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Alt 12.11.2005, 23:03   #1
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


Standard Novembernacht

Sie weinte.
Und sie fror. Die Nacht war klar und kalt. Die Sterne am Nachthimmel funkelten wie Diamanten auf schwarzem Samt. Sie blicke sie vorwurfsvoll an und erinnerte sich daran, dass sich die Seefahrer früher an ihnen orientiert hatten, um an ihr Ziel zu kommen. Sie blieb stehen und blickte nach oben. Dann stellte sie sich auf einen Fuß und begann sich so schnell sie nur konnte, um die eigene Achse zu drehen. Der Anblick der Sterne, wie sie sich über ihr drehten und einen kaum sichtbaren Lichtstreifen hinter sich herzogen, zauberte ihr so etwas wie ein Lächeln auf ihr Gesicht. Sie hielt erst an, als ihr schwindelig wurde, strauchelte und schwankte, konnte sich aber halten. Das Lächeln verstarb. Selbst wenn sie in der Lage dazu gewesen wäre, sich an ihnen zu orientieren, hätte ihr das nicht weitergeholfen, denn sie kannte ihr Ziel nicht.

Sie saß auf einer Bank. Morgendlicher Tau hatte sich in ihrem Haar abgesetzt. Ihre Lippen waren blau und eingerissen. Blut. Ihre Augen waren geöffnet und sie starrte in das Tal, das sich vor ihr erstreckte. Man sah, wie die aufgehende Sonne sich in ihrem Augenkammerwasser spiegelte, verschwommen, aber golden und rundlich. Als sie aufgegangen war, füllte sie ihre gesamte Pupille aus. Sie hatte jetzt goldene Augen, so wertvoll und ebenso wertlos wie Grabbeigaben für einen Toten.

Ihr Atem entglitt aus ihrem Mund und verschwand in Form von sich auflösenden Nebelwolken in die Nacht. Sie verfluchte die Kälte. Ihre Hände fühlten sich taub an und blaue Flecken zeichneten sich auf ihnen ab. Sie hatte keine Handschuhe, keinen Schal, ihre Jacke war nicht einmal gefüttert. Schnell wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht, denn sie hatte Angst, sie könnten gefrieren. Auch wenn sie sich getraut hätte, es war niemand da, den sie fragen konnte, wohin sie gehen könnte. Sie dachte schon oft darüber nach und hatte viel entdeckt, doch jetzt war ihr Kopf leer, das Wissen um die Möglichkeit eines Verstecks floss mit dem salzigem Wasser ihrer Tränen ihre Wangen hinunter und tropfte auf die Straße. Verloren, für immer.

Schön. Das dachte auch der junge Mann von der Straßenreinigung, der sie dort auf der Bank fand. „Sie ist tot.“ Dachte er sofort. „Man kann ihren Atem nicht sehen.“ Cleverer Junge. Doch zur Sicherheit wollte er ihren Puls fühlen. Die im Fernsehen machen das immer so. Das muss ja irgendwie funktionieren. So ging er langsam auf sie zu, streckte seinen Arm aus und berührte mit dem Zeigefinger ihren Hals. Er war nicht so clever, er zog sich nicht einmal seinen Handschuh aus. „Ist ja auch kalt.“ Dachte er. Er fühlte nichts. „Ist wirklich tot.“ Dafür klebte er mit seinem Handschuh an der dünnen Eisschicht fest, die ihren Hals überzog. „Vielleicht sollte ich Hilfe holen.“ Dachte er.

Sie zitterte am ganzen Körper. Es hatte nicht lange gedauert, bis die Kälte ihre Kleidung durchdrungen hatte und jetzt kroch sie an ihr hoch. Ihre Nase lief und ihre Füße schmerzten, als sie die Bank erblickte. Massiv, mit Betonfüßen und gesplittertem Holz als Sitzfläche. Bedächtig schritt sie auf sie zu und setzte sich. Zusammengekauert blickte sie in das fast gänzlich von Dunkelheit eingehüllte Tal vor sich. Lediglich zwei Lichter brannten und zeugten von zwei Menschen, die zu dieser späten Stunde noch nicht schlafen wollten. Mit den Händen rieb sie an ihren Oberschenkeln auf und ab, doch es nütze nichts.

Schluchzend versteckte die Frau ihr Gesicht in den Armen ihres Mannes. Der Polizist stand daneben und blickte verlegen zwischen den beiden und dem Mädchen auf der Bank hin und her. „Ist das…“ begann er, merkte aber, dass seine Stimme versagte, räusperte sich und begann erneut. „Ist das ihre Tochter?“ fragte er. Nach einer halben Ewigkeit nickte der Mann langsam, während er mit seiner großen Hand seiner Frau durch die Haare fuhr. Der Polizist räusperte sich erneut und klopfte sich so leise wie möglich den Schnee von den Schultern ab. Er war jung, vermutlich hatte er so was noch nicht gemacht. Das Protokollblatt in seinen Händen war noch leer. „Mein Beileid.“ Sagte er. So leise, dass es die beiden nicht hören konnten. Niemand konnte es hören.

Es begann zu schneien. Im November. "Wie dramatisch." Dachte sie. Sie fühlte, wie die Kälte und die Dunkelheit sie langsam auffraßen, doch sie kümmerte sich nicht darum. „Keinen Fußbreit mehr für euch.“ Ihre letzten Gedanken, bevor sie einschlief. „Ich gehe nicht zurück. Eher sterbe ich.“
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.11.2005, 13:11   #2
Nothingness
 
Dabei seit: 12/2004
Beiträge: 140


Ich finde die Geschichte total schön geschrieben... Die Diamanten auf schwarzem Sand.. hach
Vorallem diese verschiedenen Erzählperspektiven machen das interessant, sodass es nicht kitschig oder langweilig wird.

Tut fast schon weh, was zum kritisieren zu haben*g*

Zitat:
Sie hielt erst an, als ich schwindelig wurde
Da soll es bestimmt "ihr" heißen

Zitat:
strauchelte und schwankte, konnte sich aber halten.
Willst du davor nicht lieber noch ein "sie" setzen? Weil es im Kontext vielleicht etwas verwirrt...

Zitat:
als die die Bank erblickte.
"Sie" bstimmt

Zitat:
Es begann zu scheien.
Jaja, dieser scheiß Schee

Nein, also..wirklich schön. Tolle Bilder gewählt. Mal wieder was richtig schönes von dir
Nothingness ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.11.2005, 14:51   #3
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


ja danke... ist mir jedes Mal auf's Neue peinlich. Vor allem, weil ich's drei mal mindestens durchgelesen habe. *seufz*

Aber danke
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.11.2005, 14:53   #4
Riif-Sa
 
Dabei seit: 11/2004
Beiträge: 253


Zitat:
Original von Nothingness
Ich finde die Geschichte total schön geschrieben... Die Diamanten auf schwarzem Sand.. hach
Es ist Samt, kein Sand. Viel teurer. *ggg*
Riif-Sa ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.11.2005, 15:07   #5
Nothingness
 
Dabei seit: 12/2004
Beiträge: 140


Hm, ich hab schon beim Vorlesen Sand verstanden - du nuschelst
Nothingness ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.12.2005, 14:22   #6
TobiL.
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 280


Total schöne Geschichte. Echt... Danke!
TobiL. ist offline   Mit Zitat antworten
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