.
Es war bei diesen Worten ein wenig stiller geworden, denn dass es um dieses Stückchen Erde besser stand als je zuvor, war einfach nicht abzustreiten und der junge Bursche lachte mitten in diese Stille hinein.
Und so fühlte sich Paul veranlasst zu sagen: “Was besser aussieht, muss noch lange nicht besser sein.“
“Diese Aufforstungen haben sich aber bereits als besser erwiesen !” konterte der freche jugendliche Kerl. „Ich danke ´Sotam-Sogi´ und...”
Weiter kam er nicht.
„Schwätzer !” brüllte Paul. “ Hajephöriger! Du bist die reinste Marionette, die ... !”
Es war zu spät, dass Margrit Paul gemahnend beim Ärmel zupfen konnte.
Die drei jungen Kerle stürzten sich mit lautem, tierischem Gebrüll auf den verdutzten Hünen und obwohl er so groß und stark war, packte ihn einer von ihnen beim Kragen und schüttelte ihn so sehr, dass er ihn fast dabei erwürgte. Margrit hatte ihren Platz verlassen, denn sie fürchtete in all dem Gemenge, dass man ihn lynchen könnte, denn viele trugen in dieser schlimmen Zeit nicht nur Messer, auch andere Waffen bei sich, obwohl die eigentlich, gegen Hajeps eingesetzt, völlig sinnlos waren. Als die erste Klinge aufblitzte, war Margrit schon da.
“Halt !” kreischte sie, obwohl ihre Knie dabei bibberten wie Pudding. Ihre Stimme hatte so schrill und dermaßen schrecklich geklungen, dass für einen Moment völlige Stille eingetreten war. Das dichte Knäuel aus zerlumpten muffigen Leibern lockerte sich etwas. Nicht nur die drei jungen Burschen, sondern auch sämtliche Passagiere schauten verdutzt auf die schmächtige aber entschlossene Gestalt mitten unter ihnen.
”Ach, was reden wir nicht alle manchmal für einen Blech daher”, begann Margrit mit möglichst fester Stimme, ”müssen wir uns deswegen gleich gegenseitig abstechen ? Das hätten wohl die Hajeps ganz gerne.”
Sie stemmte die Fäuste in ihre mageren Hüften.
“Viele, viel zu viele sind schon durch Menschenhand gestorben ! Wir sollten lieber überlegen, wie wir unseren Bekannten und Verwandten, die uns vielleicht am Ende dieser Fahrt noch erwarten, helfen könnten. Wir müssen durch diesen Tunnel der Finsternis hindurch ! Ich weiß, das ist nicht leicht, aber wir sollten endlich wissen, dass wir alle das Gleiche wollen, nämlich Leben!”
Es raschelte und das Messer verschwand. Das Menschenknäuel löste sich auf.
Man schämte sich nun direkt ein wenig und dachte an seine Schwester oder Bruder, an die Mutter und den Vater oder gar ein eigenes Kind, oder auch Freunde. Jeder hatte irgendjemanden verloren, den er sehr vermisste und schließlich begann man darüber miteinander zu reden.
Jeder hatte irgendjemanden verloren und das gleichmäßige Gemurmel teilte Margrit schließlich mit, dass sich das Schlimmste an diesem Sturm gelegt hatte. Es schien sogar ein wenig Sonne zwischen den düsteren Wolken zu scheinen! Es war das dankbare Leuchten in den schönen Augen des Hünen.
Wenig später hielt der Zug in Magdeburg. Menschenmassen drängten sich auf dem Bahnhof. Kaum, dass Margrit mit dem schlaftrunkenen Tobias an der einen und dem grauen alten Koffer in der anderen Hand dem Zug entsteigen wollte, hatte sie auch schon Paul und Julchen in dem allgemeinen Gewirr aus den Augen verloren.
Was war geschehen ? Wo sollte Margrit jetzt hin ? Wo war Paul ? Es gab zwischen all den vielen Leuten kaum Anhaltspunkte, nach denen man sich richten konnte.
Da, zwischen den beiden Säulen führten Treppen hinab.
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Alt 25.12.2004, 11:20   #4
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 4

Kapitel 2

Sie brauchte gar nicht viel zu überlegen, die Menschen trieben Margrit samt Tobias einfach dort hin. Hier war alles spärlich mit Petroleum-Lämpchen beleuchtet, an manchen Stellen sogar überhaupt nicht. Die Wände glänzten feucht. Abgeblätterter Putz zeigte die nackte Betonwand, herausgebrochene Teile ließen wiederum das Stahlgeflecht sehen. Spinnenweben hingen zuweilen tief von der Decke herab, wirkten so, als wären sie strähniges, staubiges Haar. Die Masse Mensch stampfte dumpf und dicht gedrängt die steinerne Treppe hinunter, um unter den Gleisen hindurch zum anderen Bahnsteig zu gelangen.
Tobias bekam vor Aufregung einen roten Kopf, als auch er mit seinen kurzen Beinchen die stillgelegte Rolltreppe neben den Stufen in Angriff nahm. Er hatte Angst daneben zu treten, denn er sah bei diesem Gedränge so gut wie nichts!
Margrit achtete auf ihn und versuchte dabei, hinüber auf den Bahnhof zu lugen. Gott sei Dank verbreiterte sich dort der Menschenstrom.
Unten angekommen war Tobias froh, endlich wieder ebene Erde unter den Füßen zu haben, doch Margrit nahm ihn trotz seines Protestes bei der Hand. Sie war in Sorge, dass er ihr verloren gehen könnte. Außerdem erschien es ihr so, als würde alles hinter ihr plötzlich wesentlich schneller werden.
Undeutlich wanderte dabei ein Schreckenswort bis zu ihr hinunter, hallte grausig wider in den düsteren Tunneln.
„Aliens!“ reimte sich Margrit aus dem Geschrei zusammen. Sie blieb stehen und ihr Herz begann heftiger zu pochen. Doch dann riss sie sich zusammen, jagte durch den Tunnel, den verdutzten Tobias dabei mit sich zerrend. Sie schob, quetschte sich genau wie alle anderen hinter ihr, bis es wieder eine weitere Treppe hinauf und ans Tageslicht ging.
Dort atmete sie erst einmal tief durch. Doch auch hier war es wieder sehr voll. Hälse wurden gereckt, Köpfe schauten sich um. Tageslicht blendete Margrit. Wo war Paul, wo Julchen? Hatte Paul Muttsch bereits gefunden? Oder irrte die genau wie Margrit hier umher? Würde heute Margrits schreckliche Vermutung, dass sie gar nicht mehr lebte, zur Gewissheit werden?
Plötzlich tönte wieder dieser Schrei. Das gleiche Wort? Es kam jetzt Gott sei Dank von unten, ließ einem aber trotzdem das Blut in den Adern gefrieren.
Die Menge hatte dabei einen regelrechten Hopser nach vorn gemacht. Irgendjemand stürzte dabei zu Boden, rappelte sich jedoch wieder hoch und fluchte laut und schmerzerfüllt.
Was konnte unten passiert sein? Würde das “Schreckliche“, was es auch immer war, bald ans Tageslicht und zu ihnen gelangt sein? Ach, es gab heutzutage nicht wenig Leute, die durchdrehten, sobald es nur enger wurde, die herumphantasierten und ihre Ängste plötzlich hinaus schrieen. Und wenn dort doch Aliens waren? Warum dann aber mitten unter den Menschen? Es gab doch einfachere und weniger gefährlichere Möglichkeiten für Hajeps zu töten? Vielleicht hatten sie ja auch wieder einmal eine täuschend echte Holografie verwendet – nur um so ein bisschen Panik auszulösen, damit alles einander niedertrampelte, erdrückte, zerquetschte? Oder die Menge war, was ebenfalls sehr häufig vorkam, auf einen Menschen aufmerksam geworden, der inwendig zum Roboter umfunktioniert, in wenigen Minuten seine Aufgabe als Bombe oder ähnlich Schrecklichem erfüllen sollte ?
Das Bienengesumm hatte sich inzwischen in hysterisches Gebrüll verwandelt.
„Nur ruhig, Tobias ... ganz ruhig!“ schrie Margrit gegen den Lärm an, nicht nur um das Kind, sondern insgeheim auch sich selbst ein kleines bisschen zu beruhigen und sie hielt dabei das Fliegengewicht weiterhin beim dünnen Ärmchen so fest gepackt, wie den Koffer in der anderen Faust.
Der Druck von hinten war nun so stark geworden, dass er auch Margrit fast zu Boden riss, und zwar in dem Moment als sie sich auf die Zehen stellte, um wieder mal nach einem Taschentuch Ausschau zu halten. Da blinkte tatsächlich eines etwa vierzig Meter vor ihr in diesem brodelnden Hexenkessel auf, tauchte jedoch sofort wieder unter, was nicht verwunderlich war.
Margrit ahnte, sie musste sämtliche Passanten überholen, um bis nach vorn zu gelangen ... aber wie kam sie aus diesem irrsinnigen Strudel heraus? Vielleicht war das Taschentuch ja auch nur eine Einbildung gewesen? Sie verengte die Lider und blinzelte abermals durch ihre schmutzige Brille, und da ... endlich ... kam es tatsächlich wieder zum Vorschein, schwankte zwar arg und verschwand erneut, kämpfte sich jedoch tapfer wieder hoch und dieser Vorgang wiederholte sich in ziemlich kurzen Abständen.
Das war bei diesem Gewühl eine großartige Leistung und erforderte gewiss viel Kraft. Margrit straffte die mageren Schultern, sie wollte endlich so stark sein, wie der Mensch dort vorne – aber war es auch wirklich einer ? Wenn es nun dieser Außerirdische war, der sie nur anlocken, aus dieser Menge hinaus haben wollte, was dann ? Unsinn, warum sollte er es gerade auf sie und Tobias abgesehen haben ? Tatsächlich gelang es ihr, sich mitsamt dem schluchzenden Tobias, weil dem schier der Arm dabei abzureißen drohte, und dem zerbeulten Koffer vorbeizuquetschen.
Endlich erkannte Margrit - wenn auch nur undeutlich – Pauls gestreiften Ärmel .
„Ich komme!“ brüllte sie mit aller Macht, an den vielen verfilzten Haarschöpfen vorbei, obwohl sie wusste, dass ihr das bei diesem Spektakel gar nichts nutzen würde.
„Wir sind gerettet!“ schrie sie ebenso laut zu Tobias hinunter, der natürlich kein einziges Wort von ihr verstand.
Schließlich blieb sie in einem günstigen Moment wieder stehen, ließ sein Ärmchen los und drückte den Jungen, der die ganze Zeit seine beiden Lungenflügel ausgiebig trainiert hatte, tröstend an ihre Hüfte.
Glücklicherweise sah Margrit das Taschentuch als hoffnungsvollen Orientierungspunkt an gleicher Stelle wieder.
"Keine Angst, Tobi!“ schrie sie deshalb wieder aus Leibeskräften. ”Gleich ist alles vorbei, denn wir haben Paul gefunden. Ich habe Julchens Haarzipfel gesehen, er muss sie auf dem Arm haben ...aber wo ist Muttsch ?“
Dummerweise schob die Menschenmenge Tobias und Margrit überall hin, nur nicht nach dort, wo die beiden wirklich sein wollten! Wie Tobias “Blaui“ in einem reißenden Fluss, kamen sie sich vor.
Da lockerte sich mit einem Male die ungeheure Enge - wusste der Himmel warum - jemand packte Margrit an der Schulter, so grob, dass es richtig weh tat und riss sie zurück.
„Das Alien!” schoss es ihr durchs Gehirn. Margrits Kopf fuhr herum und Entsetzen ließ dabei sämtliches Blut aus ihrem Gesicht weichen. Sie starrte in diese Augen ... samtig braun waren sie und blitzten sie selig an.
“Ach du bist es nur !“ keuchte sie erleichtert.
„ Was heißt hier nur ? Wo habt ihr die ganze Zeit gesteckt ? “ knurrte Paul.“ Beinahe wäret ihr auch noch an mir vorbei ! Habt ihr mich nicht gesehen ?“
Margrit nickte. „Oh, Gott, hab` ich mich erschreckt, davon muss ich mich erst einmal erholen ! “ keuchte sie und lehnte ihre heiße Stirn an seine Brust. Julchen die Paul immer noch auf dem Arm hielt streichelte ihr deshalb tröstend übers Haar.“ Arme Mama !“ wisperte die Kleine.
„ Du hast dich erschreckt ?“ empörte sich Paul. „ He, ich hatte Freude erwartet, dass du mich endlich wieder hast. Margrit jetzt enttäuschst du mich aber...“
“Ach, komm Paul, sicher hast du diese Schreie auch gehört ...na egal !“
„ Das ist nicht egal ! Sag bloß du hast mich verdächtigt solch ein komisches Alien zu sein ...!“
„ Das ist doch jetzt Wurst ! Wo ist Muttsch ? Sie ist nicht gekommen, richtig ?“
„ Richtig ! Also, das ärgert mich jetzt doch... das mit dem Alien, pah !“
„ Ärgere dich nur weiter, aber halte mich fest. denn ich muss erst mal verkraften, dass wir Muttsch nun doch nicht gefunden haben...!“
„ Scheiße, die arme Oma !“ heulte Tobias.“ ...und der arme Munk ?“
„ He, der bunte Schirm hinter deinem Rücken. Paul ? Der kommt mir aber bekannt vor ?“ keuchte Margrit verdutzt. Paul grinste.
Nun schlich sie um ihn herum und Tobias folgte ihr„.Muttsch ? “
„Oma ?“ kreischte Tobias begeistert, Paul lachte in sich hinein und Julchen quietschte vor Vergnügen.
„Margrit, Tobias ! “ krächzte die alte Dame von Tränen halb erstickt. Als erstes plumpste ihr natürlich Tobias in die ausgebreiteten Arme. Beide kreischten so laut, dass es sogar den allgemeinen Lärm übertönte. “ Ist es nicht herrlich in solch einer wirren Welt sich trotzdem wiederzusehen ?“ meinte Muttsch schließlich und musste sich dabei auf ihren Schirm stützen, denn ihr war ein bisschen schwindelig.
„ Da hast du recht !“ schniefte Margrit und konnte nachdem Tobias seine Oma losgelassen hatte, ihre Mutter ebenfalls an ihr Herz drücken.
Paul gemahnte: “Vorsicht, vorsicht, deine Mutter könnte ja in dieser langen Zeit in Wahrheit längst ein Alien geworden sein !“ Sie starrte ihn entgeistert an und er lachte prustend los.
„ Also, wirklich, Paul !“ schimpfte sie ,“ das finde ich gar nicht witzig !“
„ Ich schon !“ quietschte er.
Sie nahm ihre Mutter in die Arme „ Ich bin unendlich glücklich, dass du es geschafft hast zu überleben, Muttsch ...und Paul ist ein Schuft, jawoll ! “ Sie warf ihm, der sich die Lachtränen mit seiner breiten Hand wegwischte, dabei einen strafenden Blick zu . „ ...mich dermaßen anzuschmieren, und meine Mutter vor mir zu verstecken pfui !“
„ Aber so war es doch eine richtig geglückte Überraschung, das musst du schon zugeben ,Margrit. Außerdem habe ich nicht gelogen ! Du hast mich gefragt, ob deine Mutter gekommen ist, aber sie war schon einige Stunden vor uns da !“
„ Hä, hä, hä !“ sagte sie.
„ Außerdem, Margrit, wer hat schon immer gesagt, dass eure Muttsch noch am Leben sein wird, wer?“ Paul klopfte sich stolz an die Brust.
„ Der Paul natürlich !“ riefen die Kinder im Chor.
„ He, die mögen mich ja plötzlich ?“ murmelte Paul verdutzt.
Aber Margrit hörte ihm nicht mehr zu. Beide Frauen mussten einander wenigstens in kurzen Worten schildern, was sie so alles in diesen vierzehn Tagen ohne einander durchgemacht hatten.
Tobias hatte indes die Zeit genutzt sich endlich Munk, Omas meist verdrießlichem Kater, zuzuwenden, den sie immer in einem kleinen, fest verriegelten Körbchen unvernünftiger weise mit sich zu schleppen pflegte.
Nachdem Munk Tobias zur Begrüßung durch die Gitterstäbe hindurch tüchtig gekratzt hatte, was eigentlich nicht ungewöhnlich für diese Katze war, drängte Paul seine Familie zur Eile, denn der Zug sollte gleich kommen.
Man quetschte sich wieder an den vielen zerlumpten Leibern, die beladen waren mit Rucksäcken, Kisten, Koffern, zusammengerollten Zelten und Decken mit größter Kraftanstrengung vorbei. Paul lief vorne weg, um notfalls den Weg frei kämpfen zu können. Muttchen tappte hinter ihm drein, meist ein wenig schwankend, in ihren dick besohlten Herrenschuhen, erst danach kamen die Kinder.
Es kam vor, dass selbst Paul einfach nicht mehr gegen diesen stinkenden Brei von Mensch ankam, ja von diesem regelrecht zurück auf Muttsch und die Kinder gedrückt wurde. Das waren dann Momente, in denen er nicht nur seine durchdringende Stimme als "Waffe“ einsetzte, sondern auch den Koffer, sofern er diesen hochbekam und nach allen Seiten mit bedrohlicher Miene schwenken konnte.

So war es direkt ein kleines Wunder, dass die Familie schließlich den richtigen Zug nicht nur erreichte, sondern auch darin alle zusammen Platz hatten!
Zwar fanden Tobias, Julchen, Paul und Margrit keine Sitzgelegenheiten mehr, doch hatte man für Muttchen auf der gegenüberliegenden Seite ein recht schmales, immerhin sicheres Plätzchen am Fenster ausfindig machen können.
Nun stellte sie das Körbchen mit dem Kater neben sich und den Schirm dahinter. Munk lief drinnen in kleinen Schritten im Kreis und so hatte Muttchen mit ihm erbarmen, nahm ihn einfach aus dem Korb und setzte ihn sich auf den Schoß.
Muttchen wirkte sehr erschöpft und nachdem sich Paul eine Zeit lang über ihre Unvernunft, da der Kater so viel leichter verloren gehen könne, ausgelassen hatte, wandte er sich mit strafendem Blick an Margrit.
„Du hättest deine Mutter verschonen sollen, in dem du eben gleich uns allen diese lange Flucht erspart hättest, meine liebe Margrit. Im übrigen ist es bei den heutigen Zeiten nie gut, sein Wohngebiet zu verlassen. Wissen wir, was es mit dem neuen auf sich haben wird? Aber du musstest ja gleich Berlin verlassen, und bis hierher. Nur weil du irgendetwas über Hajeps gehört hattest! Und was wird nun? Womöglich fahren wir geradezu zu ihnen hin.”
„Ohne Schei...äh.ich meine ..ganz in echt?“ krächzte Tobias. Er wischte sich mit dem Handrücken erfolglos über die Nase.
„Ich will auch nich zu denen hin, nee!“ nuschelte Julchen undeutlich, da sie wieder den Ärmel zwischen den Zähnen hatte. ”Weil, ich mag keine Spinnen!”
„Riesengroße Spinnen!” verbesserte sie Tobias und zog dabei den Schnodder in seiner Nase hoch.
„Tobias!“
„ Riesengroße Spinnen!” echote Julchen artig und noch etwas blasser im Gesicht geworden.
„Riesengroße Kreuzspinnen!“ korrigierte sie Tobias abermals.
„Riesengroße Kreuz ... wo ist hier das Klo, Mamms?”
„Mein Gott, Kinder!“ ächzte Paul. “Bin wohl ein richtiges Seelentrampel! So meinte ich das natürlich nicht! War nur blind daher geredet, o.k.?“
Julchen schaute ihm prüfend ins Gesicht.
“Aber du bist doch gar nicht blind!“ stellte sie fest.
„Tja“, begann Paul vorsichtig, denn er spürte, wie Margrit ihn beobachtete, “also ...hm ... sieh mal ... das ist so ...“
Weiter kam er nicht, denn sofort wurde er von einer alten Frau in einem abgewetzten Persianermantel unterbrochen.
“Du hast völlig recht, meine Süße", begann die einfach und tätschelte der Kleinen über das verfilzte Blondhaar, „man muss schon blind sein, um nicht zu erfassen, was sich überall tut. Keinem von uns wird es gelingen, den Hajeps zu entkommen!“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. “So ist es leider! Wir leben eben in ´Runa´, der Endzeit! Eines Tages musste es ja passieren, denn wie oft haben die Menschen schon Gott versucht ... Jahrhunderte lang! Die Hajeps, sie sind die apokalyptischen Heere, von denen geschrieben steht. Denkt an die Weissagungen unserer berühmten Seher, die vom Ende der Welt berichteten. Und es hat sich bereits vieles ereignet von dem, was sie einst vorhergesehen haben. Pasua wird dazu auf die Erde kommen.”
„Iiiih! Die, die Kreuzspinne wird kommen!“ krächzte Julchen.
”Und noch mit all` ihren Spinnenfreunden!“ setzte Tobias hinzu.
„Stümmt! Aber bestümmt sind sie trotzdem ekelig!“ keuchte Julchen. “Auch wenn sie nett miteinander befreundet sind!“
„Ach, wisst ihr, was die Frau da erzählt, stimmt ja alles gar nicht!“ raunte Paul den Kindern zu, einen dankbaren Blick dabei von Margrit erhaschend. “Nichts wird kommen, denn seit rund zehn Jahren regiert nur ´Scolo´ diese Welt.”
„Aber ´Scolo´ wird von ´Pasua´ gelenkt!“ beharrte die Alte, die sehr gute Ohren zu haben schien. “Wir Menschen müssen nun durch eine neue Hölle hindurch. Die meisten werden dabei grausam sterben, denn jeder von uns hat ja irgendwie Dreck am Stecken!“
„Ich nich!“ schimpfte Julchen tapfer. “I...ich hab` nich` Dreck irgendwie stecken, denn ich wasch` mich sogar manchmal, stümms?“
Tobias nickte nur stumm hinter seiner Mama hervor, hinter der er sich geflüchtet hatte, denn die Alte erschien ihm mächtig unheimlich.
„Auch Kinder sind nicht ohne Sünde!“ drohte die trotzdem weiter. “Wie oft habt ihr zum Beispiel euren Vater oder eure Mutter geärgert, da möchte ich nicht ... na, wie heißen doch diese kleinen frechen Tierchen ...? ”
„Mäuse?“ krächzte Julchen stirnrunzelnd.
„Ja, richtig, die meine ich! Da möchte ich nicht Mäuschen sein!"
Margrit errötete und Paul grinste nun doch hämisch zu Margrit herüber. Aber nur so ein bisschen, dann war er sofort wieder ernst!
„Das jüngste Gericht muss also tagen“, fuhr die Alte einfach fort. “Ob ihr`s glaubt oder nicht, ´Pasua´ wird wirklich auf dieser Erde landen und zwar mitten in Deutschland, weil es dort nämlich am Schlimmsten gewesen ist. Vielleicht werden dabei nur wenige - die Auserwählten ...“, ihre Augen funkelten stolz, “... am Leben bleiben!“
„So ein Blödsinn, woher haben sie denn das?“ entfuhr es Margrit ungläubig.
„Also, wenn sie darüber nicht Bescheid wissen, wäre es wohl das Beste, ich würde sie aufklären ...!“ mischte sich plötzlich eine dunkle Männerstimme selbstbewusst ein. Diese kam von der gegenüber liegenden Seite her.
Alles stutzte und sogar die Alte schwieg.
„He, das bist ja du -hu? Und schon wieder im selben Zug!“ stammelte Julchen verdutzt.
„Du meine Schei ... äh ... stümmt !“ bestätigte auch Tobias und saugte an seiner Unterlippe.
Jetzt erkannten auch Paul und Margrit die muskelbepackte Gestalt hinter all den anderen Passagieren wieder, und die war eigentlich wegen der enormen Größe gar nicht zu übersehen.
„Wie ... wie hast du das nur geschafft?“ stotterte die Kleine weiter.
„Aber Julchen, du hörst dich ja gar nicht begeistert an. Willst du mich denn nicht hier haben?“ fragte der junge Kerl etwas gekränkt zurück.
„Do- och!“ erwiderte das Mädchen verlegen und hob die schmächtige Schulter hoch, bis zum dreckigen Kinn.
Tobias kramte stumm wieder mal seinen ´Blaui´ hervor, um den notfalls dem Kerl an den Kopf zu werfen.
Paul sagte ebenfalls nichts und starrte den Hünen nur missmutig an, einesteils aus dem Grunde, weil er eine höchst persönliche Abneigung gegen den hatte, anderenteils, weil er erst jetzt entdeckt hatte, dass der Bursche im Gegensatz zu den übrigen Menschen geradezu beklemmend sauber und gepflegt aussah. Außerdem wirkte er weder unterernährt, geschweige denn unausgeschlafen. Ja, er schien sogar genügend Zeit zu haben, mit irgendwelchem Muskeltraining den Tag zu vertrödeln.
Paul bemerkte außerdem, dass Muttchen von ihrem Platze aus offensichtlich die gleichen Beobachtungen gemacht hatte, denn sie musterte den großen Kerl, der direkt neben ihr stand, gründlich. Sie drückte den Kater, der sich gerade die Pfoten lecken wollte, sicherheitshalber an ihre Brust.
Der Bursche schien von alledem nichts zu bemerken. Er grinste nur Julchen ziemlich breit an.
“Na, dann ist ja gut, meine Süße! Ich dachte schon, du magst mich nicht!“
„Oh, ich mag dich ...“, erwiderte Julchen atemlos, “... so ein ganz kleines bisschen!“ Sie zeigte ihm dabei mit Daumen und Zeigefinger einen kleinen Spalt.
Der Bursche nickte zufrieden.
“Dann will ich dir verraten, dass ich bei diesem ´wahnsinnigen Zufall´ etwas nachgeholfen habe! Er blinzelte Julchen pitzbübisch zu. “Bin euch nämlich die ganze Zeit gefolgt!“
„Und warum haben wir dich die ganze Zeit nich hinter uns gese – hän?!“ hakte Julchen ziemlich gedehnt nach.
Die grünen Augen blitzten. „Ihr ward sehr beschäftigt und auch ein so großer Mensch wie ich kann sich in einer solchen Menschenmenge unauffällig bewegen ohne euch aus den Augen zu verlieren.“
Julchen blinzelte ein paar Mal nachdenklich, nickte dann aber verstehend und es wurde so still in diesem Abteil, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können.
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Alt 25.12.2004, 11:26   #5
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 5

Das war die Gelegenheit für Margrit, den augenscheinlichen Hajep-Forscher endlich ungestört über das auszufragen, was ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge lag: “Sie glauben doch sicher nicht solcherlei Ammenmärchen über ein ´Pasua´. Ich meine sowas vom jüngsten Gericht oder Ähnlichem.“ Und sie wies dabei mit dem Kinn nach der Alten.
Margrit war kaum überrascht, dass die Frau, noch ehe sich der Hüne verständlich machen konnte, bei diesem ´Stichwort´ wütend einhakte.
„Ammenmärchen?“ kreischte die. “Ich habe doch gesagt, dass sich sämtliche Prophezeiungen längst bewahrheitet haben!”
„Ach nein, und von wem sollen denn diese niedlichen Prophezeiungen hergekommen sein?“
„Die sind nicht niedlich! Viele Seher haben das prophezeit. Der bekannteste davon ist wohl ...na ... wie heißt der doch gleich?“ Die Alte kratzte sich in ihrem fettigen Haar. “Es war was französisches!“
„Hach, ich liebe es auch manchmal französisch!“ rief plötzlich irgend jemand von den Fahrgästen.
Alles lachte los.
“Hach, lacht nur ... lacht!“ krächzte das Weib. “Aber das Lachen wird euch noch im Halse stecken bleiben. Hm, ja, ich glaube es war Nostradamus. Hat der nicht gesagt, dass erst nach den vielen Naturkatastrophen der große Schreckenskönig kommen wird?“ Sie rieb sich nachdenklich die niedrige Stirn.
„Schreckenskönig?“ grinste Margrit ungläubig, nachdem es endlich wieder etwas ruhiger geworden war.
„Aber, ja, der Wiedererweckte! Der große König von Agoulmois!“
„Ja, und? Hier herrscht nicht Agul -na - dings!“
„Aber das System von Agoulmois ist eben ´Pasua´! Es wird regieren zur guten
Zeit! Seht her, es wird alles wahr werden.“
Wie eine Hexe hob die Alte nun ihre mageren Arme, deren Handgelenke aus den fast kahlen Ärmelenden des Persianermantels ragten, wie zwei bleiche Äste.
Alles schwieg beklommen, nur der Kater auf Muttchens Schoß fing deshalb begeistert zu schnurren an.
„Was gibt es da zu schnurren?“ grollte das Weib und sie zog den Persianer enger um ihre magere Brust.
Unser Hüne musste darüber schon wieder losprusten, mühte sich aber seinen Lachkrampf ein wenig einzudämmen.
“Es ist nur so lustig ...“, quietschte er hervor, „was aber auch alles in die Hajeps, seit sie unsere Erde besetzten, hineininterpretiert wird! Mal sind es Schlangenmenschen, Insektenwesen, Schleimwesen oder sogar Roboter ohne Herz und Seele.“
„Oder Spinnen!“ krächzte Tobias dazwischen.
„Urg, ich mag keine Spinnen,“ keuchte Julchen.
„ Äh,... hm, dabei glaube ich, das die Hajeps den Menschen sogar ähnlich sind,“ stellte der Bursche einfach in den Raum. “ Denn sie brauchen Nahrung. Sie haben riesige Gewächshäuser. Brauchen Wesen aus Blech Pflanzen ? Ich sage ...Nein !“
Alles stutzte und dann wurde es so lebhaft, dass man kaum sein eigenes Wort verstehen konnte, denn jeder hatte plötzlich mit jedem seine Beobachtungen über Hajeps auszutauschen. Draußen hinter dem Fenster zog indes ein nicht gerade anheimelndes Bild vorbei. Es waren die kahlen, düsteren Wände des Tunnelgewölbes die dort unfreundlich und laut vorbeiratterten.
Die Passagiere waren so miteinander beschäftigt, dass keiner bemerken konnte, wie es plötzlich vom Verdeck des kleinen Abteils her polternd hinunterdröhnte, ja, dass es sogar ein wenig zu beben begann und dass das Licht in diesem kurzen Moment ausgeblinkt war.
Da der Kater wegen dem dämmrigen Licht ganz vorzüglich sehen konnten, hatte er hinter der Scheibe so etwas wie einen grünen, vom Verdeck abgerutschten Fuß entdecken können.
Munk blinzelte jetzt genauer dort hin. War das nun bloß so ein dämlicher Fuß oder gar ein verirrtes Flatter-piepsbällchen?
Munk hatte Hunger und so schien wohl eher der Wunsch Vater des Gedankens zu sein, dass er sich für die letzte, ausgesprochen leckere Möglichkeit entschied.
Er blieb zwar sitzen, Katzen können das trotz höchster Aufregung, doch der Schwanz peitschte arbeitsam hin und her. Sollte er nun gegen die Scheibe springen und somit Frauchen auf die Beute aufmerksam machen oder nicht ? Aber das Schicksal hatte ihm die Entscheidung abgenommen, weil das zappelnde „Etwas“ sofort wieder verschwunden war.
Oben polterte es noch unangenehmer. Munks spitze Ohren zuckten verdrießlich.
Aha, es schienen also mehrere wohl recht große Geschöpfe zu sein! Sie waren vermutlich vorhin unbeholfen auf das Verdeck des Zuges gesprungen ... kein zartes Flatterbällchen also! Jammerschade! Er beleckte sich bei diesem trübsinnigen Gedanken das Barthaar, rollte sich dann aber wieder für ein Nickerchen zusammen.
Sein unbefellter Geschlechtsgenosse zweibeiniger Art hatte wohl nicht ganz die Natur, über einige Dinge des Lebens einfach hinwegzusehen, denn er konnte sich, obschon er die gleichen Beobachtungen gemacht hatte, danach überhaupt nicht mehr entspannen.
Er brach sogar in Schweiß aus, holte sich nach raschen und prüfenden Seitenblicken unauffällig ein kleines Papiertüchlein aus der Tasche seiner Jacke und betupfte sich mit bebenden Fingern die Stirn. Gott sei Dank, hatte niemand außer ihm und diesem alten Kater das grün behaarte, nackte Bein von dort oben hinabrutschen sehen. Für einen Moment hatte er wahnsinnige Angst gehabt, die grässliche Katze würde fauchend gegen die Scheibe springen und so alle Menschen auf das dramatische Geschehen, was eigentlich in aller Stille hätte vonstatten gehen sollen, aufmerksam machen.
Er krauste nun die schönen Brauen und verstaute das leicht nach seinem Lieblings-rasierwasser duftende Tuch wieder. Er atmete kaum und lauschte. Warum waren die da oben nur so laut ? Gab es etwa wieder Unstimmigkeiten ... oder was war geschehen? Den Sprung von den Stangen, die aus dem halb zerstörten Mauerwerk des Tunnels herausragten, auf das Verdeck dieses vorbeifahrenden Zuges, hatten ´Sie´ ja ganz gut bewältigt, doch was war nun?
Er zupfte nervös an dem blütenweißen Kragen seines Hemdes herum. Warum blieben sie nicht ruhig liegen, damit niemand sie hörte? Oder hatte gar ein Mensch - etwa vom Nachbarabteil - die polternden Geräusche gehört, war inzwischen ebenfalls hinaufgeklettert und kämpfte mit ihnen? Womöglich waren es sogar mehrere Menschen die ... er unterbrach sich, entsetzt über diesen Gedanken und schaute wieder zum Fenster. Am Ende verloren sie ´es´ sogar dabei? Würde er ´es´ etwa dort gleich hinabstürzen sehen? Vielleicht explodierte ´es´ dann? ´Es´ sollte gewaltiger als sämtliche einstigen Atomwaffen dieser Erde sein – welche “Scolo“ gleich bei der Ankunft vernichtet hatte. Womöglich aber ging “es ” auch nur irgendwie anders verloren? Allerdings wäre dann sein ganzes Lebenswerk ... der wahnsinnige jahrelange Einsatz umsonst gewesen!
Er hielt bei dieser Vorstellung den Atem an.
Wenig später erhellte wieder Tageslicht das kleine Abteil.
Jedoch sah der Himmel düster aus. Schwer hingen Wolken - wie riesige schmutzige Wattebäusche über den Wiesen und kleineren Wäldchen und die mageren Kühe der wenigen Bauern rupften - schlecht vor dem zu erwartenden Regen geschützt - das letzte saftige Gras ab, versuchten sich Speck anzufuttern für den kommenden Winter.
Die Passagiere schauten immer noch auf den Burschen. Die große breitschultrige Gestalt vor dem Fenster, welche fast die Jacke zu sprengen drohte, hob sich dagegen ab, wie ein mächtiger dunkler Schatten.
„Es ist jedenfalls nie gut, völlig auf zu geben ,“hörten ihn jetzt die Fahrgäste.
Er selbst war jetzt ziemlich erleichtert, weil es auf dem Dach des Zuges endlich still geworden war.“ Man sollte auf Auswege hoffen, so lange es irgend geht!“ Er lächelte der kleinen Familie etwas mühselig zu.
„Hm,“ knurrte Paul“... dennoch kann man sich nicht all zuviel vormachen!"
„Genau,“ rief eine ziemlich schrille Stimme plötzlich von hinten aus dem Wagen.
“Sie jungscher Schnösel, wollen uns doch bloß irgendwie einlullen, weiß der Himmel aus welchem Grund.” Die Passagiere machten Platz, damit man die Frau besser sehen konnte, denn sie war ziemlich klein. Sie trug das Haar eng am Kopfe und zu einem Knoten gebunden.
"Genau,“ mischte sich jetzt deren Zwillingsschwester ein, und die Menge rückte darum noch etwas mehr zur Seite. Die Dame fuhr sich, nicht weniger nervös, durch ihre schlecht gemachte Dauerwelle, durch welche sie einem Schaf nicht unähnlich sah.“...denn die Hajeps kämpfen ja kaum persönlich gegen uns ...“
Der Bursche nickte ganz ruhig, doch innerlich fragte er sich, worauf die beiden eigentlich hinauswollten.
“Hajeps hetzen neuerdings sogar wilde, unbekannte, Bestien auf uns!“
“Bestien?“ wiederholte er und schaute dabei möglichst erstaunt drein. Inwendig hingegen war er wieder völlig aufgewühlt. Konnten es “seine“ gewesen sein?
“Jawohl, Bestien!“ bestätigte nun auch deren Schwester mit rollenden Augen. “Denn, wir haben sie selbst gesehen..."
Wieder holte er tief Luft, um sich zu beruhigen. Hatten `sie` sich denn gar nicht nach den, von ihm angegebenen, Wegen gerichtet? Weshalb konnten `sie` sich wohl unter die Menschen gemischt haben?
“Wo?“ fragte er.
“Na, vorhin in Magdeburg,“ meldete sich wieder, die mit den Schafslocken, ” ... als wir die Treppen in den alten Bahntunnel hinabgestiegen sind...”
“Ach, dort!“ sagte er und hoffte immer noch, dass es nicht `seine` gewesen waren.
“Hat man da nicht die fürchterlichen Schreie gehört ...? ALIENS! ALIENS!” riefen jetzt beide Schwestern aus vollem Halse. Sie hielten keuchend inne. “Das waren WIR! Aber niemand hört ja auf einen heutzutage. Scheint alles unwichtig zu sein!“
„Nein, nein, so ist es nicht!“ versuchte er sie zu beruhigen. “Ich habe ihr Rufen durchaus gehört ...”
„Wir auch ...! meldete sich Margrit.
„Ich auch! Ich auch!“ tönte es jetzt von allen Seiten.
„Na, also ...“Der Bursche zwang sich, weiterhin seiner Stimme einen möglichst ruhigen Klang angedeihen zu lassen, doch er spürte wie seine Hände feucht wurden. “Und wie viele - äh, Untiere - waren es?“ fragte er.
„Na, so ...neun!“ sagte die mit den Schafslocken.
“Verdammt! Hatten `sie` sich etwa getrennt? Waren jetzt nicht alle auf diesen Zug gesprungen?“ Und ...äh ...wie sahen sie denn aus?“ erkundigte er sich einfach weiter.
Die beiden Schwestern schauten ihn verdutzt an. Merkten sie etwa, wie sehr er um Selbstbeherrschung bemüht war? `Sie` hatten doch versprochen keinen Bahnhof zu betreten und geschlossen eine Abkürzung zu nehmen, die er ganz genau kannte, um dann auf diesen Zug zu springen? ” Haben Sie denn tatsächlich, ich meine, einen Anlass für ihre Angst gehabt?“ hörte er sich weiterfragen.
„Unverschämtheit!“ empörten sich die beiden Damen, “Meinen Sie denn wir hätten uns das Ganze nur eingebildet?“
„Nein, das will ich damit nicht gesagt haben ...!”Er hob abwehrend beide Hände.
„Das sagen Sie aber!”
„Es könnten aber auch Holographien irgendwelcher ...na ...hm ... Kreaturen gewesen sein!” schlug er jetzt vor.
„Das waren sie auf gar keinen Fall! ”
Der Hüne war noch nachdenklicher geworden. Zwar mochte inzwischen einiges anders verlaufen sein, als gedacht, aber er hätte `sie` doch über Funk in eine andere Richtung verwiesen. Sein `Chesbulak` war allerdings bisweilen gestört gewesen. Hatten ihn nicht alle verstanden? Wer war nicht mitgekommen? Oder befand sich etwa sogar niemand von ihnen auf diesem Dach und er hatte sich die Geräusche nur eingebildet? Aber die Katze war doch vorhin auch unruhig geworden?
„Ich fand sie grässlich, so grausig, so ...“fuhr jetzt einfach eine der beiden Damen fort.“...wie die da oben an den Stahlträgern herumturnten...”
„T..turnten?“ ächzte er.
„Jawoll, turnten! Denn sie hatten überlange Arme...”
„ Ach, du meine Schei ... ”
„ Keine Angst Tobi!“ Julchen packte die zittrige Hand ihres großen Bruders. “DIR passiert nichts ... ja ... ja, du hast ja mich!“
„Und den Blaui!“setzte Tobias noch hinzu.”...den hab`ich auch noch!”
Fast das ganze Abteil schmunzelte.
„Das ist nicht witzig!“erklärte die Frau gekränkt, und die andere nickte bestätigend mit ihrem Schafskopf dazu. “Schließlich haben wir als Zeugen miterlebt, wie eine junge Dame, die berechtigterweise auf die Geschöpfe feuern wollte ... von solch einem Tier gebissen wurde, ja richtig angefallen wurde sie von diesem Biest...“
„Angefallen?“ wiederholte der Bursche entgeistert, dann schluckte er. Also war das Mädchen wohl doch einer dieser besagten `Pajonite` gewesen. “Scolo“ oder
“Chiu-natra“ hatten bereits “Lunte“ gerochen und waren hinter “ihnen ” her. Doch die hatten sich gegen diesen hochgefährlichen “Pajonit ” hoffentlich erfolgreich durchsetzen können? Und wenn nicht? Dann sah es ausgesprochen schlecht für ihn ...eigentlich ...für alle aus. Wenn die „Pajonite” nur einen von “ihnen“ lebend bekamen, würde der sie alle über “kurz oder lang” an “Scolo“ oder wen auch immer verraten, denn niemand konnte ihnen standhalten. Es war klar zu erkennen, dass zumindest “Chiu-natra ” inzwischen den Diebstahl des kostbarsten Gutes längst bemerkt hatte, denn sonst würde man sich nicht so viele Umstände machen und die paar entflohenen Sklaven dermaßen “dezent“ verfolgen lassen. “Scolo“ oder wer auch immer trug also inzwischen doch Sorge um ein Diebesgut, dem man früher eigentlich gar keine sonderliche Beachtung geschenkt hatte? Das war wirklich seltsam! Was konnte diesen spontanen Meinungswandel ausgelöst haben? War es womöglich “Pasua“ selbst, das plötzlich darauf wert legte? Würden die Kriegsflotten Pasuas doch schon bald hier sein? Wie es auch sein mochte, er durfte auf keinen Fall weiterhin über Funk mit „ihnen“ Kontakt halten, denn es war sehr anzunehmen, dass jetzt jemand mit dabei zuhörte. Er biss sich auf die Lippe, dann sagte er langsam und mit fester Stimme: “Ich glaube nicht, dass der Dame wirklich etwas passiert ist!“
„Aber sicher ist ihr etwas passiert!“ protestierte die Frau.
“Und es war noch ein so junges - solch ein hübsches - Mädchen!“ jammerte die andere dazwischen.
„Eine der Bestien sprang einfach, nachdem das Mädchen nach oben auf diese ekelhafte Horde mit “irgendetwas Komischem“ gezielt hatte - wir beide hatten diese Viecher erst gar nicht gesehen - von oben herab und verbiss sich direkt in deren Genick! ”
„Und ...?” fragte er.
„He, erschüttert Sie das denn gar nicht?“ riefen die Schwestern.
Leider hatte er gegrinst, versuchte aber sich schnellstens zusammenzureißen.
„Na, ich dachte ...!“Er brach lieber ab.
„Nichts ...dachten Sie!“ konterte die Frau mit dem Haarknoten erregt. “Sie sind völlig gefühlskalt!“
„Ja...fast wie ein Hajep?“ rief die andere mit den Schafslocken.
„Dieses Wesen ...“jammerte jetzt die Frau mit dem Knoten weiter.“ ... es ...“, sie musste schlucken,“ hat sich einfach auf die junge Passantin gestürzt, sie ...“die Dame verzog nun angeekelt und entsetzt das Gesicht“, sie einfach in den Hals gebissen, einfach so ...“Sie kniff ihrer Schwester, wohl um das bildlich darzustellen in den Nacken, “Sehen Sie und es hat dabei richtig geknirscht!“
Die Schwester war froh, dass es bei ihr nicht knirschte und Tobias hatte sicherheitshalber Julchen zu sich und hinter seine Mutter gezogen. Der Junge lugte nur mit einem Auge hinter Julchens rechter Schulter hervor und klammerte sich auf der anderen Seite an Pauls Schenkel fest. “Sch...Scheiße ...echte Scheiße ! W...war sie t...ot?“ keuchte er.
„Ja!“ riefen beide Schwestern, wie aus einem Munde.
Der Hüne atmete erleichtert aus und Tobias verschwand völlig hinter Julchen.
Mein Gott, durchfuhr es den Hünen indes. Wer von den beiden Gruppen hat nun das berühmte Diebesgut? Diese neun oder die anderen sieben?
“Ach, rief der alte Herr, der immer noch neben dem Burschen stand. “Ich hab`
sie auch gesehen. Es war eine ganze aufgebrachte Horde. Hajeps schicken sie uns, hetzen sie auf uns - als Plage - jawohl, als weitere Plage! Das ist wohl noch so ein raffinierter Schachzug uns zu vernichten."
„Und? Wie sehen sie denn genau aus?“ wandte sich Margrit an ihn.
Paul zupfte Margrit vorsichtig am Ärmel. “Was hast du denn davon, wenn du weißt wie sie ausschauen?“ wisperte er. “Davon wird unsere Situation doch nicht besser? Oder?“ Margrit schob sich ihre Brille zurecht. “Ich finde es halt besser, wenn ich vorbereitet bin, auf das, was auf uns zukommen könnte.“
„Ich ...ich weiß aber, wie sie aussehen!“ nuschelte Tobias undeutlich hinter Julchen hervor. Und ein zittriger Finger schob sich nach oben, so als ob er sich melden würde. “ Ganz Scheiße sehen sie aus. So echt Scheiße wie Spinnen immer ausschauen!“
„Stümmt“ ächzte Julchen und zog dabei einen Faden, diesmal aus dem Saum ihres Pullovers.” So wie Kreuzspinnen, Tobias und mit vielen Freunden ! Das hast du vergessen!“
„Stümmt“
„Es sind lediglich, den uralten, in unseren Museen ähnlich dargestellten Steinzeitwesen ...nur etwas klobiger!“ erklärte der junge Bursche möglichst ruhig, doch innerlich schlug ihm das Herz bis zum Halse. Hatten “sie“ sich retten können, nachdem sie den Pajonit kampfunfähig gemacht hatten? Oder waren weitere als Menschen getarnte Hajep - Roboter zur Hilfe gekommen?
„Ich ...äh ...habe solche Wesen vor...hm ... langer Zeit auch einmal gesehen!“ fügte er mit belegter Stimme hinzu.
„Aber sie sind schrecklich!“ stieß die kleine Frau mit dem Knoten immer noch entrüstet, ob dessen Ausgeglichenheit hervor. “Sie tragen zwar weite Umhänge mit Kapuze über ihre fast nackten Körper ...aber sie haben grünes Kraushaar auf dem Kopf und auf den Armen, gelbe vorstehende Zähne im Gesicht ...!“
„Ja, ja, ja, sie haben richtig scharfe Zähne!“ pflichtete deren Schwester eifrig bei,“...und sie sind tückisch und haben ganz kleine tiefliegende Augen, unter ihren wulstigen Stirnen ...die wie glühende Kohle im Dunkeln leuchten, sie haben klobige Pranken und sind riesig.“
Der Hüne sah jetzt gar nichts mehr hinter Julchen und sagte.” Naja, ob riesig oder nicht ist bei mir so eine Sache.” Mir reichen diese ...äh ...Bestien nur ... na, sagen wir mal ...“Er bewegte jetzt seine flache Hand waagerecht neben sich, um deren Größe den Kindern vor Augen zu führen.“... bis hier ...!“Margrit sah, dass er sich die Hand, bis nur knapp zu seiner Schulter, hielt. “Ha, und davor haben wir doch keine Angst, nicht wahr?“ Ein zitteriger Haarschopf kam zögernd hinter Julchens Schulter zum Vorschein und als sich schließlich ein
Auge zeigte, zwinkerte ihm der junge Hüne einfach zu. “Auch wenn sie ein bisschen grün sind, stimmt`s ? Denn, was macht das schon, das bisschen moosige Farbe, pah! Die haben nämlich in Wahrheit selbst Angst, wisst ihr!“
„Ohne Sch ...äh...in echt jetzt? Die ... die ... haben auch Schiß?“
„Das ist anzunehmen, Tobias!“ erklärte der Bursche und wusste in diesem Augenblick, wie recht er damit hatte. Er räusperte sich. Sollte er nun weitersprechen oder nicht? Schließlich sagte er fest: „Wahrscheinlich sind sie beim Bau einer der großflächigen `Zuanos`, wegen der unmöglichen Lebensbedingungen fortgelaufen. Es ..es ist wirklich fabelhaft, wie sie das geschafft haben, denn man spielt mit seinem Leben, wenn man das wagt. Und das Trowes Menschen anfallen ...“Er lachte möglichst vertrauenserweckend.“... ist ein Märchen ...!“
„Das ... das ist ja eine Unverschämtheit kreischte die kleine Frau mit den Schafslocken von hinten wütend aus der Menge. “Wollen sie etwa darauf anspielen, dass ich und meine Schwester gelogen hätten?“ Diese nickte empört.
„Die Steinzeitwesen sind gewiss auf der Flucht!“ erklärte er so freundlich wie zuvor, “Es sind Gowanus = besonders starke Sklaven für den Bau und werden sich kaum mit Beißereien aufhalten. Die Menschen sollten sich nicht unnötig bange machen lassen, sondern lieber überlegen, wie sie das Problem Hajep am besten anpacken könnten und dazu gehört zunächst einmal ...dass sie alles Fremdartige und Ungewöhnliche nicht unbedingt als etwas Feindliches ansehen sollten. Ganz im Gegenteil sollten sie ihre Panik unterdrücken, vielleicht sich eher mit diesen Untervölkern der Hajeps zusammentun, denn DIE kennen ihre Herren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit länger als wir!“
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Alt 25.12.2004, 11:34   #6
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 6

Da wurde es wieder laut im Abteil. Denn Meinungen mussten unbedingt darüber ausgetauscht werden. Viele berichteten, dass auch sie etwas über außerirdische Sklaven gehört hätten. Menschen wären bereits den unterschiedlichsten Wesen begegnet. Doch man war sich nicht im Klaren, ob die nun wirklich alle so harmlos waren, wie es ihnen wohl der junge Mann weiß machen wollte. Einige lästerten wieder hinter vorgehaltener Hand über den kecken Burschen und böse Blicke wanderten dabei wieder zu ihm. Doch Margrit schaute ihn nicht nur mit vor Begeisterung leuchtenden Augen an, sie verließ ihren Platz, obwohl sie Paul daran zu hindern suchte und schob sich bis zu ihm durch.
„Endlich ein Mensch der trotz aller Wirrnis die Ruhe bewahrt.“ stieß sie hervor. “Wie konnten Sie nur ein derartiges Wissen und Einfühlungsvermögen erlangen? Wer sind Sie wirklich?”
Obwohl es laut war, hatte er sie verstanden. Er lächelte, deutete eine Verbeugung an und nahm ihre Hand.
„Mein Name ist George de Mesà und es ist mein Hobby, Filme und Tonaufzeichnungen über die Lebensart und kriegerische Vorgehensweise “Pasuas und Scolos“ gegen die Menschen zu machen und letztere genau zu analysieren.“
„Hajeps sind scheu und gefährlich! Solch ein Wissen, wie Sie es haben, kann man nicht ganz alleine erlangen!“ konterte Margrit stirnrunzelnd. “Los, endlich heraus mit der Sprache, wer hilft ihnen, wer unterstützt Sie?“
Für einen Moment zögerte er.
“Mir hilft niemand!“ sagte er etwas leiser und aus dem Augenwinkel sah er, wie auch Paul seinen Platz verließ, scheinbar um zu diesem Muttchen hinüberzulaufen.
„Das nehme ich Ihnen aber nicht ab!“ meinte Margrit und schaute ihm fest ins Gesicht.
„Pech gehabt!“ knurrte er grinsend und wich ihrem Blick aus.
„Na schön, sprechen wir von etwas anderem, Sie sind Franzose? Ihr Name klingt irgendwie danach."
„Zur Hälfte ...!“erklärte er verschmitzt,“... und wer sind Sie?“ Er betrachtete sie nicht nur sehr interessiert, sondern behielt auch noch immer ihre Hand in der seinen. Er hatte schöne lange Finger und seine Hand war wunderbar warm und fest.
„Oooch, nichts besonderes. Ich heiße Margrit Schramm, war für sechseinhalb Jahre Schulpsychologin, Religionslehrerin und so weiter und jetzt bin ich nichts ... naja ... vielleicht Mutter!“ fügte sie hinzu.
„Mutter ist mehr als sie denken!“ erklärte er nachdenklich und nun sah er, wie sich auch Tobias durchs Gedränge schob. Wohl um zu seiner Mamms zu kommen. Ihm folgte dicht auf den Fersen Julchen. Wieder mal einen ihrer Ärmel im Munde habend.
„Wollen Sie später, wie sicher fast all die Menschen hier, nach Frankfurt?“ fragte der Hüne.
„Wir steigen in Hornberg aus, um dem Gedränge zu entgehen und machen uns am nächsten Tag mit dem Rad nach Coburg auf,” gab Margrit indes bereitwillig Auskunft, “von dort weiter nach Reichenberg bei Würzburg, wo wir für immer bleiben wollen.“
„Und wovon wollen sie leben?“ fragte der Bursche weiter und setzte sehr eilig selbst hinzu. “Sie werden sicher in einer der Fabriken, die dort erstaunlicherweise noch völlig intakt sind und die Würzburg und die anderen in der Nähe liegenden Ortschaften mit dem Notwendigsten beliefern, arbeiten, nicht wahr?"
„Nein!“ sagte Margrit ruhig und trat einen Schritt zurück, da sich Tobias bis zu ihnen durchgewühlt hatte und sich nun mit misstrauischem Blick auf George vor sie schob. Auch Julchen hatte sie nun erreicht und klammerte sich besitzergreifend an Margrits Arm.
„Nein?“ wiederholte der Bursche erstaunt. „Und mit welcher Arbeit werden Sie sich dann über Wasser halten?“
Er schien ziemlich hartnäckig zu sein.
Margrit sah in diese rätselhaften grünen Augen. “Ach, wir werden ...“ begann sie etwas zögerlich, wurde aber von Paul ziemlich hektisch von hinten am Hemd gezupft.
„Ich kann mich auch über Wasser halten!“ erklärte nun stattdessen Tobias. “Ich kann nämlich schwümmen ...oder ich bau` mir ein Floß und ...nein, besser ein Schiff, solch ein ganz großes oder ... ”
„Bist du verrückt geworden?“ zischelte Paul zu Margrit, während sich die dunkle Gestalt zu Tobias hinunterbeugte, um ihn bei all dem Gesprächslärm besser zu verstehen.„Willst du ihm über uns ALLES verraten? Mein Gott, du hast gewiss bereits viel zu viel erzählt!"
„Komm, Paul, erst andauernd blöde Witze über verwandelte Menschen machen und dann plötzlich selbst daran glauben. Das geht bei mir nicht durch !“ Margrit beobachtete aufmerksam , wie nett sich der junge Bursche nun mit den beiden Kindern unterhielt.
„ Muss es aber, Margrit, „ wisperte Paul trotzdem weiter. „ ...denn diesmal bin ich mir wirklich nicht so sicher ...!“
„ Also, Paul wirklich, das hätt` ich echt nicht von dir gedacht, dass ausgerechnet du so einen Quatsch ...“
„ Das ist vielleicht gar kein Quatsch, Margrit, Herr du meine Güte, begeistere dich doch nicht so !“ .
„ Ich begeistere mich für wen ich will, Paul !“
Der junge Bursche hingegen schaute weg, blickte wieder aus dem Fenster. Er tat dies weniger aus Verlegenheit oder gar Neid, sondern er beobachtete mit schmalen Augen recht konzentriert den Himmel. Würde dort bald ein Trestin oder gar Djetano wie aus dem Nichts erscheinen? Wer hatte den “Pajonit“ in den Tunnel geschickt? Man konnte systemtreue Hajeps oder Loteken, die der Rehanan - Bewegung angehörten ziemlich gut an ihren Emblemen erkennen. Er selbst würde darauf achten, obwohl es vielleicht keinen Sinn ergab, sobald nur eines ihrer höchst beweglichen Jäger aus den Wolken hervorzischte. Aber er musste sich in acht nehmen, denn sowohl “Chiu-natra“ Oberhaupt der Rebellen, als auch “Gisterupa“ Undasubo und damit Oberhaupt “Scolos“ waren sehr gut im Suchen und somit auch im Finden!
Paul warf einen gereizten Blick auf den Burschen, der plötzlich zusammenfuhr, nachdem er mit einem winziges Ding, das wie eine Brille aber auch wie ein Fernrohr aussah den gesamten Himmel nach irgend etwas abgesucht hatte. Der Kerl verstaute nun das komische Ding mit fahrigen Fingern und schob sich dann so brüsk durch die Menge Richtung Nachbarabteil dass sich einige der Passagiere nicht nur lautstark empörten, sondern auch ihre Fäuste nach ihm ausstreckten. Paul schob währenddessen ziemlich erleichtert seine Margrit nebst Kinder zurück auf ihr altes Plätzchen.
„Wir müssen in einer halben Stunde aussteigen,“ knurrte er, „Ich hoffe der komische Knabe kommt nicht wieder und verfolgt uns ... !
„ Ach, Paul“, Margrit schüttelte verärgert den Kopf, “ hör` doch endlich damit auf, ja ?“
„ Der kommt mir aber wirklich sehr eigenartig vor.“
„Mir auch ...“ meldete sich Muttchen, die das trotz ihrer schlechten Ohren gehört hatte.
„ Siehst du Muttsch, gibt mir recht ...!“
„ Paul, wie kannst du nur !“ fauchte Margrit. „ Nicht genug, dass du den Kindern damit Angst machst, jetzt ziehst du auch noch Muttsch mit hinein !“
„ Wo zieht er mich mit hinein ?“ mokierte sich Muttchen „ Meinst du denn ich habe das nicht auch längst bemerkt ? Bin ich denn dumm ?“
„ Siehst du !“ triumphierte Paul, inwendig hatte er jedoch plötzlich Gewissensbisse. Oh Gott, konnte er eigentlich so unverblümt über dieses merkwürdige Fernrohr sprechen ? Muttsch hatte doch ein schwaches Herz! „Also dieser Bursche, ...äh ...der ist ...hm ...nicht so ganz in Ordnung ...!“ versuchte er das ganze abzuschwächen.
„ Meine Meinung !“ gab ihm Muttchen recht. „ Meinst du denn, jemand Normales würde bei diesem schlechten Wetter ohne Schal herum laufen ?“
„ Genau... äh ...tja !“
„ Wieso ...tja ? „
„Muttsch, reg` dich jetzt bitte nicht auf!“
„ Reg` ich mich doch gar nicht!“ Sie runzelte die Stirn.
Paul dachte kurz nach. Vielleicht war Muttsch doch gefestigter als gedacht ?
„Also dieser Bursche könnte ...“, er sprach jetzt leiser, nicht nur wegen Margrit, die war Gott sei Dank gerade mit Tobias beschäftigt, weil der ihr wohl noch einige Fragen über die komischen Ungeheuer aus den Tunnelgewölben zu stellen hatte, sondern auch wegen der Fahrgäste, denn er wollte dem seltsamen Hünen nicht schaden, falls der wieder kam.
„ Ja, was ist ?“ rief Muttchen laut. „Warum wirst du jetzt plötzlich so leise, ich kann dich gar mehr richtig verstehen!“
Paul zuckte zusammen , dann beugte er sich zu ihr hinunter. „Er könnte ...“
„ Sicher könnte er sich den Tod holen, aber das geht mich nichts an ! Pah !“
„ Muttsch !“ fauchte er. “ Er könnte ein Hajep sein !“
„ Ein Hajep?“ kreischte sie .
„ Schscht, um Himmels Willen, sei nicht so laut !“
„ Nein, so sieht kein Hajep aus !“ Muttchen lachte ungläubig.
„ Aber vielleicht ein gut verkleideter, Muttsch !“
„ Dann ist er aber sehr geschickt.“ entfuhr es Muttchen mit großer Anerkennung.
„ Hm ...es könnte aber gefährlich werden, wenn ...“
„ Aber natürlich könnte es gefährlich werden ...“
Paul seufzte erleichtert.
„ ...für den Hajep, denn er wird sich bei dieser Kälte noch den Tod holen. So ein Unverstand so was, tzississsis ! “
„Stümmt ...“bestätigte Tobias jetzt , ehe Paul noch etwas dazu sagen konnte. Er hatte wohl immer noch Mühe seinen Schrecken vor den grünen Neandertalerwesen zu überwinden, denn er rollte vor lauter Nervosität seinen Blaui von einer Hand in die andere und Munk, der dies von Muttchens Schoß aus sah, schnurrte deshalb wonniglich.
„ Aber die hören ja alle nich auf dich, Muttsch ...“, bemängelte Tobias. “Auch die Anderentaler ... die sind bestümmt auch immer zu leicht angezogen, darum haben die so lange Zähne ...”
„Lange gelbe Zähne!“ verbesserte ihn Julchen und war dabei sich den Faden ihres Ärmels um ihr Handgelenk zu wickeln.“ Das hast du vergessen, Tobias !“
„...lange gelbe Zähne ...“, wiederholte er eifrig, ”mit langen Zähnen kann man nämlich besser klappern , wenn einem kalt is, ... huch ?“
Der Ball war wieder einmal Tobias kurzen Fingern entschlüpft.
Munk riss deshalb die Augen vor Begeisterung weit auf, und Tobias kreischte erschrocken: “Mein Blaui? Wo ist jetzt mein Blaui ?“
“ Mein Munk? Wo ist jetzt mein Munk ?“ hörte man Muttsch fast gleichzeitig loskreischen.
„ G...ganz ruhig bleiben, Tobias !“ stotterte Margritt. „ Muttsch ! Denk` an dein schwaches Herz!“
„ Und was habe ich schon immer gesagt ?“ brüllte Paul. „ Was habe ich gesagt ? Aber es hört hier ja keiner auf
mich!“
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Alt 25.12.2004, 11:37   #7
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 7

Inzwischen hatte der geheimnisvolle junge Bursche die Toilettenräume erreicht und dabei nicht bemerkt, dass er die Türe hinter sich für eine handbreit offen ließ.
Er keuchte vor lauter Aufregung, war völlig außer Atem. Er musste “sie“ von da oben sofort herunterholen, koste es was es wolle, denn in wenigen Minuten würden weitere „Pajonite“ oder sogar Loteken “Chiu-natras“ auf den Zug springen, das wusste er, da er das zur Wolke getarnte “Trestine“ gerade noch rechtzeitig durch den “Jawubani“ hatte erkennen können. Sogar das typische Zeichen der brutalen Jäger war, zwar nur schemenhaft - aber doch durch den Nebel der Wolke für einen Sekundenbruchteil zu sehen gewesen.
Atemlos schaute er sich um, seine Hand fuhr dabei zum Gürtel, von welchem er aus einem kleinen Täschchen, einen Ring herauszerrte an dem ein winziger - nur zwei Zentimeter langer - Stift steckte. Er schob sich diesen Ring über den Mittelfinger und drückte danach erst das Fenster herunter, um von dort nach oben zu klettern oder zumindest etwas hinaufzurufen ... wenn er noch Zeit dazu hatte!
Er rief nach ihnen ... doch keine Antwort kam oder der Zug ratterte zu laut. Der Wind sauste ihm um die Ohren und peitschte das Haar über Nase und Augen, während er sich mühte, dort oben irgendjemanden ausfindig zu machen. Angst und Panik schnürten ihm schließlich den Hals zu, derweil er den Himmel nach dem „Trestine“ absuchte. Gerade als er ein Bein über die heruntergeschobene Scheibe schwenken wollte, um hinaufzuklettern, ging unangenehm quietschend die Toilettentüre hinter ihm auf.
„Pajonite!“ schoss es ihm durch den Kopf. “Ich habe mich verrechnet ...habe schon wieder ihre verflixte Intelligenz unterschätzt ...“ Er war wie gelähmt, als sich ein kräftiger Arm von hinten um seine Kehle legte, eine gewaltige Pranke um sein Handgelenk krallte und ihn vom Fenster fortzerrte, daher hatte er keine Muße darauf zu achten, dass gerade Munk an ihm vorbeigejagt und dann durch die angelehnte Toilettentüre geflitzt war.
Der Bursche drückte seinen Zeigefinger gegen den Ring und dessen Stift verlängerte sich um ein Vierfaches. Ein feiner bläulich schimmernder Lichtstrahl sauste zischelnd durch die nur haarfeine Öffnung des Stiftes. Doch leider ging der Schuss nur in die Decke. Das Dach des Waggons qualmte ein wenig und dann zeigte sich dort ein kleiner Spalt durch welchen das Tageslicht schimmerte.
„Kor kamta bo di me jala?“ krächzte der Bursche mühselig. Was ungefähr so hieß, wie :Was wollt ihr von mir haben? „Noi ... noi jàlo ta dendo la me! Tes ... kor bo notore juka bo ara dána.“ ächzte er verzweifelt weiter. “Ich ...ich habe es nicht bei mir! Das ...was ihr sucht müsstet ihr längst besitzen!“
Plötzlich hörte er ein tierisches Ächzen hinter sich, es klang fast wie ein Lachen! Er zog erstaunt sein Kinn etwas an und versuchte auf diese Weise den Arm zu erkennen, der ihn Richtung Toilette schleppte. Dieser war sehr breit und muskelbepackt, und sehr haarig ...vor allem aber war er grün ...jawoll ...GRÜN!
„Worgulmpf!“ krächzte George erleichtert.
Der so benannte ließ ihn - vor lauter Freude am ganzen Körper bebend - endlich los und fletschte höflich die langen gelben Zähne, als der Junge herumfuhr und ihn anstarrte.
„Fengi, Georgo!“ knurrte das gewaltige Geschöpf, “Pa ...“Er kreuzte die Pranken, neigte dabei den Oberkörper.”...itun?“
„Fengi, Worgo!“ wiederholte George, den typisch hajeptischen Gruß, und verneigte sich ebenfalls mit gekreuzten Armen, wobei die Handflächen je einmal nach links und einmal nach rechts, also nach außen weisen mussten.
Er sprach weiter in fließendem Hajeptisch und der Trowe verstand : “Mir scheint, euer “Diebstahl“ hat “Chiu-natra ganz schön ins Schwitzen gebracht. “
Beide hatten sich wieder zu ihrer vollen Größe aufgerichtet.
„ Xer ! Konki ? ... Woher weißt du das?“ fragte das Geschöpf und hielt den Kopf fragend schief.
„Ich nehme an, „Pasua“ hat sich unerwartet gemeldet und eine andere Meinung als die Loteken über euer Diebesgut, ” begann ihm George einfach weiter auf hajeptisch zu erklären und lachte sarkastisch. Chiu-natra scheut jetzt keine Mühe, um bei “Pasua” doch noch einen guten Eindruck zu machen. Er schickt euch sogar deshalb zu Wolken getarnte Trestine hinterher ...und setzt womöglich nicht nur einfache Iskune oder Pajonite gegen euch ein, sondern gar sie selbst, also edle höchst lebendige Loteken!“
” Loteken?“ wiederholte der Trowe.
Der Bursche nickte.
Worgulmpfs kahles grünes Gesicht wurde merklich heller ... man konnte fast sagen, es wurde blass vor Angst!
„ Xorr ! Sie können ruhig kommen. Wir erwarten sie!“ knurrte das etwas streng riechende Geschöpf und seine gelb und orange gesprenkelten Augen unter der wuchtigen Stirn blitzten dabei vor Stolz.
Abermals nickte der Bursche und erwiderte weiterhin auf Hajeptisch.
„Ich kenne eure Furchtlosigkeit. Habt ihr die Sache um die es geht bei euch oder ...“Er musste plötzlich schlucken.” Oder habt ihr euch getrennt und eure Kameraden ...?“ Er konnte den Satz vor lauter Aufregung einfach nicht mehr zu Ende bringen, und hatte dabei ein merkwürdig enges Gefühl im Halse.
Worgulmpf warf den Kopf soweit zurück in den Nacken, dass ihm die Kapuze seines Mantels hinabrutschte und den Blick auf sein abstehendes krauses und giftgrünes Haar freigab. Er schien sich über die Angst des Burschen irgendwie zu amüsieren.
„ Kontriglusia ! Wir haben die Waffe der Wunder bei uns!“ brummte Worgulmpf auf hajeptisch und senkte wieder den klobigen Schädel. „Du kannst sie haben, wenn du uns - wie versprochen - den Plan gibst!“
George wischte sich erleichtert den Schweiß von der Stirn.
„Habt ihr euch etwa alle in diesem Toilettenraum versteckt?“ fragte er weiter auf Hajeptisch. Er wies zur Toilettentür, hinter der es inzwischen ziemlich laut rumorte und zwischendurch ein leises Fauchen zu hören war.
„Jala bar dendo!“ Worgulmpf hielt ihm zuerst zwei dann drei Finger seiner Pranke entgegen. “Pir tlin ... Tliha sagunat dedi goruma! ”
„Nur vier ? Wo sind die anderen ? Dann fehlen also elf ? Weit mehr als die Hälfte! Ihr habt euch getrennt ?“ ächzte er entsetzt. “Ihr wisst, was das für euch ...für uns alle bedeuten kann?“
Worgulmpf nickte betrübt.
„Tumi takun! Sehr gefährlich!“ sagte George langsam. „Zumal sich deine Freunde mitten unter die Menschen gemischt hatten, die darüber in Panik gerieten. Aber vielleicht war das auch ihre Rettung, denn ... schnapp dir mal ganz bestimmte Ameisen unter lauter anderen Krabbelviechern!“ Er grinste.
„Und ihr seid nur fünf ?“ fragte er sicherheitshalber noch einmal.
„Uru jala dedi nirat orban!“ antwortete Worgulmpf und versuchte zurück zu grinsen, doch es wurde nur eine verzerrte Grimasse.
„Ach so ! Ich bin ein alter Esel. Sieben hätten ja auch in dem kleinen Toilettenraum alle zusammen kaum Platz. Wo sind denn jetzt die übrigen drei ?“
Worgulmpfs Blicke wanderten zum hinteren Wagen.
„Igitt ..und was haben die Passagiere dazu gesagt? Ich hatte sie gar nicht kreischen gehört?“
Worgulmpf fuhr mit der Faust leicht gegen die Toilettentür. “Gulmur ukam ton! Udil!“ brummte er. Die sprang vollends auf. Zwei wüst ausschauende Gesichter - halb Tier halb Mensch - zeigten sich feixend. “Malgat!“ knurrte der größere von ihnen und hatte auf unseren Burschen sein lotekisches Gewehr gerichtet.
„Ihr ...ihr habt sie getötet?“ entfuhr es George stockend.
Die Zwei schüttelten grimassenartig grinsend ihre wilden Köpfe und im Hintergrund hörte man immer noch ein Fauchen.
„Ach so ...!“ George lachte jetzt auch, während er das Gewehr genauer betrachtete ... es ist also nur ein “Jolbata“ mit dem ihr sie in sekundenschnelle betäubt habt...Richtig ?“ Wieder wanderte sein Blick fragend in die unförmigen Gesichter der Tierwesen. “Woher habt ihr es?“ Seine Augen blieben an einem von ihnen haften. “Hatte etwa wieder “Gulmur“ seine langen, flinken Fingerchen im Spiel?“
Alles nickte begeistert, bis auf Gulmur selbst, der stolz und verlegen zugleich auf seine höchst beweglichen langen nackten Zehen schaute.
„Ibo me!“ fauchte Worgulmpf ungeduldig und streckte die geöffnete Pranke dem Burschen entgegen.
„Denda, denda!“ Der Bursche machte einen scheinbar entsetzten Schritt vor ihm zurück. “Wie heißt es bei den Menschen doch immer so schön? Erst die Ware dann das Geld! In diesem Falle ...erst die Wunderwaffe und dann ... bekommt ihr das zweite Drittel meines Planes!"
Das Herz des jungen Burschens klopfte jetzt vor Aufregung, denn die Trowes waren eindeutig in der Überzahl, sie konnten, wenn sie nur wollten, ihm den Plan entreißen, doch die “Bombe“ war eigentlich für sie recht unwichtig, da sie nicht damit umzugehen verstanden.
Er war also am Ziel und das nach so vielen unendlich langen Jahren ...und doch noch immer so fern. Worgulmpf zögerte mit flackerndem Blick, dann wanderten seine stechenden und bunt gesprenkelten Augen zu seinem Sohn Gulmur. Dieser musterte noch einmal prüfendend den hochgewachsenen Burschen und nickte dann.
Es raschelte auf der Toilette und schließlich zeigte sich hinter der Tür noch ein Gesicht, bei welchem man nur sehr mühselig erkennen konnte, dass es sich um das eines weiblichen Wesens handelte, so kantig und derb war es geschnitten. Man hatte für die Trowenfrau bereitwillig Platz gemacht.
„Nun?“ fragte George. “Was ist?“
„Mira!“ knurrte das wuchtige Weib, fletschte höflich die vorstehenden gelben Zähne und hielt ihm nun ein etwa zehn Zentimeter langes und fünf Zentimeter breites kernförmiges Metallgebilde entgegen.
Der Bursche musste sich Mühe geben, dass ihm bei diesem Anblick nicht die Knie weich wurden, denn genau so war ihm “DANOX“ die “WAFFE“ stets beschrieben worden, und als er den zweiten Teil seines Plans hervorholte, glaubte er auf der Stelle ohnmächtig werden zu müssen, so schwummerig war ihm mit einem Male.
Nach einigem Zögern übergab er der Trowin feierlich den Plan, die ihm vorsichtig den gelblich brauen Stein in die geöffneten Hände legte.
Hinten im Toilettenraum quiekte währenddessen, ein kleines Trowenkind und hüpfte, mit irgendetwas Felligem in den Armen, selig im Kreise herum. Jemand aus der Meute schob sich schützend vor den Kleinen und lugte der Trowin über die Schulter, die mit ihren gewaltigen Pranken den Plan auseinandergefaltet hatte.
„Tes wan tai wunga arito!“ rief sie ihrem Gefährten Worgulmpf zu, dieser atmete erleichtert aus.
George hatte sich inzwischen ebenfalls vergewissert, ob er auch wirklich erhalten, was er gewollt hatte und sein Blick verharrte dabei wie verzaubert auf der feinen Inschrift des oberen Teils der “Bombe”.
„DANOX!“ murmelte er und das klang fast wie ein Gebet. Sein Finger fuhr tastend über die seltsamen keilförmigen Schriftzeichen, die in der Mitte der “Waffe” prangten und dann über die eingravierte Schlange darunter.
Er drehte die Wunderwaffe auf den Rücken. Alles stimmte, denn der “Bauch“ des „Dinges“ war nicht nur abgeplattet, er setzte sich auch aus lauter hell orange getönten kleinen schuppenförmigen Steinchen zusammen. Und in manch einer Schuppe war ein Baum eingemeißelt worden, oder eine Wolke oder was das auch sonst immer darstellen sollte.
Er wendete das Ding wieder zurück.
„Ach wenn ihr wüsstet wie wichtig für uns diese sonderbare Waffe ist ...“ Er hatte nur ein Flüstern und dann ein Rascheln und Schritte vernommen und deshalb sah er sich erstaunt um, die Trowes waren inzwischen fort.
Die im Rhythmus des schaukelnden Zuges auf und zu schwenkende Toilettentüre gab den Blick auf einen nett gekachelten aber leeren Raum frei, also hatten sich die Trowes in das Nachbarabteil begeben.
Doch wie sollten sie von da aus wieder völlig ungesehen hinaus? Nun, sie würden schon mit allem weiteren fertig werden, denn sie hatten ja seinen Plan! Doch warum waren sie ohne Gruß verschwunden?“
Die Lösung dieser Frage lag ganz nahe, denn plötzlich hörte er ein überraschtes Kinderstimmchen in seiner Nähe murmeln : “Du liebe Scheiße! Da liegt ja mein Blaui?“
Dann vernahm er schnelle etwas kurze Schritte, die an ihm vorbeihasteten und wenig später das Geräusch schmatzender Freudenküsse im Toilettenraum und dann : „Heee, du ...uh ...Geo - orge? Hast du vielleicht den Munk gesehen?“
„Den was ..äh ...den Munk?“ brabbelte der wie im Dämmerzustand und dann blickte er seitwärts über die kräftige Schulter. In wenigen Augenblicken, sah er Tobias neben sich stehen und er riss sich zusammen. “Ja, ist euch denn irgendetwas abhanden gekommen?“ fragte er möglichst ruhig und schaute dem Kleinen ins Gesicht in der Hoffnung dessen Blick möge nicht zu lange auf dem funkelnden Metallkern in seinen Händen verweilen.
Tobias nickte, der Kleine war plötzlich wieder so traurig, dass Tränen in seinen großen Augen schimmerten, behielt aber die Fingerchen in der linken Hosentasche, wo sich eine kugelförmige Wölbung abzeichnete.
„Na, wenigstens hast du deinen “Blauli“ wiedergefunden!“ sagte der Bursche in tröstendem Ton.
„Er heißt nicht “Blauli“...“Tobias krauste die sommergesprosste Nase und seine Stimme klang vorwursvoll.“...sondern “Blaui ...ohne ...LLLL...!“
„Ach soooo ... ohne ...LLLLL!“ Der Bursche ließ den Rucksack dabei von der Schulter gleiten und öffnete diesen. „Leider habe ich euren Munk nicht gesehen, aber ich helfe dir gerne, warte einen Augenblick, ja?“ Er versenkte vorsichtig die “Bombe” tief im Rucksack zwischen viel Papier - das sollte Erschütterungen dämpfen - neben dem Fernrohr und dem “Sochanten”, ein Codiergerät, das er erst neulich mit viel Mühe Nireneska, dem hajeptischen Oberkommandierenden von Eibelstadt hatte entwenden können.
„Ich ...ich gehe schon mal den Munk im Nachbarabteil suchen!“ schlug das Kind plötzlich vor und war sogleich an ihm vorbei und an der Tür.
„He, heee ... lass` man gut sein! ...Wir machen das gemeinsam, okay?“ keuchte der Bursche entsetzt, denn er dachte an all die schnarchenden Passagiere. Im nu hatte er sich den Rucksack über die Schulter geworfen und war Tobias hinterhergeprescht. Er hielt ihn am Arm zurück. Tobias brüllte zu seiner Überraschung, deshalb schmerzerfüllt auf, denn er konnte ja nicht wissen, dass dem Kind noch immer beide Ärmchen weh taten.
„Schrei nicht so ...!” rügte er den Jungen verärgert. “Wir suchen Munk zunächst in unserem Abteil, hast du gehört ... in UNSEREM! “ Oh, Gott, auch er war viel zu laut.
„Ja, aber ...warum ...?” krächzte Tobias wesentlich leiser, weil zu Tode erschrocken über den plötzlichen Befehlston. „Da haben wir doch schon gesucht und da is er nich und das weiß ich ganz genau!“
Der Kleine schob die rotgenuckelte Unterlippe weit vor und George ahnte, es fehlten nur Sekunden und der Bengel würde völlig in Tränen ertrunken sein.
”Ich gehe nicht...” fauchte der Kleine plötzlich und stemmte die Füßchen gegen den Boden,” ...ehe ich nicht den Munk wiedergekriegt hab`, so!“
„Ach, meinst du etwa mit... Munk ...eure alte Katze?“ unser Bursche tat so, als wäre er überrascht.
„Ja, die meine ich ...“schniefte das Kind.“...und die heißt Munk! Aber die ist keine DIE!“ setzte der Kleine ziemlich hastig hinzu und wischte sich dabei über die Nase. “Die ist ein ER ... nämlich ein KATER!“ ”
„Ach, so-oh, das wusste ich nicht!“ log der Bursche weiter.
„Und Munk ist gar nicht ALT!“ empörte sich das Kind weiter. “Nee, das is´ er nich! Er is´ nämlich immer noch hübsch!“
„Tatsächlich?“ fragte George. Habe nie gehört, dass Katzen hübsch sein können? dachte er verdrießlich, setzte jedoch ein betrübtes Gesicht auf und sagte :
”Armer Junge, ich hatte ja GAR nicht gewusst, dass du mit: Munk, diesen bildhübschen Kater meinst, wirklich ein prächtiges Tier...aber DER ist vorhin durch das geöffnete Fenster, siehst du das da ... Er wies auf das Fenster, welches er vor etwa einer Viertelstunde, selber aufgerissen und zu schließen vergessen hatte ) ... ins Freie gehopst!”
„I...iiins Freie?“ wiederholte Tobias zutiefst erschüttert.
„Sehr richtig!“ bestätigte der Bursche und kam sich nun doch ein wenig gemein vor, er änderte aber seine Taktik um keinen Deut, denn schließlich ging es hier um Wichtigeres, als um ein paar Kindertränen. “Du verstehst recht gut,“ lobte er Tobias ” Bist ein kluger Junge!“ Er tätschelte dem Kind die Wange, über die nun leider doch eine dicke Träne kroch und da flitzte auch schon die nächste hinterher. Tja, Tobias war ziemlich gut im Weinen!
„Keine Angst!“ hörte sich der Bursche zu seiner eigenen Überraschung sagen. “Euer Kater wird sich dabei nichts gebrochen haben, so jugendlich wie der noch ist!“
„Ja, das ist er!“ Tobias zwängte die Lider zusammen, damit keine Tränen mehr kamen.
„Und dieser alte Zug fährt langsam! Sei daher nicht traurig, dass er euch verlassen hat. Das ist keine Untreue! Munk hatte lediglich... äh ...Hunger! Deswegen ist er nur gehoppst ...!“ Das tröstete den Jungen zwar etwas, aber
nicht völlig, dennoch ging er willig in sein Abteil zurück.

