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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 19.12.2007, 20:20   #1
Paloma
 
Dabei seit: 12/2007
Beiträge: 37

Standard Ich wünschte, sie wäre ein Junge - Romantik

Ich habe diese Geschichte geschrieben, um Vorurteile gegenüber der Homosexualität zu stoppen. Ich bin allerdings weiblich und einen habe einen Freund. Trotzdem habe ich mich an dieses Projekt gewagt. Wenn ihr etwas verbessern würdet, sagt es mir bitte.
Danke .

PS. Falls ihr euch fragt, warum bei einigen Sätzen Fragezeichen anstatt Gänsefüsschen stehen - mein PC hatte eine technische Störung. Ich war überrascht, dass es so etwas gibt...Und es ist nur mal der erste Teil.

Ich wünschte, sie wäre ein Junge...

Kaja lief langsam, aber grazil, über die Strasse.
Es war Montag und die Sonne stand längst hoch am Himmel und brannte herab, piekste sie angenehm ins Gesicht.
Zwei Jahre waren vergangen, seitdem Kaja mit Ballett angefangen hatte. Sie war inzwischen richtig gut und ihre Lieblingsfigur, den Pas de deux, beherrschte sie und führte ihn vollkommen perfekt aus. In der Schule war sie eine der Besten und hatte keinerlei Schwierigkeiten im Leben.
Bis jetzt.
Kaja starrte zum Himmel hinauf und wünschte sich, fliegen zu können. Dieses Gefühl beschlich sie, dieses Gefühl, das sie nicht unterordnen konnte und immer dann auftrat, wenn sie glücklich war.
Ein wenig mulmig zumute war Kaja aber schon.
Sie hatte so wenig Pech im Leben gehabt, ganz anders als ihre beste Freundin Mikel.
Mikel war schon zweimal sitzen geblieben und drei Jahre älter als Kaja. In der Schule war sie schlecht und zuhause hatte sie nur Stress.
Darum mochte Kaja sie so.
Weil sie mit jemandem sprechen konnte, der sie verstand.
Der sie mochte, wie sie war.
Kaja seufzte.
Das Leben war langsam langweilig.
Bumm!
Kaja schaute in ein erschrockenes Gesicht, das neben ihr lag.
?Oh, Entschuldigung! Hab ich dich angerempelt? Ich war so in Gedanken versunken...?, stotterte Kaja.
Das Mädchen half ihr auf.
?Nein, nein! Meine Schuld! Alles okay?
Das Mädchen hatte kurze, braune Haare und blaue Augen, die Lebensfreude ausstrahlten.
Sie trug Markenjeans und ein Shirt.
?Ja, danke. Mein Name ist Kaja...?
Warum stellte sie sich vor? Sie hatte anderes zu tun!
?Ich heiße Anouk. Freut mich.?
?Schöner Name.?
Anouk lächelte verlegen.
?Findest du? Mein Vater hat meine Mutter deswegen verlassen.?
?Weil du Anouk heißt?
?Ja, genau. Er meint, das sei ein Fluch oder so. Aber egal, ich will dich nicht nerven...?
?Nein! Schon gut! Wie kann ich mich bei dir entschuldigen?
?Wofür?
?Dass ich dich angerempelt habe.?
?Schon gut. Brauche nichts. Danke. Also, schönen Tag noch!?
Sie lächelte, fuhr mit beiden Händen durch die Haare.
?Hm?, sie schaute Kaja an.
Etwas durchfuhr Kaja wie ein Schlag.
Was war das für ein Gefühl?
?Was ist? Warum starrst du so?
Kaja schüttelte den Kopf.
?Ach, sorry! Wenn ich überlege, muss ich immer die Leute anstarren...?
Lüge.
Kaja wollte sie anstarren.
Kaja wollte sie besser kennen lernen.
Denn sie fand etwas an ihr, dass ihr keiner hätte geben können, da war Kaja sich sicher.
?Mö...möchtest du mit mir einen Kaffee trinken gehen?, fragte Anouk plötzlich.
?Kaffee?
Es war saukalt.
Kaja nickte.
Gute Gelegenheit.
Eher ? perfekt!

