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22.07.2009, 09:15 | #1 |
Forumsleitung
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Begegnung
Als ich den Hauptweg des Friedhofs entlangging, sah ich von weitem einen alten Mann auf einer Holzbank sitzen, die hochgewachsene knorrige Gestalt nach vorne geneigt und gegen einen Gehstock gestemmt, dessen Griff er mit beiden Händen hielt. Ich kam näher und erkannte ihn sofort, obwohl er noch älter war, als ich ihn in Erinnerung hatte. „Vater?“ fragte ich irritiert. „Was machst du hier?“
Seine hellgrauen Augen blickten mich an. „Ich habe auf dich gewartet. Ich wollte dir danken, daß du dich um das Grab kümmerst.“ Ich dachte angestrengt darüber nach, wessen Grab er wohl meinte, fand aber in meinem Gedächtnis nicht den geringsten Anhaltspunkt. Während mein Kopf noch arbeitete, fiel mir auf, daß das Gesicht meines Vaters unter dem weißen Haar durchscheinend wirkte, und unwillkürlich mußte ich an einen Engel denken. „Wo ist deine Mutter, warum hast du sie nicht mitgebracht?“ unterbrach er meine Gedanken. „Es ist zu weit und zu umständlich, sie abzuholen und wieder zurück nach Hause zu fahren.“ Er blickte mich fragend an. „Weißt Du, sie mußte umziehen … sich eine kleinere Wohnung nehmen, die bezahlbar ist. Die Rente reicht gerade so.“ Er schüttelte verständnislos den Kopf und stand auf. „Ich begleite dich ein Stück. Dort hinten gibt es auch Bänke, da kann ich mich wieder hinsetzen.“ Während wir gingen, wurde mir bewußt, daß ich meinen Vater vor vier Jahren zum letzten Mal gesehen hatte. Kein Wunder, daß er mir jetzt älter vorkam als in meiner Erinnerung, er war es ja auch. Am Steinbrunnen angekommen, setzte er sich auf die Bank an der Wegkreuzung, während ich eine Gießkanne vom Metallständer nahm und Wasser schöpfte. „Ich hätte deine Mutter gerne mal wiedergesehen,“ rief er mir zu. „Aber eigentlich habe ich alles immer nur falsch gemacht.“ „Unsinn,“ beruhigte ich ihn. „Du hast zwar einiges auf dem Kerbholz, aber so schlimm ist es auch wieder nicht. Ich weiß, daß sie dich vermißt. Du wartest hier, und wenn ich fertig bin, nehme ich dich mit. Ich bringe dich nach Hause - zu Mutter.“ Während ich zum Grab ging, überfiel mich eine seltsame Trance. Die Flure, die mir vertraut sein sollten, kamen mir plötzlich unwirklich vor, geradezu gespenstisch. Wie ein Schlafwandler fand ich zum richtigen Grab und ließ das Wasser aus der Gießkanne auf die Blumen perlen - eine Ewigkeit lang, wie mir schien. Wie zufällig hob ich dabei die Augen, und mein Blick fiel auf den Grabstein, der in weißer Inschrift den Namen meines Vaters trug. Als ich zur Bank hinübersah, war sie leer. © Ilka-M., 6. Juli 2008 |
22.07.2009, 11:53 | #2 |
Wirklich schön geschrieben, Ilka Maria.
Ich konnte beim lesen garnicht den Blick davon wenden, es war wirklich schön fesselnd, toll geschrieben! |
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15.08.2009, 00:19 | #3 |
Liebe Ilka,
kann es sein, dass Du den Tod Deines Vaters noch nicht verarbeitet hast? Deine Geschichte macht mich sehr traurig und glücklich zugleich. Aber sie ist mir auch ein wenig unheimlich. Wie verbunden musst Du mit Deinem Vater gewesen sein, dass er Dir dort erschienen ist. Liebe Grüße von Rena |
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15.08.2009, 00:29 | #4 |
Forumsleitung
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Liebe Rena,
es ist ganz einfach: Als mein Vater gestorben war, wußte ich, daß ich darüber niemals hinwegkommen würde und ich es deshalb erst gar nicht versuchen brauchte. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Trauer verarbeiten oder denen Tränen helfen. Ein traurige Grundstimmung ist bei mir sowieso seit frühester Jugend vorhanden. Ich lebe einfach damit, punktum. Vielleicht ist es aber auch meine Art der Verarbeitung, Geschichten und Gedichte zu schreiben. Mein Gedicht "Gevatter Tod" ist auch kurze Zeit nach dem Tod meines Vaters entstanden. Das heißt nicht, daß ich keinen Sinn für die sonnigen Seiten des Daseins habe. Ich kann auch humorvolle Sachen schreiben. LG Ilka-M. |
16.08.2009, 18:21 | #5 |
Liebe Ilka,
ich verstehe Dich. Vielleicht ist Schreiben wirklich eine Art der Verarbeitung. Wenn ich mal ganz unten war, habe ich mir meinen Kummer ins Tagebuch geschrieben... Liebe Grüße von Rena |
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