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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 13.08.2016, 01:41   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Tag und Nacht

Die Wahrheit kommt mir viel zu spät zu tragen,
ich weiß mit ihr nicht hin, nicht her, wohin.
Erkennen kann ich in ihr keinen Sinn
nach vielen tausend wunderschönen Tagen.

Wie konntest du mich so perfekt betrügen,
und wie hast du es jahrelang geschafft,
wie Takelage, musterhaft gerafft
für stärksten Sturmwind, skrupellos zu lügen?

Verdammt, der mich zur Wahrheit zugeritten,
wobei er unter meine Nase rieb
ein jeden Namen deiner Lust und Lieb:
Sie lachten über meine Treu und Sitten!

Die Sonne hat die ganze Zeit geschwiegen
und nicht ein Fünkchen an den Tag gebracht,
du magst in deinem Heim dich sicher wiegen,
doch beichte Gott in deiner letzten Nacht.

13.08.2016
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Alt 13.08.2016, 03:57   #2
männlich Heinz
 
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Standard Tag und Nacht

Hallo, Ilka-Maria,
für das LI waren wohl die vielen Tausend Tage, also ein paar Jahre, der helle Tag im Leben, danach kam die Nacht der Enttäuschung, dunkler als sonst, weil
die Sonne trotz Chamissos Behauptung, sie brächte es an den Tag, ihrer Pflicht nicht nachkam und sich stattdessen zum Komplizen des Betrügers erniedrigte.
Die Protagonisten
Sie:
- Wegen mangelnder/zu später Erkenntnis stinkesauer
- hat viele wunderschöne Jahre erlebt
- wurde skrupellos betrogen und belogen
- wurde zur Wahrheit zugeritten
- musste sich sogar die Namen der Damen unter die Nase reiben lassen
- verdammt den Schuft
- wird wegen ihres sittsamen Verhaltens und gehaltener Treue ausgelacht
- verlangt, dass er seine Sünden in seiner letzten Nacht beichtet

Er
- belügt und betrügt sie jahrelang (mit mehreren Frauen)
- kann seinen guten Ruf geschickt bewahren
- mag sich in seinem Heim sicher fühlen
- lacht über ihre Naivität
- verletzt sie durch brutale Offenlegung seiner Eskapaden

Sonne
- schweigt und richtet sich nicht nach dem Gedichttitel Chamissos "Die Sonne bringt es an den Tag"

Zur Form: Durchgängig jambische Fünfheber, drei Strophen umarmende Reime, letzte Strophe kreuzgereimt. Zu den Reimen selbst schweigt des Sängers Höflichkeit. Bei verschiedenen Versen schüttelt er leise den Kopf.
Ilka-Maria, was soll dieser katastrophale Beginn:
"Die Wahrheit kommt mir viel zu spät zu tragen," ?
Und was soll das:
wie Takelage, musterhaft gerafft
für stärksten Sturmwind, skrupellos zu lügen?

Den Vergleich - hier musterhaft geraffte Takelage für stärksten Sturmwind - da - die skrupellose Betrügerei und Verlogenheit - radffe ich nicht, um in der Seemannssprache zu bleiben.
In seiner letzten Nacht soll der Schuft beichten (der Sinn der Beichte ist ja wohl, von den Sünden frei gesprochen zu werden), also steht seiner Himmelfahrt nichts mehr im Wege. Doch wann kommt seine letzte Nacht?
Das Ding geht schief für den Rüpel.

Liebe Ilka-Maria, Du legst offensichtlich großen Wert (verzeih, wenn ich Goethe zitiere) auf das Iphigenie-Wort: Zwischen uns sei Wahrheit!
So sei es auch zwischen uns: Das Gedicht, würde ich es als erstes in diesem Forum lesen, hätte eine abschreckende Wirkung auf mich. Mit anderen Worten:
Die uralte Geschichte zwischen Mann und Frau in teils seltsame Verse gepackt, lockt keinen Hund hinter dem Ofen hervor.

Gruß,
Heinz
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Alt 13.08.2016, 08:23   #3
Thing
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Sehr, seht!

Heinz hat gesprochen, geurteilt, abgeurteilt.


So, wie ich Ilka-Maria kenne, geht ihr das an den hinteren Oberbeinen vorbei.
Und ich finds gut.
Und ich kann mir was unter den gerefften Segeln vorstellen.
Und ich kann mir was unter der Sonne vorstellen, die eben nichts an den Tag brachte.
Und ich meine zu wissen, warum er beichten soll.

Für mich ist das Gedicht gelungen.
Aber vielleicht bin ich ja zu unmodern, um es zu zerreißen.