Kaja guckte in die schwarze Brühe.
Kaffee.
Hmm...
Sie trank einen Schluck, genoss es still.
?Du bist noch in der Schule?, fragte Anouk.
?Zwei Jahre noch. Ich bin sechzehn.?
?Ich bin achtzehn...?
Sah so aus, als würde sie es bereuen.
?Schön.?
?Ich hasse mein Alter.?
?Achtzehn, sechzehn...wollen wir tauschen?
Sie lachte.
?Geht nicht.?
Kaja lachte mit.
Sie war in Winterstimmung. Das machte sie fröhlich.
?Willst du etwa Probleme mit der Zukunft?, sagte sie plötzlich.
?W...warum meinst du?
?Sag schon. Machst du dir um deine Zukunft oft Gedanken?
Kaja wurde rot.
?Ich...ich...das ist...?
Kaja schwieg.
Anouk beugte sich ein wenig über den Tisch und flüsterte ihr ins Ohr:
?Keine Angst. Wird schon klappen.?
Dann liess sie sich wieder in den Stuhl fallen und trank weiter an ihrem Kaffee.
Etwas Unbestimmbares wurde in Kaja ausgelöst.
Was war das?
Was?

Nachdem sie Telefonnummern ausgetauscht hatten, ging Kaja mit einem merkwürdigen Gefühl nach Hause.
Wer war Anouk wirklich?
Führte sie Kaja an der Nase herum?
Oder meinte sie es ernst?
Kaja überlegte.
Hatte sie sich etwa in Anouk...?
Sie schüttelte energisch den Kopf.
Nein! An das durfte sie gar nicht denken!
Sie ging langsamer.
Aber möglich wäre es...
?Scheiße!?

Kaja lag auf ihrem Bett, die Augen voller Tränen.
Anouk wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen.
Sie spielte verwirrt mit dem Gedanken, in ein Mädchen verliebt zu sein.
Es war schrecklich.
Jetzt wusste sie, was Mikel damals gemeint hatte, als sie ihren Freund verloren hatte.
Wenn du jemanden liebst, dann tut es weh. Egal, ob er die Liebe erwidert oder einen hasst.
Kaja spuckte in die Hände, betrachtete das Seil in ihrem Zimmer, das von der Decke hing.
Sie kletterte daran hoch und machte einige Dehnübungen.
Es half nicht.
Gar nichts konnte mehr helfen.
Ihre Mutter trat ein.
?Kaja! Du übst um diese Zeit?
Kaja sah auf die Uhr.
Drei Uhr. Morgens.
Viel zu früh.
?Hör auf damit! Du weckst das ganze Haus!?
Kaja machte einen Schmollmund.
?Lass mich in Ruhe!?
Sie setzte sich auf ihr Bett und sah ihre Mutter herausfordernd an.
?Wie du dich heute anstellst, Kaja! Man könnte meinen, du hättest dich verliebt!?
Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Kaja begann zu weinen.
Ihre Mutter setzte sich neben sie.
?Was ist denn los?
?Das geht dich nichts an! Verschwinde!?
Sie ging leise aus dem Zimmer: ?Komm einfach, wenn du was brauchst, ja?
Weg war sie.
Weg...