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Munk hing indes vertikal und ziemlich verstört in fester Umklammerung. Er zeigte daher jedermann sein flauschiges Bauchfell. Er hatte wieder “ mehr- als – drei — Mal “ sehr laut gefaucht, aber man hatte nicht auf ihn gehört.
Nach längerer Überlegung hatte er sogar seine Krallen ausgefahren, Katzen zeigen nicht gerne ihre Krallen, und damit, was noch anstrengender war, nach allen Seiten ausgiebig und gründlich gekratzt und sogar mit einem Zahn, er besaß nicht mehr viele, zugebissen! Aber sie hatten eine feste lederne Haut und sehr viel Haare darüber und sich daher nur köstlich darüber amüsiert.
Jetzt fuhren viele derbe Hände von allen Seiten kraulend über seinen gesamten Körper! Diese Zweibeiner rochen nicht nur aufdringlich, sie hatten überhaupt kein Benehmen!
Munk fauchte nochmals. Er war zornig – sehr zornig sogar - und begann deswegen, was wiederum sehr mühselig war, sein Fell zu sträuben und zwar vom Kopf bis zum Schwanz.
Er sah jetzt aus wie eine zum Leben erwachte Bürste, aber wieder waren seine Bemühungen umsonst. Unzählige gesprenkelte Augen, unzählige deswegen, weil Munk mehr als drei Paar gezählt hatte, funkelten ihn belustigt an und das kränkte ihn sehr. Ja, man strich ihm sogar den, zu einer dicken Fuchsrute mühsam, aufgestylten, Schwanz von der Wurzel bis zur Spitze verwundert entlang.
Dabei hatte alles so harmlos angefangen. Er hatte bloß das Bällchen für Tobias gesucht! War für Tobias über sämtliche Kisten und Koffer geprescht, hatte sich für Tobias dabei an manch einer Wade vorbeigekrallt, dabei hatten ihm die unangenehm kreischenden Passagiere kaum etwas ausgemacht, denn es ging ja um Tobias ! Und das “Ding“ war auf phantastische Weise immer schneller geworden, nur weil er - Munk - ihm dann und wann einen winzigen Stoß mit der Pfote gegeben hatte, bis es durch den Türspalt gesaust war und er hinterher musste.
Und dann war ihm das hier passiert. Hatte er das für diesen aufopferungsvollen Einsatz verdient? Nein! Munk war völlig fertig mit dieser ungerechten Welt!
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Alt 25.12.2004, 11:38   #8
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 8

Als Tobias seiner Großmutter mit zitterndem Stimmchen verraten hatte, wie es um Munk stand, wollte sie zuerst die Notbremse ziehen und war nur deswegen knapp davon abzuhalten gewesen, da George sich beeilt hatte zu Tobias Worten noch hinzuzufügen, dass der Kater wohl inzwischen bereits etliche Kilometer von ihnen entfernt wäre, da brach Muttchen vollends in Tränen aus. Sie weinte lange und herzzerreißend, zum einen deshalb, weil sie ihren Kater nie wieder sehen würde, zum anderen aus dem Grunde, da sie sich Vorwürfe machte, das Tier in letzter Zeit nicht genügend gefüttert zu haben. Eine knappe viertel Stunde später, kam die kleine Familie zu dem traurigen Schluss, dass der Kater wohl für immer verloren war. Muttchen weinte weiter sehr eindrucksvoll und Tobias half ihr dabei, denn der konnte das - wie wir schon wissen - ebenfalls hervorragend!
Schließlich rang man sich, zu Georges Entsetzen, doch noch dazu durch, im Nachbarabteil nach dem Kater zu suchen. Paul entdeckte als erster, dass sich dieses - es war das Letzte des Zuges - nicht mehr hinter ihnen befand. Es hatte sich sozusagen in Luft aufgelöst.
Das alles war ausgesprochen mysteriös und beängstigend. Man setzte deshalb darüber den Fahrer des Zuges in Kenntnis, doch der zuckte nur die Schultern. Er schien wohl in diesen Zeiten, die verrücktesten Dinge gewohnt zu sein. Über den Kater musste er jedoch lachen und Muttchen schon wieder weinen und dessen knappe Bemerkung : ”Sportliches Kerlchen!“ hatte sie auch nicht mehr trösten können. Da Paul ohnehin dem jungen Mann misstraute, der immer wieder versucht hatte, mit Tobias Kontakt aufzunehmen, um ihn zu beruhigen, verließen die vier schließlich, auf Pauls anraten, von diesem ENDLICH ungesehen ihren angestammten Platz, und begaben sich zum Ausgang, Tobias dabei gemahnend, dass er diesmal nur ja seinen Blaui festhalten sollte. Tobias tat wie ihm geheißen, seine Hand ruhte gewissenhaft in der Hosentasche, über dem Blaui, wie über der Erde das Firmament.
Wie sie angenommen hatten, wollte in Hornberg, die Ortschaft bestand nur aus fünfundzwanzig bis dreißig Häusern, kaum jemand aussteigen. Doch Margrit und Paul hatten gelernt, sich nicht zu lange in großen Menschenmassen aufzuhalten.
Ein feuchter kalter Herbstwind, schlug der kleinen Gruppe entgegen, die nun dem Zug entstiegen war, und sich nach allen Seiten suchend umsah. Der Bahnhof befand sich hügelaufwärts und so konnte man ganz gut die gesamte Umgebung überblicken.
Wo war das kleine Gehöft, das die Fahrräder hatte? Man sollte es bereits von hier aus sehen können. So hatte es jedenfalls Renate beschrieben, die zu einer geheimen Fluchtorganisation gehörte.
Sie waren damit so beschäftigt, dass sie nicht bemerkten, wie wenig später eine große, dunkle Gestalt hinter ihnen ausstieg und erst recht konnten sie nicht sehen, wie auf der anderen Seite, unter dem Zug hervor, sieben merkwürdige Schatten kletterten.
„Ha, da ist es!“ Margrit wies auf ein niedriges Fachwerkhaus und verglich es mit dem Foto auf ihrer Karte. “Dort müssen wir hin.“ Alles blickte auf die Karte.
„Na, dann los!“ bemerkte Paul und warf eine kurzen Blick hinter sich auf den Zug, der nun abfuhr und wo alsbald auf der gegenüberliegenden Seite der Schienen eine dichte immergrüne Dornenhecke zu sehen war.
Der Bahnhof schien völlig menschenleer zu sein. Doch aus dem alten Haus nebenan, konnte man Stimmen und Gelächter hören. Die kleine Familie hatte eine ganz schöne Strecke zu laufen.
Die Koffer waren unhandlich und schwer. Paul trug außerdem auch noch Muttchens Gepäck auf dem Rücken (es war ein großer rot gestreifter Pastikrucksack, dessen Nähte schon überall angerissen waren), denn Muttchen war zu schwächlich, um das auf einer solch langen Strecke zu schaffen. Sie weinte noch immer und Tobias sah das und weinte deshalb zur Gesellschaft immer wieder mal mit. Endlich standen sie vor der Tür des besagten Gehöftes.
Nebenan war der große Schuppen. Die Tür war dort auf und ein blauweißes Fahrrad lugte zwischen alten Lumpen hervor.
Tobias hatte es, trotz tränenverhangenem Blicks, als erster entdeckt, er hörte deshalb sogar für einen Moment zu schluchzen auf und teilte seinen Fund den Erwachsenen mit. Daraufhin öffnete sich endlich die Tür, denn die Klingel hatte nicht funktioniert, aber dafür der Hund, der laut und heiser drinnen im Hause anschlug.
„Was wollen Sie?“ Die Frau musste sich bücken, denn sie hielt einen Spitz am Halsband zurück. Aus kleinen wasserblauen Augen blickte sie durch den Nieselregen zu Margrit hinüber.
„Sind sie Frau Weller?“ erkundigte sich Margrit zögernd. Die Alte nickte zwar, blinzelte jedoch misstrauisch.
„Sie wurden uns von der Fluchtorganisation als hilfreiches Mitglied genannt und ...“, Margrit kam nicht mehr weiter.
„Organisation und Mitglied?“ unterbrach die Alte sie. “Nicht, dass ich wüsste!“ Sie grinste seltsam und zeigte dabei ihre wenigen Zähne. Sie betrachtete nachdenklich Pauls muskelbepackte Oberarme, sah ihm ins regenfeuchte Gesicht. Ihre Miene wurde ängstlicher. „Okay, okay! Ihr bekommt euer Rad, könnt es haben, meinetwegen!"
„He, nicht nur eines sondern drei!“ erinnerte sie Paul. Er hatte sein Gepäck auf den nassen schlammigen Boden neben seine Füße gestellt, genau wie Margrit. .
„Drei?“ Die Frau zog die Schultern hoch.
„Richtig!“ Paul rieb sich die klammen Hände.
„So viele habe ich nicht!“ Die Frau zerrte den zappelnden Spitz in den Flur zurück, ihre Augen blitzten von dort aus wieder tückisch zu ihnen hinüber.
„Sie wurden aber dafür bezahlt“, Paul grinste, “und zwar für drei !“ Er hielt ihr diese Anzahl mit seinen kräftigen Fingern entgegen und wedelte so komisch damit, dass Margrit und die Kinder lachen mussten, nur Muttchen weinte noch immer.
„Nein, nur für eins“, brummelte die Alte. “Na, wo hab` ich jetzt wieder die Leine?“ Sie blickte suchend in ihrem schäbigem Flur umher, während der Spitz in einer Tour an ihrer Hand bellte. „Moment!“ Dann zog sie die Tür blitzartig zu. Im Inneren des Häuschen war sie in Sicherheit und der Spitz endlich ruhig.
Paul sauste jedoch die drei Stufen hoch und schlug mit beiden Fäusten gegen die abgewetzte Tür.
“Was soll das? Sie geben uns sofort die drei Fahrräder sonst schlage ich die Tür ein, alles klar?“
Wenig später erschien die Frau in einem recht gut erhaltenen, jedoch etwas zu engem Mantel, den sie wohl nicht lange hatte, denn sie trug ihn mit auffälligem Behagen. Über den Kopf hatte sie sich wegen dem Regen eine durchsichtige Plastiktüte gestülpt.
Sie schimpfte zwar noch immer, machte jedoch alle Anstalten dazu, endlich zum Schuppen zu gehen. Freilich bemühte sie sich noch, ihren zerfledderten Schirm aufzuspannen, während der Spitz, der ständig an der Leine zerrte, sie daran hinderte.
“Ha, Bijou! Wirst du wohl endlich still halten?“
Der Schirm war mittlerweile aufgegangen, und als sie sah, wie Margrits Blick auf ihrem Mantel ruhte, strichen ihre kräftigen Finger mit einer fast anmutigen Bewegung über dessen Stoff. Es war ein ockerfarbener leicht beschädigter Kamelhaarmantel, und sie war sich voll und ganz bewusst, dass sie für diese schrecklichen Verhältnisse ein recht kostbares Stück trug.
Margrit musterte die Frau nachdenklich, während sie gemeinsam über den Hof zum Schuppen liefen. Bestimmt hatte sie diesen Mantel für die Fahrräder bekommen. Würde sich diese schlampige, recht gehässige, Frau als genauso großzügig erweisen? Sie sah in diese kleinen flinken Augen und hatte so ihre Zweifel.


#


Worgulmpf gebot indes seiner aufgeregten Meute zu schweigen. Auf sein knappes Zeichen duckten sich die Trowes lautlos, die sich zufälligerweise genau hinter diesem Schuppen und dessen angrenzender Hecke versteckt hatten und nur der Kater fauchte, weil der Papageienkäfig, den man zuvor in dem Schuppen entdeckt und in welchen man das kleine “Fauchwesen“ kurzerhand gesperrt hatte, fast dabei zu Boden gestürzt wäre.
Doch der Kleine hatte aufgepasst und streichelte nun “WROL“ wie er das “Fauchwesen“ nannte, denn es schien keine Stimme zu haben, mit drei Fingern durch die engen Stäbe des Käfigs hindurch, was mit einem weiteren hilflosem Fauchen quittiert wurde.
Worgulmpf fuhr deshalb abermals zusammen, blickte stirnrunzelnd auf seinen jüngeren Sohn und fuhr sich dabei nachdenklich mit der Hand über den regenfeuchten Sklavenkittel.
Hatten die Leute etwa das leise Fauchen gehört? Wieder spähte er unsicher zwischen zweien der immergrünen Zweiglein hindurch. Es konnte noch so gefährlich werden, Trukir pflegte dennoch seinen kleinen dicken Kopf durchzusetzen.
Vorhin hatte er so lange herumgequengelt, bis man ihm erlaubt hatte, sich jenen abstrakten Wunsch zu erfüllen, den Käfig aus dem Schuppen zu holen. Und was war nun?
Furchtbares würde vielleicht geschehen, wenn sich das struppige “Brüll- wesen“, das an die Schuppentür gebunden worden war und sie schon lange gewittert hatte und gewiss deswegen so aufgeregt war, von seiner Schnur losriss?
Traurig ging sein Blick zum “Jolbata“, mit dem Gulmur, die sechs schwatzenden und nach einem komischen Fortbewegungsmittel suchenden Erdlinge bereits anvisierte, denn dieses war die einzige Waffe und sie hatten nur noch wenig Schuss.

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Frau Weller zupfte derweil zögerlich und linkisch an den Sachen herum und murmelte in einem fort dabei, dass diese Zeiten ganz besonders fürchterlich für hilflose alte Frauen wären, bis Paul und die ganze Familie mithalfen und sie schließlich nur noch alles dirigierte.
Das erste Fahrrad - das blau weiße - war überhaupt nicht mehr zu gebrauchen. So lädiert war es. Und auch das zweite befand sich in einem schlimmen Zustand, aber immerhin ließen sich die Pedalen bewegen, auch wenn es entsetzlich quietschte und dann fehlte auch noch das dritte Fahrrad, nach dessen Verbleib sich Paul sogleich sehr unfreundlich erkundigte, denn er hatte nicht vor, die ganze Strecke bis nach Reichenberg zu Fuß zu bewältigen.
Die Frau zuckte nur ängstlich mit den Schultern und lief dann hastig zum Haus zurück, den vor lauter Raserei nach allen Seiten schnappenden Spitz hinter sich her zerrend.
„Aber, es wurden uns doch drei Fahrräder versprochen und von diesen funktioniert keins richtig!“ Paul heftete sich als Einziger des kleinen Trupps, schäumend vor Wut, ihr dicht an die Fersen. Die anderen blieben zurück und begutachteten weiterhin die Fahrräder.
„Es wurde nur eins bezahlt!“ Am Treppenabsatz ihres Hauses wandte sich die Alte nach Paul um, weil sie fürchtete, von Paul verprügelt zu werden und der Hund, der jetzt mehr einer durchnässten Teppichrolle glich, schüttelte nervös den Pelz. „Was kann ich dafür!“ Sie trat einen Schritt vor dem Spitz zurück, damit ihre Beine nicht noch nasser werden konnten, als sie es schon waren.
„Aber sie besaßen doch drei intakte Räder!“ brüllte Paul zornesrot hinter ihr. “Sie hatten die doch der Dame, die von der Fluchtorganisation kam, gezeigt!“
Wieder folgte ein Schulterzucken, die Alte wollte die Stufen schnellstens hinaufsteigen, doch der Hund stand ihr im Weg. Er winselte quietschig und wedelte mit seinem verregnetem Schwanz.
„Nein, sie gehen da jetzt nicht wieder hinein!“ brüllte Paul fassungslos. Das klang drohend und es folgte eine zögerliche Pause.
Zwei kleine flinke Augen blinzelten zu Paul hinüber.
“Die Teile von dem blauweißen Fahrrad habe ich schon vor einigen Wochen verkauft und dann ... hm .. er kam halt vor euch, dieser dunkle junge Mann - ziemlich groß übrigens!“ Ihr spitzes Gesicht zeigte schon wieder das seltsame Grinsen an. „Der bot mir dieses Kettchen, echt Gold, übrigens, und mit Anhänger! Rarität heutzutage! Na ja, und dafür hat er eben ein Rad von mir gekriegt. Hatte einen sicheren Blick, der Bursche, denn er nahm sich gleich das Beste!“
„Das Beste?“ wiederholte Paul fassungslos.
„Tja, tut mir leid, mein lieber Freund! “ Die Alte versuchte möglichst anteilnehmend drein zu schauen. “Aber wenn ihr euch beeilt, holt ihr ihn eventuell noch ein.“ Sie machte eine kurze Pause, wobei sich, unbeabsichtigt oder nicht, der Ausdruck ihres Gesichts wieder ins völlige Gegenteil verkehrte.
Mit einem Satz war Paul bei der Alten und riss ihr das Kettchen vom Hals.
„Wir haben für drei Räder bezahlt und bekommen nur das eine klapprige. Dafür behalte ich ihr schönes Kettchen.“
Die Alte kreischte vor Wut, aber Paul wandte sich kopfschüttelnd um und kehrte, die Fäuste tief in die Hosentaschen geschoben, zu Margrit zurück.
Diese hatte inzwischen im Schuppen vergeblich nach Ersatzteilen gesucht und viel Müll ausgeräumt. “Nun, wo ist das dritte Fahrrad?“ fragte sie.
„Sie hat keines mehr!“ antwortete er apathisch.
„ Und was machen wir jetzt?“
„Weiß nicht!“ Paul zuckte die Schultern. “Oh, ich könnte diese ...diese ...“
„ ...du meinst bestümmt Arschgeige, stümms ?“ mühte sich Tobias sehr eifrig Paul zu helfen.
„ Aber Tobias ...“
„ T`schuldigung ...!”
Margrit kicherte.
„Also, diese ...“ begann Paul von neuem. „ Hm ...äh ...A...“
„ Paul ?“
„Was ist denn ? Alte Dame ...hatte ich sagen wollen... in ihre einzelnen Teile zerpflücken!“ Paul gab der Blechbüchse, die hier, wie so vieles, mitten im Weg lag, einen Tritt und die rollte ins Gebüsch hinter den Schuppen genau vor zwei nackte Füßchen. Kleine haarige Hände ergriffen sich- unbemerkt hinter den Zweigen - das seltsam blitzende Ding und gesprenkelte Augen betrachteten es neugierig, flink drehten grüne Fingerchen die Büchse hin und her und zupften an dem halb zerfetzten Schild, das daran klebte.
„...denn es fährt bald kein Zug mehr.“ fügte Paul indes verdrießlich seinen Worten hinzu. “Kaum jemand findet sich noch, diese Strecke als Zugführer abzufahren! Bald wird der ganze Verkehr lahmgelegt sein, und die Hajeps haben auch hier, das, was sie schon immer wollten!“
„Kein weiteres Rad also!“ wiederholte Margrit matt.
Er nickte verzweifelt. “Es hilft nichts!“ sagte er schließlich.
„Wir müssen irgendwie weiter! Dann laufen ich und Muttchen eben zu Fuß."
Margrit sah sich suchend nach den wenigen Häusern um
„Vielleicht hat jemand anders hier ... ein Rad! Es ist ja nur ein einziges!“
„Wir haben nichts Wertvolles zum Tauschen Margrit.”
„Na, dann, vielleicht viele kleine Dinge!“
„Die brauchen wir doch dringend selbst!"
„Aber, du hast doch so viel und vor allem schwer zu tragen, Paul ...“
„Das schaffe ich schon. Mache dir mal keine Sorgen."
„Notfalls kann auch ich helfen!“ schniefte Muttchen tapfer und spannte ihre mageren Oberarme.
„Ja,ja,“ brummte Paul nur, ohne es wirklich ernst zu meinen. „Ich werde bestimmt bald auf dein Angebot zurückkommen.“

Manches an dem Fahrrad war so zerschlissen, dass es eigentlich repariert hätte werden müssen. Dennoch trieb Paul zur Eile an, denn sie wollten noch vor dem Dunkelwerden, eine kleine Hütte in den Bergen erreichen, die ihnen ebenfalls empfohlen worden war. Dort lebte völlig vereinsamt ein alter Schäfer, der freundlicherweise sofort bereit gewesen war, nicht nur ein Quartier der kleinen Familie zuzusichern, sondern auch ein warmes Essen.
„Die Löcher in den Reifen scheinen nicht zu groß zu sein!“ erklärte Paul. “Wenn es schlimmer wird, werden wir eben am “Neuen See “anhalten und die Räder flicken, solange es hell ist."
Durch die Arbeit der Hajeps bei der Wiederherstellung wichtiger Naturgebiete der Erde, hatte sich das Landschaftsbild in einigen Teilen „Dauchans“ unbeabsichtigt so verändert, dass man es kaum wiedererkannte. Darum tauchte - besonders hier- bei den Menschen überall der Name neu auf, speziell was die Flüsse und Seen anbetraf, denn es kam nicht selten vor, dass, durch die Veränderungen des Erdreiches, plötzlich welche versiegten und an unbekannten Stellen wieder entstanden.
Daher begriff Margrit ihren Paul sofort, blickte auf die primitiv gezeichnete Karte, nickte, steckte sie wieder in ihre dicke Strickjacke zurück und setzte Julchen, wie besprochen, vor sich in den Kindersitz. Hinten drauf sollten immer abwechselnd, mal Tobias oder einer der Koffer kommen.
Wie Margrit es vorrausgesehen hatte, konnte Muttchen sich nicht von ihrem Korb trennen, aber sie trug später wieder ihren Rucksack auf dem Rücken, und den Schirm über ihre rechte Schulter, der an einer Schlinge gebunden war.
Ständig schwer zu tragen hatte Paul, er schleppte mal einen, mal zwei Koffer, die zwar nicht sonderlich groß waren, aber dafür prall gefüllt. Nur damit mal beide Kinder auf dem Rad sitzen konnten.
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Alt 25.12.2004, 11:39   #9
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 9

Winzige gesprenkelte Augen in einem riesigen klobigen Gesicht hatten ihnen zunächst hinterhergeschaut. Nun atmete Worgulmpf erleichtert aus. Bei Ubeka und Anthsorr, da hatten sie ja noch einmal Faisan (Glück) gehabt! Doch für wie lange? Er setzte nämlich den Blunaska nur ungern ein. Einesteils, weil ihm die Angst vor technischen Dingen anerzogen war und er fürchtete etwas falsch zu machen, anderen Teils, weil er auch nicht wusste, wenn er dessen Energien verbraucht hatte, wie man ihn wieder aufladen konnte.
Beklommen suchte er wieder den Himmel ab. Dünne giftgrüne Lippen pressten sich dabei noch fester zusammen. Akir, da war noch kein Trestine zu entdecken!
Dennoch konnten sie da sein sein! Ihre Tarnungen waren meist linti (perfekt), so wie alles an ihnen linti war. Vielleicht war es doch gut, wenn er jetzt den „Blunaska“ einsetzte, den Gulmur ebenfalls erst kürzlich gestohlen hatte, und wenn man versuchte die Trestine durch Trugbilder zu irritieren.
Doch ob ihm das auch wirklich und vollständig glücken würde? Was war wenn dieses Gerät bereits einen Defekt hatte? Auf welche Weise würde es einen dann darauf aufmerksam machen? Denn er konnte nicht lesen. Vorsichtig strich einer seiner krallenbewährten Finger - den fünften hatte er am Handgelenk - über das kleine blaue Sensorenfeld jenes Amuletts, welches er an einer Kette um den Hals trug. Er blinzelte nach oben. Feuchtigkeit wurde plötzlich von allen Seiten zusammengezogen und umschloss schließlich als eine Art Nebelzelt die kleine Schar. War das ein Beweis, dass das Ding funktionierte? Der Blunaska, der in diesem Fall wie ein Amulette aussah, sendete nun regenbogenfarbene Strahlungen in einem bestimmten Rhythmus abwechselnd nach allen Seiten aus. Worgulmpf wusste, dass in diesem Nebelzelt nun jenes Trugbild entstehen musste, das er zuvor eingegeben hatte. Vom Flugzeug aus betrachtet müssten jetzt also keine Gestalten mehr zu sehen sein, sondern nur noch diese Landschaft mit viel Gebüsch, in welcher Worgulmpf sich mit seiner Meute sicherheitshalber versteckt hatte. Doch er hätte jetzt auch ruhig das Dickicht verlassen und ganz offensichtlich über die Wiese oder jenen Weg dort hinten entlang wandern können. Denn der Blunaska sollte alles was Wärme abgab mit dieser sonderbaren Nebeltechnik insofern unsichtbar zu machen, indem er einfach die Umgebung, die eigentlich hinter den Gestalten war, wieder vollständig hervortreten ließ.
War es Worgulmpf geglückt? Wo gab es Zeichen an dieser Maschine, dass alles erfolgreich vonstatten gegangen war? Hach, womöglich amüsierten sich die Schergen Chiu-natras bereits über Worgulmpfs Unbeholfenheit mit technischen Dingen umzugehen. Er zuckte hilflos mit den muskelbepackten Schultern, während er weiter durch den Nebel spähte der ihn und die sechs Flüchtlinge umgab.
Kalire (listenreich) war es jedenfalls von ihm gewesen, nicht nur ein Abbild seiner Schar in das letzte Abteil des Zuges mit Hilfe dieses Blunaska - und DA hatte das Ding funktioniert! - zu simulieren, sondern dieses letzte Abteil auch noch plötzlich abhängen zu lassen. Niemand hätte dazu die Wahnsinnskräfte haben können, außer Trowes!
Ein bisschen stolz zuckte nun doch einer seiner Mundwinkel hoch.
Dieses Abteil war, da die Strecke an jener Stelle abschüssig gewesen, zurückgesaust und genau auf jene zwei “Lais“ zu, die sich zuvor von dem Trestine getrennt und auf Fensterhöhe des Zuges manövriert hatten, damit von dort aus gleich einige der brutalen “Pajonite” oder auch nur “Iskune“ Roboter in das Abteil klettern konnten.
Gewiss waren dabei ein paar von diesen Robotern beschädigt oder gar völlig zerstört worden und das Trestin hatte von oben aus Rache jenes Abteil zur sofortigen Entgleisung gebracht.
Was dann passierte war vermutlich noch fürchterlicher gewesen.
Hatten nämlich einige der betäubten Menschen die Entgleisung überlebt, so waren sie sicher geweckt worden, denn Loteken pflegten niemals einen Hojank (Spaß) zu versäumen. Sie hatten sich an den noch halb betäubten Passagieren sicherlich ausgetobt, weil keine Trowes zu finden gewesen waren.
Der wuchtige Körper Worgulmpfs zitterte bei diesem Gedanken. Jedoch nicht aus Mitleid um die Menschen, solche Gefühle waren selbst ihm fremd, sondern eher aus Angst um sich selbst.
Was würde geschehen, wenn sie ihn jakitan (schnappten)? Er war als “WOKEA“ (Rebell) bekannt. Wenn sie ihn diesmal bekamen, würden sie wohl ihre Quälerein verstärken. Er war sich nicht sicher, ob sie vorhatten, ihn dabei am Leben zu lassen, oder ob sie weiterhin wert darauf legten, dass später wenigstens sein kräftiger Körper - der wirklich außergewöhnlich stark war-, noch funktionierte, oder wollten sie nur seinen Schädel und somit seinen aufrührerischen Verstand?
Seine Seele hatten sie ja bereits fast vollständig getötet. Er war ein rastloser und schlafloser Mann geworden, geplagt von unbeschreiblichen Schüben von Angst.
Ursprünglich waren sie ja zwei Familien gewesen, welche die Flucht aus dem “Lager” gewagt hatten. Zwei Familien und deren Freunde. Letztendlich jedoch hatten sie sich zerstritten. Slorbungra Oberhaupt von acht Köpfen, war nämlich plötzlich der Meinung gewesen, die “Zauberwaffe” lieber selbst zu behalten, als sie weiterzugeben, vielleicht konnten sie ja auch deren Geheimnis selber lösen und sich mit der großartigen Waffe in einem entscheidenden Augenblick siegreich verteidigen. Oder sogar damit ihr Volk endlich von der brutalen Sklaverei befreien, die Hajeps schließlich von der Erde vertreiben und einen eigenen freien Staat auf diesem Planeten gründen. Ein Plan zur Flucht wäre eigentlich gar nicht nötig, denn man würde sich schon bald alleine in dieser ziemlich unkomplizierten Menschenwelt zurechtfinden!
Vergeblich hatte sich Worgulmpf bemüht, Slorbungra darauf hinzuweisen, dass bisher noch kein Flüchtling mit dieser Erde richtig klargekommen war. Hajeps hatten entlaufene Sklaven stets in ziemlich kurzer Zeit wieder einfangen können, und brutal vor den Augen möglichst vieler ihrer Kameraden bestraft, manchmal - wenn sie die nicht besonders dringend brauchten - sogar hingerichtet.
Oh, Slorbungra, hoffentlich irrtest du nicht, und du, der du nur Lagerleben und gehorchen gewöhnt bist, fandest dich frei und in diesem Bergland zurecht, und bist listenreich deinen Verfolgern entkommen, denn sonst ... schlimm wird es dann auch für uns.
Er hatte Slorbungra nicht die Waffe geben müssen, denn nach alter Trowensitte war um den Grund ihres Streites, gegeneinander gekämpft worden, Mann gegen Mann, Körper gegen Körper und ...obwohl Slorbungra jünger war, hatte er - Worgulmpf- ihn besiegt und zu Boden gedrückt.
Oh, Slorbungra, wirst du bereits gefoltert, oder dein Weib oder gar eines deiner Kinder oder deine sechs Freunde, die dir in großer Treue gefolgt sind ? Verratet ihr alle in diesem Augenblick vielleicht wo wir sind? Wer bereits die Wunderwaffe hat?
Er schaute verzweifelt nach hinten. Sie mussten ihr Versteck endlich verlassen, aus diesem Dörfchen hinaus und in ein Wäldchen kommen und jenen langen Weg nehmen hinauf und dann durch die Berge und später durch dichte Wälder und an Wiesen vorbei und an einer großen Menschenstadt mit Namen und schließlich sollte es eine der uralten Schnellstraßen entlanggehen und dann würden sie zu noch einer Stadt kommen und dann dicht am Feind an Zarakuma vorbei waren sie in Eibelstadt, wohin sie sich zuletzt wenden sollten. Doch auch wirklich sicher, so wie es der geheimnisvolle Georgo versprochen hatte?
Er war ein Verrückter, denn er hatte sich über die “Bombe”, unangemessen gefreut, die sein Sohn Gulmur von dem senizischem Tänzer “Tesderanda” geschenkt bekommen hatte, nur weil es Gulmur durch eine List gelungen war, den, vor einer furchtbaren Tracht Prügel, durch einen der lotekischen Aufseher, zu retten.
Worgulmpf sollte mit seiner Familie und den Freunden vorab zu einer Gruppe Lumantis flüchten, die unter der Erde lebte. Er wusste, dort waren sie tatsächlich vor Chiu-natras Robotern und Pajoniten in Sicherheit. Doch wie waren Lumantis? Er hatte bereits schlechte Dinge über Lumantis gehört. Sie lebten in einer strengen Kasten - Hierarchie, ähnlich der des Hajepsystems. Er wusste nur sehr wenig über sie, denn es war ja verboten Kontakte mit anderen Völkern aufzunehmen!
Sein Blick blieb nun an seinem Jüngsten haften, der die lange Flucht noch für einziges spannendes und lustiges Abenteuer hielt.
Er hatte keinerlei böse Erfahrungen weder mit Lumantis noch Loteken noch mit Hajeps gemacht. Kein Wunder, er und seine Freunde hatten ihn - von Geburt an - versteckt!
Noch streichelte der Kleine ahnungslos seinen komischen “Wrol“ der ständig fauchte und das ganze Gesichtchen strahlte dabei.
Entschlossen fletschte Worgulmpf jetzt sein gefährliches Gebiß, das sie ihm seltsamerweise gelassen hatten, und er schaute auf seine drei treuen Freunde “Bagala“ "Orgoro“ und “Djebawa“. Nein, er durfte diesmal nicht versagen und nicht zögern! Er musste alles erdenkliche tun, dass sie keinen fanden.
Doch wenn es ihnen für heute gelingen würde, wie würde es Morgen sein, wohin sich dann wenden? Von wem Hilfe dabei erwarten? Müde hob er den haarigen Arm und setzte sich in Bewegung.
Er blickte sich dabei nicht um, denn er wusste, dass er gehen konnte, wohin er wollte, sie würden ihm folgen ... bis in den Tod!

#

Der Weg war lang, nass und schlammig und am Anfang glaubte Margrit kaum, dass man solch eine gewaltige Strecke zu Fuß bewältigen könnte.
Zwar hatte das Nieseln aufgehört, aber dennoch wirkte der Himmel grau und regenschwer - besonders in der Ferne! Dort war es ziemlich finster.
Noch heute würde es ganz bestimmt ein gewaltiges Gewitter geben! Man fror in den feuchten Kleidern und der Wind war kalt.
Stunden vergingen und immer wieder stöhnte Julchen in ihrem Fahrradsitz, während sie sich die kalten Fingerchen rieb: „Mammimammi, warum sind wir denn nur nicht im Zug geblieben? Die anderen hatten es viel besser, viel, viel besser, So!“
Und Tobias sagte schon seit einem ganzen Weilchen gar nichts mehr, was zur lang ersehnten Erholung von Pauls Nerven beitrug.
Das fiel dem Jungen schließlich auf und da ihm langweilig war, kam er auf den Gedanken doch lieber weiter zu weinen, diesmal nicht wegen Munk, sondern weil alles so schrecklich war. Jedoch musste er sich hierfür erst ein wenig einschluchzen, um in die richtige Stimmung zu kommen, und so begann er zunächst in einem hellen Fistelton zu wimmern und er beobachtete dabei Paul und hörte sich selbst zu und weil der keine Notiz davon nahm, griff er sich seinen “Blaui“, nahm ihn fest in die kleine verfrorene Faust und ließ die erste Träne einfach darauf tropfen. Das war sehr apart und mal was anderes. Er hielt den Kopf schief und ließ die nächste ganz langsam erst die Nase hinab und dann auf seine Erde tropfen. Ja, ja, es regnete nun dort, es regnete Tränen! Dieser Gedanke war so furchtbar traurig, dass er darüber laut aufschluchzen musste - Ströme von Tränen ergossen sich jetzt über die Kugel, das war richtig toll, und darum heulte Tobias wie noch nie, um dabei die schimmernden Tränen zu beobachten, wie sie an der Kugel hinunterflossen und sich mit dem “echten“ Regen vermischten.
„Langsam beginne ich mir wirklich ehrliche Sorgen um den Jungen zu machen!“ hörte Tobias Paul zu Margrit hinüberflüstern und dem Kleinen wurde ganz heiß vor lauter Freude. Endlich hatte er einen Papa, einen Papa der sich Sorgen um ihn machte. Tobias wimmerte deshalb nicht mehr, er schrie und die Tränen spritzten nur so.
„ Hast du Tobias Schreie gehört?“ stieß Paul entsetzt hervor. „ Was mag mit ihm sein ?“
„Was soll schon mit ihm los sein, Paul. Der Weg ist lang und er ist müde!“
„Nein, ich sage dir der vermisst immer noch seine Katze !“
„ Es ist nicht seine, sondern Muttschs Katze. Erinnere bloß nicht Muttsch daran, denn die hat sich gerade beruhigt...“
„ Margrit, manchmal muss ich mich über dich wundern. Du hast doch Psychologie studiert, warum hilfst du nicht dem Jungen ?“
„ Die Kinder sind müde , Paul, und ihnen ist kalt.“ Margrit schob mit verdrießlicher Miene ihr Rad weiter. „ Was soll ich da machen ? Im Freien können wir nicht rasten. Willst du hier irgendwo klingeln, damit man uns eine Herberge gibt? Das wird doch wohl kaum einer für uns umsonst tun !“
Aber Paul war nicht mehr bei ihr, sondern lief neben Tobias her, der in großem Abstand hinter Margrit drein trottete.
„ Tobias !“ sagte er besorgt. „ Willst du nicht mal mit dem Weinen aufhören ?“
Der Junge schmunzelte ganz kurz, riss aber sofort wieder die Mundwinkel herunter und schüttelte ziemlich wild den Kopf.
So begann Paul von neuem : Sieh mal, auch wenn der Munk eine ganz tolle Katze gewesen ist, so ...“
„ Das war der Munk nicht nur, dass ist er immer noch !“ krächzte Muttchen aufgeregt von hinten.
„ Muttsch, mit dir rede ich gerade nicht ...“ Paul hielt den Kopf gesenkt, denn er blickte prüfend umher, weil er nicht in die unzähligen kleinen Pfützen und Schlammlöcher hineintrampeln wollte, die wohl noch vom gestrigen Regen herrührten.
„ Weiß ich doch ...“ sagte Muttchen mit rotgeweinter Nase und schaute auf den leeren Korb, in dem einst Munk das beste Katerchen der Welt gesessen hatte. Aber ich rede mit dir !“
Margrit runzelte stumm und finster die Stirn, während sie das Rad mühselig weiter durch Schlamm und Gestein schob.
Da Tobias doch ein bisschen mit dem Weinen aufgehört hatte und Muttsch noch nicht wieder am Weinen war, glitt Paul schnellstens zu einem anderen Thema hinüber.„ Wir sollten nicht über Munk nachgrübeln, sondern eher uns davor hüten, dass uns dieser George begegnet!“ gemahnte er.
“ Is der denn auch hier ?“ fragte Tobias, wischte den „ Blaui “ trocken und ließ ihn wieder in seiner Hosentasche verschwinden.
Paul nickte.
„ George is ein Hajep, stümms ?“
„ Ich nehme es stark an , Tobias !“
Der Kleine gab sich einen Ruck und stapfte tapfer weiter vorwärts.“ Ich kann diesen Hajep auch nich leiden !“
„ Ich schon !“ krächzte Muttchen von hinten. „ Er hat so ein unschuldiges Gesicht.“ Aber auch sie nahm plötzlich eine mutigere Haltung an, lief zügiger vorwärts und rief Paul zu :“ Dennoch soll er uns nicht bekommen, pah !“
„ Paul,“ sagte Margrit mit großer Anerkennung in der Stimme, als er wieder neben ihr war.“ Manchmal wächst du wirklich über dich hinaus. Wie du das wieder hingekriegt hast mit dieser kleinen Notlüge ...“ Sie hielt schnaufend inne.
„ Notlüge ?“ wiederholte er verdutzt.
Sie lachte.“ Na, nun tu` mal nicht so unschuldig ! Diesmal kannst du mich nicht anschmieren !“
„ Aber Margrit, weshalb sollte ich dich denn anschmieren wollen ...?“
„ Komm, komm, Paul,“ ächzte sie, während sie das Rad weiterschob, „ woher willst du denn wissen, das George auch hier ist, he ? Hast du ihn denn vorhin mit uns aussteigen sehn ? Das hast du genauso wenig , wie ich ! “
„ Margrit, diese merkwürdige Frau Weller hatte es mir vorhin verraten ...“
„ Was ?“ Margrits Augen hinter der schlammverkrusteten Brille weiteten sich.
„ Er besitzt das letzte Rad, die Alte hat ihm das Beste gegeben!“ erklärte er ebenso keuchend, wie sie und stellte- wie schon so oft – die Koffer ab.
Auch Margrit blieb wieder stehen. “Jetzt mal im Ernst, du glaubst doch nicht wirklich, dass er ein Hajep ist?“
„Ja, ganz recht, das glaube ich!“ Er massierte sich stöhnend die schmerzende Schulter. Dann ergriff er erneut die Henkel, hob seufzend das Gepäck an und lief weiter.
„Ich hätte nie gedacht, dass gerade du, eines Tages so verspinnert sein kannst !“ Sie kam ihm hinterher.“ Aber das ist nichts Besonderes! Immer mehr Menschen leiden langsam unter Verfolgungswahn! Und das ist ja auch der Sinn und Zweck des merkwürdigen Verhaltens dieser Hajeps! “ Sie lachte verbittert.„Entsinnst du dich, wie sie damals die merkwürdigsten Gerüchte unter uns Menschen in Umlauf gebracht haben? Eines davon war, dass die Hajeps mit geradezu teuflischer Intelligenz behaftet sind. Die Folge : Es entstand unter den Völkern eine gespenstisch anmutende Hatz auf alles, was mehr oder weniger intelligent war, denn der Hajep - inzwischen schon als Chamäleon bekannt - konnte ja in jedem von uns stecken. Besser konnte es “Scolo ” ja, gar nicht haben, denn die Menschen reduzierten sich gegenseitig! Es hat lange gedauert, bis die Leute das begriffen! Und heute gilt plötzlich, dass nur der, wer übermenschlich groß ist, unbedingt Hajep sein muss! Dieser George ist groß, na und? Er ist groß und stark! Denn auch die Starken sollen ja verdächtig sein! Kapierst du, worum es hier geht? Groß, stark, intelligent! Genau diese Sorte Mensch könnten ja die Hajeps an ihrem Vernichtungswahn hindern. Und du willst “Scolo“ wohl behilflich sein, Paul, was?“
„Nein, Pasua! ” sagte er kleinlaut und grinste schief.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.12.2004, 14:38   #10
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 10

Kapitel 3

Als es hügelaufwärts ging, stellte Paul nach kurzer Zeit wieder die zwei Koffer ab, rieb sich die schmerzenden Finger und sah dabei zu Boden.
„Ich will nur, dass wir diesen George meiden, Margrit!" begann er von neuem. „Verstehst du? Wir brauchen ihm ja nicht unbedingt in die Arme zu rennen ! "
Margrit hatte ebenfalls erschöpft angehalten und überlegte nun, ob sie wenigstens Tobias hinten vom Fahrradsitz nehmen sollte, damit es leichter gelang, den Hügel zu bewältigen.
War es nur Einbildung oder vernahmen sie in diesem Moment tatsächlich das Quietschen schlecht geölter Fahrradpedalen hinter sich? Erschrocken fuhren die Köpfe herum. Ein feuerrotes, recht gut erhaltenes Rad blinkte ihnen entgegen und hielt schließlich vor der verblüfften kleinen Schar.
„Oh, hallo!“ entfuhr es der dunklen Gestalt verlegen, die auf dem bequemen, sehr hoch gestellten Sitz tronte. Dennoch wirkte das Rad für die langen Beine etwas zu niedrig.
Als niemand antwortete, fragte der jugendliche Riese : „Ist irgend etwas Besonderes mit mir? Warum starren Sie mich so an?“ Er blickte suchend an sich selbst hinauf und hinunter. „Oder ist etwas Komisches an dem Rad ?“ Auch das musterte er nun kritisch. „Ah, jetzt begreif` ich`s !“ Er lachte amüsiert. „Bin wohl zu groß für das Rädchen, gelle ?“
Margrit war die erste, die sich wieder fing. „Hallo, George!“ begann sie freundlich. „Sie sind ja noch so jung! Ich darf Sie doch bei ihrem Vornamen nennen?“
Er nickte breit grinsend. Paul hingegen warf seiner Margrit deshalb einen verständnislosen Blick zu.
„Nichts ist an Ihnen komisch!” plauderte sie weiter. „Dass Sie ein bisschen größer sind als das Rad, stört uns gar nicht. Wir staunen nur, dass wir Sie ausgerechnet hier...“
„Da bist ja schon wieder du-hu!“ unterbrach Julchen Margrit. „ Du... du bist auch vorhin ausgestiegen aus dem Zug, stümms ? Wir sind auch vorhin ausgestiegen aus dem Zug und der Munk, der is ganz vorher ausgestiegen aus dem Zug, aber die Oma, die is...“
„ Julchen!“ unterbrach Margrit ihren Wortschwall.
„Ich mag den nich”, murrte Tobias leise und seine Hand suchte nach dem ‚Blaui’ tief in seiner Tasche.
„Und...und...und... dass du gleich hinter uns bist!" Julchen konnte sich anscheinend nicht mehr einfangen, denn ihr ganzes Körperchen zuckte vorne auf dem Fahrradsitz.
„Ich weiß gar nicht, was ihr habt !” wisperte hingegen Muttchen direkt hinter Margrit. „Der hat doch ein recht nettes Gesicht, der Hajep. Ob ich ihm wohl meinen Schal...“
„Untersteh dich, Muttsch!“
Margrit nahm Tobias mit einem Arm herunter, der strampelnd dagegen protestierte, doch sie stellte ihn einfach auf die Erde. Wütend stampfte er nun mit dem Fuß auf.
„Wie haben Sie es nur gebracht, so still und heimlich aus dem Zug zu steigen, ohne von uns dabei erwischt werden ?“ fragte sie.
„Och, Sie waren vorhin so beschäftigt mit ihrer Karte”, meinte George, „da wollte ich nicht stören!“
„Sie hätten nicht mehr gestört als bisher!“ zischte Paul.
„Paul!“ rief Margrit entsetzt und errötete.
Doch der junge Mann hatte auch das gehört. „Oh, das habe ich nicht gewusst!“ erwiderte er, und mehr schien er dazu auch nicht sagen zu wollen.
Dies überraschte die kleine Familie tatsächlich ein wenig, und Paul überkam die unangenehme Gewissheit, dass sie den nervigen Kerl wohl nicht sobald wieder los werden würden.


°

Munk machte einen Buckel, gähnte und streckte sich. Nun war es ihm doch noch geglückt, ganz kurz einzudämmern.
In der Ferne hörte er wieder das Summen der großen Glitzervögel. Es wurde lauter, also kamen die nun auch hierher. Während er das Fell sorgsam ordnete, stellte er fest, dass er hungrig geworden war. Frauchen gab ihm um diese Zeit manchmal Zermatschtes. Das war zwar nicht sonderlich lecker aber bequem. Würden ihm diese Zweibeiner hier bald dergleichen durch die Gitterstäbe schieben?
Er schaute sich um - nichts geschah. Obschon seine Nase nicht mehr die allerbeste war, konnte er in diesem Heuschober, in dem er mit den merkwürdigen Fellpfotlern Unterschlupf gefunden hatte, nicht nur den Geruch von Korn und feinen Gräsern ausmachen, sondern auch den leckerer, kleiner langschwänziger Quietschdinger.
Hmmmm, hier gab es also viele davon und zwar in allernächster Nähe. Er schob seinen kräftigen Riecher zwischen die Stäbe, doch dann wurde er ärgerlich. Was dachten diese Stinketypen sich eigentlich? Die lagen jetzt alle mehr oder weniger laut schnarchend im Heu herum, obwohl jetzt das Nickerchen gar nicht mehr dran war! Jetzt war Jagen dran, sein Magen bewies ihm das deutlich! Aber die brachten ja grundsätzlich alles durcheinander, ach, ach, ach, er kannte das ja.
Munk hörte, dass die Glitzervögel nun ihre Kreise über diesem Städtchen zogen. Erst ein Rauschen über den Dächern, dann das Landen kleinerer ‚Flugdinger’ und schließlich leise Befehle und das Knirschen von Kies, verursacht von vielen Stiefeln. Dann ein kaum hörbares Rufen fremdartig klingender Kehlen und dann... kam alles näher. Es war lebendig. Munks Ohren waren zwar etwas altersschwach, konnten aber trotzdem sehr gut Technik-Stimmen von den Lebendig-Stimmen unterscheiden.
Er fuhr zusammen, denn plötzlich erfolgten Tritte nebenan, und zwar gegen die Tür des Hauses, zu dem wohl dieser Heuschober gehörte. Eine ängstliche Frauenstimme war in diesem Hause zu hören und dann die eines Mannes. Sie fragten wohl den, welcher getreten hatte, nach irgendetwas.
Der kleine Stinkejunge, der neben Munk lag und zwar dicht an dessen Käfig gekuschelt, fuhr deshalb schwankend aus dem Schlaf hoch und mit ihm gleich seine Kameraden. Einer von ihnen trug eine Kette um den Hals und daran ein etwa katzenpfotengroßes Medaillon. Er drückte mit dem Daumen auf eines der Plättchen, die darin hell erleuchtet waren. Ein feiner, sehr heller Ton erklang, den nur Munks Tierohren wahrnehmen konnten und wieder kroch Nebel von allen Seiten herbei. Munk verstand nicht. Warum fabrizierten diese Stinkewesen immer wieder diese ekelhafte Feuchtigkeit?
Mit angehaltenen Atem horchten nun die komischen Zweipfotler im Schuppen auf das, was von draußen zu ihnen hereindrang. Zuerst wurde für ein Weilchen im Befehlston irgendetwas herum geschrieen, wogegen der Mann aus dem Nebenhaus wohl protestierte. Dann hörte man die Tür vom Nebenhaus plötzlich nieder krachen.
Munk fand das heisere Gebrüll und die vielen jagenden Schritte darin nicht besonders schlimm, obwohl sie irgendwie aggressiv klangen.
Doch leider entspannte es ihn nicht, denn die Stinketypen von hier drinnen kamen nun erst richtig in Fahrt. Sie platzierten sich nämlich jeder an irgendwelchen Ecken im Schober. Nur, weil im Nebenhaus noch mehr Krach gemacht wurde, der denen wohl mächtig Spaß zu bereiten schien. Denn ein weiblicher Zweipfotler kreischte jetzt dazu und nun knallte es richtig laut.
Munk verstand nicht, dass man hier drinnen darüber nervös werden konnte, denn ihn hatte solch ein bisschen Lärm noch nie gestört. Er war ja auch von Kindesbeinen an daran gewöhnt. Außerdem hatte ihm das bisher nie geschadet.
Er schnurrte darum etwas eindringlicher, doch seine Barthaare vibrierten, da jetzt ein heftiges Schimpfen zu hören war und wenig später überall Lärm in den Straßen des kleinen Städtchens erscholl. Schließlich wurde es ruhig. Der weibliche Zweibeiner, der vorhin am lautesten gewesen war, wimmerte jetzt nur leise.
Munk hörte - wenn auch ungern - mit dem Schnurren auf, da jetzt flinke Schritte zu hören waren, die näher kamen. Jemand lief weg, Richtung Schuppen! Und dann zuckte Munk wieder zusammen, weil es an der Türe rumpelte, da dieser jemand wohl zu ihnen hinein und die Tür aufreißen wollte.
Die Stinkewesen hielten aber von der anderen Seite her die Türe zu und flüsterten aufgeregt miteinander. Einer von ihnen hatte dabei etwas Unförmiges zwischen den Krallen und visierte damit die Türe an. Doch es prasselte abermals dort draußen und diejenige, welche eben noch hinein gewollt hatte, schrie laut und klar, aber dann verwandelte sich ihr Ton in eine komisches verzerrtes Ächzen. Sie warf sich noch ein letztes Mal gegen die Tür und rutschte dann an dieser langsam herunter. Sie krachte dabei - wohl mit dem Kopf - auf die Türschwelle des Heuschobers.
Nicht nur Munk roch jetzt Blut, auch die Fellwesen. Sie zitterten, als ziemlich schnell von unten durch die Türritze hindurch, eine tiefrote Lache zu ihnen durch sickerte.
Einige von ihnen schlichen nun rastlos durch den Schober, wechselten immer wieder ihre Positionen.
Munk war empört, hatten sie ihn etwa vergessen? Er konnte ja aus diesem Käfig nicht hinaus! Wie war er erleichtert, als er fühlte, wie er plötzlich doch noch hochgehoben wurde, auch wenn er dadurch fast auf die Schnauze fiel. Es war das Fellkind gewesen, das seinen Käfig ziemlich hektisch angehoben hatte und nun mit sich schleppte.
Munk hasste zwar Hektik, doch das Kind versteckte sich mit ihm sehr geschickt in einer Ecke des Schobers, hinter einem der mehr als drei Heuballen.
Munk horchte auf und blinzelte durch den dummen, bunt flirrenden Nebel, den sie andauernd um sich hatten. Nur noch der Stärkste der Felltypen wartete, dabei immer noch irgendetwas Komisches in den Händen haltend, gemeinsam mit einem Freund an der Tür.
Worauf wartete der ? Draußen war es inzwischen noch lauter geworden. Die fremdartigen Zweipfotler dort schienen wohl noch mehr Spaß zu haben. Munks feine Ohren vernahmen nicht nur wütendes Gebrüll, schrille Schreie und dazwischen immer wieder dieses Knallen, Zischeln und Rattern, sondern auch das Gezwitscher vieler kleiner Technik-Stimmchen und - das allerdings viel später - ein schleifendes Geräusch hinter der Tür, das sich langsam entfernte.


#


„Psst... hört ihr den Lärm aus der Ferne ?” fragte Margrit indes.
Alles nickte.
„In und um Hornberg scheint irgendetwas los zu sein ?” meinte auch Paul.
„Hört sich an wie bei einer Schlägerei !” krächzte Muttchen besorgt.
„Oh, Kacke!“
„Tobias!”
„Da hau`n sich`n paar, stümms ?” hakte Tobias trotzdem nach.
„Ach, ich mag keine Haue!” erklärte Julchen und strampelte in ihrem Kindersitz.
„Das ist hoffentlich nicht mehr als eine Keilerei!” mischte sich George ein, der schon die ganze Zeit sorgenvoll über die breite Schulter zurück geblickt hatte.
„Was könnte da bloß los sein ?” keuchte Muttchen atemlos. „Hört sich ja furchtbar an!”
„Stümmt.” Tobias krauste die Stirn und ließ den Blaui in seiner Hosentasche verschwinden.
„Wie dem auch sei, mein werter George, sie dürfen an uns vorbei !" krächzte Paul einigermaßen höflich und machte für den jungen Hünen Platz.
Doch dieser rührte sich nicht von der Stelle.
„Ja, du kannst in echt vor!” bekräftigte auch Tobias.
„Nicht nötig “, erwiderte der Riese bescheiden.
„Ich finde doch“, beharrte Paul etwas energischer, “denn diese Straße ist zum Teil stark beschädigt. Das ist nicht gut für Fahrräder. Sie brauchen viel Platz und dürfen daher vor uns nach oben!“
Paul grinste ihm ziemlich aggressiv zu und der wieder überaus freundlich zurück.
„ Ach, ich habe gar nicht gerne Leute im Rücken !“ gab George fast scheu zur Antwort und machte keinerlei Anstalten zu gehorchen.
Paul verzog nun sein Gesicht in offener Feindseligkeit.
„Wir haben aber auch nicht gerne welche hinter uns!“
„Wie wir uns ähneln!“ entfuhr es dem jungen Mann begeistert. „Ich finde Leute, die sooo seelenverwandt sind, sollten zusammenhalten!“
Margrit musste plötzlich kichern. „Ach, lass` ihn doch, Paul! He, Tobias, wirst du deiner Mama beim Hochschieben helfen ?”
Der Kleine nickte nachdenklich. „Aber Jule muss auch vom Rad“, setzte er ziemlich eifersüchtig hinzu.
„In Ordnung“, stimmte Margrit ihm zu.
„Nein, ich will nicht!” Die Kleine strampelte, kaum dass Margrit sie gepackt hatte. „Ich bin doch sooo müde!”
„Aber du musst!” beharrte Tobias hämisch grinsend.
Margrit wisperte ihr etwas ins Ohr und schon war das Mädchen hinunter. Nun begannen alle drei das Rad weiter aufwärts zu schieben.
„Wenn George unbedingt will“, erklärte Margrit wieder an Paul gewandt, „soll er doch mit uns kommen!”
Paul sagte daraufhin nichts mehr, ergriff die Koffer und lief einige Schritte hoch. Dann blieb er wieder stehen, entfaltete seine Karte, jedoch so geschickt, dass der Hüne, falls er von hinten kommen würde, kaum mit hineinschauen konnte. Er verglich prüfenden Blickes die gesamte Umgebung.
„Donnerwetter, da unten ist es ja noch lauter geworden!” quiekte Muttchen entsetzt.
„Geht das uns etwas an ?” murrte Paul.
„He, ich glaube da wird sogar geschossen ?” rief Margrit entgeistert und schaute blinzelnd hinunter.
„Ohne Sch... also in echt jetzt ?”
„Ganz in echt, Tobias!”
„Oh, ich mag nicht schießen !” schimpfte Julchen
„M... meint ihr wirklich ?” keuchte Muttchen und hetzte gleich etwas schneller den Hügel hinauf. „Ich denke doch, hier sind wir sicher?”
„Hier sind wir jedenfalls richtig“, bemerkte Paul knapp und die Karte verschwand wieder im Inneren seiner Weste.
„Wohin wollen Sie denn ?” fragte George, der sich immer noch an gleicher Stelle befand, wo er gehalten hatte.
War dieser Kerl etwa völlig blöd oder aus unerfindlichen Gründen einfach nur zäh?
„Das hat Sie nicht zu interessieren! Haben wir uns verstanden?!” Pauls dunkle Augen blitzten zu ihm hinunter.
„Paul!” Margrit schaute sich nach ihm kopfschüttelnd um. „Lass uns doch ruhig alle zusammen nach oben gehen. Hier gibt es so wenig Möglichkeiten, gut zu übernachten. Gewiss wird es kalt und er hat keine warmen Sachen dabei. ”
„Ihr solltet auf diese kluge Frau hören! Helft mir, dann werde auch ich euch helfen!” sagte der Riese, der sich nun endlich in Gang gesetzt hatte. Er schob dabei ziemlich elegant das Rad neben sich her. „Ich kenne mich hier nämlich recht gut aus!”
Paul wollte dem etwas entgegensetzen, zog dann aber den Kopf zwischen die Schultern ein. Der kannte sich hier also auch noch aus. Verdammt! Und irgendwie hatte er langsam keine Kraft mehr, sich ständig zu streiten.
„Du... du kennst hier alles ?” fragte jetzt Julchen, blieb stehen und zog dabei einen Faden aus ihrem Ärmel. „Ich kenne auch was hier. Die Mama und den Tobias und...“
„Hören sie, werter George oder wer sie auch immer sind“, fiel Paul der Kleinen nun doch ins Wort, „wir kommen sehr gut ohne Sie klar ! “ Er hauchte kurz über seine wehen Hände, ergriff sich die Koffer und stapfte weiter.
„Stümmt“, bestätigte Tobias und half wieder seiner Mama, das Rad etwas schneller nach oben zu schieben.
„Und wenn sie sich nun doch verlaufen ? ” zwitscherte ihnen der Riese trotzdem hinterher. „Vielleicht wollen wir ja alle zu demselben Ort.“ Er lenkte das Rad zur Seite, da ein Stein im Weg lag. „Denn viele gibt es hier eigentlich nicht, die für Menschen einigermaßen interessant wären.“
Das Rad quietschte dabei ganz besonders laut, aber man konnte ihn dennoch verstehen.
„Menschen sollten zusammenhalten, besonders in diesen grässlichen Zeiten!“
Paul schüttelte sich und Tobias warf ihm nicht nur einen verständnisvollen Blick zu.
„Der is ein ganz bepisstes Arschgesicht, stümms?“ flüsterte er hinter vorgehaltener Hand zu Paul hinüber.
„Stimmt, Tobias!“ Paul lachte ziemlich wild in sich hinein.
„Ist ihnen kalt ? " erkundigte sich die riesige, dunkle Gestalt, die nur sah, wie Pauls Oberkörper dabei bebte.
„Ja, so ein bisschen!“ murrte Paul. Himmel, wie wurde man den nur wieder los?
„Antworte diesem Penner doch einfach nicht!” wisperte Tobias. „Du bist viel zu nett zu dem Scheißer!” Und er schob nun das Rad so schnell, dass Julchen kaum noch mithalten konnte.
„Tobias!” fauchte Margrit. „Und misch` dich nicht immer ein!”
„Aber der mischt doch auch immer mit, stümms ?” verteidigte Julchen ihren Bruder und hielt an, sodass auch Margrit bremsen musste.
„Stümmt“, bestätigte Tobias mit gefurchter Stirn. „Los, Jule, wir rennen! “
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Alt 26.12.2004, 14:46   #11
Doska
 
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Munk war inzwischen sehr ernst geworden, die Schnurrhaare hingen ihm zu beiden Seiten herunter. Was eben alles passiert war! Er musste sich setzen und das viele erst einmal verarbeiten.
In der Zeit, als es besonders laut draußen im ganzen Städtchen gewesen war, hatte Munks Fellkind ein etwa handgroßes Loch in der morschen Holzwand des Heuschobers hinter sich entdecken können. Der stärkste der Stinketypen hatte daraufhin zu Munks Überraschung - und zwar immer dann, wenn es draußen so richtig doll ratterte und rumorte - mit seiner Pranke ein so großes Loch in die Rückwand des Schobers gebrochen, dass sie alle wenig später durch dieses hindurch ins Freie schlüpfen konnten.
Der Heuschober stand in der Nähe eines kleinen Wäldchens, worin sich die kraushaarigen Felltypen mitsamt Munk dann verdünnisiert hatten und dort, wieder vom Gestrüpp verdeckt und von dem komischen Farbnebel umhüllt, weitergeschlichen waren.
Dabei mochte das Fellkind dann vor lauter Müdigkeit gestolpert sein - war ja klar, Zweipfotler wussten nie, wann es Zeit war Nickerchen zu halten - und dabei so heftig gegen den Käfig gekracht, dass sich dessen Drahtgestell von dem Boden gelöst hatte.
Munk hatte diese Situation geistesgegenwärtig genutzt und war ohne langes Nachdenken einfach davon gezischt, noch ehe ihn die stinkigen Arme hatten packen können, und das Kind hatte darüber so schrecklich geweint, dass ihm einer der Felltypen den Mund zuhalten musste. Und nun?
Nun saß Munk inmitten einer kleinen Wiese hinter einem Hügel, starrte skeptisch auf dieses Loch und spreizte - wohl nun schon zum dritten Mal - die Schnurrhaare.
War das nun ein Loch, welches leckere, langschwänzige Quietschebällchen mühsam gebaut hatten oder?
Es durfte nämlich keines der größeren Quietschlinge, die zum Beispiel auch in Kanalrohren ihr Dasein fristeten, sein, denn die waren gefährlich, weil sie so angriffslustig waren und auch Krankheiten verbreiteten. Das wusste er noch von seiner Mutter.
In der Ferne hörte er jetzt ein Grollen. Wahrscheinlich zog ein Gewitter auf.
Hach, wer wusste denn schon, ob diese großen Quietscher wirklich so ungenießbar waren? Seine Schnurrhaare waren jetzt steil erhoben. Er hatte großen Hunger und weit und breit war kein Winzloch zu sehen!
Das Rumpeln nahm in der Ferne zu. Aber das störte ihn nicht. Stattdessen duckte er sich und legte sich im hohen Grase auf die Lauer.
Aus der Ferne rumpelte es jetzt noch doller. Aber er nahm das kaum noch wahr.
Keines seiner Schurrhaare zuckte, er war fest entschlossen sofort auf die nächstbeste Ratte zu springen, sobald sich die nur zeigte !


