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Alt 26.01.2013, 11:16   #1
weiblich MuschelIch
 
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Standard Heimkehr

I. Der Krieg war vorbei.

Er kehrte nun heim - heim ins Reich. An jedem Fuss waren drei Zehen amputiert und schmerzten entsetzlich; die Schuhe die er trug hatte er vorne aufgeschnitten, damit die dicken Verbände Platz fanden.
Mehrere Orden hatte er erworben; er trug sie wie einen Schatz in seiner leeren Proviantbüchse. Auf der langen Heimfahrt von einem der Orte des Grauens holte er sie immer wieder hervor : Ihr würde er sie zeigen, seiner Liebsten! Stolz würde sie sein und sich bedanken, dass er ihr Zuhause verteidigt hatte.
Seinen Kindern würde er sie zeigen, und dann würden sie sie in seiner schönen Wohnung an die Wand heften. Die Augen der Buben würden strahlen, wenn sie die Glitzerorden anschauten, die ihr Papa aus dem Krieg mitgebracht hatte. Extra für sie!

Tränen der Freude traten in seine Augen, als er sich ausmalte, wie seine Wunden heilen würden und die Schmach seiner amputierten Zehen vergessen wäre.

Sie würde ihn lieben mit der Sanftheit einer, die alle Wunden heilt. Sie würde ihm die Schmerzen und den Wahninn wegküssen. Er würde sich in die Wiege ihres Mütterlichkeit legen und an ihren Brüsten ruhen und sich hinüberträumen in ein Land aus Milch und Honig. Er würde ...

"Köln-Hauptbahnhof" - ein jähes Bremsen riß ihn aus seinen Träumen.

Zugleich mit dem Ruck kam auch der Schmerz wieder in sein Bewusstsein zurück; würde dieser verfluchte Schmerz denn nie aufhören?
Aber er würde das überstehen; er hatte alles überstanden. Auch als Heinz ... Heinz .... sein bester Freund ... alle - nur Heinz nicht ..... . Für einen Sekundenbruchteil wurde es schwarz und rot hinter seinen Augen, dann hörte er einen gellenden Schrei und dann sah er nur noch wie sein Freund Flügel bekam; andere als damals, als Fünfjähriger . Diese Flügel waren blutig und brannten lichterloh und Engel schrien doch nicht ... seit wann schrien denn Engel ... seit wann denn?

Mit dieser Frage war er auch damals im Lazarett wachgeworden - nach der langen Operation. "Seit wann schreien Engel?" hatte er die Frau an seiner Seite gefragt. Sie hatte eine Schwesternuniform an, die ehemals mal weiss gewesen sein mochte und ihr müdes Gesicht hatte nur geantwortet: "Engel schreien nicht. Engel fliegen!"

Die Stadt würde leer sein ohne Heinz. Aber das machte nichts - nicht wirklich. Er schraubte den Schmerz hinunter in den Sarg, den er seit diesem Ort in sich trug. Es war ein Zinnsarg und er wohnte zwischen Hals und Schambein. Manchmal spürte er ihn stärker - manchmal gar nicht. Er war ein anderer geworden, ein ganzer Kerl einfach und ja , ein Indianerherz kannte keinen Schmerz. Nicht wirklich.

In den Zinnsarg da stieg er nur in seinen Träumen hinab, denn da lag Heinz. Heinz lag dort und direkt neben ihm da lag diese Frau aus diesem kleinen Russischen Dorf. Die Frau, die sie in dem halbverfallenen Dorf gefunden hatten. Sie hatte geschrieen wie ein Tier, wilde, wüste verwunschene Worte, die in der weiten kalten Mondnacht wie Vogelschwärme in den Himmel gestiegen waren. Sie hatte geschrieen bis zuletzt und bis nach einem Schuss endlich Stille eingekehrt war.

Diese Stille war verflucht gewesen und voller Nadelstiche und einen Moment lang war eine schwarze Wolke vor den Mond gezogen . Die Kameraden waren aus dem Haus herausgekommen, zynisch lachend und sich die Hosen hochziehend, als hätten sie nur ihr übliches Geschäft erledigt!

Die Frau, die er nur von hinten gesehen hatte , die lag neben Heinz in diesem Sarg in seinem Körper .

