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Alt 22.10.2007, 18:38   #1
deserted-monkey
 
Dabei seit: 10/2007
Beiträge: 1

Standard Blutiger Rinnstein

Meine zitternden Finger, die ungeschickt versuchen, eine Zigarette zu drehen. Nach einiger Zeit gelingt es ihnen sogar. Ist schwerer als man denkt, so eine Selbstgedrehte richtig zu rollen. Führe langsam die Hand mit dem letzten Tabak im Blättchen zum Mund, lecke. Mein Speichel ist von feinen Blutfäden durchzogen, es geht zu Ende mit mir.
Spüre keine Schmerzen mehr, der ganze Körper ist schon taub geworden. Lasse den schwindenden Blick über die Straße schweifen, niemand hier, niemand zu sehen. Doch, da ganz weit vorne im flimmernden Sonnenlicht, sitzt ein kleiner Junge oder ein kleines Mädchen an einer Hauswand, genau wie ich. Nur als ein weit entfernter schwarzer Punkt ist die Gestalt in meinem Auge zu erkennen, sie spielt Gitarre, leise dringt ihr Geklimper an meine Ohren. Kenne die Melodie nicht, aber sie klingt so beruhigend. Klingt so endgültig.
Die Gestalt mit ihrer Gitarre erscheint mir wie eine Spiegelung meiner selbst, nur steht sie am Anfang des Lebens und ich an dessen Ende. Und ich besaß nie eine Gitarre, auch wenn ich es gerne getan hätte.
Die Steinmauer hinter mir ist zerlöchert von duzenden Geschossen, die allesamt ihr Ziel verfehlt haben, alle, außer zweien. Oder waren es drei?
Blut trieft aus zerfetzten Löchern in meinem Magen und mit jedem Tropfen, verlässt mich ein weiteres Stück des Lebens. Spüre es, wie es fließt. Dauert nicht mehr lange.
Vor mit, getränkt in meinem eigenen Blut, liegt mein nutzlos gewordener Revolver, halb gegen mich gerichtet. Aus meiner Magengegend ergießt sich ein roter Fluss, fließt unter einem alten, klapperigen Ford Pick-Up hindurch und versickert im sandigen Rinnstein. Verschwindet in der Straßenmitte im vergitterten Gulli, ich kann ihn gut sehen von hier.
Viermal versuche ich vergebens ein Streichholz anzureißen, beim fünften gelingt es mir und der Tabak knistert trocken, als ich ihn anzünde. Inhaliere tief, genieße, wahrscheinlich zum letzten Mal. Mit einer nun mehr trägen als hastigen Bewegung stoße ich mit meinem bestiefelten Fuß gegen den Revolver, die Spore klirrt auf dem Beton. Wie ein Karussell dreht sich die blutige Waffe um sich selbst, kommt zum stehen. Nun zielt die schwarze Öffnung genau gegen meine Genitalien.
Ist nicht mehr viel zu tun, wenn man im Sterben liegt.
Clay. Clay, komm her. Die Stimme, sanft und beinahe wehmütig klingend, vernehme ich sie, schaue mich um. Meine Sicht beginnt Schlieren zu ziehen. Nichts.
Das Geklimper flaut ab, wird dann hektischer. Wie in einem Traum lasse ich den Blick zu der Gestalt wandern, aber sie ist verschwunden. Die Melodie noch da, umspielt mich wie der Wind die tanzenden Sandkörner.
Clay, ich kann dir helfen.
Beinahe will mein Mund eine Antwort geben, aber er kann ohnehin nicht mehr. Die unbekannte Stimme umschwirrt mich leise wie die unbekannte Musik, leeren Blickes starre ich die Straße hinunter, dorthin, wo die Sonne als roter Feuerball hinter den Häusern verschwindet. Ich bin ganz allein mit ihr.
Ich bin hier unten, Clay. Komm ich helfe dir.
Nun vermag mein halbtoter Verstand die Stimme ungefähr zu orten, sie kommt aus dem vergitterten Gulli in der Straßenmitte. Es muss so sein, aber wer mag sich dort unten verstecken? Wer ist das, der meinen Namen kennt?
Kann nicht schlimmer kommen, ich fasse einen Entschluss. Will zum Gulli, um den Besitzer der Stimme zu sehen, das Letzte, was ich in meinem Leben tun werde. Das Letzte.
Krampfhaft beuge ich mich nach vorne, Schmerzen explodieren in meinem Unterleib. Sind bestimmt fünf Kugeln. So gut es geht versuche ich die brodelnde Schmerzensglut in meinem Magen zu ignorieren, nicht ohnmächtig zu werden. Schmerzt so sehr, nie mehr blaue Bohnen zum Nachtisch, nie mehr. Das Schmerzempfinden meines Körpers löst die Taubheit ab, immerhin ein Zeichen, dass ich noch lebe. Fragt sich nur, wie lange noch.
Aber lange bestimmt nicht mehr, muss schnell handeln. Mit großer Mühe und der Ohnmacht nahe, gelingt es mir, mich flach auf den Bauch zu legen. Spüre das Eisen des Revolvers unter meiner Brust, ist noch leicht warm. Vor wenigen Minuten noch hat es mich beschützt, nun ist es wertlos geworden. So, wie es eigentlich immer hätte sein sollen.
Muss die Mitte der Straße erreichen, strecke den linken Arm aus, beginne zu kriechen. Höllische Pein brennt sich durch meinen sterbenden Körper, raubt mir den letzten Atem, aber ich gebe noch nicht auf. Kann noch nicht, muss weiter.
