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Alt 04.12.2016, 01:57   #1
männlich Heinz
 
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Standard 12. Kapitel Urlaub in Jena

12. Kapitel


„Seid reinlich bei Tage und säuisch bei Nacht, so habt ihrs auf Erden am weitsten gebracht.“
Die Weisheiten Goethes sind für jede Lebenslage zu gebrauchen. Der geschätzte Leser und die noch mehr geschätzte Leserin wird mir die Schilderung der nächsten Stunden erlassen.
Nicht verschweigen will ich, dass ich ganz neue Vokabeln und das Kamasutra als wohldurchdachtes Buch schätzen gelernt habe. Elischa und ich - das war ein Ineinanderschmiegen und, so empfand ich es, ein Wiedererkennen, ein Suchen und Finden, das war ein Fest der Liebe und hätte sich der geflügelte römische Gott nach Jena verirrt - sein Bericht an Jupiter hätte selbst diesen neidisch werden lassen.
Die Sonne musste schon längst aufgegangen sein, die Uhr zeigte die neunte Stunde an und wir beeilten uns, um noch einigermaßen pünktlich zum Frühstück bei Ursel und Gerhard zu erscheinen.
„Ach, da seid ihr beiden Hübschen ja!“ Ursel log das Blaue vom Himmel herunter, denn von hübsch konnte bei mir keine Rede sein, allerdings hatten die Dusche, die Zahnbürste und die Rasur das ihrige getan, damit ich wieder zu erkennen war. „Ihr wolltet doch heute noch in den Botanischen Garten und nach Dornburg - nehmt ihr uns dann mit?“ - „Klar - müsst ihr denn heute nicht zur Arbeit?“ - „Gerhard und ich brauchen heute nicht und in Dornburg waren wir schon ewig nicht mehr.“
Nach dem Frühstück, diesmal ohne Honig, aber mit selbstgemachter Himbeermarmelade und dringend erforderlicher Schälchen Heißen wurden die Lebensgeister geweckt und Gerhard fuhr mich erst einmal zum Fuchsturm hinauf, wo mein Auto ja noch stand.
Bis Dornburg war es nicht weit und ich erinnerte mich daran, dass meine Mutter diesen Weg vor vielen Jahren mit mir an der Hand von Jena aus zu Fuß zurück gelegt hatte, weil es bei einem Bauern in Dornburg Äpfel geben sollte. Mein Bruder, der für diesen langen Weg noch zu klein war, und ich hatten uns eine ruhrähnliche Magen-Darm-Krankheit eingefangen und das pulvrige Medikament sollte mit geriebenen halbreifen Äpfeln vermischt werden, auf dass wir wieder gesund würden. Die letzten zwei-drei Kilometer nahm uns ein Traktorfahrer mit und freute sich über den „Lohn“ - drei in Stanniolpapier gewickelte Zigaretten.
Die drei Schlösser stehen auf einer Anhöhe westlich der Saale und gestatten einen weiten Blick ins Land. Da gibt es das „Alte Schloss“, das heute als Begegnungsstätte für die Jenaer Friedrich-Schiller-Universität dient. Nicht weit davon steht das wunderschöne Rokokoschloss. Hier tagte der Landtag des Herzogtums während seiner 1. Sitzungsperiode. Der einberufene Landtag war das erste Parlament einer konstitutionellen Monarchie in Deutschland. Goethe nutzte das Rokokoschloss bei seinen dienstlichen Aufenthalten als Minister, später war ihm das - ebenfalls in unmittelbarer Nähe gelegene - Renaissance-Schloss (im Volksmund „Goethe-Schloss“) oft ein liebgewonnenes Zuhause und hier verfasste er auch seine Dornburger Gedichte.
Vor meinem geistigen Auge entstand ein Bild: Goethe und sein Herzog hoch zu Ross und von der Kleidung her nicht als Höflinge erkennbar, reiten von Weimar kommend, Apolda rechts liegen lassend über die Hochebene Richtung Dornburg und - bei den Dornburger Schlössern angekommen - öffnet sich unversehens die Landschaft den Blicken. Unten die Saale, an den Hängen Weinreben und ich komme ins Schwärmen und zu meiner x-ten Empfehlung: Besucht dieses Schlösser-Ensemble und ihr versteht, warum ich meine Heimat so liebe.
Dieses Goethe-Gedicht entstand in Dornburg:

Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten
Nebelschleiern sich enthüllen,
Und dem sehnlichsten Erwarten
Blumenkelche bunt sich füllen,

Wenn der Äther, Wolken tragend,
Mit dem klaren Tage streitet,
Und ein Ostwind, sie verjagend,
Blaue Sonnenbahn bereitet,

Dankst du dann, am Blick dich weidend,
Reiner Brust der Großen, Holden,
Wird die Sonne, rötlich scheidend,
Rings den Horizont vergolden.

Und das nächste, das kann ihm eigentlich nur von dem versteckten, nackige Amor der vergangenen Nacht zugeflüstert worden sein:




Wahrer Genuß.

