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Alt 15.12.2007, 16:42   #1
Hamilkar Barkas
 
Dabei seit: 08/2007
Beiträge: 97


Standard Medea I

Akt I




Vor dem Haus Medeas steht die Amme. Auftritt des Chores.

Chorführerin
Wir Frauen eilen her, weil wir vom Leid erfuhren,
das unsre Herrin traf. Ist es denn wirklich wahr,
daß Jason sie verließ im siebten Ehejahr,
nachdem sie Kinder zwei, zwei Knaben ihm geboren?

Amme
Ihr hörtet leider recht, Medea ist verstoßen
durch Jason, ihren Mann. Zu seiner neuen Frau
wird Kleuka, Kreons Sproß. Des Mannes Sinn ist rauh
und wenn er einmal denkt, ist ihm was zugestoßen.

Chorführerin
Hat er nicht allen Grund, Medea Dank zu sagen?
Er gälte nicht als Held den Bürgern Griechenlands,
wenn sie nicht gewesen wär; es wäre nichts bekannt
von seiner Argo Fahrt und seinen Heldentaten.

Amme
O wäre doch die Argo nie, das Schiff geflogen
Zum Land der Kolcher hin, zum unglückssel‘gen Vlies,
dem Widderimitat, das Pelion holen hieß;
es hätte Jason nie Medea so betrogen.
Daß Jason es geläng das goldne Vlies zu bergen,
Aietes wollt‘ es nicht, befahl dem eignen Kind,
Medea, eine List, die nur dazu bestimmt
des Jasons Griechenschar unfehlbar zu verderben.
Doch Aphrodites Macht, sie hat den Held gerettet.
Sie sendet Amor aus, es trifft sein Liebespfeil
Medeas junges Herz. Seitdem sieht sie ihr Heil,
ihr ganzes Lebensglück an Jasons Gunst gekettet.
Das Vlies verschafft sie ihm, betrügt den eignen Vater
Und deckt der Griechen Flucht durch grausen Brudermord.
Für sie ist Vaterland ein Mensch, kein fester Ort.
An ihres Vaters Hof gilt sie nun als Verräter.
Als Jasons Hoffnung trog, daß er den Thron erhielte
Wie Pelion es versprach als Tausch für’s goldne Vlies,
beließ er es dabei. Medea aber stieß
den König von dem Thron, da sie ihm Gift zuspielte,
denn Jason tat es nicht, das mußte sie besorgen.
Sie schlich sich recht geschickt bei Pelions Töchtern ein,
beredt gab sie dort vor, er sei ihr schlimmster Feind,
denn er sei schuld daran, daß ihr Papa gestorben
durch seines Zuges Schuld. Sie sprach von Zauberkräften,
Hekates dunkler Kunst, die man in Kolchis pflegt.
Des Pelions Töchter Wißbegierde, angeregt
durch ihrer Rede Fluß, gedachten Zaubersäften
und Pelions Greisentum. Ob sie den Mann verjüngen
und Jugendfrische ihm, dem König, geben könnt‘
erfragten zaghaft sie. Auf diese Weise gönnt
der Rachegott dem Mensch, der Tat, ein wohl gelingen.
Sie demonstrierte es, verjüngte einen Widder,
indem die Kehle sie zerschnitt, ihn in den Kessel warf.
Der Zauber hat gewirkt und die Medea darf
in Pelions Schlafgemach. Dort zupft sie ihre Zither,
daß fest der König schläft, vertauscht den Zauberkessel
und rüstet seine Töchter aus mit scharfem Schwert.
Auch dachte sie bei sich, falls sich der König wehrt,
ist’s besser, wenn sie ihn gebunden hätt‘; und fesselt
mit seinen Töchtern ihn. Sie zögern kaum und stechen
auf ihren Vater ein, wie sie‘s geraten hat.
Der König springt fast auf, die Fesseln halten knapp.
Er ruft den Töchtern zu; sie soll’n ihr Tun abbrechen.
Da springt Medea vor, durchschneidet seine Kehle,
zerstückelt seinen Leib, vollbringt so ihre Tat.
Nicht Jason, seine Frau, hat mutig dies gewagt.
Für ihn, für ihren Mann, beschwert sie ihre Seele.