Kajas Handy piepte.
Sie öffnete die Augen.
Mist!
Gerade mal eine halbe Stunde war vergangen.
Sie nahm ab.
?Hier...Kaja?
?Hi.?
Anouk. Ganz klar.
?Was...weisst du, wie spät es ist?
?Ich dachte, mit dir stimmt was nicht, also rufe ich dich jetzt an.?
Woher?
Woher wusste sie das?
?Nein, mit mir ist alles in Ordnung...?
?Du lügst!?
Anouks Stimme klang merkwürdig verkrampft.
?Ich will nicht, dass du mich anlügst! Erzähl mir ruhig, was los ist.?
Kaja atmete tief ein, wieder aus.
?Ich glaub...ich hab mich in ein Mädchen verliebt...?, sagte sie ruhig.
Kurzes Schweigen.
?Das...das ist alles?
Das ist alles? Was sollte das denn nun wieder bedeuten?
?Ich bin auch in ein Mädchen verliebt, aber ich finds nicht schlimm...?
?Anouk, darf ich dich was fragen?
?Ja.?
?Hast du dir schon mal gewünscht, dass das Mädchen ein Junge wäre?
?Schon oft.?
?Ich mir auch.?
Stille.
?Willst du mir was sagen?, fragte sie.
?Nein.?
?Okay. Ich dir auch nicht.?
?Dann...ist ja alles okay.?
?Nein. Denke nicht.?
?Warum nicht?
?Hm.?
?Hm?
?Ich glaube, du kennst das Mädchen.?
?Warum sollte ich?
?Hm.?
?Sag was!?
?Und was?
Jetzt waren sie am wunden Punkt.
Schwierig.
?Du kennst das Mädchen auch?, sagte Kaja langsam.
?Wollen wir nicht ehrlich sein?
?Wie meinst du das?
?Warum sagen wir nicht direkt, dass wir ineinander verknallt sind?
?Weil wir Angsthasen sind!?
Lachen.
?Ich liebe dich. Und ich wünsche mir, dass du über Nacht zu einem Junge wirst.?
?Keine Chance. Du musst!?
?Nie!?
Wieder lachten sie.
?Dann treffen wir uns morgen.?
?Wo?
?Bei mir.?
?Ist dann deine Mutter da?
?Nein.?
?Ok.?
?...?
?Warst du schon mal in einen Jungen verliebt?
?Nein.?
?Ich auch nicht. Ich hasse Jungs.?
?Ich nicht.?
?Warum nicht?
?Weil mein Vater auch einer war. Und ich hab ihn lieb.?
?Okay. Dann bis morgen.?
?Warte!?
?Hm?
?Treffen wir uns nicht bei mir?, sagte Kaja.?
?Besser bei meiner Freundin. Ich muss es ihr sagen.?
?Ist wohl das Beste.
?Ja, hast Recht.?
?Bis dann.?
?Tschüss.?


Kaja schluckte.
Anouk lächelte sie an.
?Komm, das wird schon.?
Mikel.
Mikel!
Du musst es verstehen...!
Anouk ist für mich...
Sie drückte auf die Klingel.
Mikel öffnete.
?Hallo, Kaja! Du warst lange nicht...?
Sie starrte Anouk an.
?Hallo.?
?Wer...wer ist das, Kaja?
?Ich muss mit dir reden, Mikel.?
?Warum?
?Das...?
?Kommt rein.?
Mikel deutete auf ihr Zimmer.
Stille.
Nur kurz.
?Ich...ich bin...?
?Was?
Mikel sah sie verbittert an.
Sie war eifersüchtig.
Diese Anouk!
Was hatte die hier zu suchen?
Das ging sie nichts an!
?Anouk und ich, wir...?
Kaja redete nicht weiter.
Sie begann zu weinen.
Mikel hatte es verstanden.
?Kaja...?
Sie stand auf.
?Du bist eine Schlampe.?
Kaja schluchzte weiter.
?Ich weiss! Ich weiss! Hör auf damit, Mikel!?
Anouk sah Mikel eindringlich an.
?Warum tust du das, Mikel? Sie kann nichts dafür!?
?Sie nicht ? aber du! Ich hasse dich!?
Anouk stand ebenfalls auf.
?Du kennst mich gar nicht!?
?Nein! Aber ich weiss, dass ich dich hasse!?
Schweigen.
?Und Kaja? Was ist mit ihr? Was wirst du jetzt tun, Mikel?
Mikel schaute sie wütend an.
?Was geht dich das an?!?
?Sehr viel. Ich liebe Kaja.?
Mikel zitterte.
?Eben darum! Eben darum hasse ich dich, Anouk!?
?Weil du auch in Kaja verliebt bist? Ist es das?
Mikel hielt inne.
Woher?
Woher wusste Anouk...
?Das...das ist nicht wahr!?
Sie packte Anouk an der Kehle.
?Spiel hier nicht die Coole! Du nervst!?
Anouk drückte ihren Arm, grub ihre Nägel in Mikels Haut.
?Wenn du sie nicht liebst, dann hast du nicht das Recht dazu, mich umzubringen.?
Sie boxte Mikel in den Bauch.
Mikel fiel nach hinten, liess Anouk los.
Kaja sah Mikel an.
?Bitte...bitte hör auf damit, Mikel!?, schluchzte sie.
Verzweiflung.
Anouk trat auf Mikel zu.
?Du bist wie ich, Mikel. Darum hasst du mich so, nicht wahr?
Sie beugte sich zu ihr hinab.
?Darum willst du es nicht zugeben. Du bist eifersüchtig auf mich.?
Mikels Augen weiteten sich.
Ich?
Ich soll...?!
Sie gab Anouk eine Ohrfeige.
?Lüg nicht! Warum sollte ich das sein?!?
?Weil Kaja mich auch liebt.?
Mikel hielt inne.
Weil Kaja mich auch liebt...
Mikel fiel in die Knie.
?Okay! Ich gebs zu! Ich hab mich in Kaja verliebt!?
Sie schlug die Hände auf den Boden.
?Und...und jetzt musstest du kommen...!?
Kaja setzte sich neben Mikel.
?Es tut mir Leid.?
Anouk ging aus dem Zimmer.
?Bis später, Kaja.?
Kaja sprüte etwas Merkwürdiges.
Was war das?
...
Hass...!
Ihre beste Freundin hatte sich in sie verliebt.
Ein hübsches Mädchen hatte sich ebenfalls in sie verliebt.
Und sie?
Wen liebte sie?
Kaja vergrub das Gesicht in den Händen.
?Verdammte Scheisse...!?

