Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Sonstiges und Experimentelles

Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 09.04.2006, 17:57   #1
Schwarzlicht
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 9

Standard Aus meinen Tagebüchern ( I )

I

Die Seele ist ein geistreicher Einzelgänger. Der Körper dagegen, geht mit der Masse. Ich gehe umher in einem Park, in der Ferne haftet Sonnenlicht auf einem Autodach. Ich sehe zwei Menschen bei einer Parkbank. Die Frau sitzt auf ihr, die Beine gekreuzt, sie schaut auf den Boden. Der Mann steht vor der Bank, seitlich von ihr. Vor ihm steht ein Baum, er beobachtet am Baum vorbei blickend die entgegenkommenden Leute. Einige Schritte weiter sitzt eine alte Frau. Um ihren eingefallenen Mund ziehen sich Falten zusammen, in den Rillen der Lippen lagert sich der Lippenstift ab. Sonnenlicht fällt auf einen Baum unter dem eine Frau steht. Die Sonne entkleidet ihr Gesicht. Indem ihr Schein sie aus dem dunklen Fleck zieht verliert sie ihren Schutz. Nun ist ihr Blick für jedermann erkennbar und sie sucht wieder Schatten. Das Licht schwimmt über Blätter und Gesichter, in Häusern sammelt es sich. Die Materie als Gefängnis des Lichtes. Es steht im Raum ohne die Wände durchdringen zu können. Im Herbst ist der Kontrast gegenwärtigst. Die braunen Bäume bei der Schau aus dem Fenster während ich im Neonlicht sitze. Die Abgrenzung von Mensch und Natur. Von weitem kann ich ein Kind erkennen. Er umfasst einen langen Ast, bewegt ihn emsig und ziellos. Er streckt die Arme von sich, den Stock in der linken Hand dreht er sich singend im Kreis. Ich gehe an ihm vorüber, seine Augen schauen zu mir auf. Den Mund offen dreht er sich weiter. Ich betrete meine Wohnung. Die Umzugskartons sind noch verschlossen, ich will sie nicht öffnen. Ich weiß nicht warum ich sie überhaupt mitnahm. Ich stelle das Radio an. Klassik ist die einzig zeitlose Musik. Die Umsetzung innerer Regungen in Töne. Eine Klangabbildung des emotionalen Lebens, als würden die Gefühle des Spielenden zu Bewegungen auf dem Instrument. Eine simultane Übersetzung, Klassik ist metaphysisch, sie ist keine Materie und kann nur in den Seelen, durch sie zum Körper werden. Sie spiegelt sich in ihr wieder. Die Seele in der Musik, die Musik in der Seele. Der Grobgeistige schweige in der Natur! Diese Leute ekeln mich. Sie verleiden mir den Sonntag mit ihren Banalitäten.. Außerhalb meiner Wohnung finde ich keinen Ort der Ruhe. Den Lebensunwillen, den ich vergangene Woche unter den Menschen spürte, war Ekel vor dieser Zivilisation. Dieser Ekel wird mich nicht durch die Kenntnis seiner Ursache verlassen. Ich gehe zurück, vorbei an einer Baustelle. Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen zur Baustelle und das im Wagen sitzende Kind staunt den Bagger an, dessen Hand die Erde aufnimmt, während sich der Arm anspannt. Wieder begegnet mir eine Alte. Die Gesichtszüge alter Menschen sind so klar wie die eines Kindes. Wenn sie lächeln ist es nur ein Lächeln. Im Lächeln junger Menschen erkennt man meist Koketterie. Erst durch das Nichtmehr vorhanden sein der jugendlicher Erotik, wird die Mimik wieder ursprünglich. Ich gehe durch die Stadt und die Temperatur beträgt mindestens 34 Grad. Ich gehe an einem Krankenhaus vorbei. Die Patienten legen die Unterarme auf die Fensterbank und lehnen sich mit dem Oberkörper aus dem Fenster, die Blicke wie Gefangene - Gefangene im eigenen Körper. Vor mir auf dem Bürgersteig geht eine Frau in einem knöchellangen Kleid. Neben mir lärmt eine Schulklasse. Die Ranzen der Kinder sind breiter als ihr Rücken. Die Jungen pfeifen und rufen der Frau vor mir Anzüglichkeiten zu. Die Zufriedenheit in ihrem Gesicht weicht der Erwartung, die Mimik regungslos, die Augenpartie etwas angespannt blickt sie die beiden Lehrer an. Diese lachen. Die Augenpartie und Augenbrauen der Frau ziehen sich zusammen, ihre Nasolabialfalte wird deutlich erkennbar. Während das Lachen der Lehrer konstant bleibt, werden der Kinder Rufe lauter, ihr Inhalt ordinärer. Sie geht nach links, nach ihr die Schulklasse, ich gehe weiter geradeaus in die Richtung meiner Wohnung. Mit jedem Schritt entfernen sich die Stimmen und das Gelächter der Kinder und Lehrer, nur der Frau Gesichtsausdruck bleibt mir noch einige Minuten im Gedächtnis. Als er verschwindet ist es still, ich höre wie der Wind über den Sand auf dem Boden streicht. In meinem Wohnzimmer stelle ich den Fernseher an. Ein Mann spielt Violine, unter den Lidern kann man die rotierenden Augen erahnen. Er ist in sich, in der Musik. In seinem Gesicht wird die Musik, ihre Hoffnung, ihre Verzweiflung sichtbar. Der Komponist überträgt Gefühle auf ein Stück und das Stück überträgt diese auf den Spielenden und den Hörenden. Die Tiefe, die Ehrlichkeit dieses Gefühlsausdrucks, der oft extreme Wechsel zwischen ihnen, löst, wie im Jazz der Rhythmus und Melodienwechsel, diese unstillbare Anziehung im Hörenden aus. Man will die Musik verinnerlichen, im Gedächtnis wahren um sie abrufbar werden zu lassen. Doch mit der Abrufbarkeit würde sie unwiederbringlich ihre Anziehung verlieren. Durch die Schwierigkeit Klassik und Jazz zu verinnerlichen verlieren sie für den Hörenden nicht ihre Schönheit. Im Gegensatz zur Popmusik, deren Einseitigkeit des Rhythmus und der Melodie sie schnell störend werden lässt. Ich sitze auf einer dem Spazierweg zugewandten Bank, hinter mir ist der Park. Eine Katze sitzt still an der selben Stelle, manchmal dreht sie den Kopf als warte sie auf Geschehnisse. Ich sehe zu einem Baum auf, als ich wieder runter sehe ist sie nicht mehr da. Eine Gruppe Kinder unterschiedlicher Größen. Die Vorderen spaßen. Der Betreuer schiebt einen Dicken im Rollstuhl, er lacht nicht. Er gehört nicht dazu, so kuckt er auch. Die Anderen rennen und flapsen, wie bewusst sich die Kinder ihres Körpers sind und sein dürfen. Ich warte auf Momente wie auf die Ankunft eines Menschen. Immer wieder Fahrradfahrer. Elegant, holprig, ermüdet, sportlich, gelangweilt, kurvig, strebend fahrende Menschen. Ich drehe den Oberkörper zum Park. Durch die Bäume schauend wird die Landschaft von diesen gerahmt, in diesem Bild bewegen sich die Menschen. So sehe ich die Bootfahrenden die sich mit der Strömung nach Osten treiben lassen, auf dem Wasser gleitend. Ein Mann steht am See, in Gedanken sich schon am gegenüberliegenden Ort befindend und in seinem ehrfürchtigen Gesichtsausdruck lobt er die Evolution. Das Ende des Momentes ist schmerzlich. Es ist der alltägliche kleine Tod inmitten des Lebens, die Bedingung für dessen Fortbestand. Das Verharren des Momentes wäre stillstand. Durch die Gegenwart der Vergänglichkeit spürt man das Leben. Unter der Sonne glänzt der Schweiß wie Silberpartikel während die Samen des Löwenzahns wie Insekten über die Wiese fliegen. Als ich heute morgen erwachte graute der Himmel die Stadt und Blitze durchschlugen meine Freude auf einen Sonntagsspaziergang. Ich blieb im Bett liegen und las den „Spiegel“. Am Nachmittag erhellte der Himmel wieder, ich duschte und ging in den Park. Auf dem Weg dorthin sah ich einen Mann, der Bonbons an Kinder verteilte. Ich wollte ihn nicht weiter beachten, doch er sah mich erbost an und unterstellte mir ich würde ihn für einen Pädophilen halten. Ich bestritt diese Behauptung, ich hätte nichts zu ihm gesagt. Darauf entgegnete er das ich dies nicht gebraucht hätte, mein Blick hätte alles gesagt. Allmählich ärgerte mich dieses Gespräch. Er dachte er müsse sich verteidigen und erklärte mir das er nur nett sein wollte. Nur weil er Süßigkeiten verschenke, hätte er noch lange keine sexuellen Absichten. Er empörte sich über die Gesellschaft, diese würde durch die Berichterstattung der Medien immer paranoider werden. Wir wären hier schon soweit das man als Mann keine Bonbons mehr verschenken könne ohne sich verdächtig zu machen. Ich betonte erneut ich hätte mir nichts gedacht. Er will mir nicht glauben und ich sehe keinen Sinn diese Unterhaltung weiter fortzuführen. Ich gehe weiter, er ruft mir etwas nach, ich höre es nicht mehr. Nicht die Gesellschaf ist paranoid, dieser Kerl ist es! Sein Verhalten hat nichts mit mir zu tun, ich bin mir sicher er hätte seinen Vorwurf in jedes andere Gesicht ebenfalls hineininterpretiert. Er erwartete bei seiner Schenkung das Misstrauen anderer, daher sah er es selbst in meinem teilnahmslosen Gesicht. Die Macht der Suggestion. Selbst wenn er pädophile Absichten gehabt hätte, es wäre mir egal gewesen. Vor einigen Jahren sah ich eine Mutter die ihr Kind schlug. Es umarmte sie und als es den Kopf hob und die Lippen zum Kuss spitze schlug sie es ins Gesicht und schimpfte sie wolle nicht gestört werden. Man kann es nicht ändern. Diese Leute wissen um die Fehler ihres Verhaltens, sie verdrängen diese Kenntnis und behalten ihr Fehlbenehmen bei. Ein Außenstehender kann durch eine Zurechtweisung diese Verdrängung bei manchen für den Moment aufheben, aber er kann den Rückfall ins alltägliche Verhalten dieser Leute nicht verhindern.

