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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 15.04.2010, 07:37   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
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Beiträge: 10.909

Standard Wilkinson sword Protektor 3D

Wilkinson sword Protector 3D

Lieber Eckhard,

du weißt es noch nicht. Zwanzig Minuten, vielleicht nur noch zehn, dann bringen sie mich weg auf den Meißner. Geschlossene Abteilung, Psychiatrie. Für eine lange Zeit und danach werde ich hier nicht mehr wohnen können. Das Dorf A...rode hat die Nase voll.

Du bist leider nicht ganz unschuldig an meinem Schicksal. Nicht, dass ich dir Vorwürfe machen will, du hast es ja gut gemeint. Du konntest es nicht wissen. Du, der Patenonkel meines Ältesten, wolltest nur, dass meine Kinder sich nicht schämen müssen mit mir. Wie angeekelt du selbst warst, als ich blutend zum Frühstück kam, Haarinseln überall auf den Wangen, das billige Einwegwegprodukt in der Hand. Da konntest du nicht einfach abreisen in deinem großen Wagen, ohne mir, dem alten Schulfreund, noch etwas zu kaufen und zuzustecken. Ich aber habe den edlen neuen Nassrasierer mit verletztem Stolz lange nicht angerührt. Allzu verliebt war ich natürlich auch in mein Outfit. Immer der Tramp geblieben, genoss ich den Zustand, verpuppt zu sein ins Ranzige. Aber irgendwie, leider, hat mich Wilkinson sword Protector 3D mit seinem glänzenden Edelstahlgriff und dem auswechselbaren Klingenpaar dann doch interessiert.

Gestern, am frühen Morgen nämlich, hatte mein Bartwuchs mal wieder das Ausmaß erreicht, wo das Jucken einsetzt und ich nahm das Ding aus der Packung. Ich seifte mich ein, skeptisch noch und im Vorgefühl, wie üblich die lästigste Prozedur zu beginnen, da schnitt das Duett der unsagbar scharfen Klingen schon mühelos eine Schneise nackter Haut ins Stoppelgewucher am Kinn. Der Effekt war total. Meine Verblüffung war so groß, dass ich den Spiegel blank wischte, um auf der Höhe der Ereignisse zu sein. Der letzte Schlaf schmolz in den aufgerissenen Augen und jener alte, müde Mann, der im Spiegel hoffnungslos vor sich hin gestiert hatte, nahm plötzlich jugendliche Spannkraft an. Die Klingen legten, leicht im Zick-Zack bewegt, ein rosiges Antlitz von kindlicher Schönheit und Frische frei.
Der Schaum troff zu Boden. Ich atmete tief. Dann legte ich, einen Pfiff ausstoßend, den Rasierer zur Seite und trocknete mich ab. Kein Haar, nicht das feinste, stand mehr am Kinn, die Wangen glänzten, und das in weiniger als dreißig Sekunden. Und besser noch, kein Blutstropfen quoll aus der seidigen Haut. Ich nahm den Rasierer wieder zur Hand und lächelte ihm ehrfürchtig meine Bewunderung zu.
Meine Stimmung war von Stund an euphorisch. Wie ich nun einkaufen ging, mit hüpfenden Schritten, geschah auch wirklich gleich Rätselhaftes. Das Fleischergeschäft war geschlossen. Es war der bestimmte Wochentag, an dem ich immer, desorientiert, meinen Einkauf tätigen will. Doch während ich sonst gleich ärgerlich heim trottete und wieder ins Bett ging, blieb ich diesmal einen Moment lang vor der Ladentür stehen und klopfte sogar ganz leicht dort an. Zu meinem Verwundern wurde die Tür tatsächlich aufgeschlossen und leicht geöffnet. Eine Hand zog mich an meinem verblichenen Mottenpullover einfach in den Laden. Die alte, rundliche Chefin, sonst eher abgeklärt und brummig, musterte mich mit sonderbar schalkhaften Blicken. Sie erkannte mich, der ich doch häufig hier einkaufe, offenbar nicht. Ihr Gesicht nahm langsam Züge der Verklärung an. Es schien, als ob sie einen lange vermissten Freund oder Geliebten in mir wiederentdeckte, einen Weltenbummler, der plötzlich in diesem Ort wieder aufgetaucht war. Sie konnte kaum sprechen, schluckte nur immer, lächelte dann wie ein Backfisch und legte mir auf jeden Wurststapel noch gratis was oben drauf. „Weil uns heute doch keiner zuschaut“, flüsterte sie errötend. Und dann hielt sie mir die Tür auf und brachte ihre Lippen ganz nah an mein rasiertes Kinn, an meine weichen Wangen. Ich konnte deutlich ihr Herz klopfen hören.

