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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 03.04.2023, 07:49   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Im Dorf und in der Stadt

Im Dorf ist es ja fast schon Pflicht:
Du kennst hier jeden, keinen nicht.
Du weißt, wo wem sein Häuschen steht
und wer in welchen Laden geht.

Ach, wärst du lieber in der Stadt!
Weil sie so viel zu bieten hat:
Wenn Kaufhaus sich an Kaufhaus reiht,
es dich in Cafés und Theater treibt -

man ist ja hier schön anonym.
Kultiviertes gibt's zu sehen.
Du wünschst dir in der Stadt ein Haus.
Bloß aus dem dörflichen Mief raus, raus!

Zehn Jahre später lebst du in der Stadt.
Was immer sie zu bieten hat:
Im Dorf, da war's doch nicht so laut.
Und hier, wohin du schaust:

Kennst keinen in der Stadt.
Hast auf dem Dorf nicht viel verpasst.
Und du denkst, mit leisem Grimm:
Ich glaub, ich zieh da wieder hin.
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Alt 03.04.2023, 09:09   #2
weiblich Ilka-Maria
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Beiträge: 31.111

Guten Morgen, Silbermöwe,

die erste Strophe gefällt mir ausnehmend gut. Sprachpuristen hätten vielleicht mit Wendungen wie "jeden, keinen nicht" und "wo wem sein" (statt: "wo wessen") ein Problem, aber gerade dieser mutig umgesetzte Alltagsjargon hat für mich viel Charme. Auch einige unreine Reime stören mich nicht sonderlich.

Aber ab der zweiten Strophe, letzter Vers, entgleitet dir das Metrum, die Endwörter "anonym/sehen" reimen sich nicht, und der zweite Vers in der letzten Strophe ergibt für mich keinen Sinn, denn eigentlich müsste die Erkenntnis des Lyrischen Du lauten: "Hast in der Stadt nicht viel verpasst" (statt auf dem Dorf). Außerdem enthalten manche Verse vermeidbare Füllwörter (so, 2 x ja), und die Verse 6 und 14 wiederholen sich.

Weiter unten steht mein Reparatur-Versuch.

Insgesamt liest sich das Gedicht für mich wie ein Schnellschuss, der beim Morgenkaffee entstanden ist, offensichtlich inspiriert von Rumpelstilz' Gedicht.

LG
Ilka


In einem Dorf ist es fast Pflicht:
Du kennst hier jeden, keinen nicht.
Du weißt, wo wem sein Häuschen steht
und wer in welchen Laden geht.

Ach, wärst du lieber in der Stadt!
Weil sie viel mehr zu bieten hat:
Wo Kaufhaus sich an Kaufhaus reiht
und es dich ins Theater treibt,

Kultur aus allen Ecken blitzt,
du anonym im Bistro sitzt
und still dir wünschst: Ach, hier ein Haus.
Bloß aus dem Mief des Dorfes raus!

Zehn Jahre später ist es wahr,
doch jetzt wird dir allmählich klar:
Im deinem Dorf war's nicht so laut.
Zudem, wohin dein Auge schaut,

erkennst du keinen in der Stadt,
der etwas für dich übrig hat,
denkst an dein Dorf mit leisem Grimm
und glaubst, dort ziehst du wieder hin.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 03.04.2023, 16:36   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.721

Vielen Dank für deinen Kommentar, Ilka und den Reparatur-Versuch! Hat mich sehr gefreut und richtig, es war ein Schnellschuss.

Zitat:
.offensichtlich inspiriert von Rumpelstilz' Gedicht.
Auch, aber nicht nur, ich habe gestern in einem Gedichtband von Kurt Tucholsky gelesen, dieser inspirierte mich auch.

Zitat:
.Aber ab der zweiten Strophe, letzter Vers, entgleitet dir das Metrum, die Endwörter "anonym/sehen" reimen sich nicht, und der zweite Vers in der letzten Strophe ergibt für mich keinen Sinn, denn eigentlich müsste die Erkenntnis des Lyrischen Du lauten: "Hast in der Stadt nicht viel verpasst" (statt auf dem Dorf). Außerdem enthalten manche Verse vermeidbare Füllwörter (so, 2 x ja), und die Verse 6 und 14 wiederholen sich.
Verflixt, da habe ich überhaupt nicht mehr aufgepasst, auf „anonym" wollte ich gar nicht sehen schreiben. Ich wollte in der Mittagspause nochmal drüber schauen, aber die musste ich dann wegen zu viel Arbeit ausfallen lassen.

Ich lasse das Original deswegen jetzt so stehen, damit man deinen Kommentar nachvollziehen kann.

So viele Füllworter sind drin, weil ich in den Versen die gleiche Anzahl an Silben haben wollte.

