Bauchweh

[westpol-radio]

Ein Mann liegt neben seiner schlafenden Ehefrau und kann selbst nicht schlafen, weil es ihn im Gedärm zwickt. Er wälzt sich hin und her und grämt sich; er hört die Uhr immer wieder eine Viertelstunde mehr schlagen und fürchtet sich vor dem nächsten Morgen, er verwünscht seine Frau, daß die so tief schlafen kann...schließlich flüchtet er sich in eine Art Halbschlaf, wo er hofft, sein Bauchweh zu vergessen.
Er liegt mit zugekniffenen Augen und denkt an den letzten Sommerurlaub, denkt an Geld, es nützt nichts, er erwägt schon aufzustehen, um sich einen Tee zu kochen, aus dem Fenster zu starren und den Gedanken an Schlaf aufzugeben, da scheint ihm, als kehre plötzlich eine unglaubliche Ruhe ein.
Er hat das Gefühl zu fallen, langsam durch sich hindurch und durch das Bett zu sinken, in einen hellerleuchteten Schacht, an dessen oberem Ende er seinen Körper sieht. Und dieser Körper gleicht einem Drachen aus Drahtgeflecht, der träge seine Flügel hebt und senkt, während er in vollkommenem Gleichgewicht über dem Schacht schwebt.
Lange Zeit ist der Mann zufrieden damit, dieses filigrane Gebilde anzusehen und sich an dessen Perfektion und ruhigen Bewegungen zu erfreuen. Dann bemerkt er, daß eine Zehe des Drachen die Symmetrie stört; sie steht gekrümmt zur Seite ab.
Augenblicklich ärgert sich der Mann darüber. Er glaubt den Mißklang zu fühlen, eine seiner eigenen Zehen fühlt sich krumm an; er versucht sie auszustrecken und kämpft um seine Körperwahrnehmung, während er weiter den Drachen beobachtet, der in seiner gleichförmigen Bewegung fortfährt.
Als es dem Mann schließlich gelingt, seinen Zeh zu bewegen, sieht er, wie ein dünner Draht im Bauch des Drachens sich strafft und den metallenen Drachenzeh in die richtige Position zieht. Im selben Augenblick läßt der Mann einen gewaltigen Furz, was ihn wieder mit seinem Körper vereinigt.
Er liegt im Bett und spürt, daß sein Bauchweh verschwunden ist und er jetzt schlafen wird. Und während er einschläft, fällt ihm noch ganz sachte ein, daß er soeben zum ersten Mal ein außergewöhnliches spirituelles Erlebnis hatte, es aber niemals jemandem erzählen wird, weil es mit einem querliegenden Furz beginnt und mit einem befreiten Furz endet.

[lyrwir]

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Spiritualität in a nutshell. Wenn die Erkenntnis sich entlädt, endlich schlafen zu können, der Traum eines jeden Suchenden. Dolles Ding das, passend geschrieben. Seelenpupsen.
Lachende Grüße,
LW