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Alt 01.10.2014, 19:17   #1
weiblich Merith
R.I.P.
 
Dabei seit: 10/2013
Ort: Im Isental
Alter: 83
Beiträge: 3.380


Standard Ein Nachmittag in der Stadt

Es ist einer dieser heißen letzten Augusttage, die dem Himmel das Blau nehmen und ihn silbrig färben und nur der Schatten eines Kastanienbaums Kühle spendet.
Aber ich überwinde mich trotzdem zu einem Spaziergang in meine kleine Stadt, möchte noch einmal das Kopfsteinpflaster unter den dünnen Sohlen meiner Sandalen spüren, denn ab morgen soll es regnen und am Ende regnet es sich ein und ich kann nicht mehr barfüßig in meinen Schuhen gehen.
Ich setze mich in den kleinen Stadtgarten meines Stammcafés und flüchte in den Schutz einer Zeitung, um für kurze Zeit vor allzu redefreudigen Bekannten sicher zu sein. Während ich Blatt für Blatt wende und mich eifrig lesend gebe, bin ich freilich auch nicht ganz frei von Neugierde, mit der ich den Gesprächen meiner Tischnachbarn folge.
Da sind diese drei jungen Burschen im Alter meines Enkels, die sich damit groß tun, die 10. Klasse und folglich die Mittlere Reife , erreicht zu haben; dabei steht ihnen die Erleichterung darüber so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass ich in mich hinein lächeln muss - auch in Erinnerung an meine eigene Erleichterung mit 16 Jahren.
Ein kurzes , unbeschreibliches Gefühl der Zufriedenheit erfaßt mich, alles wiederholt sich, das Glück, die Sorgen, die Jugend, immer weiter geht es , immer weiter und trotzdem bleibt so vieles bestehen in seiner naturhaften Beständigkeit.
Nur Frauen vermögen wohl zu gleicher Zeit lesen und hören , oder soll ich besser schreiben, lauschen ? Und so drängen sich meine Gedanken in das Gespräch von zwei älteren Damen am Nebentisch, die sich darüber beklagen, sonntags niemals von ihren Kindern zum Essen oder Kaffeetrinken eingeladen zu werden. Ich unterdrücke meinen Wunsch, mich zustimmend in ihr Lamento einzumischen. Schon seit langem bin ich mir nämlich nicht mehr sicher, ob ich diese Sonntage wirklich noch erleben will, denn ich bin immer auf irgendeine Art verletzt, nach Hause gegangen.

Nun lege ich meine Zeitung doch beiseite, denn im Städtchen ist Volksfestzeit und nun zieht der Schützenzug über den Marktplatz. Die Trompeten glänzen im Sonnenschein als wären sie aus Gold, die rhythmische Musik beschwingt auf eine köstliche Art und erinnert mich merkwürdigerweise jetzt im August an die Faschingstage meiner Jungmädchenjahre, eine Zeit ohne Disco und Farbenspiele.
Auf dem Heimweg kaufe ich mir noch eine Kugel Vanilleeis und bekomme, wie immer, klebrige Finger.
Ich bin schon fast zu Hause als ich doch noch den Weg zum nahe gelegenen Weiher einschlage. Die Enten schnäbeln wichtigtuerisch unter den letzten Sonnenstrahlen.
Der Roggen steht hoch, in den Schrebergärten blühen die ersten Dahlien und ich gehe weiter zum Bahngleis. Mein Blick schweift in die Ferne, den Schienen entlang, in diese Ferne , die mir einst so verheißungsvoll dünkte. Und darüber bin ich eine alte Frau geworden und dem Himmel so nahe.
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Alt 01.10.2014, 19:51   #2
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.112


Deine Geschichte liest sich angenehm flüssig, unaufgeregt, aber trotzdem nicht langweilig, eben gerade richtig für einen kontemplativen Text. Die Adjektive sind wohlgesetzt, also nicht zu wenig, aber auch nicht inflationär. Bei der Zeichensetzung hätte ich ein paar Dinge anders gemacht, aber das will ich jetzt nicht bemäkeln. Gestört hat mich nur die Doppelung in diesem Nebensatz:

Zitat:
... alles wiederholt sich, das Glück, die Sorgen, die Jugend, immer weiter geht es , immer weiter und trotzdem bleibt so vieles bestehen in seiner naturhaften Beständigkeit.
Als Lösung ist mir eingefallen: "... und trotzdem bleibt so vieles gegenwärtig in seiner naturhaften Beständigkeit."

Das war's aber schon.

Schön geschildert.