II

Sonntags ist die Stadt leer, weniger anstrengend. An Werktagen wird man oft angebettelt. Auch die Flyer verteilenden Jugendlichen haben zugenommen, in der Rezession wird aggressiver geworben. Es gibt immer mehr Fressbuden, die Imbissläden der Ketten sind strategisch neben oder vor großen Kaufhäusern platziert. Die Fressläden des Mittelstands stehen in deren Lücken, so das man bei fast jedem zehnten Schritt Fettnahrung kaufen kann. In einigen engen Straßen hindern die Anstehenden das Weitergehen der anderen Passanten. Von diesen sich wiederum ein paar ebenfalls anstellen und damit das Weitergehen der übrigen zusätzlich behindern. Oft, es ist wirklich kein Klischee, sind diese Leute dick oder sie sind dabei dick zu werden. Viele der Anstehenden sind Büroangestellte ohne Zeit, das Fett in diesem Imbissessen sättigt, die Portionen sind klein und schnell gegessen. Ein Handy klingelt in den Abend hinein. Ein Mann holt es aus seiner Jackentasche und rennt, das Handy am Ohr, in die Büsche. Ich bemerke die beginnende Langeweile, ich sollte zurückgehen, bevor sie bleiert und mich auf dieser Bank hält. Auf dem Heimweg regnet es. Die Tropfen sind warm, auf der Haut fühlen sie sich an wie Spucke; es ist widerlich. Unter dem Dach des Hinterhofes meines Wohnhauses sind Jugendliche. Wahrscheinlich wollten sie im Garten feiern und wurden durch den Regen in den Hof getrieben. Sie sitzen auf langen Holzbänken seitlich von einem ebenso langen Tisch, wie man sie in Biergärten und auf Volksfesten findet. Der Hof wird von Scheinwerfern angestrahlt, die Jugendlichen tuscheln, auf dem Tisch stehen Getränke. Musik wird gespielt. Es fehlt die Ausgelassenheit. Diese wird erst später mit steigendem Alkoholkonsum aufkommen. Die letzten Wochen waren zu heiß für Tätigkeiten außerhalb der Pflichten. Ich lag im Bett, las und hörte Richard D. James, während die Luftwellen des Ventilators meinen Körper umspülten. Es war unangenehm den Kälteschatten des Ventilators zu verlassen, in der Stadt hatte ich das Gefühl zu ersticken, es war als würde man Hitze anstatt Sauerstoff atmen. Ich wäre gern in Urlaub gefahren, mir stehen aber in diesem Jahr keine freien Tage mehr zu. Das Fernsehen zeigte immer wieder die selben Aufnahmen von Eis essenden Jugendlichen, Schwimmbadbesuchern und im Schatten sitzenden Alten, unterstrichen mit den aktuellen Sommerhits. Der Herbstübergang ist ungewohnt warm. Endlich kann ich wieder den Spaziergang genießen. Die Blätter fliegen in der Luft wie Vögel, kreisen zu Boden und knirschen unter meinen Schritten. Aus der Ferne sind die ersten Herbstflecken im Wald sichtbar. Graubraune, schwarzbraune und rotbraune Stellen, an den anderen Bäumen erahnt man die braunen Ränder der noch grünen Blätter. Im Herbst vergeht der Glanz der Natur, die Sonne glänzt nicht mehr, sie liegt auf dem matten Braun, trocknet es aus, bis es zerfällt. Am See lockt eine Mutter mit Brot Enten zu ihrem Kind. Der Kleine füttert sie, als die Enten ihn umringen kreischt er vor Freude und klatscht, als würde er den fressenden Tieren applaudieren. Nicht weit von ihnen sitzen die Greise mit ihren rotblähenden Köpfen, vor ihnen wellt Plastikfolie im Wasser. Die in sich gerollten Herbstblätter liegen am Boden wie braune Raupen, am Baum lassen sie dessen Äste wie Krallen erscheinen. Ich spüre meine Identität. In manchen Momenten fühlt man die Bedeutung solcher Wörter, aber sie lassen sich trotz ihrer Präsenz nicht definieren und begreifen. Gibt es oder könnte es jemanden geben, der die Bedeutung von Identität weiß, der sie in einem Satz erfassen kann? Oder ist der Mensch an sich unfähig dazu? Mit Würde oder Existenz verhält es sich ebenso. Die Menschen erläutern sie durch Beispiele, schreiben über sie, aber sie sind nicht fähig zu der einzig gültigen, genauen Definition. Obwohl es keine Gewissheit über Identität oder Würde gibt, ist beides dem Menschen wichtig, für viele sogar notwendig. Die Existenz. Das gesprochene Wort ist eine Halbexistenz: Der Klang bewegt sich im Raum, ist Schatten meiner Aussage, deren Bedeutung und Absicht der andere nur ahnen, deuten kann, während die Aussage in ihrem vollen Ausmaß in mir stecken bleibt. Weder das Wort, noch der vorhergehende Gedanke ist Materie. Das geschriebene Wort dagegen existiert für sich auf dem Papier, selbstständig und mit eigner Aussage. Deshalb meide ich das Briefe schreiben, ich möchte meine Gedanken nicht existent werden lassen. Ein Mückenschwarm über einer Wiese, Wolken ziehen auf und er wird im Ergrauen der Natur unsichtbar. Einige Sekunden später haben sich die Wolken wieder von der Sonne entfernt und diese malt den Umriss der Bäume an eine Wand, deren Bild im See schwimmt. Im Spätsommer wird die Natur geruchsärmer, im Winter richt man nichts mehr außer der Klarheit der Kälte. Ein Mädchen bittet mich mit Kindchengesicht um eine Zigarette. Ich antworte ihr, ich besäße keine, daraufhin verschwindet das Kindchengesicht und ihre Erbostheit schaut mich an. Ich ärgere mich über dieses verlogene Bittgesicht. Der Ärger verhindert die weitere Betrachtung der Natur, ich bin zur Heimkehr gezwungen. Bäume röten und orangen die Straßen, in den Büschen rotblauen Beeren. Der Wind bewegt das grüne Netz an einem Baugerüst. In diesen Bewegungen huscht das Licht wie der weiße Schatten eines Menschen, deshalb dachte ich zuerst das Netz würde die Schatten der vorübergehenden Leute zeigen, bis mir kurz darauf die Unmöglichkeit dieser Erscheinung einfiel. Wie man sich trotz aller Wissenschaftlichkeit immer wieder zu solchen Schlüssen hinreißen lässt! Als ob man sich heimlich nach Wunderbarem sehnt und diese Sehnsucht im unbedachten Moment ins Denken dringt. Im nächsten Jahr werde ich das“ Louvre“ besuchen. Ich frage mich ob allein die Kenntnis, es handelt sich um ein Meisterwerk, die Faszination für ein Bild auslöst oder ob man in der Betrachtung des Originals versteht warum das Bild ein Meisterwerk ist und das Verstehen zum Auslöser der Begeisterung wird. Nur die Betrachtung der „Mona Lisa“ könnte mich die Antwort erfahren lassen. Mir fällt es nicht leicht ein Meisterwerk Selbst zu erkennen und die Meinung der Allgemeinheit macht ein Bild für mich nicht zum Meisterwerk. Bei der „ Mona Lisa“ bin ich mir sicher. Mich stört die Gewissheit der morgigen Arbeit, die gern arbeitenden Kollegen. Ihr Lächeln ist für mich Zeichen der Unnachvollziehbarkeit meiner Abneigung gegen diese Arbeit. Ich arbeite nur um Geld zu verdienen. Ich verstehe nicht wie die anderen in diesen Sinnlosigkeiten, die wir jeden Tag erschaffen, Befriedigung finden können. Mich stört nicht die Sinnlosigkeit an sich, es ist die Erschaffung von Sinnlosem die mich anwidert. Es gibt genug gegebene Sinnlosigkeit, es ist pervers noch künstliche hinzu zufügen. Ich weiß nicht, welcher Beruf mir Freude bereiten würde. Ich habe schon viele Berufe ausgeübt von denen ich mir Befriedigung erhoffte, ich habe das Suchen aufgegeben. Am liebsten würde ich nie wieder arbeiten müssen, ohne Aufgaben vor mich hin leben. Die Orte an denen ich wohnte, haben mich alle nach spätestens zwei Jahren gelangweilt und ich bin umgezogen. Ich erwarte kein lang anhaltendes Wohlgefühl mehr. Ich habe mich an die Umzüge gewöhnt. Die Menschen sind überall gleich, ihre Körper, ihre Kleidung, ihr Benehmen. Die Städte werden sich zunehmend ähnlicher, die Atmosphäre des Stadtbildes wird durch die Monokultur großer Unternehmen beeinträchtigt, die Werbeflächen überdecken Kulturbauten oder ziehen die Aufmerksamkeit von ihnen weg; Durch die Ruhe der alten Architektur ruft die Aufforderung zum Konsum. Und die Menschen bemühen sich, je nach ihren finanziellen Möglichkeiten, dieser Aufforderung zu folgen. Sie dienen den Tag lang, um sich nach Ende der Arbeit bedienen lassen zu können, sie erschaffen Sinnloses damit sie Sinnloses kaufen können. Mich ekeln Städte wie las Vegas, die ausschließlich zum Konsum erbaut wurden, ohne die Möglichkeit zur Erahnung der Menschheitsgeschichte. Das Dasein ermüdet mich mit dem Alter, das Leben verliert an Neuheiten, das Heutige hat man so oder ähnlich früher schon einmal gesehen, gehört oder erlebt. Die Wahrscheinlichkeit Neues zu entdecken wird mit jedem Tag geringer. Das Alte wird untereinander zusammengesetzt, weiterentwickelt, wiedergefunden, als neu bezeichnet und von der jungen Generation als solches angesehen.
Schwarzlicht ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2006, 17:59   #2
Schwarzlicht
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 9