Noch viel mehr Menschen wohnten in diesem Sarg in seinem Körper und er war ein kleiner Mann - nur 1.68 gross und er trug dennoch einen solchen grossen Sarg in sich. Er wusste nicht genau, wer da alles drin wohnte. Er wusste nur von Heinz und von dieser Frau. Er ging da nicht hinein - nein! Nicht freiwillig. Denn wenn er da drinnen war, dann könnte es sein, dass er selber dort begraben werden würde. Vielleicht könnte der Sargdeckel zuschlagen und er würde nicht mehr herauskommen und müsste dann sein Leben lang dort wohnen, dort neben Heinz und neben dieser Frau. Neben einem blutenden Engel und einer, die Menschen verfluchte bis an ihr Lebensende.

"Bitte steigen Sie doch aus!" Ein junger Soldat in ordentlicher Uniform riss ihn aus seinen Träumen.

Er fand sich in einem leeren Eisenbahnabteil wieder. Schnell erhob er sich, griff nach den Krücken und humpelte zum Ende des Waggons, wo er sich die Treppen hinunterquälte. Die Hand des jüngeren Kameraden schlug er aus; er schaffte das schon alleine. Er hatte ja nur ein paar Zehen verloren - was war das schon! Andere hatten ihr Bein verloren oder gar ihr Leben! Er war glimpflich davongekommen -es war eigentlich nichts, was ihm geschehen war ... es war... eigentlich.... .'

Er rief sich zur Ordnung. Das hatte dieser verdammte Krieg gemacht mit ihm. Diese Träumereien immer . Aber das würde schon wieder in Ordnung kommen .... jetzt - bald . Jetzt , bald, wäre alles in Ordnung. Ja. Sicherlich!





II. Ob er jemals wieder zurückkommen würde ?

Abends, wenn die Plackerei ein Ende hatte, setzte sie sich auf das alte Kanapee, aus dem schon die Sprungfedern hrausragten. Martha hatte ihr eine Decke geschenkt, eine Babydecke : Kinder in pastellfarbenen Kleidchen liessen da Drachen mit bunten Schwänzen in den Himmel steigen - hunderte.
Die bunten Drachen, die Kinder, das Pastell - all dies schönte die herausgesprungenen Federn aus Metall und vertuschte das auch das Kanapee ein altgedienter Haudegen war.

Eines der Kinder wimmerte im Schlaf. Das war nichts ungewöhnliches. Sie überlegte, ob sie als Kind auch gewimmert hatten , sie oder ihre Schwestern im Schlaf. Freilich - ab und zu mal - aber ihre Kinder, die wimmerten jede Nacht.

Else war stolz auf ihre beiden Buben - der eine war nun sieben Jahre alt und der andere eineinhalb.

Müde holte sie die Näharbeit hervor und schneiderte aus dem alten Leinentuch von Opa Meier eine Hose. Die Farbe war verblichenes Taubenblau und die kleine Hose für ihren Jüngsten würde sehr schön werden.
Es war ihr wichtig, dass ihre Buben adrett und sauber aussahen. Sie mochte diese verlodderten Jungen nicht, die sie zwischen den Trümmern draussen herumlaufen sah - sie nicht und nicht die Nachlässigkeit ihrer Mütter.

Seit sie in diesen Keller eingezogen waren, der im Hinterhof ihres zerstörten Mietshauses lag, waren nun schon mehrere Monate vergangen. Sie teilten sich zwei Räume mit den Schmalhofers aus dem Vorderhaus. Mit den Schmalhofers war gut gesagt; besser wäre es zu sagen mit denen, die von der ehemals zwölfköpfigen Familie übriggeblieben waren. Mutter Schmalhofer war noch da und die dreizehnjährigen Zwillinge - Ursel und Barbara. Achja und der alte Opa Schmalhofer mit seinem Hinkefuss.

Er schnarchte mal wieder entsetzlich und es war bis zu ihr hin zu hören; kein Wunder: Die alte Decke, die zwischen den zwei Kellerräumen aufgespannt war - nachts - wahrte wirklich nur notdürftig so etwas wie eine Intimsphäre. Wie das wohl wäre , wenn ......

Kurz schweifte ihre Phantasie ab und ihre Sehnsucht erzählte ihr von den Sommern vor diesem elendigen Krieg , als sie mit Hans .... . Bevor sie innerlich nachgab und weich werden konnte, rief sie das Wimmern ihres Grossen in die Realität zurück . Die Realität eines nur von einer elenden Funzel erhellten Kellerraumes und die Realität einer Taubenblauen Hose, die genäht werden wollte und die Realität ihre schwieligen Hände, die nimmer ruhten, schon gar nicht auf warmer Haut oder an den Wangenknochen von Hans.

