Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Gedichte-Forum > Liebe, Romantik und Leidenschaft

Liebe, Romantik und Leidenschaft Gedichte über Liebe, Herzschmerz, Sehnsucht und Leidenschaft.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 08.12.2010, 00:33   #1
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard Gajané

1. Freunde, vernehmet Geschichten aus uralten Tagen,
denkt an die Zeiten der Ritter und bildschönen Frauen!
Setzt euch im Kreis um ein Feuer und lauschet den Sagen,
lasst uns vergnüglich beim Weine Vergangenes schauen.

2. Es kreisen die Römer in männlicher Runde,
noch jung ist der Abend und freudig begrüßen
drei Ritter den Barden in dämmriger Stunde. –
Der greift in die Saiten, und alle genießen
vor lodernden Scheiten die Lieder des Sängers.

3. „Uns begeistert, Orpheus, deiner Leier Klang“,
spricht der düstre Ritter Sieghard Eichenwald,
„sagt uns Stand und Namen, letzten Aufenthalt!“
„Es nennt mich jedermann Orlando Vogelsang,
ich lebte sieben Jahr` im fernen Hayastan.“

4. „Wir begehren mehr zu wissen, gebt Bescheid!“,
nimmt der Degen Gunter Flammenherz das Wort,
„sprecht, was trieb vom heil`gen Ararat euch fort?“
„Es war, ihr edlen Klingen, Qual und Liebesleid,
und nimmer führt ein Weg für mich zu ihrem Herz.“

5. „Stimme, Sänger, neu die Leier, lass dein Lied
Kunde bringen, mach die Dame uns bekannt!
Sing von ihr und auch dem fernen, fremden Land!“,
fordert weinbeseligt Heinrich Erlenried,
„gebt Orlanden, Freunde, ein gefülltes Glas!“

6. Der Barde ergreift den geschliffenen, vollen Pokal:
„Sei willkommen, flüssige Traube und lös mir die Zunge,
benetze die Seele, du himmlischer Tropfen und stärke die Lunge,
mein Lied, von der Leier begleitet, es fülle den Saal!

7. Nun höret, geadelte Degen, die Mär meines Lebens:
Mein sonnenverwöhntes, gebirgiges Land an der Flanke
kaukasischer, Himmel berührender, schneeiger Gipfel,
gesegnet mit fruchtender Fülle in grünenden Tälern
und reizenden Mädchen mit lockenden, glutenden Augen,
du locktest gewaltig den Jüngling vom heimischen Herde.
Im Sevan betrachtet die Wölbung des Himmels gefällig
die eigene Bläue im spiegelnden, fischreichen Wasser.
Khatchkare an Wegen bezeugen den christlichen Glauben,
Obsidian glänzt auch in Kirchen und schmückt die Ikonen,
und Flammen der Kerzen begleiten die stillen Gebete.“

8. „Wann, Orlando, singt ihr endlich
uns das Lied von jener Schönen,
eures Herzens Königin?“,
unterbricht der finstre Sieghard
grob des Sängers frohen Jubel.

9. Feurig auch ist Gunters Rede:
„Wortreich habt ihr uns verkündet
alle Reize dieses Landes.
Lasst mit Tönen eurer Leier
Minnesang für uns erklingen!“

10. Heinrich selbst, der sanfte Degen,
spricht zum Barden diese Worte:
„Male, wortgewandter Dichter,
Bilder unsern innren Augen
von der Fürstin aller Weiber!“

11. „Gescholten habt ihr Recken mich und nicht bemerkt,
dass alle Worte meines Mundes Lobgesang
für Gajané nur sind und reine Minne war`n.