Standard Aus meinen Tagebüchern ( II )

IV

Im Büro spricht mich Pedro auf meine Absage an. Ich gehe nicht auf ihn ein, sage meine Eltern seien gestorben und das ich kündigen werde. Seine Augenbrauen heben sich, er presst die Lippen zusammen, sagt nichts. Ich betrete das Zimmer meiner Vorgesetzten und teile ihr meine fristgerechte Kündigung mit. Sie fragt nach meinem Grund, ich antworte meine Eltern seien verstorben und nach Erledigung der Formalitäten würde ich über ausreichend Geld verfügen um die nächsten Jahre nicht mehr Arbeiten zu müssen. Sie fragt mich ob sie mir helfen könne, ich antworte das ich gerne sofort die Arbeit beenden und als Gegenleistung auf die Abfindung verzichten würde. Sie ist einverstanden, ich müsse die nächsten Tage noch erscheinen, aber in der momentanen Arbeitsmarktsituation wäre es nicht schwer schnell Ersatz zu finden. Am Abend erhalte ich einen Anruf von dem Rechtsanwalt meiner Eltern. Sie hätten ihn mit der Organisation der Beerdigung und der Testamentsvollstreckung beauftragt. Sie hätten es unzumutbar gefunden mich als Trauernden mit Bürokratie zu belasten. Die Beerdigung sei nächsten Samstag um dreizehn Uhr auf dem Dorfsfriedhof. Danach würde er mir das Vermögen übertragen, wenn ich das Haus verkaufen wolle, würde er sich auch darum kümmern. Ich trage ihm auf dies zu tun. Er weist mich darauf hin in ihrem Dorf seien private Gedenkfeiern am Anschluss an die Beerdigung üblich. Das möchte ich nicht, ich habe keinen Bezug zu den Freunden meiner Eltern, ich möchte keine Erinnerungen mit ihnen austauschen. Die Sprechweise des Anwalts wird unfreundlicher, er verabschiedet sich kurz und legt auf. Der Verlust eines Menschen ist Verlust einer Selbstbespiegelung. Der Andere nimmt einen in einer bestimmten Weise wahr, man übernimmt diese Selbstwahrnehmung. Hat man sein eigenes Selbstbildnis nicht in sich stabilisiert, braucht man die Reflektion des anderen um sich selbst in dieser Art wahrzunehmen, wird dieser Verlust Schmerz erzeugen. Ersieht man die Reflektion als unwahr oder unangenehm wird ihr Verlust zur Befreiung. Im Fernsehen sehe ich einen Dokumentation über das Leben Marqui de Sades. Er beschrieb das Bordell in dem er verkehrte als ein „ Heim für unangepasste Mädchen.“ Welch Euphemismus! Im Gegensatz zu vielen anderen Euphemismen verklärt dieser nicht den Charakter des Beschriebenen. Diese Umschreibung ist auch Teil der Wahrheit. Aus den Köpfhörern meines CD-Spielers beschwingt „Come To Daddy“ von Aphex Twin. Ich lasse mich die Zugfahrt lang von ihm unterhalten. Ein Lehrer sagte mir damals der Walkman sei asozial. Er hat recht, das Gerät isoliert einem von der Umwelt, man kann während des Hörens nicht mit anderen reden, er blendet die Umgebungsgeräusche aus, die Musik beeinflusst die Wahrnehmung der Welt. Wie im Film wird die Musik zu einer Wertung des Bildes und manipuliert die Interpretation des Betrachters. Ich bin versucht einzuschlafen, will aber meine Station nicht versäumen. Ich drehe die Lautstärke hoch um mich wach zu halten. Der Zug fährt ungefähr zehn Kilometer pro Stunde, bis zu meiner Ankunft wird es noch einige Stunden dauern. Eine mehrstündige Hin- und Rückfahrt für ein Ereignis das höchstens zwei Stunden lang ist, ein Ärgernis. Ich bin verpflichtet an der Beerdigung teilzunehmen. Ich bin nicht sicher wem ich mehr verpflichtet bin, meinen Eltern oder der Gesellschaft. Die Beerdigung macht die Trauer öffentlich, eine offizielle Verabschiedung des Toten. Sie soll die Verarbeitung des Todes erleichtern. Dabei findet die Trennung im Inneren statt, sie lässt sich nicht mit anderen teilen. Die Worte die man spricht sind nur ein Schatten der Gefühle, die man ausdrücken will. Die Menschen ritualisieren Gefühle, sie versuchen die vom Gefühl verursachte Isolation zu durchbrechen. Für jede Empfindung die für sie Bedeutung hat, haben sie ein Ritual erfunden. Eine Veranstaltung deren Ablauf festen Regeln folgt und wenig Raum für Individualität lässt. Widersetzt man sich ihnen, gilt man als sonderbar. Als ob er die Freiheit fürchtet, erschafft sich der Mensch seine eigenen Zwänge. Die Gefangenschaft in wiederkehrenden Handlungsabläufen und Ereignissen verschafft ihm Sicherheit und Orientierung. Ich werde mich an einem Dämmerschlaf versuchen und nehme den Köpfhörer ab. Wenn ich in der Delta-Schlafphase verharre werde ich das Anhalten des Zuges spüren, während ich mich im Leichtschlaf erhole. Nach dem Schließen der Augen blitzen weiße Funken vor ihnen auf. Ich vermute jeder der im Licht seine Augen schließt kennt diese Erscheinungen, ich würde gerne wissen ob sie vom Auge oder durch das Gehirn verursacht werden. Ich spüre wie mich der Tiefschlaf lockt und widersetze mich ihm indem ich gelegentlich die Augen öffne. Ich betrete das gotische Bauwerk. Bescheiden ist es, weiß und braun, ein neuerer Bau. Der Altar wird durch die Sonne erleuchtet, die durch die Fenster fällt. Diese Gebäude streben immer zum Himmel und man muss den Hinterkopf in den Nacken legen um die Decke zu sehen. Die Gemeindemitglieder, unter ihnen der Anwalt sprechen mir ihr Beileid aus. Das Beileid: zu dem Leid des Betroffenen wird das Leid der Anderen beigefügt. Ich lasse sie beileiden, finde es dennoch unangenehm. Es ist der Gottesdienst vor der Beerdigung. Die Predigt interessiert mich nicht, ich höre nicht zu. Ihr Inhalt wird sich mit dem Tod und dem Leben danach beschäftigen. Ich betrachte die drei Fenster hinter dem Altar, deren Ornamente das Licht einfangen, so das ihre Farben strahlen, aber nicht Boden und Wände berühren. Die Predigthörer konzentrieren sich auf den Priester, spannen ihre Körper in Achtung vor seinen Worten. Danach folgt der Gang in Andacht. Im Friedhof stellt sich die Gruppe um die beiden ausgehobenen Erdlöcher, in denen die Holzsärge liegen. Der Boden ist nass, am Morgen regnete es, man richt die frische Grabung. An ihrem Ende, ein großer Grabstein, in den Namen und Lebensspanne meiner Eltern eingraviert wurde. Der Priester lobt meine Eltern als gute Christen, deren uneigennütziges Engagement der Gemeinde zu gute kam. Sie seien gute Menschen gewesen, die immer ein Ohr für die Nöte ihrer Freunde, Verwandten und Nachbarn gehabt hätten und sich beispielhaft um Notleidende gekümmert haben. Freundlich, großzügig, herzenswarm und fröhlich seien sie gewesen, herzensgute Menschen, die sich in ihrem Beruf als Ärzte und in ihrer Freizeit als Gläubige ihr Leben lang um das Leid ihrer Mitmenschen kümmerten. Diese Charakterisierung wirkt vorgefertigt. Er bemüht sich um ein dem Ereignis angemessenes Gesamtbild, das den Charakter der Beschriebenen reduziert und verfälscht.

