Baumler bei Poetry.de

Martin Laut · 09.10.2011, 12:09

An einem faulverfransten Seile hängt,
auf ewig im Vergessen eingefroren,
entkleidet bleich, ein Mann, sein Haupt gesenkt,
der Wind der Zeit heult klamm um taube Ohren,
lässt Laub erzittern, Tauben wittern Tod,
und gurren auf dem leeren Aste kühl,
der kahl und immerfest zu halten droht,
sein Schatten liegt, so wie ein Schmerzgefühl,
in farbentristes Bodengrau vertieft,
der Baumler mieft von feiger Todesflucht,
sodass er Memmenmoder, Schande trieft,
sein Bodenblick geht in die schwarze Schlucht,
ins Leere, nicht gezielt, nach nichts geschielt,
die Hülle hohl, die Haut ist hingerottet,
er baumelt wie das Pendel einer Uhr,
wie von der großen, bösen Zeit verspottet,
an einer dicken, rauhen Fransenschnur
und hat, das Haupt zurecht gesenkt, verspielt.

Ex-Jack · 09.10.2011, 14:42

Du meine Güte!!!

Große Klasse!!!
Spitze! Beeindruckend!

Mit einer solchen Farbkraft formuliert...mit Sprache gemaltes Szenario, klar erkennbarer Duktus...was für eine Spannung und atmosphärische Dichte!
Groß!

Liebe Grüße,
Jack

Thing · 09.10.2011, 15:54

Halli Hallo, Martin Laut -

das ist gut komponiert, auch von der Interpunktion her.
Ich rätsle, ob ein bestimmter Baumler gemeint ist, oder nur eine "Geistesrichtung" am Galgen hängt.
Hat es mit Krieg/Feldjägern/"Feigheit vor dem Feind"/Vaterlandsverrätern/Partisanen etc. zu tun?

Ich bin irritiert.
Und aufgewühlt.

LG
Thing

Erich Kykal · 09.10.2011, 16:43

Ich sehe das halbverweste Gerippe im Winde schaukeln...

...und war doch Mensch, war voll Gefühl und Wollen,
war einer der Bescheidenen, der Geilen und der Tollen,
die atmen, töten, lügen, lieben, hassen,.... - leben!
Und was von alledem hat ihm den Rest gegeben...?

Sehr gern gelesen!
(Gut, dass bei uns derlei nicht mehr zu sehen ist...)

LG, eKy

09.10.2011, 12:09	#1
Martin Laut Dabei seit: 04/2009 Alter: 33 Beiträge: 370 Meine Gedichte Meine Favoriten	Baumler An einem faulverfransten Seile hängt, auf ewig im Vergessen eingefroren, entkleidet bleich, ein Mann, sein Haupt gesenkt, der Wind der Zeit heult klamm um taube Ohren, lässt Laub erzittern, Tauben wittern Tod, und gurren auf dem leeren Aste kühl, der kahl und immerfest zu halten droht, sein Schatten liegt, so wie ein Schmerzgefühl, in farbentristes Bodengrau vertieft, der Baumler mieft von feiger Todesflucht, sodass er Memmenmoder, Schande trieft, sein Bodenblick geht in die schwarze Schlucht, ins Leere, nicht gezielt, nach nichts geschielt, die Hülle hohl, die Haut ist hingerottet, er baumelt wie das Pendel einer Uhr, wie von der großen, bösen Zeit verspottet, an einer dicken, rauhen Fransenschnur und hat, das Haupt zurecht gesenkt, verspielt.

09.10.2011, 14:42	#2
Ex-Jack abgemeldet Dabei seit: 05/2011 Beiträge: 954 Meine Gedichte Meine Favoriten	Du meine Güte!!! Große Klasse!!! Spitze! Beeindruckend! Mit einer solchen Farbkraft formuliert...mit Sprache gemaltes Szenario, klar erkennbarer Duktus...was für eine Spannung und atmosphärische Dichte! Groß! Liebe Grüße, Jack

09.10.2011, 15:54	#3
Thing R.I.P. Dabei seit: 05/2010 Beiträge: 34.998 Meine Gedichte Meine Favoriten	Halli Hallo, Martin Laut - das ist gut komponiert, auch von der Interpunktion her. Ich rätsle, ob ein bestimmter Baumler gemeint ist, oder nur eine "Geistesrichtung" am Galgen hängt. Hat es mit Krieg/Feldjägern/"Feigheit vor dem Feind"/Vaterlandsverrätern/Partisanen etc. zu tun? Ich bin irritiert. Und aufgewühlt. LG Thing

09.10.2011, 16:43	#4
Erich Kykal Dabei seit: 09/2011 Ort: Österreich Alter: 59 Beiträge: 876 Meine Gedichte	Ich sehe das halbverweste Gerippe im Winde schaukeln... ...und war doch Mensch, war voll Gefühl und Wollen, war einer der Bescheidenen, der Geilen und der Tollen, die atmen, töten, lügen, lieben, hassen,.... - leben! Und was von alledem hat ihm den Rest gegeben...? Sehr gern gelesen! (Gut, dass bei uns derlei nicht mehr zu sehen ist...) LG, eKy