Umsonst dass du, ein Herz zu lenken,
Des Mädchens Schoß mit Golde füllst;
Der Liebe Freuden lass dir schenken,
Wenn du sie wahr empfinden willst.

Gold kauft die Stimmen großer Haufen,
Kein einzig Herz erwirbt es dir:
Doch willst du dir ein Mädchen kaufen,
So geh und gib dich selbst dafür.

Soll dich kein heilig Band umgeben,
O Jüngling, schränke selbst dich ein!
Man kann in wahrer Freiheit leben
Und doch nicht ungebunden sein.

Lass nur für Eine dich entzünden;
Und ist ihr Herz von Liebe voll,
So lass die Zärtlichkeit dich binden,
Wenn dich die Pflicht nicht binden soll.

Empfinde, Jüngling! und dann wähle
Ein Mädchen dir, sie wähle dich,
Von Körper schön und schön von Seele,
Und dann bist du beglückt, wie ich.

Ich, der ich diese Kunst verstehe,
Ich habe mir ein Kind gewählt,
Dass uns zum Glück der schönsten Ehe
Allein des Priesters Segen fehlt.

Für nichts besorgt als meine Freude,
Für mich nur schön zu sein bemüht,
Wollüstig nur an meiner Seite,
Und sittsam wenn die Welt sie sieht;

Dass unsrer Glut die Zeit nicht schade,
Räumt sie kein Recht aus Schwachheit ein,
Und ihre Gunst bleibt immer Gnade,
Und ich muss immer dankbar sein.

Ich bin genügsam und genieße
Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
Wenn sie bei Tisch des Liebsten Füße
Zum Schemel ihrer Füße macht,

Den Apfel den sie angebissen,
Das Glas woraus sie trank, mir reicht,
Und mir bei halb geraubten Küssen
Den sonst verdeckten Busen zeigt.

Und wenn in stillgesell'ger Stunde
Sie einst mit mir von Liebe spricht,
Wünsch ich nur Worte von dem Munde,
Nur Worte, Küsse wünsch ich nicht.

Welch ein Verstand, der sie beseelet,
Mit immer neuem Reiz umgibt!
Sie ist vollkommen, und sie fehlet
Darin allein, daß sie mich liebt.

Die Ehrfurcht wirft mich ihr zu Füßen,
Die Sehnsucht mich an ihre Brust.
Sieh, Jüngling! dieses heißt genießen,
Sei klug und suche diese Lust.

Der Tod führt einst von ihrer Seite
Dich auf zum englischen Gesang,
Dich zu des Paradieses Freude,
Und du fühlst keinen Übergang.

Die Parkanlagen - ein Genuss für die Augen und, am Ende eines Laubenganges - Elischa!
Eine zauberhafte Büste, für die Elischa Modell gestanden haben muss, mit leicht geneigtem Kopf, aber unverkennbar, es war Elischa.
Vom reichhaltigen Frühstück noch gesättigt, verzichteten wir auf ein ausgiebiges Mittagessen, holten uns eine der allgegenwärtigen Thüringer Bratwürste und fuhren zurück nach Jena - der Botanische Garten wartete ja noch auf uns. Auch da: Erinnerungen an meine Kindheit. Mein Opi - ich erinnere daran - das war der Schneidermeister, hatte mich als Siebenjährigen mal abends mitgenommen, weil im Botanischen Garten zu später Stunde die „Königin der Nacht“ erblühen sollte. Für mich waren auf einem Teich schwimmende riesige Blätter mit einem Rand, die aussahen wie große, grüne, flache Schalen und die angeblich sogar ein Baby tragen könnten, erst einmal viel interessanter, vor allem, weil eine Unzahl von Menschen mitten in der Nacht um das zu erwartende Kaktus-Blütenwunder herum standen und mir die Sicht versperrten. Das Aufblühen dauerte mir viel zu lange, aber mein Opi setzte mich auf seine Schultern und so konnte ich diese Wunderblüten bewundern.
Nun, auf eine Königin der Nacht brauchten wir heute nicht zu warten. Mich zog es zu den gewaltigen Ginkgo-Bäumen, die dem Vernehmen nach von Goethe höchstselbst gepflanzt worden sind. Eine Handvoll getrockneter, gepresster Blätter befindet sich noch heute zwischen den Seiten eines Goethebuches.
Dass wir, Elischa und ich, am nächsten Tag nach Dresden fahren würden, war die ganze Zeit über kein Gesprächsthema. „Morgen fahrt ihr also nach Dresden - wie lange bleibst du denn da?“, meine geliebte Tante Ursel schaute mich ganz traurig an und sprach auch verdächtig leise. „Ja, morgen gehts nach Dresden. Eva muss sich ja wieder am Aufbau der DDR beteiligen.“ - „Ja“, Eva hatte das Gespräch mitbekommen, „aber vor Sonntag kommst du mir da nicht weg.“
Ein Imbiss bei Ursel und Gerhard, es begann die Abenddämmerung und Elischa und ich machten uns auf den Weg zum Gartenhaus.
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