Bitterkeit umspielte ihren Mund, der in den letzten Jahren merklich gealtert war und sie setzte die Näharbeit fort - mit der Disziplin einer, auf die man sich verlassen kann.

Ob noch Milch da war für das Frühstück? Schnell stand sie auf und griff aus der Mauerluke, die sie "Fenster" nannten hinaus ; dort stand im Schnee die Milchkanne. Eigentlich müsste ja noch Milch da sein: Sie hatte den beiden Buben eingeschärft, dass die Milch fürs Frühstück wäre. Aber der Grosse war ein Schlitzohr und wenn sie draussen zum Arbeiten war, dann verschwand schonmal mirnichts - Dirnichts ein halber Liter Milch spurlos.

Sie schmunzelte über ihren Grossen, obwohl es eigentlich nicht zum Lachen war. Aber er war in letzter Zeit sehr in die Höhe geschossen und brauchte sicher die Milch für seine Knochen





III. Die Kinder waren zum Spielen auf dem Schuttplatz, der am sichersten schien. Die Mütter hatten die grössten Trümmer zur Seite geräumt und so einen Platz geschaffen, an dem sie die Kinder spielen lassen konnten, ohne allzu grosse Bedenken.

Auch Ursel und Barbara, die Töchter von Frau Schmalhofer, waren da und hatten ein Auge auf die Kleinen. Sie waren lieber dort und schauten ein wenig auf die Kinder vom Viertel, als den Frauen dabei zu helfen, die Trümmer wegzuräumen. Das war eine stickige, anstrengende Plackerei- man wurde von oben bis unten voller Staub und die Hände wurden rissig. Manche Frauen hatten umwickelte Hände - umwickelt mit alten Stofffetzen, die sie abends wuschen.

Die Lödern'sche von drei-Strassen-weiter hatte es gut, die hatte ein Paar alte Männermotorradhandschuhe aus dickem Kalbsleder. Mit denen war gut arbeiten und sie hatte auch tadellose Hände, die sie in den Pausen während der Arbeiten auf ihrem Schoss erstrahlen ließ. Wie kleine Tauben lagen sie dort - friedlich in all dem Bombenchaos - friedlich und weiss und unberührt von Krieg und Mord.

Das war ihr Kapital , diese Hände , das war ihr Versprechen, ihr Edelstein, ihr Wissen darum, dass es Zeiten geben würde, in denen diese Hände mit anderen Dingen als mit Ziegelsteinen spielen würden - mit Klaviertasten vielleicht, oder mit hungriger Haut.

Die anderen Frauen neideten ihr diese Kalbslederhandschuhe und einige tuschelten darüber, wie eingebildet sie sei, wenn sie zwischen den Trümmern sass und die weissen Tauben träumen liess.

Else hielt sich aus diesen Tuscheleien heraus und biss in ihr Brot. Die Butter hatte sie dünn geschmiert; ihre zwei Jungen bekamen fast alles davon. Dafür hatte sie mit Salz nicht gespart.
"Butterbrot mit Salz! Wir sind das Licht der Welt! Von wegen! Heimgeleuchtet ist uns worden", so dachte Else bitter über die einst so geliebten Worte aus der Bergpredigt nach. "Heimgeleuchtet! Und das Salz, das wir angeblich sein sollen, das freß ich nun tagtäglich hier im Trümmerhaufen, der durch die Heimleuchtungen entstanden ist ..... ".

Ob sie Witwe war ? Was wenn er gefallen war?
Sie hatte seit zwei Wintern nichts mehr von ihm gehört.

Im Dezember '43 war er abgefahren an einem eisigkalten Wintertag. Froh und lachend hatte er ihr Kusshände zugeworfen, ihr Schützemann.

"Mein Schützemann", so hatte sie ihn immer genannt. Er war behände und gelenkig wie ein Bogenschütze, flink wie ein Wiesel, mit agilen Augen und leichten Scherzen.
Leicht konnte er ihr Wesen, das sich oft in schwermütigen Seen spiegeln musste, aufhellen, indem er einfach kleine, lachende Steine über die Wasseroberflläche warf.

