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Alt 14.04.2008, 07:44   #1
violett_cherry
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 114


Standard Gezeiten

Mit leicht geöffneten Lippen nippte sie an ihrem Milchkaffee, lehnte sich ein Stück zurück und schlug die frisch rasierten Beine möglichst lasziv übereinander, nichts, gar nichts. Innerlich konnte sie sich ein Seufzen nicht verkneifen, stand auf und suchte die Damentoilette auf. Der Spiegel zeigte ihr das gleiche Bild wie noch vor einer Stunde, neuer Lipgloss, die Stirn mattiert, das Dekollete überprüft – perfekt, fast. Sie ließ die Schultern sinken, strich sich ein paar widerspenstige Strähnen aus dem Gesicht und ging zurück. Nichts. Er schaute noch nicht einmal auf, sondern erzählte wie beiläufig von seinen Freunden, den kleinen Problemchen hier und da, fragte nur kurz nach ihrer Meinung und bestellte den nächsten Espresso. „Rauchen?“, fragte sie gelangweilt, die weißgoldene Schachtel samt Feuerzeug mühsam und zeitschindend aus der Handtasche kramend. „Gern.“
Fasziniert beobachtete sie seine Lippen, sanft und bestimmt den Filter umschließend, die sich immer tiefer in das weiße Papier hineinfressende Glut und die kleinen Ascheflocken, welche in Pirouetten auf sein Shirt schwebten. Wie feine Nebelwände atmete sie den Rauch langsam aus, musterte den Tanz und löste in Gedanken jede Masche der grau gefärbten Baumwolle einzeln auf. Schweigen. Ihr Blick ruhte auf ihm, wie immer eigentlich. Starrte sie etwa? Blinzeln, wegschauen. Sie rührte den inzwischen erkalteten Kaffee um, und das Klingeln des Löffels schnitt die Distanz zu ihm in messbare Streifen. Sie wollte nicht nur Freundin sein, nicht nur die sich ewig gleichenden Unterhaltungen über die Arbeit und das Leben dazwischen, sie wollte mehr, und es war nicht das erste Mal, dass sie ihren Egoismus als seltsam deplaziert empfand. Sie drückte die Zigarette in einem gläsernen Aschenbecher aus und beobachtete die Personen an den anderen Tischen, hörte auf die angeregten Diskussionen, Zeitungen die lautstark raschelnd umgeschlagen wurden, Lachen aus allen Richtungen. Warum konnte sie nicht einfach mit ihm reden, über irgendwas Belangloses, oder auch nicht Belangloses, einen ihrer tausend Gedanken fassen, den Mund öffnen und aussprechen, was ihr durch den Kopf ging. Nichts. Und sie kam sich selbst zu fremd vor, saß einfach nur da, beobachtete ihn, eine halbe Ewigkeit, bis der Kaffee alle und die Zeit ran war.
„Wollen wir?“ Er nickte, ein kurzes Lächeln, rief die Kellnerin heran und zahlte. Sie gingen, liefen ein Stück nebeneinander bis zur Bahn, ohne viele Worte. Abschied, bis nächste Woche, vielleicht, mal sehen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
In diesen Momenten hasste sie sich selbst, für ihre Unsicherheit, und das Unvermögen in seiner Gegenwart klar denken zu können, intelligente Antworten auf intelligente Fragen zu geben oder einfach nur ganz normal zu sein. Was immer das auch heißen sollte.
Sie hatte Hunger.
Als sie in der Bahn saß dachte sie an Ebbe und Flut. Dachte an Kuchen, Kirschkuchen, an ihn, seine Hände auf ihrem Körper, und an Kuchen. Gegen die schmutzige Glasscheibe gelehnt fragte sie sich, warum sie sich das antat, Traumgespinsten verfallen, gegen jede Vernunft und gegen sich selbst, irgendwie. Kindisch, absolut kindisch. Sie schloss die Augen und wartete auf die sympathische Frauenstimme der Bahnlautsprecher, Endstation. Als das rote Licht erlosch und sich die Türen öffneten dämmerte es bereits, die frische Luft zog sich wie eine Erlösung durch ihre Atemwege, beruhigte ihre Nerven. Auf dem Nachhauseweg spielten ihre Schuhe mit Steinen, zusammengeknüllten Fetzen von Papier und zerbrochenen braunen Glassplittern, Ablenkung, und Muster vom aufgerissenen Asphalt.
In ihrer Wohnung angekommen schloss sie die Tür hinter sich ein wenig zu leise. Zog zuletzt die teuren Dessous aus Spitze und Satin aus, und danach die selbe Routine wie immer, Gewohnheit. Sie putze sich die Zähne bis das Einzige was sie schmecken konnte die beißend-frische Zahncreme war. Sie stand lange, überlegte und zitterte ein wenig, vielleicht weil ihr kalt war, oder das Beißen im Hals ihr die Luft nahm, oder weil ihr die ein zwei Tränen zu albern vorkamen. Ab morgen bin ich stark, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu, versprach es an die tausend Mal, und ging zu Bett.
Und als der Morgen kam, stand sie mit einem Lächeln auf, freute sich auf seine Umarmung und fing an die Tage zu zählen.
violett_cherry ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.04.2008, 15:41   #2
Traumwächterin
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 112