Chorführerin
Durch neuerliche Flucht sind beide hergekommen.
Wir boten ihnen Schutz vor ihrer Feinde Schar,
doch Jason hat für uns, nachdem was jetzt geschah,
in Schande sich gesuhlt und keinen Ruhm gewonnen.

Amme
Seitdem Medea weiß, wie schwer sie Jason kränkte,
berührt sie keine Speis‘ und nimmt auch keinen Trank.
Sie klagt die ganze Zeit: ist das des Mannes Dank,
daß ich ihm damals half, daß ich ihm Kinder schenkte?
Sie liegt in ihrem Bett, in ihrem dunklen Zimmer.
Dort wächst und wächst ihr Zorn. Schon fürcht‘ ich mich vor ihr.
Sie redet nur mit sich und spricht nichtmal zu mir,
sie liegt wie leblos da und wird nur immer dünner.
Die Augen hebt sie nicht, sie blickt bloß auf den Boden.
Man hört kein Lachen mehr und sieht das Lächeln nicht,
das einstens hat geschmückt Medeas Angesicht.
Es ist, als hätt‘ ein Gott zu leben ihr verboten..
Sie hat so ein Gemüt, das neigt zu trübem Denken..
Ich kenne ihre Art und darum ist mir bang.
Sie fühlt wie keine Frau und Trauer macht sie krank.
Sie ist zwar herzensgut, doch läßt sie sich nicht lenken.
Ich fürcht‘, sie haßt sich selbst und könnte sich ermorden.
Ich seh’s an ihrem Blick, wenn ich ihr Essen bring,
das sie nichtmal berührt. Ja, wahrlich, es ist schlimm.
Was ist aus Jasons Haus, dem hohen Haus geworden?

Erzieher, die beiden Kinder.

Die Knaben kehren heim von wildem Spiel und Raufen.
Sie wissen beide nichts von ihrer Eltern Streit,
dazu sind sie zu jung. Ihr Herz kennt noch kein Leid.

Erzieher
Du treue, gute Frau, was stehst du denn hier draußen,
was sprichst du mit dir selbst und klagst um unsre Nöte?

Amme
Ich sag’s dir, alter Mann, der Jasons Kinder führt.
Des guten Dieners Herz wird auch durch das gerührt,
was seine Herrn betrifft, zum Dank für ihre Güte.
So ward ich übermannt von unsrem schweren Leiden.
Es zehrt so sehr an mir, ich mußte an die Luft.
Im Hause roch es mir, als sei es eine Gruft.

Erzieher
Ja, hätten wir die Wahl, wir würden andres treiben,
als unser beider Herrn, die sich nur immer streiten.

Amme
Ich weiß, wovon du sprichst, du geiler, alter Mann.

Erzieher
Die Geilheit selbst ist nichts. Auf’s Weib kommt’s mir drauf an.
So eine Frau wie dich, die könnt‘ ich schon gut leiden.

Amme
Du bist ein grober Mann, an solches jetzt zu denken.

Erzieher
Ist denn noch immer nicht der Herrin Leid erschöpft?

Amme
Was heißt noch immer nicht?
Erzieher: Verzeih, das mir’s entschlüpft.

Amme
Sie wird der Erde noch so manche Träne schenken.
Ich fürcht‘ uns Dienern droht noch manche bittre Stunde.
Es ist Medeas Art, die’s Unglück so betört.

Erzieher
Ein weitres Unglück blüht, durch das was ich gehört.

Amme
Was? Neues Leid erwächst? Nun, sag die schlimme Kunde,
stoß einen weitren Dolch in die noch offne Wunde.

Erzähler
Nein, schon gereut es mich, was eben ich gesagt.