12. Es trübt sich des Sevans von Sayat besungene Klarheit,
wenn je ihrer leuchtenden Augen Gefunkel verlischt.
Obsidian, schimmernder Zeuge vulkanischer Kräfte, -
der Glanz ihrer küssenden Lippen ist tausendfach schöner!
Ihr Atem verströmt die betörenden Düfte der Narde,
noch süßeren, lieblich`ren Hauch werden mächtige Götter
den Rosen elysischer Felder mitnichten entlocken.
Die blendende Helle des schneereichen Gipfels des Masis
erbleicht vor der Pracht ihres Busens und hüllt sich in Wolken.
Die samtweiche Haut ist gewiss Aprikosen vergleichbar,
und seidige Locken verführen zu zärtlichen Spielen,
die steinernen, stummen Khatchkare besingen die Liebe.“

13. Orlando schweigt und träumend sinkt des Sängers Blick
in fast erloschnen Feuers letzte rote Glut.
Besonnen spricht mit leiser Stimme Sieghard dies:

14. „Fürwahr, ihr habt mit eurer Mär
mein hartes Herz zutiefst berührt.
Ich reite morgen an den schwarzen See,
ihr seid es, der mich zu ihr führt.
Mein Ziel ist sie zu finden – Gajané.“

15. „Von Gajané verträumt nur sinnen,
verbieten mir mein Stolz und Ritterehr`.
Der Beste soll das Weib gewinnen,
ich folge euch zum großen Schwarzen Meer.“,
so lauten Ritter Gunters wackre Worte.

16. „Ich, Heinrich, Ritter Erlenried, verkünde:
Zum edlen Wettstreit tret ich gerne an!
Für`s schönste Weib begeh ich jede Sünde,
das Abenteuer ziert den tapfren Mann.
Lasst uns nun ruh`n und alle Kräfte sammeln.“

17. Beschlossen ist der kühn-verwegne Plan:
Zu viert gehts morgen los ins ferne Hayastan!

18. „Sattle, Knappe, säume nicht,
im Stall die schwarze Stute!“,
schallt im ersten Morgenlicht
Sieghards Stimme, und der gute
Knecht des kühnen Kämpen
tut wie ihm befohlen.

19. „Rüste mir das rote Ross,
den Renner will ich reiten,
schneller als ein Pfeilgeschoss
überwindets alle Weiten.“
Wie der Ritter es befiehlt,
wird in Eil das Pferd gezäumt.

20. „Himmelherrgott, her zu mir!,
spürest sonst die Rute!“,
Heinrich ruft`s aus dem Quartier,
„Bring herbei die Schimmelstute,
hole Schild und Lanze,
reich mir auch mein Wappen!“

21. „Orlando, sagt uns, Musenkind,
wie wollt ihr uns begleiten?
Auf den Flügeln der Musik
ist nicht gut zu reiten!“

22. „Der Poesie gelinde Winde,
die zart der Leier Saiten rühren,
sie wehn als West und führen
uns zu dem schönen Kinde.“

23. Auf den Rücken der Rösser beginnt die beschwerliche Reise;
in das östliche Land ist der Weg leicht mit Hilfe der Sonne zu finden.
Sie bezeichnet das lockende Ziel in der frühesten Stunde des Morgens,
wenn sie golden die Gipfel der fernen Gebirge bestrahlt.
In den Nächten beschirmt der gestirnte, unendliche Himmel die Ritter.
Wie die Wochen vergehen, erzählt die sich wandelnde Scheibe des Mondes.
Als das Rund der Selene sich dreimal erneuert, erspähen die Degen
die Gestade des Meeres und rastend bedenken die Recken die weitere Reise.

24. „Lasst uns rasch ein hölzern Schiff erbauen,
Segel setzen, dann dem Wind vertrauen.
Übers Meer und nimmer achtend der Gefahren
Führt der kurze Weg zum Ziel, wir sparen
Zeit und morgen werden wir das andre Ufer schauen.“,
schlägt der Recke Erlenried den andern vor.

25. „Schneller werde ich auf längren Wegen
über Land den Fuß des Ararat erreichen.
Fester Sitz im Sattel ist nicht zu vergleichen
einer Fahrt im Schiff, und zu verwegen
scheint der kühne Plan, auf schwanker Wellen Flur zu fahren.“,
widerspricht der Degen Sieghard seinem Freund.

