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Alt 14.12.2005, 19:35   #1
himbeere
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 27


Standard Das Mädchen mit der Perlenkette

Prolog

Eines Morgens wachte sie auf und konnte sich nicht erinnern wer sie war. Sie wusste auch nicht, wo sie war, warum sie genau dort war oder was als nächstes kommen würde.
In ihrem Kopf schwirrten Bilder, Bilder ohne jede Identität, Bilder ohne jeglichen Sinn.
Wer war sie? Und wie war sie so geworden?
An diesem Morgen fühlte sie sich elend. Sie fühlte sich unwohl in ihrem Körper, erkannte ihr eigenes Spiegelbild nicht. War sie verrückt?
Nein. Eigentlich war sie lediglich ein Mädchen von um die vierzehn Jahre, das ihre Heimat verloren hatte. So drückte sie es zumindest gerne aus. Es hörte sich so schön dramatisch an. Eigentlich war sie nur umgezogen. Und das gar nicht so weit weg von ihrer „Heimat“.
An diesem Morgen fühlte sie sich also elend. Weil es ihr erster Tag an der neuen Schule sein würde. Weil sie genau wusste, dass sie nicht sonderlich gut ankommen würde. Warum sollte es dort anders sein als vorher?
Sie war immer noch im verregneten Deutschland, immer noch in Berlin. Gerade hatte sie sich an die Leute ihrer alten Schule gewöhnt (besser gesagt, die Leute hatten sich an sie gewöhnt). Nie war sie beliebt gewesen, doch irgendwann hatte man sie akzeptiert.
Sie atmete noch einmal tief durch – und machte sich auf den Weg zur Schule.
himbeere ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.12.2005, 19:38   #2
himbeere
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 27


