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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 28.09.2011, 18:01   #1
männlich Martin Laut
 
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Beiträge: 370

Standard Vergammelt

Er redet welke Seiten,
früher voller Wiesenwind,
vorbei sind lang die Zeiten,
und verloren ist sein Kind.

Vermatschte Hosen trocken,
nun steif wie seine Glieder,
statt tanzen nur noch hocken,
verklungen sind die Lieder.

Er sitzt dort wie ein Stumpf,
spricht gleiches immer wieder,
und seine Worte fallen dumpf,
wie faule Kirschen nieder.
Martin Laut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.09.2011, 20:39   #2
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.112

Zitat:
Zitat von Martin Laut Beitrag anzeigen
und die Worte fallen dumpf,
wie faule Kirschen nieder.
Martin, dieses Gedicht hat mich aus den Socken gehauen!

Du hast barbarisch auf den Punkt gebracht, wie das Alter aussehen kann. Ich mag es, wenn jemand so wie Du die Wahrheit unverblümt sagt. Die letzten beiden Verse sind an Ausdruckskraft geradzu genial. Druckreif.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.09.2011, 21:53   #3
männlich Erich Kykal
 
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Dabei seit: 09/2011
Ort: Österreich
Alter: 59
Beiträge: 876

Hi, Martin!

Das hier gefällt mir sehr - sehr gut bringst du die Demenz, den Verfall, das Altern an sich rüber, ohne die klischeebehafteten Bilder vom "Altern in Würde" - so wie's eben oft genug ist, ohne Pathos, nur genau beobachtet.


Er redet welke Seiten: Zeile eigentlich zu kurz, aber gut. So lassen. Doppelpunkt.
Tage, die verloren sind. Zeile war zu bezuglos. Passt inhaltlich nicht gut dazu. Besser Punkt.
Vorbei sind lang die Zeiten,
und lang verloren ist sein Kind. Muss nicht sein, kommt aber stilistisch und satzmelodisch gut. Die längere Zeile zum Ende wäre auch vielleicht ein Gegengewicht zur zu kurzen am Beginn.

Beschmutzte Hosen, trocken, "Vermatschte" ist Kinderdeutsch! Mit etwas Fantasie weiß jeder, was gemeint ist. Komma nach "Hosen".
nun steif wie seine Glieder. Besser Punkt.
Statt tanzen nur noch hocken - Besser Bindestrich?
verklungen sind die Lieder.

Er sitzt dort wie ein Stumpf,
spricht Gleiches immer wieder, "Gleiches", das - hauptwörtlich gebraucht, daher groß.
und Worte fallen dumpf Ohne "die" im Takt und runder (kein Konsonantenprall "und-die"). Kein Komma.
wie faule Kirschen nieder.


Sehr gern gelesen und beklugscheißert! Meine Lieblingsstelle: Die ganze Strophe 3! Wunderbar!

LG, eKy
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.09.2011, 16:28   #4
weiblich Ex-Encki
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Beiträge: 424

Lieber Martin,

: Originell!!

Liebe Grüße
Encki
Ex-Encki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.09.2011, 00:13   #5
männlich Martin Laut
 
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Alter: 33
Beiträge: 370

Ich danke herzlich.
Wie immer ist es eine Freude, dass ihr aus meinem Geschriebenen etwas schöpfen konntet.

Und natürlich speziellen Dank dir, Erich, für die Korrekturen und Vorschläge.
Martin Laut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.09.2011, 01:25   #6
weiblich Ex-Encki
abgemeldet
 
Dabei seit: 06/2011
Beiträge: 424

Hallo Martin,

ich bins noch mal.

Dein Gedicht "Vergammelt" ist so authenisch und ehrlich. Die Reime wirken nicht konstruiert und sind doch ungewöhnlich bezogen auf den Zeileninhalt.
Das ganze Gedicht kommt so leicht daher, hat aber schwere Worte.
Das was eKy anmerkt mit dem Wort "Vermatschte" sehe ich anders. Denn vor "Vermatschte" in der ersten Strophe steht "Kind". Der Kontrast vom Kind zum Greis hast Du mit den folgenden Worten perfekt und v.a. verdichtet dargestellt.
Du schaffst mit Deinen Worten ganz tolle emotionale Bilder. Ich kenne diesen Mann nicht, weiß nicht wie er aussieht, noch was er erlebt hat. Aber ich kann durch Deine Worte spüren, dass er gelebt hat und dass er jetzt zwar noch lebt, aber -für sich selbst (und dem Lyrischen Ich)- nur noch ein Abklatsch seiner Selbst ist. Seine Glieder sind steif, er kann nicht mehr tanzen, hockt wahrscheinlich nur noch in der Ecke herum. Er erlebt nicht wirklich mehr etwas Neues, sondern lebt nur noch in seinen Erinnerungen. Daher redet er auch nur noch die selben Dinge. Er ist ein bisschen wie ein Zombie: Nicht tot, aber auch nicht mehr richtig lebendig.