26. Ritter Gunter hat bisher geschwiegen,
fragend wandern zu Orlando seine Blicke:
„Könnten wir verbinden unsere Geschicke,
auf den Flügeln Eurer Lieder fliegen?“

27.„Auf des Kranichs gefiederten Schwingen
ist nur Platz für Poeten, die singen.
Ihr, geadelte Klinge, müsst reiten,
oder Sieghard im Schiffe begleiten!“

28. Über dem Feuer am Spieße gebraten,
wartet die gestern geschossene Sau
hungriger Mägen willkommene Speise zu werden.
Würziger Wein aus den zinnernen Bechern
schmeckt zu der Mahlzeit und stärkt unsre Recken.
Satt und zufrieden, betrunken in Maßen,
fassen die vier den Beschluss, den Orlando verkündet:

29. „Reitet ihr, Sieghard, den Pfad, der das Ufer des Meeres umsäumt.
Gunter und Heinrich, ihr werdet die Fluten des Meeres im Schiffe durchqueren.
Kümmert euch nicht um den Sänger Orlando, den tragen die Musen ans Ziel!“

30. Sechsmal rast der Sonnenwagen
seinen Weg von Ost nach Westen.
Glücklich finden dann die Degen,
schlummernd unterm Maulbeerbaume,
ihren Barden an dem abgesproch`nen Platze.

31. „Der Sattel zwischen Sis und Masis,
er weist den Weg nach Erebuni.
Auf Noahs Spuren, seid gewiss,
da finden wir, ihr Klingen, - sie!“

32. Aus felsigem Grunde
wächst die Feste Erebuni,
des Königs gewaltige Feste,
empor.
Wolken berühren die Zinnen der Mauern,
der hochragende Bergfried
in Palastes Mitte
beschattet am Morgen
den Weg
zum eisenbeschlagenen
Tor aus Eichenbohlen.
Davor das schimmernde Wasser der schützenden Wehr;
mit steilem Hang
verrichten die Berge im Norden
den gleichen Dienst für den Frieden im Lande.
Wimpel schmücken alle Zinnen,
feurige Lanzen der Sonne
lassen flammend das Wappen des Herrschers erglänzen.
Das Strahlen verkündet:
Des Königs Gemahlin,
die Tochter Gajané,
der Herrscher selbst
weilen in der Festung.

33. Aus der Ebne, aus der Täler Enge,
aus den Wäldern, von den Bergeshöhn
strömt herbei die bunte Menschenmenge,
auf den Beinen scheint das ganze Land;
feierlich gekleidet, prächtig anzusehn,
webet sie den Weg zum farbenfrohen Band.

34. Trompetensilber schmettert froh Willkommen!
Des Königs Herold nimmt danach das Wort:
“Ihr Ritter habt in aller Welt vernommen:
Die Feste Erebuni ist der Ort,
des Königspaares Tochter zu bekommen,
als Sieger geht mit Gajané ihr fort.
Ihr Edlen, lasst den Wettstreit bald beginnen,
es gilt, das Herz der Schönsten zu gewinnen!“

35. Tapfere Ritter, Gajané bin ich und
heiße unsere Gäste gern willkommen.
Ringt um meine Huld und gewiss ist euch die
Tochter des Königs.

36. „Mütterchen Russland ist unsere Heimat,
weit war der Weg in das Land Hayastan.
Nerze und Zobel sind Grüße des eisigen Nordens,
ewige Freundschaft versichert euch Väterchen Zar!“

37. „Tausend Jahre sollt ihr leben!,
wünscht der Tenno, unser Kaiser,
Seide soll euch immerdar umschmeicheln,
eurer Haut mit sanftem Streicheln
Nippons Neigung stets beweisen!“

38. „Auf Kamelen kamen wir geritten,
hundert Tage dauert` unsre Reise,
fremd sind uns des Landes Sitten,
doch erfreut uns Art und Weise
eures Umgangs mit den Wüstensöhnen!
Eure Schönheit lässt sich nicht verschönen,
nehmt das Gold, die Edelsteine,
schenkt sie euren Knechten, euren Pferden,
dass geschmückt sie eurem Glanze würdig werden!“

39. „Am Vater Rhein, an dessen Hängen Reben
in dicht gedrängten Reihen duftend blühen,
erreichte uns die sagenhafte Kunde
von deiner Schönheit, Gajané, und hierher
geleitet von Orlando und den Sternen,
betraten wir mit heil`gen Schaudern gestern
das Land am Ararat, auf dessen Gipfel
die Arche Noah` erste Hoffnungsstrahlen
aus Farbenspiel des Regenbogens trafen.
Ach, könnte Gott sein Bündnis mit den Menschen
erneuern mit Symbolen schön`rer Bildung!
Allein die Brauen deiner braunen Augen,
sie ließen stets uns Jahves Gnade sehen."