Sie war ihrer Tiefe sehr treu und es gelang ihm nicht leicht, sie aufzuheitern, aber er gab nicht leicht auf und so gelang es ihm immer wieder, sie zum Lachen zu bringen.

"Ihr Schützemann", geboren unter dem Schutz des jovialen Gottes Jupiter, des lachenden, weitherzigen - . Ob er auch mit dem Tod Steinchen gespielt hatte inzwischen in Russland? Ob er ihn auch hatte aufheitern können und umstimmen? Sie wusste es nicht, denn es war kein Lebenszeichen mehr von ihm gekommen. Keine Briefe, keine Nachrichten durch frühere Kameraden - einfach nichts.

Geändert von MuschelIch (26.01.2013 um 13:14 Uhr)
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Alt 26.01.2013, 14:54   #2
gummibaum
 
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Hallo MuschelIch,

erst mal nur zu Teil I.

statt "verwunschene Worte" würde ich "verwünschende" schreiben. Die Geschichte ist gut, trägt viele Gedanken und Gefühle zusammen. Vielleicht zu viele, ist mir etwas zu rastlos. Formulierungen wie "Indianer..." zeigen einen eher simplen Menschen, der Parolen folgt. Wesentliches Motiv ist hier -schon recht gut umgesetzt- die Verdrängung des Entsetzlichen, die Angst, von ihm eingeholt zu werden. Daneben die Illusion, dass alles jetzt gut wird. Hier muss m. E. mehr angedeutet als ausgesprochen werden, damit die Gefühle des Lesers wachsen können.

Ich hoffe, es kommen noch Kommentare.

LG gummibaum
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Alt 26.01.2013, 15:05   #3
männlich Schmuddelkind
 
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Hallo liebe MuschelIch,

hab bisher auch nur den ersten Teil gelesen, aber ich muss sagen, mich hat es mitgerissen. Deine Schilderungen sind detailliert und deine Reflexionen klug. Mich hat auch beeindruckt, wie du ziemlich zu Beginn diese Spannung aufbaust, weil er sich ausmalte, dass in der Heimat alle stolz auf ihn sein würden, insbesondere seine Familie, was gleichzeitig eine Enttäuschung erahnen lässt, ohne dass sich der Leser wirklich sicher sein kann.

Der erste Satz hat mich als Saarländer weniger an einen Kriegsheimkehrer denken lassen als vielmehr mit Bedauern an die Geschichte meiner Heimat erinnert. Aber dieser Satz ist großartig:

Zitat:
Mehrere Orden hatte er erworben; er trug sie wie einen Schatz in seiner leeren Proviantbüchse.
LG
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Alt 26.01.2013, 21:01   #4
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Er kehrte nun heim - heim ins Reich. An jedem Fuss waren drei Zehen amputiert und schmerzten entsetzlich; die Schuhe die er trug hatte er vorne aufgeschnitten, damit die dicken Verbände Platz fanden.
Mehrere Orden hatte er erworben; er trug sie wie einen Schatz in seiner leeren Proviantbüchse. Auf der langen Heimfahrt von einem der Orte des Grauens holte er sie immer wieder hervor : Ihr würde er sie zeigen, seiner Liebsten! Stolz würde sie sein und sich bedanken, dass er ihr Zuhause verteidigt hatte.
Seinen Kindern würde er sie zeigen, und dann würden sie sie in seiner schönen Wohnung an die Wand heften. Die Augen der Buben würden strahlen, wenn sie die Glitzerorden anschauten, die ihr Papa aus dem Krieg mitgebracht hatte. Extra für sie!
Sorry, aber an dieser Erzählung stimmt gar nichts.

Es geht ganz offensichtlich um einen deutschen Soldaten. Der kommt aber nicht heim ins Reich, weil es das Reich nicht mehr gibt, sondern er kommt in ein von den alliierten Siegermächten besetztes und verwaltetes Land.

An jedem Fuß (also an beiden Füßen) waren drei Zehen amputiert – welch ein Zufall!

Dem Soldaten waren Zehen amputiert worden, also muss er zumindest ambulant in ärztlichter Versorgung gewesen sein, oder ein Kamerad mit medizinischen Kenntnissen hatte eingegriffen.Denn die Füße das Soldaten waren dick bandagiert. Und diese Medizinkundigen ziehen ihm über die Verbände Schuhe an, die der Patient selbst vorne aufschneiden muss?