Stille.
Kaja legte ihre Hand auf die von Mikel.
? Warum hast du mir nie was gesagt? Ich dachte...?
...wir wären Freunde.
? Es...verdammte Scheisse! Ich hatte Angst!?
?Wovor?
? Dass du mich für abnormal und pervers halten würdest!?
? Aber ich bin doch genau wie du!?
?Das...das konnte ich doch nicht wissen...?
Mikel wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
? Und...ausserdem ist da jetzt diese...Anouk...!
Sie sprach den Namen voller Hass aus.
Anouk.
Mikel.
Kaja.
Ein...
?Man könnte beinahe meinen, ich müsste einen Teufelskreis schliessen.
?Nein!?
Mikel starrte sie entsetzt an.
Sie waren sich ganz nah.
?Tu das nicht! Kaja! Bitte...!?
?War...nur ein Witz...?
Kajas Herz schlug bis zum Hals.
Sie hatte gehört,
wie ihre Mutter gesagt hatte,
Homosexuelle wären abscheulich.
Man sollte sie aus dem Land verbannen.
Und was wäre, wenn sie wüsste, dass Kaja auch so eine wäre?
Was dann?
Sie drückte Mikels Hand fester.
? Ich...ich kann doch nichts dafür...?
? Ja, ich weiss...!
Mikel zog sie an sich.
? Ich weiss, wie du dich fühlst.
Die Umarmung tat gut, obwohl sich Kaja unwohl fühlte.
Es war ungewohnt.
Normalerweise waren sie sich nie so nahe gekommen.
Nie.
Sie hatten immer nur über die Jungs geredet.
Sie wären dumm und blöd und Mädchen seien viel besser.
Ich hätte es wissen müssen.
Ich wusste es doch die ganze Zeit...!
Kaja schloss die Augen.
Warum?
Warum gerade sie?
Hatten sie nicht früher davon geschwärmt,
wie süss Jungs aussehen würden?
Ja.
Vielleicht früher...
Aber jetzt nicht mehr.
Jetzt zählten andere Dinge.
Wer?
Wen mochte Kaja mehr?
Sie wusste es nicht.
? Mikel, darf ich dich was fragen?
?Ja...?
? Warum liebst du mich? Und...seit wann?
? Du bist für mich einfach...?
Mikel schluckte.
? Seit ich dich kenne.?
Sie liessen sich los.
?Seit elf Jahren?
?Ja.?
Kaja sah sie an.
? Hast du schon mal ein Mädchen geküsst?
Mikel schüttelte den Kopf.
? Ich habe noch nie jemanden geküsst?
?Ich auch nicht.?
Schweigen.
? Wann seh ich dich wieder?, fragte Mikel.
?Morgen. Bestimmt.?
Mikel nickte.
? Aber...Kaja, ich möchte...?
Sie beendete den Satz nicht.
Sie küsste Kaja plötzlich.
Kaja durchfuhr es wie ein Schrei.
Fühlte sich so...die Liebe an?
So?
Mikel liess sie los.
?Ich...?
Sie stand ruckartig auf.
?Das...das wollte ich nicht!?
Sie war verzweifelt.
?Wenn...wenn das mein Vater erfährt...!
Er wird mich umbringen!?
Kaja sagte nichts.
Sie weinte nur und hielt sich die Hand vor die Lippen.
Weinte.
Lange.
Bis Mikel aus dem Zimmer rannte.
Dann wartete sie, bis die Schritte verstummt waren.
Sie erhob sich und ging langsam aus dem Zimmer.
Treppe runter.
Tür auf.
Luft.
Freiheit.
Kaja zitterte am ganzen Körper.
?Mikel...!?

