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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 16.05.2010, 03:29   #1
Tanais
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 119

Standard Mensch zu Mensch

Grauer Staub
zwischen
den Zähnen,
Luft läuft
aus.

Mauer fault
zischende
Tränen,
Kluft seufzt
auf.
Tanais ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.05.2010, 00:45   #2
männlich Glasauge Bill
 
Dabei seit: 07/2007
Alter: 34
Beiträge: 494

Hallo Tanais,

Ich werde mich nun an deinen Zeilen versuchen. Und ich muss zugeben, dass ich Schwierigkeiten habe hineinzufinden. Das mag wohl an der starken Verdichtung liegen. Trotzdem - oder gerade deswegen - gefällt mir was ich lese. Jedes Wort scheint sorgfältig ausgewählt, bedacht und als Stein in dein Mosaik eingesetzt zu sein.
Am Anfang schwebt die Überschrift im Raum. Als ich Mensch zu Mensch las, assoziierte ich (aus welchem Grund auch immer) "Asche zu Asche, Staub zu Staub" - also quasi als Erweiterung : Mensch zu Mensch. Würde für mich bedeuten: Der gute alte Homo Sapiens bleibt was er ist, seit er existiert - pessimistisch.
Natürlich könnte auch der Dialog zwischen zwei Individuen gemeint sein, die durch den Überbegriff Mensch auf eine Ebene gehoben und deren (Charakter)Eigenschaften hintenangestellt werden. Ich war also gespannt beim Anklicken und fand 15 Wörter vor, die zwar durchaus gefallen, aber mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten.

Du fängst mit einem starken Bild an was sich praktisch über die ganze erste Strophe zieht (eigentlich sind es zwei Bilder, die aber untrennbar verschwimmen). Ich sehe ein sehr hässliches Gebiss vor meinem inneren Auge. Der Staube gibt dem Protagonisten dieser Szene ein gewisses Alter und gleichzeitig eine "Bissigkeit". Staub vom vielen "Dreck fressen"? Oder Staub als Metapher eines Problems oder alten Konfliktes? Oder handelt es sich gar um die Beschreibung einer Krankheit? Dazu würde auch das zweite Bild passen: "Luft läuft aus" - ein pumpendes Beatmungsgerät?
Gehe ich dem Interpretationszweig des zwischenmenschlichen Konfliktes nach, verstehe ich diese laufende Luft als starke Verbildlichung von Sprachlosigkeit, ich meine einen Seufzer zu hören(?).

Damit startest du schon ins Finale. Auch hier schleicht sich der Verfall vom Anfang weiter durch. Faulende Mauern ist schwer zu deuten. Gehe ich von der Beschreibung einer Krankheit aus, dann ist hier wohl Haut oder Knochen symbolisiert.
Beim zwischenmenschlichen Kontakt sehe ich Grenzen vor mir (nicht nur im Sinne von Grenzen zwischen zwei Nationen, sondern auch durchaus zwischen zwei Personen, vielleicht sogar zwei (mal) Liebenden). Die zischenden Tränen wirken für mich wie Tränen der Wut und Verzweiflung. Sie tropfen auf kochende Erde und verstärken die Situation in ihrem Ausmaß. Dadurch wird die Kluft noch größer und seufzt auf (ist es die Kluft, die die Luft auslaufen lässt?).

Nun ja, du siehst, dass ich inhaltlich eigentlich nichts verstanden habe. Aber das willst du ja so, denn du gibst kaum Hinweise. Die Zeilen sind mehrfachdeutig. Durch die Einwortigkeit der einzelnen Zeilen ist es schwer die richtigen Verbindungen zu finden. Für meinen Geschmack schon ein bisschen zu krass, denn es hinterlässt so einen unwohlen Nachgeschmack im Kopf, ein Gefühl, dass von starken Bildern ohne festen Inhalt ausgelöst wird.

Sonst bleibt mir nicht viel zu sagen, außer dass ich unbedingt deine Intensionen wissen muss. Du kennst nun meine Gedanken, ich würde mich sehr über deine freuen.

Ne gute Nacht, Glasauge Bill
Glasauge Bill ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.05.2010, 02:26   #3
Tanais
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 119

