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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen.

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Alt 26.04.2014, 14:49   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Standard Der Denker

Ich sitze, in drängendes Denken gekauert,
das Kinn auf dem Rücken der Hand aufgestützt,
ein Nackter, der nichts als sich selber besitzt,
auf kippendem Weltstumpf, vom Wahnsinn umlauert,

und denke mir alles so sinnlich ins Leben,
die Lust ohne Sünde, die kopflose Gier,
und pflanze im Denken in jeden sein Tier,
um Menschen bereichert ins Dasein zu heben.

Denn ist nicht ein Fallen vor allem Beginnen
und drängt nicht erst Eros den schlafenden Keim
zum Wachsen, den Mensch aus dem traulichen Heim
ins bildende Schaffen mit all seinen Sinnen?



Nach: A. Rodin: Der Denker (Plastik aus dem Höllentor)
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.04.2014, 15:20   #2
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073

Klasse, gummibaum!

Wie lange muss man schreiben, um so geschmeidig und gehaltvoll schreiben zu können?
Nur eine rhetorische Frage.

Mit der letzten Strophe hast du mich vollends gepackt. Ja, das sind und bleiben
wohl die stärksten Antriebe für Kunst jeder Art.

alles Liebe,
simba
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.04.2014, 15:43   #3
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Standard Hallo, Gummibaum -

den ersten Absatz von Simbaladung kann ich bedenkenlos unterschreiben.

aber ist wirklich Eros der stärkste Antrieb, Kunst zu schaffen?

Den Rodin habe ich jetzt plastisch vor Augen (er begegnet einem zudem fast täglich).



LG
Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.04.2014, 16:25   #4
männlich Ex-Poesieger
abgemeldet
 
Dabei seit: 11/2009
Beiträge: 7.220

Du bist nicht umlauert, sondern umfasst.

LG RS
Ex-Poesieger ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.04.2014, 16:55   #5
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo simba,

ich habe nicht auf die Uhr geschaut. So drei Stunden etwa.


Lieber Thing,

ich glaube schon, wenn man die sublmierten Formen von Eros einbezieht.


Hallo Poesieger,

das Wilde will denkend ausgehalten sein. Darum: umlauert.


Vielen Dank. Interessant dazu: Rilkes Interpretation (s.u.). LG gummibaum

http://www.textlog.de/3685.html
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.04.2014, 17:01   #6
männlich Ex-Poesieger
abgemeldet
 
Dabei seit: 11/2009
Beiträge: 7.220

Das war noch höflich von mir, aber insgeheim war mir klar, dass du ein erfasst bestätigen würdest.

LG RS
Ex-Poesieger ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.04.2014, 11:18   #7
männlich Beteigeuze
 
Benutzerbild von Beteigeuze
 
Dabei seit: 03/2014
Alter: 51
Beiträge: 113

Hallo, gummibaum!

Dies Gedicht finde ich großartig. Ich kenne natürlich die Plastik und habe Rodin damals sozusagen über Rilke kennengelernt Von daher eine schöne Kombination, die mir eigentlich auch gefallen musste

LG
Beteigeuze

P.S.
Besonders gefällt mir hier der Vers:

Zitat:
und pflanze im Denken in jeden sein Tier
Beteigeuze ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.04.2014, 18:18   #8
weiblich Rosmarie
 
Benutzerbild von Rosmarie
 
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Ort: Pfalz
Alter: 77
Beiträge: 591

Lieber Gummibaum,

sogar ohne den Hinweis auf Rodins Denker, hat mich dein Gedicht völlig in seinen Bann gezogen.

Was mich fasziniert, ist der große Bogen, den du entwirfst und den du so scheinbar leicht und mühelos in sich schlüssig zu Ende bringst.

Großartig!

Einen schönen Abend!
Rosmarie
Rosmarie ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.04.2014, 20:37   #9
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

bewundernder gruß!
shoshin
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Alt 28.04.2014, 20:51   #10
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

ps. ich brauch bitte noch eine erläuterung:
"und pflanze im denken in jeden sein tier,"
das li denkt sich das nur aus, es also nicht wahr?
das tier=eros, der den menschen erst bereichert..?
"ein fallen vor allem beginnen"..erkennen, das gerade diese
"tierischen" eigenschaften uns ausmachen?
aber warum dann erst mit dem denken pflanzen,
was ja schon längst gepflanzt ist,
was eigentlich unsere wurzeln sind?
bitte klär mich auf, sonst kann ich nicht ruhig schlafen
lg
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.04.2014, 21:01   #11
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Müssen eigentlich Gedichte seziert werden?

