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Alt 18.06.2008, 14:00   #1
jOi
 
Dabei seit: 06/2008
Beiträge: 11

Standard Ich gehe an deinem Grab vorüber

Ich gehe an deinem Grab vorüber

Was ist das alles, was sich das Leben nennt ? Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe nur entdeckt, dass Gefühl das höchste ist, dass das alles ist, was zählt. Und alles andere sind nur Steine einer Lawine, die dich mitreißt, die dich bis ganz nach tief unten mitreißt, wenn du dich daran festhältst. Und sich an den Stein zu klammern ist so einfach, so naheliegend. Nichts gibt es, das naheliegender ist. Aber dann verliert alles an wert. Dann ist alles mit einem Regenguss von deiner Haut gewaschen, weil es dich nur bedeckt hat. Nackt. Nackt bist du dann. Du warst es die ganze Zeit, und du hast es einfach nicht verstanden, weil man dich immer, von Anfang an, zugedeckt hat. Wer will es dir vorwerfen, dass du dann wieder in die Wärme gekrochen bist? Es war dunkel und kalt. Und Angst hattest du, große Angst. Und ein bisschen, ein bisschen hättest du dich getraut im Dunkel zu bleiben. Aber nur ein bisschen. Und sie haben nicht an dich geglaubt, keiner hat das. Sie kannten es ja alle schon. Alle haben gesagt, es sei wie immer, und dann wurde es auch so. Es war ja auch so einfach mit allen zu gehen. Wenn nicht einmal du selber an dich glaubst, dann hast du keinen Grund irgendetwas zu tun, dann gibt es gar keinen Grund mehr. Für gar nichts.
Dann hast du dich ergeben. „Jeder ist eben mal jung.“ Und so herzlich haben sie dir verziehen. Es war ja auch wieder schön danach. Aus der Bahn kommt jeder mal. „ Werde einfach ein ordentlicher Mensch.“ Und da hast du aufgegeben.
Ich sehe dich jeden Tag. Du sitzt hinter der Kasse im Supermarkt. Du sitzt vor dem Fernseher, alleine zu Hause, gehst in Versicherungsgebäude hinein. Du hast es nie eilig, aber bist dennoch zügig, sodass alles gut läuft.
Du wirst einen beliebigen Standard-Sarg bekommen.
Auf der zweiten Seite des Kataloges.
Und der Pfarrer, der die Grabrede hält, der hat am Morgen nicht geduscht, weil er verschlafen hat. Und sie weinen, vergessen dich aber nur nicht, weil die Möbel immer noch nach dir riechen.
Ein kleines Kind wird seinen Ball über die Friedhofsmauer schießen. Aber es wird ihn nicht wieder holen, denn seine Eltern haben es ihm verboten.
Und dann gehe ich an deinem Grab vorüber. Ich gehe dort entlang, dem Morgen, der Sonne und der See entgegen. Und ich werde es sehen. Traurig werde ich sein, dass dein Grab zwischen den vielen Gräbern steht, ganz so als wärst du tausendmal gestorben. Dann wird der frische Wind und die frühe Sonne meine Tränen trocknen.
Dann wirst du verstehen, dass du alles falsch gemacht hast, weil da nicht du, sondern irgendein Mensch beerdigt liegt und dass es dich gar nicht gab. Und dann wird es viel zu spät sein. Und nur ein Mal, nur ein einziges Mal werde ich um dich weinen. Obwohl ich nicht einmal weiß wie du gerochen hast, wie es war sich an dich zu schmiegen, wie es war mit dir zu lachen, und dich um sich zu haben;du bist jetzt tot. An die See gehe ich danach. Ich werde nie wieder an dich denken; Morgen stehe ich an einem anderen Grab.
Danach ist es dann, als wärst du nie geboren worden.

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Es mag auffallen, dass ich viele Sätze mit Füllworten beginne, das ist dazu gedacht, den Leser dazu zu zwingen auftaktig vorzulesen und damit jeden Satz rhytmisch vom anderen abzuschließen.
Mit diesem Text habe ich andere Menschen zum weinen bringen können, vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass ich gut vorlese...
Ich möchte ihn nun nocheinmal überarbeiten, vielleicht könnt ihr mir dabei ein wenig helfen...
jOi ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 23.06.2008, 21:50   #2
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007

Hallo jOi,

ich weiß nicht, wie Du vorliest, aber beim Lesen selbst hat es bei mir nicht diese Wirkung.
Du willst es überarbeiten - was genau stört Dich denn? Willst Du unter anderem die Rechtschreibung korrigieren oder ist das egal, weil Du es hauptsächlich fürs Vorlesen konzipiert hast?

Ok, ich fang einfach mal von vorne an. Der Titel sagt meiner Meinung nach schon zu viel, er beinhaltet gleich die wichtigste Szene des Textes und gibt keine Spannungsmomente her. Außerdem liegt die Szene in der Zukunft (Du hast ab "Du wirst einen beliebigen Standard-Sarg bekommen." zwar auch das Präsens eingesetzt, aber umgangssprachlich drückt man damit ebenso Zukünftiges aus), der Titel beschwört aber die Gegenwart.