V

Der Mensch ist nicht fähig die eigene Persönlichkeit vollständig zu erfassen. Ein Außenstehender vermag es noch weniger, trotzdem maßen sie es sich immer wieder an einen anderen zu beschreiben und zu beurteilen. Statt dieser Vielzahl an Unbeweisbarkeiten sollte man nur einen wahren Satz sagen: Sie waren Ärzte und Gottgläubige. Dem würden sie selbst und jeder der sie kannte zustimmen, es sind Fakten. Bei allem weiteren würde es Unterschiede zwischen den verschiedenen Fremdbildern und ihrem Selbstbild geben. Als der Pfarrer die Charakterisierung und das Beklagnis ihres Todes beendet, werfen die Teilnehmer Blumen und Erde auf die Särge. Ich hatte zu diesen Leuten kein Verhältnis. Als Kind waren wir bei manchen eingeladen, einige sind mir aus Gemeindeaktivitäten bekannt. In der Jugendreife zog ich mich zurück. Ich trenne mich von ihnen, sie bleiben am Grab und flüstern sich Trost zu. Der Anwalt sieht mich gehen, verabschiedet sich von der Gruppe und folgt mir. Er sagt die Leute reden über mich, weil ich das traditionelle Essen nach der Beerdigung verweigere. Sie ärgeren sich über meine Ungeselligkeit. Wie jeder aus der Gemeinde sei auch er mit meinen Eltern eng befreundet gewesen, er versprach ihnen die Formalitäten für mich zu erledigen und das werde er auch einhalten. Er fragt mich ob ich das Haus meiner Eltern noch verkaufen will und was er mit dem restlichen Besitz tun soll. Er soll die Wertsachen verkaufen und den Rest wegwerfen. Er schlägt vor mir den Schlüssel zu geben, dann könne ich es mir ein letztes Mal ansehen und mir in Ruhe überlegen ob ich nicht vielleicht doch einige Dinge als Erinnerung behalten will. Ich nehme den Schlüssel an, werde meine Anweisungen nicht ändern. Ich müsse einige Formulare unterschreiben, dann könne er mir das Vermögen übertragen. Er bräuchte eine Bemächtigung zum Verkauf des Hauses und der Wertgegenstände. Ich bitte ihn mit mir zu kommen, ich werde dann die Papiere unterschreiben. Innerhalb eines Dorfes sind die Wege kurz und wir betreten das Haus. Der Anwalt bleibt im Flur stehen und lässt es mich alleine durchqueren. Seit meinem letzten Besuch hat sich nichts verändert. Im Wohnbereich hängen Kruzifixe, deren Material auf die Einrichtung der Zimmer abgestimmt ist. In der Küche ist es aus Holz, im Schlafzimmer und im Gästezimmer aus Bronze, im Badezimmer aus Porzellan. In meinem Jugendzimmer und im Wohnzimmer haben sie ein Kreuz aus Chrom aufgehangen. Die Küche ist im Landhausstil eingerichtet, am Kühlschrank hängen aus Zeitschriften ausgeschnittene Bibelzitate und an der Küchentür ein Kalender auf dem Heilige abgebildet sind. Ich gehe durch die Küche ins Wohnzimmer, das an die siebziger Jahre erinnert mit seinen Rundsesseln, dem Kreistisch und den Rechteckmotiven auf Vorhängen und Tapete. Sessel und Tisch stehen vor dem Fenster, gegenüber bedeckt ein Bücherregal die Wand. In ihm befinden sich neben Medizinischer Fachliteratur verschiedene Ausgaben der Bibel, Interpretationshilfen zu ihr und Bücher ihrer Entstehung. Ich glaube es sind über fünfzig solcher Bücher. Der Rest sind Krimis und Literatur aus den Epochen Barock, Sturm und Drang, Naturalismus. Eine Glaswand trennt das Wohnzimmer vom Unterhaltungsraum. Hier ist eine Couch mit Tisch, Stühle, der Fernseher, ein Schrank mit Brettspielen, eine Stereoanlage, eine Sammlung Klassik-CDs. Hier spielte mein Vater mit mir Schach, wenn ich zu Besuch kam. Vom Flur führt eine Wendeltreppe in die zweite Etage. Die Ordnung des Erdgeschosses ließ es unbewohnt wirken. Im Schlafzimmer stehen Familienfotos auf dem Nachttisch, im Badezimmer ist Kosmetika, ein Lippenstift ist unverschlossen. Eine Sekunde erwarte ich das meine Mutter wiederkommt um ihn zu verschließen. Ich nehme die Kappe und stecke sie auf den Stift. Bei meinen Besuchen befremdete mich mein Zimmer. Meine Eltern haben es so belassen wie ich es nach dem Abitur verließ. Die Posterdrucke von Hoppergemälden, Musikkassetten von Blondie, Lochjeans. Ich durfte keine Abbildungen von Frauen besitzen oder mich hier mit einem Mädchen aufhalten. Das durfte niemand deren Eltern Gemeindemitglieder waren. Verboten war auch die Musik von Nirvana, Pearl Jam oder The Rolling Stones. Ein Fernseher durfte nicht in meinem Zimmer sein. In den Sonntagspredigten wurde vor dem Einfluss der Medien auf Glaubenstreue und Moral gewarnt. Die Kinder mit denen ich im Gemeindekindergarten und in der Grundschule spielte sind zum Abbild ihrer Eltern gereift. Sie haben alle geheiratet, Kinder gezeugt die sie so erziehen wie wir erzogen wurden. Meine Eltern haben mir von ihnen erzählt, manchmal kamen sie auch vorbei um ihnen ihr Kind zu präsentieren. Alle Dorfbewohner müssen zum Gottesdienst erscheinen und spenden, die Kinder müssen zusätzlich an Bibeltreffen, Kirchengesang und Theaterspielen teilnehmen. Verweigert man sich, wird man bestraft mit Fernsehverbot, Ohrfeigen oder Einsperrung. Fehlt jemand, fällt es auf und die Leute urteilen darüber, die Familie verliert an Ansehen. Als Kind besuchte ich gerne die Gemeindeveranstaltungen. Es gab auch Filmaufführungen auf einer Leinwand. Die nächste Stadt ist 15Km entfernt, dort befindet sich auch das Gymnasium das ich besuchte, an dem ich neue Freunde fand und meine erste Freundin kennen lernte. Ich verlasse das Obergeschoss und unterschreibe auf dem Küchentisch die Papiere des Anwalts. Ich lese sie nicht, Gemeindemitglieder betrügen nicht. Ich trage ihm auf den Wert des Hauses von einem Makler schätzen zu lassen, er soll es nicht unter dem von ihm genannten Preis verkaufen. Ein Kunsthistoriker soll den Schmuck meiner Mutter und die Gemälde auf dem Dachboden schätzen, sie sollen ebenfalls zum Verkauf angeboten werden. Das Sonstige soll ein Räumungsunternehmen entsorgen. Die Kosten soll er mit dem Gewinn aus dem Verkauf begleichen und mir die Differenz überweisen. Er willigt ein und wir verabschieden uns. Die Busse fahren zu jeder dritten Stunde in die Stadt, von dort fahre ich mit dem Zug. Ich will nicht länger hier bleiben. Ich werde nie wieder hier