40. Gott erteile seinen Segen,
jedem werde er zuteil!
Zwietracht soll sich nimmer regen,
niemand treibe einen Keil
zwischen euch, ihr Herrn,
fechtet fair, und fern
sei'n euch Trug und listge Tücken.
Sieg und Ruhm solln euch beglücken!

41. Todverachtend fingen diese Bestie unsre Krieger,
Mann und Weib und Kind verschlang ihr nimmersatter Schlund.
Rettet Hayastan, befreit das Land vom wilden Tiger,-
Euer Wappen zeigt ein flammend Herz auf rotem Grund.
Gott mit euch! - Und Schwertes Schärfe küren euch zum Sieger!

42. Der Zwinger der Burg ist die große Arena,
die Bestie, befreit von geschmiedeten Fesseln,
erstürmt mit gewaltigem Sprung das Geviert,
den Menschen erstarrt in den Adern das Blut.
Die Attacke des Tigers erwartend,
hat der Ritter geschwind mit der Rechten
aus der Scheide den Degen gezogen,
und er richtet die Spitze der Klinge
auf das Herz des gefährlichen Raubtiers.
Enger zieht der Tiger seine Kreise,
faucht und droht mit scharfem Zahn,
duckt sich sprungbereit und –
greift den Ritter an.
Sie schwirrt und teilt die Luft, die scharfe Klinge,
ein Gott, so scheint es, führt die Hand des Kämpfers;
das Herz des Mordtiers trifft der Stahl der Waffe.
Hoch spritzt das Blut, es reißt im Todeskampfe
der Bestie Tatze eine tiefe Wunde,
vermischtes Blut versickert bald im Sande,
ein letzter Blick des todgeweihten
Ritters gilt Gajane und seine Lippen flüstern:
„Ich liege hier, geliebtes Weib und habe
nur eine Bitte, Gajane: Versüße
mit einem Kuss den Tod, bevor ich sterbe.“

43. „Wir haben den Helden mit trauernden Sinnen
drei Tage geehrt und das flammende Herz
im Wappen des Ritters zum ew`gen Gedenken
mit lauterem Erze vergoldet.
Orlando morgen, heute Erlenried,
sie werden das Turnier beenden.
Ich rufe Ritter Heinrich auf,
er soll dem Urteil Gajanes sich stellen.“

44. „In schwarzer Trauer war bis gestern ich versunken,
des Freundes Tod beweinte ich zutiefst erschüttert.
An fremden Ufers Rand, geheimnisvoll umwittert
von Nebeln, hat aus Lethes Fluten er getrunken.
Wir kommen vom Wasser,
wir gehen zum Wasser,
in Wellen verläuft unser Leben.
Wir schöpfen und trinken
und sehen im Wasser
Vergangnes, das Heute
und kommende Zeiten.
Ich sah in dem Meere
die Tochter des Königs,
berührte die Seele
der schönen Prinzessin
und freite die Fürstin,
gewiss ihrer Liebe.
Die Erlen am Ufer,
das Ried an den Rändern
der plätschernden Bäche,
sie schmücken das Wappen
der Nixen und Ritter,
sie wohnen im Wasser,
sie leben am Wasser
und kennen die Zukunft,
das Heute und Gestern.
Ich sehe uns beide,
wir sind wie das Wasser,
die Wellen der Liebe,
sie tragen uns beide."

45. Erlenried verbeugt sich tief,
Schweigen herrscht und kaum verstanden
hat die rätselhafte Rede
irgendeiner aus der Menge.