Dann habe ich den ersten Schritt geschafft, liege auf der dreckigen Straße, halb unter dem alten Pick-Up. Lausche, ob ich die geheimnisvolle Stimme erneut hören kann, doch es bleibt ruhig. Die Musik ist ebenfalls verstummt. Nicht einmal der Wind ist zu hören, es ist totenstill geworden.
Doch plötzlich, mit wachsendem Grauen, erkenne ich, dass sich der Pick-Up über mir in Bewegung setzt. Rollt langsam und gemächlich nach vorne, die Räder drehen sich träge. Staub wirbelt auf.
Ich muss hier weg, sonst werde ich überrollt. Aber sterben tue ich sowieso, ist es die Mühe wert? Mir bleibt keine Zeit zu überlegen, die Räder kommen knirschend durch den Sand auf mich zu. Immer näher.
Verzweifelt versuche ich mich nach vorne zu bewegen, meine strampelnden Beine graben im lockeren Untergrund, Staub wird die Straße hinuntergetragen. Schaffe es nicht rechtzeitig, bin nun genau unter dem Wagen. Er rollt. Kann jeden einzelnen Knochen knacken und brechen hören, als er mir über beide Beine fährt. Kein Schmerz macht sich breit, nichts, es fühlt sich an, als wären meine Beine abgetrennt und nicht mehr da. Die Ohnmacht kommt näher.
Dann ist der Wagen über mich hinweg, rollt weiter die Straße hinunter, der Sonne entgegen. Oberhalb meiner Füße, dort wo das Gewicht des Pick-Up meine Beine in den Staub gedrückt hatte, sehe ich die gebrochenen Knochen aus schleimigen Fleischballen aus der Haut hinausstechen. Ich würge und spucke einen blutigen Klumpen in den Sand. Meine Kehle brennt wie Feuer, meine Lunge sticht wie der Giftstachel eines Skorpions.
Versuche weiterzukommen, werfe meine Arme aus und ziehe mich ein kleines Stück nach vorne. Es funktioniert, bald habe ich den Gulli erreicht. Hoffentlich war die Stimme nicht nur Einbildung, vielleicht ist es der Tod, der dort unten auf mich wartet.
Habe ihn erreicht, noch eine letzte Anstrengung, dann kann ich in ihn hinuntersehen. Meine Finger bekommen das Gitter zu fassen, ziehe mich nach vorne. Geschafft. Mein Blick fällt nach unten. Beinahe schreie ich, so etwas habe ich nicht erwartet. Dort unten wartet nicht der Tod auf mich.
Aus roten, glasigen Augen blickt mich die Gestalt mit der Gitarre an, es ist ein kleiner Junge, dass erkenne ich nun gut. Zu gut. Er ist skalpiert worden, Blut trieft ihm über das ganze Gesicht, durch das Fleisch hindurch kann ich sein Gehirn sehen. Grinsend blickt er zu mir hoch, sämtliche Zähne sind ihm ausgeschlagen, seine Kleidung zerfetzt und blutdurchtränkt. Auf seinem Rücken ruht die Gitarre, die ich zuvor gehört habe.
Bin zu keiner Bewegung mehr fähig, mein malträtierter Körper gibt endgültig den Geist auf, ist wie versteinert.
Clay, komm zu mir herunter.
Die Lippen bewegen sich nicht, als er spricht, aber seine Augen und sein Mund lächeln. Ein solch süßes Kind.
Komm, Clay, hab keine Angst.
Doch ich habe Angst. Kann dass der Tod sein? Wird mich der kleine Junge mit hinübernehmen? Nein, ich glaube nicht daran. Ich halluziniere. Die einzig plausible Erklärung. Will endlich sterben, wie lange muss die Tortur noch andauern?
Plötzlich ist das Gitter des Gullis verschwunden, wie in Luft aufgelöst, mein Körper sackt nach vorne. Hänge kopfüber in den stinkenden Gulli hinunter, nur meine Beine halten mich noch oben, aber ich rutsche. Blicke in die Augen des Jungen dort unter mir, sehe, wie sie sich verändern. Nun sind es meine Augen, in die ich sehe, kaltes Entsetzen nimmt von mir Besitz, doch ich registriere es beinahe nicht mehr.
Die Augen des Jungen, die meine sind, beginnen zu weinen, aber sie weinen keine Tränen, sondern dickflüssiges, klebriges Blut. All das Blut, dass ich vergossen habe.
Es hat ein Ende, Clay. Endlich ist es vorbei.
Ich nicke. Endlich ist es vorbei, der Junge hat Recht. Gleite weiter nach unten, der Junge streckt mir die Hand entgegen. Ich ergreife sie, fühlt sich kalt und leblos an, wie mein Herz. Es hat ein Ende.
Komm nach unten. Komm zu uns.
Ja, ich komme. Ich komme. Nein.
Bevor ich vollends nach unten falle, sehe ich, wie das Abwasser zu steigen beginnt, aber es ist kein Wasser, es ist Blut. Das Blut meiner getöteten Feinde, ich kann ihre aufgedunsenen Gesichter darin herumschwimmen sehen. Dann kippe ich ohne Halt nach vorne, verschwinde im Gulli, der Junge empfängt mich lächelnd mit offenen Armen. Mit einem Platsch! Lande ich kopfüber in dem blubbernden Blut, es verschluckt mich, die Gitarre ist das Letzte, was ich höre, dann zersetzt sich mein Körper und mein Geist, die Dunkelheit kommt.