her kommen. Der letzte Bus fährt um sieben Uhr abends, als Jugendlicher log ich den Bus verpasst zu haben, mein Vater hatte Bereitschaftsdienst, sie konnten mich nicht abholen. Sie teilten sich ein Auto. Ich erzählte ich würde bei einem Kumpel übernachten und traf mich mit meiner Freundin, der Frau die mich vor einigen Wochen anrief. Ich tat dies ein paar Mal, schlief bei ihr. Meinen Eltern fanden es heraus, ein Nachbar sah mich in der Stadt bei einem Kuss. Im Dorf wurde geredet, meine Mutter war als Dorfärztin hochangesehen, dadurch blieb die Ausgrenzung aus. Danach ließen sie mich von Nachbarn abholen, wenn ich den Bus verpasste, meine Freundin verließ mich zwei Monate später. Ich genoss ihre Schönheit, ich fühlte sie gerne. Die ersten Male blieb es beim Versuch, als ich endlich dauerhaft zu einer Erektion fähig war, hatten wir keine Möglichkeit mehr zum Sex in Ungestörtheit. War ich bei ihr, kam am Tage manchmal ihre Mutter ins Zimmer. Meine Mutter fragte mich ob ich mit ihr geschlafen habe. Ich bestritt dies. Sie meinte das Gott dem Menschen eine Würde gab, die dieser durch nicht von Gott legitimierten, also vorehelichen Geschlechtsverkehr verliere. Unkontrollierter Sex, der nicht der Kindeszeugung diene zerstöre den Menschen, er werde krank und unglücklich. Ein Christ sei zu stolz und zu klug um sich auf diese Weise entwürdigen zu lassen. Es sei erniedrigend sich dem Trieb hinzugeben. Ich leugnete weiter den Sex mit ihr. Sätze in ähnlicher Form warnten mich seit meiner Kindheit. Ich erinnere mich sie mit sechzehn einmal gefragt zu haben was die Menschenwürde sei, wie und warum man sie beim Sex verliere, warum man sie beim vorehelichen und nicht auch beim ehelichen Verkehr verliere, was passiert, was einem fehlt, wenn man sie verloren hat. Sie antworteten der Beischlaf in der Ehe sei von Gott legitimiert, dann sprachen sie eine Zeitlang nicht mehr mit mir. Durch die Dichte des Regens wird die Landschaft zu einem impressionistischen Gemälde. Der Bus fährt meine Haltestelle an. Die Regentropfen schlagen gegen das Fenster. Ich werde aus dem Landschaftsgemälde hinausgefahren.

VI

Als ich erwache violettet der Morgen zwischen den Spalten der Jalousien. Die Sonne hellt noch nicht in Vollständigkeit, ich schlafe weiter. Stunden später wache ich auf und spüre Erleichterung, Erleichterung in Maßlosigkeit. Was erleichtert mich? Die Nichtnotwendigkeit von Arbeit. Ich muss nie wieder dieses Dorf betreten. Ich bin befreit von den Besuchen und den Zusammentreffen mit dieser Freien Christen Gemeinde. Ich würde gerne malen. An dem Tag als ich meine Arbeitsstelle verließ kaufte ich Papier und Plakafarbe. Ich schäme mich für meine Erleichterung. Diese Scham ist größer als die über das Nichtempfinden. Ich weiß nicht was ich malen soll. Ich habe Technisches Zeichnen gelernt, ich weiß nicht wie man den Objekten Ausdruck gibt, wie man ihr Wesen in der Abbildung sichtbar macht. Es bedarf mehr als Technik um ein Kunstwerk zu schaffen. Die Scham stört mein Denken. Die Würde des Menschen ist das Fundament der Menschenrechte. Spricht man sie einem Menschen ab, gleich aus welchen Gründen sind seine Rechte nicht mehr gesichert. Wer soll dem Menschen die Würde nehmen? Die Gemeindemitglieder erkennen sie nicht mehr an, trotzdem verliert er sie dadurch nicht. Die Würdelosigkeit des Beschuldigten gibt ihnen das Recht ihn zu attackieren. Die Würde, die ihm die Gemeindemitglieder geben schützt ihn vor der Boshaftigkeit dieser Leute die sie unter ihrer Frömmigkeit verbergen. Die Würde ist für mich körperlos, ein Abstraktum: Würde bedeutet Freiheit des Willens, des Denkens, des Handelns, des Seins. Die Würde verleiht dem Menschen ein Recht auf Respektierung dieser Freiheiten, insofern sie nicht die Würde anderer antasten. Sie gibt ihm einen Wert, der höher als der Geldwert ist. Des Menschen Würde bedarf keiner Gemeinde, keinem Gott. Er besitzt sie von sich, in sich, ab dem Zeitpunkt an dem er zu leben beginnt. Auf dem Weg in die Stadt peitscht er von links den Regen an. Zwischen den Häusern ein Verkehr aus Regenschirmen, unter denen sich Menschen kauern. Die Schirmlosen ziehen die Schultern zum Hals und senken den Kopf, so eilen sie durch die Straßen. Ich stelle mich zu einigen anderen in den Eingang eines Hauses. Wir haben Zeit um auf eine Mäßigung des Regenfalls zu warten. Der Wind reißt Blätter von den Bäumen, diese zirkulieren in ihm, bevor sie zu Boden am Matsch kleben. Die Bäume biegen sich unter ihm, den Billigmodellen unter den Regenschirmen zieht er den Stoff vom Metallskelett. Ich bin mit Pedro in einem Cafe verabredet, unter diesen Wetterbedingungen wird er meine Verspätung entschuldigen. Der Wind verliert Geschwindigkeit, in der Annahme seine Verlangsamung leite auch eine Verringerung der Regentropfen ein setzte ich meinen Weg fort. Pedro nannte mir den Namen des Cafes, ich war bisher noch nie dort. Im ersten Eindruck verleiht seine Größe ihm Ungemütlichkeit. Tresen und Deckenlampen golden im Dunkelgrün der Wände. Ich sehe mich nach Pedro um. Vielleicht wurde er auch vom Wetter aufgehalten. Hinten an der Wand sehe ich ihn sitzen. Er steht auf und grüßt mich mit der Handgebung. Er erkundigt sich nach meinem Befinden und meiner Tagesgeschaltung. Wir bestellen einen Espresso. Er berichtet mir von meinem Nachfolger. Er sei gesellig und leiste gute Arbeit. Ich sei ja eher unauffällig gewesen. Er gesteht seine Beneidung meines Lebens. Er erzählt weiter über den neuen Mitarbeiter. Es interessieret mich nicht, ich höre dennoch zu. Solange er über ihn redet, klagt er nicht über seine Beziehung Bei unserem nächsten Treffen werde ich das Cafe aussuchen, die Dekadenz des jetzigen bedrängt mich, das Tapetenmuster wie zur Zeit Goethes, die Goldimitationen am Rand der Möbel. Die Häufung der Details dominiert den Gesamteindruck, anstatt das sie diesen in Diskretion vervollständigen.
Schwarzlicht ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2006, 18:01   #3
Schwarzlicht
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 9

