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Alt 12.07.2011, 16:05   #1
männlich Cash
 
Dabei seit: 11/2006
Alter: 38
Beiträge: 21

Standard Kopfabfall

Kopfaball

Im Mülleimer seines Kopfes, zusammengeknüllt lag es am Boden. Ein Gedanke im Niemandsland:

Natürlich bin ich krank. Im Kopf. Ich höre keine Stimmen. Aber ich spreche mit mir selbst. Weil es hilft. Gegen die Einsamkeit. Gegen das Gefühl der Nutzlosigkeit. Der Wertlosigkeit. Kinder erfinden sich einen imaginären Freund. Und obwohl du real bist, bist du schon lange nicht mehr da. Du bist meine Medizin gewesen, mein Heilmittel. Du hast mir gut getan. Du hast mich verändert. Ich bin das erste Mal glücklich gewesen. Und dann bist du gegangen. Peu à peu. Wie ein Geist hast du dich im Laufe der Zeit aus meinem Leben geschlichen. Weil es wichtigeres für dich gab. Witzigeres. Interessanteres. Ich habe dir wehgetan. Und jetzt tust du mir weh. Ausgeglichene Gerechtigkeit. Ich habe es verdient.

Du fokussierst dich auf dein Studium. Auf dein Erwachsenseinwollen. Ich vermisse deine Unbekümmertheit, deine herrliche Arroganz. Die mainstreamferne positive Beklopptheit. Ich habe es als „verrückt“ bezeichnet, im schönsten aller Sinne. Du wolltest nicht so genannt werden, also ließ ich es bleiben.

Manchmal wolltest du in den Arm genommen werden. Einfach so. Manchmal habe ich dich in den Arm genommen, weil ich das Gefühl hatte, es würde dir gut tun. Und das tat es auch. Aber irgendwann nicht mehr. Irgendwann war es dir egal.

Manchmal hast du mich gefragt, ob ich die noch lieb haben würde. Mehrmals. Immer wieder. Ich habe mit Ja geantwortet. Weil es stimmte. Irgendwann war es dir egal. Du hast nicht mehr gefragt.

Du hast gesagt, wir wären Seelenpartner. Nicht zu mir, aber ich habe davon gehört. Ich weiß nicht, was das ist. Ich weiß nur, ich habe alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Ich habe dich verletzt, und im Nachhinein zu sagen, ich wäre nicht Herr meiner Sinne gewesen, macht es nicht besser. Ich habe nie geglaubt, dass du mich lieben würdest. Du hattest einen Freund. Ich war damals schon ein großer Haufen traurig-nutzlosen Fleisches. Ich weiß bis heute nicht, warum du überhaupt Zeit mit mir verbringen wolltest, aber du hast es getan. Und es war wunderschön. Den Gedanken, dass die in mir aufkeimende Liebe auf Erwiderung treffen würde, ließ mein Verstand nicht zu. Warum sollte es diesmal anders sein, als die unzähligen Male zuvor. Ich habe dir nicht gesagt, wie ich für dich empfinde. Stattdessen habe ich mich verpisst. Ich wollte nicht schon wieder eines der alleszerberstenden „Neins“ hören. Anstatt enttäuscht zu werden, wollte ich zumindest einmal die frühzeitige Ausfahrt nehmen. Ich konnte nicht ahnen, wie viel ich dir bedeutet habe.

Ein kompletter Entzug von dir erschien mir als die sinnvollste Alternative. Zu wissen (weil es diese verdammte Stimme immer wieder einredet), dass ich mit dir nicht glücklich werden könnte, war einfach zu belastend. Also zeigte ich dir die kalte Schulter. Ich wusste, ich würde dir damit wehtun. Ich habe es immer wieder gesehen. Und wenn ich nicht so ein Arschloch gewesen wäre, ein so fragiler Haufen Scheiße, ein so feiger Bastard, ein krankes Nichts, vielleicht hätte ich den Mut und den Verstand aufgebracht, zu dir zu gehen, um dir zu erklären, warum ich deine Nähe nicht ertragen konnte. Und dabei war es das einzige, was ich brauchte.

Einmal dagegen ankämpfen, mit der Absicht nicht versagen zu wollen, und genau dann wäre es möglich gewesen. Ironie.

Du hast gelacht. Und du warst bockig. Du bist nicht normal, und das ist nicht etwa eine Beleidigung, sondern vielmehr eine Huldigung. Normal sein kann jeder, du bist wirklich einzigartig. Wirklich besonders. Frech und vorlaut. Kreativ und witzig. Unglaublich spontan. Du faszinierst und inspirierst. Du baust auf und reißt ein. Deine Worte verletzen. Und sind Balsam. Du bist ein wandelnder Widerspruch. Nicht frei von Fehlern, bist du in meinen Augen trotzallem Perfekt. Und jetzt bist du weg.

Und meldest dich nicht mehr.

An dich zu denken ist Qual. Nicht zu wissen, wie es dir geht, deine Stimme zu hören, ist Qual. Aus einem Seelenpartner wurde ein „guter Freund“ wurde ein „flüchtiger Bekannter“. Wie soll man das ertragen? Du sollst wissen, dass ich dich noch liebe, gleichwohl es dich nicht interessiert. Du bist der Grund, warum es mich noch gibt. Mein personifiziertes Serotonin. Aber die Wirkung lässt nach.
Cash ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.07.2011, 18:26   #2
männlich Ex-Jack
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2011
Beiträge: 954

Hallo Cash,

das ist super geschrieben.
Schonungslos weißt Du, was Du tust.
Mich hat es im Innersten erschüttert, denke an eigene Situationen...
Ich bin tief beeindruckt von der Intensität Deines Textes.

Liebe Grüße,
Jack
Ex-Jack ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.07.2011, 19:07   #3
männlich Cash
 
Dabei seit: 11/2006
Alter: 38
Beiträge: 21

Vielen Dank. Die Worte bildeten sich vor einigen Wochen, als die Erinnerungen mal wieder Überhand genommen hatten. Dann ist man wohl am ehrlichsten.
Cash ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.01.2012, 19:26   #4
weiblich Ex-WUI
 
Dabei seit: 09/2018
Beiträge: 1.057

Hallo Cash

Ich glaub besser hätte man es nicht schreiben können. Faszinierend.

Irre Grüße
Ex-WUI ist offline   Mit Zitat antworten
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