Amme
Bei deinen Eiern, sprich. Ein Feigling, wer‘s nicht wagt.

Erzähler
So muß es sein, daß du’s erfährst aus meinem Munde.
Ich bürge nicht dafür, daß wahr, was ich vernommen
Zwei Greise soffen Wein und unterhielten sich.

Amme
Erzähl doch endlich, Kerl. Ich höre, also sprich.

Erzieher
Ein Alter sagte dies: ein Bote ist gekommen.
Der bringt die Nachricht mit, Medea und die Knaben
sie würden aus dem Reich durch Kreon selbst verbannt.

Amme
Und meinst du Jason selbst, wär ihm die Tat bekannt,
er fleht beim König nicht auf seinen Knien um Gnade?

Erzieher
Der neue Bund gilt mehr. So ist es stets gewesen.

Amme
Um uns ist es geschehn, wenn sich zum ersten Schlag
Ein zweiter zugesellt, noch eh sich neigt der Tag.
Wer hat zum Leiden bloß Medea auserlesen?

Erzieher
Für dich bedeutet das; verschweig was ich erzählte.
Die Zeit ist noch nicht reif.
Amme: So ist des Jasons Lieb‘,
daß er der Vaterpflicht den vollen Bauch vorzieht.

Erzieher
Ich hätte nicht gedacht, daß dies Medea quälte.

Amme
Geht, Kinder, nun ins Haus. Ich geb euch meinen Segen.

Kinder ab.

Und du beschütze sie so gut du es vermagst.
Der Dinge schlimmer Gang, er macht mir furchtbar angst.
Ich frage mich, was wird noch alles sich ergeben.

Erzieher ab.

Medea aus dem Off
Verflucht! Ich arme Frau. Wieso muß ich’s ertragen?
Ich kann’s nicht länger mehr. Ach, wäre ich doch tot.

Amme
Medea ruft im Haus. So klagt sie ihrer Not.
Wie lange es noch gehen soll, kann niemand sagen.
Der Wolke gleicht ihr Zorn und auch ihr grimmer Kummer.
Die Wolke steigt schnell auf, gewinnt an Höh und Kraft
und hat in größter Höh erreicht die größte Macht.
Doch was beginnt die Macht, erwacht aus ihrem Schlummer?

Medea
Ihr dunklen Götter, wann versiegt mein Strom von Tränen
Und warum habt ihr mich, Medea, so verflucht?
Hab ich, Prometheus gleich, euch irgendwie versucht?
Ihr konntet mich denn stets zu euren Dienern zählen.

Amme
Wie hart Medea trifft, daß sie in Not geraten.
Ich fürcht‘ die Frau zerbricht an Jasons böser Tat.
Ach, wüßte ich doch nur, für ihre Lage Rat,
wie sie der Trauer könnt‘ mit einem Mal entsagen.
Ich rede bloß von Glück, daß keine Fürstenkrone
mein Haupt entstellen wird, wenn ich das Unglück seh.
Gesalbte Häupter trifft beständig größres Weh
als uns, die armen Leut‘, die Hütten nur bewohnen.
Wer durch der Götter Gunst ist plötzlich aufgestiegen
Dem schwindelt und er stürzt, bevor er sich’s versieht,
wenn ihm ein arges Los der Götter Gunst entzieht.
So wird es allen gehn, die sich im Wind nicht biegen.

Chorführerin.
Wir Fraun ertragen’s nicht, daß unsre Herrin leidet.
Wir muntern sie schon auf. Vertraut nur unsrer Kunst.

Amme
Ich fürcht‘ nur eure Müh‘, steht nicht in ihrer Gunst..

Chorführerin
Wir alle kennen ihn, den Schmerz, der sie begleitet,
doch fegen wir ihn weg. Vor unsrer Kunst erblassen
die Schwestern Musen noch.
Amme: Ein wahrhaft stolzes Wort.

Chorführerin
Wir singen wunderschön, das weiß man allerorts.