Standard RE: Das Mädchen mit der Perlenkette

Das Mädchen mit der Perlenkette

Mya heißt sie. Komischer Name, wenn ihr mich fragt. Da steht sie. Steht einfach nur da und schaut ins Leere. Sagt nichts. Komisches Mädchen.
Insgeheim hatte ich mich gefreut, als unsere Klassenlehrerin Frau Spitz uns mitteilte, wir würden bald weiblichen Neuzugang bekommen. Eine neue Schülerin.
Wenn ich ehrlich bin, hätte ich es gar nicht nötig, mich auf „weiblichen Neuzugang“ zu freuen. Eigentlich könnte ich jede haben. Na ja, fast jede zumindest.
Von einem unsanften Stupsen in die Seite werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Es ist Tobi, der allerdings von allen nur „Fritte“ genannt wird. Weil er so groß und so dünn und so beliebt ist.
„Na, das ist ja mal ein scharfer Neuzugang“, flüstert Fritte und zwinkert. Ich kann mich kaum beherrschen und pruste laut auf. Was mir einen schmachtenden Seitenblick von Katharina, aber auch einen naserümpfenden Kommentar von Frau Spitz einbringt.
„Möchtest du uns an deinen Privatgesprächen teilhaben lassen, Tim?“, fragt sie schneidend.
„Nein...Frau Spitz.“, antworte ich leicht beklommen, wenn auch immer noch grinsend.
„Schön, dann heb sie dir gefälligst für später auf und verschone uns damit. Mya, da du dich anscheinend nicht vorstellen willst, setz dich einfach auf diesen Platz dort.“
Während der Deutschstunde schaue ich immer wieder unauffällig zu Mya herüber. Ihr Gesicht zeigt keinerlei Ausdruck. Sie sitzt einfach da und schweigt.
Frau Schmitz versucht immer wieder, sie in den Unterricht mit einzubeziehen, doch Mya reagiert einfach nicht. Echt komisch, das Mädchen.
Nach der Schule geht sie allein nach Hause. Schaut keinen von uns an. Sagt nichts. Ich glaube, alle sind der Ansicht, dass es besser so ist. Sie finden Mya merkwürdig. Ich weiß nicht ganz, was ich von alldem halten soll. Ich schließe mich einfach den anderen an.
Ganz in Gedanken versunken merke ich nicht, dass Katharina am Schultor auf mich wartet. Katharina sieht schon gut aus. Das weiß sie auch ganz genau. Lachend schüttelt sie ihr langes, blondes Haar und fragt wimpernklimpernd: „Hey Tim... sag mal, kommst du heute Nachmittag auch ins Café Caramel?“
„Ähm...“, ich zögere, weil ich bemerke, dass Mya stehen geblieben ist und zu uns rüberschaut. Sobald sie bemerkt, dass ich sie bemerkt habe, wendet sie sich ab und geht weiter. „Ja?“, fragt Katharina mit süßer Stimme. „Ähm... ja, na gut, klar, bin dabei.“ „Super! Fritte und Jill kommen auch.“ „Ja, äh... bis dann, Katharina.“
Ich sehe noch kurz dem sich hin- und herwiegenden blonden Haar nach, ehe ich den Kopf schüttele und mich ebenfalls auf den Nachhauseweg begebe.
Zu Hause beim Mittagessen erwartet mich das übliche Desaster. Meine kleine 2-jährige Schwester Linny schreit und schreit und weigert sich, auch nur ein Löffelchen von dem Brei zu essen, den Mama ihr anbietet. Meine große Schwester Melanie labert wie immer die ganze Zeit von ihrem neuen „Schatzi“. Seit neuestem ist sie mit so einem komischen Typen aus der 13 zusammen. Es ist echt nicht zum Aushalten.
„Rolf hat gesagt, er hat eine Überraschung für mich...ach, er ist ja sooo was von kreativ!“
„Rolf hat gesagt, ich sei das schönste Mädchen, das er je gesehen hat... ach, er macht mir ja sooo süße Komplimente!“
„Rolf hat gesagt, er hat so etwas noch nie für ein Mädchen empfunden...ach, er ist ja sooo ehrlich!“
Und so weiter und so weiter und immer so weiter. Genervt von diesen nicht enden wollenden „Rolf hat gesagt...“-Sprüchen springe ich vom Tisch auf und stürze auf die Tür zu.
„Wo willst du hin?“, ruft Mama mir panisch hinterher.
„Ins Café Caramel“, antworte ich gelassen, ziehe die Tür hinter mir zu und lasse eine panische Mutter sowie eine beleidigte Schwester zurück. Die können mich mal. Immer sind die nur mit sich selbst beschäftigt. Meine Mutter hat soviel mit Linny zu tun, dass sie gar nicht mehr merkt, wie es mir geht.
Mit düsteren Gedanken betrete ich das kleine Café.
Wie kaum anders erwartet sind meine Freunde noch nicht da. Allerdings entdecke ich an einem kleinen Tisch ganz in der Ecke Mya. Verträumt sitzt sie da, die Strähnen der dichten schwarzen Haare fallen ihr ins Gesicht, und schaut aus dem Fenster. Ich überlege. Soll ich so tun, als hätte ich sie nicht gesehen und einfach an ihr vorbeigehen?
„Ach komm“, denke ich, „im Grunde kennst du sie doch gar nicht richtig. Warum also nicht kurz zu ihr setzen?“
„Und was, bitte, was ist, wenn plötzlich die anderen kommen und dich mit ihr sehen?“, redet eine andere Stimme in meinem Hinterkopf auf mich ein. „Ach, was soll’s, probier es doch einfach mal.. .“, sagt die erste Stimme. Entschlossen steuere ich auf Mya’s Tisch zu und lasse mich ihr gegenüber nieder.
Sie blickt mich an und mustert mich langsam von oben bis unten, sagt aber nichts. Mir fällt auf, dass sie sehr schöne hellbraune, mandelförmige Augen hat.
„Ähm... hey Mya, wie... wie geht es dir so?“, versuche ich, ein Gespräch anzufangen.
„Gut, danke“, antwortet sie mit einer leisen, irgendwie beruhigenden Stimme und lächelt matt.
„Was... was machst du hier?“, frage ich, da mir gerade echt nichts besseres einfällt.
„Oh, ich warte auf meinen Vater, weißt du, er wollte eigentlich vorbeikommen, hab ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen... “ Ihre Stimme verliert sich.
Ich könnte mich ohrfeigen. Anscheinend habe ich genau das Falsche gesagt. Spitzenleistung, Tim Scharpmann!
Hektisch schaue ich mich um, auf der Suche nach etwas, irgendetwas, worüber ich mit Mya reden könnte.
Da erblicke ich plötzlich Katharina, Fritte und Jill, wie sie draußen auf das Café zuschlendern. „Äh... “, stottere ich hastig, „du entschuldigst mich... “ Und ohne ein weiteres Wort springe ich auf und spurte in die Toilette.
Drinnen begutachte ich mich im Spiegel. Also, wenn ich ehrlich bin, sehe ich schon gut aus. Genau wie mein Vater. Leider arbeitet er die ganze Zeit. Ich habe die gleichen, eisblauen und klaren Augen, und meine braunen Haare trage ich immer leicht verwuschelt. Darauf fahren die Mädels total ab.
Ich denke, ich kann jetzt ohne Gefahr wieder ins Café reingehen. Ich sehe, wie Mya mich erwartungsvoll anblickt, doch ich beachte sie nicht und setze mich zu meinen Freunden an den Tisch.
„Du bist schon da?“, fragt Fritte milde überrascht. „Ja, sieht so aus, was?“
Der Rest des Nachmittags ist eigentlich ganz lustig, auch wenn ich merkwürdigerweise nie ganz bei der Sache bin. Gegen fünf wollen alle nach Hause. Ich biete Katharina an, sie ein Stückchen zu begleiten. Fritte zwinkert mir zu.
Schon seit Wochen erwarten alle, dass Katharina und ich zusammenkommen. Sie haben alle bemerkt, dass da irgendwas läuft. Aber eigentlich finde ich Katharina nur nett. Oder auch süß? Eigentlich weiß ich es gar nicht.
Ein paar Meter vor ihrem Haus bleibt Katharina plötzlich stehen. Sie dreht sich zu mir hin. Sie lächelt. Jetzt kommt sie auf mich zu. Ich – oh... sie küsst mich. Also nein, eigentlich versucht sie mich zu küssen. Aber ich verspüre nicht die geringste Lust, sie zu küssen.
Mit einem Mal kam sie mir schrecklich künstlich vor. Ihre blondierten Haare. Ihre überschminkten Augen. Ihre angemalten Lippen. Ihre unnatürliche Art.
„Was ist denn los, du has doch keine Angst?!“, wimperklimpert sie und lacht ihr mädchenhaftes Lachen.
Ohne groß zu überlegen, reiße ich mich von ihr weg und laufe nach Hause.