Ein kleiner Junge sitzt an einer Hauswand, spielt Gitarre, für den nächsten hier. Ein Pick-Up rollt die Straße hinunter, Blut klebt an seinen Reifen, versickert im Rinnstein. Die Sonne glüht wie ein rotes Auge, Staub weht über die einsame Straße. Das Lied endet nie.
deserted-monkey ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.12.2007, 22:23   #2
Schattenwolf
 
Dabei seit: 09/2006
Beiträge: 62


Hat in mir irgendwie Erinnerungen an "Last Man Standing" vermischt mit welchen an "Sin City" geweckt, warum weiß ich nicht.
Ich finde deine Geschichte sehr interessant, allerdings ist mir der Anfang in zu abgehackten Sätzen geschrieben, sonst bin ich mit der Sprache eigentlich zufrieden.

Gruß Schattenwolf
Schattenwolf ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.12.2007, 16:13   #3
Askeron
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 59


Hallo deserted-monkey,

wieder so ein One-Hit-User Nicht wundern, aber wer nicht kommentiert wird meist auch nicht kommentiert. Kommen wir aber direkt zu deinem Text.

Der Anfang hat mich schon ein wenig an Desperado erinnert. Liegt wohl an dem Jungen mit der Gitarre.

Die arg abgehackten Sätze zu Beginn stören das Lesenvergnügen, aber im späteren Verlauf fällt das nicht mehr weiter auf. Nochmal Korrekturlesen würde auch ein paar Flüchtigkeitsfehler beseitigen.

Zwei kleine Details zum Thema Verwundung. Blut aus dem Magen? Ok der Magen kann bluten, aber in dem Moment ist die Magensäure, die innere Organe angreift wohl ein größeres Problem.
Wie ein roter Fluß blutet er über den Boden unter dem Pickup durch bis zur Mitte der Straße? Gegen ein blutiges Rinsal spricht hier nichts, nur ein Fluß hätte ihm bei der Entfernung schon das Bewutßtsein wenn nicht sogar das Leben genommen, unabhängig davon wie cool und zäh er ist.

Inhaltlich gibt es eigentlich wenig zu beanstanden. Der Plot um den Gringo der nach einer Schießerei im Sterben liegt und vermutlich von einem seiner letzten Opfer in eine Art Hölle gezogen wird ist in Ordnung. An ein paar Stellen happert die Sache noch, während das Ende hingegen solide Kost ist, nichts Neues aber gut umgesetzt. Eine Zeitschleife wäre sicher auch eine Alternative gewesen, dummerweise gab es das auch schon x-mal. Alles in allem ein interessanter Text, der noch ausbaufähig gewesen wäre.

MfG

Askeron
Askeron ist offline   Mit Zitat antworten
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