#


„Da sie nach Reichenberg wollen oder zumindest in die Nähe von Würzburg, begann indes der Hüne ein wenig zu hastig, „haben wir denselben Weg! Wir können also tagelang zusammenbleiben, was recht günstig ist!“
Auch noch tagelang, Peng! Paul fuhr zusammen. Wenn dieser Halunke ein Hajep war, konnte das tatsächlich recht günstig für ihn sein. Darin war ihm wirklich nicht zu widersprechen! Paul pustete nochmals in die Hände, bewegte die geschwollenen Finger, dann drückte er vorsichtig das Kreuz durch. Oh, tat das weh! Die Länge hatte wirklich die Last! Er räusperte sich.
„Nun“, brummte er mit möglichst ruhiger Stimme, „wie ich schon sagte, ich halte es doch für besser, wenn jeder seiner eigenen Wege geht. Wir haben vor, einen besonderen zu laufen, den wir - entschuldigen Sie - ihnen nicht unbedingt verraten wollen. Außerdem ist es wegen der Hajeps nicht gerade klug, größere Gruppen zu bilden. Was Sie ja, wo Sie sich so intensiv mit außerirdischem Gesumse beschäftigen, gewiss schon lange wissen.“
Er gab sich einen Ruck, bückte sich und hob erneut die schweren Koffer an, ohne dem jungen Mann auch nur einen weitern Blick zu schenken.
George sah zu Boden, während er sein Rad weiterschob. Es quietschte dabei leise aber ausdauernd. Der Körperhaltung des unheimlichen Fremden war anzumerken, dass ihm diese Antwort überhaupt nicht zu behagen schien. Als er aufschaute, ruhten seine grünen Augen für ein Weilchen auf Margrit.
Tobias, der das bemerkte, stieß jetzt mit seinen kleinen Händen Margrits Rad so schnell vorwärts, dass Julchen, die ja mit festhielt, hinschlug.
„Tobias!” schimpfte Margrit. „Jetzt reicht`s aber!“ Sie nahm das schluchzende Mädchen auf den Arm.
Doch Tobias zeigte keine Reue, sondern warf nur einen wütenden Blick auf den Kerl hinter sich, so als würde der Schuld dafür tragen.
In diesem Augenblick ertönte plötzlich ein unheimliches Donnern aus der Ferne.
„Still!“ keuchte Margrit mit angehaltenem Atem. „Hört Ihr nicht auch dieses Rumpeln? Ich glaube von unten zieht ein Gewitter herauf.”
„Aber... es kommt schon wieder von Hornberg?"quiekte Muttchen ängstlich und sah den Weg hinunter.
„Ohne Sch...?” Tobias Tränen waren schlagartig versiegt.
„Ich... ich mag kein Rumpeln!” Julchen schnäuzte sich in den Ärmel.
„Was für ein Rumpeln?“ platzte die Stimme des unheimlichen Hünen dazwischen. Er war ebenfalls stehen geblieben.
„Ach, das geht Sie gar nichts an !” fauchte Paul zu ihm hinauf.
„Verfickte Scheiße!“
„Tobias!“
„I... ich höre es jetzt nämlich auch!“ zischelte Tobias.
„Auweiiiiaaah!“ Über Julchens Wange kroch schon wieder eine Träne, denn das Getöse hatte sich augenblicklich verstärkt. Das Tal erbebte und plötzlich auch der ganze Weg, den sie empor gelaufen waren. Und nun erscholl ein ohrenbetäubenden Knall. Dieser brach sich an den Hängen des Gebirges, vor dem sie sich befanden.
Der kleine Trupp, war nicht nur augenblicklich wie betäubt, sondern auch wie gelähmt.
Schließlich wurde es ruhiger, polterte nur noch ein wenig und dann war Stille.
„Seht ihr dort hinten ?” wisperte Margrit als erste entsetzt.
„Auweeiiiiaaah! “ schluchzte Julchen schon wieder.
„Kacke, Kacke, echte Kacke, Hornberg brennt!” kreischte Tobias.
„Oh Gott, oh Gott, überall Feuer ! ” stöhnte Muttchen.
„Welche Flammen ... gewaltig! “ stellte auch der Hüne entgeistert fest.
„Da haben wir die Bescherung!” ächzte Paul. „Unsere außerirdischen Eroberer sind also doch hier! Und wer hat euch das schon immer gesagt, wer?”
„Du, Paul. Aber ich kann es immer noch nicht fassen!“ Muttchen schüttelte ungläubig den Kopf. „Sie haben das gesamte Städtchen - wutsch - mit einem Male einfach nur so in die Luft gesprengt!”
„Die... diese gemeinen Ärsche!” schluchzte Tobias. „Die haben Hornberg so richtig in die Kacke geritten!”
„Tob...“, setzte Margrit an, brach dann aber ab. „Du hast ja Recht!”
„Oh, ich hasse P...pinnen !” wimmerte Julchen.
„Kreuzspinnen!” verbesserte Tobias sie und zog den Schnodder in die Nase hoch.
„Oh, mein Gott“, jammerte Muttchen, „was für eine Gewalt, was für ein Verbrechen, was für ein Knall! Mir klingen noch immer die Ohren!”
„Da oben!” rief der junge Hüne und hob den Zeigefinger. „Und da! Und dort! Und da hinten! Seht ihr die vielen kleinen Gleiter? Als ob es ein Schwarm Fliegen wäre!“
Er schwang sich über das Rad, stützte es mit den Beinen und ließ den Rucksack in höchster Eile von der Schulter gleiten. „Sie suchen bestimmt ihre Mutterschiffe!” Fieberhaft wühlte er in seinem Sack, holte das Fernrohr hervor und schon hatte er es vor den Augen. „Und es sind tatsächlich diesmal Loteken gewesen!”
„Diesmal?” kreischte Muttchen. „Wollen Sie damit sagen, die machen hier so etwas öfter?”
„Natürlich will er das damit sagen!“ knurrte Paul. „Schließlich weiß der Lümmel Bescheid!”
„Du meine Güte“, ächzte Muttchen. „Was ist denn das? Das Feuer fabriziert ja eine Unmenge Rauch! “
„Tatsächlich“, keuchte Margrit, „das wird ja eine geradezu unglaublich große Wolke ?”
„Wolke ?” wiederholte der George verdutzt und kneistete immer noch sehr aufgeregt durch sein seltsames Fernrohr. „Tatsache! Aber sie scheint mir irgendwie lebendig zu sein.”
„Lebendig ?” wiederholte Margrit skeptisch.
„Tun Sie nicht so erstaunt!” knurrte Paul. „Sie wissen doch im Grunde ganz genau, was hier passiert!”
„Huhu - huuuuh! Ich mag nicht lebendige Wolken!” schluchzte Julchen los.
Noch immer kreisten einige Gleiter am Himmel, direkt über jener großen, grauen Wolke, die vom Tal her inmitten beschaulicher Wälder fett und wulstig empor kroch, und sich ausbreitete wie ein stetig wachsendender, unheimlicher Flaschengeist.
Erst lief die Familie deshalb schneller und schaute sich nur ab und zu um, doch dann musste sie erkennen, dass alles, was hinter ihnen lag, inzwischen vollständig in Nebel versunken war. Man konnte die Straße, welche hinaufführte, überhaupt nicht mehr sehen, stattdessen befand sich dort eine graue Wand, in der nur verschwommene zuckende Lichtpunkte andeuteten, dass wohl einige Häuser von Hornberg noch immer brannten. Und der dunstige Schleier arbeitete sich vorwärts, schien schneller zu werden als die kleine Meute, die ihm zu entkommen suchte, denn man konnte ihn bereits riechen. Es war ein eigenartig süßlich-chemischer Geruch, der in der Luft lag, und Tobias war der Erste, der deshalb niesen musste.
„Verfickte Kacke, was ist das, Mams ?” fragte er.
„Das ist Giftgas, stümms!” krächzte Julchen kreidebleich. „Oh, ich mag kein Giftgas!“
„Ach Unsinn, Jule, das ist nur Rauch!” Margrit ließ das graue Gespinst jedoch nicht aus den Augen, welches sich über den Erdboden wand, als wäre es tatsächlich etwas Lebendiges, das nach ihren Füßen zu haschen suchte.
„Der ist nicht lebendig ?”
„Quatsch!”
Trotzdem liefen jetzt alle drei wesentlich schneller. Paul kam wegen der beiden Koffer nicht so gut voran, was wiederum Muttchen etwas tröstete, die es ein wenig ängstigte, dass sie so langsam war. Der junge Riese hingegen, der Margrit ziemlich hurtig hinterher gelaufen war, hielt plötzlich an. Nebel kringelte sich dabei nicht nur um die beiden Reifen seines Rades und suchte die Speichen ab, sondern auch um seine langen Hosenbeine bis hinauf zu den Knien.
George schüttelte darüber nur den Kopf und blickte wieder zurück durch sein komisches Fernrohr.
Paul stiefelte, ebenfalls von waberndem Dunst umkreist, zu ihm empor. Muttchen folgte ihm leise schnaufend, dabei immer wieder über die Schulter zurückblickend. Ihr stand der Nebel fast bis zum Hals.
„Und was sehen Sie ?” fauchte er verdrießlich, weil er sich ärgerte, dass er nun von diesem Angeber abhängig war.
„Ein lotekisches Trestin.”
„Ein Kampfflugzeug?” Paul stellte die Koffer ab und rieb sich die schmerzenden Finger, um welche sich ganz allmählich hauchfeiner Nebel schlang. „Und ich“, er nieste kurz, „bemerke nur Staub. Wohin fliegt es ?”
„So wie es im Moment ausschaut, nehme ich an, Richtung Askonit...”
Muttchen war etwas langsamer geworden und hatte erst jetzt die beiden erreicht. Der Nebel kroch ihr dick und fett hinterher, wie eine vollgefressene Schlange. „Also nicht hierher?” fragte sie und konnte nicht verhindern, dass ihr dabei das Kinn zitterte.
„Richtig!” Der Bursche nickte. „Doch wirkt es ein wenig ziellos...”
„Askonit? Wer hat mir denn neulich davon erzählt ? Klar, die Frau mit dem Spitz!”
„Und was hilft dir das?” bemerkte Margrit von oben.
„Na, hör mal, Askonit, Zarakuma... das sind doch alles Wohngebiete unserer lieben Außerirdischen! Jetzt weiß ich zumindest, dass es wohl doch besser gewesen wäre, in Berlin zu bleiben!” Er schlug mit einer hilflosen Geste nach den Nebelschwaden. „Aber meine liebe, gute Margrit wollte ja unbedingt hierher! Dabei sind die Hajeps längst auch hier!“
„Loteken sind doch Hajeps, oder wieder nur so ein komisches Sklavenvolk ?” wandte er sich an George.
„Es ist eine Gruppe Hajeps, die sich von den übrigen Hajeps abgespalten hat und sich deshalb Loteken - Freie - nennt!“ erwiderte der Bursche. „ Ha, da ist ja noch ein zweites Mutterschiff! Hier ist im Übrigen hajeptisches Gebiet. Sie haben die Gebiete nämlich aufgeteilt, um Streit zu vermeiden!”
„Dann scheinen sie sich wohl gegenseitig nicht besonders grün zu sein“, feixte Paul. „Sowas hab´ ich ja noch nie gehört! Komm Muttsch! Wir müssen weiter!“ Paul ergriff sich die Koffer. „Die Wolke da hinten wird nämlich immer dicker und dieser Teil sollte uns besser nicht einholen!”
Muttchen gehorchte und trottete ihm hinterher, an George vorbei. „Und was macht nun dieses Tres...äh...Trestine ?” wollte sie trotzdem noch ganz schnell wissen.
„Eine weitere Runde. Ich vermute, dass sich noch nicht sämtliche Gleiter versammelt haben und dass es deshalb hier wartet!”
„So mitten am Himmel ? Und dann fliegen sie nach äh...?”
„Askonit. Ich hoffe sie tun´s und landen nicht hier in der Nähe! ”
„Oh nein, bloß nicht!” ächzte Muttchen verzweifelt.
„Komm endlich, Muttsch !” gemahnte sie Paul abermals und setzte noch hinzu : „Grässlich fette Wolke, ich befürchte das Schlimmste!”
„Was ist das Schlimmste, Mamms?”
„Öööh... gar nichts, Tobias!” Margrit blinzelte, während sie noch schneller wurde, in die Wolke hinter ihnen. „Die Häuser von Hornberg haben eben fast alle gebrannt und das erzeugt halt viel Rauch!”
„Du meine Scheiße!“ ächzte Tobias und wischte sich über die triefende Nase.
„Und ich mag trotzdem keine dicken Wolken, nööö!”
„Wollen wir nicht doch lieber das Rad liegen lassen und abhauen ?” Tobias zog seine Mama am Hosenboden.
„Ja, ich mag abhauen!” Julchen versuchte alleine das Fahrrad weiter hochzuschieben, was ihr natürlich nicht gelang, zumal sich Tobias dagegen stemmte.
„Nein, du wartest”, knurrte er, „bis die Mama auch etwas dazu gesagt hat!”
„Hm, wir haben doch keine Angst vor dieser lächerlichen Wolke, Julchen!” wisperte Margrit, die sich inzwischen ihrer ausweglosen Situation voll bewusst geworden war, denn sie würden nicht schnell genug sein. „Ihr wisst doch, Hajeps schonen die Natur!" Das sagte sie nicht nur, um ihre Familie, sondern auch um sich selber zu beruhigen. „He, Kinder, bindet euch alle euern Schal vor den Mund und dann wandern wir einfach weiter, und zwar ganz ruhig und ohne jede Angst, damit wir nicht zu tief und zu schnell atmen, klaro?“
„Huuuu, verfickte Kacke. Ich... ich hab` aber trotzdem Scheißangst!“ heulte Tobias los.
„Ich... ich auch!“ schluchzte Julchen.
„Aber Kinder, ihr braucht doch keine Angst zu haben vor diesem blöden Nebel! Der ist schnell an uns vorüber. Seht ihr, hinten wird er schon dünner und... ich bleibe sogar stehen!“
„ Mamms, nein! Tu `s nicht!“ schluchzte Tobias.
„Aber mir passiert doch gar nichts! Seht doch, über mir in der Fichte, da sitzt sogar immer noch eine dicke Amsel!“
„Wo?“ Tobias wischte sich mit dem Ärmel die Augen trocken.
„Was gibt es alles für Tiere im Wald? Wer weiß es, na-ah?“
„Den Fuchs!” rief Julchen und zitterte trotzdem, weil der undurchsichtige Nebel inzwischen nicht nur Muttchens Hüften, die etwas tiefer unter ihnen lief, sondern auch Pauls und erst recht die des unheimlichen George verschlang, und auch, weil er sie selbst zu verschlingen begonnen hatte.
Pauls Gesicht, das aus dem Wolkenberg noch herausragte, wirkte entgeistert, als er zu ihnen emporblickte.
„Und welche Tiere kennen wir noch?” fragte Margrit weiter und verzog ihren Mund dabei zu einem möglichst heiteren Schmunzeln.
„Du... du hast keine Angst, stümms?” krächzte Julchen, die bemerken musste, dass sich der düstere Nebel nun bis zu ihrer kleinen Schulter hinaufgeschwungen hatte.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.12.2004, 14:49   #12
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 12

Paul hatte jetzt die Nerven verloren, einfach die Koffer liegen lassen, und auch Muttchen rannte, wenn auch schwankend, ja, sogar der junge Bursche flüchtete in heller Panik. Alles jagte nach oben und an Margrit vorbei. Immer weiter hoch! Doch wohin? Konnte man einer Vergiftung entkommen indem man wegflitzte ? Ihre Herzen schlugen wie rasend und sie keuchten und husteten entsetzlich.
Immer höher schlich der graue Schleier. Mit flackernden Blicken suchten ihre Augen die gesamte Umgebung ab. Doch wonach? Konnte man sich vor aufsteigenden Gasen verstecken ? Muttchen mühte sich, trotz ihrer alten Knochen einen Hügel zu erklimmen, aber vergeblich! Dann suchte sie einen Busch auf, um sich zumindest dahinter zu verbergen. Sie hustete in einem fort. Paul hatte sich indes nicht nur Schal sondern auch Weste und Hemd vom Körper gefetzt. Er band sich alles vor den Mund und erstickte fast daran.
Der junge Hüne hingegen war sehr sportlich gewesen und hing hustend und niesend hoch oben an einer Felszacke, weiter kam er nicht.
Paul hörte, dass Muttchen hinter ihrem Busch schluchzte, während ein Hustenanfall sie halb erwürgte aber er hörte auch Tobias helle Knabenstimme von tief unten.
„Es gibt im Wald den Hirsch“, hustete der Kleine, „und das Reh!” Er stand dicht bei seiner Mutter und legte die Arme um ihre Beine, als könne er sie dadurch beschützen.
Paul dachte nach. Tobias war doch sonst immer so ein Feigling. Stattdessen kauerte er hier in Panik. Die Augen tränten ihm, als er sein Versteck verließ, und noch mehr, als er zu ihnen hinunter taumelte. Er stellte sich hinter Tobias, legte buchstäblich seinen Körper über ihn, als ob er ihn und die anderen beiden dadurch vor dem beißenden Rauch schützen könnte.
„Und es gibt auch noch den Habicht”, hustete Paul, „ und die Wildkaninchen!”
Tobias schaute zu ihm empor und lächelte, während er weinte.
„...und die Wildkatze !” hörte man plötzlich Muttchen, die ebenso hinzugekommen war und nun ihre Arme um alle legte.
„...und Rebhühner !” erklärte der junge Hüne. Und so drängten sich alle eng beieinander.
„Ich möchte wetten, selbst Loteken wollen“, schniefte Margrit, „wegen all diesen Tieren und vielen Pflanzen, die hier leben, nichts riskieren, ja, selbst das geringste Risiko ausschalten. Diese Wolke kann daher auch nicht für uns schädlich sein.“
Da begannen schließlich alle zugleich zu husten und sie husteten sich halbtot ... aber eben nur halb! Denn es dauerte nicht lange, und die Wolke wurde wieder dünner und begann sich aufzulösen
„He, was ist mit euch? Steht nicht so rum wie die Ölgötzen!” krächzte Paul und lachte, kaum dass das Licht der Sonne wieder durch den grauen Dunst schimmerte und er wieder normal atmen konnte. Die anderen lösten sich vorsichtig aus ihrem engen Kreis und sahen sich blinzelnd und freudig erregt um. Sie hatten tatsächlich überlebt!
„He, Margrit“, George tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch ab, nachdem alle anderen, außer Margrit und Julchen, die angebotenen Tücher abgelehnt hatten, „sie sind doch Psychologin, nicht wahr ?”
„Ja, aber warum fragen Sie das immer wieder ?” entgegnete Margrit verwirrt und putzte ihre Brille mit ihrem Taschentuch.
„Nun, das war nicht nur eine brillante Einschätzung unserer eigenen Situation, sondern auch eine geistesgegenwärtige Handlung, um das alles ohne Schaden zu überstehen. Und wissen Sie was? “ Er schnäuzte sich genüsslich die Nase, ehe er weitersprechen wollte.
Diesen Moment nutzte Margrit prompt. „Nein, aber bevor Sie mich hier noch überschwänglich weiterloben, darf ich Ihnen verraten, dass das überhaupt nicht bewusst kalkuliert worden ist. Es hat sich einfach nur ergeben!“
„Trotzdem haben Sie dabei vollkommen richtig gedacht!” Er verstaute sein Taschentuch in der Hose. “ Und genau solche Leute wie Sie sollte man einsetzen.“
„Wozu ?”
Er holte tief Atem. „Bei einem... hm... sonderbaren Kampf! Nämlich Geist gegen Geist! Hm... äh... naja, das ist vielleicht nicht zu verstehen, aber Sie werden gebraucht...”
„Ja, von meiner Familie!”
„Es gibt gewiss Wichtigeres als diese Familie !” sagte er geringschätzig.
„Nein, gibt es nicht!” fauchte Tobias anstelle Margrits.
„Und ich will jetzt dein Taschentuch nicht mehr haben!“ Julchen pfefferte George dasselbige vor die Füße.
„Julchen“, stotterte der verlegen, „sieh, das ist so...“
„Nein, ich hör´ dir nicht mehr zu!“
„Brav, sehr brav, meine Kinder!“ lobte Paul die Kleinen und dann zog er seine Margrit zu sich heran, küsste sie auf den Mund und knurrte: „Margrit weiß, was sie will – nämlich bei uns bleiben!“
„Ich würde mir da nicht so sicher sein“, konterte der Bursche und seine grünen Augen blitzten die kleine Schar dabei seltsam, ja fast tückisch an. Dann holte er sein Fernrohr hervor und sah damit den Weg hinunter.
„Gründliche Arbeit“, brummte er fassungslos. „Chiu-Natras Jäger haben Hornberg tatsächlich dem Erdboden gleich gemacht! Oh- oh! Das wird den guten Sotam-Sogi aber gar nicht erfreuen! Sollte mich nicht wundern, wenn hier gleich diverse hajeptische Kampfflugzeuge am Himmel erscheinen werden, um den Loteken für diese Untat mal gründlich den Hintern zu versohlen!“
Er lachte nun merkwürdig in sich hinein, während die kleine Familie, nachdem sie Rad und Koffer wieder ergriffen hatte, langsam weiterging.
„Ist er nun ein Hajep oder nicht?“ erkundigte sich Muttchen ziemlich verwirrt bei Paul, mit dem sie zusammen an der Spitze voran lief. „ Oder... ob ich ihn mal frage?“
„Nein, Muttsch, das lass mal hübsch bleiben!“
„Warum?“
Paul überhörte die Frage einfach und zog stattdessen das Tempo ihres kleinen Trupps etwas an, um es Muttchen zu erschweren, unpassende Fragen zu stellen. Und vielleicht gelang es ihnen ja sogar, diesen George abzuhängen, so beschäftigt wie der im Moment war. Doch zu seinem Ärgernis hatte der soeben seine Beobachtungen abgeschlossen und trat kräftig in die Pedalen, um sie einzuholen. Schon war er wieder bei ihnen.
„Gut, dass sie gerade da sind“, zwitscherte Muttchen eifrig, „da kann ich sie ja gleich mal was fragen...“
„Nein, das fragst du ihn nicht!“ zischelte Paul aufgeregt zu ihr hinüber.
„Paul, du weißt doch gar nicht, was ich fragen will!“
„Doch, weiß ich, und darum hältst du den Mund!“
„Sind Sie...“
„Nein, Muttsch!“
„Sind Sie..“
„Neiiiiin!“ kreischte Paul entsetzt.
„Ist er immer so nervös?“ wandte sich der Hüne irritiert an Margrit.
„Nein, ich weiß auch nicht, was er heute hat.“
„Sind sie sicher, dass es tatsächlich nur Loteken waren, die das alles angestellt haben?“ brachte Muttchen nun endlich ihren Satz zuende und Paul atmete hörbar aus.
„Da bin ich ganz sicher“, antwortete George bereitwillig.
„Aber warum haben sie das getan?“
„Sie müssen sich aus irgendeinem Grund über die Menschen dort geärgert und dementsprechend reagiert haben.“
„Sie schildern das vielleicht in einer kalten Tonlage!" empörte sich Muttchen. „Sie sind doch so ein adretter junger Mann, aber das berührt Sie wohl gar ... aber, da ist ja Munk!”
„Munk ?” wiederholten der Hüne verdutzt.
„Unsinn!” knurrte Paul. „Du hast dich sicher verguckt, deine Augen sind nicht mehr die besten!”
„Ich habe gute Augen für mein Alter! Oh, Munk, Munk! Mein bester mein allerschönster Munk ist wieder da!”
Alle spähten umher, konnten jedoch nichts entdecken.
„Ich glaube die nervlichen Belastungen werden inzwischen meiner Mutter zuviel”, wisperte Margrit zu Paul mit besorgter Miene, „ denn jetzt sieht sie schon Dinge, die es hier gar nicht geben kann! Du weißt, ich kenne mich da aus!”
Paul nickte verdrießlich.
„Nanu ? Wo ist er denn jetzt?” kreischte Muttchen verzweifelt. „Munk Mu-unk! Wo bist du nur, mein Schnuckelchen... wo bist Du-huuu?” Sie reckte den mageren Hals, hielt Ausschau nach allen Seiten.
„Ach, was huscht einem nicht manchmal so alles mal vor der Nase herum“, mischte sich jetzt auch George wieder ein und wedelte dabei ziemlich nervös eine Fliege fort, „und dann ist es -husch- wieder weg! Da machen wir uns nichts draus, gelle?“
„Ich mache mir aber viel draus ... aus Munk! Und habe ihn wirklich gesehen“, beharrte Muttchen engstirnig und stampfte sogar dabei ein bisschen mit dem Fuß auf.
Paul ächzte herzzerreißend. Wie gut, dass wenigstens er in dieser verrückten Gruppe der einzig Normale war! Und weiter schleppte er seine Koffer.
„Hör` mal, Mutter!” rief Margrit in einem ruhigem, aber auch recht energischen Ton. „Das kann nicht dein Kater gewesen sein, was du gesehen hast. Das geht einfach nicht, verstehst du ?” Ihre Augen klimperten nervös.
„Er ist ja auch nicht gegangen sondern gehuscht!” verbesserte sie Muttchen sehr richtig.
„Das meinte Margrit damit natürlich nicht“, unterstützte sie Paul und seufzte noch lauter, da er jetzt vom vielen Schleppen Schmerzen bis hinauf zu den Schultern hatte. „Sie meint : Wie soll es dein Munk, wenn er aus dem Fenster des Zuges gesprungen ist, diese vielen Kilometer auf seinen kleinen vier Pfoten bis hierher geschafft haben - und vor allem so schnell?”
Das leuchtete Muttchen - wenn auch ungern - irgendwie ein. Dennoch hörte sie nicht auf, in jedem Felsspalt, der sich nur in ihrer Nähe befand, nach ihrem Kater zu suchen.


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Munk war brüskiert. Er hatte sich vorhin wegen der lauten Stimmen hinter einem Felsbrocken versteckt, zwar waren ihm diese Stimmen irgendwie vertraut vorgekommen, aber es konnte ja nicht sein, was er sich da erträumte, mit der Ratte hatte er sich ja schließlich auch verschätzt und dann ... oh nein... sein kleines Katerherz blieb fast stehen ... packten ihn einfach zwei Hände von hinten grob unter die Achseln, als er gerade Muts genug gewesen war, hinter seinem Felsbrocken hervorzukommen, um auf das Eiligste weiterzuflitzen. Nun hing e, wieder mal schwanz-abwärts und mit allen vier Pfoten in der Luft. Sollte er nun zuerst kratzen und dann beißen oder umgekehrt ? Eine schwere Entscheidung. Sein Katerhirn arbeitete wieder einmal fieberhaft und das einzige, was sich natürlich dabei an seinem Körper bewegte, war die fleißige Schwanzspitze.


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„Ich hab` ihn, ich hab` ihn!” jubelte Muttchen. „Hab` meinen Munk wieder, hab` s euch ja gesagt!” Sie hielt den Kater mit beiden Händen hoch und drehte sich selig mit ihm im Kreise herum.
„Hab` s gewusst ...gewusst... gewu..uuusst!” triumphierte sie.
Alle machten große Augen, einschließlich Munk, denn sie konnten sich das nicht erklären, dafür aber umso eifriger Muttchen.
„Das war natürlich die mentale Verbindung!” belehrte sie ihre immer noch fassungslose Familie. „Ich habe an Munk geglaubt und er an mich!“ Sie senkte die Arme und küsste ihn von oben mitten auf die breite Stirn und er kniff deshalb die Augen zu zuckenden kleinen Schlitzen zusammen. „Außerdem haben Katzen einen besonderen Instinkt!” schulmeisterte sie eifrig, ließ aber den Kater nicht mehr hängen, sondern nahm ihn auf den Arm. Das gefiel Munk freilich besser und er begann zu schnurren. „Und sie haben auch einen hervorragenden Ortssinn!” fuhr Muttchen weiter fort. „Sie laufen riesige Strecken, nur um zu ihren Menschen zu gelangen. Sie haben auch einen fantastischen Geruchssinn... Hach! Bestimmt hat Munk die ganze Zeit meine Spur verfolgt.”
Muttchen war jetzt gerührt und es tropften deshalb reichlich viel Tränen in Munks Fell, ihm genau zwischen die Ohren, weshalb Munk zuerst mit dem Schnurren aufhörte, dann verdrießlich dreinschaute, und schließlich wie wild den Kopf ausschüttelte.
Muttchen bückte sich, öffnete den Käfig, den sie neben sich auf die Erde gestellt hatte, und diesmal kroch Munk zu ihrer Überraschung freiwillig hinein!
‚Endlich daheim!’ schnurrte er. Ach, er war ja so glücklich, als sich die Drahtgittertüre hinter ihm schloss und wenig später rollte er sich auf seinem Deckchen nett zusammen, schließlich war längst wieder Zeit, ein Nickerchen zu halten. Zwar begriffen Zweipfotler das nie, aber diesmal störte ihn das nicht im geringsten und obwohl der Käfig schon wieder hin und her schwankte und er immer noch hungrig und völlig verdreckt war, summte er sich selig in den Schlaf, während die kleine Familie sich weiter tapfer ihren steilen Weg in die Berge hinauf kämpfte
„Oh Gott, der Anblick eines ständig schwer schleppenden Menschen nervt mich allmählich!“ beschwerte sich George nach einer Weile, da er schon ein paar Mal angeboten hatte, einen der Koffer auf sein Fahrrad zu nehmen, Paul sich aber beharrlich weigerte, dieses Angebot anzunehmen
„Das müssen gerade Sie sagen, ha! Wo Sie hier am meisten nerven!“ keuchte Paul. „Verschwinden Sie, dann müssen Sie den Anblick eines schleppenden Menschen nicht mehr ertragen!“ Er betrachtete den Jungen bärbeißig. „Im übrigen habe ich diesen Weg bisher ganz gut ohne Rad geschafft, also kann es so auch weitergehen.“
Abermals hob er die Koffer an, zügig lief er vorwärts, obwohl er schrecklich keuchte.
Trotzdem gab George nicht auf. „Für nur zwei Ventile aus ihrem Ersatzteilbeutel, Herr Ladeburg! Na-ah, wie wär`s?“
„ Nein!“ fauchte Paul. „Ziehen wir jetzt jeder unseres Weges, so wie ich es vorgeschlagen habe! Das wird das Beste sein!“
„He, meint ihr denn wirklich, dass es das Beste ist?“ vernahm er jetzt von hinten eine weitere, jedoch völlig unbekannte Männerstimme. „Dazu würde ich euch auf keinen Fall raten! Es ist nicht gut, wenn man sich in diesen schrecklichen Zeiten trennt!“
Alle, einschließlich George, drehten sich erstaunt, ja fast erschrocken um. Die Stimme hatte sehr erregt, aber auch matt geklungen und das Bild, das sich nun der kleinen Gruppe bot, bestätigte den Eindruck des Gehörten. Da taumelte nämlich ein zu Tode erschöpfter Mann den Weg zu ihnen empor.
„Haltet zusammen!“ keuchte er aufgeregt. „Menschen sollten immer zusammen halten!“
Sein Blick wirkte gehetzt - fast irr! Panik spiegelte sich in dem aschfahlen Gesicht wieder. Der etwa dreißigjährige Mann bebte am ganzen Körper und das Rote an seiner Brust war ganz gewiss kein Muster in der alten, abgewetzten Strickjacke.
`Blut!` durchfuhr es Margrit erschrocken, dann verzog sie skeptisch ihr Gesicht. Der Mann kam bestimmt von dort wo einst Hornberg gestanden hatte. Was war aber, wenn sie einen Bajit, einen gut getarnten Loteken vor sich hatten?
„Nehmt mich mit!“ bettelte der Mann verzweifelt.
Irgendwie hatte er kalte Augen. Und seine ganze Art ... war die nicht irgendwie künstlich? Außerdem roch er stark nach diesem komischen, süßlichem Gas.
„Warum zögert ihr?” ächzte er. „Ihr könnt mich denen doch nicht einfach überlassen. Die ... die sind sicher hier gelandet!” Er wies nach rechts, wo hinter kleinen Hügeln hohe Buchen, Fichten und Tannen einem die Sicht versperrten. „Denn einige von“, er schluckte, „denen suchen ja noch immer den ganzen Wald ab. Weiß der Himmel wonach!“
„Langsam, langsam!“ George streckte ihm die kräftige Hand entgegen. „Die sind also hier in der Nähe doch gelandet? Wie viele?”
„Na, so acht bis zwölf Gleiter mindestens, haben sich dort oder besser... da? Na, irgendwo abgesetzt.” Er wies diesmal nach links.
„Was ist eigentlich genau passiert?“ George zog den Kerl nun vollständig zu sich hinauf und dieser griff feste zu, riss den Burschen dabei fast vom Rad und zu sich hinunter.
„Hoppla!” lachte der verdutzt, hielt aber dennoch die Balance. „Sie sind ja ganz schön stark!”
„War ja auch früher Meister im Schwergewicht“, keuchte der Dörfler und stützte sich dabei so hart auf George, dass dieser für einen Moment in die Knie gehen musste.
„Denkst du das gleiche was ich denke ?“ wandte sich Paul indes wispernd an Margrit.
Diese nickte beklommen. „Du meinst der Mann ist in Wahrheit gar kein echter, sondern ein... ?“
„Sehr richtig! Und jetzt ist die Gelegenheit günstig “, flüsterte er weiter.
„Um zu fliehen ?”
„Genau! Dieser George ist vollauf mit dem Mann beschäftigt. Lass uns von hier wegkommen und zwar so schnell wie möglich!“
Margrit nickte stumm und jeder in dem kleinen Trupp wusste irgendwie sofort, worum es ging, denn sie brachten sich so schnell und leise wie möglich aus der Reichweite der beiden merkwürdigen Männer und stiegen weiter hinein in die Berge.
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Alt 26.12.2004, 14:52   #13
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 13

„Ich weiß nicht ... aber irgendwie mache ich mir jetzt Vorwürfe!“ murmelte Margrit wenig später. „Ich glaube, wir haben übernervös reagiert. Ob das noch die Wahrheit war, welche die Leute vorhin im Zug erzählt haben? Die Menschen spinnen doch immer mehr! Warum sollten sich Hajeps oder Loteken tarnen, dieser George hat da ganz recht, wo sie uns sooo weit überlegen sind ?“
„Sag` bloß, du willst jetzt noch umkehren ?!“ murrte Paul entgeistert. „Dir ist alles zuzutrauen!“
„Nnnn ... ja, das vielleicht nicht, aber wir könnten auf die beiden warten! Sieh mal, Paul, dieser Mann ist nicht nur körperlich in sehr schlechter Verfassung, seine Psyche ist auch...“
„Das ist wieder mal typisch ! Dei Psyche ! Kannst du nicht mal deinen Psychokram außer acht lassen ? Vielleicht denkst du endlich an uns!" zischelte Paul erbost und tappte mit den beiden Koffern in den Fäusten zornig weiter. „Was ist, wenn vielleicht sogar beide...”
„... Hajeps sind ?” Margrit wusste auch nicht warum, aber bei diesem Gedanken musste sie plötzlich lachen.
„Wohl ganz meschugge geworden, was!" schimpfte er. „Aber das ist ja typisch für Leute mit Psycho-berufen! Kannst du nicht mal vernünftig denken ? Die beiden wären nämlich dann in der Überzahl!”
„Überzahl oder nicht! Sie wären uns als Hajeps ohnehin überlegen!” schnaufte Margrit, während sie das Rad höher schob.
„Ach, es ist ja alles so schrecklich!” jammerte Muttchen einfach dazwischen, die arg schwankend neben ihnen einher hetzte. „Aber dieser junge Mann war doch so ein gepflegter, so ein netter Bursche ? Es könnte ja auch sein, dass der andere Mensch einer der letzten Überlebenden aus Hornberg ist, oder nicht ?“
„Weiß ich es?“ Paul versuchte mit den Schultern zu zucken, doch das gelang ihm kaum mit den schweren Koffern in beiden Händen.
„Oh, Mamms!“ fiel es nun auch Julchen ein. „Der arme Mann ! Das arme Hornberg! Ist das wirklich völlig futsch? "
„Ja, das ist richtig Sch.. sch.. schuldigung !“ fiel Tobias mit ein.
Margrit blieb einfach stehen. „So geht das auf jeden Fall nicht weiter! Wir sind alle völlig überlastet, müssen endlich rasten!”
„Ach ja, ich will... ich will endlich ausrasten !” bettelte Julchen.
„Wäre wirklich prima, denn das würde meinen Füßen gut tun. Besonders Munk könnte...”
„Ja, und ?“ platzte Paul dazwischen. „Dann können die beiden Hajeps...“
„...Loteken, Paul“, verbesserte ihn Margrit.
„Ist mir doch egal!“
„Pa... aul!“
„Also, die können uns ja dann in aller Ruhe einholen. Wollt ihr etwa auf sie warten? Mit ihnen kämpfen? Das haben schon viele versucht und mussten es bitter bezahlen! Oder meint ihr, sie halten euch, nur weil ihr so ganz liebe Menschen seid, das Händchen und erhören eure Klagen ?“
Er hielt abermals schnaufend inne und setzte die Koffer wieder ab. Es war schon schlimm. Da hatten sie wohl recht, denn die Pausen, die auch er inzwischen machen musste, kamen immer häufiger. Er versuchte sich abzulenken, während er zum `zigsten Male die feuerroten, schmerzenden Hände rieb und sah dabei zornig die Berge hinauf.
Wann würde endlich diese gottverdammte Hütte auftauchen, in der sie nächtigen konnten? Die sollte doch hier irgendwo in der Nähe sein! Konnten Hütten völlig vom Erdboden verschwinde ? Heutzutage war wohl selbst das möglich. Vielleicht hatten die Hajeps ja den alten Schäfer, der die kleine Familie beherbergen wollte, schon Tage vorher aus unerfindlichen Gründen getötet, seine Schafe geschlachtet und die Hütte so sehr zerstört, dass man selbst die Reste des kleinen Häuschens von hier unten kaum noch ausmachen konnte.
Nach einem weiteren zu den Gipfeln gewandten Blick die Berge hinauf, holte Paul die Karte hervor und verglich erneut die Umgebung mit der Zeichnung. „Entweder können die Menschen nicht mehr zeichnen oder es gibt den Schäfer nicht mehr!”
“ Nein, das kann nicht sein! Willst du damit etwa andeuten“, hakte Margrit erschrocken nach, „dass der alte Herr Lawi nicht mehr lebt ? “
„Ich will es nicht nur andeuten, ich sage es sogar klipp und klar! Lawi und seine Hütte existieren nicht mehr, was auch immer ... jedenfalls ist beides nicht da. Oder seht ihr irgendwo ein kleines Häuschen ?”
„V... vielleicht ist es nur hinter irgendeinem Baum versteckt!” warf Julchen ein.
„Ein sehr guter Gedanke, Julchen“, lobte Paul, ”wenn es hier oben Bäume gäbe!”
„Aber Büsche!” schmetterte Tobias geistesgegenwärtig dazwischen. „Hier gibt es sehr viele Büsche, stü-ümms ?”
„Dahinter passt aber kein Haus!” entgegnete Paul knapp.
„Stümmt!” räumte Tobias ungern ein.
„Paul, es wird bald dunkel, da findet uns ohnehin niemand hier. Lass uns jetzt eine Höhle oder irgendein anderes Nachtquartier suchen. Es hat wirklich keinen Zweck, uns unnötig kaputt zu machen!“
„Ach, ja, ich will nich kaputt sein!” jammerte Julchen.
„Ich auch nich, nöö!”
„Ich glaube, meine armen Füße sind es schon lange”, ächzte Muttchen.
„Ist ja schon gut!” murrte Paul. “ Ich gehorche, ja !”



So waren sie schließlich dabei, das Fahrrad und die Koffer erst einmal so abzustellen, dass die nicht gleich für jeden sichtbar waren. Gerade in diesem Augenblick hörten sie, den schmalen Pass hinauf, eine heitere Stimme.
„Hallo!“
Zwei dunkle, nach vorn gebeugte Gestalten wuchsen, nur mit einem Fahrrad bestückt, langsam und nacheinander aus dem Boden hinter ihnen.
„Wie klein die Welt doch ist! Schon sieht man sich wieder! Eigentlich wollten wir ja beim Herrn Lawi übernachten. Ihr wisst doch, der alte Schäfer ... doch dann war mir noch rechtzeitig eingefallen, dass das Kerlchen schon seit einem halben Jahr von hier fortgezogen ist und zwar mitsamt seinen Schafen! Die Gegend war ihm nicht geheuer! Könnt ihr das verstehen ?“ Der Hüne lachte in sich hinein, obwohl er zwischendurch keuchte, denn er hatte sich sehr beeilt, und alle anderen machten lange Gesichter.
„Tjahaaa“, Paul ließ sein komisches Reifenluftgelächter erschallen, „so kann das einem gehen und wieso ist deshalb gleich sein ganzes Haus verschwunden? Können Sie mir das erklären? ”
Noch ehe der etwas entgegnen konnte, schmetterte Julchen folgerichtig dazwischen: „Weil es hinter keinem Busch Platz hatte! “
Alles prustete los, selbst Paul, dann aber räusperte er sich energisch, denn sein Blick streifte den anscheinend schwer verletzten Mann, der hinten beim Gepäckständer des Fahrrades mehr lehnte als saß. Der Verwundete konnte sich jetzt kaum noch auf dem Rad halten und atmete schwer.
George wandte sich ihm zu.
„Geht`s noch?“ erkundigte er sich leise. Der Mann nickte. Schweiß zeichnete sich an dessen Hemd ab.
„Es waren Loteken, die unsere Häuser überfielen“, wollte er nun auch Paul und Margrit erklären. Man erkennt sie recht gut an den Zeichen auf ihren Helmen und Uniformen...”
„Ihr Zeichen ist der Kopf eines weißen Drachens“, half ihm der Bursche, um diese Angelegenheit der kleinen Gruppe verständlicher zu machen, „der in seinem Maul eine schwarze Schlange hält. Diese Schlange hat sich aber um den Hals des Drachens gewunden und man sagt, dass der Drache den Planeten Hajeptoan versinnbildlicht - also Pasua - und dass die schwarze Schlange ein Symbol der Loteken wäre. Ist es nicht so?”
Der Mann nickte kaum merklich. „Sie haben uns überrumpelt.” Er beleckte sich die trockenen Lippen, ihm schien das Sprechen schwer zu fallen, aber er wollte die ganze Geschichte loswerden. „Die Aliens traten so plötzlich gegen unsere Türen und verlangten Einlass, dass wir nicht nur einen gehörigen Schrecken bekamen, sondern auch manche von uns zu ihren Waffen griffen.“ Der Mann musste eine kleine Pause machen um zu verschnaufen. „Sie haben Geräte, mit denen sie jede Tür von außen sofort öffnen können. Als die erste Türen nach innen krachten und diese furchtbaren Wesen in die Zimmer hineinjagten, verlor eine Frau die Nerven und feuerte laut schreiend auf einen aus der Meute. Es war schrecklich!“
Der Dörfler schloss für einen Moment die Augen, seine Stimme klang unglaublich leise als er weitererzählte. „Die Frau, die geschossen hatte, wurde an den Haaren nach draußen gezerrt. Doch sie konnte sich losreißen und jagte Richtung Heuschober, wohl um sich darin zu verstecken.“ Der Mann hatte Tränen in den Augen. „Sie wurde auf der Stelle erschossen! Einige von uns empörten sich über die Vorgehensweise der Außerirdischen und auch sie wurden sofort hingerichtet, obwohl unter den Hajeps längst bekannt sein dürfte, dass Menschen nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch Freunde unserer gnadenreichen Eroberer sein können...”
Er stoppte plötzlich, schaute entsetzt in jedes Gesicht; offensichtlich war ihm erst jetzt klar geworden, dass etwas seinen Lippen entschlüpft war, was auf keinen Fall hätte verraten werden dürfen, denn Leute, die sich auf die Seite der Hajeps stellten, die manchmal sogar gegen die Menschheit agierten, wurden vom eigenen Volke zutiefst gehasst, ja, nicht selten auch von verzweifelten Menschen hingerichtet, um ein Exempel zu statuieren.
„W... werdet ihr mir nun nicht mehr helfen ?” ächzte er halb ohnmächtig vor Angst. „W... was wollt ihr jetzt mit mir machen ?”
Alles starrte ihn an.
„Du meine Schei... Schuldigung!” entfuhr es Tobias. „Du bist ja ein Vertreter!”
„Ich mag keine Fahrräder!” sagte auch Julchen mit ziemlich gekrauster Nase.
„Auch ich habe für Leute wie Sie nicht viel übrig!” Paul machte eine wütende Handbewegung in die Richtung des Mannes. „Wissen sie was? Wenn Sie hier nicht so schwer verletzt herumhängen würden, hätte ich Sie sogar eigenhändig an dem nächsten Ast dort hinten aufgeknüpft, jawoll!”
„Aber Paul“, versuchte Margrit ihren Freund zu bremsen, „ wie kannst du so etwas sagen? Dieser Mann ist nur noch ein Wrack... “
„Genau“, mischte sich nun auch Muttchen ein und schlenkerte dabei wieder verlegen den Käfig hin und her wie ein kleines Schulmädchen und Munk fauchte deshalb ununterbrochen. „Es spielt jetzt keine Rolle mehr, was dieser Mensch getan hat. Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen, ihm muss dringend geholfen werden, so dünn wie der angezogen ist!”
„Pah, Weiber!” knurrte Paul verächtlich. “ Typisches Weibergeschwätz! Haben solange die soziale Ader, bis sie selbst drankommen, dann wird aber gestaunt und um Hilfe nach uns Männern geschrieen! Hmmm... was meinen Sie dazu, George ? ”
„Es braucht ihm nicht geholfen zu werden“, erklärte der Hüne, „denn er ist gar nicht so schwer verletzt! Es ist nur eine winzige Stelle. Er steht nur unter einem schweren Schock.“
„Ach was, sie Großschnabel!“ konterte Margrit. „Dem Mann geht es furchtbar schlecht! Das kann doch wohl jeder sehen! Also los! Stimmen wir ab! Wer ist dafür, dass wir ihm helfen, auch wenn er ein Verräter ist ?”
Julchen und Tobias hoben als erste ihre Fingerchen.
„Kunststück, die sind immer deiner Meinung!” grollte Paul. „Die zählen nur `ne halbe Stimme.“
Und dann hob Muttchen nicht nur ihre magere Hand, sondern zerrte fast gleichzeitig Munks Pfote aus dem Käfig, die sie ebenfalls nach oben hielt. Munk fühlte sich wichtig und begann zu schnurren.
„Hahaha, wie haben wir gelacht!” schimpfte Paul und Munk fauchte ihn an.
„Und Sie, George ?” fragte Margrit. „Haben Sie sich auch zu einer Hilfeleistung durchringen können ?”
„Nein, es ist, wie ich es bereits sagte: Dieser Mann braucht keine Hilfe, sondern nur einige Stunden tiefen Schlaf!“
Der Dörfler schien erleichtert und wandte sich an George. „Meinen sie das wirklich? Ich bin nämlich aus Panik vor denen geflüchtet und man hat auf mich geschossen, mit so einem komischen bläulichen Lichtstrahl, der von der Hand eines dieser Aliens ausging.”
„Dann war es sicher ein ‚Zworm’“, warf der Bursche sehr ruhig ein, errötete aber verdächtig. „Diese Waffe ist nicht so gefährlich, wie sie aussieht. Man wollte sie bestimmt nicht schwer verletzen, sondern ... äh, hm... sie nur damit beruhigen. Das kann man damit nämlich auch – wirkt wie ein Betäubungspfeil, oder so...“
„Mein lieber Mann!” ächzte jetzt der Verletzte. „Sie wissen aber gut Bescheid! Woher kommt das ?”
„Ja, ja“, bestätigte George grinsend und warf dabei Margit einen langen Blick zu, „aber bestimmte Leute wollen mir das einfach nicht glauben!“
„Soll ich Sie verbinden?“ mischte sich Margrit wieder ein streckte die Hand nach ihm aus, um die Wunde zu untersuchen.
„Nein, nicht!“ Der Bursche schlug ihr einfach auf die Finger. „Hab ich doch gesagt!“
Margrit zuckte zurück, blickte zum Teil verblüfft, zum Teil erzürnt zu dem seltsamen Kerl hinauf und rieb sich die Finger. „Was fällt ihnen ein?“
„Der ... der hat die Mama gehauen?” entfuhr es Julchen ebenso empört.
Tobias hatte nicht nur seine Unterlippe blitzartig eingesaugt, sondern auch den Blaui wurfbereit in der Hand.
Und Paul wäre beinahe über Muttchens Katzenkorb gestolpert, den sie mal eben abgestellt hatte, weil sie dem Hünen ihren Schirm über den Kopf zu ziehen gedachte.
Der Bursche lächelte nun nach allen Seiten entschuldigend und mit hochrotem Kopf. „Nicht übel nehmen, ja ? Aber es ist wirklich besser, wenn Margrit seine Wunde in Ruhe lässt.“
„Mir geht`s komischerweise immer schlechter!” ächzte der Fremde plötzlich. „Dabei ist das doch nur so eine winzig kleine Fleischwunde!”
„He, Margrit, können Sie das mal kurz halten ?“ fragte der Hüne und drückte ihr seinen Rucksack in die Hände. Margrit staunte, wie leicht der war.
„Sie müssen sich einfach nur ausruhen. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann”, wandte sich der Bursche wieder an den Dörfler, „vielleicht finde ich einen guten Schlafplatz.“
Margrit hielt mit der anderen Hand Georges Rad rein reflexmässig fest, weil er sich plötzlich seine Jacke auszuziehen gedachte und der Verletzte stützte sich dabei mit einem Fuß ab.
„Entschuldigung“, empörte sich Margrit, „aber er blutet immer mehr! Wir müssen ihn womöglich abbinden, können ihn doch nicht einfach unbehandelt lassen!“ Ihre Stimme klang jetzt richtig angriffslustig und Paul verzog sich kopfschüttelnd derweil mit der restlichen Familie, um sich ebenfalls einen geeigneten Ruheplatz für die Nacht zu suchen. Ach, er kannte ja Margrits hartnäckige Natur. Und wenn sie bei ihm blieb, hatte wenigstens er seine Ruhe vor diesem Angeber. Er konnte sie ja später unbemerkt zu sich holen.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.12.2004, 14:54   #14
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 14

George versuchte indes angestrengt, den Pass hinabzuspähen, den sie genommen hatten. Er warf sich seine Jacke über die Schultern, während er das Rad noch immer mit den Hüften stützte.
„Hmmm“, überlegte er laut, „haben Sie genug Kraft, um für einen Moment allein das Rad zu halten und somit auch diesen Mann?” fragte er und nahm ihr dabei den Rucksack ab. Sie nickte verdrießlich.
Er ließ langsam los und gemahnte den Mann sich dabei fest auf seine eigenen Beine zu stellen.
„O. k., Margrit! Ich sehe, dass Sie das können! Aber brav sein, wie gesagt, den hier“, er wies mit dem Kinn auf den Verletzten, „wirklich hübsch in Ruhe lassen! Haben wir uns verstanden ?“
„Klaro, sie Großkotz!“ Sie lachte verärgert auf.
Er grinste frech, suchte ein geschütztes Plätzchen und kletterte schließlich hoch in die Felsen. Margrit beobachtete sehr nachdenklich wie er in einer kleinen Höhle seine Jacke ausbreitete und auch dort den Rucksack abstellte. Der Mann war wirklich ein einziges Rätsel.
„Wie sind Sie nur zu ihrem Wissen über die Hajeps gekommen?“ empfing Margrit ihn, als er zu ihr zurückkam. Sie wollte endlich Klarheit und stemmte energisch die Hände in ihre Hüften, als er das Rad übernommen hatte.
„Muss ich das sagen ?“ Seine Raubtieraugen blitzten sie feindlich an.
„Ich finde ja!“ entgegnete sie und lief neben ihm her, während er das Rad schob. Fest war sie entschlossen, den Verwundeten aufzufangen, falls der fiel.
„Ich denke nicht daran!“ Er sah jetzt ungemein entschlossen aus, doch seine Hand, die das Rad hielt, auf welchem der Mann inzwischen völlig in sich zusammengesunken war, zitterte ein bisschen. „Ich weiß eben Bescheid und fertig!“ Er grinste nun richtig boshaft, wie Margrit fand und hob den schweren Mann, der nun fest schlief, vom Sattel, während sie das Rad hielt.
Margrit staunte. George musste nicht nur eine unglaubliche Kraft haben, denn das geschah mit ziemlicher Leichtigkeit, sondern auch viel Geschick. Er lud sich den Mann auf den Rücken, wobei jeder seiner Handgriffe saß.
„Im übrigen sollte es Ihnen ... völlig ... egal sein, was ich mache und was nicht!“ schnaufte er, während er mit ihm höher in die Berge hinauf stapfte.
„Wie bitte?” rief sie zu ihm empor. „Das Gleiche könnte ich Ihnen auch sagen!“ Sie schob das leere Rad ein gutes Stück zurück und suchte ein Versteck. Als sie keines so schnell fand, lehnte sie es einfach an einen der Felsen, kam zurück und sah zu, wie George den Mann behutsam auf seine Jacke bettete.
„Mit Ihrer ganzen Geheimniskrämerei werden Sie sich nämlich noch eines Tages das Genick brechen. Das sage ich ihnen als reife Frucht – äh - Frau !“ Sie sah, nachdem er sich aufgerichtet hatte und sich streckte, um die verspannten Schultern zu dehnen, mit geröteten Wangen zu ihm hinauf und seine emporgereckten Arme wurden plötzlich von kleinen Lachern erschüttert, der ganze mächtige Körper bebte und dann fielen die Arme hilflos und schlaff hinunter.
„Sie sind mir vielleicht ein Früchtchen!” gluckste er.
Margrit überhörte das hämische Lachen einfach und stieg zu ihm schnaufend empor.
„ Hey, was soll das“, protestierte George, unterbrach seine Gymnastik abrupt, konnte sie jedoch nicht mehr daran hindern. Ihr entging es nicht, dass er nervös wurde, dennoch setzte sie sich zu dem Fremden.
„Haben sie Schmerzen ?“ erkundigte sie sich flüsternd, da sie bemerkt hatte, dass er wieder wach war.
Der Dörfler schüttelte den Kopf. „Die Loteken“, lallte er, „haben das ganze Dorf nach irgendwas durchgekämmt!”
„Reden Sie lieber nicht mehr!“ sagte Margrit mit beruhigender Stimme. „Ruhen Sie sich einfach aus!”
„Aber sie trieben die Menschen, indem sie wild hinter ihnen herfeuerten, in die anliegenden Wäldchen, oder hier hinauf in die Berge, dann sprengten sie das ganze Dorf. Auf die Tiere in den Ställen oder diejenigen Menschen, die zu schwach waren um zu laufen, hatten sie keine Rücksicht genommen."
„Nun ist aber alles vorbei, nicht wahr?” flüsterte Margrit sanft. „Sie zittern, scheinen zu frieren! Soll ich Sie mit meiner Jacke zudecken ?“
Und schon schickte sie sich an, auch die ihre auszuziehen.
„Nein!“ hörte sie Georges Stimme und fühlte ebenso blitzartig dessen Finger an ihren Handgelenken, die sie mitsamt der halb ausgezogenen Jacke gepackt hielten. „Behalten Sie die ruhig. Sie werden ihre Jacke sicher noch dringend brauchen!“
George hatte eine Art an sich, die Margrits Blut irgendwie in Wallung brachte. „Ha, schon wieder!“ quiekte sie.
„Ganz recht, schon wieder verbiete ich Ihnen etwas!“ Er schob sie von dem Verletzten fort. „Dieser Mann braucht Ruhe. Sie machen ihn ja ganz nervös mit ihrer Jacke. Sehen Sie, kaum sind sie weg schläft er!“
Margrit nickte. „Aber...”
„Kein aber! Ich habe schon meine Jacke geopfert, das genügt! Behalten Sie ihre. Es ist besser so!“
Weil sie sich sträubte, wickelte er sie einfach mit der Jacke ein und trug sie den Berg hinab.
„Sie sind unmöglich!“ fauchte sie dabei und strampelte. „Ruhe hin, Ruhe her. Der Mann wird sich auf dem kalten Boden den Tod holen!“
Unten angekommen versuchte sie von ihm freizukommen und schüttelte deshalb nicht nur beide Arme, sondern versuchte sich um sich selbst zu drehen. Automatisch hatten sie sich beide dadurch in Margrits Jacke verwickelt.
„So kalt ist es hier nicht“, schnaufte er, denn es war recht eng in dieser Jacke für sie beide, „und meine Jacke wärmt recht gut, das weiß ich aus Erfahrung. Ich habe bisher nie gefroren!“
Aber sie hörte ihm bereits nicht mehr zu und ruderte nicht mehr herum. Ihre Miene hatte einen besorgten Ausdruck angenommen. Wo war ihre Familie mit einem Male geblieben? Je eifriger sie umherblickte, umso mehr Blut wich aus ihrem ohnehin schon blassen Gesicht.
„Sie... sie sind fort ? " wisperte sie erschrocken zu George, der immer noch mit der Jacke kämpfte und sich schon fast befreit hatte.
„Donnerwetter, wo sind sie denn alle hin? Kein Lebenszeichen ist von ihnen zu entdecken! Nicht einmal irgendetwas zu hören! Keine Stimmen ... nichts! Ob die ... die?“ Sie wagte nicht weiter zu sprechen.
„Die Loteken ?“ beendete George ihren Satz, nachdem er den entsetzten Blick ihrer Augen aufgefangen hatte und die Jacke fiel zu Boden.
Sie nickte und presste die Lippen zusammen, dann betrachtete sie skeptisch die große muskelbepackte Gestalt neben sich.
„Das glaube ich nicht!” brummte er. „Sicher haben sich ihre Lieben nur auf ihr neues Schlafplätzchen zurückgezogen und sind eingepennt. Wahrscheinlich sind sie ganz in der Nähe und wir sehen sie nur nicht. Haben sich wirklich gut versteckt, meine Anerkennung!”
„Nein, hier sind sie gewiss nicht! Ich glaube wir sollten noch weiter...”
„Tja, dann müssen sie aber sehr weit gegangen oder auch geklettert sein ? Hm ...vielleicht aus Angst vor mir ? “
„Unsinn! Vor Ihnen hat doch keiner Angst, pah !”
„Keiner außer Margrit!” Er hob nun grinsend die Jacke auf und reichte sie ihr. „Bitte, Schwester Margrit.“
„Haha, was haben wir gelacht! Ob ich wohl meine Familie laut rufen kann, George ? " erkundigte sie sich noch leiser.
„Mich stört`s nicht !” sagte er ganz laut.
„Hähä! Witzbold! Ich meine natürlich, ob vielleicht...? Na, Sie wissen schon!“
„ I wo!“ Er winkte ab. „Weder Pajonite noch Loteken interessieren sich für Menschen.”
„Nee. Sie verbrennen und töten sie nur, das kann man wirklich nicht interessieren nennen!“
George lachte laut auf. „Hey, Margrit, Sie können ja zynisch sein! Das ist ja gar nicht nett!“
„Wer hat gesagt, dass ich nett bin?“ entgegnete sie kopfschüttelnd. Dann räusperte sie sich und begann, den Weg auf und ab laufend, erst zögernd, dann immer lauter nach Paul und ihrer Familie zu rufen.
„Jahuuuu!“ hörte man plötzlich wie zur Bestätigung von Georges Worten von oben. Es war ganz deutlich Pauls Stimme. Margrit blickte suchend umher. Ja, dort auf der linken Seite des Gebirgsweges, winkte ihr von oben, hinter einer Felszacke hervorlugend, Paul mit freudig errötendem Gesicht hinunter. Mühsam kraxelte er nun zu ihnen hinab.
„Ahaa, Frau Klugschnacker, kommt uns nun endlich suchen, ja ?“ näselte er und ein paar kleine Felsbrocken und Steinchen lösten sich dabei aus dem Hang, rollten und hüpften die Felsen hinab bis vor Margrits Füße.
„Sie haben sich aber phantastisch versteckt, Herr Ladeburg!“ bemerkte der Bursche anerkennend und brachte Paul fast ins Straucheln, da dieser nicht mit ihm gerechnet hatte. Doch er fing sich noch und stand schließlich keuchend vor ihnen, vernichtende Blicke auf die `Klette` werfend.
„Danke, danke!“ entgegnete er bissig, abwechselnd einen entnervten Blick auf George und einen vorwurfsvollen auf Margrit werfend. „Es ist mir unheimlich wichtig, dass gerade Sie mich loben, mein persönlicher Freund!“
George nickte zustimmend und grinste breit.
„Ist... ist Muttsch etwa auch bis ganz nach oben geklettert?“ entfuhr es Margrit entgeistert.
Paul beantwortete ihren erschrockenen, vorwurfsvollen Blick mit einem quietschenden Lachen. „Nein, natürlich nicht, Frau Schnatterfein! Die Kinder und Muttchen haben sich Parterre eine kleine Höhle gesucht. Ich war daran nicht ganz unbeteiligt!“ Er sah sich stolz um. „Gut versteckt, nicht wahr ?“
„Wirklich!“ Margrit strahlte ihn an. „Man weiß nicht, wo genau ihr Euch verborgen habt! Du bist wie immer großartig!“
„Wie interessant! Wo sind sie denn genau?“ erkundigte sich George mit leuchtenden Raubtieraugen.
Paul reagierte nur mit einer wegwerfenden Handbewegung in seine Richtung und sagte zu Margrit:
„Tja, ich habe halt keine Helfer ... Helfer ...dings...äh... macke!“
„Syndrom, Paul Syndrom!“
„...halt mich auch nicht mit Plappereien auf“, fuhr er einfach fort und sah dabei zum Himmel. „Es wird schon dunkel, kommt mein kleines Schnatterentchen nun endlich ?“
George drehte sich um, um zu gehen.
„Halt!“ Margrit hielt ihn am Arm fest. „Noch nicht weglaufen! Warten!“
Es dauerte ein Weilchen, bis sie ein Stück den Berg hinauf und dann hinter diesem mit Paul verschwunden war. Gut zwanzig Minuten später kam sie, genau wie vorhin Paul, mit einigem Geröll die Felsen mehr gerutscht als gelaufen, zurück.
„Hier!“ Mit strahlenden Augen hielt sie ihm ein wollenes Damennachthemd, einen Morgenmantel und einen Schal entgegen.
„Was heißt hier?” Er war aufgestanden, starrte besonders auf das duftige Hemd und den rosa Mantel in ihrer ausgestreckte Hand.
„Bin ich eine Schwuchtel ?”
Margritt kicherte. „Kommen Sie, hören Sie endlich auf so herumzualbern. Das ist natürlich nicht für sie, sondern für den Verletzten zum Zudecken!“ erklärte sie stolz. „Halt! Aber der Schal hier von Muttchen, der ist allerdings für sie persönlich! Tja, so ist Muttchen nun mal!”
Er griff aber immer noch nicht zu. „Ganz hübsch, wirklich nette Klamotten! Und vor allem sind sie praktisch! ”
„He, Sie sollen sie nicht beurteilen, sondern endlich an sich nehmen!” erklärte sie ungeduldig.
„Das werde ich auf keinen Fall tun, denn es sind alles viel zu gute Sachen! Sicher brauchen Sie diese Dinge selbst dringend.”
„Und sie brauchen dringend eine Ohrfeige! Aber man kommt ja nicht bei Ihnen ran! Meinen Sie denn, ich möchte den ganzen Kram wieder nach oben schleppen, nur weil Sie der dickste Dickkopf der Welt sind ?”
Er hob ermahnend den Finger. „Der zweitdickste“, verbesserte er.
„So, nun ist es passiert!“
„Was ?“ fragte er.
„Dass ich Ihnen ernstlich böse bin! Nehmen Sie nun endlich die Sachen, oder soll ich Sie Ihnen um die Ohren hauen?"
„Kommen Sie denn plötzlich ran ?”
„Ach, der Schal ist, glaube ich, lang genug!”
„Dann nehme ich die Sachen lieber...“
„Das würde ich Ihnen auch dringend geraten haben,“ brummte sie, während er ihr die Kleider abnahm.
„Geben Sie wenigstens den Muttsch zurück!“ sagte er und legt ihr den Schal um die Schultern.
„Muttsch wird böse sein!”
„Was ...äh... haben Sie denn da in der anderen Hand?" fragte er ablenkenderweise. Er sah dabei auf die große Feldflasche, die sie an einem Band in ihrer Faust hielt.
„Da ?“ fragte sie verwirrt.
Er nickte ein wenig steif.
„Ach, so ... ja, da fülle ich jetzt nur Wasser rein. Stellen Sie sich vor, Paul hat von dort oben Ausschau gehalten und den ‚Neuen See’ entdeckt !“ wusste sie erfreut zu berichten.
„Ja, ich weiß“,George lächelte. „Von dort kann man ihn gut sehen. Er ist nicht weit. Sie brauchen nur diesen Weg hier immer weiter geradeaus zu gehen. Er führt in eine kleine Niederung und ... soll ich Sie begleiten ?“ entfuhr es ihm, fast ohne dass er es wollte.
„Oh ...äh... nicht nötig! Ich werde ihn schon finden!“ Sie lächelte ebenso schief zurück wie er.
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Alt 26.12.2004, 14:56   #15
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 15

Kurze Zeit später war Margrit unten am See. Während sie ihre Feldflasche ins Wasser tauchte, betrachtete sie verwundert dessen glänzende Fluten, denn alles war dort wunderbar klar und sauber. Man konnte bis hinab auf den Grund sehen, obwohl die kleinen Wellen im matten Licht der untergehenden Sonne glänzten wie geschmolzenes Blei. Sie glitzerten in einem wesentlich dunkleren Grau als der regnerische, wolkenverhangene Himmel, der sich über ihr spannte. Eigenartige Pflanzen wuchsen üppig an den Ufern. Eigenartig insofern, da Margrit, die sich keine sonderliche Ahnung bezüglich der deutschen Flora und Fauna zuschrieb, das meiste hiervon unbekannt vorkam. Ihr Auge und Herz erfreute sich eine Weile, während die Flasche vollief, an den herrlichen Büschen, die hier an den Berghängen wuchsen, und seltsamerweise in voller Blüte standen, doch was war das?
Sie hörte es zuerst leise dann immer lauter dröhnen. Seltsam! Sie lauschte und hielt den Atem an. Es war ein merkwürdiges, kaum zu beschreibendes Motorengeräusch. Sie blickte zur Bergwand auf ihrer rechten Seite, denn von da schien es zu kommen. Und dann sah sie den Verursacher dieses Geräusches ! Ein ovaler, irgendwie weich und wabbelig erscheinender Flugkörper tauchte plötzlich hinter den Felsen langsam auf. Er flog relativ niedrig und kam wohl vom Tal, in welchem sich Hornberg befunden hatte, daher konnte man ihn von hier aus recht gut betrachten.
Margrit wusste jedoch, was das für sie bedeutete! Zitternd und in größter Hast verschlossen ihre Finger die Flasche, dennoch ging einiges daneben, floss über ihre Jacke. Sie achtete kaum darauf, sprang stattdessen auf ihre Füße, den Blick immer noch zum Himmel gewandt, denn der zeppelinförmige Flugkörper hatte die Felsen bereits hinter sich gelassen, breitete vier seiner kleinen ‚Flossen’ aus und schickte sich an, das winzige Tal zu überqueren, und somit direkt auf Margrit zuzusteuern, die dort in der Mitte stand.
Ein fast melodisches, feines Summen und Brummen wie von tausenden Bienen erfüllte nun die Bergwelt und mit einem Male wurde das Tal von einem kräftigem Luftzug erfüllt. Seltsame rüsselförmige Düsen schoben sich aus dem Bauch des komischen Dinges. Die Büsche und Bäume an den Berghängen wogten und bewegten sich dabei hin und her und das Singen dieser fremdartigen Schläuche ließ die Erde immer stärker dröhnen.
Margrit hatte sich zu viel Zeit gelassen, hätte einfach lieber die Flasche liegen lassen und davonrennen sollen. Nun war es wohl zu spät!
Dennoch rannte sie wie noch nie in ihrem Leben, den Blick ab und an zum Himmel gerichtet. Der Hall warf sich gegen die Bergwände und scholl von dort aus wider, und dann war das Ding hinter ihr her. Es sang ihr in die Ohren und der ungeheure Luftzug wirbelte ihr die Haare ums Gesicht. Man hatte Margrit schon soviel über die komischen Flugzeuge der Hajeps erzählt, doch es war kein Vergleich, so etwas mit eigenen Augen zu sehen!
Funkelnd und viel größer, als sie es je erwartet hatte, flog das Wabbelding unter den in abendlichem Rosa getönten Gewitterwolken dahin. Das also war eines dieser Glitzerboote, eines dieser Riesenblasen, über die sie schon die furchtbarsten Dinge gehört hatte.
Ganz gewiss sahen die Außerirdischen Margrit schon seit einem Weilchen hier unten um ihr Leben laufen, gleich einer Ameise, so winzig und klein, auf die schützenden Berghänge zutrippelnd. Würde sie es schaffen ? Würde es ihr gelingen den tödlichen ‚Xaxama’-Strahlungen rechtzeitig auszuweichen ? Oder hatte sie nur noch den Bruchteil einer Sekunde zu erleben, zeugte bald nur ein kleines Häuflein Staub davon, dass hier einstmals ein Mensch gelebt, gehofft und geatmet hatte ?
Noch näher kam das Schiff. Es bewegte sanft die vier Flossen und dann war es auch schon fast über ihr. Margrit wusste nicht, ob es nur das Erdreich war, das um sie herum und unter ihr so schrecklich zitterte, oder mehr sie selbst. Sie wusste auch nicht, ob der peitschende Wind des Flugschiffes über ihr sie mit ihren eigenen Haaren derart geißelte, oder dies nur so heftig geschah, weil sie so jagte, immer verzweifelter den rettenden Felsen zu. Oh, warum, warum nur war sie vorhin nicht einfach in den See hineingelaufen ? Zum Zurückrennen schien es nun zu spät. Und dort, vor ihr, oh nein! Was lag denn da ? Dort befanden sich nichts als riesige Steine und Geröll!
Auf dem Hinweg hatten die sie kaum gestört. Sie war einfach in Ruhe darüber geklettert, hatte sie die kaum bewusst wahrgenommen - aber jetzt ? Wie brachte sie das nur schnellstens fertig ? Sie wusste nur, da musste sie aufpassen! Nur nicht stolpern! Nur nicht ausrutschen! Aber schnell - schnell!
Ihre Füße in den zerrissenen Turnschuhen hüpften nun über die Klumpen, stießen schmerzhaft an deren spitze Kanten. Keine Zeit, dabei zusammenzuzucken, keine Zeit, das Gesicht zu verziehen! Immer weiter, weiter ! Und schier endlos waren die Berge noch immer entfernt.
Sie schaute wieder kurz nach oben. Da! Das fliegende U-Boot öffnete gerade eine kleine Klappe in seinem silbern schimmernden Bauch, auf welchem der Kopf eines Drachens, der eine schwarze Schlange fest im Maule hielt, zu sehen war. ‚Sie schießen!` durchfuhr es Margrit und schon wieder dachte sie dabei an den komisch zischelnden Ton, der ertönen sollte, sobald dieser seltsame ‚Xaxama’-Strahl auf Menschen traf.
Sie machte einen gewaltigen, verzweifelten Satz nach vorn, aber dort - nein - wieso kam ihr plötzlich dieser Felsbrocken in die Quere? Ihr Fuß hatte ihn nicht übersprungen, sondern war daran hängen geblieben und schließlich daran abgerutscht! Verloren! Sie spürte einen starken Stich und hart stürzte sie nach vorn. Aus und vorbei! Sie kauerte eingeklemmt zwischen den Steinen und hielt sich schluchzend das Knie. Sie warf einen letzten Blick zu den Bergen, unerreichbar waren sie nun - für immer!
Aber was sah sie denn da ? Huschte dort hinten nicht ein Schatten? Ja, es war eine große kraftvolle Gestalt, die plötzlich von einem kleinen Felsvorsprung todesmutig hinunter zu ihr in das Tal sprang.
„George! Nein, nicht!“ Obwohl sie so laut wie nur irgend möglich geschrieen hatte, wurde ihre Stimme buchstäblich von den dröhnenden Motorengeräuschen verschluckt. Sie ruderte verzweifelt mit den Armen, schüttelte wild den Kopf, versuchte, sich ihm durch Zeichensprache verständlich zu machen, aber es war vergebens. Mein Gott - warum sah und hörte er das Raumschiff nicht? Dieser Kerl hatte ja den Verstand verloren, denn er rannte gut sichtbar für die Hajeps einfach auf sie zu.
„Bist du verrückt ?“ brüllte sie gegen den Wind.
Er lachte nur wie ein Wahnsinniger, sah nach oben, änderte aber die Richtung um keinen Zoll.
„Du musst übergeschnappt sein!“ rügte sie ihn, während er ihr half, sich aus den Felsen zu befreien.
„Scheint so!“ brüllte er zurück, half ihr hoch und riss sie an sich.
„Oh, George!“ Sie kuschelte sich an seine breite Brust und hatte, obwohl sie beide doch deutlich sichtbar für die Hajeps waren, in diesem Augenblick gar keine Angst mehr. Er nahm sie auf die Arme, schleppte sie mit sich, von dem Raumschiff gemächlich verfolgt, bis sie zu den Felsen gelangten und somit in Sicherheit waren.
Beide keuchten und schnauften noch immer vor Angst und Erregung und sahen zu, wie das Flugschiff ganz gemächlich, genau über jenem mächtigem Bergmassiv, in welchem sie sich versteckt hielten, verschwand.
„Warum haben uns diese Haj ...nein... Loteken nichts getan?” fand Margrit als erste ihre Sprache wieder, unbewusst noch immer dicht an Georges kräftigen Körper gepresst.
„Es ist ein ‚Kuarin’, ein recht langsames und daher auch lautes Erkundungsschiff. Die Mannschaft dieses Schiffes hat besseres zu tun, als auf einzelne Menschen Hatz zu machen und sie mühsam aufs Korn zu nehmen!“ erklärte er sachlich. „Sie suchen die Trowes, die geflohen sind. Du erinnerst dich doch an die merkwürdige Geschichte von den beiden Zwillingen im Zug?“
Margrit nickte nachdenklich. “Aber... warum haben sie dann diese komischen Düsen ausgefahren ?”
„Um Büsche zu bewegen. Stell dir vor, diese Düsen sind so stark, dass sie selbst größere Felsbrocken zur Seite rollen können.”
„Aha, wohl um zu schauen, ob sich jemand dahinter versteckt hat.“
„Ganz genau. Schau nur!“ Er wies mit dem Finger auf jene Felswand hinter welcher vorhin das ‚Kuarin’ hervorgekommen war. „Dort kommt das nächste. Diesmal ein ‚Kontrestin’. Siehst du, es hat eine ganz andere Art zu fliegen!”
„ D.. das segelt ja dahin, fast wie ein Vogel? “
„Eher wie eine Flugechse, Margrit.”
„Aber ...es ..es schlägt jetzt mit den D.. Dingern, flattert ja richtig! Und der Körper, der dehnt und streckt sich dabei mit, als wäre es lebendig.“
„Warum nicht? Das ist eben Bio-Material, lebende Fasern! Komm wir klettern etwas höher hinauf, dann können wir es besser sehen! ”
Sie nickte aufgeregt und folgte ihm.
„Lach` mich jetzt bitte nicht aus”, keuchte sie, „aber das Kontrestin hat trotz dieser Flügel irgendwie Ähnlichkeiten mit einem Rochen, findest du nicht ?”
Er grinste. Der Wind, der komischerweise wieder über dem Tal wehte, zerrte an seinem dichten Haar, während sie höher und höher hinaufkletterten. „In entfernter Weise sind sie alle wie Fische!“ gab er zu. „Sicher kannst du dir jetzt vorstellen, dass so ein hocheleganter ‚Rochen’ ebenso schnell zu fliegen, wie durch`s Wasser zu sausen vermag!”
„Durch`s Wasser? ” wiederholte Margrit verblüfft und kletterte zu ihm in die kleine Felsnische, in welcher er es sich gemütlich gemacht hatte.
Er nickte. „Die meisten Fortbewegungsmittel der Hajeps sind Amphibien.”
Margrit staunte mit offenem Munde. Sie hatte sich vorgebeugt und ihr Gesicht, wenn auch etwas zittrig, zum Himmel gewandt und schaute zu, wie der ‚Rochen’ immer näher heransegelte und schließlich über ihnen schaukelte. Er hatte dazu seine mächtigen Flügel, oder sollte man eher sagen Flossen, weit aufgespannt, wohl um die Balance zu halten. Sie waren wie eine fein gesprenkelte Lederhaut, ließen sogar zum Teil das Tageslicht hindurch.
„Und du meinst, diese Schiffe befinden sich auf dem Heimflug?“ krächzte sie. „Wie kommst du darauf ?“
„Sie fliegen sehr niedrig!” erklärte er. „Du weißt ja, ich hatte dir für heute versprochen, die Schönheit ihrer vielfältigen Schiffe bewundern zu dürfen und ...voilá... sie sind schön, nicht wahr ? Das musst du zugeben!”
„Na, ich weiß nicht. Dieses hier ist zwar auffallend stromlinienförmig geschnitten, hat aber eine maisgelbe und ogangefarbene Haut. Selbst die Flügel sind in den gleichen Tönen gesprenkelt.”
„Das ist nicht gelb und orange, Margrit, sondern Gold und schimmernde Bronze.”
„Nein, das ist eine ekelhaft gelbe - entschuldige schon - an halb vertrocknete Haut erinnernde Farbe, mit der das ganze Ding überzogen zu sein scheint ! Und sie schimmert nur deshalb, weil die Haut so straff gespannt ist. Noch dazu ist diese komische Lederhaut überall mit unzähligen kleinen Narben, Verfleischungen, und Schwielen übersät.”
„Das sind Klappen für die Gleiter und Laderampen der Raketen, und es sind Luken und Türen, Margrit.”
„Luken? Türen? So kleine ?”
„Die sind unendlich dehnbar, dahinter sind zum Beispiel große gläserne Fenster und...”
„He, muss ich denn unbedingt so etwas als schön empfinden ?” Sie schüttelte sich. „Mir erscheint dieser Anblick eher abartig.”
„Abartig ?” rief er tief enttäuscht. „Sag doch dann lieber ungewöhnlich, denn man gewöhnt sich daran.”
„Oh Gott, kann man sich denn an so etwas Komisches gewöhnen ?”
„Müssen wir Margrit, müssen wir! Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!”
Margrits Zittern, hatte sich inzwischen gelegt. Sie nickte mit einem Kloß im Hals. Wieder schlug das Ding mehrmals mit den riesigen Schwingen, diesmal wohl um nicht hinabzusinken.
„Kannst du dir vorstellen”, schmetterte George gegen den Luftzug, der deshalb entstanden war, „dass ein Volk, das solch einen Sinn für Ästhetik hat, selbst hässlich ist ?”
Sie senkte den Kopf und die langen Strähnen hüllten dabei ihr Gesicht fast völlig ein. „Wenn es eine ebensolche Haut hat ? Ja!”
Er lachte. „Dann bist du wie alle! Schon seit Jahrhunderten konnte sich der Mensch nichts anderes als hässliche Aliens vorstellen, Würmer, Fliegen, Käfer, schleimige, krakenähnliche Wesen und so weiter!“ Sein Gesicht wanderte angespannt mit dem Kontrestine mit. „War man ihnen gut gesonnen, was selten genug vorkam, mussten die Außerirdischen zumindest zwergwüchsig sein. Diese Theorie hat sich allerdings als nicht ganz abwegig erwiesen. Wir wissen heute, dass die Hajeps, lange bevor sie uns höchst persönlich auf- oder besser gesagt - heimsuchten”, er kicherte nervös, „ihr zwergwüchsiges Sklavenvolk, die Kirtife, für Forschungszwecke auf die Erde entsandten, da Raumschiffe solcher Winzwesen bekanntlich schwerer auszumachen und zudem wesentlich billiger sind als so große Schiffe, wie sie Hajeps brauchen.“
„Du meinst also allen Ernstes, dass in diesen Flugschiffen keine hässlichen Glibberwesen sitzen, sondern wunderschöne Menschen ... äh... Außerirdische ?” Margrit schaute zu, wie der ‚Rochen’ plötzlich seine Flügel an den Körper legte, sie sogar zu beiden Seiten in den Körper saugte und stattdessen Düsen die weitere Arbeit übernahmen. Das Kontrestin verschwand haargenau an jener Stelle über ihnen und hinter der Felswand, wie zuvor der andere Flugkörper.
George zuckte die Schultern. „Noch nie hat jemand, nicht einmal ich, Hajeps ohne ihre, ich gebe zu, recht eigenartig ausschauenden Uniformen, gesehen. Vielleicht spielen sie uns Menschen auch nur, weiß der Himmel warum, diese gewaltigen, muskelbepackten Körper vor und hinter der merkwürdigen Kleidung stecken in Wirklichkeit nur kleine Männchen mit verkümmerten Muskeln, so wie die Menschheit sich das auch schon immer vorgestellt hatte, mit irgendwelchen Schnäbeln oder Reptilienmäulern statt Mündern im Gesicht. Wir wissen im Grunde genommen noch gar nichts genaues über sie. Ich verstehe eigentlich selbst nicht, weshalb sie sich die Gesichter verhüllen und diese blattförmigen Spiegelglasbrillen vor Augen haben. Einige Menschen behaupten allerdings, sie hätten schon Hajeps ohne Brille gesehen, die Augenfarbe wäre übrigens rot!” Er lachte plötzlich prustend los. „Du solltest wissen, Menschen geben bösen Geschöpfen immer rote Augen!” gluckste er. „Tja, und dann haben sie, außer einer Maske noch so etwas Ähnliches wie ein hübsch verziertes Sieb vor dem Mund, die armen Kerle!”
„Die armen Kerle ?” ächzte Margrit und musste nun auch lachen. Beide lachten sie plötzlich schier um die Wette, sie wussten auch nicht warum, vielleicht lag es daran, dass das Erlebte des Tages wie ein Trauma für sie gewesen war, dass ihre überdrehten Nerven sich endlich befreiten, sich wieder entspannen wollten, und so hielten sie sich ihre Bäuche und immer, wenn sie einander in die roten komisch verheulten Gesichter starrten, konnten sie von neuem loslegen.
Das musste vielleicht seltsam ausgesehen haben für die Außerirdischen von dort oben, denn das nächste Schiff war inzwischen gekommen und verharrte vor ihnen. Margrit bemerkte es als erste, blickte halb erstickt auf das Schiff, denn ihr war der letzte Gluckser buchstäblich im Halse steckengeblieben.
„Was ist das ?” krächzte sie mühsam hervor und wischte sich die restlichen Lachtränen aus den Augen.
„Ach, das ist nur ein typisches Trestine”, erklärte George ebenso heiser. „Du siehst, es ist zwar flach gebaut, ganz wie das Kontrestine, jedoch ist seine Form nicht so eckig, wie die vom ‚Rochen’. Trestine ähneln eher sanft gerundeten Schollen. Hmmm, schade, dass man die Piloten, wo sie nun so schön nahe sind, wegen dieser undurchsichtigen Scheiben beim besten Willen nicht erkennen kann.” Er räusperte sich, um den ‚Frosch’ im Hals wegzubekommen.
„Ich möchte wetten, dass diese außerirdischen Piloten“, quietschte er, „im Moment genauso erstaunt sind wie wir.” Er hustete. „Die wissen bestimmt nicht, was sie jetzt mit uns machen sollen!” Er wollte schon wieder anfangen zu lachen, riss sich aber zusammen. „Aber Margrit bleib` ganz ruhig, die tun nichts, ohne es nicht zuvor ausdrücklich befohlen bekommen zu haben. Sie werden daher, nach kurzer Befragung ihrer Kommandozentrale, die uns sicher gleich als unwichtig abtun wird, wieder verschwinden.”
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Alt 26.12.2004, 14:57   #16
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 16