Zitat:
.Hast in der Stadt nicht viel verpasst" (statt auf dem Dorf)
Nein, das war schon so gemeint. So denkt das LD in der Zeit, wo es noch auf dem Dorf wohnt, darüber nach, wie toll es doch in der Stadt wäre. Und als es in der Stadt wohnt, wird ihm klar: Im Dorf hat es nicht viel verpasst, die Stadt ist doch gar nicht besser.

LG DieSilbermöwe
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Alt 04.04.2023, 07:32   #4
weiblich Rumpelstilz
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Beiträge: 311

Standard Im Dorf und in der Stadt

Liebe Silbermöwe,

nu ja, ein Schnellschuß? Weiß nicht. Muss ja auch erst mal geschrieben sein.
Ich finde es ein freundliches Gedicht, die Lehre davon, dass man immer davon träumt, was man nicht hat, und dann, wenn man's hat, feststellt: Verdammt, alles hat seine Haken. Das ist die Botschaft. Dass dem auch eine gewisse bäuerliche konservative Sicht drunterliegt, nicht zu übersehen.

Aber das Gedicht ist logisch aufgebaut, von daher alles okay. Nun weiß ich nicht, ob ich einen Daktylus übersehe oder einen Amphybrachus oder sogar einen Spondeus, die zu loben wären - ich finde jedenfalls, metrisch kommt es mir ein bisschen krautig vor. Angefangen mit einwandfreiem Jambus, und dann ändert sich das im weiteren auf weitere Metren. Auch klappt es nicht immer ganz mit dem Reimwort. Das einzige, was ich mir hätte vorstellen können, wären ein paar Beispiele dafür, was die Stadt noch so Unangenehmes zu bieten hat, zum Beispiel den Autoverkehr u. a. Das hätte dem Gedicht mehr Leben gegeben.

Und obwohl du was gegen die neue Sachlichkeit hast, schreibst du selber ein Gedicht in fast neuer Sachlichkeit. Da sieht man, es hat eben alles zwei Seiten, ich konstatiere und denke mir meins. So ist das Leben, liebe Silbermöwe.

Lieben Gruß, Rumpelstilz
Rumpelstilz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.04.2023, 12:19   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.721

Liebe Rumpelstilz,

Zitat:
.Ich finde es ein freundliches Gedicht,
dankeschön.

Zitat:
.Nun weiß ich nicht, ob ich einen Daktylus übersehe oder einen Amphybrachus oder sogar einen Spondeus, die zu loben wären - ich finde jedenfalls, metrisch kommt es mir ein bisschen krautig vor. Angefangen mit einwandfreiem Jambus, und dann ändert sich das im weiteren auf weitere Metren.
Also, ich kann - und das auch nur manchmal - höchstens Jambus und Trochaeus, die anderen Versformen brauchst du in meinen Gedichten gar nicht erst zu suchen die sind für mich zu schwierig.
Aber auch den Jambus habe ich hier nicht durchgehalten, stimmt, Ilka hat ja schon verbessert.

Zitat:
.Und obwohl du was gegen die neue Sachlichkeit hast, schreibst du selber ein Gedicht in fast neuer Sachlichkeit.
Das gibt mir jetzt zu denken. Ich hätte das Gedicht auch so geschrieben, bevor ich von der neuen Sachlichkeit etwas gehört habe.

Also Absicht war das jedenfalls nicht.

Edit: Ich habe noch etwas zur neuen Sachlichkeit gefunden, worin genau beschrieben wird, was mir an ihr nicht gefällt: nämlich, dass die Autoren desillusionierte Texte schrieben. Desillusioniert ist mein Text nicht.


Schöne Grüße
DieSilbermöwe

Geändert von DieSilbermöwe (04.04.2023 um 17:07 Uhr)
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.04.2023, 12:31   #6
männlich MonoTon
 
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Hallo Silbermöwe

Ein sehr geradliniger Text, mit einem schönen roten Gedankenfaden und einem sinnieren/schwelgen.
Der Wechsel von Lyr.Du zur Lyr.Ich Perspektive wirkt auf mich logisch, da es eine Entscheidung darstellt.

Lg Mono
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.04.2023, 16:28   #7
weiblich DieSilbermöwe
 
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Beiträge: 6.721

Hallo MonoTon,

das war mir selbst gar nicht aufgefallen, dass es gleichzeitig ein Perspektivenwechsel ist. Eigentlich ist es ja auch keiner: Es geht immer noch um dieselbe Person, und es wird nur beschrieben, was das LD denkt.
Aber ich hätte das in Anführungszeichen setzen können.

Zitat:
. Ein sehr geradliniger Text, mit einem schönen roten Gedankenfaden und einem Sinnieren/Schwelgen.
Dankeschön!

LG DieSilbermöwe
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