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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 08.06.2008, 03:09   #1
Red Dragon
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 57

Standard Neongier – Bernsteinzier

Neongier – Bernsteinzier


Unter deinem zarten Lid, erwacht
ein blasses Neonauge blau erregt,
den Tränensturm sogleich entfacht,
auf Augensuche unentwegt.

Bernsteiniris meine Linse schmückt
ihr Fassettenglanz die Rundung eint.
Dein Neonauge wild verzückt,
aus Bernsteingier stumme Tränen weint.

Im wilden Reigen sieht man flehen,
weswegen blasse Neonsphären weinen,
da Bernsteinkugeln, Neon sehen
sie sich im letzten Blick vereinen.

Vom blassen Wasserfilm getragen
ein salz’ges Lied der Neongier,
der Tränen voller Bernsteinklagen,
solch neonhafte Bernsteinzier.


RD
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Alt 09.06.2008, 15:44   #2
blaue_Raupe
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 82

Hallo Red Dragon,


für sich einnehmen kann mich das Gedicht nicht, obwohl ich anfangs den Kontrast des Titels recht spannend fand und auch nicht von ihm auf ein Augenmotiv als Stützpfeiler des Gesamten gekommen wäre.
Nachdem ich dann auch den zugehörigen Text kannte, bin ich mehr mit dem Gefühl zurückgeblieben, dass der Verfasser im winzigen Augenbild aus allen Rohren geschossen hat und sich Kontrast anstatt einer halbwegs tragenden Textbalance einzelner Elemente wesentlich störender bemerkbar macht als im Reiz des bloßen Titels.
Dem winzigen Augenbild, obwohl es gemeinhin bedeutungstragend und besonders aufladbar auftritt, ist das Grundgerüst des Textes aufgebürdet worden, über vier Strophen, und es scheint, dass der Schreiber drum bemüht war, es in Farbe und Konstellation attributiv mit einer Art dramatischem Moment aufzuziehen.
Was dem in meinem Verständnis allerdings quer geht, ist, dass es im Inhalt an Substanz fehlt.
Die Konstellation scheint recht einfach: zwei Menschen, eins neonblau- das andere bernsteinäugig, stehen vor ihrem Abschied, die Neonäugige heult. Das Bernsteinauge wird vielleicht sterben, zumindest ist in V3 von einem „letzten Blick“ die Rede.
Das berührt mich an dieser Stelle kein Stück. Eher wirkt das Gesamte wie ein sphärisches Airbrush-Bild, das mich allein noch nicht greift, weil Umstände, die zu einer inhaltlichen Dramatik, sprich Umständen und Gegebenheiten, denen die Personen vielleicht unterworfen sind, ausgeblendet wurden. Den bloßen Moment muss ich also erstmal so nehmen wie er ist und sehe: Bersteinauge geht, Neonauge heult. Das ist etwas blass und mager.
Wo ich oben die Textbalance angerissen habe, soll sie dann nicht vernachlässigt werden. Auch, weil einige Verse versatzstückhaft erscheinen und nicht mit dem Rest der inhaltlichen Verknüpfungen Hand in Hand gehen.
Dazu deshalb noch mal eine Strophenlupe:

Unter deinem zarten Lid, erwacht
ein blasses Neonauge blau erregt,
den Tränensturm sogleich entfacht,
auf Augensuche unentwegt.

(kein Komma nach „Lid“)
Der Einstieg geht noch, obwohl ich das „zarten“ überflüssig finde. V2 finde ich dagegen recht spannend, nicht zuletzt, weil im Assonanten keine Bildharmonie sondern diesmal ein verstörendes Flackern gezeichnet wird und ich die Kombination des Neon mit dem ausgerechnet blassen ganz gut finde als Zerrbild des Auge des anderen.
Dann kommt allerdings der erste Brecher: „den Tränensturm sogleich entfacht“. Urgs. Was du in V2 aufgebaut hast an einem filigraneren Gebilde, wird hier im Anschluss wieder gekickt, weil mit das Mammut „Tränensturm“ mehr ein Lächeln und ein Augenrollen entlockt, als mich weiterzuführend und einen Reiz, der aufbaut, darin zu sehen. Darin steckt eben ein Teil der Balacekritik.
Auf das anschlussgebende Personalpronomen in V3 hast du verzichtet, aber auch mit läse sich die Wendung unschön, nicht nur der Syntax wegen, sondern auch wegen des „entfachten (Tränen)Sturms“.
„Auf Augensuche unentwegt“, na ja, man kann sich denken, was du meinst und das Suchen des Neonauges nach den Augenpaaren anderer dazuzwicken, aber in seiner Nacktheit knüpft der vierte Vers mehr an das beinahe ungewollt Komische des „Tränensturms“ an – es bleibt eben dort eine beliebige „Augensuche“, von der man sich zunächst fragt, warum „ein Auge“ sie unternehmen sollte.
Durch die Knüpfungen in V2 ist in der ersten Strophe jedoch ein bisschen was rausgerissen. Das Bild hat mich erstmal bei der Stange gehalten. Zum Rest s.o.