Und die Orden trägt er in einer leeren Proviantbüchse? Die Typen haben ihm also, nachdem sie in amputieren und fußlahm machen mußten, nicht mal was zu Essen auf den Weg nach Hause gegeben? Und das findet der Kerl auch noch toll, hauptsache, er kann mit den Orden (welche genau, wird nicht gesagt), zu Hause richtig angeben!

Also nee, ...

Das ist Kriegsromantik.

Was die Heimkehrer wirklich wollten: Vergessen!
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.01.2013, 22:08   #5
Thing
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Hallo, MuschelIch -

ich hätt mich gar nicht getraut, auf Sachfehler hinzuweisen, wenn nicht Ilka-Maria den Vorreiter gemacht hätte.
(Die Tippfehler erwähne ich nicht).

Ich habe von A - Z gelesen.

Seit Mitte 1944 gab es kein Krümelchen Salz mehr im Reich auf Marken oder im freien Verkauf. Nur noch gegen Tausch unter der Hand.

Wer mit 6 amputierten Zehen unterwegs ist, giert nach Schmerzmitteln.
Der läßt auch nicht seine Orden im Eßbehälter klappern, denn d e r muß immer bereit sein, für eine noch so dünne Suppe oder einen noch so mageren Brei geöffnet zu sein. Hätte er dann seine Orden abgelutscht, um wenigstens ein paar Kalorien zum Überleben zu bekommen?


In Kapitel II:
Butter? Gabs schon längst nicht mehr.
Wenn es hoch kam, gabs Mindestrationen an Margarine. Wer "Beziehungen" hatte, kam an Schmalz.
Milch?
Woher hätte die kommen sollen? Und dann auch noch draußen stehen lassen?


Kapitel III:

Trümmerfrauen hatten keine Bomben mehr zu fürchten.
Der Krieg war beendet.
Und Kalbslederhandschuhe sind innerhalb weniger Stunden durchgewetzt.


***

Der gealterte Mund gefällt mir ebensowenig wie das Schmunzeln beim Milchklau.

***

Ich vermisse bei dem Text Sachlichkeit, zeitgemäße Realität.


Ansonsten:
Die F o r m ist kaum zu tadeln.


Lieben Gruß
von
Thing
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Alt 27.01.2013, 05:01   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zugegeben: Ich habe nur den ersten Teil gelesen, aber aufgrund staker Störgefühle die nachfolenden Abschnitte nur überflogen, weil sie mir des aufmerksamen Lesens nicht mehr wert zu sein schienen.

Zitat:
Wer mit 6 amputierten Zehen unterwegs ist, giert nach Schmerzmitteln.
Der läßt auch nicht seine Orden im Eßbehälter klappern, denn d e r muß immer bereit sein, für eine noch so dünne Suppe oder einen noch so mageren Brei geöffnet zu sein. Hätte er dann seine Orden abgelutscht, um wenigstens ein paar Kalorien zum Überleben zu bekommen?
Mehr als die Sachfehler (wer kam schon frisch operiert aus dem Russlandfeldzug?) störten mich gleich zu Anfang die psychologischen Diskrepanzen. Kriegsheimkehrer, die für gewöhnlich einen langen Fahrweg mit mehreren Umsteigeterminen, Meldepflichten und Aufenthalten hatten (sie waren immer noch in der Armee), dachten mit Sicherheit nicht darüber nach, wie sie zu Hause ihren Lieben in die Arme fallen und ihnen stolz Orden präsentieren. Sie versuchten sich vielmehr vorzustellen, wie es nach dem verlorenen Krieg zu Hause aussieht, ob sie die Straße wiederfinden werden, in der die Familie wohnt oder auch nicht mehr wohnt, ob sie den Bombenkrieg überstanden hat, ob alle gesund sind und wie es ihnen unter der Besatzung ergeht, wie es um die Nahrungsmittel steht usw. Denn gehungert haben damals alle Menschen, auch in den Ländern der europäischen Siegermächte. Da war so manches deutsche Mädel glücklich, wenn sich ein wohlgenährter Amerikaner für sie interessierte.