Tatsache! Kaum hatte George geendet, saugte das Schiff mit einem feinen Gurgelgeräusch den weichen Flügelsaum in sich ein und es schossen stattdessen - leise zischend - kleine röhrenförmige Düsen aus den grün schimmernden Hautwucherungen. Sie übernahmen wieder die Arbeit. Und so schoss das grün und blau gescheckte Ding aus dem Stand kurz nach oben und sauste dann horizontal - der elastische Bug war dabei starr und lang ausgestreckt - über den Gebirgsrand und ward nicht mehr gesehen.
„Donnerwetter!” kicherte Margrit. „Das war ja fast mit Lichtgeschwindigkeit!” Sie reckte den Hals, während sie aus ihrem Felsspalt hervorlugte und nach oben blinzelte.
„Schau lieber nach vorne, Margrit!” hörte sie George. „Denn jetzt kommt von da noch eines! Heeee! Heute ist ja richtig was los!”
Es war ein ganzes Geschwader, das sich ihnen näherte und in die Wolken eintauchte wie schimmernde, dahin segelnde Drachengeschöpfe. Die Perfektion, die in den ungewöhnlichen Flugschiffen lag, welche nun in einer Linie, exakt hintereinander erschienen, war nun auch für Margrit spürbar und eine leichte Gänsehaut rieselte über ihren Rücken.
„Ob all diese Schiffe von dem kleinen Dörfchen kommen, das sie vorhin überfallen hatten?“ übertönte ihre Stimme nur schwach den Lärm, der nun entstanden war.
„Das glaube ich nicht!“ brüllte er zurück. „So viele Mannschaften wären doch für die wenigen Häuser gar nicht nötig. Diese Schiffe werden von Erkundungsflügen zurückkommen. Es kann sich höchstens das Trestine, das gerade über uns stand, dem Geschwader angeschlossen haben. Mit solch einem könnten die Soldaten befördert worden sein, die das Dorf überfallen haben.“
Sie nickte und der Wind, der herannahenden Flugzeuge wehte ihr wieder die Haare ins Gesicht.
„Ich will jetzt endlich mal von dir ein lautes ‚Aaah’ und ‚Oooh’ der Bewunderung hören, da ich dir so viele Schiffe auf einmal bieten kann.“
„Aaaah !” ächzte sie jetzt genüsslich. „Oooooh ... ohuuuuuh, George, du bist ja so guuu-uuut!”
„Mein` ich doch.” Er grinste und wurde nun doch ein bisschen rot im Gesicht. „Du brauchst jetzt nicht mehr weiterzukeuchen, ich bin befriedigt. Ha, ich wusste doch, dass dir das gefallen würde!”
Noch zwei, drei weitere Schiffe folgten, dann hatte auch das letzte das Tal hinter sich gelassen und der Lärm verebbte allmählich.
Endlich war es still, ja, fast totenstill! Es schien so, als ob selbst die Vögel nicht mehr gewagt hatten zu zwitschern. Erst allmählich konnte das Tal und seine Umgebung aufatmen.
Auch Margrit und George nahmen einen tiefen Luftzug.
„Du meinst also, sie fliegen zu ihrem Stützpunkt, ja ?“ fragte Margrit, ganz der Mensch, dessen Mund selten stillstehen konnte. „Woher willst du denn das wissen?” hakte sie weiter nach, da er nicht geantwortet hatte, weil sie beide dabei hinunter kletterten.
„Sie können doch auch so niedrig geflogen sein, nur um hier in der Nähe irgendwo zu landen?“
„Ihr Stützpunkt ist ja auch ganz in der Nähe, Margrit.” Er hielt sie bei der Hand, wenn es zu steil wurde oder stützte sie von hinten. „Sie fliegen nach Osten, nach ‚Askonit’!“
„Aha! Askonit!” Margrit nickte und passte auf, dass sie nicht daneben trat.
Bald befanden sie sich in genau jener untersten Felsnische, in der sie vorhin zu allererst Zuflucht gefunden hatten.
„Weiß du, Margrit, die Loteken müssen sich sehr hüten, nicht weiter südlich zu kommen.” George grinste jetzt richtig hämisch, wie Margrit fand. „Ganz schlimm wäre es, sie kämen in die Nähe von Frankfurt!”
„Wieso ? Warum müssen sie sich denn hüten?” fragte sie.
„Ach, komm!” Er legte seinen Arm um sie. „Mir scheint, es wird bald dunkel! Lass´ uns einfach zusammen von hier aus nach unten springen, dann haben wir endlich wieder ebenen Boden unter den Füßen, ja ?”
„V.. von hier aus ? ” ächzte sie erschrocken und spähte in die Tiefe. Doch kaum, dass sie diesen Satz hinaus hatte, war er auch mit ihr hinunter.
Margrit lachte erleichtert, als sie unbeschadet gelandet waren, doch sie hatte dabei einen ihrer ausgeleierten Turnschuhe vom Fuße verloren und musste ihn sich erst aus dem weichen Sand hervorbuddeln.
„Warum müssen diese Trestine sich hüten, nach Frankfurt zu kommen, George ?” fragte sie abermals und schüttelte dabei den Sand aus dem Schuh.
„Na, dort befindet sich erst einmal das Dörfchen Eibelstadt und dann“, er machte eine kleine, fast feierliche Pause, in der er Atem holte, „nur noch wenige Kilometerchen davon entfernt, das schönste außerirdische Wohngebiet, dass es je gegeben hat, und darum ist es auch der Sitz ‚Scolos’!” Er keuchte, so aufgeregt war er jetzt geworden. „Was sagst du dazu? Dort ist die große Kontaktstelle der Hajeps! Hast du gehört? Der Weg zu ‚Pasua’ ist Zarakuma!”
„Warum musst du immer so schrecklich angeben, George ?“ Margrit schnürte sich den Schuh fest zu, dann richtete sie sich auf und starrte George wütend an.
„Du... du bist wirklich der aufgeblasenste, parfümierte Affe, der mir je begegnet ist, George! Paul hat ja so recht! Denn das kannst du alles ja gar nicht wissen!” entfuhr es ihr ebenso atemlos. „Niemand wusste und weiß es bis heute, wo genau der Sitz ‚Scolos’ ist.“
„Guck nicht so böse!” erwiderte er schwer beleidigt. „Erst ewig herumjammern, dass ich dir nie die Wahrheit sage, und dann richtig empört sein, wenn ich es tatsächlich mache! ” brüllte er zornig. „Dir ist wohl nichts recht, was ?”
„Du meinst also, es ist die Wahrheit? Dann würden wir ja mächtig in der Falle sitzen !“
„Wieso Falle ?“ echote er irritiert.
„Na, dann müsste es ja hier nur so von Hajeps wimmeln, denn schließlich hat dieses Volk ständigen Kontakt mit Scolo!“ kreischte sie hysterisch. „Das ist ja eine schöne Bescherung! Konnte natürlich wieder nur mir passieren! Normale Menschen entfernen sich von Hajeps, ich hingegen steuere ausgerechnet die Zentrale der Hajeps an! Fein!“
„Also, ich weiß gar nicht, warum du darüber solch ein Theater machst!” fauchte er entrüstet. „Wohin willst du denn mit deiner Familie ?“
„Nach Reichenberg!“ krächzte sie erschöpft und wischte sich mit dem Ärmel den Staub von der Stirn.
„Na, das ist doch gar nicht mal schlecht! Es ist sogar recht günstig, nach Reichenberg zu ziehen, da es eben in der Nähe ‚Scolos’ liegt! Hajeps sind Ästheten! Sie lieben die Ruhe und das Schöne! Schau dich um, ist dies hier nicht ein wunderbares Fleckchen Erde ? Niemals werden sie daher auf die Idee kommen, in diesem herrlichen Landstrich große Verwüstungen anzurichten. Allerdings wundert mich, was sie mit Hornberg angestellt haben”, murmelte er plötzlich so ganz nebenbei. „Na, egal! Hm, außerdem nehme ich nicht an, dass Hajeps auch nur irgendeinen Zug, der durch ihre Naturgebiete gefahren ist, wieder zurück lassen werden. Es gibt also kein zurück, Margrit! Nie mehr!“
„Zarakuma müsste ja demnach die Hauptstadt oder zumindest eine sehr wichtige Stadt der Hajeps sein“, überlegte sie verängstigt, „wenn es in dieser ein ‚Scolo’ geben sollte. Es dürften deshalb hier nicht wenige außerirdische Flugschiffe oder andere skurrile Fortbewegungsmittel überall zu sehen sein. Ja, vielleicht begegnen uns sogar noch eines Tages irgendwelche militärischen Einheiten zu Fuß!“
Tränen schimmerten plötzlich in ihren Augen. „Soll ich dann den Kindern vielleicht sagen: guckt mal, da oben ist wieder ein Geschwader unserer außerirdischen Eroberer nett unterwegs ...oder seht mal, da kommen gerade ihre Soldaten? “
„Warum nicht ?“ er grinste amüsiert.
„Aber ich habe ihnen doch versprochen, dass wir immer weniger Hajeps sehen werden. Was sage ich bloß Muttsch ?“ Sie wischte nun an ihren Augenwinkeln herum. „Und vor allem, was Paul?” Ihr Handrücken fuhr über die tropfende Nase. Zu spät reichte er ihr ein Taschentuch.
„Margrit, du meine Güte, ich kann dich überhaupt nicht begreifen! Du machst doch alles richtig!“ knurrte er völlig fassungslos, während sie sich in seinem Taschentuch gründlich ausschnaubte. „Ich dachte, du wärest wie ich und diese Botschaft würde deine Abenteuerlust befriedigen, ja, deinen Kämpfergeist erst richtig anfachen! Denn wir haben endlich die lang gesuchte Zentrale unseres schlimmsten Feindes gefunden!” Er versuchte sie begeistert anzulachen, aber sie schüttelte darüber nur wild den Kopf und trompete abermals in das Taschentuch hinein.
„Weißt du, wenn das nur wenige Hajeps gewesen wären, so kleine Hajepnesterchen, zu denen wir hinlaufen...”, sie hielt Daumen und Zeigefinger zu einem kleinen Spalt zusammen und ihm entgegen, „...das hätte ich ja noch in Kauf genommen, aber gleich so ein ganz riesiges gewaltiges Ding, wo sich Hajeps nur so tummeln!”
Und wieder verbarg sie ihre Nase im Taschentuch. „Also das muss ich einfach erst einmal echt verdauen! Schrecklich! Furchtbar! Ach Gott! Ach, ach !” ächzte sie. „ Aaah ... aach!”
„Du meine Güte! So übertreib doch nicht dermaßen! Stöhn` doch nicht so Margrit! Du bist ja völlig fertig mit den Nerven! War wohl die lange, anstrengende Flucht, was? Verdammt, was ist denn jetzt ? Sag` doch irgendein normales Wort!“.
„Aaaach, das Taschentuch, das duftet ja so gut ! Einfach köstlich! Welches Parfüm nimmst du eigentlich immer, George ?”
Er rieb sich den verspannten Nacken. „Mann, bist du anstrengend! Es ist kein Parfüm sondern Rasierwasser.“
„Gutes Rasierwässerchen, wirklich!” Sie kicherte jetzt ziemlich wild, wischte dabei aber immer wieder an den Augen herum. „Wie bist du nur zu so etwas Köstlichem gekommen ?“
„Ich verrate dir nichts mehr!” Er schob jetzt verärgert das Kinn vor.
„Schon gut“, sagte sie kleinlaut. „Hmm, aber wenn du über alles so genau bescheid wusstest, warum hast du dann die vielen Menschen im Zug nicht davor gewarnt, nach Frankfurt zu fahren? Die Hajeps wollen doch in solch einem wunderschönem Naturgebiet gewiss ganz unter sich sein, ihre Ruhe haben und von Menschen unbelästigt sein! Das muss doch irgendwie in einer Katastrophe enden, oder? ”
„Margrit, wie ich es bereits zu erklären suchte, ist es so, dass die Hajeps sich mächtig zerstritten haben, seit sie auf unserer Erde sind, und so könnte es sein, dass die Stadt Askonit selber Gerüchte in Umlauf gebracht hat, die Menschen würden hier im Hajepgebiet sicherer als woanders sein, nur um die unter lotekischer Herrschaft stehenden Gebiete ohne sonderliche Bemühungen mit einem Schlage menschenleer zu haben, damit sie diese möglichst bald für ihre eigenen Siedler nutzen können.“
„Wie schlau! Und warum hat Zarakuma selbst hier zuvor keine Menschen vertrieben?”
Er grinste seltsam. „Na, diese Menschen nutzte Zarakuma vielleicht irgendwie für sich aus ? Wer weiß ? ”
„Du weißt es!“ fauchte Margrit. „Hm, schon gut, ich frage nicht weiter! Aber diese Lügen verbreiten die ...äh... Loteken bestimmt mittels menschlicher Helfer!“
George nickte.
Margrits Augen blitzten ihn wütend aber auch ein kleines bisschen misstrauisch an. Wer war dieser George wirklich?
„Findest du sie etwa bewundernswert?“ Zum ersten Male zweifelte sie an ihrer eigentlich sonst immer recht verlässlichen Fähigkeit, Personen richtig einzuschätzen. „Zarakuma wird sich diese Menschenflut doch bestimmt nicht lange bieten lassen, unschuldige Leute werden letztendlich schon wieder dafür bezahlen müssen! Warum hast du niemanden davor gewarnt ?“
„Sollte ich mich lynchen lassen? Die Leute in den Zügen, waren doch im Grunde schon ganz verrückt darauf, mir den Hals umzudrehen.“ Er grinste unsicher. „Nur weil ich groß und kräftig gebaut bin und so viel über Hajeps weiß! Außerdem hätte ich niemals alle retten können! Wenn überhaupt, nur einen Bruchteil davon!“
„Werden alle sterben?“ krächzte Margrit entsetzt.
„Weiß ich es?“ entgegnete er frostig. „Bin ich Hajep?“
„Vielleicht?“ entgegnete sie sehr, sehr leise.
„Aaaha! Die Dame misstraut mir also schon wieder!“ Seine grünen Augen blitzten sie enttäuscht und traurig an. „Nach alledem hätt` ich das eigentlich nicht mehr von dir gedacht!“
Er räusperte sich. „Na, da kann man wohl nichts mehr machen! Misstrauen ist eine Krankheit“, er atmete tief durch, „die gerade in unserer schlimmen Zeit, die meisten Menschen befallen hat. Was an sich verständlich ist. Dennoch sollten wir nicht übertreiben, aber das hatte ich ja heute schon einmal gesagt, lassen wir das!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du solltest trotzdem wissen, dass ich zumindest bemüht war, eine ganz bestimmte Familie zu retten und vielleicht noch immer damit beschäftigt bin.“
George warf Margrit einen bedeutungsvollen Blick zu. „Doch die Frau aus dieser Familie zeigt sich dabei etwas störrisch. Wirklich, Margrit, es wäre wahrhaftig besser, wenn ihr in Zukunft nur noch auf mich hören würdet! Ja, es wäre sogar am Besten, ihr zöget gar nicht erst nach Reichenberg und kämet mit mir nach Eibelstadt.“
„Eibelstadt?“ Margrit machte große Augen. „B...bist du verrückt ?“
„Margrit, du sammelst doch Sprüche, dann solltest du dir vielleicht folgenden merken : Am sichersten sind die Hasen direkt neben dem Jäger! Na, was hältst du davon ?“
„Nichts, George!“ Sie starrte ihn an, als hätte sie einen Verrückten vor sich. „Darüber muss ich erst einmal nachdenken!“
„Ha, manchmal schadet zu vieles Denken auch! He, es ist mir wirklich zu mühsam, euch immer wieder hinterherzuhetzen, um nachzuschauen, dass euch auch ja kein Unheil geschehen ist!“ Er krauste die Stirn. „Ich kenne die Hajeps, glaube mir! Frage mich aber nicht“, er hob abwehrend die Hände, „woher ich diese Informationen habe.“
„Ja, ich weiß“, unterbrach sie ihn, „jetzt kommt wieder die Sache mit meiner Hysterie, habe ich recht ?”
„Immerhin eine gute Ausrede für mich, nicht wahr? Nein, die Wahrheit ist, ich bin eben auch ein kleines bisschen misstrauisch, zwar nicht dir gegenüber, aber diesem Paul!“
„Wa - aaas ?“ Margrit war so verblüfft, dass sie schallend auflachen musste. „Jetzt sag bloß“, prustete sie, „du hältst Paul für einen Hajep? Er hält dich nämlich auch für einen!“
Da fiel er in ihr Gekicher mit ein. „Das meine ich natürlich nicht. Aber ich kann ihm durchaus zutrauen, in bestimmten Situationen völlig unvermittelt und falsch zu handeln, wenn er etwas von mir erfährt. Und da du sehr gesprächig bist, wage ich nicht mir vorzustellen, dass kein verräterischer Laut, deinen Lippen entfleucht.“
„Danke für die Blumen!“ knurrte sie. „Also sind wir für heute quitt!“
„Ja, das könnte so hinhauen!“ Er grinste, dann sah er ziemlich nachdenklich ins Tal. „Ich werde noch einmal zu diesem See gehen und Wasser holen für meinen Verletzten.“
Margrit entdeckte jetzt erst, dass er ebenfalls eine Flasche in seiner Faust hielt, die er wohl gerade von seinem Gürtel gebunden hatte.
„Oh Gott!“ stieß sie entsetzt hervor und bemerkte, dass er sich schleunigst in Gang setzte. Sie wollte ihn festhalten. „Du kannst ja mein Wasser haben!“
„Das braucht doch ihr!“ Er hüpfte übermütig, wie ein junges Karnickel, ihren ausgestreckten Armen davon.
„He, ich habe aber Angst um dich!“ Sie trottete ihm hinterher. „Der See ist mir nämlich noch immer irgendwie unheimlich."
„Ja, ja und jetzt Bammel um den Hajep haben. Das haben wir gerne!“ Er grinste und lief dabei rückwärts. „Stell dir vor“, rief er, „das alles macht nun dieser schreckliche, fürchterliche Hajep für schnöde Menschen!“
Und dann drehte er ihr den Rücken zu und lief ziemlich schnell weiter.
Sie blieb stehen, sah ihm ein Weilchen hinterher, jetzt war er schon zu jener Stelle gelangt, wo sich noch vor kurzem zwischen Steine und Geröll ihr Fuß verhakt hatte. Wie schnell war doch die Zeit vergangen, in welcher er bis dorthin gelangt war, und wie endlos lang und qualvoll war ihr vorhin diese Strecke erschienen. Wieder warf er einen Blick zurück über die Schulter.
Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
„Das ist schon zum Kopfschütteln“, brüllte er noch weiter von ihr entfernt, dann nahm er den kleinen Steinwall in Angriff, „denn hier entfleucht dir ein Meisterkletterer, wie ihn die Welt noch nie ... aua... gesehen hat!“
Da musste sie doch lachen.
Wieder schaute er sich um. „Nicht kichern!“
Jetzt konnte sie ihn nur noch undeutlich verstehen. Die Steine hatte er jedenfalls hinter sich und es folgte nur noch dieser schöne weiche Sand.
„Margrit?“ Er drehte sich nochmals zu ihr um und blieb stehen. „Spreche mal mit Paul über meinen Vorschlag. Am Besten jetzt gleich! Kommt mit mir nach Eibelstadt! Er wird zwar nicht gerne einwilligen, aber ich glaube, es wird dir schon gelingen ihn zu überreden. Ihr braucht meine Hilfe, sonst...“, er wirbelte herum und lief weiter.
„Was sonst?“ schrie sie zu ihm hinüber. „Ach, George, willst du mir etwa drohen?"
Sie runzelte die Stirn und sah, dass er jetzt am See kauerte und die Flasche vollaufen ließ. Konnte er sie wahrhaftig von dort aus nicht mehr hören? Oder tat er nur so? Füllte er wirklich die Flasche für den Verletzten oder nur für sich selbst ? Hatte er den überhaupt mit ihren Sachen zugedeckt ? Warum wollte er sie und ihre Familie unbedingt begleiten? Konnte man sich von ihm leiten lassen, ganz gleich wohin er einen führte? Nachdenklich schaute sie George zu, wie er die Flasche verschloss. Gleich würde er zurücklaufen.
Nein, sie wollte nicht gemeinsam mit ihm den Weg zurück. Sie drehte sich um, lief mit einem Male sehr schnell, ja, rannte fast.
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Alt 01.01.2005, 14:15   #17
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 17

Kapitel 3

Als es hügelaufwärts ging, stellte Paul nach kurzer Zeit wieder die zwei Koffer ab, rieb sich die schmerzenden Finger und sah dabei zu Boden.
„Ich will nur, dass wir diesen George meiden, Margrit!" begann er von neuem. „Verstehst du? Wir brauchen ihm ja nicht unbedingt in die Arme zu rennen ! "
Margrit hatte ebenfalls erschöpft angehalten und überlegte nun, ob sie wenigstens Tobias hinten vom Fahrradsitz nehmen sollte, damit es leichter gelang, den Hügel zu bewältigen.
War es nur Einbildung oder vernahmen sie in diesem Moment tatsächlich das Quietschen schlecht geölter Fahrradpedalen hinter sich? Erschrocken fuhren die Köpfe herum. Ein feuerrotes, recht gut erhaltenes Rad blinkte ihnen entgegen und hielt schließlich vor der verblüfften kleinen Schar.
„Oh, hallo!“ entfuhr es der dunklen Gestalt verlegen, die auf dem bequemen, sehr hoch gestellten Sitz tronte. Dennoch wirkte das Rad für die langen Beine etwas zu niedrig.
Als niemand antwortete, fragte der jugendliche Riese : „Ist irgend etwas Besonderes mit mir? Warum starren Sie mich so an?“ Er blickte suchend an sich selbst hinauf und hinunter. „Oder ist etwas Komisches an dem Rad ?“ Auch das musterte er nun kritisch. „Ah, jetzt begreif` ich`s !“ Er lachte amüsiert. „Bin wohl zu groß für das Rädchen, gelle ?“
Margrit war die erste, die sich wieder fing. „Hallo, George!“ begann sie freundlich. „Sie sind ja noch so jung! Ich darf Sie doch bei ihrem Vornamen nennen?“
Er nickte breit grinsend. Paul hingegen warf seiner Margrit deshalb einen verständnislosen Blick zu.
„Nichts ist an Ihnen komisch!” plauderte sie weiter. „Dass Sie ein bisschen größer sind als das Rad, stört uns gar nicht. Wir staunen nur, dass wir Sie ausgerechnet hier...“
„Da bist ja schon wieder du-hu!“ unterbrach Julchen Margrit. „ Du... du bist auch vorhin ausgestiegen aus dem Zug, stümms ? Wir sind auch vorhin ausgestiegen aus dem Zug und der Munk, der is ganz vorher ausgestiegen aus dem Zug, aber die Oma, die is...“
„ Julchen!“ unterbrach Margrit ihren Wortschwall.
„Ich mag den nich”, murrte Tobias leise und seine Hand suchte nach dem ‚Blaui’ tief in seiner Tasche.
„Und...und...und... dass du gleich hinter uns bist!" Julchen konnte sich anscheinend nicht mehr einfangen, denn ihr ganzes Körperchen zuckte vorne auf dem Fahrradsitz.
„Ich weiß gar nicht, was ihr habt !” wisperte hingegen Muttchen direkt hinter Margrit. „Der hat doch ein recht nettes Gesicht, der Hajep. Ob ich ihm wohl meinen Schal...“
„Untersteh dich, Muttsch!“
Margrit nahm Tobias mit einem Arm herunter, der strampelnd dagegen protestierte, doch sie stellte ihn einfach auf die Erde. Wütend stampfte er nun mit dem Fuß auf.
„Wie haben Sie es nur gebracht, so still und heimlich aus dem Zug zu steigen, ohne von uns dabei erwischt werden ?“ fragte sie.
„Och, Sie waren vorhin so beschäftigt mit ihrer Karte”, meinte George, „da wollte ich nicht stören!“
„Sie hätten nicht mehr gestört als bisher!“ zischte Paul.
„Paul!“ rief Margrit entsetzt und errötete.
Doch der junge Mann hatte auch das gehört. „Oh, das habe ich nicht gewusst!“ erwiderte er, und mehr schien er dazu auch nicht sagen zu wollen.
Dies überraschte die kleine Familie tatsächlich ein wenig, und Paul überkam die unangenehme Gewissheit, dass sie den nervigen Kerl wohl nicht sobald wieder los werden würden.


°

Munk machte einen Buckel, gähnte und streckte sich. Nun war es ihm doch noch geglückt, ganz kurz einzudämmern.
In der Ferne hörte er wieder das Summen der großen Glitzervögel. Es wurde lauter, also kamen die nun auch hierher. Während er das Fell sorgsam ordnete, stellte er fest, dass er hungrig geworden war. Frauchen gab ihm um diese Zeit manchmal Zermatschtes. Das war zwar nicht sonderlich lecker aber bequem. Würden ihm diese Zweibeiner hier bald dergleichen durch die Gitterstäbe schieben?
Er schaute sich um - nichts geschah. Obschon seine Nase nicht mehr die allerbeste war, konnte er in diesem Heuschober, in dem er mit den merkwürdigen Fellpfotlern Unterschlupf gefunden hatte, nicht nur den Geruch von Korn und feinen Gräsern ausmachen, sondern auch den leckerer, kleiner langschwänziger Quietschdinger.
Hmmmm, hier gab es also viele davon und zwar in allernächster Nähe. Er schob seinen kräftigen Riecher zwischen die Stäbe, doch dann wurde er ärgerlich. Was dachten diese Stinketypen sich eigentlich? Die lagen jetzt alle mehr oder weniger laut schnarchend im Heu herum, obwohl jetzt das Nickerchen gar nicht mehr dran war! Jetzt war Jagen dran, sein Magen bewies ihm das deutlich! Aber die brachten ja grundsätzlich alles durcheinander, ach, ach, ach, er kannte das ja.
Munk hörte, dass die Glitzervögel nun ihre Kreise über diesem Städtchen zogen. Erst ein Rauschen über den Dächern, dann das Landen kleinerer ‚Flugdinger’ und schließlich leise Befehle und das Knirschen von Kies, verursacht von vielen Stiefeln. Dann ein kaum hörbares Rufen fremdartig klingender Kehlen und dann... kam alles näher. Es war lebendig. Munks Ohren waren zwar etwas altersschwach, konnten aber trotzdem sehr gut Technik-Stimmen von den Lebendig-Stimmen unterscheiden.
Er fuhr zusammen, denn plötzlich erfolgten Tritte nebenan, und zwar gegen die Tür des Hauses, zu dem wohl dieser Heuschober gehörte. Eine ängstliche Frauenstimme war in diesem Hause zu hören und dann die eines Mannes. Sie fragten wohl den, welcher getreten hatte, nach irgendetwas.
Der kleine Stinkejunge, der neben Munk lag und zwar dicht an dessen Käfig gekuschelt, fuhr deshalb schwankend aus dem Schlaf hoch und mit ihm gleich seine Kameraden. Einer von ihnen trug eine Kette um den Hals und daran ein etwa katzenpfotengroßes Medaillon. Er drückte mit dem Daumen auf eines der Plättchen, die darin hell erleuchtet waren. Ein feiner, sehr heller Ton erklang, den nur Munks Tierohren wahrnehmen konnten und wieder kroch Nebel von allen Seiten herbei. Munk verstand nicht. Warum fabrizierten diese Stinkewesen immer wieder diese ekelhafte Feuchtigkeit?
Mit angehaltenen Atem horchten nun die komischen Zweipfotler im Schuppen auf das, was von draußen zu ihnen hereindrang. Zuerst wurde für ein Weilchen im Befehlston irgendetwas herum geschrieen, wogegen der Mann aus dem Nebenhaus wohl protestierte. Dann hörte man die Tür vom Nebenhaus plötzlich nieder krachen.
Munk fand das heisere Gebrüll und die vielen jagenden Schritte darin nicht besonders schlimm, obwohl sie irgendwie aggressiv klangen.
Doch leider entspannte es ihn nicht, denn die Stinketypen von hier drinnen kamen nun erst richtig in Fahrt. Sie platzierten sich nämlich jeder an irgendwelchen Ecken im Schober. Nur, weil im Nebenhaus noch mehr Krach gemacht wurde, der denen wohl mächtig Spaß zu bereiten schien. Denn ein weiblicher Zweipfotler kreischte jetzt dazu und nun knallte es richtig laut.
Munk verstand nicht, dass man hier drinnen darüber nervös werden konnte, denn ihn hatte solch ein bisschen Lärm noch nie gestört. Er war ja auch von Kindesbeinen an daran gewöhnt. Außerdem hatte ihm das bisher nie geschadet.
Er schnurrte darum etwas eindringlicher, doch seine Barthaare vibrierten, da jetzt ein heftiges Schimpfen zu hören war und wenig später überall Lärm in den Straßen des kleinen Städtchens erscholl. Schließlich wurde es ruhig. Der weibliche Zweibeiner, der vorhin am lautesten gewesen war, wimmerte jetzt nur leise.
Munk hörte - wenn auch ungern - mit dem Schnurren auf, da jetzt flinke Schritte zu hören waren, die näher kamen. Jemand lief weg, Richtung Schuppen! Und dann zuckte Munk wieder zusammen, weil es an der Türe rumpelte, da dieser jemand wohl zu ihnen hinein und die Tür aufreißen wollte.
Die Stinkewesen hielten aber von der anderen Seite her die Türe zu und flüsterten aufgeregt miteinander. Einer von ihnen hatte dabei etwas Unförmiges zwischen den Krallen und visierte damit die Türe an. Doch es prasselte abermals dort draußen und diejenige, welche eben noch hinein gewollt hatte, schrie laut und klar, aber dann verwandelte sich ihr Ton in eine komisches verzerrtes Ächzen. Sie warf sich noch ein letztes Mal gegen die Tür und rutschte dann an dieser langsam herunter. Sie krachte dabei - wohl mit dem Kopf - auf die Türschwelle des Heuschobers.
Nicht nur Munk roch jetzt Blut, auch die Fellwesen. Sie zitterten, als ziemlich schnell von unten durch die Türritze hindurch, eine tiefrote Lache zu ihnen durch sickerte.
Einige von ihnen schlichen nun rastlos durch den Schober, wechselten immer wieder ihre Positionen.
Munk war empört, hatten sie ihn etwa vergessen? Er konnte ja aus diesem Käfig nicht hinaus! Wie war er erleichtert, als er fühlte, wie er plötzlich doch noch hochgehoben wurde, auch wenn er dadurch fast auf die Schnauze fiel. Es war das Fellkind gewesen, das seinen Käfig ziemlich hektisch angehoben hatte und nun mit sich schleppte.
Munk hasste zwar Hektik, doch das Kind versteckte sich mit ihm sehr geschickt in einer Ecke des Schobers, hinter einem der mehr als drei Heuballen.
Munk horchte auf und blinzelte durch den dummen, bunt flirrenden Nebel, den sie andauernd um sich hatten. Nur noch der Stärkste der Felltypen wartete, dabei immer noch irgendetwas Komisches in den Händen haltend, gemeinsam mit einem Freund an der Tür.
Worauf wartete der ? Draußen war es inzwischen noch lauter geworden. Die fremdartigen Zweipfotler dort schienen wohl noch mehr Spaß zu haben. Munks feine Ohren vernahmen nicht nur wütendes Gebrüll, schrille Schreie und dazwischen immer wieder dieses Knallen, Zischeln und Rattern, sondern auch das Gezwitscher vieler kleiner Technik-Stimmchen und - das allerdings viel später - ein schleifendes Geräusch hinter der Tür, das sich langsam entfernte.


#


„Psst... hört ihr den Lärm aus der Ferne ?” fragte Margrit indes.
Alles nickte.
„In und um Hornberg scheint irgendetwas los zu sein ?” meinte auch Paul.
„Hört sich an wie bei einer Schlägerei !” krächzte Muttchen besorgt.
„Oh, Kacke!“
„Tobias!”
„Da hau`n sich`n paar, stümms ?” hakte Tobias trotzdem nach.
„Ach, ich mag keine Haue!” erklärte Julchen und strampelte in ihrem Kindersitz.
„Das ist hoffentlich nicht mehr als eine Keilerei!” mischte sich George ein, der schon die ganze Zeit sorgenvoll über die breite Schulter zurück geblickt hatte.
„Was könnte da bloß los sein ?” keuchte Muttchen atemlos. „Hört sich ja furchtbar an!”
„Stümmt.” Tobias krauste die Stirn und ließ den Blaui in seiner Hosentasche verschwinden.
„Wie dem auch sei, mein werter George, sie dürfen an uns vorbei !" krächzte Paul einigermaßen höflich und machte für den jungen Hünen Platz.
Doch dieser rührte sich nicht von der Stelle.
„Ja, du kannst in echt vor!” bekräftigte auch Tobias.
„Nicht nötig “, erwiderte der Riese bescheiden.
„Ich finde doch“, beharrte Paul etwas energischer, “denn diese Straße ist zum Teil stark beschädigt. Das ist nicht gut für Fahrräder. Sie brauchen viel Platz und dürfen daher vor uns nach oben!“
Paul grinste ihm ziemlich aggressiv zu und der wieder überaus freundlich zurück.
„ Ach, ich habe gar nicht gerne Leute im Rücken !“ gab George fast scheu zur Antwort und machte keinerlei Anstalten zu gehorchen.
Paul verzog nun sein Gesicht in offener Feindseligkeit.
„Wir haben aber auch nicht gerne welche hinter uns!“
„Wie wir uns ähneln!“ entfuhr es dem jungen Mann begeistert. „Ich finde Leute, die sooo seelenverwandt sind, sollten zusammenhalten!“
Margrit musste plötzlich kichern. „Ach, lass` ihn doch, Paul! He, Tobias, wirst du deiner Mama beim Hochschieben helfen ?”
Der Kleine nickte nachdenklich. „Aber Jule muss auch vom Rad“, setzte er ziemlich eifersüchtig hinzu.
„In Ordnung“, stimmte Margrit ihm zu.
„Nein, ich will nicht!” Die Kleine strampelte, kaum dass Margrit sie gepackt hatte. „Ich bin doch sooo müde!”
„Aber du musst!” beharrte Tobias hämisch grinsend.
Margrit wisperte ihr etwas ins Ohr und schon war das Mädchen hinunter. Nun begannen alle drei das Rad weiter aufwärts zu schieben.
„Wenn George unbedingt will“, erklärte Margrit wieder an Paul gewandt, „soll er doch mit uns kommen!”
Paul sagte daraufhin nichts mehr, ergriff die Koffer und lief einige Schritte hoch. Dann blieb er wieder stehen, entfaltete seine Karte, jedoch so geschickt, dass der Hüne, falls er von hinten kommen würde, kaum mit hineinschauen konnte. Er verglich prüfenden Blickes die gesamte Umgebung.
„Donnerwetter, da unten ist es ja noch lauter geworden!” quiekte Muttchen entsetzt.
„Geht das uns etwas an ?” murrte Paul.
„He, ich glaube da wird sogar geschossen ?” rief Margrit entgeistert und schaute blinzelnd hinunter.
„Ohne Sch... also in echt jetzt ?”
„Ganz in echt, Tobias!”
„Oh, ich mag nicht schießen !” schimpfte Julchen
„M... meint ihr wirklich ?” keuchte Muttchen und hetzte gleich etwas schneller den Hügel hinauf. „Ich denke doch, hier sind wir sicher?”
„Hier sind wir jedenfalls richtig“, bemerkte Paul knapp und die Karte verschwand wieder im Inneren seiner Weste.
„Wohin wollen Sie denn ?” fragte George, der sich immer noch an gleicher Stelle befand, wo er gehalten hatte.
War dieser Kerl etwa völlig blöd oder aus unerfindlichen Gründen einfach nur zäh?
„Das hat Sie nicht zu interessieren! Haben wir uns verstanden?!” Pauls dunkle Augen blitzten zu ihm hinunter.
„Paul!” Margrit schaute sich nach ihm kopfschüttelnd um. „Lass uns doch ruhig alle zusammen nach oben gehen. Hier gibt es so wenig Möglichkeiten, gut zu übernachten. Gewiss wird es kalt und er hat keine warmen Sachen dabei. ”
„Ihr solltet auf diese kluge Frau hören! Helft mir, dann werde auch ich euch helfen!” sagte der Riese, der sich nun endlich in Gang gesetzt hatte. Er schob dabei ziemlich elegant das Rad neben sich her. „Ich kenne mich hier nämlich recht gut aus!”
Paul wollte dem etwas entgegensetzen, zog dann aber den Kopf zwischen die Schultern ein. Der kannte sich hier also auch noch aus. Verdammt! Und irgendwie hatte er langsam keine Kraft mehr, sich ständig zu streiten.
„Du... du kennst hier alles ?” fragte jetzt Julchen, blieb stehen und zog dabei einen Faden aus ihrem Ärmel. „Ich kenne auch was hier. Die Mama und den Tobias und...“
„Hören sie, werter George oder wer sie auch immer sind“, fiel Paul der Kleinen nun doch ins Wort, „wir kommen sehr gut ohne Sie klar ! “ Er hauchte kurz über seine wehen Hände, ergriff sich die Koffer und stapfte weiter.
„Stümmt“, bestätigte Tobias und half wieder seiner Mama, das Rad etwas schneller nach oben zu schieben.
„Und wenn sie sich nun doch verlaufen ? ” zwitscherte ihnen der Riese trotzdem hinterher. „Vielleicht wollen wir ja alle zu demselben Ort.“ Er lenkte das Rad zur Seite, da ein Stein im Weg lag. „Denn viele gibt es hier eigentlich nicht, die für Menschen einigermaßen interessant wären.“
Das Rad quietschte dabei ganz besonders laut, aber man konnte ihn dennoch verstehen.
„Menschen sollten zusammenhalten, besonders in diesen grässlichen Zeiten!“
Paul schüttelte sich und Tobias warf ihm nicht nur einen verständnisvollen Blick zu.
„Der is ein ganz bepisstes Arschgesicht, stümms?“ flüsterte er hinter vorgehaltener Hand zu Paul hinüber.
„Stimmt, Tobias!“ Paul lachte ziemlich wild in sich hinein.
„Ist ihnen kalt ? " erkundigte sich die riesige, dunkle Gestalt, die nur sah, wie Pauls Oberkörper dabei bebte.
„Ja, so ein bisschen!“ murrte Paul. Himmel, wie wurde man den nur wieder los?
„Antworte diesem Penner doch einfach nicht!” wisperte Tobias. „Du bist viel zu nett zu dem Scheißer!” Und er schob nun das Rad so schnell, dass Julchen kaum noch mithalten konnte.
„Tobias!” fauchte Margrit. „Und misch` dich nicht immer ein!”
„Aber der mischt doch auch immer mit, stümms ?” verteidigte Julchen ihren Bruder und hielt an, sodass auch Margrit bremsen musste.
„Stümmt“, bestätigte Tobias mit gefurchter Stirn. „Los, Jule, wir rennen! “

#


Munk war inzwischen sehr ernst geworden, die Schnurrhaare hingen ihm zu beiden Seiten herunter. Was eben alles passiert war! Er musste sich setzen und das viele erst einmal verarbeiten.
In der Zeit, als es besonders laut draußen im ganzen Städtchen gewesen war, hatte Munks Fellkind ein etwa handgroßes Loch in der morschen Holzwand des Heuschobers hinter sich entdecken können. Der stärkste der Stinketypen hatte daraufhin zu Munks Überraschung - und zwar immer dann, wenn es draußen so richtig doll ratterte und rumorte - mit seiner Pranke ein so großes Loch in die Rückwand des Schobers gebrochen, dass sie alle wenig später durch dieses hindurch ins Freie schlüpfen konnten.
Der Heuschober stand in der Nähe eines kleinen Wäldchens, worin sich die kraushaarigen Felltypen mitsamt Munk dann verdünnisiert hatten und dort, wieder vom Gestrüpp verdeckt und von dem komischen Farbnebel umhüllt, weitergeschlichen waren.
Dabei mochte das Fellkind dann vor lauter Müdigkeit gestolpert sein - war ja klar, Zweipfotler wussten nie, wann es Zeit war Nickerchen zu halten - und dabei so heftig gegen den Käfig gekracht, dass sich dessen Drahtgestell von dem Boden gelöst hatte.
Munk hatte diese Situation geistesgegenwärtig genutzt und war ohne langes Nachdenken einfach davon gezischt, noch ehe ihn die stinkigen Arme hatten packen können, und das Kind hatte darüber so schrecklich geweint, dass ihm einer der Felltypen den Mund zuhalten musste. Und nun?
Nun saß Munk inmitten einer kleinen Wiese hinter einem Hügel, starrte skeptisch auf dieses Loch und spreizte - wohl nun schon zum dritten Mal - die Schnurrhaare.
War das nun ein Loch, welches leckere, langschwänzige Quietschebällchen mühsam gebaut hatten oder?
Es durfte nämlich keines der größeren Quietschlinge, die zum Beispiel auch in Kanalrohren ihr Dasein fristeten, sein, denn die waren gefährlich, weil sie so angriffslustig waren und auch Krankheiten verbreiteten. Das wusste er noch von seiner Mutter.
In der Ferne hörte er jetzt ein Grollen. Wahrscheinlich zog ein Gewitter auf.
Hach, wer wusste denn schon, ob diese großen Quietscher wirklich so ungenießbar waren? Seine Schnurrhaare waren jetzt steil erhoben. Er hatte großen Hunger und weit und breit war kein Winzloch zu sehen!
Das Rumpeln nahm in der Ferne zu. Aber das störte ihn nicht. Stattdessen duckte er sich und legte sich im hohen Grase auf die Lauer.
Aus der Ferne rumpelte es jetzt noch doller. Aber er nahm das kaum noch wahr.
Keines seiner Schurrhaare zuckte, er war fest entschlossen sofort auf die nächstbeste Ratte zu springen, sobald sich die nur zeigte !
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Alt 01.01.2005, 14:20   #18
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 18

„Da sie nach Reichenberg wollen oder zumindest in die Nähe von Würzburg, begann indes der Hüne ein wenig zu hastig, „haben wir denselben Weg! Wir können also tagelang zusammenbleiben, was recht günstig ist!“
Auch noch tagelang, Peng! Paul fuhr zusammen. Wenn dieser Halunke ein Hajep war, konnte das tatsächlich recht günstig für ihn sein. Darin war ihm wirklich nicht zu widersprechen! Paul pustete nochmals in die Hände, bewegte die geschwollenen Finger, dann drückte er vorsichtig das Kreuz durch. Oh, tat das weh! Die Länge hatte wirklich die Last! Er räusperte sich.
„Nun“, brummte er mit möglichst ruhiger Stimme, „wie ich schon sagte, ich halte es doch für besser, wenn jeder seiner eigenen Wege geht. Wir haben vor, einen besonderen zu laufen, den wir - entschuldigen Sie - ihnen nicht unbedingt verraten wollen. Außerdem ist es wegen der Hajeps nicht gerade klug, größere Gruppen zu bilden. Was Sie ja, wo Sie sich so intensiv mit außerirdischem Gesumse beschäftigen, gewiss schon lange wissen.“
Er gab sich einen Ruck, bückte sich und hob erneut die schweren Koffer an, ohne dem jungen Mann auch nur einen weitern Blick zu schenken.
George sah zu Boden, während er sein Rad weiterschob. Es quietschte dabei leise aber ausdauernd. Der Körperhaltung des unheimlichen Fremden war anzumerken, dass ihm diese Antwort überhaupt nicht zu behagen schien. Als er aufschaute, ruhten seine grünen Augen für ein Weilchen auf Margrit.
Tobias, der das bemerkte, stieß jetzt mit seinen kleinen Händen Margrits Rad so schnell vorwärts, dass Julchen, die ja mit festhielt, hinschlug.
„Tobias!” schimpfte Margrit. „Jetzt reicht`s aber!“ Sie nahm das schluchzende Mädchen auf den Arm.
Doch Tobias zeigte keine Reue, sondern warf nur einen wütenden Blick auf den Kerl hinter sich, so als würde der Schuld dafür tragen.
In diesem Augenblick ertönte plötzlich ein unheimliches Donnern aus der Ferne.
„Still!“ keuchte Margrit mit angehaltenem Atem. „Hört Ihr nicht auch dieses Rumpeln? Ich glaube von unten zieht ein Gewitter herauf.”
„Aber... es kommt schon wieder von Hornberg?"quiekte Muttchen ängstlich und sah den Weg hinunter.
„Ohne Sch...?” Tobias Tränen waren schlagartig versiegt.
„Ich... ich mag kein Rumpeln!” Julchen schnäuzte sich in den Ärmel.
„Was für ein Rumpeln?“ platzte die Stimme des unheimlichen Hünen dazwischen. Er war ebenfalls stehen geblieben.
„Ach, das geht Sie gar nichts an !” fauchte Paul zu ihm hinauf.
„Verfickte Scheiße!“
„Tobias!“
„I... ich höre es jetzt nämlich auch!“ zischelte Tobias.
„Auweiiiiaaah!“ Über Julchens Wange kroch schon wieder eine Träne, denn das Getöse hatte sich augenblicklich verstärkt. Das Tal erbebte und plötzlich auch der ganze Weg, den sie empor gelaufen waren. Und nun erscholl ein ohrenbetäubenden Knall. Dieser brach sich an den Hängen des Gebirges, vor dem sie sich befanden.
Der kleine Trupp, war nicht nur augenblicklich wie betäubt, sondern auch wie gelähmt.
Schließlich wurde es ruhiger, polterte nur noch ein wenig und dann war Stille.
„Seht ihr dort hinten ?” wisperte Margrit als erste entsetzt.
„Auweeiiiiaaah! “ schluchzte Julchen schon wieder.
„Kacke, Kacke, echte Kacke, Hornberg brennt!” kreischte Tobias.
„Oh Gott, oh Gott, überall Feuer ! ” stöhnte Muttchen.
„Welche Flammen ... gewaltig! “ stellte auch der Hüne entgeistert fest.
„Da haben wir die Bescherung!” ächzte Paul. „Unsere außerirdischen Eroberer sind also doch hier! Und wer hat euch das schon immer gesagt, wer?”
„Du, Paul. Aber ich kann es immer noch nicht fassen!“ Muttchen schüttelte ungläubig den Kopf. „Sie haben das gesamte Städtchen - wutsch - mit einem Male einfach nur so in die Luft gesprengt!”
„Die... diese gemeinen Ärsche!” schluchzte Tobias. „Die haben Hornberg so richtig in die Kacke geritten!”
„Tob...“, setzte Margrit an, brach dann aber ab. „Du hast ja Recht!”
„Oh, ich hasse P...pinnen !” wimmerte Julchen.
„Kreuzspinnen!” verbesserte Tobias sie und zog den Schnodder in die Nase hoch.
„Oh, mein Gott“, jammerte Muttchen, „was für eine Gewalt, was für ein Verbrechen, was für ein Knall! Mir klingen noch immer die Ohren!”
„Da oben!” rief der junge Hüne und hob den Zeigefinger. „Und da! Und dort! Und da hinten! Seht ihr die vielen kleinen Gleiter? Als ob es ein Schwarm Fliegen wäre!“
Er schwang sich über das Rad, stützte es mit den Beinen und ließ den Rucksack in höchster Eile von der Schulter gleiten. „Sie suchen bestimmt ihre Mutterschiffe!” Fieberhaft wühlte er in seinem Sack, holte das Fernrohr hervor und schon hatte er es vor den Augen. „Und es sind tatsächlich diesmal Loteken gewesen!”
„Diesmal?” kreischte Muttchen. „Wollen Sie damit sagen, die machen hier so etwas öfter?”
„Natürlich will er das damit sagen!“ knurrte Paul. „Schließlich weiß der Lümmel Bescheid!”
„Du meine Güte“, ächzte Muttchen. „Was ist denn das? Das Feuer fabriziert ja eine Unmenge Rauch! “
„Tatsächlich“, keuchte Margrit, „das wird ja eine geradezu unglaublich große Wolke ?”
„Wolke ?” wiederholte der George verdutzt und kneistete immer noch sehr aufgeregt durch sein seltsames Fernrohr. „Tatsache! Aber sie scheint mir irgendwie lebendig zu sein.”
„Lebendig ?” wiederholte Margrit skeptisch.
„Tun Sie nicht so erstaunt!” knurrte Paul. „Sie wissen doch im Grunde ganz genau, was hier passiert!”
„Huhu - huuuuh! Ich mag nicht lebendige Wolken!” schluchzte Julchen los.
Noch immer kreisten einige Gleiter am Himmel, direkt über jener großen, grauen Wolke, die vom Tal her inmitten beschaulicher Wälder fett und wulstig empor kroch, und sich ausbreitete wie ein stetig wachsendender, unheimlicher Flaschengeist.
Erst lief die Familie deshalb schneller und schaute sich nur ab und zu um, doch dann musste sie erkennen, dass alles, was hinter ihnen lag, inzwischen vollständig in Nebel versunken war. Man konnte die Straße, welche hinaufführte, überhaupt nicht mehr sehen, stattdessen befand sich dort eine graue Wand, in der nur verschwommene zuckende Lichtpunkte andeuteten, dass wohl einige Häuser von Hornberg noch immer brannten. Und der dunstige Schleier arbeitete sich vorwärts, schien schneller zu werden als die kleine Meute, die ihm zu entkommen suchte, denn man konnte ihn bereits riechen. Es war ein eigenartig süßlich-chemischer Geruch, der in der Luft lag, und Tobias war der Erste, der deshalb niesen musste.
„Verfickte Kacke, was ist das, Mams ?” fragte er.
„Das ist Giftgas, stümms!” krächzte Julchen kreidebleich. „Oh, ich mag kein Giftgas!“
„Ach Unsinn, Jule, das ist nur Rauch!” Margrit ließ das graue Gespinst jedoch nicht aus den Augen, welches sich über den Erdboden wand, als wäre es tatsächlich etwas Lebendiges, das nach ihren Füßen zu haschen suchte.
„Der ist nicht lebendig ?”
„Quatsch!”
Trotzdem liefen jetzt alle drei wesentlich schneller. Paul kam wegen der beiden Koffer nicht so gut voran, was wiederum Muttchen etwas tröstete, die es ein wenig ängstigte, dass sie so langsam war. Der junge Riese hingegen, der Margrit ziemlich hurtig hinterher gelaufen war, hielt plötzlich an. Nebel kringelte sich dabei nicht nur um die beiden Reifen seines Rades und suchte die Speichen ab, sondern auch um seine langen Hosenbeine bis hinauf zu den Knien.
George schüttelte darüber nur den Kopf und blickte wieder zurück durch sein komisches Fernrohr.
Paul stiefelte, ebenfalls von waberndem Dunst umkreist, zu ihm empor. Muttchen folgte ihm leise schnaufend, dabei immer wieder über die Schulter zurückblickend. Ihr stand der Nebel fast bis zum Hals.
„Und was sehen Sie ?” fauchte er verdrießlich, weil er sich ärgerte, dass er nun von diesem Angeber abhängig war.
„Ein lotekisches Trestin.”
„Ein Kampfflugzeug?” Paul stellte die Koffer ab und rieb sich die schmerzenden Finger, um welche sich ganz allmählich hauchfeiner Nebel schlang. „Und ich“, er nieste kurz, „bemerke nur Staub. Wohin fliegt es ?”
„So wie es im Moment ausschaut, nehme ich an, Richtung Askonit...”
Muttchen war etwas langsamer geworden und hatte erst jetzt die beiden erreicht. Der Nebel kroch ihr dick und fett hinterher, wie eine vollgefressene Schlange. „Also nicht hierher?” fragte sie und konnte nicht verhindern, dass ihr dabei das Kinn zitterte.
„Richtig!” Der Bursche nickte. „Doch wirkt es ein wenig ziellos...”
„Askonit? Wer hat mir denn neulich davon erzählt ? Klar, die Frau mit dem Spitz!”
„Und was hilft dir das?” bemerkte Margrit von oben.
„Na, hör mal, Askonit, Zarakuma... das sind doch alles Wohngebiete unserer lieben Außerirdischen! Jetzt weiß ich zumindest, dass es wohl doch besser gewesen wäre, in Berlin zu bleiben!” Er schlug mit einer hilflosen Geste nach den Nebelschwaden. „Aber meine liebe, gute Margrit wollte ja unbedingt hierher! Dabei sind die Hajeps längst auch hier!“
„Loteken sind doch Hajeps, oder wieder nur so ein komisches Sklavenvolk ?” wandte er sich an George.
„Es ist eine Gruppe Hajeps, die sich von den übrigen Hajeps abgespalten hat und sich deshalb Loteken - Freie - nennt!“ erwiderte der Bursche. „ Ha, da ist ja noch ein zweites Mutterschiff! Hier ist im Übrigen hajeptisches Gebiet. Sie haben die Gebiete nämlich aufgeteilt, um Streit zu vermeiden!”
„Dann scheinen sie sich wohl gegenseitig nicht besonders grün zu sein“, feixte Paul. „Sowas hab´ ich ja noch nie gehört! Komm Muttsch! Wir müssen weiter!“ Paul ergriff sich die Koffer. „Die Wolke da hinten wird nämlich immer dicker und dieser Teil sollte uns besser nicht einholen!”
Muttchen gehorchte und trottete ihm hinterher, an George vorbei. „Und was macht nun dieses Tres...äh...Trestine ?” wollte sie trotzdem noch ganz schnell wissen.
„Eine weitere Runde. Ich vermute, dass sich noch nicht sämtliche Gleiter versammelt haben und dass es deshalb hier wartet!”
„So mitten am Himmel ? Und dann fliegen sie nach äh...?”
„Askonit. Ich hoffe sie tun´s und landen nicht hier in der Nähe! ”
„Oh nein, bloß nicht!” ächzte Muttchen verzweifelt.
„Komm endlich, Muttsch !” gemahnte sie Paul abermals und setzte noch hinzu : „Grässlich fette Wolke, ich befürchte das Schlimmste!”
„Was ist das Schlimmste, Mamms?”
„Öööh... gar nichts, Tobias!” Margrit blinzelte, während sie noch schneller wurde, in die Wolke hinter ihnen. „Die Häuser von Hornberg haben eben fast alle gebrannt und das erzeugt halt viel Rauch!”
„Du meine Scheiße!“ ächzte Tobias und wischte sich über die triefende Nase.
„Und ich mag trotzdem keine dicken Wolken, nööö!”
„Wollen wir nicht doch lieber das Rad liegen lassen und abhauen ?” Tobias zog seine Mama am Hosenboden.
„Ja, ich mag abhauen!” Julchen versuchte alleine das Fahrrad weiter hochzuschieben, was ihr natürlich nicht gelang, zumal sich Tobias dagegen stemmte.
„Nein, du wartest”, knurrte er, „bis die Mama auch etwas dazu gesagt hat!”
„Hm, wir haben doch keine Angst vor dieser lächerlichen Wolke, Julchen!” wisperte Margrit, die sich inzwischen ihrer ausweglosen Situation voll bewusst geworden war, denn sie würden nicht schnell genug sein. „Ihr wisst doch, Hajeps schonen die Natur!" Das sagte sie nicht nur, um ihre Familie, sondern auch um sich selber zu beruhigen. „He, Kinder, bindet euch alle euern Schal vor den Mund und dann wandern wir einfach weiter, und zwar ganz ruhig und ohne jede Angst, damit wir nicht zu tief und zu schnell atmen, klaro?“
„Huuuu, verfickte Kacke. Ich... ich hab` aber trotzdem Scheißangst!“ heulte Tobias los.
„Ich... ich auch!“ schluchzte Julchen.
„Aber Kinder, ihr braucht doch keine Angst zu haben vor diesem blöden Nebel! Der ist schnell an uns vorüber. Seht ihr, hinten wird er schon dünner und... ich bleibe sogar stehen!“
„ Mamms, nein! Tu `s nicht!“ schluchzte Tobias.
„Aber mir passiert doch gar nichts! Seht doch, über mir in der Fichte, da sitzt sogar immer noch eine dicke Amsel!“
„Wo?“ Tobias wischte sich mit dem Ärmel die Augen trocken.
„Was gibt es alles für Tiere im Wald? Wer weiß es, na-ah?“
„Den Fuchs!” rief Julchen und zitterte trotzdem, weil der undurchsichtige Nebel inzwischen nicht nur Muttchens Hüften, die etwas tiefer unter ihnen lief, sondern auch Pauls und erst recht die des unheimlichen George verschlang, und auch, weil er sie selbst zu verschlingen begonnen hatte.
Pauls Gesicht, das aus dem Wolkenberg noch herausragte, wirkte entgeistert, als er zu ihnen emporblickte.
„Und welche Tiere kennen wir noch?” fragte Margrit weiter und verzog ihren Mund dabei zu einem möglichst heiteren Schmunzeln.
„Du... du hast keine Angst, stümms?” krächzte Julchen, die bemerken musste, dass sich der düstere Nebel nun bis zu ihrer kleinen Schulter hinaufgeschwungen hatte.
Paul hatte jetzt die Nerven verloren, einfach die Koffer liegen lassen, und auch Muttchen rannte, wenn auch schwankend, ja, sogar der junge Bursche flüchtete in heller Panik. Alles jagte nach oben und an Margrit vorbei. Immer weiter hoch! Doch wohin? Konnte man einer Vergiftung entkommen indem man wegflitzte ? Ihre Herzen schlugen wie rasend und sie keuchten und husteten entsetzlich.
Immer höher schlich der graue Schleier. Mit flackernden Blicken suchten ihre Augen die gesamte Umgebung ab. Doch wonach? Konnte man sich vor aufsteigenden Gasen verstecken ? Muttchen mühte sich, trotz ihrer alten Knochen einen Hügel zu erklimmen, aber vergeblich! Dann suchte sie einen Busch auf, um sich zumindest dahinter zu verbergen. Sie hustete in einem fort. Paul hatte sich indes nicht nur Schal sondern auch Weste und Hemd vom Körper gefetzt. Er band sich alles vor den Mund und erstickte fast daran.
Der junge Hüne hingegen war sehr sportlich gewesen und hing hustend und niesend hoch oben an einer Felszacke, weiter kam er nicht.
Paul hörte, dass Muttchen hinter ihrem Busch schluchzte, während ein Hustenanfall sie halb erwürgte aber er hörte auch Tobias helle Knabenstimme von tief unten.
„Es gibt im Wald den Hirsch“, hustete der Kleine, „und das Reh!” Er stand dicht bei seiner Mutter und legte die Arme um ihre Beine, als könne er sie dadurch beschützen.
Paul dachte nach. Tobias war doch sonst immer so ein Feigling. Stattdessen kauerte er hier in Panik. Die Augen tränten ihm, als er sein Versteck verließ, und noch mehr, als er zu ihnen hinunter taumelte. Er stellte sich hinter Tobias, legte buchstäblich seinen Körper über ihn, als ob er ihn und die anderen beiden dadurch vor dem beißenden Rauch schützen könnte.
„Und es gibt auch noch den Habicht”, hustete Paul, „ und die Wildkaninchen!”
Tobias schaute zu ihm empor und lächelte, während er weinte.
„...und die Wildkatze !” hörte man plötzlich Muttchen, die ebenso hinzugekommen war und nun ihre Arme um alle legte.
„...und Rebhühner !” erklärte der junge Hüne. Und so drängten sich alle eng beieinander.
„Ich möchte wetten, selbst Loteken wollen“, schniefte Margrit, „wegen all diesen Tieren und vielen Pflanzen, die hier leben, nichts riskieren, ja, selbst das geringste Risiko ausschalten. Diese Wolke kann daher auch nicht für uns schädlich sein.“
Da begannen schließlich alle zugleich zu husten und sie husteten sich halbtot ... aber eben nur halb! Denn es dauerte nicht lange, und die Wolke wurde wieder dünner und begann sich aufzulösen
„He, was ist mit euch? Steht nicht so rum wie die Ölgötzen!” krächzte Paul und lachte, kaum dass das Licht der Sonne wieder durch den grauen Dunst schimmerte und er wieder normal atmen konnte. Die anderen lösten sich vorsichtig aus ihrem engen Kreis und sahen sich blinzelnd und freudig erregt um. Sie hatten tatsächlich überlebt!
„He, Margrit“, George tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch ab, nachdem alle anderen, außer Margrit und Julchen, die angebotenen Tücher abgelehnt hatten, „sie sind doch Psychologin, nicht wahr ?”
„Ja, aber warum fragen Sie das immer wieder ?” entgegnete Margrit verwirrt und putzte ihre Brille mit ihrem Taschentuch.
„Nun, das war nicht nur eine brillante Einschätzung unserer eigenen Situation, sondern auch eine geistesgegenwärtige Handlung, um das alles ohne Schaden zu überstehen. Und wissen Sie was? “ Er schnäuzte sich genüsslich die Nase, ehe er weitersprechen wollte.
Diesen Moment nutzte Margrit prompt. „Nein, aber bevor Sie mich hier noch überschwänglich weiterloben, darf ich Ihnen verraten, dass das überhaupt nicht bewusst kalkuliert worden ist. Es hat sich einfach nur ergeben!“
„Trotzdem haben Sie dabei vollkommen richtig gedacht!” Er verstaute sein Taschentuch in der Hose. “ Und genau solche Leute wie Sie sollte man einsetzen.“
„Wozu ?”
Er holte tief Atem. „Bei einem... hm... sonderbaren Kampf! Nämlich Geist gegen Geist! Hm... äh... naja, das ist vielleicht nicht zu verstehen, aber Sie werden gebraucht...”
„Ja, von meiner Familie!”
„Es gibt gewiss Wichtigeres als diese Familie !” sagte er geringschätzig.
„Nein, gibt es nicht!” fauchte Tobias anstelle Margrits.
„Und ich will jetzt dein Taschentuch nicht mehr haben!“ Julchen pfefferte George dasselbige vor die Füße.
„Julchen“, stotterte der verlegen, „sieh, das ist so...“
„Nein, ich hör´ dir nicht mehr zu!“
„Brav, sehr brav, meine Kinder!“ lobte Paul die Kleinen und dann zog er seine Margrit zu sich heran, küsste sie auf den Mund und knurrte: „Margrit weiß, was sie will – nämlich bei uns bleiben!“
„Ich würde mir da nicht so sicher sein“, konterte der Bursche und seine grünen Augen blitzten die kleine Schar dabei seltsam, ja fast tückisch an. Dann holte er sein Fernrohr hervor und sah damit den Weg hinunter.
„Gründliche Arbeit“, brummte er fassungslos. „Chiu-Natras Jäger haben Hornberg tatsächlich dem Erdboden gleich gemacht! Oh- oh! Das wird den guten Sotam-Sogi aber gar nicht erfreuen! Sollte mich nicht wundern, wenn hier gleich diverse hajeptische Kampfflugzeuge am Himmel erscheinen werden, um den Loteken für diese Untat mal gründlich den Hintern zu versohlen!“
Er lachte nun merkwürdig in sich hinein, während die kleine Familie, nachdem sie Rad und Koffer wieder ergriffen hatte, langsam weiterging.
„Ist er nun ein Hajep oder nicht?“ erkundigte sich Muttchen ziemlich verwirrt bei Paul, mit dem sie zusammen an der Spitze voran lief. „ Oder... ob ich ihn mal frage?“
„Nein, Muttsch, das lass mal hübsch bleiben!“
„Warum?“
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.01.2005, 14:25   #19
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 19

Paul überhörte die Frage einfach und zog stattdessen das Tempo ihres kleinen Trupps etwas an, um es Muttchen zu erschweren, unpassende Fragen zu stellen. Und vielleicht gelang es ihnen ja sogar, diesen George abzuhängen, so beschäftigt wie der im Moment war. Doch zu seinem Ärgernis hatte der soeben seine Beobachtungen abgeschlossen und trat kräftig in die Pedalen, um sie einzuholen. Schon war er wieder bei ihnen.
„Gut, dass sie gerade da sind“, zwitscherte Muttchen eifrig, „da kann ich sie ja gleich mal was fragen...“
„Nein, das fragst du ihn nicht!“ zischelte Paul aufgeregt zu ihr hinüber.
„Paul, du weißt doch gar nicht, was ich fragen will!“
„Doch, weiß ich, und darum hältst du den Mund!“
„Sind Sie...“
„Nein, Muttsch!“
„Sind Sie..“
„Neiiiiin!“ kreischte Paul entsetzt.
„Ist er immer so nervös?“ wandte sich der Hüne irritiert an Margrit.
„Nein, ich weiß auch nicht, was er heute hat.“
„Sind sie sicher, dass es tatsächlich nur Loteken waren, die das alles angestellt haben?“ brachte Muttchen nun endlich ihren Satz zuende und Paul atmete hörbar aus.
„Da bin ich ganz sicher“, antwortete George bereitwillig.
„Aber warum haben sie das getan?“
„Sie müssen sich aus irgendeinem Grund über die Menschen dort geärgert und dementsprechend reagiert haben.“
„Sie schildern das vielleicht in einer kalten Tonlage!" empörte sich Muttchen. „Sie sind doch so ein adretter junger Mann, aber das berührt Sie wohl gar ... aber, da ist ja Munk!”
„Munk ?” wiederholten der Hüne verdutzt.
„Unsinn!” knurrte Paul. „Du hast dich sicher verguckt, deine Augen sind nicht mehr die besten!”
„Ich habe gute Augen für mein Alter! Oh, Munk, Munk! Mein bester mein allerschönster Munk ist wieder da!”
Alle spähten umher, konnten jedoch nichts entdecken.
„Ich glaube die nervlichen Belastungen werden inzwischen meiner Mutter zuviel”, wisperte Margrit zu Paul mit besorgter Miene, „ denn jetzt sieht sie schon Dinge, die es hier gar nicht geben kann! Du weißt, ich kenne mich da aus!”
Paul nickte verdrießlich.
„Nanu ? Wo ist er denn jetzt?” kreischte Muttchen verzweifelt. „Munk Mu-unk! Wo bist du nur, mein Schnuckelchen... wo bist Du-huuu?” Sie reckte den mageren Hals, hielt Ausschau nach allen Seiten.
„Ach, was huscht einem nicht manchmal so alles mal vor der Nase herum“, mischte sich jetzt auch George wieder ein und wedelte dabei ziemlich nervös eine Fliege fort, „und dann ist es -husch- wieder weg! Da machen wir uns nichts draus, gelle?“
„Ich mache mir aber viel draus ... aus Munk! Und habe ihn wirklich gesehen“, beharrte Muttchen engstirnig und stampfte sogar dabei ein bisschen mit dem Fuß auf.
Paul ächzte herzzerreißend. Wie gut, dass wenigstens er in dieser verrückten Gruppe der einzig Normale war! Und weiter schleppte er seine Koffer.
„Hör` mal, Mutter!” rief Margrit in einem ruhigem, aber auch recht energischen Ton. „Das kann nicht dein Kater gewesen sein, was du gesehen hast. Das geht einfach nicht, verstehst du ?” Ihre Augen klimperten nervös.
„Er ist ja auch nicht gegangen sondern gehuscht!” verbesserte sie Muttchen sehr richtig.
„Das meinte Margrit damit natürlich nicht“, unterstützte sie Paul und seufzte noch lauter, da er jetzt vom vielen Schleppen Schmerzen bis hinauf zu den Schultern hatte. „Sie meint : Wie soll es dein Munk, wenn er aus dem Fenster des Zuges gesprungen ist, diese vielen Kilometer auf seinen kleinen vier Pfoten bis hierher geschafft haben - und vor allem so schnell?”
Das leuchtete Muttchen - wenn auch ungern - irgendwie ein. Dennoch hörte sie nicht auf, in jedem Felsspalt, der sich nur in ihrer Nähe befand, nach ihrem Kater zu suchen.