Der Anfang ist zäh, für meinen Geschmack zu unkonkretes Geschwafel, das sich im Laufe der Geschichte nicht fortsetzt (es geht kein bisschen mehr um die Frage, ebensowenig darum, dass Gefühl das höchste ist). Ab der Mitte wird es interessanter und am Ende sogar richtig gut.
Du sagst, Du benutzt viele Füllwörter - im Grunde ist das immer ein "Und". Das ist schon ok so, da der ganze Text umgangssprachlich aufgebaut ist. Die unzähligen "dann" sind allerdings mehr als übertrieben und nerven mit der Zeit. Die Wiederholungen sind auch so eine Sache - sie machen sich fürs Vorlesen vielleicht gut, weil man dann besser versteht; beim Selbstlesen mag ich es nicht, es füllt nur unnötig aus und wird hier vorallem viel zu oft verwendet. Weniger ist oftmals mehr.
die dich mitreißt, naheliegend, festhalten - klammern, Nackt, Angst, Grund, keinen - für gar nichts, du sitzt, ich gehe, ein Mal - ein einziges Mal Alles Wiederholungen.

Sprachlich könnte es variabler sein. Auch bei einem umgangssprachlichen Text muss man nicht immer die gleichen Wörter benutzen.

Zitat:
Was ist das alles, was sich das Leben nennt? Das kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe nur entdeckt, dass Gefühl das höchste ist, dass das alles ist, was zählt. Und alles andere sind nur Steine einer Lawine, die dich mitreißt, die dich bis ganz nach das "nach" würde ich weglassen - kein gutes Deutsch tief unten mitreißt, wenn du dich daran festhältst. Das Bild ist für meine Begriffe nicht stimmig. Eine Lawine reißt einen so oder so mit - egal, ob man sich an ihren Steinen festhält oder nicht. Und sich an den Stein zu klammern ist so einfach, so naheliegend. Nichts gibt es, das naheliegender ist. Aber dann verliert alles an Wert. Dann ist alles mit einem Regenguss von deiner Haut gewaschen, weil es dich nur bedeckt hat. Nackt. Nackt bist du dann. Du warst es die ganze Zeit, und du hast es einfach nicht verstanden, weil man dich immer, von Anfang an, zugedeckt hat. Wer will es dir vorwerfen, dass du dann wieder in die Wärme gekrochen bist? Es war dunkel und kalt. Und Angst hattest du, große Angst. Und ein bisschen, ein bisschen hättest du dich getraut im Dunkel zu bleiben. Aber nur ein bisschen. Dreimal "ein bisschen" - eine Wiederholung ist schon immer eine heikle Sache, zwei sind meiner Meinung nach zu viel. Die meisten wollen damit den Ausdruck verstärken, aber es gibt bessere Methoden, als dem Leser alles wieder und wieder vorzubeten, damit er es sich ja merkt.Und sie haben nicht an dich geglaubt, keiner hat das. Sie kannten es ja alle schon. Alle haben gesagt, es sei wie immer, und dann wurde es auch so. Es war ja auch so einfach mit allen zu gehen. Wenn nicht einmal du selber an dich glaubst, dann hast du keinen Grund irgendetwas zu tun, dann gibt es gar keinen Grund mehr. Für gar nichts.
Dann hast du dich ergeben. „Jeder ist eben mal jung.“ Und so herzlich haben sie dir verziehen. Es war ja auch wieder schön danach. Aus der Bahn kommt jeder mal. „ Werde einfach ein ordentlicher Mensch.“ Und da hast du aufgegeben.
Ich sehe dich jeden Tag. Du sitzt hinter der Kasse im Supermarkt. Du sitzt vor dem Fernseher, alleine zu Hause, gehst in Versicherungsgebäude hinein. Du hast es nie eilig, aber bist dennoch zügig, sodass alles gut läuft.
Du wirst einen beliebigen Standard-Sarg bekommen.
Auf der zweiten Seite des Kataloges.
Und der Pfarrer, der die Grabrede hält, der hat am Morgen nicht geduscht, weil er verschlafen hat. Und sie weinen, vergessen dich aber nur nicht, weil die Möbel immer noch nach dir riechen.
Ein kleines Kind wird seinen Ball über die Friedhofsmauer schießen. Aber es wird ihn nicht wieder holen, denn seine Eltern haben es ihm verboten.
Und dann gehe ich an deinem Grab vorüber. Ich gehe dort entlang, dem Morgen, der Sonne und der See entgegen. Und ich werde es sehen. Traurig werde ich sein, dass dein Grab zwischen den vielen Gräbern steht, ganz so als wärst du tausendmal gestorben. Dann wird der frische Wind und die frühe Sonne meine Tränen trocknen.
Dann wirst du verstehen, dass du alles falsch gemacht hast, weil da nicht du, sondern irgendein Mensch beerdigt liegt und dass es dich gar nicht gab. Und dann wird es viel zu spät sein. Und nur ein Mal, nur ein einziges Mal werde ich um dich weinen. Obwohl ich nicht einmal weiß wie du gerochen hast, wie es war sich an dich zu schmiegen, wie es war mit dir zu lachen, und dich um sich zu haben; du bist jetzt tot. An die See gehe ich danach. Ich werde nie wieder an dich denken; morgen stehe ich an einem anderen Grab.
Danach ist es dann, als wärst du nie geboren worden.
Grüße

Struppi

Edit: Da ich dafür keinen Grund sehe: [triggert]-Präfix entfernt.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
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