Sie hatte so lecker nach Hackfleisch mit Zwiebeln gerochen, dass ich ganz heiß und durcheinander war. Zu Hause, besessen von der Idee mich nur gleich weiter aufzumotzen und gierig den Effekt zu sehen, sprang ich noch in Schuhen und Mantel unter die Dusche. Triefend rannte ich durch alle Zimmer bis endlich vor den großen Spiegelschrank. Dort schüttelte ich mich, rang langsam nach Fassung und kleidete mich neugierig aus. Wie haarig ich aussah! Wie unappetitlich! Ich wandte mich angeekelt ab und ging auf schwankenden Beinen fröstelnd ins Bad. Da sah ich auf dem Regal dein schönes Geschenk. Ganz übermächtig traf mich in diesem Moment ein großer Gedanke. Ich griff den Rasierer erneut, schäumte trällernd den ganzen Körper ein und war wenig später großflächig aalglatt rasiert. Die Schaumhaufen waren nach Achsel-, Kopf- und Schamhaar am Boden sortiert und ich föhnte sie bis zur Trockne. Auch die Fußnägel schnitt ich und raspelte meine Schuppen ab mit deinem Rasierer. Als alles für dich eingetütet und beschriftet war, legte ich dir die schönen Geschenke zum Dank und als Gegengabe in einen hübschen Karton. Den trug ich eilig zur Post hinüber, denn sie schließt hier im Dorf immer früh. Meine marmorne Glätte schimmerte in der Wintersonne und ließ mich kurzfristig die Kälte der Jahreszeit spüren, ehe ich in den warmen Schalterraum eintrat.

Mein kurzer Aktauftritt am Schalter war sehr erfolgreich. Die Postbeamtin stotterte erst, leckte sich dann aber die Lippen und strebte, mich immer im Auge behaltend, ins Nebenzimmer. Dort telefonierte sie mehrmals und ihre belegte Stimme klang äußerst drängend. Dann kam sie freudestrahlend zurück und verkündete mir, dass ich zum Karneval des Landfrauenvereins ganz herzlich eingeladen sei. Und auf jeden Fall nur in diesem Kostüm. Auf meine Frage, wann denn, war sie prompt. Heute um acht steigt die Party. Tatsächlich begannen die Frauen hier wenig später auf den Gassen zusammenzuglucken und aus den Gruppen flog übertriebenes, ja, lasterhaftes Lachen zu meinem Fenster herauf. Eine von ihnen wippte wiehernd ihr breites Gesäß. Als ich am Abend die festlich geschmückte, sehr stark eingeheizte Scheune mit Strohlagern und Rotlicht betrat, war ich im Bund einer Schar am ganzen Körper rasierter Frauen der einzige Mann. Was nun an Schönem geschah, lieber Eckhard, verbietet mir leider der Anstand, dir im Detail zu erzählen. Mein Hunger nach Liebe, der so unstillbar schien und mich lange in mir verkapselt hielt, brach offen aus und wurde gestillt. Meine Seele schien mir für immer zu fliegen...

Als ich im Morgenrot heim ging, singend und durchgewärmt in der eisigen Januarluft, streiften Männer wie müde Spürhunde finster blickend durchs Dorf. Einer brüllte zu mir: „Wo ist Ulla, du Schwein?“ Ich ignorierte ihn aber.
Ich ging ins Spiegelschrankzimmer, den Anblick der sauber geleckten Haut auszukosten. Doch statt des Grinsens der Wonne lag plötzlich im Spiegel eisiger Schatten auf meinem Gesicht. Ich hatte Haare entdeckt. Auf den Schultern standen sie, nachgewachsen, in frechen Büscheln. Und auf der Brust wie Mehltau neuer Flaum. Ich sah auch Borsten, die ungeniert die süßesten Ecken entstellten. Ich kochte, ich fror zugleich. Mir wurde ganz übel. Ich wollte nie mehr Haare auf mir dulden. Sie aber hielten sich nicht daran. Und unter Tränen der Wut rasierte ich nach. Ich schäumte nicht ein diesmal. Ich wollte die Schmerzen des trockenen Schnitts wie Salz in den Wunden der Verzweiflung ätzen fühlen. Über und über rot geschrammt, hatte ich schließlich gesiegt. Aber entschädigt war ich noch nicht. Wilkinson sword forderte weitere Opfer.

