Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Humorvolles und Verborgenes

Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 05.10.2018, 16:26   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Standard Der Ring des Polykrates

Ganz Samos fürchtet den Bezwinger
und ehrt ihn doch und schätzt sein Glück.
Ich kröne funkelnd ihm den Finger
und lenke heimlich sein Geschick.

Soeben prahlt er vor dem König
Ägyptens hoch auf dem Palast:
„Dies alles ist mir untertänig!
Bin ich nicht glücklich, werter Gast?“

Der Gast mag dies nur halb bejahen
und warnt: „Du bist noch nicht am Ziel.
Noch lebt ein Feind und kann bald nahen.“
Ich hör’s und hab die Hand im Spiel.

Und kaum, dass er das Wort gesprochen,
erscheint der Bote aus Milet:
„Der Feind sank hin, vom Speer durchstochen!“
Er zeigt den Kopf, der tropft und geht.

Mein Stein beginnt vergnügt zu blinken.
Der Gast jedoch erschaudert sehr
und mahnt: „Noch kann die Flotte sinken,
und all dein Glück ertrinkt im Meer.“

Mein Glanz eilt fort, und ohne Schaden
durch wilder Wogen Urgewalt
erreicht die Flotte, reich beladen
mit Beute, unsern Hafen bald.

Der Kreter Schiffe sind dagegen
versprengt und greifen nicht mehr an.
Der Gast ist sprachlos, ihn bewegen
Gedanken, wie das enden kann:

„Mein Freund, dein Glück ist sehr gefährlich.
Es weckt der Götter Zorn und Neid.
Drum opfere, was unentbehrlich
erscheint und strafe dich durch Leid.“

Ein Schreck durchfährt mich, und tatsächlich
streift der Tyrann im Wankelmut
vom Finger mich und wirft mich plötzlich
im hohen Bogen in die Flut.

Nun ruf ich selbst, der dinglich Schwache,
das Opfer auf dem Meeresgrund,
die Götter an, und ihre Rache
spült mich in einen großen Schlund.

Noch ist es dunkel in dem Fische,
dann fängt man ihn, ich kehr zurück.
Der Koch zeigt mich dem Gast bei Tische
und rühmt des Ringbesitzers Glück.

Der Gast erblasst, er fühlt die Neige
des Glückes, das schon bald entflieht.
Er schifft sich ein, und ich verschweige,
was nun mit meinem Herrn geschieht...


(nach Schillers Ballade)

Geändert von gummibaum (05.10.2018 um 19:24 Uhr)
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.10.2018, 16:26   #2
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Nachwort: Schiller lässt offen, was weiter mit Polykrates passiert. Mit Schillers Quelle, Herodot, ließe sich dem Gedicht eine 13. Strophe hinzufügen:

Der Gast erblasst, er fühlt die Neige
des Glückes, das schon bald entflieht.
Er schifft sich ein, und ich verschweige
am liebsten, was danach geschieht:

Mein Herr schenkt einem das Vertrauen,
der ihm die Macht nimmt und gewährt,
zum Hohn am Kreuz sein Reich zu schauen,
was mir das Göttliche entehrt...
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.10.2018, 21:59   #3
weiblich Ex-Serpentina
abgemeldet
 
Dabei seit: 04/2018
Ort: Zwischen den Gedanken
Alter: 57
Beiträge: 697

Lieber gummibaum,

Danke für die intelligente Perspektivenerweiterung.

LG,
Serpentina
Ex-Serpentina ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.10.2018, 10:27   #4
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909

Danke, gern geschehen, liebe Serpentina.
Wünsche dir einen schönen Sonntag.

Gruß gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Der Ring des Polykrates

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Ein Ring gummibaum Philosophisches und Nachdenkliches 0 19.05.2017 23:31
Polykrates gummibaum Düstere Welten und Abgründiges 5 02.09.2015 23:44
Ring around... Silent Winter Internationale Gedichte 2 01.02.2006 15:30


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.