Bernsteiniris meine Linse schmückt
ihr Fassettenglanz die Rundung eint.
Dein Neonauge wild verzückt,
aus Bernsteingier stumme Tränen weint.

Die zweite hingegen fällt gleich wieder ab für mich. Inhaltlich kann ich keine Kohärenz entdecken oder etwas für die Konstellation schwerpunkten, das Versatzstückhafte gewinnt die Oberhand. Gut, einem Menschen musstest du wohl Bernsteinaugen verpassen, um dem Titel Rechnung zu tragen, aber der Rest passt nicht zusammen.
„Bernsteiniris meine Linse schmückt“? Wirklich die Linse? Da scheint das Bild sachlich in Schieflage zu geraten.
V2 scheint weniger dem Inhalt des Ganzen, sondern mehr der Wortverliebtheit im Kontext geschuldet. „Der Fassettenglanz (sic!) der Bernsteiniris ‚eint die Rundung’“? Wie kann der Glanz die Rundung einen, die ohnehin da ist und durch das bloße Dasein der Iris begrenzt wird, da identisch?
Filtern lässt sich zumindest, dass in S2 wohl ein Wiedersehen stattfindet, zumindest deute ich die Verzückung so. Mit dem Begriff der „Bernsteingier“ suggerierst du mir al Leser allerdings zusätzliche Inhalte, die in dem schmalen Rahmen der Beziehung hier nichts zu suchen haben.
Richtig nervig wird’s dann aber mit den „stummen Tränen“ – schon wieder heult’se, und für meinen Geschmack brauchen Tränen nicht sonderlich oft noch eine Spezifizierung.
Es bleibt für S2: versatzstückhaft, inversionslastig, was wohl salbungsvoller klingen soll, aber nicht wett macht, dass der Inhalt weiter leidet.

Im wilden Reigen sieht man flehen,
weswegen blasse Neonsphären weinen,
da Bernsteinkugeln, Neon sehen
sie sich im letzten Blick vereinen.

(kein Komma nach „Bernsteinkugeln“)
In V1 würde eine Substantivierung Sinn ergeben, zumindest mehr, als die Konjugation, wo ich nicht mal die plötzlich auftauchenden „wilden Reigen“ verorten kann. Die scheinen dem Inhalt so fern, dass ich nicht mal mit viel Phantasie zu sehen vermag, was du hier wolltest und wo den welche Reigen (bestehend aus was?) wild sind.
Nun weinen Sphären … jagutäh. Hier bricht mir, wie du siehst, die Geschichte gänzlich weg, da du es auf die Spitze treibst, für ein und dasselbe Bild ständig große, bunte Begriffe zu suchen, die ich synonym handeln soll, die aber bei weitem nicht alle passen und geglückt sind. Inhaltlich komme ich auch nicht voran. Der Abschied, einer heult.

Vom blassen Wasserfilm getragen
ein salz’ges Lied der Neongier,
der Tränen voller Bernsteinklagen,
solch neonhafte Bernsteinzier.

Wieder heult einer. Wie kann ein Wasserfilm zusätzlich „blass“ sein? Und Schallwellen tragen? Nein, es geht mir nicht ein, da helfen auch allgemein positive konnotierte Begriffe wie „Lied“ nicht weiter. In der Werbung mag’s angehen, dass eben jenes gemeinhin positiv Konnotierte gebraucht wird, obwohl’s inhaltlich keine Rolle spielt. Hier würde ich mir aber mehr wünschen.
Nun heult also der bernsteinäugige Mensch, und im letzten Vers fusionieren immerhin ihre Farben und spielen auf den Titel an.

Abschließend bleibt für mich: große Worte, Verliebtheit in kontextuell gesetzte/entlehnte Begriffe, aber nicht genug dahinter, um einem zweiten Blick stand zu halten. Die Balance ist nicht da, inhaltlich sehr wenig auszugraben, das winzige Bild der Augen überladen und aufgerüscht, versetzt mit scheint’s nicht funktionsdienlicher Syntaxverwirrung und Klangelementen, die die magere Bildausbeute nicht verdecken können.
Vielleicht würde es helfen, Ansätze zum Text erstmal sintern zu lassen, um mehr Bilder und Knüpfteppiche à S1 V2 zu produzieren, und die inhaltsdichte zu erhöhen. Wenn kaum was zu finden ist hinter der bunten wohlmeinend gefühligen Oberfläche, kippe ich dir als eingangs interessierter Leser weg.

Soweit diesmal zugegebenermaßen viele Worte aus dem blauen Resonanzkörper.

VG
r~~~
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