Huhu violett :-)

eine schöne Geschichte mit einer Ausarbeitung, die durch starke Bilder brilliert. An der Sprache müsstest du noch einige Rechtschreibfehler korrigieren, ein paar Kommata einsetzen und es wäre (nahezu) perfekt :-) Die Ellipsen, die hier an passenden Stellen auftauchen und die unbenutzten Metaphern gefallen mir; du schaffst es sogar, den Rauch der Zigarette als Tanz zu beschreiben und dem Rauchen somit Anmut zu verleihen, zeigt wie vernarrt sie in ihn ist.

Du beschreibst gelungen eine Alltagssituation; detailliert und feinfühlig. Der Leser kann sich gut in die Protagonisten hineinversersetzen; ich glaube wir haben alle bereits solche Situationen erlebt. Situationen, in denen man „stark“ sein wollte, in denen man etwas sagen wollte, aber nicht konnte. Auch das offene Ende sagt mir zu; dem Leser bleibt selbst die Frage zu beantworten, ob sie sich wohl berechtigt auf „seine Umarmung freuen“ darf – oder es nur haltlose Hoffnung bleibt.
Schade, dass das Thema etwas abgegriffen ist – aber dafür kannst du ja eigentlich nicht. Ist halt nur nicht wirklich was Neues, aber welche Geschichte ist das schon? ;-)

liebe Grüße
Traumi
Traumwächterin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.04.2008, 07:38   #3
violett_cherry
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 114


hallo Traumi,

danke für dein Kommentar und freut mich das es dir gefällt.
Bei den Rechtschreibfehlern und den Kommata muss ich nochmal drüberschauen, wie das mit längeren Texten so ist: wenn man sie hundertmal gelesen hat fallen Fehler nicht mehr auf. ;-)

Liebe Grüße,
Violett
violett_cherry ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.05.2008, 20:35   #4
sternfolger
 
Dabei seit: 05/2008
Beiträge: 7


realistische Bilder
ein Hauch von Monotonie lässt die fehlende Kraft erfühlen, die der Prot.
fehlt, um etwas zu ändern, zu erreichen.
Aber auch die Angst, etwas zu zerstören, bevor es begonnen hat.

sehr gerne gelesen und nachgefühlt
mit bewunderndem Gruß
sternfolger
sternfolger ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.05.2008, 07:42   #5
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Hallo violett cherry,

der Grund, weshalb ich Deine Geschichte nominiert habe, ist die Sprache, sind die Beschreibungen, an denen man sich nicht sattlesen kann.
Traumwächterin sagte, das sei kein neues Thema. Stimmt natürlich, alles rund um die Liebe und den Schmerz daraus wird von allen Seiten immer wieder ausgewalzt. Aber im Kleineren betrachtet, ist Deine Umsetzung eben nicht ausgelutscht, gibt nicht das Gefühl, diese Geschichte schon zigmal gelesen zu haben, sondern doch ein Unikat vor sich zu haben, das aus den immergleichen Liebeskummergeschichten heraussticht.