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Munk war brüskiert. Er hatte sich vorhin wegen der lauten Stimmen hinter einem Felsbrocken versteckt, zwar waren ihm diese Stimmen irgendwie vertraut vorgekommen, aber es konnte ja nicht sein, was er sich da erträumte, mit der Ratte hatte er sich ja schließlich auch verschätzt und dann ... oh nein... sein kleines Katerherz blieb fast stehen ... packten ihn einfach zwei Hände von hinten grob unter die Achseln, als er gerade Muts genug gewesen war, hinter seinem Felsbrocken hervorzukommen, um auf das Eiligste weiterzuflitzen. Nun hing e, wieder mal schwanz-abwärts und mit allen vier Pfoten in der Luft. Sollte er nun zuerst kratzen und dann beißen oder umgekehrt ? Eine schwere Entscheidung. Sein Katerhirn arbeitete wieder einmal fieberhaft und das einzige, was sich natürlich dabei an seinem Körper bewegte, war die fleißige Schwanzspitze.


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„Ich hab` ihn, ich hab` ihn!” jubelte Muttchen. „Hab` meinen Munk wieder, hab` s euch ja gesagt!” Sie hielt den Kater mit beiden Händen hoch und drehte sich selig mit ihm im Kreise herum.
„Hab` s gewusst ...gewusst... gewu..uuusst!” triumphierte sie.
Alle machten große Augen, einschließlich Munk, denn sie konnten sich das nicht erklären, dafür aber umso eifriger Muttchen.
„Das war natürlich die mentale Verbindung!” belehrte sie ihre immer noch fassungslose Familie. „Ich habe an Munk geglaubt und er an mich!“ Sie senkte die Arme und küsste ihn von oben mitten auf die breite Stirn und er kniff deshalb die Augen zu zuckenden kleinen Schlitzen zusammen. „Außerdem haben Katzen einen besonderen Instinkt!” schulmeisterte sie eifrig, ließ aber den Kater nicht mehr hängen, sondern nahm ihn auf den Arm. Das gefiel Munk freilich besser und er begann zu schnurren. „Und sie haben auch einen hervorragenden Ortssinn!” fuhr Muttchen weiter fort. „Sie laufen riesige Strecken, nur um zu ihren Menschen zu gelangen. Sie haben auch einen fantastischen Geruchssinn... Hach! Bestimmt hat Munk die ganze Zeit meine Spur verfolgt.”
Muttchen war jetzt gerührt und es tropften deshalb reichlich viel Tränen in Munks Fell, ihm genau zwischen die Ohren, weshalb Munk zuerst mit dem Schnurren aufhörte, dann verdrießlich dreinschaute, und schließlich wie wild den Kopf ausschüttelte.
Muttchen bückte sich, öffnete den Käfig, den sie neben sich auf die Erde gestellt hatte, und diesmal kroch Munk zu ihrer Überraschung freiwillig hinein!
‚Endlich daheim!’ schnurrte er. Ach, er war ja so glücklich, als sich die Drahtgittertüre hinter ihm schloss und wenig später rollte er sich auf seinem Deckchen nett zusammen, schließlich war längst wieder Zeit, ein Nickerchen zu halten. Zwar begriffen Zweipfotler das nie, aber diesmal störte ihn das nicht im geringsten und obwohl der Käfig schon wieder hin und her schwankte und er immer noch hungrig und völlig verdreckt war, summte er sich selig in den Schlaf, während die kleine Familie sich weiter tapfer ihren steilen Weg in die Berge hinauf kämpfte
„Oh Gott, der Anblick eines ständig schwer schleppenden Menschen nervt mich allmählich!“ beschwerte sich George nach einer Weile, da er schon ein paar Mal angeboten hatte, einen der Koffer auf sein Fahrrad zu nehmen, Paul sich aber beharrlich weigerte, dieses Angebot anzunehmen
„Das müssen gerade Sie sagen, ha! Wo Sie hier am meisten nerven!“ keuchte Paul. „Verschwinden Sie, dann müssen Sie den Anblick eines schleppenden Menschen nicht mehr ertragen!“ Er betrachtete den Jungen bärbeißig. „Im übrigen habe ich diesen Weg bisher ganz gut ohne Rad geschafft, also kann es so auch weitergehen.“
Abermals hob er die Koffer an, zügig lief er vorwärts, obwohl er schrecklich keuchte.
Trotzdem gab George nicht auf. „Für nur zwei Ventile aus ihrem Ersatzteilbeutel, Herr Ladeburg! Na-ah, wie wär`s?“
„ Nein!“ fauchte Paul. „Ziehen wir jetzt jeder unseres Weges, so wie ich es vorgeschlagen habe! Das wird das Beste sein!“
„He, meint ihr denn wirklich, dass es das Beste ist?“ vernahm er jetzt von hinten eine weitere, jedoch völlig unbekannte Männerstimme. „Dazu würde ich euch auf keinen Fall raten! Es ist nicht gut, wenn man sich in diesen schrecklichen Zeiten trennt!“
Alle, einschließlich George, drehten sich erstaunt, ja fast erschrocken um. Die Stimme hatte sehr erregt, aber auch matt geklungen und das Bild, das sich nun der kleinen Gruppe bot, bestätigte den Eindruck des Gehörten. Da taumelte nämlich ein zu Tode erschöpfter Mann den Weg zu ihnen empor.
„Haltet zusammen!“ keuchte er aufgeregt. „Menschen sollten immer zusammen halten!“
Sein Blick wirkte gehetzt - fast irr! Panik spiegelte sich in dem aschfahlen Gesicht wieder. Der etwa dreißigjährige Mann bebte am ganzen Körper und das Rote an seiner Brust war ganz gewiss kein Muster in der alten, abgewetzten Strickjacke.
`Blut!` durchfuhr es Margrit erschrocken, dann verzog sie skeptisch ihr Gesicht. Der Mann kam bestimmt von dort wo einst Hornberg gestanden hatte. Was war aber, wenn sie einen Bajit, einen gut getarnten Loteken vor sich hatten?
„Nehmt mich mit!“ bettelte der Mann verzweifelt.
Irgendwie hatte er kalte Augen. Und seine ganze Art ... war die nicht irgendwie künstlich? Außerdem roch er stark nach diesem komischen, süßlichem Gas.
„Warum zögert ihr?” ächzte er. „Ihr könnt mich denen doch nicht einfach überlassen. Die ... die sind sicher hier gelandet!” Er wies nach rechts, wo hinter kleinen Hügeln hohe Buchen, Fichten und Tannen einem die Sicht versperrten. „Denn einige von“, er schluckte, „denen suchen ja noch immer den ganzen Wald ab. Weiß der Himmel wonach!“
„Langsam, langsam!“ George streckte ihm die kräftige Hand entgegen. „Die sind also hier in der Nähe doch gelandet? Wie viele?”
„Na, so acht bis zwölf Gleiter mindestens, haben sich dort oder besser... da? Na, irgendwo abgesetzt.” Er wies diesmal nach links.
„Was ist eigentlich genau passiert?“ George zog den Kerl nun vollständig zu sich hinauf und dieser griff feste zu, riss den Burschen dabei fast vom Rad und zu sich hinunter.
„Hoppla!” lachte der verdutzt, hielt aber dennoch die Balance. „Sie sind ja ganz schön stark!”
„War ja auch früher Meister im Schwergewicht“, keuchte der Dörfler und stützte sich dabei so hart auf George, dass dieser für einen Moment in die Knie gehen musste.
„Denkst du das gleiche was ich denke ?“ wandte sich Paul indes wispernd an Margrit.
Diese nickte beklommen. „Du meinst der Mann ist in Wahrheit gar kein echter, sondern ein... ?“
„Sehr richtig! Und jetzt ist die Gelegenheit günstig “, flüsterte er weiter.
„Um zu fliehen ?”
„Genau! Dieser George ist vollauf mit dem Mann beschäftigt. Lass uns von hier wegkommen und zwar so schnell wie möglich!“
Margrit nickte stumm und jeder in dem kleinen Trupp wusste irgendwie sofort, worum es ging, denn sie brachten sich so schnell und leise wie möglich aus der Reichweite der beiden merkwürdigen Männer und stiegen weiter hinein in die Berge.


°


„Ich weiß nicht ... aber irgendwie mache ich mir jetzt Vorwürfe!“ murmelte Margrit wenig später. „Ich glaube, wir haben übernervös reagiert. Ob das noch die Wahrheit war, welche die Leute vorhin im Zug erzählt haben? Die Menschen spinnen doch immer mehr! Warum sollten sich Hajeps oder Loteken tarnen, dieser George hat da ganz recht, wo sie uns sooo weit überlegen sind ?“
„Sag` bloß, du willst jetzt noch umkehren ?!“ murrte Paul entgeistert. „Dir ist alles zuzutrauen!“
„Nnnn ... ja, das vielleicht nicht, aber wir könnten auf die beiden warten! Sieh mal, Paul, dieser Mann ist nicht nur körperlich in sehr schlechter Verfassung, seine Psyche ist auch...“
„Das ist wieder mal typisch ! Dei Psyche ! Kannst du nicht mal deinen Psychokram außer acht lassen ? Vielleicht denkst du endlich an uns!" zischelte Paul erbost und tappte mit den beiden Koffern in den Fäusten zornig weiter. „Was ist, wenn vielleicht sogar beide...”
„... Hajeps sind ?” Margrit wusste auch nicht warum, aber bei diesem Gedanken musste sie plötzlich lachen.
„Wohl ganz meschugge geworden, was!" schimpfte er. „Aber das ist ja typisch für Leute mit Psycho-berufen! Kannst du nicht mal vernünftig denken ? Die beiden wären nämlich dann in der Überzahl!”
„Überzahl oder nicht! Sie wären uns als Hajeps ohnehin überlegen!” schnaufte Margrit, während sie das Rad höher schob.
„Ach, es ist ja alles so schrecklich!” jammerte Muttchen einfach dazwischen, die arg schwankend neben ihnen einher hetzte. „Aber dieser junge Mann war doch so ein gepflegter, so ein netter Bursche ? Es könnte ja auch sein, dass der andere Mensch einer der letzten Überlebenden aus Hornberg ist, oder nicht ?“
„Weiß ich es?“ Paul versuchte mit den Schultern zu zucken, doch das gelang ihm kaum mit den schweren Koffern in beiden Händen.
„Oh, Mamms!“ fiel es nun auch Julchen ein. „Der arme Mann ! Das arme Hornberg! Ist das wirklich völlig futsch? "
„Ja, das ist richtig Sch.. sch.. schuldigung !“ fiel Tobias mit ein.
Margrit blieb einfach stehen. „So geht das auf jeden Fall nicht weiter! Wir sind alle völlig überlastet, müssen endlich rasten!”
„Ach ja, ich will... ich will endlich ausrasten !” bettelte Julchen.
„Wäre wirklich prima, denn das würde meinen Füßen gut tun. Besonders Munk könnte...”
„Ja, und ?“ platzte Paul dazwischen. „Dann können die beiden Hajeps...“
„...Loteken, Paul“, verbesserte ihn Margrit.
„Ist mir doch egal!“
„Pa... aul!“
„Also, die können uns ja dann in aller Ruhe einholen. Wollt ihr etwa auf sie warten? Mit ihnen kämpfen? Das haben schon viele versucht und mussten es bitter bezahlen! Oder meint ihr, sie halten euch, nur weil ihr so ganz liebe Menschen seid, das Händchen und erhören eure Klagen ?“
Er hielt abermals schnaufend inne und setzte die Koffer wieder ab. Es war schon schlimm. Da hatten sie wohl recht, denn die Pausen, die auch er inzwischen machen musste, kamen immer häufiger. Er versuchte sich abzulenken, während er zum `zigsten Male die feuerroten, schmerzenden Hände rieb und sah dabei zornig die Berge hinauf.
Wann würde endlich diese gottverdammte Hütte auftauchen, in der sie nächtigen konnten? Die sollte doch hier irgendwo in der Nähe sein! Konnten Hütten völlig vom Erdboden verschwinde ? Heutzutage war wohl selbst das möglich. Vielleicht hatten die Hajeps ja den alten Schäfer, der die kleine Familie beherbergen wollte, schon Tage vorher aus unerfindlichen Gründen getötet, seine Schafe geschlachtet und die Hütte so sehr zerstört, dass man selbst die Reste des kleinen Häuschens von hier unten kaum noch ausmachen konnte.
Nach einem weiteren zu den Gipfeln gewandten Blick die Berge hinauf, holte Paul die Karte hervor und verglich erneut die Umgebung mit der Zeichnung. „Entweder können die Menschen nicht mehr zeichnen oder es gibt den Schäfer nicht mehr!”
“ Nein, das kann nicht sein! Willst du damit etwa andeuten“, hakte Margrit erschrocken nach, „dass der alte Herr Lawi nicht mehr lebt ? “
„Ich will es nicht nur andeuten, ich sage es sogar klipp und klar! Lawi und seine Hütte existieren nicht mehr, was auch immer ... jedenfalls ist beides nicht da. Oder seht ihr irgendwo ein kleines Häuschen ?”
„V... vielleicht ist es nur hinter irgendeinem Baum versteckt!” warf Julchen ein.
„Ein sehr guter Gedanke, Julchen“, lobte Paul, ”wenn es hier oben Bäume gäbe!”
„Aber Büsche!” schmetterte Tobias geistesgegenwärtig dazwischen. „Hier gibt es sehr viele Büsche, stü-ümms ?”
„Dahinter passt aber kein Haus!” entgegnete Paul knapp.
„Stümmt!” räumte Tobias ungern ein.
„Paul, es wird bald dunkel, da findet uns ohnehin niemand hier. Lass uns jetzt eine Höhle oder irgendein anderes Nachtquartier suchen. Es hat wirklich keinen Zweck, uns unnötig kaputt zu machen!“
„Ach, ja, ich will nich kaputt sein!” jammerte Julchen.
„Ich auch nich, nöö!”
„Ich glaube, meine armen Füße sind es schon lange”, ächzte Muttchen.
„Ist ja schon gut!” murrte Paul. “ Ich gehorche, ja !”
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Alt 01.01.2005, 14:35   #20
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 20

So waren sie schließlich dabei, das Fahrrad und die Koffer erst einmal so abzustellen, dass die nicht gleich für jeden sichtbar waren. Gerade in diesem Augenblick hörten sie, den schmalen Pass hinauf, eine heitere Stimme.
„Hallo!“
Zwei dunkle, nach vorn gebeugte Gestalten wuchsen, nur mit einem Fahrrad bestückt, langsam und nacheinander aus dem Boden hinter ihnen.
„Wie klein die Welt doch ist! Schon sieht man sich wieder! Eigentlich wollten wir ja beim Herrn Lawi übernachten. Ihr wisst doch, der alte Schäfer ... doch dann war mir noch rechtzeitig eingefallen, dass das Kerlchen schon seit einem halben Jahr von hier fortgezogen ist und zwar mitsamt seinen Schafen! Die Gegend war ihm nicht geheuer! Könnt ihr das verstehen ?“ Der Hüne lachte in sich hinein, obwohl er zwischendurch keuchte, denn er hatte sich sehr beeilt, und alle anderen machten lange Gesichter.
„Tjahaaa“, Paul ließ sein komisches Reifenluftgelächter erschallen, „so kann das einem gehen und wieso ist deshalb gleich sein ganzes Haus verschwunden? Können Sie mir das erklären? ”
Noch ehe der etwas entgegnen konnte, schmetterte Julchen folgerichtig dazwischen: „Weil es hinter keinem Busch Platz hatte! “
Alles prustete los, selbst Paul, dann aber räusperte er sich energisch, denn sein Blick streifte den anscheinend schwer verletzten Mann, der hinten beim Gepäckständer des Fahrrades mehr lehnte als saß. Der Verwundete konnte sich jetzt kaum noch auf dem Rad halten und atmete schwer.
George wandte sich ihm zu.
„Geht`s noch?“ erkundigte er sich leise. Der Mann nickte. Schweiß zeichnete sich an dessen Hemd ab.
„Es waren Loteken, die unsere Häuser überfielen“, wollte er nun auch Paul und Margrit erklären. Man erkennt sie recht gut an den Zeichen auf ihren Helmen und Uniformen...”
„Ihr Zeichen ist der Kopf eines weißen Drachens“, half ihm der Bursche, um diese Angelegenheit der kleinen Gruppe verständlicher zu machen, „der in seinem Maul eine schwarze Schlange hält. Diese Schlange hat sich aber um den Hals des Drachens gewunden und man sagt, dass der Drache den Planeten Hajeptoan versinnbildlicht - also Pasua - und dass die schwarze Schlange ein Symbol der Loteken wäre. Ist es nicht so?”
Der Mann nickte kaum merklich. „Sie haben uns überrumpelt.” Er beleckte sich die trockenen Lippen, ihm schien das Sprechen schwer zu fallen, aber er wollte die ganze Geschichte loswerden. „Die Aliens traten so plötzlich gegen unsere Türen und verlangten Einlass, dass wir nicht nur einen gehörigen Schrecken bekamen, sondern auch manche von uns zu ihren Waffen griffen.“ Der Mann musste eine kleine Pause machen um zu verschnaufen. „Sie haben Geräte, mit denen sie jede Tür von außen sofort öffnen können. Als die erste Türen nach innen krachten und diese furchtbaren Wesen in die Zimmer hineinjagten, verlor eine Frau die Nerven und feuerte laut schreiend auf einen aus der Meute. Es war schrecklich!“
Der Dörfler schloss für einen Moment die Augen, seine Stimme klang unglaublich leise als er weitererzählte. „Die Frau, die geschossen hatte, wurde an den Haaren nach draußen gezerrt. Doch sie konnte sich losreißen und jagte Richtung Heuschober, wohl um sich darin zu verstecken.“ Der Mann hatte Tränen in den Augen. „Sie wurde auf der Stelle erschossen! Einige von uns empörten sich über die Vorgehensweise der Außerirdischen und auch sie wurden sofort hingerichtet, obwohl unter den Hajeps längst bekannt sein dürfte, dass Menschen nicht nur Arbeitskräfte, sondern auch Freunde unserer gnadenreichen Eroberer sein können...”
Er stoppte plötzlich, schaute entsetzt in jedes Gesicht; offensichtlich war ihm erst jetzt klar geworden, dass etwas seinen Lippen entschlüpft war, was auf keinen Fall hätte verraten werden dürfen, denn Leute, die sich auf die Seite der Hajeps stellten, die manchmal sogar gegen die Menschheit agierten, wurden vom eigenen Volke zutiefst gehasst, ja, nicht selten auch von verzweifelten Menschen hingerichtet, um ein Exempel zu statuieren.
„W... werdet ihr mir nun nicht mehr helfen ?” ächzte er halb ohnmächtig vor Angst. „W... was wollt ihr jetzt mit mir machen ?”
Alles starrte ihn an.
„Du meine Schei... Schuldigung!” entfuhr es Tobias. „Du bist ja ein Vertreter!”
„Ich mag keine Fahrräder!” sagte auch Julchen mit ziemlich gekrauster Nase.
„Auch ich habe für Leute wie Sie nicht viel übrig!” Paul machte eine wütende Handbewegung in die Richtung des Mannes. „Wissen sie was? Wenn Sie hier nicht so schwer verletzt herumhängen würden, hätte ich Sie sogar eigenhändig an dem nächsten Ast dort hinten aufgeknüpft, jawoll!”
„Aber Paul“, versuchte Margrit ihren Freund zu bremsen, „ wie kannst du so etwas sagen? Dieser Mann ist nur noch ein Wrack... “
„Genau“, mischte sich nun auch Muttchen ein und schlenkerte dabei wieder verlegen den Käfig hin und her wie ein kleines Schulmädchen und Munk fauchte deshalb ununterbrochen. „Es spielt jetzt keine Rolle mehr, was dieser Mensch getan hat. Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen, ihm muss dringend geholfen werden, so dünn wie der angezogen ist!”
„Pah, Weiber!” knurrte Paul verächtlich. “ Typisches Weibergeschwätz! Haben solange die soziale Ader, bis sie selbst drankommen, dann wird aber gestaunt und um Hilfe nach uns Männern geschrieen! Hmmm... was meinen Sie dazu, George ? ”
„Es braucht ihm nicht geholfen zu werden“, erklärte der Hüne, „denn er ist gar nicht so schwer verletzt! Es ist nur eine winzige Stelle. Er steht nur unter einem schweren Schock.“
„Ach was, sie Großschnabel!“ konterte Margrit. „Dem Mann geht es furchtbar schlecht! Das kann doch wohl jeder sehen! Also los! Stimmen wir ab! Wer ist dafür, dass wir ihm helfen, auch wenn er ein Verräter ist ?”
Julchen und Tobias hoben als erste ihre Fingerchen.
„Kunststück, die sind immer deiner Meinung!” grollte Paul. „Die zählen nur `ne halbe Stimme.“
Und dann hob Muttchen nicht nur ihre magere Hand, sondern zerrte fast gleichzeitig Munks Pfote aus dem Käfig, die sie ebenfalls nach oben hielt. Munk fühlte sich wichtig und begann zu schnurren.
„Hahaha, wie haben wir gelacht!” schimpfte Paul und Munk fauchte ihn an.
„Und Sie, George ?” fragte Margrit. „Haben Sie sich auch zu einer Hilfeleistung durchringen können ?”
„Nein, es ist, wie ich es bereits sagte: Dieser Mann braucht keine Hilfe, sondern nur einige Stunden tiefen Schlaf!“
Der Dörfler schien erleichtert und wandte sich an George. „Meinen sie das wirklich? Ich bin nämlich aus Panik vor denen geflüchtet und man hat auf mich geschossen, mit so einem komischen bläulichen Lichtstrahl, der von der Hand eines dieser Aliens ausging.”
„Dann war es sicher ein ‚Zworm’“, warf der Bursche sehr ruhig ein, errötete aber verdächtig. „Diese Waffe ist nicht so gefährlich, wie sie aussieht. Man wollte sie bestimmt nicht schwer verletzen, sondern ... äh, hm... sie nur damit beruhigen. Das kann man damit nämlich auch – wirkt wie ein Betäubungspfeil, oder so...“
„Mein lieber Mann!” ächzte jetzt der Verletzte. „Sie wissen aber gut Bescheid! Woher kommt das ?”
„Ja, ja“, bestätigte George grinsend und warf dabei Margit einen langen Blick zu, „aber bestimmte Leute wollen mir das einfach nicht glauben!“
„Soll ich Sie verbinden?“ mischte sich Margrit wieder ein streckte die Hand nach ihm aus, um die Wunde zu untersuchen.
„Nein, nicht!“ Der Bursche schlug ihr einfach auf die Finger. „Hab ich doch gesagt!“
Margrit zuckte zurück, blickte zum Teil verblüfft, zum Teil erzürnt zu dem seltsamen Kerl hinauf und rieb sich die Finger. „Was fällt ihnen ein?“
„Der ... der hat die Mama gehauen?” entfuhr es Julchen ebenso empört.
Tobias hatte nicht nur seine Unterlippe blitzartig eingesaugt, sondern auch den Blaui wurfbereit in der Hand.
Und Paul wäre beinahe über Muttchens Katzenkorb gestolpert, den sie mal eben abgestellt hatte, weil sie dem Hünen ihren Schirm über den Kopf zu ziehen gedachte.
Der Bursche lächelte nun nach allen Seiten entschuldigend und mit hochrotem Kopf. „Nicht übel nehmen, ja ? Aber es ist wirklich besser, wenn Margrit seine Wunde in Ruhe lässt.“
„Mir geht`s komischerweise immer schlechter!” ächzte der Fremde plötzlich. „Dabei ist das doch nur so eine winzig kleine Fleischwunde!”
„He, Margrit, können Sie das mal kurz halten ?“ fragte der Hüne und drückte ihr seinen Rucksack in die Hände. Margrit staunte, wie leicht der war.
„Sie müssen sich einfach nur ausruhen. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann”, wandte sich der Bursche wieder an den Dörfler, „vielleicht finde ich einen guten Schlafplatz.“
Margrit hielt mit der anderen Hand Georges Rad rein reflexmässig fest, weil er sich plötzlich seine Jacke auszuziehen gedachte und der Verletzte stützte sich dabei mit einem Fuß ab.
„Entschuldigung“, empörte sich Margrit, „aber er blutet immer mehr! Wir müssen ihn womöglich abbinden, können ihn doch nicht einfach unbehandelt lassen!“ Ihre Stimme klang jetzt richtig angriffslustig und Paul verzog sich kopfschüttelnd derweil mit der restlichen Familie, um sich ebenfalls einen geeigneten Ruheplatz für die Nacht zu suchen. Ach, er kannte ja Margrits hartnäckige Natur. Und wenn sie bei ihm blieb, hatte wenigstens er seine Ruhe vor diesem Angeber. Er konnte sie ja später unbemerkt zu sich holen.

George versuchte indes angestrengt, den Pass hinabzuspähen, den sie genommen hatten. Er warf sich seine Jacke über die Schultern, während er das Rad noch immer mit den Hüften stützte.
„Hmmm“, überlegte er laut, „haben Sie genug Kraft, um für einen Moment allein das Rad zu halten und somit auch diesen Mann?” fragte er und nahm ihr dabei den Rucksack ab. Sie nickte verdrießlich.
Er ließ langsam los und gemahnte den Mann sich dabei fest auf seine eigenen Beine zu stellen.
„O. k., Margrit! Ich sehe, dass Sie das können! Aber brav sein, wie gesagt, den hier“, er wies mit dem Kinn auf den Verletzten, „wirklich hübsch in Ruhe lassen! Haben wir uns verstanden ?“
„Klaro, sie Großkotz!“ Sie lachte verärgert auf.
Er grinste frech, suchte ein geschütztes Plätzchen und kletterte schließlich hoch in die Felsen. Margrit beobachtete sehr nachdenklich wie er in einer kleinen Höhle seine Jacke ausbreitete und auch dort den Rucksack abstellte. Der Mann war wirklich ein einziges Rätsel.
„Wie sind Sie nur zu ihrem Wissen über die Hajeps gekommen?“ empfing Margrit ihn, als er zu ihr zurückkam. Sie wollte endlich Klarheit und stemmte energisch die Hände in ihre Hüften, als er das Rad übernommen hatte.
„Muss ich das sagen ?“ Seine Raubtieraugen blitzten sie feindlich an.
„Ich finde ja!“ entgegnete sie und lief neben ihm her, während er das Rad schob. Fest war sie entschlossen, den Verwundeten aufzufangen, falls der fiel.
„Ich denke nicht daran!“ Er sah jetzt ungemein entschlossen aus, doch seine Hand, die das Rad hielt, auf welchem der Mann inzwischen völlig in sich zusammengesunken war, zitterte ein bisschen. „Ich weiß eben Bescheid und fertig!“ Er grinste nun richtig boshaft, wie Margrit fand und hob den schweren Mann, der nun fest schlief, vom Sattel, während sie das Rad hielt.
Margrit staunte. George musste nicht nur eine unglaubliche Kraft haben, denn das geschah mit ziemlicher Leichtigkeit, sondern auch viel Geschick. Er lud sich den Mann auf den Rücken, wobei jeder seiner Handgriffe saß.
„Im übrigen sollte es Ihnen ... völlig ... egal sein, was ich mache und was nicht!“ schnaufte er, während er mit ihm höher in die Berge hinauf stapfte.
„Wie bitte?” rief sie zu ihm empor. „Das Gleiche könnte ich Ihnen auch sagen!“ Sie schob das leere Rad ein gutes Stück zurück und suchte ein Versteck. Als sie keines so schnell fand, lehnte sie es einfach an einen der Felsen, kam zurück und sah zu, wie George den Mann behutsam auf seine Jacke bettete.
„Mit Ihrer ganzen Geheimniskrämerei werden Sie sich nämlich noch eines Tages das Genick brechen. Das sage ich ihnen als reife Frucht – äh - Frau !“ Sie sah, nachdem er sich aufgerichtet hatte und sich streckte, um die verspannten Schultern zu dehnen, mit geröteten Wangen zu ihm hinauf und seine emporgereckten Arme wurden plötzlich von kleinen Lachern erschüttert, der ganze mächtige Körper bebte und dann fielen die Arme hilflos und schlaff hinunter.
„Sie sind mir vielleicht ein Früchtchen!” gluckste er.
Margrit überhörte das hämische Lachen einfach und stieg zu ihm schnaufend empor.
„ Hey, was soll das“, protestierte George, unterbrach seine Gymnastik abrupt, konnte sie jedoch nicht mehr daran hindern. Ihr entging es nicht, dass er nervös wurde, dennoch setzte sie sich zu dem Fremden.
„Haben sie Schmerzen ?“ erkundigte sie sich flüsternd, da sie bemerkt hatte, dass er wieder wach war.
Der Dörfler schüttelte den Kopf. „Die Loteken“, lallte er, „haben das ganze Dorf nach irgendwas durchgekämmt!”
„Reden Sie lieber nicht mehr!“ sagte Margrit mit beruhigender Stimme. „Ruhen Sie sich einfach aus!”
„Aber sie trieben die Menschen, indem sie wild hinter ihnen herfeuerten, in die anliegenden Wäldchen, oder hier hinauf in die Berge, dann sprengten sie das ganze Dorf. Auf die Tiere in den Ställen oder diejenigen Menschen, die zu schwach waren um zu laufen, hatten sie keine Rücksicht genommen."
„Nun ist aber alles vorbei, nicht wahr?” flüsterte Margrit sanft. „Sie zittern, scheinen zu frieren! Soll ich Sie mit meiner Jacke zudecken ?“
Und schon schickte sie sich an, auch die ihre auszuziehen.
„Nein!“ hörte sie Georges Stimme und fühlte ebenso blitzartig dessen Finger an ihren Handgelenken, die sie mitsamt der halb ausgezogenen Jacke gepackt hielten. „Behalten Sie die ruhig. Sie werden ihre Jacke sicher noch dringend brauchen!“
George hatte eine Art an sich, die Margrits Blut irgendwie in Wallung brachte. „Ha, schon wieder!“ quiekte sie.
„Ganz recht, schon wieder verbiete ich Ihnen etwas!“ Er schob sie von dem Verletzten fort. „Dieser Mann braucht Ruhe. Sie machen ihn ja ganz nervös mit ihrer Jacke. Sehen Sie, kaum sind sie weg schläft er!“
Margrit nickte. „Aber...”
„Kein aber! Ich habe schon meine Jacke geopfert, das genügt! Behalten Sie ihre. Es ist besser so!“
Weil sie sich sträubte, wickelte er sie einfach mit der Jacke ein und trug sie den Berg hinab.
„Sie sind unmöglich!“ fauchte sie dabei und strampelte. „Ruhe hin, Ruhe her. Der Mann wird sich auf dem kalten Boden den Tod holen!“
Unten angekommen versuchte sie von ihm freizukommen und schüttelte deshalb nicht nur beide Arme, sondern versuchte sich um sich selbst zu drehen. Automatisch hatten sie sich beide dadurch in Margrits Jacke verwickelt.
„So kalt ist es hier nicht“, schnaufte er, denn es war recht eng in dieser Jacke für sie beide, „und meine Jacke wärmt recht gut, das weiß ich aus Erfahrung. Ich habe bisher nie gefroren!“
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Alt 01.01.2005, 14:43   #21
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 21

Aber sie hörte ihm bereits nicht mehr zu und ruderte nicht mehr herum. Ihre Miene hatte einen besorgten Ausdruck angenommen. Wo war ihre Familie mit einem Male geblieben? Je eifriger sie umherblickte, umso mehr Blut wich aus ihrem ohnehin schon blassen Gesicht.
„Sie... sie sind fort ? " wisperte sie erschrocken zu George, der immer noch mit der Jacke kämpfte und sich schon fast befreit hatte.
„Donnerwetter, wo sind sie denn alle hin? Kein Lebenszeichen ist von ihnen zu entdecken! Nicht einmal irgendetwas zu hören! Keine Stimmen ... nichts! Ob die ... die?“ Sie wagte nicht weiter zu sprechen.
„Die Loteken ?“ beendete George ihren Satz, nachdem er den entsetzten Blick ihrer Augen aufgefangen hatte und die Jacke fiel zu Boden.
Sie nickte und presste die Lippen zusammen, dann betrachtete sie skeptisch die große muskelbepackte Gestalt neben sich.
„Das glaube ich nicht!” brummte er. „Sicher haben sich ihre Lieben nur auf ihr neues Schlafplätzchen zurückgezogen und sind eingepennt. Wahrscheinlich sind sie ganz in der Nähe und wir sehen sie nur nicht. Haben sich wirklich gut versteckt, meine Anerkennung!”
„Nein, hier sind sie gewiss nicht! Ich glaube wir sollten noch weiter...”
„Tja, dann müssen sie aber sehr weit gegangen oder auch geklettert sein ? Hm ...vielleicht aus Angst vor mir ? “
„Unsinn! Vor Ihnen hat doch keiner Angst, pah !”
„Keiner außer Margrit!” Er hob nun grinsend die Jacke auf und reichte sie ihr. „Bitte, Schwester Margrit.“
„Haha, was haben wir gelacht! Ob ich wohl meine Familie laut rufen kann, George ? " erkundigte sie sich noch leiser.
„Mich stört`s nicht !” sagte er ganz laut.
„Hähä! Witzbold! Ich meine natürlich, ob vielleicht...? Na, Sie wissen schon!“
„ I wo!“ Er winkte ab. „Weder Pajonite noch Loteken interessieren sich für Menschen.”
„Nee. Sie verbrennen und töten sie nur, das kann man wirklich nicht interessieren nennen!“
George lachte laut auf. „Hey, Margrit, Sie können ja zynisch sein! Das ist ja gar nicht nett!“
„Wer hat gesagt, dass ich nett bin?“ entgegnete sie kopfschüttelnd. Dann räusperte sie sich und begann, den Weg auf und ab laufend, erst zögernd, dann immer lauter nach Paul und ihrer Familie zu rufen.
„Jahuuuu!“ hörte man plötzlich wie zur Bestätigung von Georges Worten von oben. Es war ganz deutlich Pauls Stimme. Margrit blickte suchend umher. Ja, dort auf der linken Seite des Gebirgsweges, winkte ihr von oben, hinter einer Felszacke hervorlugend, Paul mit freudig errötendem Gesicht hinunter. Mühsam kraxelte er nun zu ihnen hinab.
„Ahaa, Frau Klugschnacker, kommt uns nun endlich suchen, ja ?“ näselte er und ein paar kleine Felsbrocken und Steinchen lösten sich dabei aus dem Hang, rollten und hüpften die Felsen hinab bis vor Margrits Füße.
„Sie haben sich aber phantastisch versteckt, Herr Ladeburg!“ bemerkte der Bursche anerkennend und brachte Paul fast ins Straucheln, da dieser nicht mit ihm gerechnet hatte. Doch er fing sich noch und stand schließlich keuchend vor ihnen, vernichtende Blicke auf die `Klette` werfend.
„Danke, danke!“ entgegnete er bissig, abwechselnd einen entnervten Blick auf George und einen vorwurfsvollen auf Margrit werfend. „Es ist mir unheimlich wichtig, dass gerade Sie mich loben, mein persönlicher Freund!“
George nickte zustimmend und grinste breit.
„Ist... ist Muttsch etwa auch bis ganz nach oben geklettert?“ entfuhr es Margrit entgeistert.
Paul beantwortete ihren erschrockenen, vorwurfsvollen Blick mit einem quietschenden Lachen. „Nein, natürlich nicht, Frau Schnatterfein! Die Kinder und Muttchen haben sich Parterre eine kleine Höhle gesucht. Ich war daran nicht ganz unbeteiligt!“ Er sah sich stolz um. „Gut versteckt, nicht wahr ?“
„Wirklich!“ Margrit strahlte ihn an. „Man weiß nicht, wo genau ihr Euch verborgen habt! Du bist wie immer großartig!“
„Wie interessant! Wo sind sie denn genau?“ erkundigte sich George mit leuchtenden Raubtieraugen.
Paul reagierte nur mit einer wegwerfenden Handbewegung in seine Richtung und sagte zu Margrit:
„Tja, ich habe halt keine Helfer ... Helfer ...dings...äh... macke!“
„Syndrom, Paul Syndrom!“
„...halt mich auch nicht mit Plappereien auf“, fuhr er einfach fort und sah dabei zum Himmel. „Es wird schon dunkel, kommt mein kleines Schnatterentchen nun endlich ?“
George drehte sich um, um zu gehen.
„Halt!“ Margrit hielt ihn am Arm fest. „Noch nicht weglaufen! Warten!“
Es dauerte ein Weilchen, bis sie ein Stück den Berg hinauf und dann hinter diesem mit Paul verschwunden war. Gut zwanzig Minuten später kam sie, genau wie vorhin Paul, mit einigem Geröll die Felsen mehr gerutscht als gelaufen, zurück.
„Hier!“ Mit strahlenden Augen hielt sie ihm ein wollenes Damennachthemd, einen Morgenmantel und einen Schal entgegen.
„Was heißt hier?” Er war aufgestanden, starrte besonders auf das duftige Hemd und den rosa Mantel in ihrer ausgestreckte Hand.
„Bin ich eine Schwuchtel ?”
Margritt kicherte. „Kommen Sie, hören Sie endlich auf so herumzualbern. Das ist natürlich nicht für sie, sondern für den Verletzten zum Zudecken!“ erklärte sie stolz. „Halt! Aber der Schal hier von Muttchen, der ist allerdings für sie persönlich! Tja, so ist Muttchen nun mal!”
Er griff aber immer noch nicht zu. „Ganz hübsch, wirklich nette Klamotten! Und vor allem sind sie praktisch! ”
„He, Sie sollen sie nicht beurteilen, sondern endlich an sich nehmen!” erklärte sie ungeduldig.
„Das werde ich auf keinen Fall tun, denn es sind alles viel zu gute Sachen! Sicher brauchen Sie diese Dinge selbst dringend.”
„Und sie brauchen dringend eine Ohrfeige! Aber man kommt ja nicht bei Ihnen ran! Meinen Sie denn, ich möchte den ganzen Kram wieder nach oben schleppen, nur weil Sie der dickste Dickkopf der Welt sind ?”
Er hob ermahnend den Finger. „Der zweitdickste“, verbesserte er.
„So, nun ist es passiert!“
„Was ?“ fragte er.
„Dass ich Ihnen ernstlich böse bin! Nehmen Sie nun endlich die Sachen, oder soll ich Sie Ihnen um die Ohren hauen?"
„Kommen Sie denn plötzlich ran ?”
„Ach, der Schal ist, glaube ich, lang genug!”
„Dann nehme ich die Sachen lieber...“
„Das würde ich Ihnen auch dringend geraten haben,“ brummte sie, während er ihr die Kleider abnahm.
„Geben Sie wenigstens den Muttsch zurück!“ sagte er und legt ihr den Schal um die Schultern.
„Muttsch wird böse sein!”
„Was ...äh... haben Sie denn da in der anderen Hand?" fragte er ablenkenderweise. Er sah dabei auf die große Feldflasche, die sie an einem Band in ihrer Faust hielt.
„Da ?“ fragte sie verwirrt.
Er nickte ein wenig steif.
„Ach, so ... ja, da fülle ich jetzt nur Wasser rein. Stellen Sie sich vor, Paul hat von dort oben Ausschau gehalten und den ‚Neuen See’ entdeckt !“ wusste sie erfreut zu berichten.
„Ja, ich weiß“,George lächelte. „Von dort kann man ihn gut sehen. Er ist nicht weit. Sie brauchen nur diesen Weg hier immer weiter geradeaus zu gehen. Er führt in eine kleine Niederung und ... soll ich Sie begleiten ?“ entfuhr es ihm, fast ohne dass er es wollte.
„Oh ...äh... nicht nötig! Ich werde ihn schon finden!“ Sie lächelte ebenso schief zurück wie er.


Kurze Zeit später war Margrit unten am See. Während sie ihre Feldflasche ins Wasser tauchte, betrachtete sie verwundert dessen glänzende Fluten, denn alles war dort wunderbar klar und sauber. Man konnte bis hinab auf den Grund sehen, obwohl die kleinen Wellen im matten Licht der untergehenden Sonne glänzten wie geschmolzenes Blei. Sie glitzerten in einem wesentlich dunkleren Grau als der regnerische, wolkenverhangene Himmel, der sich über ihr spannte. Eigenartige Pflanzen wuchsen üppig an den Ufern. Eigenartig insofern, da Margrit, die sich keine sonderliche Ahnung bezüglich der deutschen Flora und Fauna zuschrieb, das meiste hiervon unbekannt vorkam. Ihr Auge und Herz erfreute sich eine Weile, während die Flasche vollief, an den herrlichen Büschen, die hier an den Berghängen wuchsen, und seltsamerweise in voller Blüte standen, doch was war das?
Sie hörte es zuerst leise dann immer lauter dröhnen. Seltsam! Sie lauschte und hielt den Atem an. Es war ein merkwürdiges, kaum zu beschreibendes Motorengeräusch. Sie blickte zur Bergwand auf ihrer rechten Seite, denn von da schien es zu kommen. Und dann sah sie den Verursacher dieses Geräusches ! Ein ovaler, irgendwie weich und wabbelig erscheinender Flugkörper tauchte plötzlich hinter den Felsen langsam auf. Er flog relativ niedrig und kam wohl vom Tal, in welchem sich Hornberg befunden hatte, daher konnte man ihn von hier aus recht gut betrachten.
Margrit wusste jedoch, was das für sie bedeutete! Zitternd und in größter Hast verschlossen ihre Finger die Flasche, dennoch ging einiges daneben, floss über ihre Jacke. Sie achtete kaum darauf, sprang stattdessen auf ihre Füße, den Blick immer noch zum Himmel gewandt, denn der zeppelinförmige Flugkörper hatte die Felsen bereits hinter sich gelassen, breitete vier seiner kleinen ‚Flossen’ aus und schickte sich an, das winzige Tal zu überqueren, und somit direkt auf Margrit zuzusteuern, die dort in der Mitte stand.
Ein fast melodisches, feines Summen und Brummen wie von tausenden Bienen erfüllte nun die Bergwelt und mit einem Male wurde das Tal von einem kräftigem Luftzug erfüllt. Seltsame rüsselförmige Düsen schoben sich aus dem Bauch des komischen Dinges. Die Büsche und Bäume an den Berghängen wogten und bewegten sich dabei hin und her und das Singen dieser fremdartigen Schläuche ließ die Erde immer stärker dröhnen.
Margrit hatte sich zu viel Zeit gelassen, hätte einfach lieber die Flasche liegen lassen und davonrennen sollen. Nun war es wohl zu spät!
Dennoch rannte sie wie noch nie in ihrem Leben, den Blick ab und an zum Himmel gerichtet. Der Hall warf sich gegen die Bergwände und scholl von dort aus wider, und dann war das Ding hinter ihr her. Es sang ihr in die Ohren und der ungeheure Luftzug wirbelte ihr die Haare ums Gesicht. Man hatte Margrit schon soviel über die komischen Flugzeuge der Hajeps erzählt, doch es war kein Vergleich, so etwas mit eigenen Augen zu sehen!
Funkelnd und viel größer, als sie es je erwartet hatte, flog das Wabbelding unter den in abendlichem Rosa getönten Gewitterwolken dahin. Das also war eines dieser Glitzerboote, eines dieser Riesenblasen, über die sie schon die furchtbarsten Dinge gehört hatte.
Ganz gewiss sahen die Außerirdischen Margrit schon seit einem Weilchen hier unten um ihr Leben laufen, gleich einer Ameise, so winzig und klein, auf die schützenden Berghänge zutrippelnd. Würde sie es schaffen ? Würde es ihr gelingen den tödlichen ‚Xaxama’-Strahlungen rechtzeitig auszuweichen ? Oder hatte sie nur noch den Bruchteil einer Sekunde zu erleben, zeugte bald nur ein kleines Häuflein Staub davon, dass hier einstmals ein Mensch gelebt, gehofft und geatmet hatte ?
Noch näher kam das Schiff. Es bewegte sanft die vier Flossen und dann war es auch schon fast über ihr. Margrit wusste nicht, ob es nur das Erdreich war, das um sie herum und unter ihr so schrecklich zitterte, oder mehr sie selbst. Sie wusste auch nicht, ob der peitschende Wind des Flugschiffes über ihr sie mit ihren eigenen Haaren derart geißelte, oder dies nur so heftig geschah, weil sie so jagte, immer verzweifelter den rettenden Felsen zu. Oh, warum, warum nur war sie vorhin nicht einfach in den See hineingelaufen ? Zum Zurückrennen schien es nun zu spät. Und dort, vor ihr, oh nein! Was lag denn da ? Dort befanden sich nichts als riesige Steine und Geröll!
Auf dem Hinweg hatten die sie kaum gestört. Sie war einfach in Ruhe darüber geklettert, hatte sie die kaum bewusst wahrgenommen - aber jetzt ? Wie brachte sie das nur schnellstens fertig ? Sie wusste nur, da musste sie aufpassen! Nur nicht stolpern! Nur nicht ausrutschen! Aber schnell - schnell!
Ihre Füße in den zerrissenen Turnschuhen hüpften nun über die Klumpen, stießen schmerzhaft an deren spitze Kanten. Keine Zeit, dabei zusammenzuzucken, keine Zeit, das Gesicht zu verziehen! Immer weiter, weiter ! Und schier endlos waren die Berge noch immer entfernt.
Sie schaute wieder kurz nach oben. Da! Das fliegende U-Boot öffnete gerade eine kleine Klappe in seinem silbern schimmernden Bauch, auf welchem der Kopf eines Drachens, der eine schwarze Schlange fest im Maule hielt, zu sehen war. ‚Sie schießen!` durchfuhr es Margrit und schon wieder dachte sie dabei an den komisch zischelnden Ton, der ertönen sollte, sobald dieser seltsame ‚Xaxama’-Strahl auf Menschen traf.
Sie machte einen gewaltigen, verzweifelten Satz nach vorn, aber dort - nein - wieso kam ihr plötzlich dieser Felsbrocken in die Quere? Ihr Fuß hatte ihn nicht übersprungen, sondern war daran hängen geblieben und schließlich daran abgerutscht! Verloren! Sie spürte einen starken Stich und hart stürzte sie nach vorn. Aus und vorbei! Sie kauerte eingeklemmt zwischen den Steinen und hielt sich schluchzend das Knie. Sie warf einen letzten Blick zu den Bergen, unerreichbar waren sie nun - für immer!
Aber was sah sie denn da ? Huschte dort hinten nicht ein Schatten? Ja, es war eine große kraftvolle Gestalt, die plötzlich von einem kleinen Felsvorsprung todesmutig hinunter zu ihr in das Tal sprang.
„George! Nein, nicht!“ Obwohl sie so laut wie nur irgend möglich geschrieen hatte, wurde ihre Stimme buchstäblich von den dröhnenden Motorengeräuschen verschluckt. Sie ruderte verzweifelt mit den Armen, schüttelte wild den Kopf, versuchte, sich ihm durch Zeichensprache verständlich zu machen, aber es war vergebens. Mein Gott - warum sah und hörte er das Raumschiff nicht? Dieser Kerl hatte ja den Verstand verloren, denn er rannte gut sichtbar für die Hajeps einfach auf sie zu.
„Bist du verrückt ?“ brüllte sie gegen den Wind.
Er lachte nur wie ein Wahnsinniger, sah nach oben, änderte aber die Richtung um keinen Zoll.
„Du musst übergeschnappt sein!“ rügte sie ihn, während er ihr half, sich aus den Felsen zu befreien.
„Scheint so!“ brüllte er zurück, half ihr hoch und riss sie an sich.
„Oh, George!“ Sie kuschelte sich an seine breite Brust und hatte, obwohl sie beide doch deutlich sichtbar für die Hajeps waren, in diesem Augenblick gar keine Angst mehr. Er nahm sie auf die Arme, schleppte sie mit sich, von dem Raumschiff gemächlich verfolgt, bis sie zu den Felsen gelangten und somit in Sicherheit waren.
Beide keuchten und schnauften noch immer vor Angst und Erregung und sahen zu, wie das Flugschiff ganz gemächlich, genau über jenem mächtigem Bergmassiv, in welchem sie sich versteckt hielten, verschwand.
„Warum haben uns diese Haj ...nein... Loteken nichts getan?” fand Margrit als erste ihre Sprache wieder, unbewusst noch immer dicht an Georges kräftigen Körper gepresst.
„Es ist ein ‚Kuarin’, ein recht langsames und daher auch lautes Erkundungsschiff. Die Mannschaft dieses Schiffes hat besseres zu tun, als auf einzelne Menschen Hatz zu machen und sie mühsam aufs Korn zu nehmen!“ erklärte er sachlich. „Sie suchen die Trowes, die geflohen sind. Du erinnerst dich doch an die merkwürdige Geschichte von den beiden Zwillingen im Zug?“
Margrit nickte nachdenklich. “Aber... warum haben sie dann diese komischen Düsen ausgefahren ?”
„Um Büsche zu bewegen. Stell dir vor, diese Düsen sind so stark, dass sie selbst größere Felsbrocken zur Seite rollen können.”
„Aha, wohl um zu schauen, ob sich jemand dahinter versteckt hat.“
„Ganz genau. Schau nur!“ Er wies mit dem Finger auf jene Felswand hinter welcher vorhin das ‚Kuarin’ hervorgekommen war. „Dort kommt das nächste. Diesmal ein ‚Kontrestin’. Siehst du, es hat eine ganz andere Art zu fliegen!”
„ D.. das segelt ja dahin, fast wie ein Vogel? “
„Eher wie eine Flugechse, Margrit.”
„Aber ...es ..es schlägt jetzt mit den D.. Dingern, flattert ja richtig! Und der Körper, der dehnt und streckt sich dabei mit, als wäre es lebendig.“
„Warum nicht? Das ist eben Bio-Material, lebende Fasern! Komm wir klettern etwas höher hinauf, dann können wir es besser sehen! ”
Sie nickte aufgeregt und folgte ihm.
„Lach` mich jetzt bitte nicht aus”, keuchte sie, „aber das Kontrestin hat trotz dieser Flügel irgendwie Ähnlichkeiten mit einem Rochen, findest du nicht ?”
Er grinste. Der Wind, der komischerweise wieder über dem Tal wehte, zerrte an seinem dichten Haar, während sie höher und höher hinaufkletterten. „In entfernter Weise sind sie alle wie Fische!“ gab er zu. „Sicher kannst du dir jetzt vorstellen, dass so ein hocheleganter ‚Rochen’ ebenso schnell zu fliegen, wie durch`s Wasser zu sausen vermag!”
„Durch`s Wasser? ” wiederholte Margrit verblüfft und kletterte zu ihm in die kleine Felsnische, in welcher er es sich gemütlich gemacht hatte.
Er nickte. „Die meisten Fortbewegungsmittel der Hajeps sind Amphibien.”
Margrit staunte mit offenem Munde. Sie hatte sich vorgebeugt und ihr Gesicht, wenn auch etwas zittrig, zum Himmel gewandt und schaute zu, wie der ‚Rochen’ immer näher heransegelte und schließlich über ihnen schaukelte. Er hatte dazu seine mächtigen Flügel, oder sollte man eher sagen Flossen, weit aufgespannt, wohl um die Balance zu halten. Sie waren wie eine fein gesprenkelte Lederhaut, ließen sogar zum Teil das Tageslicht hindurch.
„Und du meinst, diese Schiffe befinden sich auf dem Heimflug?“ krächzte sie. „Wie kommst du darauf ?“
„Sie fliegen sehr niedrig!” erklärte er. „Du weißt ja, ich hatte dir für heute versprochen, die Schönheit ihrer vielfältigen Schiffe bewundern zu dürfen und ...voilá... sie sind schön, nicht wahr ? Das musst du zugeben!”
„Na, ich weiß nicht. Dieses hier ist zwar auffallend stromlinienförmig geschnitten, hat aber eine maisgelbe und ogangefarbene Haut. Selbst die Flügel sind in den gleichen Tönen gesprenkelt.”
„Das ist nicht gelb und orange, Margrit, sondern Gold und schimmernde Bronze.”
„Nein, das ist eine ekelhaft gelbe - entschuldige schon - an halb vertrocknete Haut erinnernde Farbe, mit der das ganze Ding überzogen zu sein scheint ! Und sie schimmert nur deshalb, weil die Haut so straff gespannt ist. Noch dazu ist diese komische Lederhaut überall mit unzähligen kleinen Narben, Verfleischungen, und Schwielen übersät.”
„Das sind Klappen für die Gleiter und Laderampen der Raketen, und es sind Luken und Türen, Margrit.”
„Luken? Türen? So kleine ?”
„Die sind unendlich dehnbar, dahinter sind zum Beispiel große gläserne Fenster und...”
„He, muss ich denn unbedingt so etwas als schön empfinden ?” Sie schüttelte sich. „Mir erscheint dieser Anblick eher abartig.”
„Abartig ?” rief er tief enttäuscht. „Sag doch dann lieber ungewöhnlich, denn man gewöhnt sich daran.”
„Oh Gott, kann man sich denn an so etwas Komisches gewöhnen ?”
„Müssen wir Margrit, müssen wir! Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!”
Margrits Zittern, hatte sich inzwischen gelegt. Sie nickte mit einem Kloß im Hals. Wieder schlug das Ding mehrmals mit den riesigen Schwingen, diesmal wohl um nicht hinabzusinken.
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Alt 01.01.2005, 14:50   #22
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 22

„Kannst du dir vorstellen”, schmetterte George gegen den Luftzug, der deshalb entstanden war, „dass ein Volk, das solch einen Sinn für Ästhetik hat, selbst hässlich ist ?”
Sie senkte den Kopf und die langen Strähnen hüllten dabei ihr Gesicht fast völlig ein. „Wenn es eine ebensolche Haut hat ? Ja!”
Er lachte. „Dann bist du wie alle! Schon seit Jahrhunderten konnte sich der Mensch nichts anderes als hässliche Aliens vorstellen, Würmer, Fliegen, Käfer, schleimige, krakenähnliche Wesen und so weiter!“ Sein Gesicht wanderte angespannt mit dem Kontrestine mit. „War man ihnen gut gesonnen, was selten genug vorkam, mussten die Außerirdischen zumindest zwergwüchsig sein. Diese Theorie hat sich allerdings als nicht ganz abwegig erwiesen. Wir wissen heute, dass die Hajeps, lange bevor sie uns höchst persönlich auf- oder besser gesagt - heimsuchten”, er kicherte nervös, „ihr zwergwüchsiges Sklavenvolk, die Kirtife, für Forschungszwecke auf die Erde entsandten, da Raumschiffe solcher Winzwesen bekanntlich schwerer auszumachen und zudem wesentlich billiger sind als so große Schiffe, wie sie Hajeps brauchen.“
„Du meinst also allen Ernstes, dass in diesen Flugschiffen keine hässlichen Glibberwesen sitzen, sondern wunderschöne Menschen ... äh... Außerirdische ?” Margrit schaute zu, wie der ‚Rochen’ plötzlich seine Flügel an den Körper legte, sie sogar zu beiden Seiten in den Körper saugte und stattdessen Düsen die weitere Arbeit übernahmen. Das Kontrestin verschwand haargenau an jener Stelle über ihnen und hinter der Felswand, wie zuvor der andere Flugkörper.
George zuckte die Schultern. „Noch nie hat jemand, nicht einmal ich, Hajeps ohne ihre, ich gebe zu, recht eigenartig ausschauenden Uniformen, gesehen. Vielleicht spielen sie uns Menschen auch nur, weiß der Himmel warum, diese gewaltigen, muskelbepackten Körper vor und hinter der merkwürdigen Kleidung stecken in Wirklichkeit nur kleine Männchen mit verkümmerten Muskeln, so wie die Menschheit sich das auch schon immer vorgestellt hatte, mit irgendwelchen Schnäbeln oder Reptilienmäulern statt Mündern im Gesicht. Wir wissen im Grunde genommen noch gar nichts genaues über sie. Ich verstehe eigentlich selbst nicht, weshalb sie sich die Gesichter verhüllen und diese blattförmigen Spiegelglasbrillen vor Augen haben. Einige Menschen behaupten allerdings, sie hätten schon Hajeps ohne Brille gesehen, die Augenfarbe wäre übrigens rot!” Er lachte plötzlich prustend los. „Du solltest wissen, Menschen geben bösen Geschöpfen immer rote Augen!” gluckste er. „Tja, und dann haben sie, außer einer Maske noch so etwas Ähnliches wie ein hübsch verziertes Sieb vor dem Mund, die armen Kerle!”
„Die armen Kerle ?” ächzte Margrit und musste nun auch lachen. Beide lachten sie plötzlich schier um die Wette, sie wussten auch nicht warum, vielleicht lag es daran, dass das Erlebte des Tages wie ein Trauma für sie gewesen war, dass ihre überdrehten Nerven sich endlich befreiten, sich wieder entspannen wollten, und so hielten sie sich ihre Bäuche und immer, wenn sie einander in die roten komisch verheulten Gesichter starrten, konnten sie von neuem loslegen.
Das musste vielleicht seltsam ausgesehen haben für die Außerirdischen von dort oben, denn das nächste Schiff war inzwischen gekommen und verharrte vor ihnen. Margrit bemerkte es als erste, blickte halb erstickt auf das Schiff, denn ihr war der letzte Gluckser buchstäblich im Halse steckengeblieben.
„Was ist das ?” krächzte sie mühsam hervor und wischte sich die restlichen Lachtränen aus den Augen.
„Ach, das ist nur ein typisches Trestine”, erklärte George ebenso heiser. „Du siehst, es ist zwar flach gebaut, ganz wie das Kontrestine, jedoch ist seine Form nicht so eckig, wie die vom ‚Rochen’. Trestine ähneln eher sanft gerundeten Schollen. Hmmm, schade, dass man die Piloten, wo sie nun so schön nahe sind, wegen dieser undurchsichtigen Scheiben beim besten Willen nicht erkennen kann.” Er räusperte sich, um den ‚Frosch’ im Hals wegzubekommen.
„Ich möchte wetten, dass diese außerirdischen Piloten“, quietschte er, „im Moment genauso erstaunt sind wie wir.” Er hustete. „Die wissen bestimmt nicht, was sie jetzt mit uns machen sollen!” Er wollte schon wieder anfangen zu lachen, riss sich aber zusammen. „Aber Margrit bleib` ganz ruhig, die tun nichts, ohne es nicht zuvor ausdrücklich befohlen bekommen zu haben. Sie werden daher, nach kurzer Befragung ihrer Kommandozentrale, die uns sicher gleich als unwichtig abtun wird, wieder verschwinden.”
Tatsache! Kaum hatte George geendet, saugte das Schiff mit einem feinen Gurgelgeräusch den weichen Flügelsaum in sich ein und es schossen stattdessen - leise zischend - kleine röhrenförmige Düsen aus den grün schimmernden Hautwucherungen. Sie übernahmen wieder die Arbeit. Und so schoss das grün und blau gescheckte Ding aus dem Stand kurz nach oben und sauste dann horizontal - der elastische Bug war dabei starr und lang ausgestreckt - über den Gebirgsrand und ward nicht mehr gesehen.
„Donnerwetter!” kicherte Margrit. „Das war ja fast mit Lichtgeschwindigkeit!” Sie reckte den Hals, während sie aus ihrem Felsspalt hervorlugte und nach oben blinzelte.
„Schau lieber nach vorne, Margrit!” hörte sie George. „Denn jetzt kommt von da noch eines! Heeee! Heute ist ja richtig was los!”
Es war ein ganzes Geschwader, das sich ihnen näherte und in die Wolken eintauchte wie schimmernde, dahin segelnde Drachengeschöpfe. Die Perfektion, die in den ungewöhnlichen Flugschiffen lag, welche nun in einer Linie, exakt hintereinander erschienen, war nun auch für Margrit spürbar und eine leichte Gänsehaut rieselte über ihren Rücken.
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Alt 01.01.2005, 14:50   #23
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 23

„Ob all diese Schiffe von dem kleinen Dörfchen kommen, das sie vorhin überfallen hatten?“ übertönte ihre Stimme nur schwach den Lärm, der nun entstanden war.
„Das glaube ich nicht!“ brüllte er zurück. „So viele Mannschaften wären doch für die wenigen Häuser gar nicht nötig. Diese Schiffe werden von Erkundungsflügen zurückkommen. Es kann sich höchstens das Trestine, das gerade über uns stand, dem Geschwader angeschlossen haben. Mit solch einem könnten die Soldaten befördert worden sein, die das Dorf überfallen haben.“
Sie nickte und der Wind, der herannahenden Flugzeuge wehte ihr wieder die Haare ins Gesicht.
„Ich will jetzt endlich mal von dir ein lautes ‚Aaah’ und ‚Oooh’ der Bewunderung hören, da ich dir so viele Schiffe auf einmal bieten kann.“
„Aaaah !” ächzte sie jetzt genüsslich. „Oooooh ... ohuuuuuh, George, du bist ja so guuu-uuut!”
„Mein` ich doch.” Er grinste und wurde nun doch ein bisschen rot im Gesicht. „Du brauchst jetzt nicht mehr weiterzukeuchen, ich bin befriedigt. Ha, ich wusste doch, dass dir das gefallen würde!”
Noch zwei, drei weitere Schiffe folgten, dann hatte auch das letzte das Tal hinter sich gelassen und der Lärm verebbte allmählich.
Endlich war es still, ja, fast totenstill! Es schien so, als ob selbst die Vögel nicht mehr gewagt hatten zu zwitschern. Erst allmählich konnte das Tal und seine Umgebung aufatmen.
Auch Margrit und George nahmen einen tiefen Luftzug.
„Du meinst also, sie fliegen zu ihrem Stützpunkt, ja ?“ fragte Margrit, ganz der Mensch, dessen Mund selten stillstehen konnte. „Woher willst du denn das wissen?” hakte sie weiter nach, da er nicht geantwortet hatte, weil sie beide dabei hinunter kletterten.
„Sie können doch auch so niedrig geflogen sein, nur um hier in der Nähe irgendwo zu landen?“
„Ihr Stützpunkt ist ja auch ganz in der Nähe, Margrit.” Er hielt sie bei der Hand, wenn es zu steil wurde oder stützte sie von hinten. „Sie fliegen nach Osten, nach ‚Askonit’!“
„Aha! Askonit!” Margrit nickte und passte auf, dass sie nicht daneben trat.
Bald befanden sie sich in genau jener untersten Felsnische, in der sie vorhin zu allererst Zuflucht gefunden hatten.
„Weiß du, Margrit, die Loteken müssen sich sehr hüten, nicht weiter südlich zu kommen.” George grinste jetzt richtig hämisch, wie Margrit fand. „Ganz schlimm wäre es, sie kämen in die Nähe von Frankfurt!”
„Wieso ? Warum müssen sie sich denn hüten?” fragte sie.
„Ach, komm!” Er legte seinen Arm um sie. „Mir scheint, es wird bald dunkel! Lass´ uns einfach zusammen von hier aus nach unten springen, dann haben wir endlich wieder ebenen Boden unter den Füßen, ja ?”
„V.. von hier aus ? ” ächzte sie erschrocken und spähte in die Tiefe. Doch kaum, dass sie diesen Satz hinaus hatte, war er auch mit ihr hinunter.
Margrit lachte erleichtert, als sie unbeschadet gelandet waren, doch sie hatte dabei einen ihrer ausgeleierten Turnschuhe vom Fuße verloren und musste ihn sich erst aus dem weichen Sand hervorbuddeln.
„Warum müssen diese Trestine sich hüten, nach Frankfurt zu kommen, George ?” fragte sie abermals und schüttelte dabei den Sand aus dem Schuh.
„Na, dort befindet sich erst einmal das Dörfchen Eibelstadt und dann“, er machte eine kleine, fast feierliche Pause, in der er Atem holte, „nur noch wenige Kilometerchen davon entfernt, das schönste außerirdische Wohngebiet, dass es je gegeben hat, und darum ist es auch der Sitz ‚Scolos’!” Er keuchte, so aufgeregt war er jetzt geworden. „Was sagst du dazu? Dort ist die große Kontaktstelle der Hajeps! Hast du gehört? Der Weg zu ‚Pasua’ ist Zarakuma!”
„Warum musst du immer so schrecklich angeben, George ?“ Margrit schnürte sich den Schuh fest zu, dann richtete sie sich auf und starrte George wütend an.
„Du... du bist wirklich der aufgeblasenste, parfümierte Affe, der mir je begegnet ist, George! Paul hat ja so recht! Denn das kannst du alles ja gar nicht wissen!” entfuhr es ihr ebenso atemlos. „Niemand wusste und weiß es bis heute, wo genau der Sitz ‚Scolos’ ist.“
„Guck nicht so böse!” erwiderte er schwer beleidigt. „Erst ewig herumjammern, dass ich dir nie die Wahrheit sage, und dann richtig empört sein, wenn ich es tatsächlich mache! ” brüllte er zornig. „Dir ist wohl nichts recht, was ?”
„Du meinst also, es ist die Wahrheit? Dann würden wir ja mächtig in der Falle sitzen !“
„Wieso Falle ?“ echote er irritiert.
„Na, dann müsste es ja hier nur so von Hajeps wimmeln, denn schließlich hat dieses Volk ständigen Kontakt mit Scolo!“ kreischte sie hysterisch. „Das ist ja eine schöne Bescherung! Konnte natürlich wieder nur mir passieren! Normale Menschen entfernen sich von Hajeps, ich hingegen steuere ausgerechnet die Zentrale der Hajeps an! Fein!“
„Also, ich weiß gar nicht, warum du darüber solch ein Theater machst!” fauchte er entrüstet. „Wohin willst du denn mit deiner Familie ?“
„Nach Reichenberg!“ krächzte sie erschöpft und wischte sich mit dem Ärmel den Staub von der Stirn.
„Na, das ist doch gar nicht mal schlecht! Es ist sogar recht günstig, nach Reichenberg zu ziehen, da es eben in der Nähe ‚Scolos’ liegt! Hajeps sind Ästheten! Sie lieben die Ruhe und das Schöne! Schau dich um, ist dies hier nicht ein wunderbares Fleckchen Erde ? Niemals werden sie daher auf die Idee kommen, in diesem herrlichen Landstrich große Verwüstungen anzurichten. Allerdings wundert mich, was sie mit Hornberg angestellt haben”, murmelte er plötzlich so ganz nebenbei. „Na, egal! Hm, außerdem nehme ich nicht an, dass Hajeps auch nur irgendeinen Zug, der durch ihre Naturgebiete gefahren ist, wieder zurück lassen werden. Es gibt also kein zurück, Margrit! Nie mehr!“
„Zarakuma müsste ja demnach die Hauptstadt oder zumindest eine sehr wichtige Stadt der Hajeps sein“, überlegte sie verängstigt, „wenn es in dieser ein ‚Scolo’ geben sollte. Es dürften deshalb hier nicht wenige außerirdische Flugschiffe oder andere skurrile Fortbewegungsmittel überall zu sehen sein. Ja, vielleicht begegnen uns sogar noch eines Tages irgendwelche militärischen Einheiten zu Fuß!“
Tränen schimmerten plötzlich in ihren Augen. „Soll ich dann den Kindern vielleicht sagen: guckt mal, da oben ist wieder ein Geschwader unserer außerirdischen Eroberer nett unterwegs ...oder seht mal, da kommen gerade ihre Soldaten? “
„Warum nicht ?“ er grinste amüsiert.
„Aber ich habe ihnen doch versprochen, dass wir immer weniger Hajeps sehen werden. Was sage ich bloß Muttsch ?“ Sie wischte nun an ihren Augenwinkeln herum. „Und vor allem, was Paul?” Ihr Handrücken fuhr über die tropfende Nase. Zu spät reichte er ihr ein Taschentuch.
„Margrit, du meine Güte, ich kann dich überhaupt nicht begreifen! Du machst doch alles richtig!“ knurrte er völlig fassungslos, während sie sich in seinem Taschentuch gründlich ausschnaubte. „Ich dachte, du wärest wie ich und diese Botschaft würde deine Abenteuerlust befriedigen, ja, deinen Kämpfergeist erst richtig anfachen! Denn wir haben endlich die lang gesuchte Zentrale unseres schlimmsten Feindes gefunden!” Er versuchte sie begeistert anzulachen, aber sie schüttelte darüber nur wild den Kopf und trompete abermals in das Taschentuch hinein.
„Weißt du, wenn das nur wenige Hajeps gewesen wären, so kleine Hajepnesterchen, zu denen wir hinlaufen...”, sie hielt Daumen und Zeigefinger zu einem kleinen Spalt zusammen und ihm entgegen, „...das hätte ich ja noch in Kauf genommen, aber gleich so ein ganz riesiges gewaltiges Ding, wo sich Hajeps nur so tummeln!”
Und wieder verbarg sie ihre Nase im Taschentuch. „Also das muss ich einfach erst einmal echt verdauen! Schrecklich! Furchtbar! Ach Gott! Ach, ach !” ächzte sie. „ Aaah ... aach!”
„Du meine Güte! So übertreib doch nicht dermaßen! Stöhn` doch nicht so Margrit! Du bist ja völlig fertig mit den Nerven! War wohl die lange, anstrengende Flucht, was? Verdammt, was ist denn jetzt ? Sag` doch irgendein normales Wort!“.
„Aaaach, das Taschentuch, das duftet ja so gut ! Einfach köstlich! Welches Parfüm nimmst du eigentlich immer, George ?”
Er rieb sich den verspannten Nacken. „Mann, bist du anstrengend! Es ist kein Parfüm sondern Rasierwasser.“
„Gutes Rasierwässerchen, wirklich!” Sie kicherte jetzt ziemlich wild, wischte dabei aber immer wieder an den Augen herum. „Wie bist du nur zu so etwas Köstlichem gekommen ?“
„Ich verrate dir nichts mehr!” Er schob jetzt verärgert das Kinn vor.
„Schon gut“, sagte sie kleinlaut. „Hmm, aber wenn du über alles so genau bescheid wusstest, warum hast du dann die vielen Menschen im Zug nicht davor gewarnt, nach Frankfurt zu fahren? Die Hajeps wollen doch in solch einem wunderschönem Naturgebiet gewiss ganz unter sich sein, ihre Ruhe haben und von Menschen unbelästigt sein! Das muss doch irgendwie in einer Katastrophe enden, oder? ”
„Margrit, wie ich es bereits zu erklären suchte, ist es so, dass die Hajeps sich mächtig zerstritten haben, seit sie auf unserer Erde sind, und so könnte es sein, dass die Stadt Askonit selber Gerüchte in Umlauf gebracht hat, die Menschen würden hier im Hajepgebiet sicherer als woanders sein, nur um die unter lotekischer Herrschaft stehenden Gebiete ohne sonderliche Bemühungen mit einem Schlage menschenleer zu haben, damit sie diese möglichst bald für ihre eigenen Siedler nutzen können.“
„Wie schlau! Und warum hat Zarakuma selbst hier zuvor keine Menschen vertrieben?”
Er grinste seltsam. „Na, diese Menschen nutzte Zarakuma vielleicht irgendwie für sich aus ? Wer weiß ? ”
„Du weißt es!“ fauchte Margrit. „Hm, schon gut, ich frage nicht weiter! Aber diese Lügen verbreiten die ...äh... Loteken bestimmt mittels menschlicher Helfer!“
George nickte.
Margrits Augen blitzten ihn wütend aber auch ein kleines bisschen misstrauisch an. Wer war dieser George wirklich?
„Findest du sie etwa bewundernswert?“ Zum ersten Male zweifelte sie an ihrer eigentlich sonst immer recht verlässlichen Fähigkeit, Personen richtig einzuschätzen. „Zarakuma wird sich diese Menschenflut doch bestimmt nicht lange bieten lassen, unschuldige Leute werden letztendlich schon wieder dafür bezahlen müssen! Warum hast du niemanden davor gewarnt ?“
„Sollte ich mich lynchen lassen? Die Leute in den Zügen, waren doch im Grunde schon ganz verrückt darauf, mir den Hals umzudrehen.“ Er grinste unsicher. „Nur weil ich groß und kräftig gebaut bin und so viel über Hajeps weiß! Außerdem hätte ich niemals alle retten können! Wenn überhaupt, nur einen Bruchteil davon!“
„Werden alle sterben?“ krächzte Margrit entsetzt.
„Weiß ich es?“ entgegnete er frostig. „Bin ich Hajep?“
„Vielleicht?“ entgegnete sie sehr, sehr leise.
„Aaaha! Die Dame misstraut mir also schon wieder!“ Seine grünen Augen blitzten sie enttäuscht und traurig an. „Nach alledem hätt` ich das eigentlich nicht mehr von dir gedacht!“
Er räusperte sich. „Na, da kann man wohl nichts mehr machen! Misstrauen ist eine Krankheit“, er atmete tief durch, „die gerade in unserer schlimmen Zeit, die meisten Menschen befallen hat. Was an sich verständlich ist. Dennoch sollten wir nicht übertreiben, aber das hatte ich ja heute schon einmal gesagt, lassen wir das!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Du solltest trotzdem wissen, dass ich zumindest bemüht war, eine ganz bestimmte Familie zu retten und vielleicht noch immer damit beschäftigt bin.“
George warf Margrit einen bedeutungsvollen Blick zu. „Doch die Frau aus dieser Familie zeigt sich dabei etwas störrisch. Wirklich, Margrit, es wäre wahrhaftig besser, wenn ihr in Zukunft nur noch auf mich hören würdet! Ja, es wäre sogar am Besten, ihr zöget gar nicht erst nach Reichenberg und kämet mit mir nach Eibelstadt.“
„Eibelstadt?“ Margrit machte große Augen. „B...bist du verrückt ?“
„Margrit, du sammelst doch Sprüche, dann solltest du dir vielleicht folgenden merken : Am sichersten sind die Hasen direkt neben dem Jäger! Na, was hältst du davon ?“
„Nichts, George!“ Sie starrte ihn an, als hätte sie einen Verrückten vor sich. „Darüber muss ich erst einmal nachdenken!“
„Ha, manchmal schadet zu vieles Denken auch! He, es ist mir wirklich zu mühsam, euch immer wieder hinterherzuhetzen, um nachzuschauen, dass euch auch ja kein Unheil geschehen ist!“ Er krauste die Stirn. „Ich kenne die Hajeps, glaube mir! Frage mich aber nicht“, er hob abwehrend die Hände, „woher ich diese Informationen habe.“
„Ja, ich weiß“, unterbrach sie ihn, „jetzt kommt wieder die Sache mit meiner Hysterie, habe ich recht ?”
„Immerhin eine gute Ausrede für mich, nicht wahr? Nein, die Wahrheit ist, ich bin eben auch ein kleines bisschen misstrauisch, zwar nicht dir gegenüber, aber diesem Paul!“
„Wa - aaas ?“ Margrit war so verblüfft, dass sie schallend auflachen musste. „Jetzt sag bloß“, prustete sie, „du hältst Paul für einen Hajep? Er hält dich nämlich auch für einen!“
Da fiel er in ihr Gekicher mit ein. „Das meine ich natürlich nicht. Aber ich kann ihm durchaus zutrauen, in bestimmten Situationen völlig unvermittelt und falsch zu handeln, wenn er etwas von mir erfährt. Und da du sehr gesprächig bist, wage ich nicht mir vorzustellen, dass kein verräterischer Laut, deinen Lippen entfleucht.“
„Danke für die Blumen!“ knurrte sie. „Also sind wir für heute quitt!“
„Ja, das könnte so hinhauen!“ Er grinste, dann sah er ziemlich nachdenklich ins Tal. „Ich werde noch einmal zu diesem See gehen und Wasser holen für meinen Verletzten.“
Margrit entdeckte jetzt erst, dass er ebenfalls eine Flasche in seiner Faust hielt, die er wohl gerade von seinem Gürtel gebunden hatte.
„Oh Gott!“ stieß sie entsetzt hervor und bemerkte, dass er sich schleunigst in Gang setzte. Sie wollte ihn festhalten. „Du kannst ja mein Wasser haben!“
„Das braucht doch ihr!“ Er hüpfte übermütig, wie ein junges Karnickel, ihren ausgestreckten Armen davon.
„He, ich habe aber Angst um dich!“ Sie trottete ihm hinterher. „Der See ist mir nämlich noch immer irgendwie unheimlich."
„Ja, ja und jetzt Bammel um den Hajep haben. Das haben wir gerne!“ Er grinste und lief dabei rückwärts. „Stell dir vor“, rief er, „das alles macht nun dieser schreckliche, fürchterliche Hajep für schnöde Menschen!“
Und dann drehte er ihr den Rücken zu und lief ziemlich schnell weiter.
Sie blieb stehen, sah ihm ein Weilchen hinterher, jetzt war er schon zu jener Stelle gelangt, wo sich noch vor kurzem zwischen Steine und Geröll ihr Fuß verhakt hatte. Wie schnell war doch die Zeit vergangen, in welcher er bis dorthin gelangt war, und wie endlos lang und qualvoll war ihr vorhin diese Strecke erschienen. Wieder warf er einen Blick zurück über die Schulter.
Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
„Das ist schon zum Kopfschütteln“, brüllte er noch weiter von ihr entfernt, dann nahm er den kleinen Steinwall in Angriff, „denn hier entfleucht dir ein Meisterkletterer, wie ihn die Welt noch nie ... aua... gesehen hat!“
Da musste sie doch lachen.
Wieder schaute er sich um. „Nicht kichern!“
Jetzt konnte sie ihn nur noch undeutlich verstehen. Die Steine hatte er jedenfalls hinter sich und es folgte nur noch dieser schöne weiche Sand.
„Margrit?“ Er drehte sich nochmals zu ihr um und blieb stehen. „Spreche mal mit Paul über meinen Vorschlag. Am Besten jetzt gleich! Kommt mit mir nach Eibelstadt! Er wird zwar nicht gerne einwilligen, aber ich glaube, es wird dir schon gelingen ihn zu überreden. Ihr braucht meine Hilfe, sonst...“, er wirbelte herum und lief weiter.
„Was sonst?“ schrie sie zu ihm hinüber. „Ach, George, willst du mir etwa drohen?"
Sie runzelte die Stirn und sah, dass er jetzt am See kauerte und die Flasche vollaufen ließ. Konnte er sie wahrhaftig von dort aus nicht mehr hören? Oder tat er nur so? Füllte er wirklich die Flasche für den Verletzten oder nur für sich selbst ? Hatte er den überhaupt mit ihren Sachen zugedeckt ? Warum wollte er sie und ihre Familie unbedingt begleiten? Konnte man sich von ihm leiten lassen, ganz gleich wohin er einen führte? Nachdenklich schaute sie George zu, wie er die Flasche verschloss. Gleich würde er zurücklaufen.
Nein, sie wollte nicht gemeinsam mit ihm den Weg zurück. Sie drehte sich um, lief mit einem Male sehr schnell, ja, rannte fast.
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Alt 03.01.2005, 12:00   #24
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 24

