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Alt 28.11.2005, 22:06   #1
männlich j.j.remigi
 
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Beiträge: 146


Standard Kaspar

Kaspar

vielleicht muss ich der Geschichte etwas voraussetzen, damit der Leser besser ihren Rahmen erkennt. Es ist dies ein Gedicht, welches mir ein Lehrer aufgetragen hat, über meinen Beruf zu schreiben; wohl in der Ueberlegung, dass ich einsehen würde, dass dieser Beruf keine Existenz bieten kann.

Bereiter

Ich kenn' sie noch, die alte Garde,
den einen mit der langen Narbe,
der andre hat acht Finger nur.

Doch wenn man sie sich näher anschaut:
- die Haut aus Leder, das Haar ergraut,
sie sind so stolz, so stolze Reiter.

Auf dem Boden ein Krüppel, im Sattel ein Engel,
darunter ein Pferd, sei es noch so ein Bengel;
gezüchtigt trägt es den Herren jetzt.

Sie sind die letzten freien Männer,
die letzten zähen Erdenkenner,
Künstler sind sie hoch zu Ross.

Dann lauschen sie des Rausches wogen,
sind in das Wesen eingezogen.
Ein Leben für Sekunden verschenkt!

Zum Schluss soll man es wagen,
nach dem Sinn des Lebens sie zu fragen
und ob der Weg der richtige war.
Sie scheuen die Antwort; - nie aber
Gefahr!


Eben einer dieser Männer war Kaspar. Er hatte sich entschieden, wogegen ich mich später entscheiden sollte. Obwohl er in etwa die gleiche Körpergrösse hatte wie ich, schaute ich doch während meiner ganzen Lehrzeit zu ihm hoch. Er war ein Herr, ja ein Herrscher.

Meistens traf ich ihn, wenn ich ihn, wenn ich in die Morgenpause ging. Dann sass er schon an seiner Zeitung, vornübergebeugt, den Kopf auf seiner Linken aufstützend. Er war sehr zurückhaltend in seiner Art, blickte jeweils nur kurz auf, um jemanden zu begrüssen oder sich eine Zigarette anzuzünden. Auch ass er nie etwas; ein Becher Kaffee schien ihm zu genügen.
Selten konnte ich einen Blick aus seinen blauen Augen erhaschen, obwohl ich mich meist ihm gegenüber setzte. Und wenn ich ihn ansprach, begegnete er mir nur mit Widerwillen und in knappen Worten.
Die Gegenwart anderer schien ihm unangenehm. Vielleicht deshalb, weil er sich allzuoft in ein Streitgespräch einliess und leicht zornig wurde. Dann war er nicht mehr Herr über sich selbst, das wusste er. Auch die andern wussten es. Selten sprach einer mit Kaspar – doch nicht nur ich – wir alle schauten zu ihm hoch. Er war der Herr.

Eines Morgens, als ich auf der Teerstrasse, die dem grossen Springgarten entlangführt, heimwärts ritt, die ersten wärmenden Strahlen der Sonne genoss und auf die mit Tau benetzte funkelnde Wiese hinunterschaute, konnte ich von weitem Kaspar bei der Morgenarbeit beobachten. Ich mochte seine Ruhe und Gelassenheit. Unter ihm schienen seine Pferde zu tanzen. Nach einiger zeit setzte ich meinen Weg fort.

Ich war schon im hinteren Teil des Paddocks angelangt, als ich Bolliger, einen alten, knorrigen Bereiter entdeckte. Er hatte durch seine Härte schon viel erreicht, dadurch aber auch drei Finger seiner linken Hand eingebüsst. Ich erkannte ihn an seiner kurzen Gestalt. Bolliger hielt ein schwarzes Bündel in den Händen, welches er mit aller Wucht zu Boden schmetterte, es danach aufnahm, um es erneut auf die Erde zu knallen. Zwei Krähen umkreisten krächzend die Szene.
Ich konnte nicht verstehen, was die Tiere so aufgebracht hatte. Also ritt ich weiter.

Da sah ich Kaspar mit seinem Pferd in gestrecktem Galopp die Wiese überqueren. Neben Bolliger liess er sein Tier brüsk stoppen, riss es an den Zügeln herum und liess seinen weissen Bambusstock, mit welchem er sonst so behutsam arbeitete, auf den barhäuptigen Bolliger niedersausen.
Wieder und wieder drosch er auf Bolliger ein.
Dieser kümmerte sich längst nicht mehr um das Bündel. Gebeugt, sich mit beiden Händen den Kopf schützend, rannte er los. Er stolperte vor sich her, doch bot sich ihm kein Schutz. Er war mitten auf der Wiese, bedrängt von Reiter und Pferd. Bolliger rannte weiter über die Wiese, von wo er dann, zusammen mit seinem unbarmherzigen Verfolger, hinter Büschen verschwand.


Die ganze Zeit war ich hinterdem Zaun gestanden. Wie mochte wohl der Kampf enden?
Ich trieb mein Pferd zur Eile an, hatte ich doch bei meiner Beobachtung viel Zeit versäumt, die es nun aufzuholen galt. Dennoch reichte es mir nicht zur Kaffeepause, ich kam verspätet zurück.
Gut eine Woche lang lag Schweigen über dieser Geschichte. Niemand vom Betrieb wollte sich die Zunge daran verbrennen.

Ich war gerade beim Satteln meines Lehrpferdes, als Kaspar auf mich zutrat und mich fragte, ob ich nicht mit ihm zusammen ausreiten wolle? Ueberrascht willigte ich ein. Als wir nebeneinander herritten, nach einigem Schweigen in ein Gespräch fanden, traute ich mich, Kaspar auf die Geschichte mit Bolliger hin anzusprechen. Ich wollte endlich wissen, was geschehen war, und woher das blaugeschwollene Auge stammte, welches Kaspar von diesem Kampf davongetragen hatte.
Das mit dem Auge war schnell erklärt: Bolliger hatte sich hinter den Büschen mit einer Fanionstange gegen seinen Angreifer zur Wehr gesetzt.
„Weisst du,“,erzählte Kaspar weiter, den Grund seines Verhaltens antönend, „als ich da sah, wie Bolliger die junge Krähe töten wollte, musste ich daran denken, wie oft dies uns, den Menschen, geschieht. Länder, wo es Leute gibt, die sich aus purer Lust am Töten an Kindern vergreifen.“

Nun begriff ich auch die kreischenden Krähen, doch es hatte nur einen gegeben, der ihnen zu Hilfe geeilt war.
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