46. Trompetenschall von Felsen widerhallt,
der Herold ruft den Degen Eichenwald:
„Dein Wappen zeugt von Erdverbundenheit,
mach dich bereit zum dritten edlen Streit!“

47. Schneller als Augen zu schauen vermögen,
fliegt aus der Scheide das funkelnde Schwert,
fährt wie der Blitz in die Äste der Eiche, -
Sieghards gewaltige, wuchtige Streiche
lassen vom ehemals stolzen Gewächs
nur den enthaupteten Torso des Baumes.
Diesen bearbeitet Eichenwalds Klinge,
staunend betrachten das Werk seiner Hände
gaffendes Volk und die Großen des Hofes,
sehen doch alle, wie wundersam Sieghard
seinen geheimsten Gedanken Gestalt gibt.
Prächtig gebildet aus leblosem Holze
hat die Prinzessin in kürzester Zeit
dank der gestaltenden Kräfte des Ritters
eine gemaserte Schwester gefunden.

48. Ich sage Dank den Edelsten des Erdenrunds!
Der Tod des Heinrich Flammenherz betrübt mich sehr,
er hat dem Land am Ararat mit seinem Mut
die bange Furcht vor Feinden jeder Art verscheucht.
Er wird ab heut genannt „Der Held von Hayastan“.
Ihr Edlen habt mit blankem Schwert und reinem Sinn,
Verstand und Mut um meine Gunst und Huld gekämpft, -

49. Gefochten hat noch nicht Orlando Vogelsang.
Geduld bitt ich mir aus, im ersten Morgenlicht
geb ich bekannt, für wen mein Herz in Liebe brennt.

50. Mit der scheidenden Sonne beginnt
das Geraschel der Blätter im Baum,
und Gezwitscher der Vögel ist bald
für die Lauschenden schönste Musik.

51. Mit freundlichen Worten begrüßt
der König die Gäste und winkt
dem eifrigen Schenken Bescheid,
die Gläser der Recken zu füll`n.

52. „Es lebe Armenien!“, ergreift der Nestor
der Runde, Graf von Werfelstein, das Wort
und „Gedse Hayastan!“, erschallts im Chor.

53. Dem Gesandten des Zaren gebührt vor den andern,
dem Gebot aller höfischen Sitte entsprechend,
mit gehörigem Spruch einen Toast zu verkünden.
„Ich habe“, so ruft er mit tönender Stimme,
„in Ani die eintausend Kirchen gesehen.
Der Herrgott beschütze das Land und die Menschen!
Erhebt von den Sitzen euch, lasset uns trinken
den goldfarbnen Cognac aus edelsten Reben,
die Noah einst pflanzte am heiligen Masis
und dankend der Gnade des Himmels gedenken!“

54. „Wir haben“, spricht des Tennos würdevoller Mandarin,
im Lande Nippon Sitten, die den euren ähneln:
Der Gast, der unter unsren Dächern weilt, geborgen
ist er und darf sich sicher sein des Schutzes seines Wirtes.
In euren Herzen ist die Tugend, Gäste, lieben Freunden gleich,
mit Wärme offen zu empfangen, längst Bedürfnis aller Hay.
Der dritte Trunk, er sei gewidmet
der Menschlichkeit, die ich erfahren hab in euren Mauern!“

55. Mesrops Eisenschrift, ihr Brüder,
macht` die Bibel uns bekannt.
Khutchaks Verse, Sayats Lieder
klingen bis ins Morgenland,
Komitas Choräle hallen wider
von des Atlas Felsenwand.
Klein ist euer Land, doch groß das Erbe
aller. Schenke! Mach die vierte Kerbe,
füll das Glas mit Saft der Reben!
Hayastan, hoch sollst du leben!“

56. „Ihr habt mit Wortgewalt und hohem Sinn
des Landes Ruhm in hellsten Farben schön gemalt.
Verzeiht! Ihr habt versäumt, das Beste zu erwähnen:
Wir sahn in die Augen der Frauen hinein,
in tiefschwarze, braune und blaue, -
dem Meere vergleichen die Dichter Armeniens die Augen
mit Recht, wie wir meinen und alles erzählen.
Der fünfte und letzte der Lobesgesänge, er gilt
den Frauen und Mädchen des gastlichen Landes!

57. In Erwartung des kommenden Tages
Wird das Gastmahl beendet zur Mitte der Nacht.
Die gesättigten, trunkenen Ritter und
das Gesinde des Königs begeben zu Bett sich und schlafen.