Kapitel 4

Worgulmpf stolperte durch die Dunkelheit. Der Mond bot nur eine schmale Sichel und Worgulmpf besaß nichts, was ihm und seinen Getreuen hätte den Weg beleuchten können. Außerdem wäre Licht viel zu gefährlich gewesen, konnte er doch dann womöglich von den Xamboktos (Jägern) der Loteken gesehen werden, die gewiss immer noch nach ihnen suchten. Worgulmpf hatte sich mit seinen Freunden und der Familie tagsüber in einer Höhle versteckt gehalten und ihre müden Glieder waren daher ausgeruht, auch waren sie nicht hungrig.
Als Chiu-natra und seine Soldaten die Trowes nicht hatten finden können, verhörten und attackierten sie die Einwohner Hornbergs und als diese ihnen nichts sagen konnten, bombardierten sie deren Häuser mit Gondrum. Gondrum war ein gasförmiges Kampfmittel, dass für eine vorübergehende Austrocknung der Umgebung sorgte und somit auch für ein Zusammenfallen jenes Tarnschildes, welches aus Feuchtigkeit bestand und die ganze Zeit Worgulmpf und seine getreue Schar umgeben hatte. Es war ein schnell kriechendes Gas aus einzelnen Staubwolken, das sie unweigerlich enttarnt hätte und daher hatten sie nur dadurch Chiu-natras Schergen entkommen können, indem sie sich noch rechtzeitig mit Waffengewalt unter eine Gruppe Dörfler gemischt und sich mit deren Mützen und Schals getarnt hatten. Später, als der Staub sich aufgelöst hatte, waren sie mit eben diesen Dörflern zurück nach Hornberg gegangen. Erstaunlicherweise waren nur wenige Häuser zerstört und so hatte sich Worgulmpf von diesen verängstigten Menschen den Zugang zu deren Speisekammern erzwingen können, aus denen sich seine Getreuen dann eingepackt hatten, was sie nur verdauen konnten, sogar gebratenes Fleisch, an welches sie eigentlich gar nicht gewohnt waren. Anschließend hatten sie dann gemeinschaftlich die fünfzehn Dörfler, deren Kraft und Stärke kaum an die der Trowes heranreichte, erwürgt oder einfach nur totgeschlagen, damit diese sie später nicht verraten konnten und sie hatten sich derer Kleidung bemächtigt, sofern nur etwas davon ihren gewaltigen Körpermaßen entsprach.
Sie waren jetzt also neu gekleidet, satt und ausgeruht. Sie fühlten sich eigentlich nicht schlecht, wenn nicht diese Angst gewesen wäre, dass sie, auch wenn es so finster war, doch noch von Chiu-natras Leuten erwischt werden könnten. Zudem mussten sie aufpassen, wenngleich sie sehr gute Kletterer waren, dass sie nicht daneben traten und hinabstürzten, denn dieser Pass, welchen sie gerade entlang schlichen, war sehr schmal und zum Teil sogar zerstört.
Trug für diese Verwüstungen die eisige Winterkälte Schuld oder waren sie etwa frisch ? Konnten sie am Ende gar
Das Werk von Chiu-natras Männern gewesen sein?
Wie dem auch war, das ging nicht mehr herauszufinden, vor allem nicht bei dieser Dunkelheit! Gut, dass er den Plan von diesem Georgo auswendig gelernt hatte. So konnten sie sich nicht verirren. Er war kein dummer Mann, denn er hatte ihnen nicht nur geraten, möglichst nur des Nachts weiterzuziehen und kein Licht zu benutzen, sondern deshalb auch besonders markante Bergzacken, skurril geformte Wege, Bäume und Büsche wie Scherenschnitte als Orientierungspunkte zusätzlich aufgezeichnet.
Worgulmpf zuckte plötzlich zusammen. Bei den Göttern des Alls, lugte dort oben hinter dieser komischen Felszacke, welche einem riesigen Tannenzapfen glich, nicht ein Trowe hervor ? Er gab ein Zeichen hinter sich mit seiner Hand, und seine Meute blieb stehen.
Ja, jetzt sah auch Gulmur, sein ältester Sohn den Trowenmantel hervorwehen, die Kapuze erhob sich dabei immer wieder so ein bisschen und eine dicke Bommel, befestigt an dessem Zipfel fiel dabei nach vorn und plumpste dann wieder zurück.
„ Es scheint Slorbunkas Kapuze zu sein?“ fragte er seinen Vater leise, dieser nickte.
Vorsichtig gingen sie den Pfad höher hinauf. Also hatten die Freunde, wenngleich sie sich einst im Streit getrennt hatten, am Ende doch noch den selben Fluchtweg gewählt. Warum eigentlich ? Worgulmpf waren noch gut Slorbunkas letzte Worte im Gehör geblieben. ‚Ihr traut den Lumantis, aber die Lumantis sind besiegt und daher schwach !’ hatte er gesagt. ‚Wir hingegen vertrauen den Jisken!’ Worgulmpf krauste bei diesem Gedanken die dicken Augenwülste. Man hatte zwar wenig über die Jisken gehört, doch sie waren die Hoffnung der Sklaven, denn sie nahmen Flüchtlinge bereitwillig in ihre Zeltlager auf, verborgen in dichten Wäldern.
Es war ein Volk, das sowohl mit den Hajeps als auch mit den Loteken nicht viel zu tun haben wollte. Es hatte sich im Laufe der Jahre einfach ebenfalls auf der Erde angesiedelt. Weder die Loteken noch die Hajeps wagten etwas gegen sie tun, da ihre Kampfstrategie hauptsächlich darin bestand, ihre Feinde überraschend und gezielt mit unbekannten Krankheitskeimen zu infizieren, gegen die sie selbst völlig immun waren.
Worgulmpf mochte dieses hinterhältige Volk daher nicht, und er hatte sich deswegen sogar mit Slorbunka zerstritten. Doch wie war Slorbunka so schnell bis hierher gekommen ? Er und seine Männer mussten Menschen erpresst haben, die noch motorisiert waren. Doch warum hockte Slorbunka dort oben allein ? Wo waren die acht anderen ?
„Bei Ubeka, jetzt war er verschwunden und da lugte er wieder hinter einer anderen und weiter entfernten Felszacke hervor. Noch höher hinauf schlich Worgulmpf.
„He, dort sind ja auch die anderen !“ wisperte Gulmur dicht hinter ihm zutiefst erleichtert. “Sieh nur Adji-pua hat uns jetzt gesehen und winkt uns sogar zu ! Wir sollten schneller machen !“
„ Ich weiß nicht“, knurrte Worgulmpf, „irgendetwas gefällt mir daran nicht. Das Staubgas hat sich schon seit vielen Stunden verzogen, also kann ich sicherheitshalber den Blunaska in der Hand behalten, um ihn sofort einzuschalten. Oder hülle ich uns besser gleich mit diesem Tarnnebel ein ?“
„ Dann wird uns Adji–pua schwerlich weiter heranwinken können, Vater! Sieh nur, er ist wieder verschwunden und seine Freunde auch !“
„Bleibt stehen ! Ich will sehen, was sie vorhaben !“ knurrte Worgulmpf.
„Was sollten sie schon vorhaben, Vater ?“
„ Es könnte eine Falle sein !“ murrte Worgulmpf.
„ Na gut, dann werden wir eben unsichtbar nach oben klettern und nachschauen, wo sie geblieben sind!“
“Es soll auch Gondrum-Gewehre geben, Sohn !“
„ Davon habe ich auch gehört, aber...“
„ Kein aber. Das Gondrumgemisch muss nur nahe genug abgefeuert werden, um unsere Tarnglocke zu erreichen!“
„ Woher wollen sie wissen, in welche Richtung sie feuern müssen, wenn sie uns nicht sehen, Vater ?“
„ Sie haben uns bereits gesehen, bei den Göttern, und der Gondrumstaub kann kriechen, er soll sogar irgendwie, ich weiß nicht, wie das nennen soll, ...lebendig sein !“
„Sagt man, ich glaube so etwas nicht !“ tönte Gulmur keck.
„ He, wollte ihr deswegen etwa unseren Artgenossen nicht entgegenlaufen ?“ meldete sich jetzt auch Gerawunk von hinten, der beste Freund Worgulmpfs. „Seit wann sind Trowes feige ?“
„ Ja, womöglich sind sie in Not und brauchen unsere Hilfe !“ ließ sich nun auch Worgulmpfs Weib hören.
„ Also gehen wir näher heran ?“
„ Wir gehen näher !“ stimmten alle zu.
Die kleine Meute wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, als Slorbunkas schwarzer Schatten abermals dort oben erschien, wieder hinter einer anderen Felszacke und noch ein Stückchen weiter von ihnen entfernt.
„Eine Falle...!“ konnte Slorbunka nur noch von oben rufen, dann verwandelte sich das Ende seines Satzes in einen gurgelnden Laut und sein Kopf rollte polternd das Felsmassiv hinab. Gleichzeitig knatterten Schüsse aus nächster Nähe zu Worgulmpf hinunter und weißer Staub wallte hinab.
Doch Worgulmpf hatte längst das Sensorenfeld seines Blunaskas berührt. „Bei Ubeka, lauft, was eure Beine hergeben können, aber bleibt dabei nur ja in dieser Tarnglocke! Behaltet dabei den Pass im Auge ! “
Die kleine Schar flitzte trippelnd und eng beieinander den Pass hinunter. „Verdammt, die Steine geben nach!“, krächzte Worgulmpfs Jüngster. „Hilfe, ich falle !“
„ Ich auch, bei Ubeka!“ ächzte Gulmur verblüfft.


„Etwa zwei Stunden später wurde Paul durch ein eigenartiges Rascheln am Höhleneingang geweckt. Automatisch fuhr er mit dem Oberkörper hoch, um besser ins Freie blicken zu können.
Es war hier drinnen stockfinster. Das Feuer brannte schon lange nicht mehr, nur einige Zweige glommen noch. Draußen dagegen erschien es einem durch die vom schwachen Mondlicht beschienene Welt erstaunlich hell.
Das Gewitter in dieser Nacht hatte den wolkenverhangenen Himmel freigeregnet. Margrit war, weil Paul sich so heftig bewegte, nun ebenfalls wach geworden und starrte genauso erschrocken umher wie er.
„Was ist los ?“ wisperte sie.
„Na, da draußen...“, Paul wies mit dem Kinn zum Ausgang. „Hörst du das nicht ?“
Margrit lauschte, den Atem anhaltend. Tatsächlich! Ganz deutlich vernahm auch sie schurrende Geräusche! Jemand machte sich am Höhleneingang zu schaffen! Und jetzt konnte man ihn direkt sehen! Ein großer, schlanker Schatten, eine muskulöse Männergestalt!
„George ? “ ächzte Margrit.
„He, wer ist da?” knurrte Paul gefährlich und seine zitterigen Finger tasteten nach dem Revolver, den er immer unter seiner Weste am Kopfende zu liegen hatte.
„Ja ?“ kam es leise zur Antwort.
Tatsächlich, es war seine Stimme.
Paul behielt trotzdem den Revolver in der Hand.
„Was machst du da ?“ fragte Margrit jetzt wesentlich energischer und daher leider viel zu laut, denn Muttchen war dadurch wach geworden.
„Junger Mann“, ertönte sofort deren verschlafene Stimme. „Haben Sie etwa schon wieder keinen Schal um ?“
„Äh... hm... nein!“ erwiderte dieser verblüfft.
„Aber Muttsch!” versuchte sie Margrit zu bremsen.
„Verschwinden Sie!“ brüllte Paul jetzt überlaut dazwischen und seine Hand mit dem Revolver zuckte gefährlich.
„Paul!“ mühte sich Margrit auch ihn zu stoppen.
Trotz des Lärms rührten sich die Kinder nicht, sie hatten wohl gerade einen gesegneten Schlaf ! Und auch der dunkle Schatten blieb unbeeindruckt im Eingang stehen.
„ He, ich habe ihnen doch vorhin einen so schönen Schal von meiner Tochter überreichen lassen!“ plapperte Muttchen einfach weiter drauflos.
„Ach sie meinen den von vorhin ?“ begann der Schatten zögerlich. „Ach, das war wirklich nicht nötig, ich...“
Paul schaute genau wie Margrit jetzt völlig konsterniert von einer Person zur anderen, immer noch seinen Revolver in der Faust habend.
„Sie haben wirklich keine Ahnung, was für sie nötig ist und was nicht“, schwatzte Muttchen aufgeregt weiter.
„Aber ich gab ihn doch ihrer Tochter zurück und...“, versuchte sich der Schatten zu verteidigen.
„Verdammt, verschwinden Sie endlich !“ versuchte es Paul noch einmal.
Doch beide schienen ihn nicht gehört zu haben.
„Das haben sie gemacht ?“ empörte sich Muttchen. „Meinen guten Schal ? Welch ein Unverstand! Hat mir Margrit noch gar nicht erzählt. Warten Sie...“
Wer Muttchen kannte, wusste, wie zäh sie manchmal sein konnte, und daher schien es nicht weiter verwunderlich, dass sie bereits in ihrer Tasche nach einem anderen Schal für George suchte. Sie stolperte nun mit etwas Länglichem in den Händen zum Ausgang und somit zu ihm hin. „Ist das nun auch wirklich ein Schal...“, murmelte sie dabei angespannt, „...oder mein Spitzenunterhemd ? Na egal, Hauptsache wir haben etwas Warmes, was wir dem guten Jungen gleich überstülpen können!“
Der dunkle Schatten wollte nun schlagartig flüchten, doch Margrit hatte sich, obwohl Paul sie daran hindern wollte, einfach an Muttsch vorbei bis zum Ausgang durchgedrängt. „He, George!“ wisperte sie, während sie noch einige Zweige, die noch zum Teil davor lagen beiseite räumte. „Was wolltest du eigentlich hier ?“
„Ganz klar, ihm war kalt !“ krächzte Muttsch hinter Margrit her. „Willst du ihm lieber den Schal geb... ?“
„Muttsch! Hm... George, wolltest du irgendwie Hilfe von uns? Ist etwas mit dem Verletzten? Wir haben dich reichlich in Stich gelassen...“
„Hm... na... keine Sorge... war nichts weiter!“ rief der schwarze Schatten nun von weitem. „Wollte nicht jeden von euch wecken, wirklich! Äh.. .hm... habe es mir jetzt anders überlegt, entschuldigt!“
„Moment!“ Paul stieß Margrit zur Seite. „Das ist doch verdächtig! Erst kommt der hier angeschlichen und als wir ihn dabei erwischen, will der plötzlich nichts mehr von uns! Jetzt rede ich mal mit dem!“ Er rannte, die Waffe immer noch in der Faust haltend, aus der Höhle, den schmalen Pass George hinterher.
„ Aber Paul!“ ächzte Margrit schon wieder nervös. “Nennst du das etwa reden ? Du wirst doch wohl nicht damit schießen ?“
„ Nein, ich werde ihn nur damit kitzeln“, fauchte Paul ziemlich boshaft, rutschte dabei fast auf einem glatten Stein aus, hielt aber noch die Balance, während er immer tiefer in die Dunkelheit hinabholperte.
George flüchtete indes immer schneller den gebogenen Pfad entlang und hielt auch nicht an, als ihn Paul dazu mehrmals aufforderte und ihm androhte, gegebenenfalls auch zu schießen.
Paul konnte ihm schließlich nur noch mühselig folgen. Trotz Mondlicht sah er fast nichts. An den unmöglichsten Stellen wuchs struppiges Gesträuch und Gebüsch, lagen Steine und Geröllbrocken. Schließlich wusste er nicht mehr so recht, wo er hier überhaupt war und so fand er es besser anzuhalten.
" Sie können mir doch nicht erzählen, dass sie diesen umständlichen Weg bis hierher genommen haben, nur weil sie uns im Schlaf beobachten wollten ? " schrie er jetzt mitten in die Stille hinein. "Wie haben sie uns überhaupt so schnell gefunden ? " fügte er erstaunt und leise hinzu.
George blieb in einiger Entfernung zunächst ebenfalls stehen, schaute sich nach Paul um und dann machte er kehrt. Er schien ziemlich nervös und leise in sich hineinzulachen, je näher er kam. "Das ist für mich nicht weiter schwer, Herr Ladeburg“, sagte er leise, “doch wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie bald irgendwo hinabstürzen. Sie stehen nämlich gerade dort ziemlich ungünstig... trotz ihres hübschen, wunderschönen Revolvers."
Er näherte sich Paul mit sicheren und ziemlich raschen Schritten und blickte ihn mit seltsam glimmenden Augen an. Unwillkürlich machte Paul deshalb gleich zwei drei Schritte vor ihm zurück. Er misstraute dem eigenartigen Burschen mehr denn je, fand sogar, dass er sich unnötig in Gefahr begeben hatte, indem er sich von diesem fortlocken ließ. Wie kam er nur unbeschadet wieder zur Höhle zurück?
„ Und er wird ihnen auch nicht helfen, ihr Revolver, den Weg zurückzufinden, Herr Ladeburg!“ hörte er ihn.
Verdammt, wie der jetzt vorwärts schlich, katzengleich und geschmeidig. Der war in dieser Gegend zu Hause, das war klar. Angstschweiß brach Paul aus allen Poren, während er zurücktappte, die Stirn dem dunklen Hünen lieber zugewandt als den Rücken. „K...komm mir nicht zu nahe !“ krächzte Paul hilflos. Er glaubte, unverhohlene Schadenfreude in dessen vom Mondlicht beleuchteten Gesicht zu erkennen. Was wollte der Typ ? Ihn etwa stürzen sehen ? Oder sogar den Berg hinabsto...? Paul blickte in den Abgrund neben sich. Oder war das noch keiner, nur Gras? Und dahinter kam erst... ? Ja oder nein ? Unsicher und ganz langsam ging sein Fuß jetzt zurück, er taumelte, hielt sich aber noch an einem mageren Strauch fest, der einst seinerseits an diesem Felsen mühsam Halt gefunden hatte. Wenn er tot war, hatte dieser George es ganz gewiss leichter mit dem Rest der Familie. Sollte er nicht einfach mit der anderen Hand, in der er seine Waffe hatte, zielen und feuern?
Paul stieß sich jetzt das Knie am Felsen, an welchem er sich festhielt und stöhnte leise.
" Tja, ja... ", hörte er wieder die eigenartige Stimme des seltsamen Riesen, “es wäre wohl günstiger, wenn man sich hier besser auskennen würde, nicht wahr ? "
"Wohl wahr!" keuchte Paul mit angehaltenem Atem, und die Mündung seiner Waffe wies nach einigen Schlenkerbewegungen endlich auf George.
„ Aber, aber... wer wird denn?“ Der muskelbepackte Schatten wackelte gemahnend mit dem Zeigefinger. „Wir wollen doch keine Dummheiten machen, oder ?“
„ Ich wäre dumm, wenn ich jetzt nicht schießen würde. Stirb, du... du hinterhältiges Schwein !“ ächzte Paul.
„ Und wenn das Schwein nun auch bewaffnet wäre, was dann ?“
„ Guter Bluff! “ Paul wollte schrill auflachen. “Aber ganz so schlecht sehe ich nun auch wieder nicht, trotz Dunkelheit!“ „ Ach, nein ? Und was sehen wir denn ?“
„ Dass du unbewaffnet bist, du Spinner !“ Paul wollte abdrücken, doch da sah er, dass ein feiner, heller Lichtstrahl von Georges Mittelfinger ausging, scharf an seinem Kopf vorbeizischte und nun hörte er, wie der sich prasselnd hinter ihm ins Gestein fraß, dann war Stille.
„ Oh, Go – ott ?“ ächzte Paul, sackte in die Knie, doch wieder erwies sich der Strauch als unglaublich nützlich.
„ Aber, Herr Ladeburg, wir wollen doch nicht unschuldige Büsche entwurzeln !“ rief George aufgeregt. “Der da sitzt nämlich nicht gerade fest ? Jssississis...!“ Der Schatten schüttelte den Kopf.
Verdammt, Paul merkte jetzt auch, wie der Busch nachgab.
“ Wie leicht kann solch ein zarter Strauch abreißen! Nur den Revolver wieder einstecken, Herr Ladeburg, wenn ich ihnen und dem Busch helfen soll, und künftig ganz lieb und brav sein, einverstanden ?“
Paul gehorchte wie in Trance und George streckte ausgesprochen langsam den anderen Arm nach ihm aus. “Solch ein kleines Zworn hat doch immer wieder eine ganz gewaltige Wirkung, nicht wahr ?“
Paul nickte mit einem Klos im Halse und betrachtete den muskelbepackten Arm, der sich ihm nun Stück um Stück näherte.
„ Man sieht es zunächst nicht und trotzdem...“, Paul glaubte schon wieder einen kalten fast tödlichen Ausdruck in diesem Gesicht wahrzunehmen,,“...ist es stets feuerbereit ! Die Einschussstelle danach ist allerdings recht klein... schlimmer sieht es aus, wenn jemand von hier hinunter stürzt ! Ein ekeliger Anblick ! “ Der Schatten schüttelte erschauernd die breiten Schultern.
`Und er ist doch ein Hajep !` durchfuhr es Paul. ‚Er ist ein gottverdammter Hajep !’
" Halt ! " schrie Margrit plötzlich von hinten. Sie war ihnen mühselig hinterher geklettert. " Was macht ihr beide eigentlich da ? "
Georges Hand fuhr wie ertappt für einen Moment zurück, fast gleichzeitig veränderte sich auch seine Mimik. Seine Augen funkelten geradezu scheinheilig freundlich.
" Oh", hüstelte er, "ich wollte ihren Freund nur halten !“ Und dabei fühlte Paul Georges kräftige Hand im Genick und am Kragen. „Stellen sie sich vor, er wäre beinahe in diesen Abgrund gestürzt."
Margrit blickte daraufhin auch dort hinunter. " Schrecklich", entfuhr es ihr tief erschüttert, "wirklich schrecklich, schrecklich ! " Dann sah sie hinüber, zu George. " Danke ! " sagte sie leise.
" Hm." Paul blickte verwirrt von einem zum anderen, denn George hielt ihn noch immer von hinten am Kragen fest.
" Nur umkehren und dann immer weiter, Herr Ladeburg ! " wies dieser ihn freundlich an. “Ich halte sie ! Drehen sie mir ruhig den Rücken zu.“ Und leise fügte er hinzu : „ Ich tue ihnen nichts. Jedenfalls nicht im Augenblick... ", und dann lachte er amüsiert in sich hinein.
" Was meinen sie“, sagte er jetzt wieder ganz laut, „ wäre es nicht besser, wenn ich sie und ihre Familie durch diese ganze Wildnis wohlbehalten nach Eibelstadt führen würde ? Ich kenne da nämlich eine Abkürzung !"
" Nach Eibelstadt ! " stammelte Paul und drehte ihm tatsächlich den Rücken zu. " Ich denke, dort in der Nähe liegt Zarakuma... sogar Scolo soll dort sein !“ Er tappte langsam und unsicher vorwärts.
" In der Tat, das liegt dort !“ George griff ihm unter die Schulter und schob ihn vorwärts, den Hang höher hinauf. “Aber es gibt da ein altes Sprichwort...“
„ Ja, ja, ich weiß, Margrit erzählte mir bereits davon !“ Er lief nun etwas entschlossener nach oben.
" Also verstehen Sie, was ich meine ? " George ließ Paul los, da dessen Fuß nun besseren Halt hatte.
" Schwer, aber es wird mir schon irgendwann mal einleuchten!"
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.01.2005, 12:05   #25
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 25

Endlich standen sie wieder vor der Höhle und George behielt beim Abschied Margrits Hand für ein Weilchen in
der seinen. " Nun, wie lautet eure Entscheidung ? " fragte er sie leise. " Möchtet Ihr mich als euren Führer haben oder nicht ? Wollt ihr nach Eibelstadt ? Ich weiß, das ist eine ziemlich schwere Entscheidung ! Vor allem, wenn man zuerst etwas ganz anderes geplant hatte. Ihr würdet von mir Arbeit bekommen und die Kinder endlich Essen ! "
" Also... ", begann Margrit zögernd und mit einem schrägen Seitenblick auf Paul, ”äh... hm... was ist eigentlich mit dem Verwundeten los, geht es ihm gut ?” versuchte sie plötzlich irgendwie das Thema zu wechseln.
George musste lachen. “ Erst meine Frage beantworten !” verlangte er.
" Doch", fuhr endlich Paul für Margrit fort, "Sie haben mich überzeugt. Es ist zu gefährlich, ohne jede Erfahrung alleine weiter zu ziehen ! Sie haben eine enorme Kenntnis, vor allem wenn es um Hajeps geht. Wenn Sie sagen, dass wir in Eibelstadt am sichersten sind, dann wird das auch schon seinen Grund haben. Wir werden morgen, wenn wir uns gut ausgeschlafen haben, gemeinsam mit Ihnen weiterziehen."
" Geben Sie mir Ihr Ehrenwort ? " George streckte auch ihm die Hand entgegen.
" Aber sicher ! " Die beiden ungleichen Männer schüttelten sich die Hände.
Paul schmunzelte. "Morgen, so um zehn, werden wir uns alle zusammen aufmachen.“
" Haben Sie denn überhaupt eine Uhr ?“ hakte George trotzdem skeptisch nach.
„ Aber sicher !“ knurrte Paul.
" Na, dann wünsche ich Ihnen allen noch eine gute Nacht ! " sagte George leise und schnell, den schmalen Abhang eher hüpfend als laufend, schien er verschwunden.
" Und wie geht es nun dem Verletzten ? " rief Margrit doch noch in die Dunkelheit hinein.
„Phantastisch !“ hörten sie seine dunkele Stimme aus der Ferne.
„ Kann man ihm das glauben?“ wandte sich Margrit leise an ihren Paul.
„ Ja, denn es gibt gar keinen Verletzten !“
„Es gibt keinen...?“
„ Genau, weil beide Hajeps sind !“ knurrte Paul. “ Die machen mit uns nur ein kleines Spielchen, weißt du, weil sie uns lebend für diese Experimente haben wollen ! Bestimmt sollte uns der andere auflauern und dann...“
„ Aber das hätten Hajeps doch gar nicht nötig ! Und wenn überhaupt, warum wollen sie dann ausgerechnet unserer Familie haben ? Paul, jetzt hast du keine Phobie mehr, das ist bei dir schon Verfolgungswahn!“
„ Bin nie klarer im Kopfe gewesen als heute !“
„ Ach ja ? Und wenn du so skeptisch bist, warum verabredest du dich dann mit ihm, he ? "
" Das geht doch bei dem nicht anders. Wir werden, sobald es dämmert, die Kinder wecken und klammheimlich ohne ihn weiterziehen! Eine Flucht vor dem und seinem Kumpel ist das Beste, was wir jetzt tun können, und...”, er hielt plötzlich inne, wobei er finster in die Dunkelheit blickte, "... sollte er mir dennoch wieder begegnen, lege ich ihn diesmal rechtzeitig um!" Er knirschte mit den Zähnen und holte aus seinem Hosenbund nochmals die kleine Handfeuerwaffe hervor. “Ein altes Modell zwar, aber... ", er tätschelte den Griff und grinste, "...es funktioniert noch recht gut ! " Er entsicherte die Waffe und dann visierte er mit dem Lauf genau jenen Weg an, den der unheimliche Bursche genommen hatte.
" Sag` mal Paul ! " Margrit starrte ihn wütend an. " Was hat dir denn George Großartiges getan, dass du plötzlich so ausflippen musst ? Fühlst du dich etwa in deiner Männerehre gekränkt, weil er dir den Berg hinauf geholfen hat ? “
„ Er hat auf mich geschossen, Margrit !“
„ Geschossen ? Ich habe nichts gehört !“
„ Konntest du ja auch nicht, denn es hat nur leise gezischt! Das Ding war so ein Zw... nein, Zrr... na... Zlom oder so!”
„ Oder so ? Bist du dir wirklich sicher, dass bei dir da oben noch so alles...?“
„ Es war eine Hajepwaffe, Margrit ! Also ?“
„Was also?“
„ Na, wer trägt denn Hajepwaffen, he?“
“...etwa ein Hajep ?“
„ Kluges Mädchen, du hast`s erfasst ! Margrit, er hat aus seinem Finger gefeuert. Kichere nicht! Ich bin mit knapper Mühe und Not diesem hochgefährlichem Feuerstrahl entkommen !“
„ Ach Paul, das hast du dir bestimmt alles nur eingebildet!“ gluckste sie hervor.
„ Habe ich eben nicht ! Das ist ja das Schlimme ! Ich verstehe nicht, warum du mir nicht glauben kannst. Du hast doch heute selbst gehört, wie dieser... na, Verletzte... dieser Dörfler, wenn er eben einer war, behauptet hat, er wäre von solch einem Dings getroffen worden!“
„ Gerade dieser Bericht hat deine Phantasie beflügelt, mein lieber Paul! Du kannst George nicht leiden, außerdem bist du überreizt ! Ist ja auch verständlich, die ewige Flucht, kaum Schlaf, kaum Nahrung, und dann noch all das Grässliche, was wir dabei haben erleben müssen. Das geht an keinem spurlos vorbei, auch an dir nicht, Paul !“
„ Aber ich habe doch den blauen Feuerstrahl ganz deutlich gesehen, Margrit !“ „
„ Paul“, sie fuhr ihm sanft durch das Haar, “ich werde George künftig meiden so wie du, klaro ? Wenn das dich so verrückt macht ! “
Nachdenklich versenkte er die Waffe wieder in seinem Hosenbund und trottete, den Kopf gesenkt, zurück in die Höhle.
Muttchen kam ihm dabei entgegen.
„Der hier ist für ihn richtig“, krächzte sie begeistert, „schön lang und schön weich... aber das ist ja meine Strumpfhose!“

#

Es dauerte nicht lange, dann war die kleine Familie startklar. Sie hatte zwar zuvor ein wenig auf Munk warten müssen, Muttchen hatte darauf bestanden, und der Kater, ein sehr guter Jäger trotz seines Alters, war vollgefressen wiedergekommen.
Stumm, eine Taschenlampe schwenkend, Muttchen hatte diese nämlich bei ihrer Sucherei überraschenderweise ganz tief unten in ihrem Rucksack gefunden, bewegten sich nun drei große und zwei kleine Schattengestalten den schmalen Pass hinab. Paul und Margrit hatten schwer zu tragen, Muttchen weniger und der Kater trug gar nichts, der schlief bereits in seinem Körbchen. Julchen und Tobias liefen zu Fuß und gähnten immer wieder vor Müdigkeit.
Wenig später quietschte ein Fahrrad leise in der Dunkelheit. Der Mond zeigte immer noch nur die Hälfte seines silbernen Gesichtes. Auf der einen Seite war das für die Flüchtenden schlecht, auf der anderen aber auch recht gut. Selbst George musste, wenn er nicht direkt in der Nähe schlief, Schwierigkeiten haben, die fünf Schatten zwischen all den Felsen mit bloßem Auge auszumachen.
Und später, als die Sonne hoch am Himmel stand, war sich die ganze Familie einig, dass sie George abgehängt hatten. Muttchens Vorschlag, weder den Weg zurück noch den nach Hornberg zu nehmen, wurde von allen begeistert angenommen.
Da Muttchen damals auf ihrer Flucht ein reizendes Ehepaar kennen gelernt hatte, das in Würzburg eine größere Wohnung besaß, in der sie eine Bleibe finden sollte, hoffte man, vorübergehend ebenfalls dort nächtigen zu können. Man war daher guter Dinge, obwohl der Magen knurrte.
Tobias und Julchen hatten es gut gemeint. Um die Koffer zu entlasten, hatten sie ihr Spielzeug in ihren Rucksäcken verstaut. Was dort nicht hineinpasste, trugen sie in ihren Händen. Es war nicht viel, aber unerhört lästig für Kinderhände, die dauernd herumwedeln und Zweige und Steine während des langen Weges sammeln müssen. Tobias nannte eine etwa zwanzig Zentimeter große, muskelbepackte Puppe sein eigen. Selbstredend besaß der ‚Westman’ auch ein Pferd. Setzte man den Helden in den Sattel, überragten dessen lange Beine stets die des feurigen Rosses. Aber das störte Tobias nicht weiter.
Hingegen war Julchens wirklich wunder Punkt, dass ihr ‚Indianer’ eigentlich eine recht kurvenreiche Frau war. Strenggenommen hatte der sogar eine regelrecht weibliche Traumfigur. Immerhin hatte ‚Winnetou’ aber schönes langes Haar, wenn auch lockig und blond, und das Rappony mit abgescheuerter Nase passte besser zu der zierlichen Gestalt. Selbstverständlich durfte niemand erwähnen, dass Julchens Winnetou Brüste hatte, dann flossen sofort die Tränen, was Paul entsetzlich albern fand. So hatten also Winnetou und Old Shatterhand während des ganzen Weges durch das Gebirge recht viel zu tun und vor allen Dingen aufzupassen !
Darum auch entdeckten sie, als die Familie eine kleine Pause einlegte, plötzlich bei einer Kletterpartie dunkelrotes Blut im Gras und Abdrücke von Schuhen, die den Berg zu ihrer Rechten hinaufführten. Aufgeregt rannten sie den Weg zurück und teilten pustend und keuchend ihrer Familie mit, was sie dort Schreckliches gesehen hatten.
"Blut ? " fragte Paul. Die Kleinen nickten, immer noch nach Atem ringend. ” Ihr bleibt bei Oma ! Margrit und ich sehen nach !” befahl Paul. Die Kinder gehorchten, wenn auch ungern.
Es dauerte ein Weilchen, bis Margrit und Paul den Weg hoch waren. Es wurde hier so windig, dass sie sich ihre Jacken zuknöpfen und die Schals enger um ihre Hälse wickeln mussten. Suchend schauten sie umher. Da war es kalkig und steinig, borstiges Gebüsch überdeckte größtenteils den kargen Boden.
" Dort ! " Paul hob plötzlich einen der stacheligen Zweige an. " Da ist tatsächlich eine kleine Lache ! " Er erschauerte unwillkürlich. Was war geschehen ? Wer war hier umgebracht worden ? Sollten sie nicht doch lieber umkehren ?
Margrit beantwortete seinen fragenden Blick mit einem Kopfschütteln. "Lass uns mit dem Suchen fortfahren, vielleicht ist es der Verletzte vom Dorf, der alleine weitergeflohen ist und unsere Hilfe braucht."
" Warum sollte der denn alleine...? Ich habe dir doch vorhin schon gesagt, dass die zwei todsicher bekannt miteinander sind !”
“ Darin bin ich eben anderer Meinung, Paul !”
“ Du bist nur trotzig ! Du mit deinem komischen Helfer... äh... dingens! " knurrte er missmutig. "Diese Macke wird uns noch eines Tages den Kopf kosten. Aber ich ahne schon, du willst dem Hajep unbedingt in die durchtrainierten Arme laufen, nicht wahr ? "
"Ich lasse mich von dir nicht ärgern, Paul !" Margrit stemmte die Hände in die Hüften, während sie weiter umherblickte. "Hm, nichts mehr zu sehen ! Na, vielleicht war es ja auch nur ein verletztes Tier, das sich irgendwohin zurück gezogen hat ! Wenn es jedoch unser Dörfler sein sollte, dann muss er ganz in der Nähe sein. Höher kann er nämlich nicht, so schlapp wie er bereits war, denn es wird hier viel zu steil ! Aber weshalb sollte er sich überhaupt von George getrennt haben? Das ist mir ein Rätsel ! “
“ Weil er eben gar nicht verletzt ist, und man Frau Klugschnacker nur anlocken will !”
“ Hä, hä, Paul! Es ist aber wirklich komisch, dass wir ihn nicht finden. Ob ich mal rufe? "
" Untersteh dich ! Oder willst du uns auch noch die restlichen Hajeps auf den Hals hetzen ? "
Margrit lief nun mit energischen, raumgreifenden Schritten bis zum Rande des Abgrundes, der dort sein zerklüftetes Maul weit geöffnet hatte. Eine Schar Krähen flog von unten auf, während sie sich hinüberbeugte.
" Nein ! " schrie sie gellend, presste sich die Hand vor den Mund und taumelte zurück.
" He, Margrit, was ist ?" Mit zwei, drei Sätzen war Paul bei ihr. Er hielt sie fest und beide blickten gemeinsam die Schlucht hinunter. Da lag ein Mann, mit dem Rücken ihnen zugewandt, halb zerschmettert auf dem felsigen Grunde der Schlucht. Dennoch erkannten Paul und Margrit in ihm sofort den verletzten Dörfler, der ihnen gestern begegnet war.
" Er... er hat ihn in den hinabgestoßen ! " stammelte Paul, der sich als erster wieder gefangen hatte.
" Meinst du mit er etwa George ?“ Margrit wartete keine Antwort ab, sondern setzte schnell hinzu: “ Der hat ihn ganz gewiss nicht gestoßen !“
" So? Und wenn ich dir sage, dass dieser liebe, nette George auch bei mir bereits Anstalten dazu gemacht hat ?"
Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. "Nein, du hast mir nur erzählt, dass er auf dich geschossen hätte. Das hast du dir bestimmt auch nur eingebildet, Paul! Er wollte dich gewiss nur halten, damit du eben nicht stürzt ! "
" Das habe ich mir eingebildet ? " Paul ließ sein merkwürdiges Gelächter hervorquietschen. "Du hast mich heute Nacht, ohne dass du es wusstest, davor nur bewahren können, indem du ganz einfach erschienen bist. Er wollte dir unbedingt gefallen ! Nun, wo er ohne dich weiter musste, war das nicht mehr nötig! Also hat er sich einfach des lästigen Verletzten auf diese schnelle Weise entledigt. "
" Nein ! " Margrit starrte ihren Paul noch immer fassungslos an. "Das ist doch alles gar nicht wahr! Na, immerhin war der Dörfler schon mal kein Hajep!” versuchte sie sich dennoch zu trösten.
“ Ha, und nun musst du selbst in solch einer Situation irgendwie recht haben wollen !” mokierte er sich. ”Dabei solltest du dich schämen auf einen Typ reingefallen zu sein, der in Wahrheit ein richtiger Mörder ist.”
Sie runzelte die Stirn. "Aber dieser Dörfler kann doch auch gut selber den Berg hinauf geklettert sein und dann... "
Paul verzog sarkastisch grinsend sein Gesicht. "Und dazu zieht er sich erst die Schuhe aus und entledigt sich seiner guten Armbanduhr, ja ? "
" Hatte der etwa eine um ? " fragte Margrit ungläubig.
" Ja und zwar eine sehr gute. Ich kenne mich darin aus. Du weißt ja, dass ich vor dir eine Bekannte hatte, die... " Er räusperte sich ein wenig verlegen, "... Uhrmacherin war. "
"Hmmmm", Margrit stützte nachdenklich ihr Kinn in die Hand, "und du meinst also, dass George all diese Dinge an sich genommen hatte, bevor er ihn...", sie erbleichte und sah dabei erschrocken zu Paul hinauf, "... hinabgestoßen hat ?"
Paul nickte und nahm Margrit wieder in seine Arme. " Du musst dich damit abfinden. Dein Glaube an das Gute in Ehren ! Aber du wirst damit immer wieder Schiffbruch erleiden, wenn du so stur weitermachst ! "
" Aber”, begann sie sich wieder zu trösten, “zumindest kann George dann kein Hajep sein ! Was soll schon ein Hajep mit einer alten Armbanduhr oder gar mit gebrauchten Schuhen? Oh", sie fuhr erschrocken herum, "vielleicht befindet sich der wahre Mörder noch in der Nähe ! Wir sollten lieber machen, dass wir von hier wegkommen."
“ Der wahre Mörder... soso ! Und George könnte doch ein Hajep sein!”
“ Warum ?!”
“ Na, zum Beispiel sammeln Hajeps manchmal die seltsamsten Dinge ! Wusstest du das nicht ? “
“ Du meinst, George hat als waschechter Hajep den Dörfler wegen seiner alten Stinkeschuhe ermordet?” Sie kicherte nun doch in sich hinein.
“ Und wegen der Uhr, das darfst du nicht vergessen !” beharrte er trotzdem.
“Ach, und du bist ganz und gar nicht rechthaberisch, nein ?” brachte sie gluckernd hervor.
Wieder rutschten sie die Felsen mehr hinab, als dass sie die hinunterkletterten und währenddessen zählte Margrit, zäh wie sie nun mal war, alle Möglichkeiten auf, durch die der Verletzte auch ohne George hätte zu Schaden gekommen sein können." Es könnten zum Beispiel auch richtige Hajeps gewesen sein!" erwähnte sie jetzt.
"Ach, nein !" konterte Paul. "Und nun wollen bei dir gleich mehrere Hajeps diese stinkigen Menschenschuhe ? "
Schnell waren sie unten mit etlichen Steinen und Felsbröckchen gelandet.
" Und... was habt ihr gesehen ? " kamen ihnen sofort Julchen und Tobias neugierig entgegengestürmt. Muttchen war verhindert, denn sie suchte wieder mal nach Munk.
" Och, nichts besonderes... ", antwortete Margrit, noch ehe Paul den Mund geöffnet hatte, "ein kleines Reh hat sich leider verletzt, aber seine Mama wird es sicher gesund pflegen. "
" Ja, das machen Mamas ! " Tobias strahlte Margrit begeistert an und Julchen legte ihre dünnen Ärmchen um sie.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.01.2005, 12:10   #26
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 26

Die nächsten Stunden waren schrecklich. Zwar ließ sich der Kater aber kein passender Unterschlupf für die fünf Flüchtlinge finden. Es dämmerte schon, und immer noch hatten sie keine größere Höhle oder wenigstens einen mächtigen schützenden Spalt gefunden, in dem sie alle hätten Platz finden können und der nicht zu hoch gelegen war, denn Muttchen und auch die Kinder konnten kaum klettern, höchstens schmale Pfade laufen, was an sich schon eine gewaltige Leistung für die drei war.
Alle waren sich einig, dass es mit zunehmender Dunkelheit gefährlicher sein würde, nach weiteren Verstecken zu suchen. So kam man auf die Idee, dass es wohl am Besten wäre, wenn sich jeder einzeln irgendwo versteckte. Die Kinder hatten aber Angst davor; und so entschloss sich Paul, sie in seine Höhle höher hinauf zu tragen. Muttsch suchte sich ein Plätzchen irgendwo Parterre und Margrit kauerte sich in eine winzige Höhle, die sie eben zwischen zwei großen Felsen entdeckt hatten.
Wie üblich breitete sie auch dort auf dem Boden ihre Decke aus, blieb aber lange wach. Eng mit dem Rücken an die kalten Steine gepresst, starrte sie in den sternenübersäten Himmel. Sie musste über so vieles, was während ihrer langen Flucht geschehen war, nachdenken. Und schließlich tauchten die alten Fragen auf, die schon zum nächtlichen Ritual geworden waren. Hatte überhaupt alles Fliehen einen Sinn ? Und dann kamen die neuen hinzu. Wer mochte wohl dieser George wirklich sein ? War er gar kein Hajepforscher und nur ein Herumtreiber und Mörder ? Die Höhle war so winzig, dass Margrits lange Beine hinausragten. Zwar wuchs viel Gestrüpp drum herum, aber wer hier umherschlich, musste das sehen.
Margrit fuhr hoch. Komisch, die ganze Zeit hatte sie nun schon so gelegen und plötzlich diese dämliche Angst ! Sie zitterte jetzt sogar, denn sie musste plötzlich an Mariannas schreckliches Ende denken. Nein, so etwas wollte sie nicht erleben oder Paul zumuten oder ihrer Mutter oder gar den Kindern ! Tja, was war, wenn denen nun etwas in ihrer Abwesenheit geschah ?
Sie stand auf und beschloss, nach ihnen zu suchen, obwohl sie wusste, dass das völlig idiotisch war. Sie hatten beschlossen, sich erst morgens hier vor Margrits kleiner Höhle zu treffen, und sie hatte keine Taschenlampe. "Also doppelt blöd!" murmelte Margrit leise vor sich hin. Auf der anderen Seite konnte man hier nicht abstürzen. Dazu war es zu niedrig. Sie kletterte nun doch ein Stück den schmalen Abhang entlang und versuchte, ihr angsterfülltes Gehirn zu vernünftigen Gedanken zu bewegen. Weit entfernt konnten ja die Verstecke ihrer Lieben nicht sein.
Nach einem Weilchen vergeblichen Suchens hielt sie schließlich inne. Wo war bloß Paul ? Höher geklettert konnte er doch mit den Kindern gar nicht sein ? Die mussten ja ein ganz ausgezeichnetes Versteck gefunden haben, dass man sie so schwer finden konnte, aber vielleicht war das mit einer Taschenlampe wesentlich einfacher! Sie blickte zu den schiefergrauen Berggipfeln, die in den sternenübersäten Himmel hineinragten. Ein schönes Bild ! Irgendwie war die Welt jetzt so beschaulich und still, dass man gar nichts Böses denken konnte. Sie atmete tief durch, genoss für einen Moment diese Ruhe, dann jedoch kletterte sie weiter, lauschte dem Rascheln und Schurren, das sie selbst fabrizierte, aber... was war das ? Plötzlich hörte sie ein Geräusch, das so gar nicht dazu passte.
Sie hielt an, war ganz Ohr, wagte kaum zu atmen. Es kam von etwas höher, und war auch weiter weg. Es schienen Schlaflaute zu sein. Sie atmete daher erleichtert aus. Vielleicht ein leises Schnarchen ? Es war kaum zu wahrzunehmen, aber, wenn Margrit auch nicht sonderlich sehen konnte, so hatte sie doch ein recht gutes Gehör. Sie sprach dieses außerordentliche Hörvermögen der Gerechtigkeit der Natur zu, und so zog sie sich an einigen struppigen Grasbüscheln und dürren Zweigen mühsam bis zur ‚zweiten Etage’ empor.
Das war so anstrengend gewesen, dass sie erst einmal, kaum dort angekommen, bäuchlings liegen blieb und für eine Weile verschnaufte. Sie horchte. Ja, das war ein Schnarchen, ganz deutlich. Wahrscheinlich kam es von dem Gebüsch dort hinten. Komisch, erst hatte sie solche Schlafstörungen gehabt, aber jetzt, wo sie dem Ziel so nahe war, überkam sie das Gefühl, sofort einpennen zu können. Warum hatte sie sich eigentlich diese ganze Mühe gemacht ?
Da hinten lag doch Paul und schnarchte friedlich. Doch wo waren die Kinder ? Wenigstens ein Küsschen wollte sie sich jetzt von ihm abholen, wenn sie schon mal in seiner Nähe war.
So schlich sie näher. Doch je deutlicher das Schnarchen wurde, um so befremdlicher kam es ihr irgendwie vor. Oder war sie schon wieder überängstlich? Hatte jeder Mensch seine speziellen Schlafgeräusche oder nicht? Sie kauerte sich sicherheitshalber auf alle Viere und schlich so näher. Gewiss sah sie lächerlich aus, aber das war ihr jetzt wurst! Schnarchten Hajeps? Ach, man wusste herzlich wenig von ihnen.
Noch näher krabbelte sie, schob vorsichtig Gebüsch und dichte, hohe Grasbüschel dabei auseinander. Der Schnarcher hatte sich anscheinend, bevor er sich zur Ruhe begeben hatte, ein kleines Feuerchen gemacht. Es roch nämlich nach verbranntem Holz und... irgendwie nach leckerem Essen ! Margrit verharrte erschrocken, denn ihr Magen hatte diesen herrlichen Geruch mit einem ziemlich lauten Knurren begrüßt.
Weiter schlich sie. Jetzt roch es auch nach Schnaps ! Konnte Paul etwas zu essen und zu trinken gefunden und ihnen nichts abgegeben haben ? Betrank er sich ? Machte er so etwas ? Aber von wo sollte er denn plötzlich Nahrung ergattert haben ? Nein, das hier war nicht Paul! War es George? Konnte er das nicht sein ? Er - der Mörder ?
Sie fröstelte. Na ja, es war ja auch ziemlich kalt hier. Weiter vorwärts oder lieber zurück ?
Diese Fragen sollten sich sofort von ganz allein klären, denn plötzlich hörte sie ein leises Schurren hinter sich, in etwa so, als ob jemand bemüht wäre, bis zu dieser Anhöhe empor zuklettern.
Schreckensstarr bewegte sie sich keinen Zoll weiter. Was sollte sie nun tun ? Ganz eindeutig kam jemand hinter ihr hinauf. Ihre Ohren täuschten nie.
Wer war jetzt wer? Einer von den zweien war ja unter Garantie nicht Paul ! Muttchen konnte keiner von beiden sein, die hätte es niemals bis hierher hochgeschafft. Vielleicht war sogar niemand von denen Paul und sie war praktisch nur von Fremden hübsch eingerahmt ? Denn es gab auf dieser kleinen Plattform kein Ausweichen, weder nach links noch nach rechts! Ihr Herz machte einen Sprung, denn inzwischen hatte es derjenige hinter ihr hochgeschafft.
Er musste auch ganz schön erschöpft sein, denn sie hörte sein Keuchen bis hierher. Sie war immer noch wie gelähmt und nur ganz langsam blickte sie über die Schulter zurück. Es war feucht hier oben und daher ihre Brille auch beschlagen. Oder lag das an etwas anderem ? Jedenfalls konnte sie immer noch nicht erkennen, wer von hinten kam, noch wer vorne lag. Die Brille in dieser Situation gründlich putzen, war wohl etwas grotesk ?
Es kam jedenfalls ein großer, dunkler Schatten und - oh Gott - der knipste seine Taschenlampe an ! Wenn der Nahe genug war, sah er sie todsicher hier im Grase kauern, den Hintern hoch und starr wie ein gelähmtes Karnickel ! Friss oder stirb ! Margrit wählte, getrieben von heller Panik, weiter krabbelnd den Weg nach vorn. Immer näher rückte sie dem Schlafenden mit angehaltenem Atem und jedes Mal zusammenfahrend, wenn plötzlich ein Hölzchen unter ihrem Knie oder ihrer Hand knackte.
Es war ein ziemlich großer, starker Mann, der dort lag, dessen Oberkörper und Gesicht unter einem üppigem Busch verborgen waren. Der letzte Rauch seines verloschenen Lagerfeuers kräuselte sich die hellen Felswände bis zum schwarzen Nachthimmel hinauf, als ein feines, durchsichtig schimmerndes Gebilde. Und es roch immer noch unwahrscheinlich gut nach gebratenem Fleisch und penetrant nach Schnaps! Die Hosenbeine des Kerls schimmerten grau im schwachen Mondlicht. Der Schläfer hatte, bevor er sich zur Ruhe gebettet, seinen kleinen, merkwürdigen Rucksack, der neben ihm im Grase lag, geöffnet. Er schien leer zu sein. Neben dem Sack, lagen verschiedene, sorgfältig in Papier eingewickelte Dinge herum und etwas weiter davon entfernt stand ein sehr merkwürdiges Gerät auf dem kargen Boden. Was war das nur für ein komischer Kasten ? Margrit hatte noch nie in ihrem Leben etwas derartiges gesehen. Jedenfalls steckte an diesem Apparat ein siebförmiges geleeartiges Gebilde, das über diesem schwebte und alle paar Minuten seine Größe und Form veränderte und sich dabei auch noch um sich selbst drehte.
Da hörte sie ein Rascheln hinter sich ! Sie japste erschrocken nach Luft, ihr Kopf fuhr herum ! Der Mann hinter ihr - es war ganz eindeutig keine Frau sondern ein Kerl, gut an den breiten Schultern, Gang und Haltung zu erkennen - war um ein erhebliches Stück nähergekommen. Er schlich nicht, robbte nicht auf dem Boden so wie sie, daher war er schneller!
Margrit hielt Ausschau nach allen Seiten. Wohin nur so fix ? Gehörten die beiden zusammen oder wollte einer dem anderen gar etwas antun ? Sollte man den hier nicht ganz einfach wecken ? Oder war der, sie schluckte, wirklich so ein Hajep ? Ja, natürlich, wegen dieses komischen, reichlich merkwürdigen Gerätes konnte der, welcher hier vorne lag, das eigentlich nur sein - oder ? Auf alle Fälle musste sie erst einmal von hier verschwinden. Aber wie ?
Die steile Felswand hinter diesem Schnarcher hinauf ? Nein, ganz unmöglich ! Das konnte man ja selbst mit Bergsteigerausrüstung kaum bewältigen.
Sie richtete sich daher auf, um schneller zu sein, machte hilflos einen Schritt vorwärts, da knackste es wieder unter ihrem Fuß. Verdammt! Diesmal musste es schon ein größerer, mürber Ast gewesen sein, wohl von dem Lagerfeuer, denn es klang entschieden lauter. Aber der Schläfer ließ sich nicht weiter stören, schien wohl einen gerechten Schlaf zu haben, kein Wunder bei der Alkoholfahne. Er schnarchte, dass sich die Bäume biegen konnten, die Hände immer noch auf seiner Brust verschränkt.
Jetzt kam Margrit ihm noch näher und der Duft von Fleisch und Alkohol verstärkte sich. Der Kerl hatte seine Schuhe ausgezogen, um es beim Schlafen gemütlicher zu haben. Sie standen neben dem Lagerfeuer, wo auch ein Pappteller lag und auch ein kleiner Grillspieß. Seine Jacke hatte der Hüne als Zudecke über seine Brust gebreitet.
Margrit starrte auf die Schuhe und musste den Klos, der ihr wieder dabei im Halse saß, mit heftigem Schlucken bekämpfen, denn die Schuhe waren heil und erinnerten sie selbst im Nachtlicht irgendwie an die des Dörflers, auch eine Uhr trug er an seinem Handgelenk. Selbst, wenn sie noch nicht sein Gesicht betrachtet hatte, meinte Margrit jetzt doch, dass vor ihr der Mörder lag, der den Verletzten Mann aus dem Dorf auf dem Gewissen hatte.
Plötzlich traf sie von hinten ein greller Lichtkegel. Das Entsetzen über ihre schreckliche Entdeckung hatte sie daran gehindert, sich noch rechtzeitig zu verbergen, oder sich zumindest einen der Äste zu ergreifen die hier herumlagen, um sich zu wehren und nun... ? Gab es noch eine Chance ? Vielleicht eine kleine List ? Sie blinzelte tapfer in den grellen Schein der Taschenlampe, der sie blendete, versuchte, das Gesicht der unheimlichen Schattengestalt zu erfassen, die auf sie zutappte.
" Paul ? " wisperte sie.
" Margrit ? " flüsterte es leise und nicht minder erstaunt zurück.
" Was machst du denn hier ? " entfuhr es beiden gleichzeitig und nach einigem Zögern setzten sie leider vor Aufregung wieder zur selben Zeit an: "Das wollte ich dich doch eigentlich fragen ! "
Nun mussten sie trotz aller Gefahr leise lachen. Sie gingen aufeinander zu und umarmten sich erleichtert. "Ich konnte nicht einschlafen!” erklärte er hastig. “Und wollte mir daher einen Gutenachtkuss von dir abholen.”
“ He, ich mir auch!” quiekste sie. “Was ist mit den Kindern ?“
“Sie schlafen, wie die Engel, aber du warst nicht da, und da habe ich dich halt gesucht. Habe mir heftige Sorgen um Sie gemacht, Frau Klugschnacker !“ Er küsste sie, doch dann stutzte er.
" Oh, Go –ott ? “ keuchte er. „L... liegt da hinten etwa jemand und schnarcht ? "
"Ja, Paul", wisperte sie nach einem flüchtigen Seitenblick auf den Schlafenden. "Der Kerl muss einen gesegneten Schlaf haben, hat sich wohl total betrunken! Der hört und sieht nichts, und im übrigen... ", ihre Augen wurden jetzt ganz groß, "... das hier ist der Mörder ! "
" Im Ernst ? " Paul lachte kaum hörbar aber recht ungläubig.
" Doch, doch ! " Sie nickte heftig.
" Sieh` nur ! " Margrit nahm ihn beim Ellenbogen, und zog ihn weiter bis zu den Schuhen. "Erkennst du sie wieder?"
" Huiiii... Tatsache ! " zischelte er zwischen seinen zusammen gepressten Zähnen. "Was du immer so alles entdeckst, schrecklich ! Selbst die Uhr an seinem Arm scheint genau die zu sein, welche dem Dörfler gehörte ! "
Der Lichtkegel seiner Taschenlampe wanderte weiter, huschte über den kleinen, mit kahlen Sträuchern bewachsenen Platz, und Paul murmelte dabei : Donnerwetter, das riecht hier aber gut... hmmm !” und dann wanderte sein Licht wieder über die Beine des Mannes und gelangte schließlich bis zu dessen Gesicht. Paul bückte sich, hob neugierig aber dennoch vorsichtig die Zweige des Busches an.
" D... das ist doch... dieser George ! " schäumte Paul aufgebracht.
" Hab` ich`s mir doch gedacht ! Er... er hat ihn also tatsächlich ermordet !" Seine Hand mit der Stablampe zitterte und somit auch der Lichtstrahl. "Einen unschuldigen Menschen hat der einfach in den Abgrund gestoßen, nur weil der ihm lästig geworden war ! Dieses Schwein... dieser... dieser Verbrecher ! Wer weiß, wer er in Wahrheit ist ? Vielleicht habe ich in allem Recht und er ist ein... du, warte mal!"
Er stieß Margrit mit Ellenbogen und Schulter so brüsk zur Seite, dass die beinahe hinfiel. "Womöglich finde ich sogar ein Indiz!" Seine Augen funkelten mit einem Male um die Wette mit dem Schein der Stablampe.
"Welches Indiz denn ? " krächzte Margrit. "Und warum bist du plötzlich so laut ? "
"Ruhe ! " raunte er nun wieder leiser. "Aha!" Nach einem kurzen Schwenker ruhte sein Lichtstrahl auf dem Gerät. „Huch! Puah, Da haben wir`s ! Er ist tatsächlich ein Hajep ! Denn hast du jemals so ein Ding gesehen ? Brrr! Widerlich! Der Kasten geht ja noch... kann man ja noch vertragen, aber das D... Dddding darüber ? Ein einziges diffuses Fasergebilde ! Wie sich das dehnt und streckt, als wäre es lebendig! Wirklich ekelig so was ! Ha, aber es ist so! Genau wie ich es dir schon immer gesagt habe." Er fuchtelte jetzt mit der Taschenlampe wild hin und her. ”Aber auf mich hört ja keiner ! Siehst du ? Siehst du ? Das ist sicher die verrückte Antenne ? Und der Kasten, von dem habe ich schon gehört, ganz so sollen nämlich die ‚Jumaks’, die Codiergeräte der Hajeps aussehen. He, wer sonst hat solche scheußlichen, geleeartige Sender außer ihnen ? Und ich sage dir noch etwas, damit hat dieses... dieses Insekt, oder was es auch sonst immer in Wahrheit unter seiner Menschenpelle sein mag, Kontakte mit ‚Scolo’ gehabt und womöglich sogar zuletzt die Raumschiffe auf uns gehetzt, die dich gejagt haben.“
„ Mich haben aber gar keine gejagt, Paul !“ warf Margrit ein.
„ Egal, dieser Schurke hatte schon so ein komisches Fernrohr und wollte mich in den Abgrund stürzen, er hat mich mit seinem Finger beschossen, aber nun... "
Margrit sah, dass Paul plötzlich seine Stablampe in die andere Hand nahm, der Lichtstrahl flimmerte und zuckte, während er ziemlich umständlich den Revolver aus der Jackentasche zog. Zuerst erstarrte Margrit entsetzt, dann stammelte sie ungläubig: "Paul ? Was ist jetzt los ? "
"Was soll schon los sein?" Er grinste schief. "Ich habe nur mit dieser schleimigen Kreatur eine alte Rechnung zu begleichen, das ist los! Das Geschöpf hatte vor, mich zu töten, aber nun bin ich am Zuge. Schade um die schöne Pelle dieses Kerlchens, wirklich ! "
" B... bist du verrückt ? " Sie packte ihn fassungslos am Arm. ”Nachher ist er doch ein Mensch gewesen !”
Er riss den Ärmel aus ihren Händen. "Das hier ist eine ganz reelle Sache. Ich bin sogar verpflichtet, so etwas umzubringen, ehe es noch mehr Unglück über uns Menschen bringt.”
Margrit drückte seine Hand soweit hinunter, dass der Lauf auf den Boden wies. "Es ist feige, jemanden im Schlaf abzuknallen ! Ob er nun Hajep ist oder nicht ! "
"So - oh? Und was machen die Hajeps mit uns, he?" Seine Hand wanderte bebend wieder herauf. Bebend deshalb, weil sich Margrit mit ihrem ganzen Körpergewicht auf seinen Arm legte. "Sie schießen mit ihren hochtechnisierten Waffen wahllos in hilflose Menschenmassen. Und dann denk` nur an diese komische Wolke. Wer weiß, ob wir nicht doch längst davon vergiftet worden sind und sich die Auswirkungen bloß etwas später zeigen! Findest du das alles etwa fairer?"
"Natürlich nicht, aber es ist gut, dass du mich an diese Wolke erinnerst! George stand nämlich auch darin, mittendrin, Paul!” Sie versuchte ihm nun, den Revolver zu entreißen.
"Dann war diese Wolke halt nicht vergiftet, Margrit !” Schweiß trat auf seine Stirn, denn Margrit war sehr anstrengend.
“Und er hatte Angst, die gleiche Angst, wie wir !” keuchte sie.
“Das hat der doch nur markiert, Margrit! Hach, du fällst aber auch auf alles rein ! “
“Und du? Woher willst du das denn so genau wissen?” stöhnte sie, während sie versuchte, seine Finger auseinander zu biegen, die den Kolben des Revolvers hielten.
Er grinste. "Dafür habe ich ganz einfach Gespür!"
“Paul!" Sie hatte jetzt Tränen in den Augen, sah ihn aber trotzdem sehr entschlossen an. "Du weißt, dass ich dich sehr lieb habe, aber wenn du dieses schlafende Kerlchen hier erschießt, werde ich dich nie mehr lieben können! Hörst du?"
"Was hat das denn damit zu tun ?" entfuhr es ihm überrascht.
"Sehr viel, denn ich verachte Leute, die jemanden, ohne zu wissen, ob er wirklich schuldig ist, einfach hinrichten! George hat noch nicht mal eine Chance, sich zu verteidigen." Margrit blickte wieder in das Gesicht des Burschen. Er schien von all dem Furchtbaren, was um seine Person geschah, auch nicht im Entferntesten etwas zu spüren. Ganz entspannt lag er da und schlief friedlich wie ein Kind.
“Also gut!” murrte Paul. “Hoffen wir, dass uns diese unsinnige Entscheidung nicht eines Tages doch einmal leid tun wird !” und er sicherte die Waffe und schob sie widerstrebend in seine Jackentasche.
“Ich danke dir, Paul!” Margrit ging jetzt so nahe an George heran, dass sie ihn mit ihrer Fußspitze in die Seite hätte stupsen können. “Ich kann dich ja verstehen, aber ich bin sicher, du wirst es nie bereuen.” Sie bog den Zweig des Busches, der über Georges Gesicht hing, wieder ein wenig zurück, beugte sich zu dem hinunter. "Ich werde ihn jetzt wecken", wisperte sie, "dann kann er uns ja erklären wie... "
"Untersteh` dich!" fauchte Paul entsetzt. "Himmel, bist du naiv!”
“Wieso?”
“Na, wenn der wach ist, wird der uns doch gleich mit diesem komischen Sender, der dort steht, seine hajeptischen Freunde auf den Hals schicken."
“M... meinst du wirklich?” stammelte sie verwirrt.
“Ja, Frau Klugschnacker!” knurrte Paul kopfschüttelnd und sein Lichtkegel wanderte über Georges Hände. „Vor allen Dingen müssen wir ihn entwaffnen... he, wo ist denn sein komischer Ring ? Er hat ihn nicht mehr am Finger. Na, egal!“
„Soll ich George durchsuchen?“
„Aber, Margrit!“ Wieder schüttelte er fassungslos den Kopf. “Am besten, du klopfst ihn gleich ab, damit er auch wirklich wach wird, ja ?“
„Oh Gott, nein!“ Sie schlich schleunigst von George wieder weg.
Währenddessen wanderte Pauls Lichtkegel abermals zu dem kastenförmigen Ding. “Seltsame Kiste, wirklich!“ murrte er, war aber neugierig, schob sich das Haar aus dem Gesicht, lief mit schnellen Schritten darauf zu und blieb dicht davor stehen. „Auch wenn er ein Mensch sein sollte, so hat er schon mal Hajepgeräte von irgendjemandem bekommen! Und kann wohl auch mit diesen umgehen.“ Nach einigem Ringen mit sich selbst berührte er es kurz mit dem Daumen.
Doska ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.01.2005, 12:13   #27
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 27