Als ich am nächsten Morgen in die Klasse komme, werde ich prompt von Fritte überfallen. Katharina ist noch nicht da. „Na, wie war’s? Habt ihr euch endlich geküsst? Seit ihr jetzt zusammen?“, ruft er und senkt bei der letzten Frage verschwörerisch die Stimme. Ich muss unwillkürlich grinsen. Das deutet Fritte natürlich als klare Antwort. „Ich fass es nicht!“, brüllt er, „Tim und Katharina sind ein Paar!“
Exakt in dem Moment, in dem er das verkündet hat, hat Katharina den Klassenraum betreten. Und ist wie angewurzelt stehen geblieben.
Sie kommt auf mich zu. „Oh no“, denke ich, „das gibt Ärger.“ Jetzt steht sie vor mir. Ich glaube, sie will mir eine knallen. Sie sieht ungeheuer ernst aus. Ups, falsch gedacht. Oh neiiiiiiin... nein, sie knallt mir keine, sie wirft sich mir leidenschaftlich in die Arme. Was soll das denn werden? „Guten Morgen... Schatz“, wispert sie mir ins Ohr und mit einem unheilverkündendem Grinsen begibt sie sich auf ihren Platz.
Ich schaue zu Mya herüber. Ich hätte schwören können, dass sie dem ganzen Geschehen mehr als interessiert zugeschaut hat. Doch jetzt schaut sie ganz aufmerksam in ihr Deutschbuch. Hab ich mir das alles nur eingebildet?
Sehr verwirrt setze ich mich neben den von einem zum anderen Ohr grinsenden Fritte.
Heute kann ich mich in der Schule kein bisschen konzentrieren. Was sollte dieser Auftritt von Katharina?
„Sie will sich an mir rächen“, denke ich verbittert. Das ist ihr auch gelungen. Ich wünschte, sie hätte mir eine gepfeffert und wäre abgezischt. Das wäre viel einfacher gewesen. Stattdessen denkt jetzt alle Welt, ich wäre mit ihr zusammen. „Und auch sie denkt es“, sagt eine leise, boshafte Stimme in meinem Kopf. Unauffällig schaue ich zu Mya herüber. Sie bemerkt es. Für den Bruchteil einer Sekunde treffen sich unsere Blicke. Ihre Miene ist so unzugänglich wie eh und je. Gerade das fasziniert mich irgendwie an ihr. Aber sie denkt, ich sei mit Katharina zusammen. „Schöne Scheiße“, sagt die boshafte Stimme, „dann sieh halt zu, wie du das wieder hinkriegst!“ In dem Moment fasse ich einen Entschluss.