Zitat:
Er redet welke Seiten
finde ich ziemlich genial, weil der Satz fast nur "e"s als Vokale hat und inhaltlich einfach passt.
Ich finde, alte Menschen legen sich (vielleicht durch ihre Hilfebedürftigkeit) ab einen gewissen Zeitpunkt offen: Wie ein Offenes Buch. Aber die Seiten (bei Deinem Gedicht) sind alt, sind welk. Eine verblühte Schönheit. Noch schön, weil ehrlich...
"Wiesenwind" ist auch wunderschön!
Zitat:
Er sitzt dort wie ein Stumpf
auch der totale Hammer!
Dann dass Du die Überschrift "Vergammelt" genannt hast, finde ich äußerst mutig, aber treffend.
Aber das ist das: Du bist mutig in Deiner Sprache und denkst eigenständig. Und das führt zu Originaliät! Eben ein Original, nichts Nachgemachtes, sondern ernst und eigen in seiner Empfindung.
Ich würde nichts daran ändern, außer die Interpunktion.

Sorry, Martin. Das hätte ich gleich schreiben sollen. Das verdient das Gedicht. Aber ich glaube, ich war erst einmal baff.

Liebe Grüße
Encki
Ex-Encki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.09.2011, 09:31   #7
Ex-Kaleidoskop
abgemeldet
 
Dabei seit: 07/2011
Beiträge: 217

Hallo Martin,

dein Gedicht ist eine reife Frucht - unwiderstehlich.

lg,
Kalei
Ex-Kaleidoskop ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.09.2011, 10:42   #8
männlich Ex-Jack
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Dabei seit: 05/2011
Beiträge: 954

Hallo Martin,

es ist etwas peinlich jetzt hinterherzuposten, weil alles, was ich denke, schon gesagt worden ist.
Ich möchte Dir aber nochmal sagen:
Große Klasse!

Halt!
Eines hab ich doch:
"Vergammelt" ist vielleicht doch ein wenig zu vorgegriffen...
"vergammeln" ist vielleicht besser, weil die Gärung noch läuft...

Liebe Grüße,
Jack
Ex-Jack ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.09.2011, 16:17   #9
weiblich Ex-Encki
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Dabei seit: 06/2011
Beiträge: 424

Hi Martin,

zur Interpunktion: Zum Teil sehe ich das wie eKy.
Ich zitiere hier mal Dein Gedicht mit Änderungsvorschlägen:

Vergammelt

Er redet welke Seiten:
Früher voller Wiesenwind.
Vorbei sind lang die Zeiten;
[] verloren ist sein Kind.

Vermatschte Hosen trocken,
nun steif wie seine Glieder.
Statt tanzen nur noch hocken - (Bindestrich finde ich auch gut)
verklungen sind die Lieder.

Er sitzt dort wie ein Stumpf,
spricht Gleiches immer wieder.
Und all die Worte fallen dumpf[]
wie faule Kirschen nieder.

Wie Dir sicherlich aufgefallen ist, habe ich dann doch noch ein paar andere Anmerkungen:
Die Silbenzahlen Deines Gedichts: 7777 7777 6777
Veränderte Silbenanzahl: 7776 7777 6787
Nun mag der ein oder andere vielleicht sagen: Oh mein Gott. Jetzt hat sie es ja noch unregelmäßiger gemacht. Das muss man doch Glätten!
Meine Begründung:
Zeile 4 in Strophe 1 kann aus meiner Sicht ruhig kürzer sein. Lieber zu kurz als zu lang in diesem Fall, da er etwas verloren hat. Etwas kommt bei ihm zu kurz. (Soetwas kommt unbewusst beim Leser an - meine Meinung.)
Aber eKy hat aus meiner Sicht recht, dass die Melodie in Deiner Erstversion gestört ist.
In Zeile 3 in Strophe 3 sollte das "Und" groß geschrieben werden, damit es stärker ins Gewicht fällt. Denn hier kommt das Finale! Ich habe "all" dazwischen gesetzt, um den Klang zu erhöhen. Die Verlängerung der Zeile lässt das Gedicht ausklingen. Hier bekommt der Leser die Chance die Worte fallen zu sehen. Die Verlängerung erhöht die Aufmerksamkeit. Zudem hat eKy recht, dass "und die" den Sprachfluss hemmt.
(Wenn Du das nicht magst, würde ich das "Und" dann weglassen und das "All" stehen lassen.)
Dadurch dass die Silbenzahl noch etwas unregelmäßiger ist, kann das Gedicht besser Atmen, wird ungleichförmiger, was wichtig ist, um den Inhalt zu unterstreichen.

Was ich zuvor über Dein Gedicht gesagt habe, hat sich ansonsten nicht geändert. Das hier wären nur Feinabstimmungen.
Eines der besten Gedichte hier im Forum!

Liebe Grüße
Encki
Ex-Encki ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.10.2011, 02:16   #10
männlich Martin Laut
 
Benutzerbild von Martin Laut
 
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Beiträge: 370

Danke für die weiteren Kommentare.

Encki:
Deine beiden neuen Kommentare haben mich sehr gefreut.
Ich lasse mir alles durch den Kopf gehen.
Du hast richtig erkannt, wieso ich ,,Vermatschte´´ gewählt habe.
(Nebenbei, ich mag ,,Kinderdeutsch´´)


Über die 3 Zeile der 3 Strophe bin ich mir noch unsicher...
Ich werde sowohl deinen, als auch Erichs Vorschlag überdenken.


Jack:
Super auch dein Gefallen gefunden zu haben.
Sein Kind ist aber tot, er ist vergammelt.
Martin Laut ist offline   Mit Zitat antworten
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