" Paul ? " wisperte sie.
" Margrit ? " flüsterte es leise und nicht minder erstaunt zurück.
" Was machst du denn hier ? " entfuhr es beiden gleichzeitig und nach einigem Zögern setzten sie leider vor Aufregung wieder zur selben Zeit an: "Das wollte ich dich doch eigentlich fragen ! "
Nun mussten sie trotz aller Gefahr leise lachen. Sie gingen aufeinander zu und umarmten sich erleichtert. "Ich konnte nicht einschlafen!” erklärte er hastig. “Und wollte mir daher einen Gutenachtkuss von dir abholen.”
“ He, ich mir auch!” quiekste sie. “Was ist mit den Kindern ?“
“Sie schlafen, wie die Engel, aber du warst nicht da, und da habe ich dich halt gesucht. Habe mir heftige Sorgen um Sie gemacht, Frau Klugschnacker !“ Er küsste sie, doch dann stutzte er.
" Oh, Go –ott ? “ keuchte er. „L... liegt da hinten etwa jemand und schnarcht ? "
"Ja, Paul", wisperte sie nach einem flüchtigen Seitenblick auf den Schlafenden. "Der Kerl muss einen gesegneten Schlaf haben, hat sich wohl total betrunken! Der hört und sieht nichts, und im übrigen... ", ihre Augen wurden jetzt ganz groß, "... das hier ist der Mörder ! "
" Im Ernst ? " Paul lachte kaum hörbar aber recht ungläubig.
" Doch, doch ! " Sie nickte heftig.
" Sieh` nur ! " Margrit nahm ihn beim Ellenbogen, und zog ihn weiter bis zu den Schuhen. "Erkennst du sie wieder?"
" Huiiii... Tatsache ! " zischelte er zwischen seinen zusammen gepressten Zähnen. "Was du immer so alles entdeckst, schrecklich ! Selbst die Uhr an seinem Arm scheint genau die zu sein, welche dem Dörfler gehörte ! "
Der Lichtkegel seiner Taschenlampe wanderte weiter, huschte über den kleinen, mit kahlen Sträuchern bewachsenen Platz, und Paul murmelte dabei : Donnerwetter, das riecht hier aber gut... hmmm !” und dann wanderte sein Licht wieder über die Beine des Mannes und gelangte schließlich bis zu dessen Gesicht. Paul bückte sich, hob neugierig aber dennoch vorsichtig die Zweige des Busches an.
" D... das ist doch... dieser George ! " schäumte Paul aufgebracht.
" Hab` ich`s mir doch gedacht ! Er... er hat ihn also tatsächlich ermordet !" Seine Hand mit der Stablampe zitterte und somit auch der Lichtstrahl. "Einen unschuldigen Menschen hat der einfach in den Abgrund gestoßen, nur weil der ihm lästig geworden war ! Dieses Schwein... dieser... dieser Verbrecher ! Wer weiß, wer er in Wahrheit ist ? Vielleicht habe ich in allem Recht und er ist ein... du, warte mal!"
Er stieß Margrit mit Ellenbogen und Schulter so brüsk zur Seite, dass die beinahe hinfiel. "Womöglich finde ich sogar ein Indiz!" Seine Augen funkelten mit einem Male um die Wette mit dem Schein der Stablampe.
"Welches Indiz denn ? " krächzte Margrit. "Und warum bist du plötzlich so laut ? "
"Ruhe ! " raunte er nun wieder leiser. "Aha!" Nach einem kurzen Schwenker ruhte sein Lichtstrahl auf dem Gerät. „Huch! Puah, Da haben wir`s ! Er ist tatsächlich ein Hajep ! Denn hast du jemals so ein Ding gesehen ? Brrr! Widerlich! Der Kasten geht ja noch... kann man ja noch vertragen, aber das D... Dddding darüber ? Ein einziges diffuses Fasergebilde ! Wie sich das dehnt und streckt, als wäre es lebendig! Wirklich ekelig so was ! Ha, aber es ist so! Genau wie ich es dir schon immer gesagt habe." Er fuchtelte jetzt mit der Taschenlampe wild hin und her. ”Aber auf mich hört ja keiner ! Siehst du ? Siehst du ? Das ist sicher die verrückte Antenne ? Und der Kasten, von dem habe ich schon gehört, ganz so sollen nämlich die ‚Jumaks’, die Codiergeräte der Hajeps aussehen. He, wer sonst hat solche scheußlichen, geleeartige Sender außer ihnen ? Und ich sage dir noch etwas, damit hat dieses... dieses Insekt, oder was es auch sonst immer in Wahrheit unter seiner Menschenpelle sein mag, Kontakte mit ‚Scolo’ gehabt und womöglich sogar zuletzt die Raumschiffe auf uns gehetzt, die dich gejagt haben.“
„ Mich haben aber gar keine gejagt, Paul !“ warf Margrit ein.
„ Egal, dieser Schurke hatte schon so ein komisches Fernrohr und wollte mich in den Abgrund stürzen, er hat mich mit seinem Finger beschossen, aber nun... "
Margrit sah, dass Paul plötzlich seine Stablampe in die andere Hand nahm, der Lichtstrahl flimmerte und zuckte, während er ziemlich umständlich den Revolver aus der Jackentasche zog. Zuerst erstarrte Margrit entsetzt, dann stammelte sie ungläubig: "Paul ? Was ist jetzt los ? "
"Was soll schon los sein?" Er grinste schief. "Ich habe nur mit dieser schleimigen Kreatur eine alte Rechnung zu begleichen, das ist los! Das Geschöpf hatte vor, mich zu töten, aber nun bin ich am Zuge. Schade um die schöne Pelle dieses Kerlchens, wirklich ! "
" B... bist du verrückt ? " Sie packte ihn fassungslos am Arm. ”Nachher ist er doch ein Mensch gewesen !”
Er riss den Ärmel aus ihren Händen. "Das hier ist eine ganz reelle Sache. Ich bin sogar verpflichtet, so etwas umzubringen, ehe es noch mehr Unglück über uns Menschen bringt.”
Margrit drückte seine Hand soweit hinunter, dass der Lauf auf den Boden wies. "Es ist feige, jemanden im Schlaf abzuknallen ! Ob er nun Hajep ist oder nicht ! "
"So - oh? Und was machen die Hajeps mit uns, he?" Seine Hand wanderte bebend wieder herauf. Bebend deshalb, weil sich Margrit mit ihrem ganzen Körpergewicht auf seinen Arm legte. "Sie schießen mit ihren hochtechnisierten Waffen wahllos in hilflose Menschenmassen. Und dann denk` nur an diese komische Wolke. Wer weiß, ob wir nicht doch längst davon vergiftet worden sind und sich die Auswirkungen bloß etwas später zeigen! Findest du das alles etwa fairer?"
"Natürlich nicht, aber es ist gut, dass du mich an diese Wolke erinnerst! George stand nämlich auch darin, mittendrin, Paul!” Sie versuchte ihm nun, den Revolver zu entreißen.
"Dann war diese Wolke halt nicht vergiftet, Margrit !” Schweiß trat auf seine Stirn, denn Margrit war sehr anstrengend.
“Und er hatte Angst, die gleiche Angst, wie wir !” keuchte sie.
“Das hat der doch nur markiert, Margrit! Hach, du fällst aber auch auf alles rein ! “
“Und du? Woher willst du das denn so genau wissen?” stöhnte sie, während sie versuchte, seine Finger auseinander zu biegen, die den Kolben des Revolvers hielten.
Er grinste. "Dafür habe ich ganz einfach Gespür!"
“Paul!" Sie hatte jetzt Tränen in den Augen, sah ihn aber trotzdem sehr entschlossen an. "Du weißt, dass ich dich sehr lieb habe, aber wenn du dieses schlafende Kerlchen hier erschießt, werde ich dich nie mehr lieben können! Hörst du?"
"Was hat das denn damit zu tun ?" entfuhr es ihm überrascht.
"Sehr viel, denn ich verachte Leute, die jemanden, ohne zu wissen, ob er wirklich schuldig ist, einfach hinrichten! George hat noch nicht mal eine Chance, sich zu verteidigen." Margrit blickte wieder in das Gesicht des Burschen. Er schien von all dem Furchtbaren, was um seine Person geschah, auch nicht im Entferntesten etwas zu spüren. Ganz entspannt lag er da und schlief friedlich wie ein Kind.
“Also gut!” murrte Paul. “Hoffen wir, dass uns diese unsinnige Entscheidung nicht eines Tages doch einmal leid tun wird !” und er sicherte die Waffe und schob sie widerstrebend in seine Jackentasche.
“Ich danke dir, Paul!” Margrit ging jetzt so nahe an George heran, dass sie ihn mit ihrer Fußspitze in die Seite hätte stupsen können. “Ich kann dich ja verstehen, aber ich bin sicher, du wirst es nie bereuen.” Sie bog den Zweig des Busches, der über Georges Gesicht hing, wieder ein wenig zurück, beugte sich zu dem hinunter. "Ich werde ihn jetzt wecken", wisperte sie, "dann kann er uns ja erklären wie... "
"Untersteh` dich!" fauchte Paul entsetzt. "Himmel, bist du naiv !”
“Wieso ?”
“Na, wenn der wach ist, wird der uns doch gleich mit diesem komischen Sender, der dort steht, seine hajeptischen Freunde auf den Hals schicken. "
“M... meinst du wirklich ?” stammelte sie verwirrt.
“Ja, Frau Klugschnacker!” knurrte Paul kopfschüttelnd und sein Lichtkegel wanderte über Georges Hände. „Vor allen Dingen müssen wir ihn entwaffnen... he, wo ist denn sein komischer Ring ? Er hat ihn nicht mehr am Finger. Na, egal!“
„Soll ich George durchsuchen?“
„Aber, Margrit !“ Wieder schüttelte er fassungslos den Kopf. “Am besten, du klopfst ihn gleich ab, damit er auch wirklich wach wird, ja ?“
„Oh Gott, nein !“ Sie schlich schleunigst von George wieder weg.
Währenddessen wanderte Pauls Lichtkegel abermals zu dem kastenförmigen Ding. “Seltsame Kiste, wirklich!“ murrte er, war aber neugierig, schob sich das Haar aus dem Gesicht, lief mit schnellen Schritten darauf zu und blieb dicht davor stehen. „Auch wenn er ein Mensch sein sollte, so hat er schon mal Hajepgeräte von irgendjemandem bekommen! Und kann wohl auch mit diesen umgehen.“ Nach einigem Ringen mit sich selbst berührte er es kurz mit dem Daumen.
“Paul ?“ ächzte Margrit deshalb erschrocken. “Lass das lieber sein!“
„Der ist ebenfalls weich“, stellte er fest, ”und fast so gebaut wie eine Ziehharmonika. Wahrscheinlich, um ihn zusammenzuknautschen wie etwa Papier, wohl um ihn selbst auf engstem Raum unterbringen zu können! Ich wette mit dir, dass die hauchfeine Faserwolke, die über dem Ding schwebt, völlig verschwinden kann. Man muss sicher nur ein bestimmtes Sensorenfeld dafür berühren. He, hier hinten leuchten verschieden geformte Felder in den schönsten Farben. Ob ich mal eine davon berühre? Dieser komische George kann das doch sicher auch! Mal sehen, was dann passiert!”
“Nein! Tu`s bloß nicht ! Bitte ! ” zischte Margrit erschrocken und nagte an ihren Fingernägeln. “Du... du bist nicht George, der kennt sich da aus! Lass` um Gottes Willen dieses ‚Ding’ endlich in Frieden! Herr du meine Güte!“
„Ach, auf einmal sind wir ängstlich ? Hältst ihn wohl doch für einen Hajep, was ?“
„Nein, Quatsch, aber komm` endlich wieder her zu mir !”
“Komm` her zu mir!” äffte er sie geziert nach. “Denkst du denn, ich bin dämlicher als dieser... dieser George? Wie sich das anhört! Fast so wie : Fiffilein komm` endlich ! Hm, seltsam, weshalb er wohl diese Geräte bekommen hat ? Und vor allem von wem ?“
“Bitte Paul!” flehte sie. ”Lass` es trotzdem in Ruhe, ja ?”
“Haaaa !” freute er sich. “Ich habe wohl genau das richtige Feld getroffen !”
Margrit war wie erstarrt, da mit einem einzigen Schmatzer die Wolke in den Kasten hineingesaugt worden war. Stattdessen zeigte sich jetzt ein blitzender Henkel oben am Gerät. Noch ehe Margrit ihre Stimme wieder gefunden hatte, griff Paul zu, nahm das ‚Wabbelding’ hoch und schwenkte es leise lachend am schicken Tragegriff hin und her. Es schien so als hätte er gänzlich jede Vorsicht davor verloren. "He, ich hätte da eine Idee, wie wir diesen George ganz empfindlich für alles bestrafen könnten ! " schlug er jetzt blitzenden Auges vor.
„So? Aber du weißt doch gar nicht, ob er überhaupt irgendwie Schuld hat, Paul !“
„Aber sicher doch! Meinst du denn etwa immer noch, dass er, wenn wir ihn wecken würden, uns tatsächlich die Wahrheit eingestehen würde? Der Kerl lügt doch wie gedruckt. Er wird meiner Frau Klugschnacker schon die richtige Geschichte erzählen. Wirklich Margrit", er lief um den Schlafenden herum, bückte sich und ergriff mit der anderen Hand Georges gestohlene Schuhe, "wie stellst du dir denn das alles eigentlich vor?" Er warf einen Blick auf die Uhr am Handgelenk des Schnarchers, wagte sich da aber nicht heran. "Meinst du denn, wenn heraus käme, dass er tatsächlich Schuld hat, wir könnten diesen bärenstarken Typen hier so einfach gefangen nehmen und ihn abschleppen? Selbst wenn uns das gelänge, wohin anschließend mit ihm? Wo gibt es hier noch Polizei? Wo Gerichte? Alles geht doch drunter und drüber. Also, müssen wir ihn selbst bestrafen.“
„Na gut!" wisperte sie aufgeregt. "Wir bestrafen ihn, indem wir ihm sein Rad wegnehmen, das er ganz bestimmt unten in der Nähe versteckt hat...“
„Gute Idee!“ meinte er überrascht. „Hätt` ich dir gar nicht zugetraut !“
„... und... und wir holen uns seinen Rucksack...”, sie brach ab, bückte sich und tastete, wenn auch ängstlich, eines der in Papier eingewickelten Dinge ab, die im Grase lagen. Es fühlte sich weich und angenehm an und das nächste auch. Sie hob es auf und schnupperte daran. “ Hmmmm... lecker !” rief sie Paul zu und ihr Magen bestätigte rumpelnd die herrliche Feststellung. ” Hab` ich`s mir doch gedacht. Das hier ist Proviant, alles fein säuberlich in Papier gehüllt !” Sie wickelte das Päckchen auf.
“Oh, gebratenes Hühnchen !” Margrits Aussprache war inzwischen etwas undeutlicher, da ihr - im wahren Sinne des Wortes - das Wasser im Munde zusammengelaufen war. Sie war so hungrig, dass sie sich kaum durchringen konnte, das Päckchen wieder fest einzuwickeln. “Woher hat das Kerlchen das bloß alles ergattert ? Ein bisschen von dem Proviant werden wir ihm aber lassen, damit er nicht verhungert, und die Schuhe braucht er auch. Er scheint keine anderen mehr zu haben."
"Wie gütig!" knurrte Paul. "Nein, nein, liebe Margrit. Wenn, dann machen wir schon Nägel mit Köpfen! Wir werden ihm alle Sachen wegnehmen, die lebensnotwendig sind und ihm ein weiteres Vorwärtskommen ermöglichen. Und dann wollen wir mal sehen, ob er uns weiter verfolgen kann und ob es ihm noch immer so gut geht."
"Nein, Paul! Die Hajeps suchen doch alles nach irgendetwas ab. Wenn sie dann mit ihren hochtechnisierten Geräten George entdecken? Ich weiß nicht, was sie mit ihm machen werden. Lass` ihm wenigstens die Schuhe, damit er weglaufen kann.”
"Kommt nicht in Frage ! Ein solches Ende hat der Kerl doch verdient ! "
"Nur, weil du meinst, er habe dich in den Abgrund stürzen wollen? Nur wegen eines bloßen Verdachtes ? "
"Wenn er auch kein Hajep sein sollte, Margrit, so arbeitet er zumindest mit Hajeps zusammen. Das beweist doch dieses Gerät! Hajeps wollen die Menschen ausrotten und er gehorcht ihnen dabei ganz gewiss, sonst hätte er nicht solch einen Kasten von ihnen erhalten. Also kannst du mich nicht mehr davon abbringen Margrit. Sei froh, dass ich ihn nicht erschossen habe und diesen Kompromiss wähle."
Mit den Schuhen und dem Gerät begab er sich nun bis zum Rande der felsigen Plattform und Margrit folgte ihm, nachdem sie seufzend Georges Rucksack ergriffen und in diesen all die leckeren Dinge, die hier herumlagen, hineingepackt hatte. Der Sack war ziemlich schwer, und sie warf ihn sich deshalb über die Schulter. Dabei entwich ihm ein wunderbar leckerer Duft.
‚Eigentlich bin ich ein richtiger Dieb!’ dachte sie beklommen. ‚Na ja, vielleicht ist er wirklich ein Mörder und Hajepfreund!’ versuchte sie ihr Verhalten zu entschuldigen, während sie Paul mit großen Schritten weiter hinterher schlich.
Dieser ließ nun die Schuhe, da sie ihm nicht passten, und den Apparat in die Tiefe hinabstürzen, in einen Riss im Bergmassiv, einem schmalen, aber recht tiefen Loch und er horchte, wie es im felsigen Grund aufklatschte.

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Worgulmpf hielt das Messer ins Feuer. Er musste es sterilisieren. Wenn er Gulmur, ach, eigentlich sie alle, retten wollte, musste er ihm das `Ding` aus dem Oberschenkel entfernen. Es hatte sich dort ziemlich tief ins Fleisch hineingefressen. Würde er es je hinaus bekommen? Er war kein Arzt, hatte also kaum Erfahrung in solchen Dingen. Doch es musste schnell geschehen, sonst war jede Hoffnung, den Hajeps doch noch zu entkommen, dahin. War dieses Ding ein kleiner Sender oder gar giftig? Wie es auch sein mochte, im Moment zeigte Gulmur keinerlei Anzeichen von Schwäche, auch schmerzte die winzige Verletzung nicht einmal sonderlich. Eigentlich durfte Gulmur sich gar nicht beklagen, denn in allem Unglück hatten sie noch einmal `Faisan` (Glück) gehabt.
Gulmur war gemeinsam mit vielen Gesteinsbrocken einen Teil des Berges hinabgerollt, weil der Pass beschädigt gewesen war. Die Schergen Chiu-natras hatten ihnen von oben hinterher gefeuert, nachdem Slorbunka, der seine Freunde in eine Falle locken sollen, sie gewarnt hatte. Dieser musste seine Treue zu Worgulmpf mit dem Leben bezahlen, doch sein Opfer war wohl nicht umsonst gewesen, da sie sich rechtzeitig weit genug aus der Schusslinie der Loteken entfernen konnten, so dass der Gondrumstaub Worgulmpfs Rudel nicht enttarnte. Jedoch hatten sie ihnen `Puktos` hinterher gesandt. Schwärme von käferartigen Minirobotern, deren Aufgabe nicht nur darin bestand, sich in das warme Fleisch der Beute hineinzubohren, sondern auch dort - erst einmal fest verankert - entweder elektrische Signale an den Feind abzugeben oder aber ein Betäubungsmittel, mitunter sogar Gift auszustoßen.
Worgulmpfs Jüngster und sein großer Bruder hatten durch ihren Sturz das schützende Tarnschild verlassen und waren für einen Moment auffindbar für die wild umherschwirren `Puktos` gewesen. Gulmur hatte die Hände seines Vaters gespürt und ihm zuerst seinen kleinen Bruder in die Arme gelegt. Er selbst war, bevor man auch ihn in die feuchte und kalte Schutzhülle hatte ziehen können, von drei Puktos gebissen worden.
Bei den Göttern, man konnte wirklich von Glück reden, dass Gulmur solch eine Lederhaut besaß. Dadurch hatte sich ihm nur einer dieser hochgefährlichen Käfer in die Innenseite seiner Schenkel bohren können. Es war gut, dass ihnen dieser Georgo, dem sie wenig später zufällig begegnet waren, bei einem Handel gegen Nahrungsmittel dieses fantastische Fernrohr überlassen hatte, denn damit konnten sie den Feind vielleicht schon vorzeitig sehen.
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Alt 03.01.2005, 12:14   #28
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 28

Georges Rad ließ sich tatsächlich leicht finden. Er musste zu dieser Zeit bereits ganz schön betrunken gewesen sein, dass er es so offensichtlich hatte stehen lassen. Paul war froh, dass er nun nicht mehr die schweren Koffer schleppen musste. Fingerfertig band er sie auf dem Fahrrad fest. Die kleine Familie schlief nur kurz in ihren Verstecken, denn wieder schickte man sich an, die Schlafplätze zu verlassen, noch bevor der Morgen graute. Gegessen wurde nur wenig und das auch noch unterwegs. Trotzdem freuten sich die Kinder derart über Hühnchen, Brot, Wurst und Käse, dass ein Gefühl eintrat, als würden Ostern und Weihnachten zugleich gefeiert.
Nur Margrit kämpfte immer noch mit einem schlechten Gewissen, denn sie hatte in ihrem ganzen Leben nie jemanden bestohlen. Ach, ihr Verhalten war doch im Grunde recht niederträchtig gewesen! Jedoch die frohen, glänzenden Augen der Kinder machten vieles wieder wett.
Frisch gestärkt und mit genügend Fahrrädern, kamen sie viel schneller die schmalen Gebirgsstraßen und Wege vorwärts als sonst. Obwohl der Plan alt war, nach welchem sie sich richteten, denn die Hajeps hatten ja vieles landschaftlich verändert, näherten sie sich ziemlich zügig Coburg, wo sie sich vorübergehend ausruhen wollten, um sich dort für den weiteren Weg nach Würzburg zu stärken.
Zwar war Coburg eine größere Stadt, aber deshalb vielleicht auch ein lohnender ‚Leckerbissen’ für die Hajeps, wenn sie sich irgendwann mal über Menschen hermachen wollten. Margrit vermutete, dass aus diesem Grunde die meisten Leute nicht direkt dort hin flüchteten, sondern lediglich in die Nähe der Stadt. Nur die Einheimischen schienen in den Städten tapfer auszuhalten.
George hatte Margrit unter anderem erzählt, dass die Hajeps Coburg noch nicht ein einziges Haar gekrümmt hätten.
Auch Eibelstadt - ganz Nahe von Zarakuma - sollte vorerst nichts geschehen sein, was seinem Sprüchlein vom Jäger und den Hasen eigentlich recht gab! Woher kamen seine Behauptungen, sein ganzes Wissen? Von wem erhielt er Hajepgeräte? Wozu brauchte er solche Dinge und von wem hatte er die leckeren Nahrungsmittel bekommen? Margrit und erst recht Paul waren jedenfalls vorsichtig, mieden die Wege zwischen den Wiesen und brachliegenden Feldern oder gar in der Nähe von Gleisen und Bahnhöfen und blieben im Gebirge. Nach zwei Tagen war das sparsam eingeteilte Proviant verzehrt.
Traurig kramte Margrit darum eines schönen Nachmittags in Georges zerknautschtem Rucksack nach dem letzten Stücken Brot. Die kleine Schar hatte sich rings um sie versammelt und wartete hungrig, bis auf Munk, den hatte Muttsch gerade frei gelassen, weil er sich wieder selbst etwas für seinen Magen besorgen sollte. Margrit spähte lange aufmerksam in das Dunkel des Sackes und die Kinder trampelten ungeduldig von einem Bein auf das andere. Doch sie ließ sich nicht nervös machen. Vielleicht fand sie, wenn sie gründlich war, dort mehr als sie vermutete! Tatsache! Jetzt fühlte sie hinten in einer Falte zwischen allem Papier ein etwa handgroßes Stück. Das hatte sie die ganze Zeit übersehen. Allerdings war es ziemlich hart...etwa ein Kanten? Sehr hart sogar !
Sie verzog angestrengt das Gesicht und beförderte das Teil gemeinsam mit weiterem Papier an`s Tageslicht, hob es mit beiden Händen hoch und der Wind wirbelte die einzelnen Seiten fort, ähnlich wie bei einer welken Blüte, die allmählich Blatt um Blatt verliert, und nicht nur die Kinder sammelten das Papier ein, besonders Munk faszinierten die wirbelnden Blättchen. Staunend und mit offenem Mund blickte der kleine Kreis schließlich auf das, was von dem wüsten Blätterhaufen übriggeblieben war.
Margrit bemerkte die Verwunderung und konnte sich das nicht erklären. Was hatten sie nur? Doch als das letzte Blatt vor Margrits Augen verschwand, sah auch sie, was zwischen ihren Händen steckte. Es war kein Kanten Brot - oh nein - sondern irgendetwas, das im Licht der warmen Nachmittagsonne funkelte und glitzerte wie ein schöner Stein.
“Er...er hatte also noch ein Hajepgerät ! ” keuchte Margrit mit großen Augen.
“Donnerwetter und das haben wir nun die ganze Zeit arglos mit uns herumgeschleppt.“ Entfuhr es Paul ebenso entgeistert. “Dieser sogenannte George besaß also zwei von den komischen Teufelsdingern und noch dazu diesen komische Fernrohr und diesen...diesen Ring, mit dem er mich fast erschossen hätte, das wollen wir dabei nicht vergessen !“
„Das du so etwas nicht vergisst, ist mir klar, Paul !“ Margrit lachte.
„Gerade du musst lachen, wo du so ein Hasenfuß bist, Margrit !“ murrte Paul. „Ich möchte dich mal sehen, wenn mit solch einem Ding auf dich geschossen wird...“
„Ich verstehe nicht, warum ihr euch gerade jetzt streiten müsst“, jammerte Muttchen. „Wer weiß, was das für ein Teufelsding ist, was meine Tochter in den Händen halten muss. Margrit, leg` doch bitte das Ding endlich in`s Gras ja ?“
Doch die regte sich nicht. „Wozu man das wohl nutzen soll ?“ fragte sie nur.
„ Hm...ich finde, Muttsch hat recht !“ begann jetzt auch Paul. „Denn dieses ‚Ding’ sieht irgendwie... wie eine...eine Bombe aus ?” ächzte er jetzt entsetzt.
Die Kinder quietschten bei diesem Wort voller Panik, entfernten sich blitzartig ein gutes Stück von Margrit und klammerten sich eng aneinander.
Munk hingegen zeigte sich unberührt. Er spielte in Margrits Nähe mit einem Stückchen Papier.
“Leg es ganz...ganz vorsichtig auf den Boden, Margrit.” Paul rang dabei unauffällig um Beherrschung und ging ebenfalls mit möglichst ruhigen Schritten zurück. “Verdammt, warum zögerst du? Hier zum Beispiel ist Moos, vielleicht eine gute Stelle, da kann es nicht...hm...äh...explodieren! Mein, Gott du arme Maus...”, jammerte er schließlich aus einiger Entfernung.
Munk war wohl das Papier inzwischen langweilig geworden, denn er beschnüffelte nun das Ding in Margrits Händen sehr eingehend. Es war wunderbar glatt und vor allem warm, darum begann er seine Backe daran zu reiben.
„Oh, verkackte Scheiße!“ krächzte Tobias deshalb entsetzt und Julchen schloss sicherheitshalber die Augen.
„Munk!“ kreischte auch Muttchen. “Wer fängt mich auf, mein Kreislauf, ich werde ohnmächtig !“
Leider waren weder Munk noch Margrit fähig, von diesem Ding zu lassen, denn es gefiel ihnen gleichermaßen.
“Munk, komm sofort her! Ach, Margrit, warum machst du denn nichts?” wimmerte Muttchen.
Endlich reagierte Margrit doch, wenn auch langsam, bückte sich etwas und ließ das oval geformte ‚Metallding’ vorsichtig ins Gras gleiten. Munk war begeistert, denn dort unten sah es aus wie eine riesige Maus!
“Aber es war irgendwie warm!“ murmelte Margrit fast wie in Trance.
„Ja, sicher war es das, nämlich von der Sonne aufgeheizt !“ murrte Paul. „Margrit, komm endlich zu mir rüber!“
„War es denn heute so heiß ?“
„Herr du meine Güte! Hinterfrage nicht immer alles sondern komm` endlich !“ brüllte er zu ihr hinüber.
„Das hört sich ja fast so an wie: Komm` her Pfiffi !“ brüllte sie keck zurück. „ Ach ja, ich kenne da jemanden, der so etwas neulich auch zu mir gesagt hat !“
„Im Gegensatz zu dir habe ich aber mehr Ahnung über außerirdische Waffen und Geräte, meine liebe Margrit!“
„Ach ja ? Warum ? Etwa, weil du ein Mann bist ?“
„Mein Gott, so streitet euch doch nicht andauernd“, jammerte Muttchen.
„ Und ich sage, dass wir es uns ruhig einmal anschauen sollten ! „ beharrte Margrit. „...denn das Ding ist wunderschön...Munk, hör`endlich auf, es mit deiner Pfote zu bepatschen !“
„ Ihr solltet beide aufhören!“ gemahnte sie Paul“ Los, schnapp dir den Kater und komm hier her...! “
„ Ja, wir bitte, gehen wir von hier schnellstens weg !“ jammerte Muttchen.
„Ach, ihr wisst ja gar nicht, wie toll dieses Ding gestaltet ist“, erklärte Margrit mit verzückter Stimme. „Man kann dafür keine Worte finden...oh, seht nur... da! Hör endlich auf, Munk!” Sie schuppste seine Pfote weg und ihr Finger wanderte behutsam den glatten Rücken des ‚Dinges’ entlang. Alles ächzte abermals erschrocken bis auf Munk, der fauchte, weil er nicht bei Margrit mitmachen durfte. „Dort ist etwas eingraviert! Seht ihr?”
Munk beleckte sich die Schnauze vor Aufregung, Julchen kam näher und Tobias schlich ihr hinterher.
„Bist du verrückt, die Kinder anzulocken?“ schimpfte Paul erschrocken. “Was ist mit dir plötzlich los, he?“
„Da... da is Schrift, stümms?“ piepste Julchen, die sich zu Margrit hinunter bückte.
„Kannst du das lesen, Mamms ?” fragte Tobias und holte seinen Blaui hervor, um diesen notfalls gegen das Ding zu werfen, falls es angriff!
Margrit schüttelte den Kopf.
„D...da drunter ist eine sch... schwarze Schlange, stümms!” wisperte Julchen weiter. “Aber ich mag nich Schlangen. Igitt ! “
„Das is doch gar keine richtje Schlange“, Tobias zog den Schnodder in seiner Nase hoch, „die hat nämlich Ohren wie der Munk !“ stellte er fest.
Munk fühlte sich wohl deshalb nicht beleidigt, denn er strich Tobias um die Beine.
„Es gibt nich Schlangen mit Ohren, stümms? ” Julchen wandte sich dabei an Paul, der immer noch an seinem Platz geblieben war.
„Das ist doch völlig Wurst”, brüllte der verdrießlich von weitem, „weiß der Himmel, was es heutzutage alles geben kann! Meinethalben auch Schlangen mit und ohne Ohren. Für uns ist doch nur eines wichtig, endlich von diesem ‚Ding’ wegzukommen und zwar so weit wie möglich, damit es uns nicht schaden kann.“
„Er hat eigentlich recht, Kinder“, sagte Margrit, wie aus einem Rausch erwacht, „fassen wir es besser nicht mehr an. Es nutzt uns zu nichts ! Wir können es auch aus diesem Grunde getrost hier liegen lassen !“
„Ich hab` Hunger, Mamms !“ fiel es Julchen plötzlich wieder ein und sie rieb sich ihren Bauch, in dem es ordentlich zwickte.
„Den haben wir alle!“ murrte Paul. “Komm, Margrit. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir zu Essen kommen können. Muttsch kennt zum Beispiel einen Bergbauern, doch der ist, glaube ich, recht weit von hier entfernt.“
So nahmen sie ihre Fahrräder und marschierten schnellstens los. Ja, sie drehten sich nicht noch einmal um, so sehr waren sie miteinander im Gespräch. Darum konnten sie auch nicht sehen, dass Tobias noch ein wenig verweilte und zwar deswegen, weil er sah, wie nun Munk mit diesem gefährlichen Gerät ohne jede Furcht herumspielte. Der Kater gab dem Blitzebällchen jedes Mal einen leichten Stups mit der Pfote. Es zischte elegant durchs Gras von ihm fort, kam aber sofort wieder zu ihm zurück. Das war natürlich herrlich, doch ehe Munk so richtig auf Touren kommen konnte, hörte er, wie er gerufen wurde, Tobias ebenfalls.
„Ich komme!“ antwortete Tobias möglichst brav, wartete aber, bis ihm alle wieder den Rücken zudrehten und dann hob er das ‚Ding’ vom Boden auf, putzte es kurz mit dem Ärmel schön blank und ließ es – Munk schaute deshalb ziemlich enttäuscht drein - in seinem Rucksack verschwinden. „Ich verspreche, dass du es auch manchmal haben kannst, ganz ohne Scheiß!“ krächzte er zu Munk hinunter, doch dieser fauchte nur zur Antwort.

Spät am Abend, als man wieder in einer Höhle nächtigte, und die Erwachsenen noch immer darüber beratschlagen mussten, wie man endlich zu Nahrung kommen sollte, holte Tobias ‚es’ aus seiner Schlafdecke hervor und betrachtete es im Schein des Feuers. ‚Es’ sah darin noch schöner aus als je zuvor.
Er wendete ‚es’ schließlich hin und her und befand plötzlich, dass es wie der keilförmige Kopf einer Schlange aussah, aber auch wie ein kleines Raumschiff! Er hob es, inspiriert von diesem letzten Gedanken, sogleich ein wenig an, bewegte es hin und her, als schwebe es frei in der Luft und gab dazu passend leise Summ- und Pfeifgeräusche von sich.
Niemand achtete auf ihn außer Julchen natürlich, die nur ein kleines Stückchen von ihm entfernt unter ihrer Decke lag. “He, was machst du denn da?” quiekte sie aufgeregt.
“Öh, nichts!“ Wie der Blitz hatte Tobias das ‚Raumschiff’” unter seiner Schlafdecke verschwinden lassen.
„Aber, da war doch was ?”
„Was soll schon sein !” ächzte er verlegen.
„Doch, da war was!” Julchen richtete sich völlig auf und kreischte: “Ich hab` es ja gesehhäään! Ätschebätsche!”
„Na gut!“ ergab er sich hilflos. “Sei endlich still, Plapperliese, dann verrat` ich`s dir, aber du darfst es niemand weiter sagen, ohne Scheiß!”
„Indianerehrenwort !”
„Also... “, Tobias machte eine feierliche Pause, ehe er ihr zuwisperte, “ich hab` jetzt ein eigenes hajeptisches Flugschiff !” Er warf sich stolz in die magere Brust.
„I... im ERNST ? ” quietschte Julchen entgeistert.
„Schschscht, Schnatterente ! Nich so LAUT !” Er blickte angstvoll um sich.
„Ich hab` eins... und zwar `n echtes, kannste glauben!”
Julchen warf ihre Decke von sich und krabbelte auf allen Vieren zu Tobias hinüber.
„Zeigen !” befahl sie leise, kaum dass sie Tobias erreicht hatte.
Gemeinschaftlich guckten sie unter dessen Bettdecke.
„Ist was mit Euch?” knurrte Paul zu ihnen hinüber und der Deckenhaufen fuhr ertappt zusammen. Paul saß, genau wie Muttchen und Margrit, direkt vor dem Feuer, und er wollte sich sofort erheben, zu den Kindern hinübergehen und für Ordnung sorgen.
Muttchen hatte gerade von alten Zeiten erzählt, in denen man es wirklich viel besser gehabt hatte und Margrit hatte ihr so aufmerksam zugehört, dass sie kaum registrierte, was die Kinder inzwischen machten. Sie warf einen schnellen Blick zurück, hielt Paul am Hemdzipfel fest und sagte: ”Laß` doch die Kinder ruhig unter einer Decke schlafen, wenn sie das so gern` wollen, Paul !”
“Aber sie machen da irgendetwas !” protestierte Paul, setzte sich jedoch wieder.
„Mannohmann Tobi, das darfst du doch gar nicht!“ hörte nun auch Margrit Julchen piepsen. Margrit lehnte sich umständlich nach hinten und drehte ihren Oberkörper fast völlig herum. Da sah auch sie, dass die beiden unter der Decke sehr miteinander beschäftigt waren. “Hast du denn die Mamaa gefragt?“ hörten sie dumpf Julchens überraschte Stimme. “Brauch` ich nich, Schnatterliese !“
“Naaaa-ah ? Hast du`s endlich gehört ?” zischelte Paul empört.
Margrit sagte zunächst nichts, drehte sich jedoch wieder zurück, winkte Paul dichter zu sich heran, dieser gehorchte abermals.
“Mein lieber Paul”, wisperte sie, ”ich habe Psychologie studiert...”
Er seufzte genervt.
“... und daher sage ich dir, dass Kinder nicht schlafen müssen, wenn sie nicht wollen! Was sollen sie schon unter dieser Decke großartiges tun ? “
„Mann, Tobi“, juchzte Julchen jetzt, „das Ding ist ja ne Wucht! “
„Da hörst du`s !“ knurrte Paul und errötete dabei etwas.
Margrit fuhr zurück und berührte dabei fast Pauls Nase. „Laß` sie doch machen !“ wisperte sie und wurde nun auch ein bisschen rot. “Sonst sind sie später ...äh... verklemmt, verstehst du, was ich meine ?“
Er nickte und dann saß er noch für ein Weilchen verstört und nachdenklich da, während Margrit seelenruhig ihr Gespräch mit Muttchen fortsetzte. Hatte Margrit nun recht oder nicht ? Endlich fiel ihm zu seiner Erleichterung ein, dass ihm ja Kinder eigentlich ziemlich gleichgültig waren. Und er nahm deshalb guten Mutes seine Decke und machte es sich in einer Ecke der Höhle gemütlich.
“Auweia, was ist denn jetzt passiert?” wisperte Julchen erschrocken, nachdem sie auf Tobias Anraten dem Ding wieder einmal einen kleinen Schupps gegeben und es unter der Bettdecke von ihr fortgesaust und wieder zurückgekommen war. „Auf der einen Seite wird das Ding plötzlich ...so weich! Es wird uns alle tot machen!”
“Quack!” Tobias lachte krächzend. “Das tut niemand was ! Es ist lieb! ”Spontan nahm er es aus Julchens zittrige Händchen. “Nanu? Da wird es wirklich etwas weich”, entfuhr es Tobias leider etwas zu laut und daher hörte es auch Paul. Dieser warf sich deshalb auf die andere Seite. “Aber sonst fühlt es sich das Ding noch immer hart an.“
Paul hielt sich die Ohren zu.
„Was ist denn ...d... das?“ rief Julchen nun verekelt. „ Tobi, Tobi ...igitt... nein, nicht auf deiner Seite, auf meiner ...nun guck doch mal, da... da kommt ja etwas heraus? Oh, ich mag keine Spinnen !“
„Wo ist da was ? Ich sehe nichts ?“ krächzte Tobias.
„Jetzt... jetzt hat es ja auch sein Bein...“, Julchen schluckte, „...wieder eingezogen. Das war ganz voller Haare und... bäh!“ Julchen würgte sich, konnte einfach nicht mehr weiter sprechen.
„Ach, du spinnst, Plapperliese !“
Doch Julchen war bereits unter ihrer eigenen Decke, wo sie nach einem heftigem Zitteranfall endlich einschlief.
Tobias schlief in dieser Nacht auch nicht besonders gut. Julchens letzte Worte hatten ihn doch nachdenklich werden lassen und so hatte er dem Ding einfach die Freiheit gegeben und es schweren Herzens neben sich auf den Boden gelegt, statt es mit unter seine Zudecke zu nehmen, so wie er das sich eigentlich erst vorgestellt hatte.
Auch Munk schlief in dieser Nacht kaum. Freilich aus einem anderem Grunde, hatte er doch dem herrlichen ‚Trudelding’ hinterher wieseln müssen, dass ihm Tobias überlassen hatte. Wie ein Verrückter spielte er so lange ‚mutiger Kater fängt doofen Käfer’ bis auch er darüber einschlief.
Am anderen Morgen musste Tobias natürlich sehr lange suchen, bevor er sein Raumschiff, verborgen unter Munks dicken, mit Mäusen vollgefressenen Bauch wiederentdeckte. Wenn es nun tatsächlich Insektenbeine haben sollte, konnte man es dann trotzdem mitnehmen oder nicht? Das war eine schwere Entscheidung, ohne Scheiß!
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Alt 10.01.2005, 12:02   #29
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 29

Kapitel 5

Als eine knappe Woche vergangen war, hatte unsere Familie das große Glück gehabt, zwei Schwarzhändler anzutreffen, die unterwegs gewesen waren, ihre zusammengeraubten Güter in einer der umliegenden Ortschaften zu verhökern. Paul konnte sie beschwatzen und reichlich Nahrung gegen Kleidung eintauschen. Kurz danach hörten sie mit einem Male, die, Margrit inzwischen bekannten, Geräusche außerirdischer Flugschiffe.
Obwohl die kleine Gruppe sofort alles stehen und liegen gelassen hatte, um sich in die schützenden Berghänge zu retten, war sie, wie erwartet, nicht schnell genug gewesen, um die Fahrräder, Koffer und Beutel mit den Nahrungsmitteln außer Sichtweite zu bringen. Alles lag auf dem schmalen Bergweg, Mäntel und Jacken flatterten im Wind, als das erste der beiden Raumschiffe in Erscheinung trat. Die Kinder weinten, während man weiterjagte, höher und höher die Felsen hinauf, sich dabei immer wieder in Nischen oder hinter kargem Gestrüpp versteckend.
Das merkwürdiges Gebilde ähnelte diesmal, wenn auch im entfernten Sinne, einer Qualle. Rund um den ca. fünfzehn Meter breiten, wunderschönen sternförmigen Rumpf, er bestand im übrigen aus blauem, metallisch glänzendem Material und glasähnlichem Gewebe, waberte ein etwa zwanzig Meter breiter, transparenter Rand auf und nieder. Der saugte wohl die Luft gurgelnd ein und stieß sie wieder quakend unter sich aus. Ihm folgte ein sehr viel kleinerer, fester Flugkörper, unscheinbar und grau mit vier gleichgroßen, beweglichen Flügeln. Ein fast melodisches Summen aus drei elastischen Röhrchen verriet den Düsenantrieb am Heck. Margrit vermutete, dass in diesem Winzding höchstens zwei Besatzungsmitglieder Platz haben konnten, so schmal war es gebaut, und sie fand, dass dessen Form irgendwie mit einer Pfeilspitze vergleichbar war. Es folgte dem größeren Flugobjekt in solch einer exakten Weise, als würde es von ihm magnetisch angezogen; auch noch, als dieses über die Bergkuppe, hinter welcher sich Margrit mit ihrer Familie gerade verborgen hatte, hinweg setzte. In der Mitte dieses Felsmassivs befand sich eine Talsenke mit vielen Bäumchen und Buschwerk und es gab dort auch noch glücklicherweise zwei kleinere Höhlen, je eine auf der einen und auf der anderen Seite, welche man von oben aus allerdings nicht sehen konnte. Das Ding schwebte trotzdem genau über dieser Talsenke, verringerte kurz seine Höhe und verharrte danach völlig freischwebend in der Luft, wie etwa eine Libelle.
Margrit, die sich mit den Kindern in der größeren Hohle auf der linken Seite versteckt hatte, sah daher den Feind aus solch einer Nähe, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Ja, sie glaubte, durch die nur leicht abgedunkelten Scheiben des Raumschiffs sogar Personen mit übergroßen – etwa deformierten ? – Gehirnen zu erkennen, die wohl miteinander im Gespräch waren und dabei zu den Fenstern hinab zum Tal wiesen. Was schienen die Außerirdischen zu suchen ? Hatten sie vorhin die Fahrräder auf dem Weg liegen sehen und vermuteten nun Menschen hier ? Vielleicht suchten sie ja auch nur noch immer nach ihren Sklaven von denen George, dieser seltsame Hajepexperte vor kurzem Margrit noch so viel erzählt hatte ? Immerhin war es tröstlich, mit eigenen Augen feststellen zu dürfen, dass die Außerirdischen aufrecht und anscheinend auf zwei Beinen liefen, auch nur zwei Arme hatten und Hände und nur einen Kopf, selbst wenn der etwas unähnlich denen der Menschen war. Trotzdem hatte nicht nur Margrit ein mulmiges Gefühl im Magen, Julchen und Tobias zitterten sogar vor Angst, denn auch sie hatten den unberechenbaren Feind noch nie aus solch einer Nähe gesehen, und sie versuchten deshalb Margrit vom Höhleneingang wegzuziehen, was ihnen nicht gelang, weil die sich dagegen stemmte.
Paul und Muttsch hatten fast zur gleichen Zeit wie Margrit noch rechtzeitig eine Höhle finden können. Auf der gegenüber liegenden Seite lugten sie ebenfalls ziemlich irritiert hervor. Ihre Gesichter spiegelten die gleiche Angst, aber komischerweise auch dieselbe Neugierde wider, die Margrit empfand., denn die Flugschiffe – welche nun einen Heidenlärm machten - übten eine seltsame Faszination auf sie aus. Vielleicht lag es auch daran, dass man endlich einmal deutlicher sah, was man Jahr um Jahr gefürchtet, wovor man ständig weggelaufen war.
„Uuuh ... die sind aber ganz und gar hässlich! Bäh!“ würgte Julchen schließlich hervor, die sich dicht an Margrits Hüften presste.
„Die Flugschiffe?“ hakte Margrit nach.
„Nee, die Leute drin!“
„Ach wo! Die sehen nur etwas anders aus als wir!“ versuchte Margrit die Kinder zu beruhigen..
„Und die Köpfe?“ hakte Tobias trotzdem nach. Er stand hinter Julchen und nuckelte aufgeregt an seiner Unterlippe.
„Was soll mit denen sein?“ fragte Margrit möglichst arglos.
„Das sind riesige Spünnenköpfe, Tobi!“ klärte ihn Julchen einfach an Stelle von Margrit auf.
Tobias zog den Schnodder in seiner Nase hoch, was er meist tat, wenn er ziemlich aufgeregt war, und sagte: “Riesige Kreuzspinnenköpfe Jule!“
„Stümmt!“ ächzte Julchen und dann wurde sie käseweiß. “Ich glaub` ich muss ko-oootzen, Mamms!“
Tobias tippte Julchen von hinten an die Schulter. “Hab` ich schon ... kam aber nur Spucke raus ... uuups!“
„Aber Kinder, das ist doch alles Unsinn!“ sagte Margrit sanft. Trotzdem pochte ihr Herz etwas schneller, denn sie fragte sich, weshalb der Feind nicht endlich weiterflog? Der hatte doch nun genug umher geguckt. Automatisch tauchte wieder das furchtbare Bild von Mariannas und Armins grausamen Tod vor ihr auf und auch ihr Magen rumpelte. Waren sie die nächsten?
„Und ... und warum haben die ... die außerirdischen Kreu ... Kreuzspinnen so viele am Kopf?“ hakte Tobias nach.
„So viele WAS, Tobias?“
„Ich weiß es!“ keuchte Julchen. “Weil ... in den vielen Beulen ... da sind die vielen, vielen, ganz vielen Augen
drin!“
„Uuuurgh!“ machten nun die beiden Kinder gleichzeitig.
„Das sind keine Beulen sondern schicke ... na irgendwie aufgetürmte Frisuren!“ fiel es Margrit grad` so ein.
„Aber ... sind doch Männer, nich`? Oder ... oder sind`s Mädchen?“ erkundigte sich Julchen. Und die Blässe verschwand ein wenig aus ihrem Gesicht.
„Es sind Männer!“ bemerkte Tobias jetzt ganz einfach. “Spinnenmänner!“ Und auch er bekam eine etwas frischere Farbe.
„Mädchen können auch Soldaten sei ... ein!“ trällerte Julchen jetzt triumphierend.
Komisch, dass der Feind auch weiblich sein könnte, daran hatte sie eigentlich bisher noch nie gedacht! Oder war der gar geschlechtslos? Auch diese Idee erschien Margrit mit einem Male gar nicht mal so abwegig. Selbst wenn George bei der Schönheit des Feindes ein bisschen fehl lag und auch nicht in allem Recht behalten hatte, so verschaffte Margrit doch seine letzte Bemerkung einigen Trost - Spinnenköpfe hin, Beulenaugen her - er hatte Margrits Vermutung bestätigt, dass den Feind so wenige Leute gar nicht interessieren würden.
Deswegen fasste sie mit einem Male soviel Mut, dass sie die Bauchseite der ´Qualle´ bei dieser Gelegenheit gründlicher in Augenschein nehmen wollte, wo stets das spezielle Erkennungszeichen der unterschiedlichen außerirdischen Gruppen zu sehen sein sollte. Sie schob ihren Kopf ins Freie. Das Zeichen, welches ihr in grau, schwarz und rot entgegenleuchtete, war das nun ein Drache, um welchen sich eine Schlange kringelte oder nicht? Schade, dass sie so eine schlechte Brille hatte.
„M...mach` keinen Sch... Mamms!“ Tobias schlich, wenn auch mit weichen Knien, Margrit hinterher, vergeblich mühte sich Julchen ihn zurückzuhalten und nun spähte er auch empor. “Da is´ echte K... am brodeln Mamms!“
Julchen nickte stumm und begann, mit ihren kleinen Zähnchen den Ärmel von ihrem Pullover zu benagen.
Margrit rügte die Kinder diesmal nicht, denn verdammt ... leider merkte sie auch, dass einige der Insassen von ihren Sitzen aufgestanden waren, sich helmartige Gebilde über die anscheinend weichen Köpfe geschoben hatten und nun Umhänge über ihre etwas stacheligen Schultern warfen. Sie schienen wohl weiter ins Innere des Flugschiffes laufen zu wollen, wo sich bereits eine Gruppe von etwa fünf Mann formiert hatte.
„Verpi ... äh ... wollen die etwa alle hier aussteigen?“ Tobias Hand tastete instinktiv nach dem ´Blaui´, um die Hartgummikugel gegebenenfalls gleich dem erstbesten Außerirdischen an den Kopf zu werfen.
„Ha, es ist also tatsächlich eine hajeptische Qualle ... quatsch ... Flugzeug!“ rief Margrit aufgeregt und der Wind peitschte ihr dabei die Haare ins Gesicht. “Das Zeichen ist zwar ein bisschen klein, aber ich konnte es trotzdem erkennen. Es enthält keine Schlange.“
„Und, was nutzt dir das?“ brüllte Paul nun ziemlich ungehalten aus der gegenüber liegenden Höhle. Auch sein Haar war völlig verwurstelt. Er sah wie ein Igel aus, als er hinter seinem Felseingang hervor lugte. “Die ... die grässlichen Dickschädel werden gleich zu uns hinabsteigen und wenn sie zu uns kommen, was machen wir dann?“
„Wir sagen ihnen guten Tag!“ schlug Tobias ganz spontan, aber etwas grau im Gesicht, vor.
„Iiiih ... ihhhgittt! Ich mag aber keine Spünnenhand sch ... schütteln!“
„Kreuzspinnenhand, Jule! Uuups!“
„Oh Gott, nein! Paul hat ja so Recht!“ jammerte Muttchen, die dicht hinter Paul stand. Ihr langes Haar hatte sich völlig aufgelöst. “Was machen wir, wenn...huuuch ! Munk...MUNK ! Ach Gott, ach Gott, wirst du wohl nicht ins Freie laufen !“
Paul warf stirnrunzelnd einen Blick auf den Kater, der wohl irrtümlich ein prächtiges welkes Blatt, was draußen vom Wind aufgewirbelt worden war, für eine Maus gehalten hatte und dieses nun nicht gerade sehr gescheit betrachtete. Und dann musterte Paul mit bedenklicher Miene das Flugschiff am Himmel. “Hättest den verrückten Kater halt gleich in den Korb sperren sollen. Aber auf mich hört ja keiner !“
„Aber...wenn Munk nun etwas passiert ?“ Muttchen hielt sich ihr schwaches Herz. “Paul ?“
„NEIN ! Meinst du, ich bin lebensmüde und gehe jetzt hinaus ? Besser dem Kater passiert was als mir !“
„Tierfeind ! Oh, oooh ! Jetzt läuft er...“.
„Was sollte der sonst tun ?“ murrte Paul. “Na, fliegen könnte er vielleicht auch...von hier hinunter ! Siehst du dort hinten den Abgrund, da ist ein tiefer Riss im Felsmassiv !“
„Ja, ich sehe ihn du...du Sadist !“ schluchzte Muttchen.
Paul lachte trotz aller Angst, dann schaute er zu Margrit und den Kindern hinüber. “Schon gut !“ sagte er kleinlaut.
„Ha, gerettet !“ keuchte Muttchen jetzt erleichtert .“Er...er läuft zu dir, Margrit. Nein, du lieber Himmel ... er hat sich nur in die Mitte gesetzt, d...direkt unter dem Raumschiff gemütlich gemacht ! Wie kann er nur...“
„Na, du siehst doch, wie er es kann !“ brummte Paul.
Munk schien den Wind von oben wohl zu mögen, der ihm um die Ohren und durchs schwarze Rückenfell fegte. Er schnurrte behaglich, denn der heutige Herbsttag war reichlich warm gewesen, und leckte sich noch ein wenig die weißen Vorderpfoten.
„Ob ich den dummen Kater einfach von da weg hole ?“ fragte sich Margrit laut.
„Munk ist nicht dumm !“ schimpfte Muttchen zu ihr hinüber. “Er ist nur ein bisschen unvorsichtig !“
„Bisschen ist gut !“ Paul verzog das Gesicht zu einem verärgerten Grinsen. “Nein, Margrit lass` das verrückte Tier da sitzen !“
„Da hat er recht, Mamms !“ Julchen zog einen Faden aus ihrem Ärmel. “Weil die schick gekleiderten
Spünnen...“
„Schick gekleideten Kreuzspinnen, Jule !“
„Also, die...die beratschlagen sich nur noch ein ganz kleines winziges bisschen !“ Sie hielt zwei ihrer Fingerchen zu einem schmalen Spalt zusammen und Margrit entgegen
Tobias nickte. Er hatte den Blaui noch immer fest in der Hand.
Die Kinder sollten recht behalten. Nach etwa drei Minuten dehnte und streckte sich eine zunächst runde und recht winzige Luke an der Bauchseite des großen Flugschiffes so ein bisschen. Schließlich wurde sie oval und vergrößerte sich bis auf etwa zwei Meter Höhe und ein Meter Breite. Unsere Familie hielt den Atem an, denn ein elegantes löffelartiges und transparentes Gebilde schob sich daraus hervor.
Munk schaute deshalb nun doch ein wenig verwundert nach oben, er betrachtete es interessiert. Der weiche, schlauchartige Stil wurde länger und länger und der Rand des Gebildes wuchs wulstig von allen Seiten in die Höhe, bis er eine tiefe, geräumige Mulde bildete. Das Ding schimmerte und funkelte jetzt, als hätte es dabei winzigkleine Sternteilchen verschluckt. Munks Schnurrhaare zuckten, denn ein Bein in kniehohem Stiefel in einer mit üppigem Pflanzenmuster verzierten Pluderhose rutschte aus der Luke, nahm in der Mulde Platz und schon kam das zweite und stellte sich daneben. Vier bis fünf dicke, platin-, gold- und bronzefarbene Ketten hingen um schmale Hüften und zwischen den durchtrainierten Schenkeln. Der geschmeidige Körper im weiten, von ebenfalls viel zu vielen Schnörkeln übersätem Hemd glitt hinterher. Zuletzt fiel der graufarbene Umhang über die stachelbewehrten Schultern. Der graublaue, tropfenförmige Helm bot besonders am Hinter- und Oberkopf einigen Platz. Ein biegsames Metallband, überzogen von sechs verschiedenen farbigen Streifen lag waagerecht über der Stirn und Nasenpartie. Hatte das Wesen wirklich mehrere Augen dahinter verborgen ? Der feste, schnabelartige Gesichtsschutz - es überkam einen dabei das Gefühl, dies wäre ein aus mehreren Geschöpfen zusammengesetzter Raubvogel - verband den unteren Teil des Antlitzes mit den vielen, dicht bei dicht liegenden Ketten am Hals. Wo waren die Waffen ? Es gab breite Reifen zum Beispiel um Handgelenke oder Oberarme, an denen kostbare, steinähnliche Dinge zu sehen waren oder längliche, komische Stäbchen. Sonst war auf den ersten Blick überhaupt keine Waffe erkennbar. Während sich die außerirdische Kreatur panthergleich in das löffelförmige Gebilde hineinkauerte, die behandschuhten Finger hielten dabei einen länglichen Gegenstand in den Händen, der einige Ähnlichkeit mit einem Fernrohr hatte, und es wohl weiter hinabgehen sollte, denn es zeigten sich bereits die ebenso pompös verhüllten Beine des nächsten Soldaten in der Luke, verriet jener, der zuerst hinunter hatte wollen, wenn auch nur verhalten, einige Aufregung. Sein Fernrohr zuckte und er wies damit auf Munk, der plötzlich fauchte und dabei sogar eine seiner weißen Vorderpfoten himmelwärts erhoben hatte. Offensichtlich hatten diese Außerirdischen noch nie eine Katze gesehen, waren sich jedoch nicht im Klaren, ob sie die nun töten wollten oder nicht !
Der Soldat wedelte nun ein wenig ungelenk mit den Fingern und da wuchs das löffelartige Gebilde in wenigen Sekunden zu einem mächtigen, blütenkelchartigen Trichter empor, das den Soldaten völlig umhüllte, aber transparent blieb, so dass er gut beschützt weiter hinunter schauen konnte. Munk zeigte jetzt sein schwarz-weiß geschecktes Fell hoch geplustert, der Soldat fuhr ziemlich heftig zusammen und hob den Zeigefinger und schon ging`s wieder hinauf. Das kelchartige Gebilde war zwar mitsamt Soldaten in der Luke verschwunden, doch diese war offen geblieben. Warum ?
Margrit riss dem verdutzten Tobias plötzlich entschlossen den Blaui aus der Hand, ließ die Hartgummikugel aus der Höhle rollen und rief gleichzeitig mit lockender, heller Stimme. “Guck, Munkilein, was wir da für dich haben !“
Wie wir wissen, schätzte Munk Bälle über alles und Tobias Blaui mochte er besonders. Im nu war er auf den Pfoten, flitzte los, ja, er konnte, wenn es um so was ging, ein schönes Tempo zulegen und das, obwohl er eigentlich nicht mehr der Jüngste war. Keine Sekunde zu früh ! Während Munk die Kugel ins Maul nahm, sauste schon zischelnd ein feiner Feuerstrahl von oben herab. Lediglich einer aus der Hajepmeute hatte mit einer kleineren Handfeuerwaffe geschossen, die anderen hielten sich noch immer unschlüssig zurück.
Munk sprang erschrocken nach vorn, ließ aber die Kugel noch immer nicht los, und der Strahl fraß sich hinter ihm durchs Gestein. Oben wurde man indes übermütig, man jagte ihn, erreichte ihn, sengte die prächtige Schwanzspitze an und wenig später roch es entsetzlich nach verkohlten Katzenhaaren, aber da war er schon in Julchens rettende Arme gehopst. Tobias blies die blauen Flämmchen aus. Munk war schwer erschüttert. Das musste er erst einmal alles geistig verarbeiten. Daher hatte er nicht mitbekommen können, wie sich die Luke abermals weitete, eine ca. ein Meter große, glibberige Blase glitschte hervor, klatschte auf den Boden und rollte auf die Höhle zu, in welcher sich Margrit, Munk und die Kinder versteckt hielten.
Das seltsame Ding schien aus einer narbigen und zum Teil geschuppten, beigefarbenen Lederhaut zu bestehen. Diese wirkte irgendwie lebendig, denn sie stieß, so als ob sie schwitzte, ständig Schleim aus den Poren aus. In deren Innerem schien es außerdem bei jeder Bewegung tüchtig zu rumoren, es knisterte dabei sogar und während die Blase vorwärts rollte, ließ sie hinter sich eine lange, klebrige Schleimspur.
„Uuuuh !“ keuchte Julchen deshalb erschrocken und schüttelte sich. “In der Bl...Blase sind bestümmt Spünnen
drin !“
„Bestimmt, ganz kleine, klebrige Spinnen !“ krächzte Tobias, ebenso käseweiß im Gesicht geworden.
„Bestümmt ganz kleine, klebrige Kreuzspünnen !“ verbesserte ihn Julchen und zog sich dabei noch einen Faden aus ihrem ohnehin völlig zerfledderten und inzwischen sehr kurzen Ärmel.
„Oh, Gott ! Meine arme Tochter, meine armen Enkel, mein armer, armer Munk !“jammerte Muttchen. “So tu doch endlich irgendwas, Paul !“
Paul tat jedoch weiterhin nichts, außer sich nachdenklich das Kinn zu reiben, denn ihm fiel einfach nichts ein.
Nun nahm die Blase eine zeppelinähnliche Form an, wohl um besser in die Höhle hinein glitschen zu können.
Alles kreischte deshalb erschrocken, einschließlich Munk, das konnte er ja jetzt gut, weil er schon längst den Blaui in der Höhle verloren hatte.
Es machte : “Blobb“ und schon befand sich das schleimige Ding mitten in der Höhle. Es wippte nun ein wenig auf der Stelle und nahm auf diese Weise wieder die runde Form an.
Julchen weinte, als sie das sah, wischte sich die Nase, stellte sich dann aber schützend vor Tobias und dieser zog knatternd den Schnodder in seiner Nase hoch, Munk fauchte was das Zeug hielt, verließ aber trotzdem nicht Julchens Arm. Nun begann die Kugel vorwärts zu rollen. Eigentlich konnten Munk Bällchen immer nie groß genug sein, aber bei diesem hier überkamen ihn doch Zweifel, ob er mit dem spielen konnte oder der eher mit ihm.
Da knallte ein Schuss. Paul war nämlich todesmutig ein kleines Stückchen ins Freie gehopst und hatte mit seinem Revolver zur Höhle hinein direkt auf die Blase gefeuert, dann war er zurück gehechtet. Er hatte aber gar nichts verändert. außer dass die Luke des Raumschiffes abermals aufging und eine weitere Blase zu Boden klatschte, die nun auf Pauls und Muttchens Höhle zu rollte.
Beide schrieen sie nun deshalb ebenfalls aus vollem Halse.
Das schien den unheimlichen Kugeldingern wohl irgendwie richtigen Spaß zu machen, die zweite Blase flutschte nämlich ebenso zielstrebig, als wäre sie ein Lebewesen und noch schneller als die erste zu Paul und Muttchen in die Höhle hinein.
Die andere rollte sogar auch etwas fixer auf die drei verängstigten Menschlein zu, und diese wiederum rannten nach rückwärts, wenngleich sie wussten, dass es dort keinen rettenden Tunnel gab, wohin man entweichen hätte können. Hart stießen sie sich ihre mageren Körper an den feuchten und kalten Felswänden hinter sich. Sie waren gefangen, der tödlichen Gefahr hoffnungslos ausgeliefert. Währenddessen hörten sie Muttchen und Paul verzweifelt, ja fast hysterisch in einem fort weiter schreien und immer wieder lösten sich dabei Schüsse aus Pauls Revolver, die wohl ihr Ziel nicht verfehlten, aber dem nicht viel antun konnten.
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Alt 10.01.2005, 12:05   #30
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 30

Von draußen vernahmen sie nun außerdem das saugende, blubbernde Geräusch des Flugschiffes, was sich jetzt wohl wieder in Bewegung gesetzt hatte und dann anschließend den feinen Summton von kleinen Düsen über dem Bergmassiv. Also flogen beide Flugkörper davon. Wohl, weil dessen Mannschaften in Eile und sich völlig sicher waren, dass die lästigen Erdlinge mitsamt ihrem kleinen komischem Fellwesen in wenigen Minuten völlig ausgelöscht sein würden.
Doch noch schien dieser Zeitpunkt nicht gekommen. Julchen hatte nämlich Munk – zu dessen Enttäuschung - wieder auf den Boden gesetzt und dieser stand mit zitterigen Beinen da, das Fell zur größten Bürste seines Lebens gesträubt. Doch dann, als er sah, wie das Ding auf Julchen zurollte, überwand er sich selbst, wuchs er heroischerweise weit über sich selbst hinaus, denn er stieß nicht nur einen lauten Kampfschrei aus, er sprang direkt auf die Blase und bearbeitete diese in Sekundenschnalle mit allen vier Pfoten zugleich. Doch die produzierte nur noch mehr Schleim und erhielt deshalb keinen einzigen Kratzer. Sie änderte zwar ihre Richtung, doch drehte sich weiter mit Munk. Der tat immer noch sein bestes, aber schließlich blieb er nur an klebrigen Haut haften. Nur mit Mühe gelang es ihm, gerade noch rechtzeitig abzuspringen, ohne von der Blase völlig überrollt zu werden. Hinter Margrits Beinen versteckt schwor sich Munk, künftig nie wieder Bällchen anzurühren, wenn bloß dieser schreckliche Traum endlich ein Ende haben würde.
Doch plötzlich stoppte das Ding, diesmal nur einen Meter von Margrit entfernt, kam irgendwie nicht mehr so recht voran, denn es hatte eben etwas komisches überrollt, und das war Tobias Blaui gewesen, den Munk vorhin hatte. Tobias harte aber auch recht elastische Kugel klebte also am Schleimbauch der weichen Blase. Sie holperte daher etwas, während sie -wie nach kurzem Nachdenken- wieder weiter rollte, behielt aber irgendwie ihre Richtung nicht so recht bei. Tobias und Margrit schauten sich an und da hatten sie beide den gleichen Gedanken. “Steine werfen!“ brüllten sie.
„Steine werfen ?“ hörten sie verwundert Pauls erschöpfte Stimme von gegenüber.
So schnell wie sie nur konnten schleuderten jetzt nicht nur Margrit, Tobias und Julchen der Blase Steine in den Weg, sondern auch Muttchen und Paul.
Würden sie Erfolg haben ? Beide Blasen schienen tatsächlich Schwierigkeiten zu haben über die vielen Steine zu rollen. Sie mussten noch mehr Schleim produzieren, nicht nur um glitschiger zu sein, auch um das Ankleben der Steine an der weichen Haut zu verhindern.
Eine unheimliche, gelbliche Soße ergoss sich dabei über den Boden.
„Einen Wall bauen !“ brüllte Paul jetzt zu ihnen hinüber.
„Einen WAS ?“ fragte Margrit laut zurück, während ihr die Kinnlade nur so zitterte, da die Blase nun zu schaukeln begann, wohl um Schwung zu holen, um besser über die Steine zu kommen.
„Er hat gesagt WALL, Mamms! G...ganz ohne Scheiß !“ und schon schickte sich der Kleine an, es Paul nachzutun.
„Wir müssen ihn so machen, dass die Blase immer wieder zurückrollen muss...hab` sowas nämlich schon ganz oft für den “Blaui“ gemacht“.
Kaum hatte die Kugel die erste Steinreihe überrollt, nahm sie schon den Wall in Angriff, rollte vor, kam zurück, rollte vor. Da sich der Blaui inzwischen von der Kugel gelöst hatte - Munk hatte sich verkniffen den anzurühren - nahm ihn Tobias, nachdem er den Schleim an der Felswand abgewischt hatte, in die Hand und ließ ihn, gerade als es der Blase gelingen wollte, über den Wall zu kommen, vorsichtig den Wall hinunter gegen den Bauch der Blase rollen.
Die Blase hatte offensichtlich nicht mehr genügend Klebe, verlor wegen der kleinen Kugel deshalb fast vollständig die Balance und rollte nur nach rückwärts, die alten getrockneten Schleimspuren entlang zur Höhle hinaus.
Draußen begegnete ihr die zweite Blase, Paul und Muttchen musste ein ähnliches Kunststück geglückt sein, und die beiden Blasen prallten zusammen. Sie klebten aneinander und rollten nun gemeinschaftlich ein gutes Stück noch weiter nach rückwärts.
„Puh, war das ein Schreck !“ Paul kam aus seiner Höhle hervor, wohl weil er alles für erledigt hielt.
Doch zu früh gefreut. Die Beute war nahe und diese Chance wollten die Blasen nun doch noch nutzen. Sie gingen an die Reserve heran, produzierten noch eine kleine Menge Schleim und schon rollten beide Kugeln vereint aber heißhungrig auf Paul zu.
„Ihr Biester !“ kreischte da Julchen mit Tränen in den Augen, ergriff sich Tobias Blaui -Munk hatte sich abermals verkniffen diesen anzurühren- und warf die Hartgummikugel nach den beiden Blasen.
Julchen war noch sehr klein und konnte daher auch nicht besonders gut werfen, doch jene Blase, welche bereits schon zweimal mit diesem kleinen blauen Ding schlechte Erfahrung gemacht und dieses wohl auch bei sich gespeichert hatte, rollte sicherheitshalber vor der kleinen Kugel erst einmal zurück und riss dabei die andere mit sich, welche noch immer an ihr klebte. Tobias Blaui sprang indes, wohl weil hier so viele Unebenheiten waren, wie etwas Lebendiges über Stock und Stein, hüpfte erst völlig zick zack, aber dann plötzlich schnurstracks zu den Blasen hinunter. Er gewann dabei sogar an Beschleunigung. Die Kugeln wichen zwar ebenso schnell zurück, achteten jedoch dabei nicht auf das, was hinter ihnen war. Da war nämlich nichts ! Vor lauter Schreck versuchten sie noch einmal Klebe zu produzieren, es gelang ihnen auch noch ein winziges kleines Kleckschen und so blieben doch noch in allerletzter Minute am Felsrand des Abgrundes, allerdings „kopfunter“ hängen. Sie schaukelten wie wild hin und her und wurstelten sich dabei mit größter Mühe vollends hoch. Gemeinschaftlich versuchten sie schließlich etwas mehr Schwung zu bekommen, um auch noch über den dicken Rand des Abgrundes und somit völlig auf die rettende ebene Felsfläche zu gelangen. Da hüpfte Tobias Blaui gerade das letzte Stückchen ausgesprochen elegant zu ihnen hinunter und Zack kickste er auch noch gegen die Blasen. Dieses kleine bisschen gab den entscheidenden Ausschlag. Das dünne Klebestückchen, an welchem die Blasen sich bisher noch gehalten hatten, riss nun doch und die beiden segelten gemeinschaftlich in den Abgrund.
Es knallte unten ganz gewaltig – sie waren wohl ohnehin für einen Vorgang der Explosion vorprogrammiert gewesen - eine grünliche Masse spritzte dabei nach allen Seiten, bis ganz nach oben. Es roch noch immer ätzend bis zu Tobias Nase und er hielt sich diese deshalb zu, als er hinunter schaute.
Schlagartig waren in diesem Felsspalt Bäume und Büsche verätzt und ein erhebliches Loch hatte sich dort gebildet, wo einst die zerfetzten Blasen aufgeschlagen waren.
„Uuuuh ! Das war echt knapp !“ ächzte Tobias erleichtert, dann wurde sein Gesicht aber plötzlich ganz ernst. “Und wo ist jetzt der Blaui ?“
Paul stand hinter ihm und wischte sich den Schweiß von der Stirn. “Tja, der ist wohl für immer weg, Tobias !“ Er machte ebenfalls ein ernstes Gesicht. “Damit musst du dich nun abfinden ! Trage es tapfer wie ein Mann, denn...“
„Lügner, Lügner !“quiekte Julchen. hinter ihm. “Ich habe dich ja gesehen, wie du ihn vorhin aus dem Löwenzahn geholt hast, Paul !“
„Die Explosion hat ihn also bis ganz nach oben...? “Tobias wasserblaue Äuglein leuchteten auf. “Du liebe Schei...äh...schön !“ krächzte er zutiefst erleichtert.
„Ach Julchen, du bist wirklich eine Schnatterliese !“ schimpfte Paul lachend und dann griff er feierlich in die Gesäßtasche und stutzte, denn da war die Kugel nicht. Die Finger fuhren in die Tasche auf der anderen Seite, wieder nichts. Seine Bewegungen wurden immer schneller und unsicherer als er schließlich seine ganze Kleidung durchsuchte. “Ich muss sie verloren haben ?“ keuchte er und wirkte dabei so erschrocken, wie eigentlich sonst immer darüber nur Tobias. “Und zwar vorhin, als ich das Taschentuch hervorgeholt habe...“
„Er war keine “Sie“ sondern ein “Er !“ schniefte Tobias und wischte schon an einem seiner Augenwinkel herum.
Da hörte man das feine Rieseln von kleinen Steinchen und ein flinkes Rascheln.
“MUNK !“ kreischte plötzlich alles.
Munk schaute richtig verschämt drein, aber als man ihm die Kugel wegnahm, mit der er gerade so schön gespielt hatte, um sie Tobias zu reichen, fauchte er doch.