Ein paar Stunden später klingelt es endlich, die Schule ist aus. Ohne mich zu verabschieden, verschwinde ich. Ich schlage nicht meinen Nachhauseweg ein. In sorgfältigem Abstand laufe ich Mya hinterher. Sie bemerkt es nicht, sondern geht immer weiter. Sie hat einen ganz schön weiten Weg. So weit würde ich es nicht haben wollen. Schließlich sind wir sehr weit von der Schule entfernt, und die Straße ist bis auf uns beide menschenleer. Ich ergreife diese Chance und rufe laut: „Hey, Mya, warte mal!“
Langsam, ganz langsam dreht sich Mya um. Während ich auf sie zugehe, merke ich, dass auf ihrem Gesicht nicht die geringste Spur einer Überraschung zu finden ist. Sie sieht tatsächlich so aus, als hätte sie schon immer gewusst, dass ich hier sein würde. Echt komisch.
„Also“, beginne ich, „Ähm... ja, ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich...na ja, also eigentlich bin ich gar nicht... du weißt schon... zusammen mit... Katharina.“

Mya sagt nichts. Steht nur vor mir und schaut mich mit ihren schönen Augen an. Ihre schwarzen Haare schimmern in der Sonne. Und noch etwas. Zum ersten Mal bemerke ich um Myas Hals eine Kette. Eine Kette aus matten, perlmuttfarbenen Perlen.
So eine schöne Kette habe ich noch nie gesehen. Ich bin sicher, dass sie etwas ganz besonderses ist.
Ich blicke sie an und bin auf alles gefasst.
Dann, zu meiner großen Überraschung, lächelt sie. Es ist das erste, richtige Lächeln, das ich bei ihr gesehen habe. Die Wirkung dieses Lächelns ist unheimlich, und gleichzeitig wundervoll. Dieses Lächeln macht sie zu dem allerschönsten Mädchen, dass ich je gesehen habe.
Dann sagt sie: „Darf ich fragen, wieso du mir nach der Schule nachläufst, um mir dann etwas mitzuteilen, was mich vielleicht gar nicht interessiert?“ Ihr Ton klingt nicht vorwurfsvoll. Eher amüsiert.
„Ich, äääääh...“ Doch sie macht: „Schhhht! Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten nimmt sie meine Hand und zieht mich mit sich. Sie führt mich durch ein Gebüsch. Langsam frage ich mich, was das alles soll. Ist das nur ein Scherz? Doch da öffnet sich das Gebüsch und gibt den Blick frei – auf einen kleinen See! Das Ufer ist voller Blumen, umgeben von Bäumen und Büschen. „Wow... “, sage ich verblüfft.
„Schön, nicht?“ Mya strahlt.
„Ich wusste gar nicht, dass es das gibt!“, sprudelt es aus mir hervor. „Nein, natürlich nicht, ich glaube, keiner außer mir weiß davon, und jetzt... weißt du es“, antwortet Mya schlicht.
„Aber warum... ?“
„Warum ich dir das zeige? Ich weiß es nicht. Vielleicht hast du mich überwältigt. Weißt du, sonst hat sich noch nie jemand für mich interessiert.“
Diese Worte geben mir einen schmerzhaften Stich. Sie machen mich traurig. Mya schaut gedankenversunken auf das Wasser.
„Weinst du deswegen?“ Ich wollte das nicht fragen. Aber irgendwie hat mein Mund die Worte ausgesprochen, bevor ich richtig darüber nachdenken konnte. Jetzt kann ich sie nicht mehr zurücknehmen. Mya schaut mir in die Augen. Und dann sagt sie etwas sehr Schönes. „Tränen können nichts ändern – und trotzdem weinen wir sie, oder?“
Ich überlege lange, was ich darauf antworten soll, ehe ich erwidere: „Aber sie helfen.“
Mya läuft eine winzige Träne über die rechte Wange. Ich wische sie ab. Unsere Gesichter sind sich ganz nah. Näher als jemals zuvor. Im Gebüsch raschelt es. Ich höre eine Amsel zwitschern. Ich küsse sie.
ICH KÜSSE SIE? Ja, ich küsse sie. Es ist ein magischer Augenblick. Ein unnatürlich glücklicher Augenblick. Mein erster Kuss.
Als sich unsere Lippen nach einer Ewigkeit, wie es mir scheint, voneinander lösen, lächelt Mya wieder. Ich weiß in diesem Moment, dass ich dieses Lächeln nie vergessen werde.
„Du gehst jetzt besser“, flüstert sie. Ich tue, was sie sagt, und mache mich durch das Gebüsch davon.