Zitat:
über irgendwas belangloses, oder auch nicht belangloses
Belangloses ist hier substantiviert --> großschreiben

Zitat:
en Mund öffnen und aussprechen Komma was ihr durch den Kopf ging
Zitat:
Dachte an Kuchen, Kirschkuchen, an ihn, seine Hände auf ihrem Körper, und an Kuchen. Gegen die schmutzige Glasscheibe gelehnt
Die schmutzige Glasscheibe ist hier ein schöner Gegensatz.

Zitat:
Und als der Morgen kam Komma stand sie mit einem Lächeln auf
Das Ende ist schön abgerundet. Man könnte den letzten Satz nicht weglassen, ohne dass merklich etwas fehlen würde. Er schließt den Kreis "ich will ihn" "ich werde stark sein" "ich will ihn"

Grüße

Struppi
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.05.2008, 14:05   #6
vulcanus_rubin
 
Dabei seit: 02/2008
Beiträge: 56


hallo violett,

Zitat:
Traumwächterin sagte, das sei kein neues Thema. Stimmt natürlich, alles rund um die Liebe und den Schmerz daraus wird von allen Seiten immer wieder ausgewalzt. Aber im Kleineren betrachtet, ist Deine Umsetzung eben nicht ausgelutscht, gibt nicht das Gefühl, diese Geschichte schon zigmal gelesen zu haben, sondern doch ein Unikat vor sich zu haben, das aus den immergleichen Liebeskummergeschichten heraussticht.
hier stimme ich struppigel zu, deine geschichte hat trotz des bekannten themas überzeugt.

nur ein paar kleinigkeiten habe ich zu bemängeln (oder vorzuschlagen)

Zitat:
Warum konnte sie nicht einfach mit ihm reden, über irgendwas belangloses, oder auch nicht belangloses,
"irgendwas" ist mir persönlich zu umgangssprachlich. ich würde "etwas" schreiben.

Zitat:
bis der Kaffee alle und die Zeit ran war.
statt alle leer und heran statt ran, klingt einfach besser.

Zitat:
In diesen Momenten hasste sie sich selber,
selbst statt selber.

Zitat:
Als das rote Licht erlosch und sich die Türen öffneten war es bereits Dämmerung
"dämmerte es bereits" würde besser passen.

die teilweise umgangssprachlichkeit der formulierung widerspricht meiner meinung den sonst gut gezeichneten bildern und nimmt der geschichte ein stück.
vulcanus_rubin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.05.2008, 06:50   #7
violett_cherry
 
Dabei seit: 05/2007
Beiträge: 114


Guten Morgen,

@sternfolger
Danke für dein Kommentar, und richtig erfasst, freut mich :-) .

@Struppi
Ersteinmal danke für die Nominierung, hat mich sehr gefreut, vor allem deswegen, weil ich den Text schon seit Weihnachten auf der Platte lagerte und ich mir absolut nicht sicher war, ob er "gut genug" für`s Poetry ist. Umso mehr freut es mich dann, dass er so gut ankommt.
Deine angesprochenen Fehler habe ich korrigiert, sie wären mir wahrscheinlich auch beim tausendsten Mal nicht aufgefallen. ;-)

@rubin
Auch dir natürlich danke für`s Lesen und die Vorschläge. Ich fang mal von unten an: "dämmerte es bereits" habe ich übernommen, ebenso wie "selbst" statt selber, passt an diesen Stellen wirklich besser. Bei der Überlegung ob "alle" oder "leer" besser klingt konnte ich mich nicht wirklich zu letzterem durchringen (Kaffee-alle/ Tasse-leer oder auch Kaffee-leer? hm, weiß nicht). Mit dem "ran"/"heran" und dem "irgendwas"/"etwas" geht es mir ähnlich, ein Stück Umgangssprachlichkeit gehört für mich dazu, und in meinen Ohren zerstören diese Vorschläge den Lesefluss ein wenig.

LG,
Violett
violett_cherry ist offline   Mit Zitat antworten
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