Standard Aus meinen Tagebüchern ( III )

VII

Das Glück der Gefangenen. Sie sind Gefangene der Ideologie, die ihre Wahrnehmung formte. Selbst wenn man auf Sex verzichtet, kann Freundschaft kränken. Alles kann kränken, es gibt keine Sicherheit. Es gibt keine Regeln zum Glück. Um seine Zuneigungen zu erkennen muss der Mensch erfahren und denken, beides erfordert Freiheit. Glück ist die Befriedigung von Bedürfnissen. Diese Leute kennen ihre Bedürfnisse nicht, ihnen wurde vorgesagt nach was sie zu bedürfen haben. Sie wissen nicht ob diese Bedürfnisse ihre eigenen sind, somit ist ihre Befriedigung, ihr Glück uneigen. Warum verzichten Menschen auf ihre Freiheit? Ist es die Angst, die sie dazu verleitet? Angst vor den Risiken der Freiheit, vor Einsamkeit, vor Bedeutungslosigkeit, dem Unbehagen der Erkenntnis? Was für eine Dummheit diese Glaubensanhänger in ihren Köpfen tragen. Nicht nur sie. Viele, zu viele andere auch. Die Menschen fügen sich dem Schicksal ihrer Sozialisation. Sie lassen ihre Persönlichkeit, ihre Interessen von anderen prägen. Sie hinterfragen die anderen nicht. Sie hinterfragen sich selbst nicht. Sie wollen der Norm entsprechen, die andere definieren. Es gibt innerhalb der Gesellschaft zwei Arten von Normen: Diejenigen die für die ganze Gesellschaft gelten und die Normen der einzelnen Gesellschaftsmilieus. Manche bleiben bestehen, andere ändern sich mit der Wissenschaft. Aus einer Milieunorm kann eine Gesellschaftsnorm werden oder eine Gesellschaftsnorm verliert Allgemeingültigkeit und wird zur Milieunorm. Homosexualität galt als Gesellschaftsabnorm, jetzt bleibt sie im Konservativen Milieu Abnorm und ist in der Mehrheit der übrigen Milieus Teil der Norm. Normen werden von Mehrheiten, von Gesetzen, durch Medien definiert und gestaltet. Bestimmte Normen dienen dem Schutz des einzelnen und der Allgemeinheit, andere dienen den Interessen bestimmter Gruppen, etwa dem Machterhalt. Es gibt zu viele Normen deren Existenz aus dem Misstrauen und der Furcht vor dem Fremden entstand. Ein Individuum das der Norm absagt hat immer eine Mehrheit zum Feind. Diese fordert von ihm die Einhaltung der Norm, widersetzt es sich wird ihm geschadet. Es scheint eine Urvorliebe der Menschen zu sein sich in Gruppen zu raffen. Die Gruppe bietet ihm Geborgenheit und Bestätigung, als Gegenleistung müssen sich die Mitglieder aneinander anpassen, wodurch die Selbstverwirklichung eingeschränkt wird. Außerhalb der Politik sollte man die Gruppe durch Zusammenkünfte von Individuen ersetzen. Erst durch die Schwäche der meisten Menschen als Individuum nicht bestehen zu können, erlangen Gruppen ihre Notwendigkeit. Halt, als ich die Menschen als Gefangene ihrer Sozialisation kritisierte, war ich nicht im selben Moment indem ich diese Sätze dachte, ebenfalls einer von ihnen? Gab mir dieses Glaubensmilieu nicht den Anlass meinen Begriff von Würde zu definieren? Wäre ich in einem anderen Milieu aufgewachsen, hätte ich mich dann auch mit der Würde beschäftigt? In einer Umgebung in der sie wie in der Verfassung geschrieben gültig ist, hätte ich sie dort als Selbstverständlichkeit empfunden, als nicht bedenkenswert? Mögen die Gedanken auch Sachlichkeit, die Themen Allgemeingültigkeit haben, der Auslöser des Denkens ist die eigene Betroffenheit und Erfahrung. Der Anfang meiner vorherigen Gedankenkette waren die Erfahrungen mit diesen Gläubigen. Man kann nur Bekanntes bedenken. Wie soll jemand über einen Schmetterling denken, wenn dieser in seiner Erfahrungswelt nicht existiert? Diese Abhängigkeit des Denkens begrenzt die Freiheit des Menschen. Mit der Kategorisierung verhält es sich genauso. Ab unserer Geburt sortieren, verteilen und bewerten wir alles, der Kategorisierungstrieb ist in uns. Unsere Umgebung verstärkt und lenkt ihn. Etwas ist gut oder böse, es gibt keine gebräuchlichen Begriffe in unserer Sprache, die es uns erlauben, den Zwischenbereich auszudrücken. Halbböse, mittelgut, dreiviertelschlecht, das ist kein gutes Deutsch. Zudem ist es vage, diesen Adjektiven fehlt die Konkretheit der Assoziation, wie man sie bei gut und böse hat. Dabei gibt es einen Bereich zwischen gut und böse. Warum hat der Mensch keine Wörter für ihn? Die Steigerung zeigt nur den Grad der Zustände an. Der Mensch hat doch auch Farbskalen entwickelt auf denen die Entwicklung, die Abstufungen zwischen Weiß und Schwarz ersichtlich sind, warum hat er es bei anderen Zuständen unterlassen? Fehlte ihm das Bewusstsein dafür? Oder hätte es den Sinn der Kategorisierung verfehlt Überschaubarkeit, Vereinfachung und Orientierung zu schaffen? Die Farbe Grau besitzt Eigenständigkeit und eigene Abstufungen, ein Wort wie halbgut wäre immer noch auf gut bezogen. Es besäße weder Eigenständigkeit noch eigene Abstufungen, es ließe sich als Adjektiv nicht steigern. Für andere Zwischenzustände gibt es Begriffe, zwischen heiß und kalt ist es warm. Warum gibt es Ausdrücke für Zwischentemperaturen, aber nicht für Zwischenwertigkeiten? Zwischenwertigkeiten sind unmessbar, vielleicht hat deshalb niemand die Mitte von gut und böse erkannt. Die Begriffe des Menschen sind unzureichend um seine Wahrnehmungen in all ihrer Differenziertheit zu sagen, ja überhaupt zu denken. Und diese Absagungen die aus Entscheidungen erzwungen werden: wenn ich für etwas Zuneigung habe, muss ich seinem Gegenteil abgeneigt sein. Vorhin im Supermarkt war ich auch Verdammter meiner Denkstruktur. Gibt es einen Ausweg? Wir könnten neue Wörter bilden, aber könnten wir ohne Kategorisierung denken? Warum sollte man es ändern? Die Mängel der Sprache lassen sich durch andere Mitteilungsformen wie Malerei, Musik, Tanz ausgleichen. Unser Denk- und Sprachsystem funktioniert. Die meisten Menschen erschöpfen noch nicht einmal die bestehenden Ausdrucksmöglichkeiten. Im Gegenteil, sie reduzieren sie. Sie könnten eine SMS verschicken, senden, zukommen lassen, die Mehrheit simst. Die Medien bewerben solche Sprachamputationen, deren Konsequenz die Vereinfachung des Denkens, die Verdummung ist. Die Denkfaulheit ist wiederum Ursache der Sprachverkrüppelung. Das Subjekt befindet sich in Wechselwirkung mit seiner Umwelt. Der Genitiv und die Substantivierung werden kaum verwendet, die Steigerung der Adjektive wird zunehmend durch Wortzusammenfügungen ersetzt. Was früher lauter, am lautesten war, ist jetzt superlaut, hyperlaut. Ich gehe durch die Stadt. Morgen muss man die Uhren umstellen. Früher dachte man diese Maßnahme würde Strom sparen. Mittlerweile hat sich die Unrichtigkeit dieser Annahme bewiesen, trotzdem bleibt es Brauch in Europa. Die Menschen sind daran gewöhnt. Mich stört die Nachtung am frühen Abend, als Einzelner kann ich mich der Zeitumstellung nicht verweigern. Die Zeit ist eine der wenigen Konstanten im Universum. Fragt der Mensch nach dem Universum wann und wo sein Ursprung war, wann und wo es enden wird, richtet er diese Fragen sogleich auf die Zeit, denn sie entstand und wird mit dem Universum enden. Da man annimmt das Universum sei die Verkörperung der Ewigkeit, ohne Anfang und Ende, besitzt die Zeit dieselben Eigenschaften. Die Uhren lassen sie erkennen, errechnen, einteilen. Viele Leute glauben die Umstellung der Zeitmessgeräte würde ihnen im Sommer weniger, im Winter mehr Zeit bringen. Sie mögen diese Illusion und fühlen sich durch ihre veränderte Zeitwahrnehmung bestätigt. Sie irren die Zeit renne, schleiche, stehe still, sie glauben ihre Zeitempfindung sei das tatsächliche Tempo der Zeit. Sie behandeln sie wie einen Zustand oder einen Besitz, wieder wird kategorisiert. Dabei ist die Zeit selbst eine, ihre eigene Kategorie. Sie irren sie hätten Zeit oder sie hätten im Vergleich zu anderen weniger Zeit, es gäbe Zeitlosigkeit. Es gibt in diesem Universum keine Zeitlosigkeit. Welche Irrtümer unsere Sprache verbreitet in dem sie Sachen, Themen fortwährender Aktualität als zeitlos benennt. Die Geschwindigkeit der Zeit bleibt, die Menschen überfordert es nur die Anforderungen der Gesellschaft mit der Zeiteinteilung zu vereinbaren. Unsere Zeitwahrnehmung wird wie bei allen Lebewesen durch Sonnenaufgang und Sonnenuntergang bestimmt, daher würde eine Veränderung der Zeiteinteilung nur Verwirrung und Verstörung erzeugen. Erneut erlege ich Sprachirrtümern! Die Sonne geht weder auf, noch unter; es wird nie die Erde in ihrer Gesamtheit von ihr bestrahlt, die Sonne selbst übt keine andere Tätigkeit außer ihrer Drehung aus. Besteht denn der Großteil der Sprache aus Fehlbegriffen? Man kann es nicht umgehen. Es ist unmöglich sich allem bewusst zu sein. Es gibt so vieles das wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen können, Lichtfrequenzen, Tonfrequenzen. Wir können im Alltag nicht auf die Wahrheitsmäßigkeit jedes Wortes achten, bei vielen können wir es nicht beurteilen. Man muss es hinnehmen. In den Blättern baut sich die Farbe ab. Waren sie vorher in der Dunkelheit zu Boden unsichtbar, reflektiert nun ihre Helligkeit das Licht der Straßenlaternen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht das erste Skelett eines Baumes. Ein Mann tritt gegen eine Dose. Im Schreck des Geräusches zuckt er seinen Kopf zwischen die Schultern, in dieser Haltung setzt er seinen Weg fort. Das Denken kann die Scham überlagern, in meiner Müdigkeit dringt sie wieder hervor, in ihr vergrößert sie ihre Stärke. Hinter den Fenstern huschen die Menschen. Vor der Beleuchtung ihrer Wohnungen grauen ihre Umrisse in den Gardinen.
Schwarzlicht ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.04.2006, 18:01   #4
Schwarzlicht
 