LG
Thing
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Alt 13.08.2016, 08:58   #4
männlich Heinz
 
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Standard Tag und Nacht

Hallo, Thing
der eine sagt so, der andere sagt was anderes - wäre ja auch konisch, wenn alle die gleiche Meinung haben. Unter gerefften Segeln kann ich mir auch was vorstellen, ich brauche nur mit meiner Tochter und meinem Schwiegersohn mal mit zu segeln, aber im Moment schippern die in der nördlichen Ostsee herum (und glaubten bis gestern wegen der Temperaturen bei Grönland zu sein.
Auch die Sonne ist mir nicht unbekannt, die heute wohl vorhat, kräftig zu scheinen. Für eine Beichte sind ja hinreichend Gründe genannt - warten wir ab.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 13.08.2016, 09:08   #5
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Liebe Ilka-Maria, Du legst offensichtlich großen Wert (verzeih, wenn ich Goethe zitiere) auf das Iphigenie-Wort: Zwischen uns sei Wahrheit!
Lieber Heinz,

das Gedicht spiegelt keine Teile meines eigenen Wertekanons wider. Mir persönlich ist es egal, ob mir jemand die Wahrheit sagt oder nicht, da ich an niemanden derart emotional gebunden bin, dass dies eine Bedeutung für mich haben könnte. Kurz gesagt: Das LI hat mit mir darüber hinaus, dass ich die Verfasserin des Gedichts bin, nichts zu tun.

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Das Gedicht, würde ich es als erstes in diesem Forum lesen, hätte eine abschreckende Wirkung auf mich.
Mit welchen Folgen? Wäre das von Bedeutung?

Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Die uralte Geschichte zwischen Mann und Frau in teils seltsame Verse gepackt, lockt keinen Hund hinter dem Ofen hervor.
Da kann man nichts machen, dass sich die uralten Geschichten ständig wiederholen. Davon wissen alle Autoren und Regisseure von der Antike bis zu Hollywood ein Lied zu singen. Vielleicht liegt es daran, dass sich der Mensch seit der Steinzeit nicht verändert hat. Ein kluger Regisseur hat alle Geschichten, die jemals geschrieben oder gefilmt wurden, auf eine simple Formel gebracht: "Boy meets girl."

Übrigens: Für Hunde habe ich das Gedicht nicht geschrieben - auch nicht für intellektuelle Hunde.

Danke für die ausführliche Kommentierung, ich weiß die Arbeit, die Du hineingesteckt hast, zu schätzen.
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Alt 13.08.2016, 09:31   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Und ich kann mir was unter den gerefften Segeln vorstellen.
Danke für den Kommentar, Thing.

"reffen" hätte als Reim nicht gepasst, meine Recherche hat aber ergeben, dass "die Segel raffen" durchaus gebräuchlich ist.

Im Mittelhochdeutschen waren die Wörter "raffen" und "reffen" bedeutungsgleich (dtv Etymologisches Wörterbuch der Deutschen).

http://www.welt.de/print-welt/articl...die-Segel.html

http://www.lz.de/lippe/kreis_lippe/4...orch-Fock.html

LG
Ilka
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Alt 13.08.2016, 09:45   #7
Thing
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Dann eben geraffte Segel.
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Alt 13.08.2016, 09:48   #8
männlich Heinz
 
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Standard Tag und Nacht

Guten Morgen, Ilka-Maria,
ich habe nicht ein einziges Mal einen Bezug zwischen Dir und dem LI vermutet oder angedeutet, sondern sage gleich zu Beginn meines Kommentars "für das LI waren wohl die vielen Tausend Tage, also ein paar Jahre, der helle Tag im Leben, danach kam die Nacht der Enttäuschung, dunkler als sonst, weil..." . Dass ich herauslese, dass es dem LI dreckig geht, weil es belogen und betrogen wurde und Dir als Verfasserin unterstelle wahrheitsliebend zu sein, ist doch kein Verbrechen, sondern eher eine Anerkennung eines begrüßenswerten Charakterzuges. Gegen das Segelraffen habe ich doch gar nichts - nur das "gemalte" Bild passte nicht in meine Vorstellung. Auch gegen eine Behandlung des uralten Themas habe ich nichts, das mache ich doch selbst am laufenden Band, nur die Art der Behandlung missfiel mir (andere sehen das gewiss anders) und verlockte mich zu der Bemerkung, das Gedicht locke keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Du würdest doch auch nicht nach Ungeziefer suchen, wenn jemand sagt: Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?
Wenn ich mich so eingehend mit einem Gedicht beschäftige, ist das per se ein Kompliment - intellektuelle Hunde bellen ganz anders.
Ein schönes Wochenende!
Heinz
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Alt 13.08.2016, 12:33   #9
männlich Nöck
 
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Liebe Ilka,

mir gefallen die aussagekräftigen Metaphern und die gekonnten Enjambements.