Die Kriegserfahrung verändert Menschen. Nicht von Grund auf. Aber es werden neue, zusätzliche Eigenschaften und Verhaltensweisen freigesetzt, die das künftige Leben stärker bestimmen können, als wäre der Krieg nicht gewesen. Helma Sanders-Brahms hat darüber einen klugen Film gedreht: "Deutschland bleiche Mutter."

Was ich an MuschilIchs Geschichte gut finde, ist das Konzept. Aus der Gegenüberstellung "Kriegsheimkehrerer stellt sich die Wiedervereinigung mit der Familie vor" und dem "Was sich zu Hause in den Trümmern und bei der Jagd nach Nahrung abspielt" hätte eine Wahnsinnsgeschichte entstehen können.

So mancher Kriegsheimkehrer dachte, es sei vorbei, wenn er erst einmal zu Hause ist - aber das war ein Trugschluss.
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Alt 27.01.2013, 14:49   #7
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Guten Tag

und Danke an Euch für die Sichtung meines Textes
und das Aufmerksam-Machen auf Unmöglichkeiten
(Salz, Butter, Milch) - wißt Ihr das sicher ?
Ich kann das nicht so sicher sagen, aber Ihr seid älter als ich.

Diese Eure Kritik nehme ich ,
um die Erzählung zu verbessern.
Da fehlt mir die genügende Sachkenntnis offen lesbar.

@ Thing :Sind Kalbslederhandschuhe echt so leicht durch ? Dann nehme ich die schweinsledernen - bei der Verbesserung des Textes.

In Kaptitel III steht nichts von Bomben.

Alternder Mund - hmmm - gealtert ist vllt . besser und ein Schmunzeln beim Milchklau - wo ist das das Problem?

@ Ilka-Maria : "Heim ins Reich" ist eine gewollte Romantisierung.
Wer sagt denn, daß er keine Schmerzmittel nimmt ? Vllt. sind sie nur nicht erwähnt, ebensowenig wie die Farbe seiner Augen bspw. . Ja, drei Zehen rechts und drei links - es könnten auch fünf rechts und vier links sein oder einer rechts und zwei links oder einer links und sieben (äh hoppla - das geht gar nicht )...

Wo steht, daß er frisch operiert ist ? Vllt. sind die Zehenstümpfe vereitert ? Und deshalb eingebunden? Vllt. sind sie aus anderen Gründen eingebunden. Und ja, dann kann er durchaus die Stiefel selber aufgeschnitten haben.

Übr die Psyce der Kriegsheimehrer weiß natürlich nu eine Beschei; trotzdem habe ich mir angemaßt meine eigene, individuelle Kenntnis der menschlichen Psyche mit einfließen zu lassen.

Kriegsheimkehrer sind,
ebenso wie Soldaten, Sänger, Putzfrauen, Lehrer und Schüler, wie Bauern, Metallarbeiter, Schweißer, Päpste und Zimmermänner, wie Schlosser, Prostituierte, Wohnsitzlose, wie Waschmänner und Callboys, Bundeskanzlerinnen, Professorinnen und Schneider, Wirte, Physikerinnen und Chemiker, Schreinerinnen, Erzieher, Postboten, LKW-fahrerinnen usw. usvielfort

individuelle Wesen! Keine normierte Spezies, die einem Gesetz unterworfen ist.

Sondern es sind Träumer, Poeten, sarkastische Menschen, Mimosen, Pessimistinnen, Korinthenkacker, Keifnörgel , Hasenfüße, Draufgänger, Pessimisten, Rosarote-Brillen-Besitzer, es sind Gaukler, Närinnen, Hosenscheißer, Diebinnen, Putzsüchtige, Neurotiker; Alkoholikerinnen, Essayisten,Briefmarkensammlerinnen, Raucher, Selbstmörderinnen, Maulkorbträger, Denunzianten, Menschen mit und ohne Zivilcourage, Konstruktive und Zerstörerische, Kurzsichtige, Weitsichtiginnen und Herrschsüchtige, Zwanghafte, Sexbesessene, Tablettenabhängiginnen usw. usf.

Beweise des Gegenteils werden mit Freunden erwartet






Liebe Grüße

MuschelIch

Geändert von MuschelIch (27.01.2013 um 19:29 Uhr)
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Alt 27.01.2013, 15:33   #8
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Zitat:
Zitat von MuschelIch Beitrag anzeigen
Beweise des Gegenteils werden mit Freunden erwartet
Ich nehme an "mit Freuden", nicht mit "Freunden" ...