Kaja setzte sich erschöpft auf den Boden.
Mikel...
Warum hatte das passieren müssen?
...
Verdammt!
Kaja stand auf und schwang sich auf den Barren.
Ballett.
Das lenkte sie ab.
Zum Glück war der Lehrer männlich.
Jung und freundlich,
vielleicht etwas unerfahren.
Aber tanzen konnte er!
Kaja bewunderte ihn.
Wie er den Pas de deux mit ihr vollführt hatte;
ein Traum!
Kaja kletterte auf den zweiten Barren,
griff nach ihrem Gymnastikband.
Es passte nicht zusammen.
Rhythmische Gymnastik und Ballett.
Aber trotzdem wollte der Lehrer immer wieder,
dass sie es taten.
Merkwürdig.
Kaja drehte sich auf den Zehenspitzen,
zog das Band elegant durch die Luft.
Wenig später wurde sie von einem Wirbel umgeben;
tanzte.
Wie in einem Traum.
Bestimmt hatte Kaja es noch nie so gut ausgeführt.
Noch nie.
Der Lehrer applaudierte.
„C’est super, Kaja!“
Hitze.
Kaja fiel vom Barren.
Langsam.
Als wäre die Zeit stehen geblieben.
Sie würde sich etwas brechen.
Hirnerschütterung.
Bluterguss.
Sie durfte nicht auf dem Boden aufprallen!
Nicht jetzt!
„Kaja!“
Schritte.
Sprung.
Mikel fing Kaja in der Luft auf,
landete hart mit ihr auf dem Boden.
„Kaja! Alles okay? Kaja!“
Kaja öffnete die Augen.
Mikels Gesicht.
Warum?
Was hatte sie für einen Fehler gemacht?
Warum war sie vom Barren gefallen?
Kaja schaute Mikel fragend an.
„Ruh dich aus“, sagte sie.
Und lächelte dabei.
Kaja schloss die Augen.
Sollte ihr Anouk doch egal sein...
Sie schmiegte sich an Mikel.
Sollte ihr doch alles egal sein!
Der Lehrer kam angerannt.
„Kaja! Was ist mit dir? C’est brutal, dein Sturz!“
Kaja lachte.
„Keine Sorge! Mir geht’s gut. Mikel hat mich aufgefangen.“
Der Lehrer schaute Mikel an.
„Merci, Mikel! Du hast unsere Begabteste Schülerin gerettet!“
Mikel sah ihn verständnislos an.
Aber sie sagte nichts.
Ich glaube, ich habe eher mich gerettet...