Dabei seit: 04/2006
Beiträge: 9

Standard Aus meinen Tagebüchern ( IV )

VIII

Des Novembers Kälte und Nebel hängen in den Straßen, durch die Menschen zittern. Manche schützen sich durch mehrere Schichten Kleidung. In der Stadt beginnt die Befestigung der Weihnachtsdekoration. Gestern lief der erste Weihnachtssong im Fernsehen. Bald werden in den Kaufhäusern Zimtaromen versprüht, die Straßenmusiker spielen Weihnachtslieder und in Läden, an Häusern, Fenstern kleben Sterne, Engel und Weihnachtsmänner. Der Kunde soll den Weihnachtseinkauf nicht vergessen, bei jedem Schritt durch die Stadt folgen ihm die Symbole des Festes. Dann beginnen die Vorbereitungen und das Warten auf Heiligabend. Warten ist eine der Hauptbeschäftigungen während des Lebens. Ich warte nicht mehr. Auf was könnte ich auch warten. Je älter man wird, desto häufiger unterlässt man das Warten, oder fühlt es nicht mehr. Als Kind wartet man auf das erwachsen sein, ist man erwachsen wartet man auf Beginn und Ende des Studiums, der Arbeit, auf die Straßenbahn. Hat man die durchschnittliche Lebenserwartung überschritten wartet man auf den Tod. Trotz der Nichttätigkeit im Warten bedeutet es Veränderung. Am Ende des Wartens hat sich die Situation geändert und ist es nur Enttäuschung über dessen Sinnlosigkeit. Im Warten spürt man die Bewegung des eigenen Lebens, es markiert Lebensereignisse. Ich bin zu jung um auf den Tod zu warten, zu alt um zu erwarten. Ich habe „Waiting for Godot“ gelesen. Es hat mich gelangweilt, ich las es mit Zwang. Ich verstand nicht wie Beckett diese Banalität warten als Handlung eines Theaterstückes verwenden konnte. Das Schicksal der Gläubigen. Anstatt die Erlösung selbst herbeizuführen, verharren sie in der Hoffnung auf Gott. Durch meine Unaufmerksamkeit beim Lesen erfasste ich den Inhalt nicht, die Interpretation hielt mich von einem erneuten Lesen ab. Drei Jahre später, an einem Sonntagmorgen erinnerte ich mich an das Buch. Ich war interessiert, ich weiß nicht aus welchem Grund. Einen Tag später kaufte ich es und las es erneut. Es gefiel mir. Ich las darin eine Parabel des Menschenlebens. Das Leben als ein Warten auf etwas, das nicht kommt. Etwas das dem Warten, somit dem Leben einen Sinn gibt. Ein Beenden des Wartens würde dessen Sinnlosigkeit offen legen, es wird weiter gewartet und ertragen. Des Lebens Langeweile und Sinnlosigkeit überspielt und zugleich eingestanden durch Trivialitäten und Unfug. Der Mensch begibt sich in Abhängigkeit zu anderen, da es angenehmer ist gemeinsam zu warten. Jede Abwehr des Denkens und der Langeweile ist recht. Auch wenn die Ablenkung das Begaffen eines gequälten Menschen ist. Es erfreut sie ihn etwas zu quälen, dadurch können sie sich Höherwertigkeit illusionieren. Der Unterhaltungswert des Leides. Godot könnte Chiffre für Erfolg oder Glück sein, eigentlich für alles das die Menschen als Sinn gebend erachten. Natürlich ist die Assoziation Godots mit Gott logisch. Beide haben Boten die den Glauben an ihre Existenz stabilisieren und Hoffnung auf Erlösung geben. Aber beide erscheinen nicht, der Zeitpunkt der Erlösung ist ungewiss. Der Gedanke an die Wut Godots hält sie vor der Beendung des Wartens ab, sie wollen ihn nicht verpassen, wenn er kommt. Die Aussicht auf das Paradies lässt das Leid des Lebens und Wartens lohnenswert erscheinen. In meiner Interpretation verweigerte ich eine konkrete Entschlüsselung der Person Godots. Er ist das scheinbar existente Heilversprechen. Die religiöse Interpretation war mir zu offensichtlich. Da ich mir über das Vorhandensein von Erfolg und Glück sicher bin, das Vorhandenseins Godots aber ungeklärt ist, schien mir diese Übersetzung unpassend. Ein Werk kann durch Interpretationen zerfallen, daher bevorzuge ich eine vorsichtige, wenn auch ungenaue Deutung. Kunst soll Anstoß zum eigenen Denken sein, dafür bedarf es keiner Sezierung. Bei der zweiten Auseinandersetzung mit dem Drama musste ich an eine Frau denken, mit der ich in dieser Zeit ein Verhältnis hatte. Sie wartete ebenfalls. Sie wartete auf meine Liebe, die ich ihr in Aussicht gab. Ich war mir nicht sicher ob ich sie lieben könnte. Mein Wissen um ihr Warten machte es mir unmöglich sie zu lieben. Wie der Diener die Lasten seines Herren als Beweis für seine Unentbehrlichkeit nie abstellte. Dieser wollte ihn trotzdem verkaufen, der Diener war durch die Kontinuität der Last geschwächt und nützte nicht mehr. Vielleicht wäre Godot gekommen, wenn die beiden Landstreicher nicht mehr auf ihn gewartet hätten. Vielleicht hätte Pozzo seinen Diener verkauft, wenn er durch seine Erblindung nicht ebenso schwach geworden wäre wie dieser. Einige Tage später ertrug ich ihr Warten nicht mehr und trennte mich. Ich verabscheue das Einkaufen während der Adventszeit. Ich habe den Eindruck die Harmonie an Heiligabend entsteht durch das Abreagieren von Agressionen während der Adventszeit. Ein Mädchen stand vor einem Busfahrplan, als eine Alte sie beiseite schubste und ihr den Vorwurf machte sie würde ihr mit Absicht den Blick versperren. Das Mädchen entgegnete sie hätte die Alte nicht gesehen und das diese sie hätte höflich bitten können beiseite zu gehen. Überall drängeln und schubsen sich Menschen durch die