Am Abend kann ich nicht schlafen. Tausend Gedanken streichen mir durch den Kopf. Seit dem Kuss weiß ich gar nichts mehr.
Mya hat auf jeden Fall einen Typen verdient, der sie richtig liebt. Aber tu ich das? Mein Magen dreht sich um bei dem Gedanken, was meine Freunde sagen würden, wenn ich ihnen verkündete, ich sei jetzt mit Mya zusammen, dieser komischen Neuen, diesem Mädchen, dass mit niemandem redet und immer allein ist.
Andererseits will dieses unbeschreibliche Lächeln nicht mehr aus meinem Kopf verschwinden.
Ich höre Linny schreien. Sie kann also auch nicht schlafen. Da ich die Hoffnung aufgegeben habe, noch einzuschlafen, schleiche ich mich leise in ihr Zimmer und lasse sie aus ihrem Bettchen raus. „Na, kleines Schwesterchen, was ist denn los, mhm?“, flüstere ich. Sie starrt mich an mit eisblauen, klaren Augen – mit Papas Augen, mit meinen Augen. Das ist mir vorher noch nicht aufgefallen. Überhaupt bemerke ich viele Sachen seit heute Nachmittag zum ersten Mal.
Ich nehme Linny und werfe sie in die Luft. Sie gluckst zufrieden.
Bevor ich sie schließlich wieder in ihr Bettchen lege, brennt mir noch eine Frage auf der Zunge.
„Was meinst du, Schwesterchen, soll ich nicht auf die Meinung der anderen achten und Mya mal mitbringen?“
Linny lacht laut und zuversichtlich auf und strampelt mit den Beinchen.
„Na ja, ich denke mal, das ist ein klares ja, was?“, stelle ich fest und gebe Linny noch einen Kuss.