Kaja öffnete die Augen.
Anouk?
Nein.
Ihre Mutter.
Und...
Und ihr...Vater?
Ja.
Sie waren da.
Kaja schloss die Augen wieder.
Sie redeten über etwas, hatte noch nicht bemerkt,
dass Kaja wach war.
„Ich hätte nie gedacht, dass Kaja in ein Mädchen verliebt ist!“
„Es ist schrecklich...wir müssen schauen, dass sie sich nicht mehr mit Mikel trifft.“
„Ab jetzt nur noch Jungs.“
„Ja.“
„Wir haben keine andere Wahl...“
Kajas Mutter machte eine Pause.
„Ich habe neulich gesagt, Homosexuelle seien...Monster.“
„Wirklich?“
„Das hat sie bestimmt nicht vergessen.“
„Vielleicht hat es sie verletzt.“
„Denke schon.“
Schweigen.
Aha.
Das denken sie also über mich.
...
Verräter!
Kaja fuhr hoch,
stieg grazil aus ihrem Bett.
„Bedeute ich euch so wenig? Wollt ihr mich jetzt dazu zwingen,
Jungs zu lieben?“
Kajas Mutter brauchte einen Moment,
um die Situation zu erfassen.
„Kaja, das...“
„Ist doch wahr! Ihr wollt mich und Mikel trennen!“
Sie rannte zur Tür.
„Aber...sie hat mich gerettet...ohne sie würde ich vielleicht gar nicht mehr leben...“
Kaja ignorierte die Rufe ihrer Eltern,
rannte durch die endlosen Gänge des Krankenhauses.
Atmen.
Erschöpft gelangte sie endlich zum Ausgang.
Die Rezeption.
Wenn sie keiner erkannte, könnte sie abhauen.
Weg.
Vielleicht mit dem Zug.
Oder...
„Ich würde gerne Kaja Jordan besuchen“, sagte eine vertraute Stimme.
Kaja horchte auf.
Da stand Mikel,
sie trug Winterkleidung, sah unheimlich hübsch aus.
Die Frau an der Rezeption tippte Buchstaben in den Computer.
„Wann?“
„So schnell wie möglich.“
„In einer halben Stunde können sie sie besuchen. Gehen sie solange in der Warteraum.“
Mikel nickte, machte kehrt und ging auf ein Zimmer zu.
Sie war hier.
Wegen ihr.
Kaja biss sich auf die Lippen.
Schreien.
Sie wollte Mikels Namen schreien.
Aber das ging nicht.
Nicht hier.
Sie schaute sich um.
Eine Gruppe kam auf sie zu,
ihre Eltern, Ärzte.
Kaja wollte stehen bleiben,
überlegte es sich anders.
Sie rannte um die Ecke,
in ein Zimmer.
Kaja stiess die Tür zu,
lauschte angespannt.
Schritte – die vorbeiliefen.
Kaja atmete auf.
Zwei Augenpaare waren auf sie gerichtet.
„Kaja? Solltest du nicht im Bett liegen?“
Mikel...!
Kaja starrte sie an.
Dann wurde sie rot.
„Ich...ich bin abgehauen.“
„Warum? Wegen deinen Eltern?“
„Sie...sie wollen uns trennen...!“
Mikels Blick wurde eiskalt.
„Das dürfen sie nicht!“, schrie sie.
„Psst!“
Kaja schloss die Tür ab.
„Ich will nicht, dass sie uns finden!“
Mikel verzog die Mundwinkel.
In ihren Augen widerspiegelte sich Abneigung.
„Ich...ich hasse Eltern! Sie meinen immer, alles besser zu wissen!“
Mikel ballte die Fäuste.
„Was haben sie dagegen?! Sie wissen ja nicht mal, wie das ist!“
Kaja setzte sich auf den Boden.
Sie sah an sich herunter.
Ein Nachthemd.
Toll.
Sie hätte sich ruhig etwas mehr anziehen können.
„Sie haben kein Recht dazu!“
Mikel stützte den Kopf auf die Hände.
Kaja wippte hin und her.
„Hm.“
Sie sahen sich an.
Kaja stand auf.
„Hauen wir ab!“
„Wovor?“
„Vor...allem.“
„Gute Idee.“
„Ich hab noch ein paar hundert Euro gespart.“
„Ich auch.“
Mikel stand ebenfalls von ihrem Stuhl auf.
„Und wie kommen wir hier raus?“
Kaja sah sich in dem Raum um.
„Durch die Tür.“
„Dann müssen wir aber rennen.“
„Egal.“
Plötzlich umarmte Mikel Kaja.
„Ich möchte dich nicht verlieren.“
Kaja wurde rot.
„Warum?“
„Weil ich dich liebe.“
„...Ich...ich dich auch...“
„Und was ist mit Anouk?“
„Vergiss sie, Mikel.“
„Ok.“
Ok?
Klang sehr selbstverständlich.
Kaja schloss die Augen.
„Warum machen die das? Was haben sie gegen uns?“
„Ich weiss es nicht...“
Mikel küsste sie auf die Stirn.
„Lass...lass mich nicht los!“, schluchzte Kaja.
Mikel bewegte sich nicht.
Draussen regnete es.
Leute eilten durch die schwach beleuchteten Strassen,
sie erledigten Einkäufe,
liessen sich die Haare schneiden.
Oder so.
Plätschern.
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