Amme
Wenn ihr es wagen wollt. Ihr könnt es ja nicht lassen

Der Chor singt oder spricht, je nachdem.

Chor
Medea hört die Frauen von Korinth,
sie kennen ihre Männer gut,
wo ihre Fehler sind,
worauf ihm männlich Stolz beruht.

Sie können nichts für ihre Art.
Es ist nicht ihre Schuld,
daß sie das Leben ständig narrt.
Wir Frauen brauchen viel Geduld,
um Männerdenken richtig zu verstehn.
Doch schwierig ist es deshalb nicht.
Man muß sie nur mal nackend sehn .
Ihr Geist ist von Natur aus schlicht.

Das eigentliche Liebespaar
Sind Geist und Glied des rechten Manns.
Wir sprechen aus Erfahrung wahr
und singen hier der Liebe Totentanz.

Medea tritt aus dem Haus.


Medea (mit Pausen vorzutragen)
Um mich ist es geschehn. Ich bin zu Nichts geworden
an jenem dunklen Tag, da ich den Jason traf.
Ich hab‘ das Glück versucht, als ich die Würfel warf;
Sie zeigen heute an, daß ich das Spiel verloren.
Wer nimmt mich denn noch auf und meine beiden Kinder?
Ob es die Rache ist, für meinen Brudermord?
Ich tat’s aus Liebe nur. Das ist kein hohles Wort,
ist wahr und Wahrheit nur. Oh, wären nicht die Kinder!
Euch habe ich erzürnt, drum Götter, seid nicht grausam
Und straft die Kinder nicht. Nicht wahr, das tut ihr nich‘?
Wenn ihr schon strafen müßt, bestraft die Mutter, mich.
Ich bin bereit für euch. Na los! Warum so langsam?

Amme
Die Götter rufe nicht. Dein Leid ist gänzlich irdisch.
Wie auf den Tag die Nacht, auf Ebbe folgt die Flut,
so geht’s auch mit dem Glück. Wir wissen alle gut
wie launisch Tyche ist. Das Glück ist oftmals tückisch.

Medea (jetzt bemerkt sie erst Chor und Amme)
Wär‘ ich nur nie hierher, in euer Land gekommen.
Euch Frauen dank ich zwar, doch eurem König nicht.
Zu schützen meine Eh‘, wär eines Königs Pflicht,
doch stützt er Jason nur. Das Werk, das er begonnen.
Was ist nur Kreons Ziel? Auch Kleuka wird verlassen,
verliebt sich Jason neu; ist also kein Gewinn
dem König und dem Reich. Da ist ein Widersinn,
den kann kein menschlich Hirn, wenn es gesund, erfassen.
Ich leide darum nur, weil ich mich Fürstin nenne
Und feine Kleider trag‘. Ich wäre gern wie ihr,
gesundes Mittelmaß. Die Götter spiel‘n mit mir.
Sie haben es bestimmt, daß ich die Menschen kenne.
Verliert die Frau den Mann, der sie zur Fürstin machte,
so ist sie plötzlich nichts. Ihr widersprecht mir noch
und schüttelt euren Kopf? Die Wahrheit sag‘ ich doch.
In mir fließt rotes Blut, nicht das, was ihr euch dachtet.
Mein Unglück trifft mich so, wie’s jede von euch träfe,
doch bin ich nicht wie ihr. Mein Mann, der schamlos hurt,
treibts nicht mit einer Magd, die auf Kommando spurt.
Die Königstochter fickt, verzeiht mir diese Schärfe,
und macht die Beine breit, bei meinem lieben Gatten.
Was hilft mein Klagelied, was meine Tränenflut?
Ich bräuchte einen Plan, dazu noch jenen Mut,
den ich dereinst besaß, als ich noch Hoffnung hatte.
Was gibt es also noch, was wird nun aus mir werden?
Wird eine Königin aus diesem Reich gejagt?
Ihr seht, ich weiß es nicht. Auch ihr wißt keinen Rat,
der es noch schaffen könnt‘, daß sich die Dinge wenden.
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