Mit Beweisen kann ich gerne dienen. Das Original-Entlassungspapier meines Vaters, der u.a. auch in Russland stationiert war, habe ich noch. Und darauf ist genau der Heimkehrweg eingezeichnet - Stempel für Stempel.

Über den Umweg der Kriegsgefangenschaft brauchte er über zwei Jahre, um nach Hause zu kommen. Er hatte noch jahrelang Alpträume, bis er über seine Kriegserfahrungen weg war.

Den Rest entnehme man den Berichten der Betroffenen, und zwar mit weit aufgesperrten Ohren, bevor man irgendwelchen Käse über Orden in einer Blechbüchse verzapft.
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Alt 27.01.2013, 15:36   #9
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Geändert von MuschelIch (27.01.2013 um 15:39 Uhr) Grund: doppelt gehoppelt
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Alt 27.01.2013, 15:38   #10
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Es ging um die Psyche , nicht um die Pässe.

Und mein Großvater, der auch aus Rußland zurückkam,
also der, der wollte ja zurück ins Bett zu seiner Liebsten ,
nachdem er die vielen Stempel empfangen hatte.

MuschelIch
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Alt 27.01.2013, 15:40   #11
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Zitat:
Pässe


Zitat:
der wollte ja zurück ins Bett zu seiner Liebsten ,
nachdem er die vielen Stempel empfangen hatte


Da bleibt mir die Spucke weg.
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Alt 28.01.2013, 09:47   #12
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Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
der wollte ja zurück ins Bett zu seiner Liebsten ,
nachdem er die vielen Stempel empfangen hatte:
Die Liebste meines Großvaters war meine Großmutter.
Jedenfalls ist mir nichts Gegenteiliges bekannt.
Man muß ja nicht immer Ehefrau dazu sagen ,
denn man kann ja auch den Inhalt eines Sachverhalts beschreiben
und nicht die offizielle Markenbezeichnung

LG MuschelIch
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Alt 28.01.2013, 12:04   #13
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Zitat:
Zitat von MuschelIch Beitrag anzeigen
Die Liebste meines Großvaters war meine Großmutter.
Jedenfalls ist mir nichts Gegenteiliges bekannt.
Man muß ja nicht immer Ehefrau dazu sagen ,
denn man kann ja auch den Inhalt eines Sachverhalts beschreiben
und nicht die offizielle Markenbezeichnung

LG MuschelIch
Dass die Ehefrau bzw. Deine Großmutter gemeint war, habe sogar ich mit meinem Spatzenhirn kapiert. Was mich verblüfft hat ist vielmehr die Vorstellung, dass ein Kriegsheimkehrer nach all dem erlebten Grauen und mit seinen körperlichen und seelischen Verwundungen sowie mächtig Kohldampf im Bauch auf dem Heimweg an nichts anderes denkt, als mit seiner Frau unter die Bettdecke zu hüpfen. Da muss man schon ziemlich robust sein.
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Alt 28.01.2013, 12:20   #14
Thing
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Ich habe persönlich einen der letzten Sibirien-Heimkehrer gekannt, habe mich lange mit ihm unterhalten, sehr ausführlich.
Der hatte ungeheures Glück, daß ihm eine russische (!) Lagerärztin riet, aufgelösten Tabak zu trinken, damit er endlich "arbeitsunfähig" gemeldet wurde.
Noch einen Tag Arbeit hätte er nicht überlebt.

Auf der Irrfahrt (er gehörte zu den letzten Kriegsgefangenen, die Adenauer endlich auslösen konnte) nach Hause dachte er lediglich an seinen hungrigen Magen.
Unterwegs bekam er 5 (fünf) Teller Linsensuppe, die er alle aufaß, ohne daß der Magen rebellierte.

Endlich zuhause wollte er nur noch essen, schlafen, warm haben, , nicht gestört werden.

Geschildert hat er mir das im Jahr 1996/1997.
Er war immer noch erschüttert, das Geschehen hat ihn nicht losgelassen.

Übrigens war er nach der Kriegsgefangenschaft körperlich ein Wrack, das er bis in sein hohes Alter sehr vorsichtig behandeln mußte.

Nieren, Herz und Leber waren auf Dauer geschädigt.


I h m war nicht nach der Liebsten zumut.
Und d i e wiederum fand das heimgekehrte Gerippe abstoßend.
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