#

George blickte hinab auf seine geschundenen Füße. Er musste sehr vorsichtig sein, dass er bei diesem Tempo keinen Fehltritt machte und die wunden Sohlen nicht schon wieder gegen einen der spitzen Felsen kamen, die hier und da herausragten. Zu spät ...“Aaaargh !“ Er schrie abermals schmerzerfüllt auf, aber der Hajep hinter ihm hatte kein Erbarmen, trieb ihn mit vorgehaltener Waffe einfach immer weiter den Pass hinab.
“Noi te jetira ! Ich bin unschuldig !“ beteuerte George schon wieder. Keine Reaktion erfolgte. Er hatte in hajeptisch gesprochen, also mussten die sechs Kerle hinter ihm ihn eigentlich verstehen. Er versuchte, für einen Augenblick über die Schulter nach ihnen Ausschau zu halten, um festzustellen, ob sie ihn überhaupt gehört hatten oder ob sie nur untereinander Kontakt mit ihren Sendern hielten, die in den tropfenförmigen Helmen verborgen waren, aber er hatte Angst zu stolpern. Es war schwierig, mit den hochgebundenen Armen im Nacken bei solch einem Tempo die Balance auf einem derart schmalen Gebirgspfad zu halten, also sah er lieber wieder nach vorn und passte weiterhin auf wohin er lief. Zwar war er hier aufgewachsen und kannte daher fast jede Felszacke, auch konnte er klettern wie eine Bergziege, aber ohne Schuhe war es kaum möglich, den Außerirdischen zu entkommen. Wer mochte ihn wohl vor rund zehn Tagen bestohlen haben ? Es fehlte ihm auch das Rad, sein Rucksack und noch andere weitaus wichtigere Dinge, an die er jetzt nicht zu denken wagte, denn er war sich nicht sicher, ob zumindest einer von diesen Soldaten die Fähigkeit hatte, Gedanken lesen zu können, da er schon so manches darüber gehört hatte.
Aber ärgern, dass er so versagt hatte, das leistete er sich nun doch. Niemals wäre er wohl in diese Situation gekommen, hätte er nicht damals den von irgendjemandem selbstgebrauten Fusel bis auf den letzten Tropfen in sich hineingekippt. Todsicher war der nicht in Ordnung gewesen, denn er hatte deswegen gleich geschlafen wie ein Toter und danach noch die nächsten zwei Tage davon kotzen müssen. Und gerade, als es ihm endlich so ein bisschen besser gegangen war und er in den leer stehenden Hütten der nächsten Umgebung nach Nahrung zu suchen begonnen hatte, waren diese sechs hajeptischen Soldaten gekommen, hatten ihn eingekreist, nach Waffen durchsucht und verlangt, dass er sofort mitzukommen habe.
Was wollten sie von ihm ? Was hatten sie vor ? Es waren keine Loteken, sondern reinrassige Hajeps. Suchten sie nach etwas bestimmtem und meinten, dass gerade er darüber Bescheid wissen müsse ? Warum ? Hatte irgendjemand irgendetwas über ihn weiter herum erzählt ? Sein Herz machte einen Sprung, denn dort unten in einer kleinen Talsenke erkannte er ein silbergraues, etwa fünfzig Meter langes, stromlinieförmiges Kontrestin, das gerade gelandet war und - hoffentlich nicht auf ihn!– wartete. Es hatte seine Flügel zusammengeklappt und am Körper angelegt. Obwohl er große Angst hatte, was sie nun mit ihm anstellen würden, denn er hatte schon die fürchterlichsten Dinge gehört, tröstete ihn grotesker weise gerade das, was ihn eben noch am allermeisten geärgert hatte, nämlich die Tatsache, bestohlen worden zu sein. Ha, er wusste ehrlich nicht, wo es war ...ES... nach dem sie ganz sicher suchten ! Niemand außer dem grauen Himmel über ihnen konnte nun über dieses Ding Auskunft geben. Und mit einem Male stimmte ihn dieser Umstand direkt ein wenig heiter. `Sie haben es nicht mehr`, jubelte eine trotzige Stimme in ihm, `sie, die großartigen, übermächtigen, hochnäsigen, reinrassigen Hajeps. Sie haben zwar unsere ganze wunderschöne Welt gemeinschaftlich mit den brutalen Loteken erobert, aber es besteht die wunderbare phantastische Möglichkeit, dass sie ES vielleicht sogar nie...NIE MEHR wiederbekommen werden !` Diese Tatsache verschaffte George mit einem Male einen dermassenen Trost, dass er leise ein Kinderlied vor sich hin zu summen begann.
Das schien die sechs Außerirdischen hinter ihm irgendwie nervös zu machen – also konnten sie doch hören !
Ihre Gesichter hinter den üppig verzierten Helmscheiben waren zwar nicht zu erkennen und somit auch kein Mienenspiel, aber sie schienen ihre Köpfe einander zuzuwenden und die Bewegungen ihrer Arme und Beine wurden ungleichmäßiger. Der Gewehrlauf jenes Soldaten, welcher direkt hinter ihm war, bohrte sich ihm schließlich schmerzhaft in die Rippen.
„Ne tus sanna...ZIETT ! Deakalis ?“ hörte er wütend eine heisere und etwas nasal klingende Stimme aus dem Helm.
Aha, er sollte also auf der Stelle ruhig sein. Ehe George Zeit hatte, irgend etwas Belustigtes in Hajeptisch zu erwidern, war er auch schon über einen Felsbrocken, der im Wege gelegen hatte, gestolpert und lang hingeschlagen.
Der Soldat war ungeheuer fix und noch vor ihm, ehe George auf die Beine gekommen war. Er packte ihn beim Kragen.
“ To Keinen Ton mehr. Ichto dala unto, CHAGA ?“ der riesige Kerl riss ihn dabei mit nur einer Hand vom Boden hoch und stellte ihn wie eine Puppe – George war nicht gerade leicht und auch nicht klein - auf den Boden..
George keuchte überrascht. “Ja, ich werde euch alles sagen !“ erklärte wieder in Hajeptisch. “Was bleibt mir anderes übrig !“ George wedelte hilflos mit den Händen. “Aber ich weiß nichts,wirklich nichts !“
„Dam- hes ribuna inti !“ fauchte der Außerirdische und schüttelte ihn, doch plötzlich geschah etwas sehr Verblüffendes, denn irgendwie schmerzerfüllt ließ ihn der Hajep los, ließ den Arm kraftlos hängen und bewegte dann vorsichtig einen seiner behandschuhten Finger nach dem anderen, wobei er immer noch große Schmerzen zu haben schien.
Nicht nur George war darüber erstaunt, auch die Soldaten hinter ihm. Diesen Moment des Abgelenkt seins nutzte George für sich aus.
“Ok, keine Lieder mehr !“ rief er noch auf Hajeptisch, verbarg scheinbar spielerisch sein Gesicht mit den Armen, spuckte dabei jedoch den Ring in seinen Ärmel, den er die ganze Zeit in seiner rechten Backe verborgen gehalten hatte, senkte die Arme zu beiden Seiten, als würde er artig stramm stehen und ließ dabei den Ring in die Faust fallen. Im Nu hatte er nicht nur die Winzwaffe auf dem Finger, sondern auch entriegelt und nach den ersten drei, vier völlig verdutzten Soldaten hinter ihm gefeuert.
Doch wenngleich er vorhin noch den Eindruck gewonnen hatte, dass diese Hajeps in Uniformen aus irgendeinem zwar fremdartigen jedoch weichen Tuch gekleidet waren, so wurde er jetzt über diesen Irrtum aufgeklärt. Denn kaum hatte der feine bläuliche Strahl ihre Uniformen berührt, zog der weite bauschige Stoff seine Maschen drastisch zusammen und bildete einen harten Panzer. Doch der Aufprall des Strahls war so schnell erfolgt und so massiv gewesen, dass die Soldaten keine Zeit fanden, sich von ihrer Überraschung zu erholen und ihre Waffen richtig einzusetzen. Selbst die Balance auf diesem schmalen Pfad zu halten gelang ihnen nicht, sie fielen nach hinten, und das sah beinahe lustig aus, wie sie dabei auch noch die anderen, welche George nicht getroffen hatte, mit sich rissen und den Hang hinab rollten.
George zögerte keine weitere Sekunde. Er drehte sich herum, um auch auf jenen Soldaten zu feuern, von dem er hoffte, dass der immer noch mit seiner schmerzenden Hand beschäftigt sein würde. Doch dem war nicht so. Licht funkelte aus dessen Helm und der Außerirdische hielt genau jenen Arm, der wohl nicht schmerzte, George ausgestreckt entgegen. George feuerte trotzdem und fühlte sich im selben Moment wie von Geisterhand in die Luft gehoben. Der Schuss ging dabei nicht nur fehl, George sah, dass sich der feine Feuerstrahl seines Ringes ins Felsmassiv genau jener Felsspitze eingefressen hatte, bis zu der ihn besondere Kräfte, die er nicht kannte, blitzartig empor gehoben hatten. `Telekinese !` durchfuhr es George entsetzt, als er so in der Luft schwebte. Ich bin ihnen ausgeliefert ! Verzweifelt versuchte er, sich an dieser Felsspitze festzuhalten, da er spürte, wie diese unheimlichen Kräfte ganz allmählich nachließen. Angsterfüllt blickte er hinab, und sah winzig klein nicht nur die sechs Hajeps wieder auf dem schmalen Bergweg direkt unter ihm stehen. Auch andere aus dem Tal kamen gerade hinzu. Sie hatten alle ihre Köpfe zu ihm erhoben und blickten zu ihm hinauf, als würden sie sagen : Komm` doch von da zu uns herunter, du Lümmel, hähähä !
Das derbe Gestein fraß sich in Georges kräftige Finger, als er da so für ein ganzes Weilchen hing. Zum Glück war er das Klettern gewohnt. So konnte er das für eine Weile aushalten. Die Außerirdischen schienen viel Zeit zu haben, denn sie warteten dort unten in aller Seelenruhe neugierig darauf, was er nun wohl da oben so alles anstellen würde. Als erstes hörte er erst einmal auf, wie ein Verrückter weiterhin nach ihnen zu feuern, denn er erreichte sie nicht mehr, dann machte er Klimmzüge, um mit den schrundigen Füße an der ausgesprochen schmalen Spitze irgendwo Halt zu finden. Doch die war durch seinen Schuss ziemlich porös geworden. Es knackste nach einem Weilchen bedenklich. George hoffte nun, einen Felsvorsprung irgendwo vorzufinden, auf dem er sich fallen lassen konnte, um von dort aus um die Spitze herum einfach auf die rückwärtige Seite des Berges zu klettern, damit er nicht mehr zu sehen war. Zwar wusste er, dass diese reinrassigen Hajeps sagenhaft schnell denken konnten, aber damit hatte er nun nicht gerechnet, denn ausgerechnet dieser Berg, war rundherum total glatt, was bedeutete, dass er, wenn er losließ, nur noch ein Matschhaufen sein würde, sobald er vor den Füße der Hajeps landete. Abermals knackste es und er hatte das Gefühl, als gäbe die Spitze bereits ein kleines bisschen nach. George trat der kalte Schweiß auf die Stirn. Er hoffte jetzt wie nie zuvor, dass sich keine „Scramune“ Gedankenleser unter diesen Soldaten befinden mögen und schrie dann aus Leibeskräften.
“Bitte...bitte lasst mich beizeiten herunter. Ich bin lebend am Wertvollsten. Habt ihr gehört ? He, ich kann euch ein Versteck verraten, wo etwas liegt, nach dem ihr wohl sucht !“ Er schluckte, denn ihm war ganz trocken im Halse. Hoffentlich hatte er die richtigen hajeptischen Worte gefunden, denn vollkommen kundig in dieser Sprache war er leider noch immer nicht. Auch beherrschte er oft nicht die richtige Betonung. Sein Herz pochte. Hatten sie verstanden ? Verdammt, wieder erfolgte gar keine Reaktion ! Zu seinem Entsetzen merkte er stattdessen, dass nun die Felsspitze völlig nachgab. Sein Körper war für diese lange Belastung zu schwer gewesen, es knirschte und knackte noch ein allerletztes Mal, das war gar nicht mal so laut gewesen, dafür aber Georges Geschrei, als er zwar immer noch die Felsspitze verzweifelt und hoffnungslos in den Händen haltend, ins Leere hinabsauste.
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Alt 10.01.2005, 12:09   #31
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 31

Hier und da fingen ihn endlich zwar seltsame Kräfte auf, aber er prallte dabei komischerweise gegen die Felswände, rutschte und rollte dabei an irgendwelchen Berghängen hinunter, bis er endlich in einer gewaltigen Wolke aus Staub und aus vielen Wunden blutend mit total zerschlissener Kleidung wieder auf dem Bergweg angekommen war. Halb ohnmächtig blieb er erst einmal vor den Füßen der Hajeps liegen, die für ihn nur einen Schritt zur Seite gegangen waren. Als er zu sich kam, hatte er keinen Ring mehr am Finger und es stellte sich ihm ein Stiefel in den Nacken.
“Rutak enu ta orba, SUKI ! Tjoro ka ne a JIMA lumanti !“ hörte er den Hajep über sich fauchen. Also hatten sie ihn verstanden und ihm wohl sogar geglaubt. Sein Nacken schmerzte, denn der Stiefel war hart. Es war eine andere Stimme als vordem gewesen. George blinzelte daher vorsichtig hoch und entdeckte am Saum des Mantels, der über dem Stiefel hing, die gelbe Borte, also das typische Zeichen eines Tjufats, eines Unteroffiziers, einer jener ranghöheren Männer, die wohl eben aus dem Tale zu ihm hoch gekommen waren..
George versuchte ein Nicken, was ihm unter dem Stiefel nur kläglich gelang. “Ich...tue alles für euch !“ versuchte er möglichst deutlich auf hajeptisch zu sagen. Doch er hatte den Eindruck, da sein Mund fast völlig auf den Felsboden gedrückt wurde, es wäre nur ein einziges Genuschel. “Äh...folgt mir, es ist ein langer Weg, aber ich w...werde euch diesen Weg zeigen.“ Er wartete, denn wieder erfolgte keinerlei Reaktion. Hatten sie das Geknautsche verstanden ? Er zweifelte plötzlich völlig an sich selbst. Der Stiefel drückte ihn jetzt noch fester auf den Boden. George konnte die Lippen gar nicht mehr bewegen, nur noch keuchen. Er wusste, sie konnten ihn zertreten wie eine Fliege. Plötzlich ließ der Druck nach, spürte er, wie der Stiefel erhoben und schließlich dicht neben seine Wange auf den Boden gestellt wurde.
“Laku schré, tabit Lumanti ! Ne kok ti emra ! Wona silfan plo tu !“ brüllte ihn das Oberhaupt der kleinen Meute an.
George durfte sich also erheben, sie glaubten ihm. Er sollte sie zu seinem Versteck führen, dorthin wollten sie mit ihm fliegen. Er taumelte, als er sich aufrichtete, alle Knochen taten ihm weh und er sah, dass er überall blutete. Ein Tritt in den Hintern veranlasste ihn jedoch, sofort schnellstens zum Tal hinab zu laufen.

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Etwa drei Tage nach diesem Erlebnis begegnete ihnen eine andere Familie, die, genau wie die Bauern damals, in die entgegengesetzte Richtung nach Norden wollten. Paul klärte sie über die schrecklichen Verwüstungen in Hornberg auf und so kehrte die Gruppe -sie bestand im übrigen aus einem etwa vierzigjährigen Mann, seiner wohl fast gleichaltrigen Frau und deren fünfjährigem Söhnchen und einem jungen Mädchen, welches auf der langen Flucht ihre Eltern verloren und sich denen angeschlossen hatte– traurig wieder um, denn man hatte sich dort Zuflucht bei Verwandten, endlich ein Dach über dem Kopf erhofft. Unterwegs kam man sich näher und ins Plaudern und so schilderte Paul ihnen unter anderem auch das Erlebnis mit den glibberigen Blasen. Als er zum Ende kam, gerade wo Tobias Blaui gesiegt hatte, lachten alle vier laut und verblüfft auf.
“Das ist ja fast symbolisch“, meinte Annegret, die kräftige und sportlich wirkende Frau von Herbert, “denn dieser
Blaui...“ ( Tobias hatte ihn zuvor natürlich stolz und hoch erhobenen Hauptes herumgereicht ) „...sieht wirklich geradezu verblüffend unserer Erde ähnlich ! Ha, unsere Welt besiegt vielleicht doch noch eines Tages diese schrecklichen Außerirdischen!
Annegret waren bei dieser Vorstellung ganz automatisch die Tränen gekommen. “Ach, ich wünschte, es wäre wirklich so“, hatte sie gestammelt und dann musste sie plötzlich losschluchzen.
“Aber Anne!“ Herbert, der beinahe zierlich gegenüber seiner Angetrauten wirkte, nahm sie betroffen in die Arme und wischte ihr die Tränen von den runden Wangen. “Reiß` dich doch bitte ein wenig zusammen, ja ?“ dann wandte er sich an die anderen. “Ja, ja, es war wirklich schlimm für uns !“ meinte auch er ziemlich nervös. “Diese ganze letzte Zeit ! Das muss man schon sagen. Wir können noch froh sein, dass wir nicht völlig dabei durchgedreht sind.“
Und schon begannen sie, ohne dass Margrit sie noch rechtzeitig wegen der Kinder, die ja dabei zuhörten, stoppen konnte, von all den grausigen Dingen zu erzählen, vor denen sie sich oft gerade mal so hatten retten können.
Natürlich schnitten sie dabei auch ein wenig auf. Margrit kannte das ja. Jeder, der ihnen begegnete, hatte eigentlich immer das Schlimmste erlebt, was es halt so geben konnte ! Und dabei fiel ihnen auch noch ein, was sie so alles über Loteken oder Hajeps gehört hätten und so hielt sich alsbald Dieterchen, das etwa fünfjährige und ziemlich lebhafte Söhnchen beide Ohren zu und Julchen und Tobias taten es ihm nach. Ja, sie sangen schließlich noch dazu ganz laut vor sich hin, jeder ein paar muntere Kinderlieder. Herbert gemahnte sie immer wieder zur Ruhe und so trollten sich die Kinder bis ganz nach vorn an die Spitze des Zuges. Muttchen führte den diesmal seltsamerweise an, wenn auch sehr langsam, und noch weiter vorne schlich Munk in großem Abstand.
Man schlenderte also ziemlich bedächtig vorwärts – Munk hatte inzwischen sogar eine altersschwache Amsel erlegt, die er sofort verspeiste – und schließlich war Annegret sogar stehen geblieben, so sehr war sie bewegt von dem neuen Thema, auf welches sie auch noch zu sprechen kommen wollte. Herbert stoppte ebenfalls und holte tief Atem. In diesem Moment wünschte sich Margrit insgeheim, es den Kindern nachtun zu dürfen, aber das wäre ja unhöflich gewesen. Und da Paul sich tatsächlich sehr interessiert zeigte, konnte Annegret nun auch noch in aller Ruhe schildern, wie Herbert und sie selbst vor einigen Tagen nur knapp mit dem Leben davon gekommen waren.
Paul fand schließlich zu Margrits Überraschung, dass es ausgesprochen gut war, nach Tagen völliger Isolierung endlich Menschen angetroffen zu haben, von denen man nicht nur neues hören, sondern sich zudem über all seine Probleme, die man inzwischen reichlich gehabt hatte, aussprechen konnte. So war es nicht verwunderlich, dass man auch abends gemeinsam vor dem Feuer saß und Paul schließlich – wieder sehr zu Margrits Verwunderung - sogar seine mühsam erhandelten Lebensmittel anbot. Da kam man sogar zu dem Entschluss, künftig gemeinsam weiter Richtung Coburg zu ziehen und sich erst dort zu trennen.
“Es ist ja der reinste Unsinn“, meinte Herbert, während er noch an seinem Brot kaute, “dass die Außerirdischen kleineren Gruppen nichts tun würden ! Sowohl Hajeps als auch Loteken scheint das doch inzwischen ziemlich egal zu sein. Hauptsache sie haben Menschen vor sich, die sie möglichst bequem “erledigen“ können !“
„Genau !“ erwiderte Paul, der sich von den Bauern damals auch ein kleines Schnapsfläschchen erhandeln hatte können. Er rülpste laut und stieß mit Herbert an. “...und Prost !“
„Prost Paule...auf ein langes Leben !“ Herbert lachte dabei hysterisch und Paul fiel gleich mit ein.
Annegret, Margrit und Muttchen waren zwar sehr müde, kicherten aber ebenfalls. Ach, man konnte sich gegenseitig nicht genug austauschen, zum Beispiel über das geschickte Flicken und Stopfen von Kleidung oder aber auch über das Erstellen aparter Süppchen aus den Kräutern der anliegender Wiesen und Wälder. Erst als sie darauf zu sprechen kamen, dass auch Mäuse, ja, ganz besonders gut sogar Katzen schön lange über dem Feuer gebraten schmecken sollten und Annegret dabei einen recht hungrigen Blick auf den alten, aber immer noch stattlichen Munk zu werfen begann, wurde man doch etwas stiller.
Tobias und Julchen indes kümmerten sich noch immer nicht um die Erwachsenen. Sie spielten die ganze Zeit mit Dieterchen Versteck. Munk machte auch manchmal mit, aber er konnte das nicht so gut und so übersah man ihn zu seinem Ärger immer wieder.
Schließlich stieß sich Dieterchen, gerade als ihn Tobias haschen wollte, an dessen Rucksack ziemlich schmerzhaft den Fuß. Und heraus aus dem Sack trudelte der braun schimmernde, etwa zehn Zentimeter lange und ca. sechs Zentimeter breite Metallkern. W..was ist denn das ?“ rief Dieterchen verdutzt und rieb sich leise ächzend den großen Zeh..
Tobias errötete. “Schscht, leise Mann, das hier is` nämlich ein richtiges außerirdisches Geheimnis !“ Und er verstaute hastig, sich mehrmals dabei nach den Erwachsenen umschauend, das seltsame Ding.
„Echt ?“ entfuhr es Dieterchen mit einer Mischung aus Angst und großer Bewunderung.
„Schscht...ohne Scheiß, Mann !“ Nun doch ein wenig stolz und mit geschwellter Brust lehnte Tobias den Rucksack an die Feldwand.
Du...duhuuu...“, krächzte Julchen, die nun auch etwas angeben wollte, leider ziemlich laut Dieterchen ins Ohr und daher verzog der sein Gesicht, „... das is` nämlich ein Käfer !“
„Glaub` ich nich` !“ protestierte Dieterchen mit einem Male neidisch. “Weil, Käfer sind gar nich` so groß und...der...der hier is` aus Metall. Es gibt nich` Käfer aus Metall, so !“
„Gibt`s doch, ätsch !“
„Quatsch !“ Dieter hielt sich sicherheitshalber das Ohr zu. “Außerdem hat der hier keine Krabbelbeine !“
„Hab es aber gese-häään !“ triumphierte Julchen noch lauter und er drehte daher sicherheitshalber auch noch seinen Kopf weg.
„Was ?“ zischelte er verdrießlich zu ihr über die Schulter.
„Na, sein Bein !“ Julchen zeigte ihm dabei einen ihrer Finger. “Der...der hat eins, ein ganz langes und ganz ganz doll haariges... puh !“
„Was soll ein Käfer nur mit einem ?“
„Weiß ich auch nich` !“ sagte sie kleinlaut.
Ein jeder war also beschäftigt. Nur Ilona, das junge, schwarzhaarige Mädchen, hielt sich still und schüchtern zurück.
In den nächsten Tagen anstrengender Wanderschaft bemühte sich Paul rührend um das auffallend schweigsame, jedoch hübsche Geschöpf, und siehe da, mit einem Male wurde es wesentlich lebhafter, dankte ihm seine Aufmunterungsversuche, Witze und Scherzchen zunächst mit kleinen Küsschen auf die Wange und schließlich auf den Mund, wobei sie ihm tief in die Augen sah. Schließlich tobte Paul, wann immer es ihm auch nur möglich war, mit Ilona über die Wiesen oder durch die Wälder. Freilich machten die Kinder gern dabei mit, aber Margrit glaubte zu bemerken - oder war sie nur eifersüchtig ? - dass für Paul die Kinder im Grunde ziemlich unwichtig dabei waren.
Doch weitere Gedanken konnte sich Margrit kaum machen, denn im Laufe weniger Tage waren die Vorräte bei zwei Familien schnell verbraucht. Da man also wieder sehr hungrig war, beschloss man, sich nach den niedrig fliegenden Raumschiffen zu richten, wie manche Tiere etwa nach den Schwalben, denn man hatte inzwischen begriffen, was das bedeuteten konnte : Drehte es sich zum Beispiel dabei um ortsansässige Hajeps, waren diese meist bemüht die riesige Flut Menschen, welche wohl plötzlich von allen Seiten in ihre Gebiete zu strömen schien, auf alle nur erdenkliche Weise zu vertreiben, gegebenenfalls aber auch zu töten. Waren es allerdings Loteken, die so niedrig flogen, konnte man ziemlich sicher sein, dass sie wieder mal ein Dorf überfielen und dessen Einwohner töteten. Meist sprengten sie die Dörfer nicht in Luft, so wie einst Hornberg. Daher blieb viel Nahrung in den Häusern zurück, welche die Eroberer nicht anrührten und da die selbstgebastelten, stets am frühen Abend aufgestellten und am frühen Morgen wieder eingesammelten Tierfallen, kaum den kargen Speiseplan erweiterten, zogen beide Familien, obwohl sie sich schämten, los, in diese zerstörten Dörfer, ließen die Kinder bei Muttchen, die denen dann stets Märchen erzählte. Sie selbst kletterten manchmal dabei sogar über die oft grausig verstümmelten Leichen und durchsuchten die Hütten nicht nur nach Nahrung, sondern auch nach warmen Decken, nach Kleidung und Werkzeug, um die Fahrräder zu reparieren, aber auch nach anderen fahrbaren Fortbewegungsmitteln. Manchmal begegneten ihnen dabei “Smurlis”, Schwarzhändler, welche ebenfalls die Überfälle bemerkt hatten, oder von irgendwoher informiert worden waren.
Eines Tages erfuhren sie deshalb von solch einem “Smurli”(es war ein hajeptisches Wort und hieß Dieb), während sie gerade einen großen Sack mit Äpfeln durch die Gegend schleppten, die sie von einem der Bäume geerntet hatten, dass zur Zeit wohl das ganze Gebiet von Loteken bevölkert wäre.
“Bin gespannt, wie lange die Hajeps sich das noch gefallen lassen werden“, knurrte der. “Sollte mich nicht wundern, wenn es deswegen vielleicht sogar eines Tages Krieg zwischen unseren Eroberern geben würde. Stellt sich dabei nur die Frage. Wäre das gut oder schlecht für die Menschheit ?“ Der Smurli kratzte sich dabei gedankenversunken an seinem schmutzigen Stoppelkinn. “Sind schon beides arg verrückte außerirdische Völker, ausgesprochen hitzig und kriegerisch ! Dabei interessiert mich, was die Loteken wohl plötzlich haben ? Irgendetwas Ungewöhnliches muss doch mit einem Male passiert sein, dass die so durchdrehen ? Tja, wer weiß, was wir noch alles zu erwarten haben ?“ Er war sehr gesprächig, denn er hatte einiges getrunken und so erzählte er, dass es noch heute Morgen in diesem Dorf von lila-grauen Uniformen nur so gewimmelt hätte. Freilich wären jetzt alle fort, aber wehe, wer ihnen heute begegnete !
Man kann sich vorstellen, welche Sorge Margrit nach dieser Hiobsbotschaft - trotz allem – auch um George hatte. Denn sie meinte nun zu wissen, auf welche Weise der Junge damals zu seinem Proviant gekommen war. Außerdem, konnte man barfuss im Gebirge klettern ? War man da schnell genug, wenn die Außerirdischen kamen ? War es ihm gelungen, noch rechtzeitig Schuhe zu ergattern ? Er schien kein Mörder zu sein. Auch das hatte sich herausgestellt. Der Dörfler war ganz sicher an “Mygestin", einem Serum, das im Blut eine solch verrückte Reaktion auslöst, dass mit zunehmendem Maße kein Gerinnungsstoff mehr im Körper gebildet werden kann, zu Grunde gegangen. Durch einen nur winzigen Einschuss, konnte jeder Mensch in wenigen Sekunden zum “Bluter“ werden. Wer keine Ahnung hatte und die Wunde berührte, stand in Gefahr, sich durch den an der menschlichen Haut lang anhaftenden und äußerst wirkungsvollen Stoff selbst zu infizieren. Ein solch infizierter Mensch verblutete also allmählich und lebte nicht länger als einen Tag. George hatte, vermutlich aus hygienischen Gründen, die Leiche des Mannes in den Abgrund geworfen, wohl damit dieser auf dem Erdreich zwischen Bäumen und Gebüsch besser und schneller verweste als das auf Felsen und Gestein der Fall gewesen wäre, denn mit sich schleppen konnte er ja den hochgefährlichen und gewiss auch schweren Leichnam nicht auf ewig. Er hatte die kleine Familie wohl auch deswegen mitten in der Nacht um Hilfe bitten wollen und es sich dann doch anders überlegt.
„Ja und ?“ bemerkte Paul nur dazu trocken. “Es sterben so viele Menschen. Es macht mir nichts, ob dieser George nun sofort im Gebirge oder auf irgend einem längeren Weg von Hajeps oder Loteken aufgegriffen worden ist.“
„Aber mir“, fauchte Margrit fassungslos. “Nie...nie mehr werde ich jemanden nur wegen eines bloßen Verdachtes Willen in Gefahr bringen. Nie mehr ! Hörst du ?“
„Ja, ich hab`s gehört und weißt du was ? Nicht nur George auch deine Meinung ist mir inzwischen scheißegal !“
„Der...der hat Scheiße gesagt ?“ mokierte sich Tobias, welcher genau wie Julchen und Dieter in diesem Moment zugehört hatte. Es saugte seine Unterlippe ein, Julchen zog stirnrunzelnd einen weiteren Faden aus ihrem Ärmel und Dieterchen sang plötzlich wieder sehr laut ein Kinderlied und dann hüpften alle drei Paul davon.
„Und die Kinder, die sind dir wohl auch sch...na..ganz egal, was ?“ schniefte Margrit und suchte dabei nach einem der Taschentücher, die ihr George einst als kleinen Vorrat gegeben hatte..
„Die Kinder, die Kinder, nuuur die Kinder !“ murrte Paul.
„Ach, ist ja gar nicht wahr !“ schluchzte sie. “Du bist ja so ungerecht !“
„He, und nun sind wir gleich wieder am weinen, nuuur am weinen !“
„Ja, und ?“ fragte sie und schnäuzte sich dabei gründlich die Nase aus. “So bin ich halt !“
Er schüttelte nur stumm den Kopf und wandte sich ab.
Tage vergingen und die kleine Schar huschte ängstlich, gleich verlorener, aufgescheuchter Küken an Wiesen und unbearbeiteten Äckern vorbei. Etwas mutiger liefen sie hingegen durch die Wälder. Ilona, das junge Mädchen mit den großen, schwarzen Augen und dem dichten, langem Haar, wurde in solchen Momenten zu aller Überraschung sogar überlaut. Sie lachte und sang Lieder, kitzelte dann und wann dabei Herbert ab und schlich sich danach meistens von hinten an Paul heran, um ihn zu necken. Das endete nicht selten damit, dass sich Paul mit Ilona um die Bäume herum jagte und dann ging`s los, über Stock und Stein, oft in die Waldeslichtungen hinunter, bis man die beiden nicht mehr sah, wo aber Paul ganz gewiss endlich Ilona bändigte.
Den Kindern war das inzwischen irgendwie zu „blöde“ geworden. Sie hatten eigene Interessen und beschäftigten sich miteinander ganz ausgezeichnet.
Oft, wenn Margrit mit Annegret und Muttchen Beeren oder Pilze sammelte, Herbert half nicht selten dabei, hörten sie das laute Juchzen von Ilona und Paul noch aus weiter Ferne. Es dauerte schließlich immer länger, bis die beiden mit rot erhitzten Gesichtern auftauchten und mithalfen.
Nicht nur Paul und Ilona auch Julchen und Tobias versteckten sich inzwischen vor Margrit, denn auch sie hatten ebenfalls ein Geheimnis zu verwahren, natürlich teilten sie dieses wie immer gemeinsam mit Dieterchen, denn es galt, mit Munks Unterstützung den außerirdischen “Käfer“, von dem Dieterchen immer noch behauptete, dass der keiner wäre, auf das Gründlichste zu erforschen, denn der wollte partout kein Bein mehr vorzeigen. Selbst Tobias begann allmählich, Julchens Aussage zu bezweifeln. Dabei stellten die Kinder allerdings fest, dass “Flutschi”, wie das “Ding” von Tobias genannt worden war, fliegen konnte, sobald man “ihn“ nur einander zuwarf, ähnlich wie einen Ball. “Flutschi” pflegte dann, zu beiden Seiten seines schön gerundeten Körpers ein paar gelee -und flossenartige Flügelchen auszufahren und an seinem Hinterteil drei winzige gummiähnliche Düsen, die ihn dazu brachten, elegant durch die Luft zu sausen oder schwerelos einfach stehen zu bleiben. Trotzdem stritt Dieterchen weiterhin vehement ab, dass solche Flügel ein Beweis dafür wären, dass dieses “Blechding“, wie er es verächtlich nannte, nun ein Käfer sei.
Flutschi war aber zu Tobias Stolz bald sehr in Form ! Er wies zwei ganz verschiedene Möglichkeiten an Flugbewegungen auf, bei denen “er” – Julchen meinte allerdings, es wäre eine “sie“– vorwärts oder rückwärtig ausweichen konnte. Hob man “ihn“ zum Beispiel mit ausgestrecktem Arm nach oben und hielt die Hand ruhig, bevor man “ihn“ fortwarf, rauschte “er” auch ebenso ruhig und schnurgerade auf`s Ziel zu, welches man bereits für “ihn“ ausgesucht hatte, schwenkte man “ihn“ jedoch zuvor für einige Sekunden hin und her, segelte “er” hektisch und in Schlangenlinien los. Dabei nahm “er” die Farben seiner Umgebung an, ähnlich wie ein Chamäleon, so dass er praktisch unsichtbar war. Die Kinder hatten es sich inzwischen zur Aufgabe gemacht herauszufinden, weshalb “Flutschi” ausgerechnet diese Art Fortbewegungsmöglichkeiten anzeigte und ob “er” die wohl auch im oder gar unter Wasser konnte.
Tobias, Julchen und Dieter hatten also richtig viel zu tun und weil richtige Forschungsarbeiten richtig anstrengend werden können, hielten sie es für richtig, richtige Pausen zwischendurch einzulegen, in denen sie oft Murmeln spielten, wobei Dieter zu seinem Kummer noch nie Tobias “Blaui” gewonnen hatte.
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Alt 10.01.2005, 12:11   #32
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 32

Einige Tage später, als Margrit nach solch einer langen Mittagspause und nach noch längerem Suchen Paul und Ilona nackt und eng umschlungen und hinter einem prächtigen Busch liegend, vorfand, riss bei ihr doch der Geduldsfaden, und sie stellte Paul zur Rede. Aber anstatt, dass der auf Margrits Fragen einging, sprach mit ihr nur das Mädchen.
„Margrit, ja, es ist ganz so, wie es aussieht !“ sagte Ilona seelenruhig. “Warum sollten wir uns schämen ? Außerdem...ich weiß gar nicht, was du hast ?“ Sie hielt sich nur flüchtig das schicke Blümchenhemd vor ihre Brüste und auch Paul, der zwar einen roten Kopf bekommen hatte, bedeckte sich nur ausgesprochen knapp vor Margrit. “Du lieber Himmel“, meinte Ilona weiter, “wir leben im Krieg, jeder nimmt sich, was er nur so bekommen kann !“ Und ihr Blick versenkte sich dabei ziemlich unverhohlen zwischen Pauls Schenkel, blieb haften an dem, was dort noch zu sehen war. “Paul hat mir von Anfang an gefallen !“ Sie beleckte sich die Lippen. “Er bietet mir alles, Geborgenheit, Schutz und vor allem Zärtlichkeit !“ Ihre Augen wurden zu kleinen Schlitzen. “Zunächst hatte ich zwar Hemmungen wegen der Kinder, weißt du ? Deswegen war ich erst so still, aber dann erfuhr ich, dass sie weder deine, noch seine sind !“ Ihr hübsches Gesicht bekam einen heiteren, fast erlösten Ausdruck. “Du hast sie dir nur einfach genommen.“ Sie lachte befreit und schwenkte dabei ihr Haar nach hinten über die bloßen Schultern. “Paul ist nicht einmal mit dir verheiratet ! Also, was willst du eigentlich ?“
„Ich...“, begann Margrit, wusste aber plötzlich nicht mehr so recht, was sie dazu anmerken konnte, `...liebe
ihn !` hatte sie eigentlich hervorbringen wollen.
„Ach, behalt` DU doch ruhig diese Kinder, ja ?“ plapperte Ilona einfach weiter. “Und ICH behalte meinen Paul,
ok ?“ Sie beugte sich vor und ihre Zunge fuhr sacht über Pauls noch immer liebeshungrigen Mund. Er musste darüber lächeln, wenn auch verstohlen.
“Ach, sie ist ja, so ein Kind !“ mühte er sich noch schnell Ilona bei Margrit zu entschuldigen. Schon ließ das Mädchen das Hemd fallen und schlang beide Arme um seinen Nacken. “Jetzt nicht !“ keuchte er. “Ilona, hörst du, jetzt n... !“ Da konnte er nicht mehr anders, als sich mit zarten und dann immer wilder werdenden Küssen des Mädchens zu ergeben. Ach, es störte die beiden ganz und gar nicht, dass Margrit dabei zuschaute. Deren Blick verschleierte sich allmählich, heiße Tränen tropften ins Gras. Gesenkten Hauptes schlich Margrit endlich von dannen.
Noch am selben Tage machte Margrit Anne und Herbert deutlich, dass sie künftig ohne Paul weiterziehen wollte. Natürlich waren die beiden zunächst total geschockt, doch dann erzählte Margrit, was vorgefallen war. Da auch
diese Familie, wie fast alle Menschen jener Zeit, sehr verständnisvoll für jedes Gefühl der Liebe war, verurteilte niemand Paul oder gar Ilona deswegen. Aber man reagierte auch nicht mit Unverständnis, dass Margrit traurig darüber war und dies alles nicht länger ertragen wollte.
“Überleg`s dir trotzdem noch mal, Margrit!“ gemahnte sie Annegret. “Auch wenn die Außerirdischen unbesiegbar sein sollen, so stellt ein Mann an eurer Seite doch immer einen gewissen Schutz dar!“
Gesprächig wie Annegret war, teilte sie dabei Margrit mit, dass es ihr schwer fallen würde, sich von Ilona zu trennen. “Das Mädchen ist uns inzwischen sehr ans Herz gewachsen, stimmt`s Herbi?“
Der hatte nur Zeit für ein kurzes “Ja“, denn sogleich begann Annegret von all dem zu erzählen, was sie so bereits mit ihr erlebt hatten. “Sie ist im Grunde ein guter Kerl!“ endete sie und Herbi nickte dazu grinsend. “Das kannst du vielleicht nicht verstehen, weil sie dir den Mann weggenommen hat, aber...“, Annegret konnte, wenn sie erst einmal in Fahrt gekommen war, so schnell nicht mehr aufhören, und nur hier und da warf Herbert etwas dazu ein, aber immerhin kam schließlich doch etwas sehr Wichtiges dabei heraus, nämlich, dass sie doch ein bisschen früher in irgendeiner Stadt ihr Glück versuchen wollten, als es Margrit, Paul und Muttsch beabsichtigt hatten
„He, da ist es doch ganz günstig, das bei dieser Gelegenheit gleich mal genauer abzusprechen!“ schlug Herbert endlich vor. Er war zu Worte gekommen, weil Annegret eine Fliege ins Auge gefallen war. “Also, was willst du? Gleich nach Coburg abdampfen oder noch ewig wandern, bis wir endlich...“, er unterbrach sich selber und verzog bei diesem Gedanken das Gesicht. “Nee wirklich, diese viele Latscherei, das ist echt nichts mehr für mich! Tja, wenn ich die verdammten Kreuzschmerzen nicht hätte, dann würde ich vielleicht...“
„Ach, das ist es nicht allein!“ schmetterte Annegret, da sie die Fliege endlich aus dem Auge hatte, sofort wieder dazwischen. “Vergiss Dieterchen nicht. Er mit seinen dünnen Beinchen ... wie soll er das noch weiter schaffen?“
„Och“, warf Margrit ein, “der springt doch ganz munter damit herum!“
„ICH strapaziere eben nicht meine Kinder so wie du!“ fauchte Annegret.
„Besser strapaziert, als eines Tages von den Hajeps geschnappt!“ konterte Margrit.
„Dafür kannst DU deinen Kindern auch keine Sicherheit geben!“ zischte sie zurück.
„Na, na, na, ihr werdet euch doch nicht zu guter letzt in die Haare gehen?“ rief Herbert besorgt. “Ihr habt ja beide Recht! Jawoll, so was kann es geben! Niemand weiß doch im Grunde, was mit uns heute oder morgen geschehen wird!“
Beide Frauen atmeten mit hochroten Gesichtern tief durch. Er hatte wirklich Recht. Margrit besann sich als erste und begann in etwas ruhigerer Tonlage, obwohl sie noch immer völlig aufgeregt wegen Paul war: “Also, Muttsch und ich möchten vorerst keine größere Stadt betreten und erst in Würzburg bleiben.“
„Erst in Würzburg?“ riefen die beiden wie aus einem Munde. “Das ist vielleicht eine Strecke. Na schönen Dank!“
Dann trat für einen Augenblick Stille ein, was sehr erstaunlich für Annegret war.
„Schade!“ meldete sich Herbert sogar als erster. Er senkte den Kopf, dann schaute er zu Muttsch und den Kindern, die gerade in einer Waldeslichtung wieder einmal Verstecken spielten. “Die armen Kleinen ...“, er kam nicht mehr weiter, denn er wischte sich mit dem Handrücken über die Nase, “...sie haben sich doch inzwischen so gut angefreundet! Dieter hatte außerdem zum ersten Male eine Oma! Oh Gott ... wir werden ihnen wohl endlich diese schlimme Nachricht mitteilen müssen!“
Annegret kamen auch die Tränen. “Dieterchen ist außerdem ganz vernarrt in Munk“, sagte sie. „ Er ist überhaupt viel tierlieber geworden ... interessiert sich sogar für Insekten ... Käfer zum Beispiel! Er redet den ganzen Tag davon. Na ja, ich wollte ohnehin gleich packen ...da kann ich Dieterchen gleich Bescheid geben. He, war schön die Zeit mit euch!“ Dann ging sie mit schnellen Schritten weg.
Herbert hingegen stand noch ein wenig unschlüssig da. “Tja, ich glaub`, hab wohl auch noch was zu tun! Du ... du läufst doch nicht gleich weg, damit wir uns alle noch anständig verabschieden können?“
„Ehrenwort!“ schniefte Margrit
Als Margrit ihre Sachen ebenfalls zusammen packte, erschrak Paul, der wieder einmal später gekommen war. Ilona hielt sich scheu im Hintergrund, als er mit schnellen Schritten auf Margrit zuging. Eine solch plötzliche Entschlossenheit hätte er der an sich so ruhigen Margrit kaum zugetraut. Zwar wirkte sie noch immer völlig verweint und ihr Haar stand wirr vom Kopfe ab, aber sie erschien ihm doch auf eine sehr eigene Weise ungebrochen und stolz.
„Du bist albern!“ meinte er, gerade als er sie seine Sachen zu ihm rüberwerfen sah. “Und unmodern! He, weißt du denn nicht mehr, was besonders ihr Psychologen zu derartigen Eifersüchteleien sagt? Na-ah? Fällt`s dir endlich ein?“
„Stell dir vor, Paul: das interessiert mich jetzt nicht!“ fauchte sie.
„So, so, das interessiert dich also ni...hallo? Du nimmst ja MEINEN Koffer? Krieg` ich jetzt gar keinen ...
oder was?“
„Kriegst du ... aber nur den Kleineren! Wir sind mehr Leute als du, also tauschen wir, okay?
„Und wenn ich nun Nein sagen würde?“ zischelte er erbost. “He, da siehst du mal, was für eine liebe Seele ich bin!“
„Ja, du bist wie immer großartig, Paul!“ Margrit mühte sich nun, sämtliche Sachen in Pauls Koffer zu quetschen.
Er lief kopfschüttelnd zu ihr rüber und schnappte sich den Kleineren. “Das bin ich auch, du erkennst bloß nicht meine wahren Werte, Margrit!“
„Ha, ha! Wie haben wir gelacht!“ Margrit kniete sich auf den Koffer, um den mit großer Kraftanstrengung zu schließen, doch der sprang immer wieder an der einen Seite auf.
„Schwierig, was?“
Margrit versuchte sich zu verschnaufen, um mehr Kräfte für den Koffer zu haben. Dabei sah sie in der Ferne, wie gerade Annegret das wild losschluchzende Dieterchen beim Arm packte und zu beruhigen suchte. Also hatte sie ihm bereits alles erzählt. Nicht nur ihm - Tobias und Julchen waren ebenfalls in Tränen ausgebrochen und Herbert beugte sich zu ihnen hinunter, um die beiden zu trösten.
„Tja, das ist wieder mal typisch für euch Seelenklempner!“ knurrte Paul indes und nachdem er seine Sachen von überall herbeigeholt hatte und nun ganz Nahe bei Margrit den kleineren Koffer öffnete. “Kaum geht`s um euer Privatleben, dreht ihr durch!“ Paul ließ sein eigenartiges Reifenluftgelächter ertönen, das er immer von sich gab, wenn er nervös und überreizt war und legte seine Sachen ordentlich zusammen. “Aber, auch wenn du es nicht hören willst, sage ich`s dir trotzdem: Bei dir liegen große, in der Kindheit erzeugte Minderwertigkeitskomplexe vor, meine Beste.“
„Ach ja?“ fragte sie ziemlich spitz. Verdammt, sie wusste zwar, dass Paul immer einen besonderen Trick bei diesem Koffer anwandte, war aber zu stolz, um ihn jetzt danach zu fragen.
„Na klar!“ brummte er. “Sex ist doch kein Trennungsgrund, wenn man Charakter hat!“ Er hob den Wäscheberg in seinen Koffer.
„So, so, dann hat man also bei dir Charakter!“ schnaufte sie und versuchte es noch einmal.
Er schaute zu ihr hinüber und sah, wie sie sich quälte. “Darf ich?“
„NEIN!“ fauchte sie, noch röter im Gesicht geworden. Sie knirschte mit den Zähnen, warf sich mit dem ganzen Körper auf den Koffer und da schnappte das alte Ding endlich ein.
Er keuchte verblüfft.
Margrit strich sich das Haar aus dem verschwitzten Gesicht, richtete sich auf, und blieb für einen Moment erschöpft auf dem Koffer hocken. Dabei sah sie, dass die Kinder inzwischen mit empörten, verweinten Gesichtern zu ihrer Oma gelaufen kamen. Herbert und Annegret trotteten ihnen kopfschüttelnd hinterher und dann waren alle sechs ziemlich aufgeregt miteinander im Gespräch, dabei immer wieder in Margrits Richtung weisend. Margrit ergriff nun den schweren Koffer beim Henkel, ging vorn über gebeugt und völlig schief direkt an Paul vorbei.
Der schaute ihr kopfschüttelnd hinterher.
Sie lief zum Fahrrad und versuchte nun, den Koffer mit nur einer Hand hinten auf den Gepäckständer zu bugsieren, um ihn dort festzubinden, die andere hielt das Rad. Doch der Koffer rutschte nur hinunter und das Rad begann dabei zu schlenkern.
Er war ihr unsicheren Schrittes gefolgt. „Darf ich...?“
„NEIN!“ Sie holte tief Atem, hob wieder den Koffer an, und nicht nur der Koffer krachte zu Boden, auch das Rad kippte und fiel auf die Seite. “Lach` jetzt NICHT!“ kreischte Margrit. Das klang so zornig, dass Ilona – obwohl in guter Entfernung – sich instinktiv einige Schritte vor ihr in Sicherheit bringen musste. Margrit schob nun, einige wüste Sätze vor sich hin brabbelnd, das Rad zum nächsten Baum und ließ den Koffer erst einmal liegen, wo der war. “He, und du bist nun ganz und gar nicht skeptisch, dass deine kleine, süße Ilona vielleicht in Wirklichkeit eine Hajepa sein könnte, nein?“ sagte sie recht laut und gar nicht unbeabsichtigt.
Ilona schien diese Bemerkung dennoch nicht gehört zu haben. Sie stand ganz ruhig da, ließ aber Margrit und Paul nicht aus ihren schrägen Augen.
„Jetzt wirst du aber echt kindisch, Margrit!“ Paul lachte verärgert auf.
„Nein, ganz und gar nicht! Ich frage mich das wirklich!“
„Aber Margrit, Ilona ist in Ordnung. Sie ist kein Paj ... na ... Dings!“ Er schleppte ihr den Koffer heran. “Das weißt du so gut wie ich!“ und wuchtete ihn ihr einfach hinten auf das Rad, damit sie ihn festbinden konnte.
„Nein, das weiß ich nicht so gut wie du! Danke, du Dickkopf!“ sagte sie, lächelte nun doch und begann, den Koffer mit einer langen, jedoch arg zerzausten Schnur zu umwickeln. „Findest du nicht, dass sie sich immer irgendwie seltsam benimmt? Puh, das reinste Wirrwarr!“
„Margrit, wir haben Krieg, wer ist da schon normal? Nimm doch das andere Ende von der Schnur, Schatz!“
„Sag` nicht Schatz zu mir!“ knurrte sie, suchte aber dennoch das andere Ende.
Pauls Augen wanderten zu Ilona. Der schien plötzlich kalt zu sein, denn sie hatte trotz der dicken Jacke beide Arme um ihren grazilen Körper geschlungen. Sie spürte wohl, dass sie nun auch von Margrit gemustert wurde und sie senkte deshalb – etwa scheu? - den Blick.
„Du bist nur eifersüchtig, meine kleine Margrit!“ brummte Paul nun. “Gib`s doch endlich zu!“ Und er tätschelte Margrit die Wange.
Bei dieser zärtlichen Berührung kamen Margrit wieder die Tränen. Sie schob seine Hand von sich fort und blinzelte in die Ferne. Muttsch hatte inzwischen ihre Sachen zusammengepackt, das Körbchen aufgestellt und Margrit hörte, wie sie dabei irgendetwas in den Wald rief. Also holte sie Munk. Wenigstens funktionierte die Familie noch. “Das mag schon sein, Paul!“ Und sie begann von neuem den Koffer zu umwickeln. “Aber Ilona benimmt sich irgendwie ... nicht richtig menschlich! Hast du sie zum Beispiel einmal mit uns gemeinsam essen sehen? Isst sie überhaupt irgendetwas?“ Sie hielt inne. „Oh Gott, wo kommt plötzlich dieser verdammte Knoten her?“
Paul hörte Ilona schadenfroh auflachen. Es machte ihr wohl Spaß, dass bei Margrit andauernd etwas schief lief. Er schaute sich - nun doch ein wenig beklommen – abermals nach Ilona um. Diese warf, kaum dass er sie ansah, ihr dichtes, langes Haar zurück in ihren wohlgeformten Nacken und lachte weiter. Ach es war ein sonderbar tiefes und heiseres Lachen. Es klang fast wie das Knurren einer Raubkatze.
Sein Blick kam ein wenig irritiert wieder zu Margrit zurück, die noch immer mit dem Knoten beschäftigt war. “Rache ist süß, was? Nee, Margrit, das ist wirklich sehr herbei gesucht und nun tu mal nicht so, als ob du gerade bei George auf mich gehört hättest.“
„Doch, habe ich ... Mist ... jetzt sind es zwei! So ist die Schnur einfach zu kurz!“
Er verkniff sich ein Grinsen. “Noch mal aufwickeln, Schatz, dann ist alles nicht so straff und du kannst die Knoten besser lockern!“
„Nenn` mich nicht immer Schatz!“ fauchte sie und stampfte dabei mit dem Fuß auf.
„Soll ich dir helfen, Mamms?“ Tobias hatte nun Margrit fast erreicht und er hielt einen Faden in der Hand. “Den kann`ste nehmen, ganz ohne ... äh ... machst du `s?“
„Ich weiß nicht Tobias, ist der nicht ein bisschen sehr dünn?“
„Nöö!“
„Ich hab` auch einen ... einen F...aden!“ Julchen folgte Tobias keuchend, erst danach kam Dieterchen und ganz hinten sah man Muttchen mit leerem Korb, neben ihr Annegret, die natürlich ständig auf sie einredete und hinter den beiden Damen trottete Herbert, gesenkten Hauptes.
„Und Munk ist wieder nicht gekommen, Margrit, und das, obwohl ich ihn bereits zehn Mal laut gerufen habe!“ jammerte Muttchen schon von weitem.
„Und mein Faden, is´ nich´ so dünn wie Tobias Faden!“ schnaufte Julchen, die mit ihren kurzen Beinchen nicht so schnell Margrit erreichen konnte.
„ICH hab`s aber zuerst gesagt, und darum nimmt sie meinen Faden und nich´ deinen Faden , du ... du Tussi!“ brüllte Tobias und stieß mit dem Ellenbogen nach ihr.
„Und ich helf` ihr trotzdem, so!“
„Werde aber eher da sein als du, ätsch!“ Tobias schupste sie jetzt so, dass sie hinfiel.
Julchen weinte. Als sie sich wieder hoch rappelte und sich das Knie rieb, schämte sich Tobias nun doch so ein bisschen. Das half ihm aber nicht, denn schon schnaufte Julchen mit zornesrotem Gesichtchen: “Jetzt sag` ich`s, weil du so gemein bist, so!“
„Nein, Jule, das darfst du nich´ ...!“ wisperte Tobias entsetzt.
Dieterchen war nun auch angekommen und schaute überrascht von einem Kind zum anderen.
„Aber Kinder!“ schimpfte Margrit. “Würdet ihr euch wohl mal woanders streiten. Paul und ich haben hier ein sehr wichtiges Gespräch.“
„Und was wird aus meinem Munk?“ meldete sich Muttchen wieder von weitem. Sie scherte sich nicht darum, dass ihr Annegret noch etwas sehr Wichtiges zu erzählen hatte.
„Der kommt bestimmt noch!“ rief Margrit zurück.
„Ja, das sagt sich so einfach!“ murrte Muttsch.
„Aber der Tobi, deeer ... der hat da was“, fuhr Julchen hartnäckig fort.
„Schscht, Schnatterliese!“ krächzte Tobias und seine Händchen zitterten.
„Julchen, warum spielst du nicht noch ein bisschen mit Dieterchen?“ schlug jetzt Margrit vor.
Dieterchen nickte.
Julchen nicht. “Aber der Tobi, der hat da WIRKLICH was...“
„Plapperliese, Tratschtante, Zimtzicke!“ Leider fiel Tobias nichts mehr ein. Er dachte angestrengt nach, was er Julchen sonst noch alles an den Kopf werfen konnte
Diese Chance nutzte Julchen, „...nämlich was ganz, gaaanz doll Verbotenes!“
Margrit seufzte. Was hatte sie denn neulich großartig verboten? Ihr fiel nichts ein. “Julchen, lässt du mich jetzt trotzdem ...?“
„Und mein Munk?“ fragte Muttchen wieder dazwischen, die nun endlich Margrit erreicht hatte und Annegret hielt für einen Moment inne, denn sie hatte nun doch den Gesprächsfaden verloren, was sehr selten bei ihr vorkam.
„Der kommt wie immer, Muttsch !“
„Aber ... wenn nun nicht?“
„Der Tobias hat aber einen Kääääfer!“ schmetterte Julchen nun endlich heraus.
Tobias sagte diesmal nichts, er bekam nur vor Schreck ganz rote Ohren.
„Ach, das ist ja gar keiner!“ mischte sich Dieterchen ziemlich irritiert ein. “Ich hab` überall geguckt, Käfer sehen immer ganz anders aus und ...“
„Is er do-och ! Hab nämlich sein Bein, gese-heeen!“ trällerte Julchen weiterhin sehr gehässig.
„Tobias“, fauchte jetzt Margrit zu aller Überraschung entrüstet, “wie oft habe ich dir gesagt, dass du keine Käfer mehr fangen sollst! Es ist ihnen doch zu eng in deiner alten Zigarrenschachtel! Du meine Güte, der arme Käfer wird bestimmt bereits erstickt sein!“
„Aber das ... ist doch gar kein Richtiger?“ rief Dieterchen mächtig erstaunt dazwischen. “Es ist ein...“
„Jetzt rede ICH mal!“ kreischte Muttchen nun völlig wütend. “Ha, um Käfer wird sich hier großartig herum gesorgt, aber um meinen Munk, meine arme, alte Katze überhaupt nicht!“
„Ruhe!“ brüllte Margrit jetzt, hielt sich die Ohren zu. und die Schnur wickelte sich deshalb nicht nur auf, sie rutschte auch zu Boden. Gott sei Dank hielt Paul den Koffer noch immer fest. “Ihr macht mich ja alle ganz verrückt!“ Sie war in die Hocke gegangen, um den Schnurhaufen wieder hoch zu heben, aber der hatte sich dabei zum Teil in die Speichen des Rades verwickelt.
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Alt 10.01.2005, 12:12   #33
Doska
 
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Standard Das Licht der Hajeps Kapitel 33

Tief enttäuscht und daher alles mögliche in sich hinein blubbernd trollte sich die kleine Schar. Annegret war die einzige, die seltsamerweise diesmal nichts sagte, denn sie dachte nach. Hatte sie doch noch immer nicht das Thema wieder gefunden, bei welchem sie vorhin unterbrochen worden war.
„Halt“, Ilona rannte hinter ihnen her, “wartet, ich komme mit euch !“ Und dann legte die schöne junge Frau mit einem seltsamen Grinsen plötzlich freundschaftlich die Arme um Julchen und Tobias. “Ihr habt also einen Käfer gefangen ?“ fragte sie katzenfreundlich, konnte jedoch nicht verhindern, dass dabei in ihren schrägen Augen ein kleines eigenartiges Feuer aufflackerte. “Ach, bitte, erzählt mir mehr davon, ja ?“
Doch Muttchen hakte sich von der anderen Seite her, plötzlich bei ihr ein. “Das triffst sich aber gut !“ krächzte sie
„Ein so kräftiges und junges Mädel wird wohl nicht nein sagen, einer schwachen, alten Dame zu helfen ihren Kater wieder zu finden, nicht wahr ?“
„Puh, sind die anstrengend !“ ächzte Paul. Seine Oberarmmuskeln zuckten, da er den Koffer noch immer hielt, als er die Meute wieder im Wald verschwinden sah.
„Einschließlich deiner Ilona. Komisch, auf einmal ist sie so kinderlieb !“ Margrit zog das kleine Taschenmesser aus dem Etui, das sie immer in der Innenseite ihrer Weste trug und dass sie stets zur Selbstverteidigung bei sich
hatte.
„Naja, sonst war sie eben nur mit mir beschäftigt !“ Er grinste verlegen. “Sieh` mal, wie lieb sie jetzt deiner Mutter hilft !“
„Das reinste Engelchen !“ Margrit schnitt jetzt die beiden Knoten einfach durch.
„Deine Stimme klingt viel zu spöttisch, Margrit !“.
„Ich war im Gegensatz zu dir immer treu, Paul !“ Sie begann, die einzelnen Teile der Schnur um den Koffer zu wickeln.
„Treu !“ echote er geringschätzig. “Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass wir vielleicht nicht einmal die heutige Nacht erleben könnten ? Und mit dieser Aussicht soll ich auf etwas Wunderbares verzichten, nur weil ich irgendwelche uralten Ideale pflegen will ?“
Margrit atmete tief durch, biss sich für einen kurzen Moment auf die Lippen, um nicht laut loszuschluchzen Sie wusste, dass dieser Satz jetzt reichlich theatralisch klingen würde, aber der musste hinaus: “Das hier ist ganz
einfach. Du liebst mich nicht mehr !“
„Doch... !“ Er versuchte sie zu streicheln, aber sie drehte ihr Gesicht von ihm weg. “Ich liebe dich halt...äh... nun auf andere Art und Weise als eben Ilona ! He, wir...wir könnten trotzdem auch manchmal Sex miteinander haben. So ist das nicht ! Männer sind nun einmal triebhafter als Frauen. Das ist alles... Himmel! Warum weinst du jetzt erst recht?
„Ha, hat geklappt !“ Margrit machte einen Schritt zurück, betrachtete ihr Werk und wischte mit dem Handrücken die Augen trocken. “Du kannst jetzt loslassen Paul, aber vorsichtig...gaaanz vorsichtig, ja ?“
Wortlos gehorchte er ihr.
„Hallo, Muttsch ?“ Margrit wendete sich um. “Das ging aber schnell ! Da ist ja dein Kater !“
Muttchen kam ihnen strahlend entgegen und schwenkte den Korb, in dem Munk lautstark protestierte.
„Das war Ilona, wirklich ein nettes Ding !“ rief Muttchen bereits von weitem begeistert. “Hat mir sehr geholfen ! Scheint mir überhaupt sehr naturverbunden zu sein, die Kleine. Dauernd löchert sie Tobias, wo der denn seinen Käfer versteckt haben könnte !“ Sie war jetzt schon ganz nahe. “Aber der will partout nicht darüber reden und lieber Murmeln spielen !“ Jetzt stand sie direkt vor Margrit und stellte das Körbchen ab.
„Ach, Muttsch, du kennst doch Tobias ! Der ist artig und hat den Käfer bestimmt längst frei gelassen. “Danke Paul!“ Margrit schob das Rad an ihm vorbei und schritt auch auf den Wald zu. “Tobias, Julchen“, rief sie laut “Kommt, wir gehen !“
„Jetzt schon ?“ hörte man Tobias aus einiger Entfernung. Ach, er hatte schmerzlicher weise gerade seinen “Blaui“ an Dieterchen verloren.
„Noch ne Runde, ja ?“ brüllte er darum verzweifelt zurück.
„Nein !“ Margrit schob ihr Fahrrad entschlossen vorwärts „Kommst du Muttsch ?“
„Ausgesprochen ungern, muss auch ich zugeben !“ murrte die. “Hast du dir denn wirklich alles überlegt ?“
„Ja, hab` ich!“
„Hat sie nicht ! He, warte nur einen Augenblick !“ keuchte Paul. “Vielleicht kommen wir noch zu einem anderen Schluss, einen, der für uns alle erträglicher ist.“
Wieder hielt sie an sah ihm aber diesmal fest in die Augen. “Wenn du wirklich haben willst, dass wir noch zusammenbleiben, dann schlage ich vor, dich sofort von diesem Mädchen zu trennen!“
„Das ist wirklich eine große, eine sehr schwere Entscheidung, die du mir abverlangst, Margrit“, stöhnte er verbittert und sah dabei zu Boden.
„Ich glaube, dass die Familie Hegenscheidt sich nach wie vor rührend um dieses Mädchen kümmern wird“, erklärte sie und setzte knapp hinzu. “Sie wollen inzwischen ohnehin ganz woanders bleiben. “Coburg konnten wir ja bereits von hier aus sehen, also sind wir dieser Stadt ziemlich nahe. Wir könnten uns daher schon jetzt von ihnen trennen.“
Margrit sah, dass Paul immer noch unentschlossen schwieg.
„Also, wie lautet deine Entscheidung ?“ fragte sie vorsichtig.
Er sah auf und Margrit erkannte, dass er plötzlich leichenblass geworden war. “Margrit“, stammelte er, “es fliehen so viele Menschen und dieses Mädchen sehe ich gewiss nicht mehr wieder...“
„Eben, eben !“ erklärte sie recht bockig.
„Du... du musst wissen, dass sie sehr einem Mädchen ähnelt, das ich damals vor dir...“
„Ja, ja, ich weiß, das lustige Uhrenmädchen...“
„Richtig ! Ich habe diese Frau sehr geliebt, aber...“
„Ich erinnere mich. Sie wollte schließlich einen anderen !“
„Bist du mir sehr böse, wenn?“
„Nein, Paul, bin ich nicht.“ Zu ärgerlich, immer hatte sie Schwierigkeiten mit den dummen Tränen.
„Ich... ich will einen guten Abschluss !“ krächzte er, ganz heiser geworden. “Du sollst mich doch nicht allzu schlecht in Erinnerung haben. Es sind auch die Kinder, weißt du, und deine tuddelige Mutter, die mich schon immer genervt haben, und deine verrückte Art, wie du mit denen umgehst.“ Er senkte wieder den Kopf und sah betroffen auf seine Füße, die in diesen viel zu kleinen, zerbeulten Stiefeln steckten, ohne die sich Margrit ihren Paul schon gar nicht mehr vorstellen konnte.
„Hier“, sagte er plötzlich, schob den Ärmel seines Hemdes zurück und öffnete das stumpfe Lederband der äußerst eleganten Uhr, die er seit ein paar Tagen wieder am Handgelenk trug. “Das ist für dich. Mein Dank... für...für all... die Jahre... und...Abschiedsgeschenk !“ Er fügte schnell hinzu. “Du weißt, diese Uhr ist gleichzeitig ein Kompass und kann daher Leben retten ! Vergiss das nie !“
Margrit öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber er winkte energisch ab.
“Ich ahne, was du jetzt sagen willst : Die vielen Jahre der Liebe lassen sich kaum bezahlen. Auch nicht mit solch einer kostbaren Uhr. Trotzdem ...BITTE, nimm diese Uhr, damit ich heute nacht etwas beruhigter schlafen kann.“
Er legte ihr das Armband um und seine Finger zitterten dabei. Anschließend betrachtete er die Uhr zärtlich, nahm auch ihre andere Hand, drückte lange ihre beiden Hände und beide sahen sich fest in die Augen.
“Ja, Paul,“ beantwortete sie schließlich seine stumme Frage, nachdem sie wieder einigermaßen sprechen konnte. Auch wenn dich Muttsch und die Kinder genervt haben, so werden nicht nur ich sondern auch sie dich als guten Freund für immer in Erinnerung behalten.“
Er wollte ihr einen Kuss auf den Mund geben, doch sie wendete sich ab. Darum beugte er sich rasch zu Tobias hinunter, der schon wieder neben dem Rad stand und alles mitbekommen hatte.
Paul streckte ihm die Hand entgegen. “Tschüß, Tobias ! Mach`s gut Kumpel !“
Er war völlig erstaunt, weil Tobias zögerte und dann sah er, dass eine dicke Träne an Tobias Nasenrücken entlang lief und schon folgte die nächste. Tobias war das peinlich und er wendete darauf hin Paul den Rücken zu. “He, is` echt scheiße, Mann, dass du gehen musst !“ nuschelte der Kleine jetzt undeutlich.
Paul wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, da griffen auch schon Muttchens dürre Fingerchen nach seiner großen Pranke.
“Mach`s gut, Paul !“ schniefte sie. “Wirst uns sehr fehlen ! Warst ein feiner Kerl, wirklich ! Der beste, den man sich denken kann ! Aber“, sie sah plötzlich skeptisch zu ihm hinauf, “du solltest dir angewöhnen, zu dieser Jahreszeit immer einen Schal zu tragen. Gerade heute ist es sehr kalt !“
Obwohl er noch immer einen Klos im Halse hatte, musste er grinsen. “Danke, dass du mich auf diesen ausgesprochen wichtigen Punkt hingewiesen hast !“ sagte er möglichst brav und seine Finger fuhren dabei durch die Gitterstäbe des Tragekorbs, um Munk zu kraulen. Schon hatte er einen tiefen Kratzer im Finger.
„Donnerwetter, Munk, du reagierst ja heute ausgesprochen schnell !“ Paul leckte über die Wunde und seine kleinen schwarzen Augen suchte dabei nach Julchen. Endlich entdeckte er sie hinter einem großen Busch versteckt.
„Mensch, Julchen, komm doch da hervor !“ flüsterte er, während er sie umkreiste.
„Nein !“ wisperte sie zurück . “Denn dann gehst du ja !“
Und so lief er ziemlich ungelenk einfach von ihnen allen fort und auf Ilona zu, die in einiger Entfernung wieder auf ihn wartete.
Margrit warf einen kurzen Blick auf das Mädchen, das sich scheu aber sichtlich erleichtert bei ihm einhakte.
„Macht`s gut ihr beiden !“ krächzte sie. “Und seht zu, dass euch nicht die Hajeps erwischen !“
Dann kam der Abschied von dem jungen Elternpaar und auch die Kinder umarmten den kleinen Dieter und sie schluchzten dabei gemeinschaftlich um die Wette, ahnten sie doch, auch wenn sie noch so klein waren, wie ernst zu nehmen jeder Abschied in diesen schrecklichen Zeiten war. Denn niemand von ihnen wusste, ob er den nächsten Tag noch erlebte, ob er den anderen vielleicht schon Morgen als grausig entstellte Leiche oder einfach nie wiedersah. So drückte sich das kleine Häuflein Menschen ängstlich und traurig aneinander, bis es sich, von gegenseitigen mutmachenden Sprüchen unterstützt und unter schier endlos langem Winken auf beiden Seiten, auflöste.
Familie Hegenscheit, Paul, der plötzlich wie ein kleines Kind in sich hineinweinte, und Ilona, die nun, wenn auch glücklich, ziemlich schuldbewusst von Paul zu Margrit sah, bogen den Feldweg zur Landstraße Richtung Coburg ein.
Margrit hingegen rührte sich nicht, blieb dort, wo sie gerade war, wie angewurzelt stehen, blickte Paul hinterher, hätte ihn am liebsten zurückgerufen, aber biss sich stattdessen so heftig auf die Lippen, dass sie anfingen zu bluten.
Auch als sich bereits Tobias und Julchen um die Bäume jagten, hatte Margrit diesen Platz noch immer nicht verlassen, schien zu Stein geworden zusein, den Blick starr in die Ferne gerichtet.
„Nun komm schon“, sagte Muttchen schließlich. ” Das ist ja gar nicht mehr mit anzusehen !“
Dennoch regte sich Margrit nicht. Ihre Augen waren zwar weit geöffnet, aber innerlich schien sie irgendwie ganz woanders zu sein.
Muttchen schluckte entsetzt und krähte: “Sie sind schon SOOO lange weg. Du kannst sie mit deinem Warten wohl kaum zurückholen !“
Wieder kam keine Reaktion.
„Mein Gott, so geht das nun schon wohl seit einer halben Stunde“, schimpfte sie. ” Was ist bloß mit dir los...hm ?“
Nicht eine Wimper zuckte.
„He, wir wollen endlich weiter“, brüllte Muttchen verzweifelt, “ehe es dunkel wird müssen wir noch einen Bauernhof finden und...die...DIE KINDER frieren ! Hörst du? Sie FRIIIIEREN ! ”
Aber immer noch kam keine Antwort, herrschte nur reglose Stille !
„Zum Donnerwetter“, kreischte Muttchen entnervt, “schreie, tobe meinethalben, wie jeder andere halbwegs normale Mensch. Aber werde ENDLICH wieder lebendig und lass` uns nicht in Stich ! Hört du ? Lass` uns nicht in Stich ! ”
Doch es geschah nichts.
„Himmel, dann hasse ihn doch, deinen Paul, verwünsche vor allem diese junge Hexe ! Aber komm` endlich zu dir !“ schluchzte Muttchen.
Da sah sie, dass Margrits Mundwinkel plötzlich zuckten. “Das tue ich ja bereits Muttsch. Das ist ja das
Schlimme ! Ich schwanke hin und her zwischen Liebe und Hass ! Wie konnte er mir das antun ? Zwanzig Jahre haben wir in größter Treue zueinander gehalten und plötzlich – AUS ! Ich begreife das nicht ! So schön war sie doch gar nicht !“
„Das kannst DU nicht beurteilen. Du bist kein Mann, Margrit !“
„Ich habe ihn wohl nie wirklich geliebt. Ich meine...so richtig selbstlos ! Denn hätte ich je echte Liebe für ihn empfunden, müsste ich ihm sein Glück doch gönnen ! Müsste ich dazu fähig sein können, mit ihm weiter zu ziehen und Ilonas Lachen dabei zu ertragen.“
„Da hast du so unrecht nicht ! Vielleicht sind wir Menschen keine guten Lebewesen ! Denn alles was wir lieben, wollen wir meist ganz für uns haben, möglichst nicht mit anderen teilen !“
„Aber so sind wir programmiert, Muttsch ! Ist das nicht grässlich ? Nun bringe ich vielleicht dich und die Kinder in große Gefahr, nur weil ich so egoistisch bin !“
„DAS bist du nicht !“ fauchte Muttchen. “Ich weiß, wie sehr du ihn geliebt hast und...“, Sie trat ganz nahe an ihre Tochter heran, legte einen Arm um sie, die so viel größer war als sie selbst. “Ich weiß auch, wie sehr Liebe weh tun kann. Ich spreche da ganz aus eigener Erfahrung ! Aber dennoch solltest du froh sein, dass du diese Gabe hast...” Muttchen schluckte den Klos herunter, der ihr im Halse gesessen hatte, “... wissen wir denn, ob unsere außerirdischen Eroberer, die tagtäglich dermaßen grausam mit uns Menschen umgehen, überhaupt nur ein kleines bisschen zu lieben fähig sind ?”
Diese Worte – ausgerechnet aus Muttchens Mund - überraschten Margrit. Sie krauste die Stirn, blinzelte.
„Verdammt, du hast ja SOOO recht !“Sie machte sich ganz klein, legte ihren Kopf auf Muttchens Schulter und ihr Körper begann zu zucken und zu beben, während sie sich laut und herzzerreißend endlich ausweinte.
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