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Alt 03.11.2005, 19:37   #1
Black Heart
 
Dabei seit: 09/2005
Beiträge: 50


Standard Jugend bewegt Zukunft

21:02 Uhr. Die Sonne spiegelt sich auf dem Wasser der Pader-Quellen. Gelb und Rot taucht sie ein. Die Bäume ziehen lange Schatten und trotz der doch späten Stunde am Abend ist die Stadt voll mit Menschen. Ich sitze auf einer roten, verfilzten Wolldecke. Neben mir liegt das Päckchen Zigaretten. Marlboro. Ich nehme mir eine heraus und stecke sie mir an. Den Rauch blase ich hinaus in die Welt, blaue Wolken bilden sich über mir und ich sehe die Strahlen der untergehenden Sonne hindurch scheinen.

Kati sitzt neben mir und nimmt einen Schluck Bier aus der kleinen Dose die mit Hansa gefüllt ist. „Hier fehlt Musik“, sagt sie zu mir. Ich nicke stumm und blicke mich um. Wir sitzen auf einem Grashügel unter den weiten Schatten eines Baumes. Der Mülleimer neben uns quillt schon über. Er ist voller Pizzaschachteln und leeren Bierdosen. Ein Fahrrad, alt und verrostet, hängt über mir im Baum. Etwas weiter weg, rechts neben uns sitzen Anne und Christina auf einer Decke. Aufgeregt in ein Gespräch vertieft von dem ich nur Wortfetzen mitbekomme. Mein Blick richtet sich wieder nach unten auf das Wasser. Gold und Rot. Ich mag diese Abendstimmung. Manchmal beobachten wir die Menschen die an uns vorüber gehen. Beobachten 12-jährige Mädchen die in knappen Miniröcken und bauchfreien Tops an uns vorbei laufen. Manchmal ruft man uns „Penner“ entgegen oder „Dreckige Junkies“. Wir lachen dann und strecken unsere Mittelfinger entgegen.

Von irgendwo kommt Geschrei und Gegröhle. Wir schauen uns um und sehen Daniel und Nono kommen, beide eine Pallete Dosenbier in den Händen. „Nachschub“, sagt Kati neben mir. Ich mache meinen Rucksack der vor meinen Füßen liegt auf und hole mir die letzte Dose. Wir sind schon seid dem späten Nachmittag hier. Von der Schule direkt auf das Fahrrad geschwungen und los gefahren. So wie jeden Tag, so wie jeden Freitag und der erste Gang in den schäbigen PLUS-Markt um Alkohol zu kaufen. Immer dasselbe. Nono streicht sich seine Rotgefärbten Haare aus dem Gesicht als er die Pallette vor uns abstellt. Er grinst mich an. „Wie geht es?“, fragt er mich. „Muss ja“, antworte ich ihm leise. Damit ist das Gespräch beendet. Eine Höflichkeitsfloskel so wie „Guten Tag“, ohne an der Antwort interessiert zu sein. Es wird langsam voll. Von überall strömen sie herbei. Menschen die ich kenne, Menschen die ich nicht kenne. Das Deckenmeer wird größer und der Alkohol fließt. Martin ist gekommen. Er nervt mich. Immer nervt er mich. Ich mag eigentlich nicht mit ihm reden. Er setzt sich neben uns auf die Decke und packt einen Joint aus. Er lacht uns an und meint, dass wir wohl teilen müssen, das ist der Rest den er übrig hat. Ich nehme ihm den Joint ab und stecke ihn mir mit der Glut meiner Zigarette an. Weisse Rauch erfüllt meine Lunge und entspannt schließe ich meine Augen. Ich sehe immer noch das Wasser vor mir und die Sonne die sich rot, golden darin spiegelt. Als ich sie wieder öffne gebe ich weiter an Kati. So war es immer. So ist es immer. Der Geruch von Weed erfüllt die Luft. Das tut es auch. Wenn Peace da ist, tut es auch Peace. Und wenn was anderes da ist, wird es das auch tuen. Hauptsache es ist da. Irgendjemand hat den Kofferaum seines Auto geöffnet und es ertönt von Subway to sally „Henkersbraut“. Neben uns auf der Decke wird die Bong ausgepackt und ich beobachte zwei Junkies unten an den Quellen die sich ihr Heroin spritzen.

Menschen ziehen an uns vorbei und beobachten die Szene. Doch wirklich zu interessieren scheint es niemanden. Die Welt ist voller Gleichgültigkeit. Besonders hier zwischen Alkohol und Drogen. Die Sonne geht unter und es wird dunkel. Es ist eine warme Sommernacht. Das einzige das Licht spendet ist eine kaputte Straßenlaterne, von der nur noch ein Licht geht und rot glühende Zigarettenstummel. In einiger Entfernung sieht man die Hochhäuser in denen vereinzelt Lichter brennen. „Ich habe Hunger. Ich gehe mir Pommes holen“, meint Kati neben mir. „Hast du Geld?“. Ich verneine. Martin meint, sie soll in die Fußgängerzone gehen und sich 2 Mark erbetteln. So wie wir es schon öfter getan haben. Entweder ist kein Geld für etwas zu essen da oder es ist kein Geld für ein Konzert da. Man muss den Menschen nur erzählen das mein kein Geld mehr für den Bus hat. In der Hinsicht zeigen sie wirkliches Mitgefühl und im selben Atemzug sehen sie wie wir hier sitzen und unser Geld für Drogen und Alkohol ausgeben. Meine Freundin steht auf und geht fort, holt sich Geld und holt sich etwas Nahrung.

Neben mir höre ich plötzlich Tumult und ich blicke nach rechts. Eine kleine Menschentraube hat sich um die Decke von Anne und Christine gebildet. Ich stehe auf und schaue mir an was los ist. Christine hat ein Messer am Hals, gehalten wird es in den dreckigen Händen eines Mannes. Mitte 30 vielleicht. Ich kenne ihn, er ist bekannt, verkauft Heroin an die Junkies. „Hey komm schon“, höre ich Anne sagen. „Wir wollen keinen Stress und du willst keinen Stress. Also verpiss dich einfach.“ Der Mann schaut sie an, scheint zu überlegen. Irgendjemand hat schon sein Handy geholt und will die Polizei rufen. „Gut“, murmelt er. „Aber ich will nie wieder hören das mich deine Freundin so nennt“. Er klappt sein Messer wieder weg und steht auf, geht hinunter zu den Pennern und Junkies. Die Traube löst sich auf und alles geht seinen geregelten Weg weiter. Es ist auch nichts neues. Wenn man hier ist gewöhnt man sich an solche Anblicke. Man gewöhnt sich daran die Polizei zu rufen, wenn eine Frau weiter unten in den Büschen vergewaltigt wird. Man gewöhnt sich an alles und stumpft ab. Auf dem Plakat hinter mir steht der Spruch „Jugend bewegt Zukunft“.
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