Im Hof spielten die Katzen der Kinder. Ich pirschte mich an, winkte mit der Futterschale, machte den Lockruf. Sie kamen. Blitzschnell fuhr mein Rasierer hervor, fuhr über das weiche Fell im Nacken, den Rücken hinab bis zum Schwanz, umspielte die Pfoten, schoss über Brust und Hals nach vorn und kappte die Schnurrhaare. Da standen die kleinen freundlichen Tierchen und sahen mich an, sahen nach der Futterschale und nach ihrem Haarkleid, dass der Wind jetzt davontrug und froren erstaunt. Ich zuckte die Achseln und ging Richtung Straße.

Männerkolonnen, die, dunkel blickend, die Fahrbahn säumten, bezog ich nicht auf mich.
Ich blickte ihnen einzeln ins Gesicht und lachte, während Wilkinson sword ganz ohne mein Zutun an Strähnen und Bärten, Koteletten und Wimpern kleine Attacken verübte. Es ging so schnell, das keiner von ihnen es merkte. Sie ließen mich scheinbar in sich versunken und wie von tiefem Grimm gefesselt hinaus auf die Weiden ziehen.
Dort standen die Schafe. Die Tiere wussten offenbar nicht, was mich an ihnen so maßlos störte. Sonst hätten sie Anlauf genommen und mich vertrieben. Aber sie kamen neugierig angetrottet, als ich in der Tränke den Schaum schlug und ließen sich sogar willig darin walken. Am Ende hatte wilkonson sword alles erledigt und die Herde stand auf ein Viertel Volumen geschrumpft zitternd und dampfend zusammen und blökte.
Sie machte das so melodisch, dass ich auf weihnachtliche Gedanken kam. Vielleicht könnte ich den ganzen Ort hinter mich bringen und im alten A...röder Kloster eine Messe feiern, bei der sich jeder, von aller Kleidung befreit, einmal selbst rasierte. Mit Wilkinson sword natürlich. Ach, Eckhard, ich war so beseligt bei diesem Gedanken, dass ich gleich ins Gemeindehaus lief, weil ich glaubte, dass der Bürgermeister begeistert sein musste.
Aber wie ich dort den Rasierer zeigte, lachte er nur. Auch der Schatzmeister lachte und sein Doppelkinn, unrasiert, schwappte vor und zurück. Da wurde ich sehr sauer. Als keiner meinen scharfen Befehl „Hose runter zum Rasieren“ befolgte, drehte ich kurzerhand durch. Wilkinson sword Protector 3 D zuckte augenblicklich gegen das Doppelkinn, fuhr schillernd im Zick-Zack über die flauschigen Wülste und bewirkte: nichts. Die Klingen, eben noch einer ganzen Herde gewachsen, waren stumpf. Warum nur hatte ich sie nicht ausgewechselt?
De Bürgermeister winkte jetzt lässig zur Tür. Dort, hinter mir, standen sie plötzlich alle, die finster ehrbaren Gatten der Karnevalsfrauen von gestern, der Nachbar rechts neben uns in Schlappen, der Fleischer, der Müllwerker und der Postbote. Sogar der Schäfer war noch gekommen. Meine Kinder, die schlauchförmigen Katzen im Arm, drängten sich vor, warfen mir, ohne mich anzusehen, eine haarige Decke um die Schultern. Dann umschlossen die Männer mich eng und meine kleine Tochter trat vor mich und nahm mir einfach meinen Rasierer weg. So entwaffnet brachten sie mich nach Haus und besetzten die Ausgänge.

Da siehst du, lieber Eckhardt, ich tauge nicht zur Veredlung. Wenn ich es versuche, kommt nur wieder Schande dabei heraus.
Während draußen das Blaulicht flackert und man mir mit der Zwangsjacke entgegenkommt, grüße ich dich und schließe mit der Bitte, mir für die Schuldzuweisung zu verzeihen. Sie ist ungerechtfertigt. Schließlich habe ja ich Wilkinson sword überfordert. Er hatte sein Bestes gegeben.

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Alt 15.04.2010, 10:42   #2
männlich Ex-Abendstern
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 581

Hallo gummibaum,

vom Affen zum Menschen, könnt man sagen, ein Versuch. Man kann alles überspannen.

Eine feine Lektüre, voller Humor, aber mit durchaus bedenkenswert tiefem Hintergrund. Dickes Kompliment! Nicht gerade kurz für ein Lyrikforum, dennoch habe ich alles in einem Rutsch lesen können, ohne auch nur eine Sekunde gelangweit gewesen zu sein.

Sicher könnte man ein paar Dinge verbessern, der positive Eindruck jedoch überwiegt.

LG
Abendstern
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