58. „Orlando“, spricht der Herold,
kaum gehorcht die schwere Zunge,
„komm herbei, du Tugendbold,
erfreu uns mit der Kraft der Lunge!“

59. Dem Nachtigallenschlag zu lauschen,
begab ich mich auf`s freie Feld,
ich hörte Liebesworte tauschen,
es warn die schönsten von der Welt.
Villon, du lobst die süßen Küsse
der schönen Frauen von Paris,
Villon, du großer Bruder, wisse:
Auf dieser Welt ist nichts so süß
wie Nachtigalls Geflüster mit den Rosen;
sie küssten sich und tauschten ihre Ringe,
ach, könnt ich Gajané so kosen,
mir Hörn und Sehn, das Singen selbst verginge!
Ich hörte kaum, wie sie mit leisen Schritten,
die Liebste, wie sie zu mir kam.
Als sie mich zärtlich in die Arme nahm,
erfüllt` ein Gott mir meine größte Bitten.
Es hat um sie ein großer Kampf getobt,
verzeiht, ihr Herrn, dass ich dem Streit entsage,
vergesst, ich bitt!, die Mühsal dieser Tage:
Wir haben, Gajané und ich, uns diese Nacht verlobt.


Epilog

60. Liebe geduldige Leser und –innen, ich danke!
Eure Geduld ist unendlich und großer Respekt ist
meine Verbeugung vor allen Poeten des Forums!
Hab ich nur hundert, nur fünfzig, nur zwanzig, nur sieben
weibliche Leser gewonnen und mäßig begeistert,
leiste ich gerne Verzicht auf die männlichen User,
schlägt doch mein goldiges Herz nur den reizenden Damen.
Schluss jetzt und – Amen!


Um das „Googlen“ zu ersparen, sind hier einige Begriffserläuterungen.

„Römer“ – Ruhmesbecher, geschliffene Weingläser
„Orpheus“ – Sänger der griechischen Mythologie, hier als allgemeine Anrede für einen Sänger
„Hayastan“ - Armenien in der Landessprache
„Ararat“ – der heilige Berg der Armenier, von ihnen „Masis“ (Mutterberg) genannt, 13. Strophe
„Degen“ + „Klingen“ – pars pro toto für Schwertträger
„Barde“ – Sänger
„kaukasische Gipfel“ – Gipfel/Berge des Kaukasus im Norden Armeniens
„Sevan“ – der in ca. 2000 m hoch liegende sehr große Süßwassersee nördlich von Jerevan
„Khatchkare“ – im Siedlungsgebiet der Armenier „Kreuzsteine“ (Steinmetzarbeiten)
„Obsidian“ – ein gläsernes Mineral, der auch zu Schmuck verarbeitet wird
„Ikonen“ – Heiligenbilder (eigtl. der orthodoxen Kirche); Armenier sind armenisch-apostolisch
„Gajané“ – ein sehr beliebter Mädchenname in Armenien (der berühmte Säbeltanz stammt aus der
gleichnamigen Ballettmusik von Aram Khatchaturian)
„Aprikosen“ – die „armenische Pflaume“, eine saftige, gold-orangefarbene Frucht, die in Armenien kultiviert wurde
„schwarzer See“ + „Schwarzes Meer“ – bis dahin dehnte sich westwärts das Königreich Hayastan aus
„Sayat“ – berühmter armenischer Dichter
„Selene“ – für Mond (griech. Göttin des Mondes)
„Erebuni“ – die Festung, die Eriwan (Yerevan), der Hauptstadt Armeniens den Namen gab
„Masis“ – der große Ararat
„Sis“ – der kleine Ararat
„Mesrop“ – Mönch und „Erfinder“ der armenischen Schrift; Bibelübersetzung 1000 Jahre vor Luther
„Gedse Hayastan“ – Es lebe Armenien
„Hay“ – Selbstbezeichnung der Armenier
„Komitas“ – berühmter Komponist, insbes. Kirchenmusik
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.12.2010, 10:26   #2
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Halli Hallo, Heinz!


Ich habe mich leider noch nicht ganz durchgekostet.
Vorabkommentar:

Hohe Kunst!