Hallo Glausauge Bill!
Es freut mich zu hören, dass du dich so sehr mit meinem gedicht beschäftigt hast, und ich kann dir gleich am anfang sagen, dass deine assoiziationen zu diesem text ähnlich den meinen sind!
Der titel "mensch zu mensch" gefiel mir wegen der mehrfachdeutigkeit, wie du bereits erwähnt hast. Einerseits war es gemeint im sinne eines dialoges zwischen zwei menschen, die , darin stimmst du auch mit mir überein, mit einer solchen verallgemeinerung einhergeht, dass es ein paar sein könnte oder einfach iwelche menschen, die z.b. im politischen rahmen diskutieren. Andererseits wollte ich damit auch auf das verhalten unser heutigen generation hinweisen, bzw. ( wenn dadurch zu viel vom leser gefordert wird ) zwischenmenschliches verhalten grundsätzlich. Aber auch deine Idee mit dem Asche zu Asche, Staub zu Staub finde ich sehr gelungen, vorallem mit der daraus resultierenden erkenntnis, dass der mensch in seiner entwicklung stagniert und so seine existenz grundsätzlich als sinnlos in frage gestellt wird.
Zu der ersten strophe: die bilder die diese strophe bei dir ausgelöst haben finde ich sehr imposant, und es freut mich, dass mein text soetwas bei dir auslösen konnte, es zeigt mir, dass ich nicht zu viel verlangt habe vom leser. Der staub steht in meiner intention ebenfalls für mehrer Dinge: einerseits verstehe ich es als einen verstummten dialog wenn man die die ganze strophe im selben kontext liest; die zähne sind verstaubt, weil der mund lange nicht mehr benutzt wurde, nicht mehr gesprochen wurde, luft läuft aus sollte in dieser interpretation darauf hinweisen, dass in diesem dialog zwischen zwei menschen einfach die luft raus ist, die beiden haben sich nichts mehr zu sagen. andererseits könnte der staub auch für altes gelaber stehen, etwas, was schon tausend mal gesagt worden ist, alte versprechen, floskln, eine art von vorgetäuschten gespräch, geheucheltem interesse, während gleichzeitig ein seufzer ( eine weitere übereinstimmung unserer Eindrücke) zu hören ist, den beteiligten ist also eine gewisse trauer ,enttäuschung anzumerken, die die eigentliche unzufriedenheit über den zustand der falschen kommunikation zum ausdruck bringen soll.
Zur zweiten strophe: auch diese sehe ich doppelt zu verstehen. nach meiner ersten intention ( dialog zweier , der nur noch aus schweigen besteht) steht die mauer die unter den zischenden tränen fault, also unter der verbitterung und trauer der protagonisten, steht für das was die beiden mittlerweile trennt, was es genau ist, soll offen bleibn. auf jeden fall bringt die emotionalität der beiden die mauer nicht mehr zum einstürzen, sondrn lässt sie faulen, stinken, abstossend werden, aus verbitterund und trauer wird also frust und vll sogar hass. Am ende seufzt die kluft auf, die zwischen den beiden mittlweile so entfremdeten entstanden ist, und es ist truarig, dass menschen sich so trennen in ihrem leben, egal ob einmal freunde, liebende oder verwandte.
gehe ich nach der zweiten interpretation ( geheucheltes interesse, isolation des einzelnen) würde ich in strophe zwei nun eher einen bruch ins postive sehen: hier zerstört die emotionalität der protagonisten die mauer, indem sie sie langsam auflöst, sie beginnt von innen heraus zu faulen, zu zerfallen. Am ende seufzt die personifizierte Kluft zwischen den beiden auf, sie ist diejenige, die aufstöhnt, weil sie im begriff ist, zu verschwinden. Sorum gesehen würden die menschen es am ende also schauffn die kluft zu überwinden.
Du siehst, ich habe absichtlich versucht, eine mehrdeutigkeit zu erreichen. unsere eindrücke von diesem text sind weitesgehend kongruent, gleichzeitig finde ich es aber auch sehr schön, dass der text bei dir das bild von der krankheit ausgelöst hat.so ist das gedicht allein durch deine assoziationen um eine weitere bildebene gewachsen, die mir davor nicht aufgefallen ist, und genau das ist es doch was lyrik ausmacht, sich austauschen, zusammen reflexieren und fühlen. Ich hoffe, ich konnte dir meine gedanken näher bringen, lg Tanais
Tanais ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.05.2010, 03:04   #4
weiblich Rosenblüte
abgemeldet
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 2.163

hallo tanais,

welch fulminante erläuterung zu deinem minimalistischen werk!
doch leider hat sie zu meiner verwirrung beigetragen.

ja, du präsentierst uns minimallyrik, aber gekonnt!
besonders gefällt mir, dass der text gereimt ist, obwohl er so knapp ist.
dadurch werden dem leser die worte regelrecht eingehämmert.

lieben gruß
rosenblüte
Rosenblüte ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.05.2010, 23:50   #5
Tanais
 
Dabei seit: 03/2008
Beiträge: 119

hallo rosenblüte!
wenn ich deine verwirrung nur nähren konnte, soll mir das recht sein XP
ne , im ernst, lass dich bitte nich davon verwirren weil ich nicht will, dass der leser das gedicht liest und versucht das zu verstehen , was ich mir dabei gedacht habe, sondern das fühlen soll, was ihm der text vermittelt. sieh es einfach als eine möglichkeit das ganze zu betrachten, nicht als leitfaden oder den einzig wahren weg, dieses gedicht zu verstehen.
Dass es dir trotzdem gefällt freut mich wirklich, auch dass der Reim zumindest bei dir seine wirkung nicht verfehlt hat
lg Tanais
Tanais ist offline   Mit Zitat antworten
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