Weihnachtsbeleuchtungen Ich beschloss die Weihnachtshysterie zu ignorieren und bis zum Ende der Festtage nicht mehr aus der Wohnung zu gehen. Ich wäre gern in Urlaub gefahren, doch es gibt kein unchristliches Land, das mich interessiert. Mit dem Alter wurde Weihnachten immer mehr zur Pflicht. Wenn ich zu meinen Eltern fuhr empfing mich eine große Bewillkommnung. Der Ablauf der Festlichkeiten wurde Familienintern von meiner Mutter festgelegt und musste zwingend eingehalten werden. Ich verbrachte Weihnachten mit ihnen, weil ich es von Kindheit an so gewohnt war und weil jeder Weihnachten mit seinen Eltern verbringt. Meine Freundin wollte das ich sie auch an Weihnachten besuche. Ich sagte ihr das ich meine Eltern mehr liebe als sie. Sie weinte. Es war mir egal. In ihrer Verletztheit beschimpfte sie mich und schrie meine Eltern seien ebenso kalt und gefühllos wie ich. Sie würde mich mehr lieben als meine Eltern es täten. Ich war nicht gefühllos, ich habe mich auch in Frauen verliebt, nur entwickelte sich aus der Verliebtheit nie Liebe. War die Verleibtheit vor rüber wurden die Frauen mir gleichgültig. Meine Freundin verließ mich daraufhin. Ich sagte sie könne gehen, es sei nicht meine Pflicht mit ihr Weihnachten zu bringen. Sie antwortete, das sie mir da zustimme, doch wenn sie mir etwas bedeutet hätte, hätte es mir eine Freude gemacht ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Ich habe mich richtig verhalten. Aber im Moment denke ich die Bedeutung der Familie wird überbewertet. Wenn man seinen Eltern als Fremde begegnen würde, frei von angeborener Zuneigung, wie viele Menschen könnten mit Sicherheit von sich sagen, das sie ihre Eltern dann auch lieben würden. Auch wenn man mit ihnen kaum Gemeinsamkeiten hat, wenn sie das Verhalten ihres Kindes unsympathisch finden, die Zwangszuneigung hält sie zusammen. Weder Eltern, noch Kind haben sich dazu entschieden einander zu lieben. Sie lieben, und können diese Empfindung oft nicht mit zuneigungsweckenden Eigenschaften begründen. Dieser Umstand mag biologisch Sinn haben, aber es ekelte mich zur Liebe gezwungen zu sein. Pedro hat mich am ersten Weihnachtsfeiertag zum Essen mit ihm und seiner Freundin eingeladen. Ich habe mich noch nicht entschieden. Es wäre mir angenehmer ohne seine Freundin. Wahrscheinlich werde ich absagen und über Weihnachten Goethe lesen. Im Park haben sie Lichterketten zwischen die Äste der Baumskelette gehangen. Zwei Frauen küssen sich, im Aussehen ähneln sie einander. Homosexualität scheint in einigen Fällen eine Vollendung des Narzissmus zu sein, indem der Partner ein Abbild des eigenen Ichs ist oder als solches, unterbewusst, angesehen wird. So gelingt es Narziss von seinem Spiegelbild wiedergeliebt zu werden.
Schwarzlicht ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.04.2006, 19:17   #5
Belgarath
Gast
 
Beiträge: n/a

Standard Soll ich dir mal ganz ehrlich sagen

wie diese Texte auf mich wirken ?
Optisch ist es ja schon völlig klar: Textblöcke
Aber was sie allein schon optisch assoziieren ist der Wunsch nach einem Monolog, ohne Kommunikation, ohne ein imaginäres Gegenüber.
Und das liegt allein am Aufbau, denn so ein Textblock ohne jede Struktur, ohne jeden Absatz, ohne jede Denkpause, wirkt auf den Leser/-in wie ein endloses Drauflosreden, ohne Punkt und Komma, ohne darauf zu achten, was das Gegenüber denkt und ob er die Geschichte versteht.
Da ist nichts zu entdecken von dem, was eine gute Geschichte, was selbst ein Gespräch unter Bekannten, also nicht unter Freunden, ausmacht. Denn selbst da macht man Atempausen, schaut den Gegenüber an, wie er das Erzählte aufnimmt, was er darüber denken könnte, macht Gesten und kleine Denkpausen, und drückt das in einem geschriebenen Text durch neue Zeilen und Absätze aus, durch das was man eine Textstruktur nennt.
So ungefähr, wie ich das hier jetzt in meinem Kommentar mache.
Wie lange würdest Du jemandem zuhören, der endlos auf dich einredet, den es nicht interessiert, was Du dazu meinst oder denkst ?
Denn genauso wirkt ein solcher Textblock, wie ein Monolog, bei dem Du gar nicht willst, dass dir jemand antwortet oder mit dir kommuniziert. Und das gleich in 4 Teilen.
Das ist leider eine Unsitte, die sich durch das Schreiben im Internet gebildet hat, riesige Textblöcke schreiben ohne jegliche Struktur.
Ist eigentlich schade drum, dass Du dir die ganze Mühe gemacht hast, wie bei einem dieser weiter oben genannten Gespräche, bei dem nur Du redest, während dein Gegenüber zum Schweigen verdammt ist.
Das ist genauso, als wenn Du ihn gleich anschreist, er wird dir einfach nicht mehr zuhören und nur noch froh sein, wenn Du endlich schweigst.
War es wirklich das, was Du gewollt hast, die totale Verweigerung der Kommunikation ?
Bei deinen 2 kürzeren Geschichten hast Du es übrigens ebenso gemacht, Ablehnung der Kommunikation.
So was ist schlimm und hart, darum habe ich es auch genauso als Kommentar geschrieben, denn mit diesen unstrukturierten Textblöcken zeigst Du dem Leser/-in pure Ignoranz...
  Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Aus meinen Tagebüchern ( I )

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche



Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.