Besonders gelungen finde ich diesen Vers:

Zitat:
Verdammt, der mich zur Wahrheit zugeritten,
Das hat was. Nehmen wir mal an, das LI ist weiblich, dann ist sie immer die Unterlegene gewesen, gerade so wie ein nichtsahnendes Pferd. Oben sitzt der Mann wie John Wayne oder Crazy Horse, bereit, die Sporen bzw. die Mokassins in die Flanke zu hauen.

Das Gedicht gefällt mir richtig gut, nicht zuletzt wegen des umarmenden Reimes und dem stetigen Wechsel der Kadenzen. Das bringt Dynamik.

Liebe Grüße
Nöck
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Alt 13.08.2016, 12:43   #10
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
ich habe nicht ein einziges Mal einen Bezug zwischen Dir und dem LI vermutet oder angedeutet, sondern sage gleich zu Beginn meines Kommentars "für das LI waren wohl die vielen Tausend Tage, also ein paar Jahre, der helle Tag im Leben, danach kam die Nacht der Enttäuschung, dunkler als sonst, weil..."l
Doch, das hast Du. Also hör auf mit diesen Spitzfindigkeiten. Ich habe genau die Stelle von Dir zitiert, auf die es hier ankommt:

Zitat:
Liebe Ilka-Maria, Du legst offensichtlich großen Wert (verzeih, wenn ich Goethe zitiere) auf das Iphigenie-Wort: Zwischen uns sei Wahrheit!
Du hast deutlich einen Bezug vom Gedicht zum meinem Wertedenken als Autorin gezogen. Deutlicher geht es gar nicht. Aber da Du ohnehin falsch liegst, ist es eigentlich wurst.

Die Metaphern ... na ja, da verstehe ich Deine Probleme. Was für den einen Leser eingängig ist, entlockt einem anderen nur Kopfschütteln. Nimm es einfach als Experiment. Ein Tischbein ist schließlich auch kein Bein, sondern nur eine runde oder eckige Stelze.
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Alt 13.08.2016, 12:51   #11
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Nöck Beitrag anzeigen
...
mir gefallen die aussagekräftigen Metaphern und die gekonnten Enjambements.
Freut mich, Nöck, dass ich Dich positiv unterhalten konnte.

LG
Ilka
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Alt 13.08.2016, 20:15   #12
männlich Heinz
 
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Heinz: Hab ich nicht!
Ilka-M.: Hast du doch!
Heinz: Nee, hab ich nicht!
Ilka-M.: Doch, hast du!
Heinz: Nee, lies doch mal richtig!
Ilka-M.: Ich lese immer richtig!
Heinz: Aber hier nicht!
Ilka-M.: Ich sagte "immer"!
Heinz: Aber du kannst dich auch mal irren!
Ilka-M.: Ich und irren? Spinnst du?
Heinz: Nee!
Ilka-M.: Du fühlst dich als wärest du Gott!
Heinz: Und du bist die Göttin?
Ilka-M.: Nee, aber eine selbstbewusste Frau!
Heinz: Die keine Kritik vertragen kann!
Ilka-M.: Gute Kritik ist mein Lebenselixier!
Heinz: Ich habe sachlich kommentiert!
Ilka-M.: Du hast persönliche Bezüge zum LI hergestellt!
Heinz: Hab ich nicht!
Ilka-M.: Hast du doch!
Heinz: Du hast wieder einmal Unrecht!
Ilka-M.: Hab ich nicht! Beweis mir das mal!
Heinz: Nee, Damen will ich nicht verärgern!
Ilka-M.: "Dame" geht mir am Oberschenkelansatz vorbei!
Heinz: Jeder irrt sich mal!
Ilka-M.: Du ganz besonders oft!
Heinz: Du lenkst ab!
Ilka-M.: Ich gebe dir nur die passenden Antworten!
Heinz: Du irrst dich schon wieder!
Ilka-M.: Ich hab doch schon gesagt: Ich irre mich nie!
Heinz: Ich kanns beweisen!
Ilka-N.: Was kannst du schon beweisen?
Heinz: Dass du dich auch mal irrst!
Ilka-M.: Versuch mal, ich lach mich kaputt!
Heinz: Und wenn ich Recht habe?
Ilka-M.: Hast du nicht!
Heinz: Hab ich doch!
Ilka-M.: Dann rück mal raus!
Heinz: Und wenn ich Recht habe?
Ilka-M.: Darfst Du, ähhh, noch mal kritisieren!
Heinz: Ohne, dass du sauer wirst?
Ilka-M.: Ich bin nie sauer!
Heinz: Na gut: Wie war das mit den Emsen?
Ilka-M.: Was willst du mit Emsen?
Heinz: Dir unter die Bluse stecken.
Ilka-M.: Was sollen Emsen unter meiner Bluse?
Heinz: Dich zwicken!
Ilka-M.: Welche Emsen meinst du?
Heinz: Die Emsen, die Burgen bauen!
Ilka-M.: Blödmann!
Heinz: Ich wusste doch, dass du mich ins Herz geschlossen hast!
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