LG
Ilka
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Alt 01.10.2014, 21:16   #3
männlich Thodd
 
Dabei seit: 09/2013
Ort: Landkreis Cuxhaven, Halbtags in Mittelerde
Alter: 26
Beiträge: 61


Da muss ich dir widersprechen, liebe Ilka-Maria. Ich finde, das dies ein gutes Stilmittel -ich glaube, man nennt das ein Hendiadyoin, wenn ich mich an den Lateinunterricht erinnere- ist, um den Ablauf des Lebens zu verdeutlichen, der sich im großen und ganzen ja nicht wirklich verändert in den Generationen.

Ansonsten finde ich die Geschichte gut zu lesen, man bekommt ein angenehmes Gefühl der Ruhe, ein Bild einer malerischen Kleinstadt, wo man sich gemütlich zu einem Kaffee oder einem Tee hinsetzen kann. Gefällt mir wirklich sehr.

Liebe Grüße
Thodd
Thodd ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.10.2014, 22:58   #4
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.112


Zitat:
Zitat von Thodd Beitrag anzeigen
Da muss ich dir widersprechen, liebe Ilka-Maria. Ich finde, das dies ein gutes Stilmittel -ich glaube, man nennt das ein Hendiadyoin, wenn ich mich an den Lateinunterricht erinnere- ist, um den Ablauf des Lebens zu verdeutlichen, der sich im großen und ganzen ja nicht wirklich verändert in den Generationen.
Kannst Du mir das näher bringen? Ich weiß nicht, was Du meinst.

Ich hatte an der Geschichte ohnehin fast nichts auszusetzen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.10.2014, 00:44   #5
männlich Jeronimo
gesperrt
 
Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237


Bis auf den melancholischen Schluss eine ruhige, unaufgeregte Geschichte zum Entspannen.
Die Beschaulichkeit ist wirklich angenehm, und auch ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen.

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.10.2014, 16:26   #6
weiblich Merith
R.I.P.
 
Dabei seit: 10/2013
Ort: Im Isental
Alter: 83
Beiträge: 3.380


Liebe Ilka,

ich weiß , dass du gerne Geschichten schreibst und liest, so wundert es mich nicht, dass du meine aufgestöbert hast , ja es wundert mich auch nicht, dass sie dir gefällt und dir ein Lob wert ist. Die "unaufgeregten" (gefällt mir) . undramatischen Texte , manchmal noch gewürzt mit leichter Ironie, gehören in dein Genre und machen die Qualität deiner Gedichte aus.
Meine gelebten und durchlebten 73 Jahre erlauben mir, zu behaupten, dass es aber auch der Dramatik, der Emotionen , der Tränen und der "Liebe, gleich einer Himmelsmacht" bedarf, um sagen zu können "Ich habe gelebt" . Eines bedarf des anderen. Mein geschilderter , in seiner Ruhe beinahe abgeklärter Nachmittag (tatsächlich erlebt und gefühlt) ist auch Folge eines kämpferischen Lebens.
Danke, dass du dich mit meinem Gedicht auseinander gesetzt hast. die vorgeschlagene , verbesserte Wortwahl ist ganz in meinem Sinn.

Freundlicher Gruß
Merith
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Alt 02.10.2014, 16:43   #7
weiblich Merith
R.I.P.
 
Dabei seit: 10/2013
Ort: Im Isental
Alter: 83
Beiträge: 3.380


Liebe Thodd,

die Interpretation meiner Gesichte ist dir gelungen; als ich dein Alter sah, habe ich ein bißchen schmunzeln müssen , warst du einer jenen jungen Burschen am Nebentisch, über die ich mit Sympathie geschrieben habe ?
Ihr jungen Leute habt einen "Stein im Brett" bei mir, nicht zuletzt gefördert durch das gute Verhältnis, das ich mit meinem 17-jährigen Enkel habe -
aber du hast zwei Steine bei mir im Brett - mit 16 Jahren in einem Gedichteforum mit zu mischen , ist eine mutige Sache und hat meinen ganzen Respekt, Aber mit dem Lateinischen brauchst du mir nicht zu kommen, lieber Thodd, in der 12. Klasse war es damit vorbei - und nun rechne mal, wie lange das her ist

Lieben Gruß und alles Gute
Merith
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Alt 02.10.2014, 16:48   #8
weiblich Merith
R.I.P.
 
Dabei seit: 10/2013
Ort: Im Isental
Alter: 83
Beiträge: 3.380


Ein bisschen tristesse muss ja bei mir immer dabei sein, lieber Jeronimo ...

Merith
Merith ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.10.2014, 17:16   #9
weiblich Merith
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"Bei jemandem einen Stein im Brett haben" = jemandes Wohlwollen genießen, bei jemandem angesehen sein .....
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