Später mehr von

Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.12.2010, 12:09   #3
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard Gajané

Lieber Thing,
koste weiter. Zu den einzelnen Strophenformen samt ihrer Begründung und des jeweils gewählten Metrums sowie den Hintergründen gebe ich Dir gern per Mail Auskunft (weil ich nicht gern im Forum meine eigenen Werke interpretiere).
Viel Spaß bei diesem sehr langen Werk.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.12.2010, 11:55   #4
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Halli Hallo, Heinz!

Ich habe bis einschließlich Strophe 53 gelesen.
Irgendwie habe ich das Ableben des zweiten Ritters nicht mitbekommen. Habe ich zu unaufmerksam gelesen?
Beim "Toast" machte ich Pause.
Der schmeckt mir gar nicht, im Gegensatz zu den anderen Versen, die ein wahrer Genuß sind - von einigen Vorbehalten abgesehen.
Vor allem mit den Apostrophen bin ich nicht so sehr einverstanden. An vielen Stellen sind sie entbehrlich, sind auch der Metrik wegen nicht wirklich vonnöten.
An einer Stelle finde ich den Apostroph sogar falsch ("Noah").
Aber das sind "Kinkerlitzchen"!

Sinn meines Kurzkommentares:
Ich bin hingerissen!

(Dein Glossar ist äußerst hilfreich!)

So bitte ich wieder um Geduld - die Deinge und die meinige - für meinen dritten Kommentar!


Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.12.2010, 11:17   #5
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Halli Hallo, heinz!

Der Epilog soll gewiß ein dichterisches Augenzwinkern sein.
Ansonsten erkläre ich mich sofort zur Frau, was wiederum Dir sicher nicht genehm wäre ob meines Alters.

Ich wiederhole die Elogen von Kommentar I und Kommentar II.
Ich bin immer noch hingerissen.
Wortgewaltig, berauschend!
(Hier ist kein Superlativ billig!)


Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.12.2010, 13:25   #6
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard Gajane

Lieber Thing,
erst einmal herzlichen Dank für die Mühe (die hoffentlich nicht davon abhält zuende zu lesen) und Deine lobenden Worte! Zum Hintergrund: ich hatte das Gedicht "Nänie" geschrieben und bin von meinen armenischen Freunden sehr dafür gelobt worden. Meine wunderschöne Freundin Hermine sagte mir hinterher, ich müsse unbedingt mal etwas schreiben, das nicht so traurig sei, denn die Armenier seien doch ein ganz heiteres Volk. In der Gajane wollte ich dann soviel wie möglich von meiner Liebe zu diesem Land und seinen Bewohnern/Bewohnerinnen duchklingen lassen. Die Strophen 53 bis 56 bedürfen vielleicht einiger Erläuterungen. Ich lasse den Vertreter Russlands, dem Nachbarn im Norden, sprechen, dann geht es im Uhrzeigersinn weiter nach Osten (Japan), nach Süden ins Morgenland und zuletzt nach Deutschland im Westen (von Armenien aus gesehen). Der Vertreter des Zaren spricht von Ani, der Stadt mit den eintausend Kirchen. Heute liegt Ani auf türkischen Staatsgebiet und leider lassen die Türken die Ruinenstadt ziemlich verkommen. Der "edelste" Cognac (der ja eigentlich gar nicht so heißen darf) ist ein Göttergeschenk! Trink mal einen dreißigjährigen armenischen Brandy - ein Genuss! Der eigentliche Hinweis steckt im Verborgenen: Cognac ohne Wein geht nicht. Und die Legende sagt, dass Noah nach der Landung seiner Arche am Ararat dort Weinreben pflanzte.
Der Japaner ist von der Gastfreundschaft Armeniens begeistert und ich versichere Dir: Du wirst auf der Welt kein gastfreundlicheres Land als Armenien finden. "Hay" - so nennen sich die Armenier selbst (Hayastan ist ja das Land Armenien in der Landessprache).
Die "Morgenländer", von Büchern (Schriftrollen) von Hause aus begeistert, bewundern die "Eisenschrift" Mesrops. Mesrop war ein armenischer Mönch (man sollte wissen, dass die Armenisch Apostolische Kirche die älteste christliche Staatsreligion (301 n. Chr.) ist, Mesrop im 5. Jhdt. erstens die armenische Schrift entwickelte (später auch die georgische) und eintausend Jahre vor Luther die Bibel ins Armenische übersetzte. Komitas, ein sehr berühmter Komponist Armeniens (den meisten ist nur der berühmte Säbeltanz aus dem Ballett Gajane von Khatchaturian bekannt), konnte sich in den Wirren des Genozids nach Paris flüchten (und ist da auch, dem Wahnsinn verfallen, gestorben), hat wunderschöne Sachen geschrieben.
In der Strophe 56 spricht dann der Deutsche (ich gestehe: Das LI ist in diesem Fall der Autor) und natürlich sind ihm (mir) die faszinierenden Augen der Armenierinnen am meisten aufgefallen.
Mit den überflüssigen Apostrophen gebe ich Dir recht. Aber ich finde keine Änderungsfunktionstaste.
Von den Rittern ist nur einer gestorben (beim Kampf mit dem Tiger).
So, und nun viel Vergnügen beim Lesen des Rests.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.12.2010, 15:31   #7
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Aber, aber, Heinz!