Sollen sie nicht im Ureigentlichen dem Leser Freiraum für die eigene Phantasie lassen?
Ich habe etwas Grundlegendes gegen die Bitte oder Forderung an den Dichter, seine Gedichte zu "erklären", "erläutern", "verständlich machen".


Wenn es um "Kryptisches" geht, bei dem wirklich kein Mensch verstehen kann (oder soll?), was gemeint ist -
da laß ich Gedicht einfach Gedicht sein.

Dies nur nebenbei.

Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.04.2014, 21:09   #12
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

du hast recht, lieber thing!
ich nehme meine blöden fragen wieder zurück, lieber gummibaum!
das eine ist deins und das andere meins.
ich komm mir vor wie ein gehirnpirat! entschuldige bitte!
lg
shoshin
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Alt 28.04.2014, 21:28   #13
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Hallo Beteigeuze,

schön, dass du den Denker nochmals hochgeholt hast und ihn mit Lob be"denkst".


Hallo Rosmarie,

vielen Dank für deine freundlichen Worte. Ich freue mich.


Hallo shoshin,

ich bin gerade müde, werde vielleicht erst am Wochenende Erklärungen geben. Ich füge, damit du die Zeit bis dahin nicht schlaflos verbringen musst, ein paar Sätze Rilkes zu der Plastik an.

LG g

"Er (Rodin) gab Hunderten und Hunderten von Figuren, die nur ein wenig größer waren als seine Hände, das Leben aller Leidenschaften zu tragen, das Blühen aller Lüste und aller Laster Last. Er schuf Körper, die sich überall berührten und zusammenhielten wie ineinander verbissene Tiere, die als ein Ding in die Tiefe fallen; Leiber, die horchten wie Gesichter und ausholten wie Arme; Ketten von Leibern, Gewinde und Ranken, und schwere Trauben von Gestalten, in welche der Sunde Süße stieg aus den Wurzeln des Schmerzes...

... Im Rahmen ist von beiden Seiten ein Aufsteigen, ein Sich-empor-Ziehen und Hoch-Heben, in den Flügeln des Tores ein Fallen, Gleiten und Stürzen die herrschende Bewegung. Die Flügel treten ein wenig zurück, und ihr oberer Rand ist von dem vorspringenden Rand des Querrahmens noch durch eine ziemlich große Fläche getrennt. Vor diese, in den still geschlossenen Raum, ist die Gestalt des Denkers gesetzt, des Mannes, der die ganze Größe und alle Schrecken dieses Schauspieles sieht, weil er es denkt. Er sitzt versunken und stumm, schwer von Bildern und Gedanken, und alle seine Kraft (die die Kraft eines Handelnden ist) denkt. Sein ganzer Leib ist Schädel geworden und alles Blut in seinen Adern Gehirn. Er ist der Mittelpunkt des Tores, obwohl noch über ihm auf der Höhe des Rahmens drei Männer stehen. Die Tiefe wirkt auf sie und formt sie aus der Ferne. Sie haben ihre Köpfe zusammengebogen, ihre drei Arme sind vorgestreckt, laufen zusammen und zeigen hinunter auf dieselbe Stelle, in denselben Abgrund, welcher sie niederzieht mit seiner Schwere. Der Denker aber muß sie in sich tragen."


Lieber Thing,

du hast gerade gepostet, als ich das Voranstehende schrieb. Und, was du schreibst, tut mir gerade unendlich gut und enthebt mich auch der weiteren Erklärung zu dem Text, die ihn gewiss nur auf eine Formel verkürzen würde.

LG g
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.04.2014, 22:10   #14
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

danke!
ohne den denker gibt es all das gar nicht.
dass es derart "schönes schaffen" gibt,
das wir mit allen sinnen dann
tatsächlich wahrnehmen können,
haben wir dennoch dem denker zu verdanken,
der diese "last des denkens" austrägt.
träum schon, denker!
lg
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
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