Als ich am nächsten Morgen den Klassenraum betrete, sehe ich als erstes, dass Fritte, Jill und Katharina ganz hinten in einer Ecke stehen und tuscheln. In freudiger Erwartung setze ich mich auf meinen Platz. Da ich morgen Geburtstag habe, vermute ich mal, dass sie eine Überraschung planen. Ein vorfreudiges Kribbeln breitet sich in meinem Bauch aus...
Da kommt Mya.
Ich überlege krampfhaft, was ich tun soll, denn trotz der schlaflosen Nacht bin ich immer noch zu keinem vernünftigen Entschluss gekommen. Eigentlich wollte ich Linnys Rat befolgen. Aber hier und jetzt, wo es drauf ankommt, bringe ich das einfach nicht über mich.
Und mehr Zeit zum Überlegen habe ich auch nicht. Mit leichtem Entsetzen sehe ich, wie Katharina zielstrebig auf Mya zugeht. Was soll das werden?
„Hey Mya“, ruft Katharina, baut sich vor ihr auf und blickt auf sie herab, „wetten, ich schaffe es mühelos, dich zum Heulen zu bringen? Obwohl, Tränen können nichts ändern, und trotzdem weinen wir sie, oder nicht?“, höhnt Katharina mit einem tiefst zufriedenen Grinsen. Diese Worte treffen mich wie ein Schlag. Woher... ? NEIIIIIIN! Ich suche Myas Blick – und finde ihn. Ein eiskalter Schauer läuft mir über den Rücken. Ihr Blick ist weder sauer noch vorwurfsvoll. Er ist voller Enttäuschung. Ich wünschte, sie würde mich laut anschreien. Aber sie schaut mich nur mit dieser Enttäuschung in den schönen Augen an.
Dann dreht sie sich um, geht hinaus auf den Flur und schließt leise die Tür hinter sich.
Ich stürze mich wutentbrannt auf Katharina. „Was – sollte – das?“, schreie ich aufgebraucht und bin kurz davor, Katharina zu packen und zu schütteln. Ich kann es nicht ertragen, wie sie da vor mir steht und mich einfach nur unglaublich selbstzufrieden angrinst. „Woher zum Teufel wusstest du das?“, frage ich in fortwährend lautem Ton.
„Ganz einfach“, sagt Katharina, „zufällig habe ich mitbekommen, wie du gestern nach der Schule dieser Verrückten hinterhergedackelt bist. Ich fand das ziemlich interessant, also bin auch ich euch hinterhergegangen und – nun ja, hast ja gehört, was dabei herausgekommen ist.“
Einen Moment lang habe ich große Lust, mich lauthals mit ihr zu streiten, doch dann weiß ich es besser, renne ebenfalls aus der Klasse und suche nach Mya. „Sie war das Rascheln im Gebüsch“, schießt es mir durch den Kopf, „das kann nicht wahr – “
„Wohin des Weges, Tim?“, höre ich eine schneidende Stimme. Wie ich feststelle, bin ich geradewegs in Frau Spitz hineingerasselt. Ich zögere keinen Moment. „Wichtige Angelegenheiten – bis später!“, rufe ich und stürze weiter, ohne mich auch nur noch ein einziges Mal nach der verdutzten Lehrerin umzusehen oder dieser Gelegenheit zu geben, mich aufzuhalten.
Wo kann sie nur stecken? Wo zum Teufel ist Mya hingegangen? Hektisch renne ich umher, und zum Glück finde ich sie nach einigen Minuten tatsächlich. Sie sitzt auf einer Bank auf dem Schulhof.
Sie schaut nicht auf, als ich direkt vor ihr Halt mache, und wie immer sagt sie auch nichts.
„Mya“, schnaufe ich nach Atem ringend, „du... du hast das total falsch mitbekommen, ich... ich schwöre über alles, ich habe ihr keinen Ton gesagt, sie hat uns belauscht, gestern am See... sie hat es mir gerade eben selbst gesagt!“
Endlich schaut Mya auf. Ihr Blick ist nun nicht mehr enttäuscht, sondern tieftraurig.
„Das ist jetzt sowieso egal“, sagt sie leise. „Wie...?“, frage ich verwirrt. Doch Mya antwortet nicht.
Sie kommt auf mich zu, stellt sich dicht vor mich. Ich rieche einen wunderbaren Geruch nach Blumen, der von ihren Haaren auszugehen scheint. Wortlos hebt sie ihre Hände in den Nacken, und zu meiner Verwunderung löst sie die Perlenkette, die sie wieder trägt. Dann nimmt sie meine geöffnete Hand und legt die Kette hinein. Sie fühlt sich kühl an, und gleichzeitig strahlt sie eine wunderbare Wärme aus.
„Was... ?“, stottere ich. Sie kann mir doch nicht dieses wunderschöne Schmuckstück geben wollen?
„Ich gehe wieder weg von hier“, sagt Mya traurig.
„Aber... aber du bist doch gerade erst hierher gezogen?!“
„Ja, ich weiß... Ich werde zu meinem Vater gehen. Meine Mutter muss kurzfristig für ein paar Jahre ins Ausland. Das ist die Chance für sie, endlich mehr Geld zu verdienen.“
„Nein!“, schreie ich verzweifelt. Das kann doch nicht sein! Warum sie? Warum Mya und nicht Katharina oder sonst wer?
„Es... es tut mir Leid“, sagt Mya und flüstert jetzt beinahe. Eine einsame Träne läuft ihr über die Wange.
Dann dreht sie sich um... und geht weg. Nicht in Richtung Schulgebäude, sondern in Richtung Ausgang.
Ich schaue ihr hinterher und überlege einen kurzen Moment, ob ich ihr nachlaufen soll.
Doch dann sacke ich auf der Bank zusammen.
Nun kann auch ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Die Perlenkette halte ich so fest umklammert, dass es weh tut.
himbeere ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.12.2005, 09:31   #3
himbeere
 