Wenn ich den Epilog kommentiert habe, wirst Du doch sicher voraussetzen, daß ich Dein Werk vom erstn bis zum letzten Buchstaben gelesen habe (inclusive Glossar)!
Deine Zusatzerklärungen helfen mir aber über den einzigen Rittertod hinweg.
Den Rest habe ich sehr wohl verstanden!
Und genossen.

Wert, nicht nur nur ein einziges Mal gelesen zu werden!

Leider bin ich an mein Haus gebunden, Armenien wird mir für immer unerreichbar bleiben, es sei denn, ich finde durch solch schöne Werke dorthin.

Thing


PS
Ich nehme an, dies Gedicht soll keine reine Klage sein. Oder hat die Nänie auch eine nicht-traurige Bedeutung?
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.12.2010, 20:15   #8
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard Gajane

Lieber Thing,
nein, meine Gajane ist alles andere als eine Klage. Allein Gajane einmal gesehen zu haben, reicht für ein sehr lang andauerndes Hochgefühl. Das Gedicht soll eigentlich meine Liebeserklärung an dieses "kleine Land mit großem Erbe" (so hat es Ralf Giordano mal bezeichnet und ich durfte mit seinem Einverständnis diese Redewendung immer dann, wenn ich sie für angebracht hielt, verwenden). Aus Deinen Zeilen klingt ein bisschen Wehmut. In Armenien würdest Du gesunden.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.12.2010, 20:55   #9
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Halli Hallo, Heinz!


Ich bin entsetzt!
Ich habe von Ralph (Ralph, Ralph, Ralph!) Giordano so gut wie Alles gelesen, auch seine Leserzuschriften in meinem Magazin.
Durfte mit ihm telephonieren, habe Autographe von ihm - er war bereit, seine Bücher zu signieren ! - und ranke mich - als Alter! - an seiner Größe auf wie eine junge Erbse.

Aber das soll nicht von Deinem großartigen Werk ablenken!

Falls ich mich - in halber Ekstase - grammatikalisch verging:
Verzeih!


Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.12.2010, 00:24   #10
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Standard R. Giordano

Lieber Thing,
wir haben offensichtlich für den gleichen Mann dasselbe faible. Ich hatte die große Ehre und das außerordentliche Vergnügen, diesen Löwen (für mich war er immer ein Löwe) persönlich kennen zu lernen. Aus ganz privaten Gründen war er zweimal verhindert, an Veranstaltungen unter dem Titel (der von ihm stammt) "Armenien - kleines Land mit großem Erbe" teilzunehmen. Aber er schickte mir beide Male ein ausführliches Grußwort, das beim ersten Mal von Hans-Peter Minetti, beim zweiten Mal von mir verlesen wurde. Ein toller Mann!
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.12.2010, 00:57   #11
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Auch in meinen Augen ein Löwe - nicht nur der Mähne wegen.

Wer seinen Roman "Die Bertinis" las, wird sein Leben lang gefesselt bleiben.

Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Gajane




Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.