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Alt 10.02.2011, 21:47   #1
Thing
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Standard Spekulativ, simpel

Teil I:




Ich wage mich nicht daran,
mir vorvorzustellen,
was ich vor Hunderten von Jahren
gewesen wäre.
Knecht im Stall
ohne Achtzigstundenwoche
so quer Beet
und Schule.
Der Pfaffe kam mit der Bibel,
zum Lehren: Was?
Ich auf dem Feld,
Frau bei den Schweinen.
Dies Schwein dazu,
von Gottesliebe salbadernd und
beinbreit Himmlisches versprechend.

Ein Jünger Jesu! Heilbringend.
Ich Knecht muß die Bälger ernähren.

Derweil beugt sich der Schelm
ohne Scham über den Gottesacker.

Den Heller im Sack.
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Alt 10.02.2011, 22:36   #2
weiblich Ilka-Maria
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Das ist böse, wahrhaft böse!

Un führt mir wieder mal vor Augen, wie gut ich in meiner Welt abgeschnitten habe.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.02.2011, 12:13   #3
Thing
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Das s o l l auch böse so sein.
Allzu oft wird die damalige Zeit verklärt -
aber:
Hütebuben, Gänsemädel, keine Schule, keine Bildung, die Wenigsten mit einem richtigen Beruf.
Und dergleichen.
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Alt 11.02.2011, 12:39   #4
männlich PeterB
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Das Gedicht (ist es ein solches?) ist zwar ein wenig "plakativ" (? Mir fällt gerade das richtige Wort nicht ein), dennoch las/lese ich es mit Zustimmung, denn es enthält viel Wahres. Meine Urgrosseltern sind aus Russland, sie waren noch Leibeigene, und ich habe meinen Grossvater noch gut gekannt. Was er mir damals, in den 50er und 60er Jahren von den dortigen "Dorfpopen" erzählte, ist unsagbar, unerträglich. Wer diese Zeit idealisiert, hat nichts begriffen (was nicht bedeutet, dass das Leben auf dem Dorf nicht auch wunderschön sein kann, wie ich ja selbst immer wieder erlebe ;-)).

P.
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Alt 11.02.2011, 12:53   #5
Thing
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Halli Hallo, PeterB -

nein ein Gedicht ist das nicht. eher zerrupfte Prosa.
Ich stimme Dir vollauf zu - das Dorfleben k a n n auch schön sein, vor allem für uns in eine bessere Zeit Geborene, die nicht mehr Frondienst leisten müssen.
Aber die oft geübte Verharmlosung, Idealisierung und Verkitschung ärgert mich maßlos.

Man stelle sich vor, man sollte für Kost, Logis, jährlich einen Silberpfennig und einen neuen Rock bis zu 15 Stunden am Tag Schwerarbeit leisten ...

Thing
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Alt 11.02.2011, 13:23   #6
männlich PeterB
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Hallo, Thing,

ich habe hier noch einige alte Dokumente, aus denen hervorging, was mein Grossvater (der nicht mehr Leibeigener war) so verdient hat in einem kleinen Dorf im Westen Russlands. Unfassbar. Oft wurde das gar nicht in Geld ausbezahlt, sondern in Naturalien, und zwar nicht in Form dessen, was mein Grossvater gerade brauchte, sondern in Form dessen, was der Arbeitgeber abgeben konnte oder wollte... Er durfte gerade mal 4 Jahre lang in die Schule gehen, und das war bereits privilegiert! Meine Oma hat überhaupt keine Schule besucht, ausser (!!!) Religionsunterricht... In den frühen 20er Jahren flüchteten sie ins Ruhrgebiet, und dort kam es ihnen vor wie im Paradies...

Wer das mal aus erster Quelle lesen möchte (wenn auch "gefärbt" durch die adlige Abstammung des Autors), der sollte die "Volkserzählungen" von Tolstoi lesen. Oder noch realistischer, weil nicht literarisch verarbeitet: Seine Tagebücher. Zwar war er ein Privilegierter, ein Adliger, der lange Zeit selbst Leibeigene hatte, aber er hat dennoch diesen Menschen eine Stimme verliehen (allerdings nicht in seinen grossen Romanen, sondern in seinen Erzählungen und Tagebüchern (vor allem die Tagebücher der letzten 20 Jahre sind in dieser Hinsicht sehr interessant)).

Gruss

P.
PeterB ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.02.2011, 10:59   #7
Thing
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Jaja, der Tolstoi!

Seine arme Frau hat er aber über weite Lebensstrecken wie eine Leibeigene behandelt!
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.02.2011, 11:20   #8
männlich PeterB
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Ja und nein. Aus dem soeben erschienenen Ehe-Briefwechsel erhält man eine etwas andere Sicht. Ich denke, sie haben sich beide nichts geschenkt...

Schönes Wochenende

P.
PeterB ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.02.2011, 11:44   #9
Thing
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Ja, der Ehebriefwechsel .....
Aber die Tagebücher der Beiden sprechen eine andere Sprache.

Auch Dir schönes Wochenende!

Thing
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