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oh eine frage wie bekomme ich das mit dem triggert weg? ich wollte das gar nicht!
Gruß himbeere
himbeere ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.12.2005, 15:52   #4
himbeere
 
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hilfeeeee!
himbeere ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.12.2005, 16:40   #5
Nothingness
 
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Kein Problemchen... schon weg

Also ich hab mich mal ein Stückchen reingelesen.
Aber schon der Prolog kommt mir komisch vor. Zuerst schreibst du, sie könne sich an nichts mehr erinnern, da habe ich jetzt erwartet, dass in der Geschichte langsam hre Erinnerungen aufgearbeitet werden. Aber dann wechselt das ja doch alles im Prolog und im Endeffekt hat er mir nicht viel gebracht, weil ich noch immer nicht weiß, was Sache ist.

Ich hab den ersten Teil nicht ganz durch. Jedoch finde ich den Charakter des Mädchens etwas zweifelhaft. Zuerst wird sie als sehr stumm und zurückhaltend, irgendwie geheimnisvoll beschrieben. Die Zeile
Zitat:
„Ich, äääääh...“ Doch sie macht: „Schhhht! Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen.“
kommt dann jedoch sehr selbstbewusst rüber, was irgendwie gar nicht passt. Man merkt, dass du langsam mal auf den Punkt kommen möchtest, aber vielleicht solltest du dir die Zeit nehmen, sie noch näher zu beschreiben.

Ich bin zwar noch nicht so weit, aber irgendwie ist das so ne Geschichte, wo man das Ende schon kennt*g*

Es lässt sich sonst ganz gut lesen, vielleicht magst du den Text ja nochmal überarbeiten.

Liebe Grüße, Nothingness
Nothingness ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.12.2005, 19:52   #6
himbeere
 
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Beiträge: 27


hey nothingness!
danke für deine Kritik!
Mit dem prolog wollte ich Mya geheimnisvoller machen. ich habe allerdings schon mit dem gedanken gespielt, ihn wegzulassen.
ich wollte, dass Mya ein vielseitiger mensch ist. vor der ganzen klasse ist sie schüchtern, ja, aber schließlich ist sie später ja mit Tim allein...
allerdings glaube ich schon, dass alles etwas schnell geht. aber wie soll ich es anders machen?
war das ende wirklich so, wie du vorher gedacht hast? ich finde es ein wenig unfair, so etwas zu sagen obwohl man es noch nicht gelesen hat.
Gruß himbeere
himbeere ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.12.2005, 20:03   #7
Nothingness
 
Dabei seit: 12/2004
Beiträge: 140


Ich denke nicht, dass ein Prolog so verkehrt ist, nur solltest du ihn vielleicht besser erklären. Er muss ja nicht unbedingt so kurz sein, du könntest also ruhig mehr Verbindungen knüpfen.
Ich fand es halt arg verwirrend, dass sie zuerst ihr Gedächtnis verloren hat (so hab ichs verstanden) und dann aber irgendwie doch nicht. Im Endeffekt ist es klar, dass sie sich nur so fühlt (tut sie doch, oder?), aber wenn das ein wichtiger Punkt ist, solltest du es verständlich schreiben, damit keine Missverständnisse entstehen und der Leser nicht verwirrt wird.

Mit den zwei Seiten ist schwierig, ja. Vielleicht muss ich auch einfach nur noch weiter lesen =)

Ende habe ich noch nicht gelesen, aber man bemerkt halt schnell ein klassisches Konzept. Es wird ne Liebesgeschichte, aber irgendwas wird passieren (schon wegen dieser "geheimnisvollen" Perlenkette). Es ist ja nichts schlimmes, wenn die Geschichte trotzdem gut ist, das wollte ich damit nicht sagen. Es war mir nur so aufgefallen
Nothingness ist offline   Mit Zitat antworten
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