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Alt 15.03.2011, 12:28   #1
weiblich FeelLetter
 
Dabei seit: 08/2010
Ort: zwischen Grashalm und Teer
Beiträge: 278


Standard Gelähmt.

Er wachte auf, als seine Schwester den Fernseher ausschaltete und sich erhob, um dem Klingeln an der Tür zu folgen. Er hatte dieses nur schwach vernommen und erkannte es auch jetzt erst als Türklingel, als er schon den Schlüssel im Schloss hörte. Angestrengt murmelte er seiner Schwester etwas hinterher, doch sie konnte ihn nicht mehr hören. Die Tür ging auf und eine Männerstimme wurde laut. Er verfluchte seinen unüberwindbaren Sitzplatz auf der Couch, er verfluchte seine Krankheit, seine Beine, die ihm nicht mehr gehorchten. Seit über zwanzig Jahren. Wieder versuchte er zu rufen, doch es kamen nur Brocken aus seinem Mund, von denen nur er wusste, was sie bedeuteten. Und sie, wenn sie in Reichweite gewesen wäre.

Es krachte. Er konnte nicht ausmachen, was es war, doch er wusste, dass es nicht sein durfte. Da ergriff ihn ein Husten, der schmerzvoll durch seinen ganzen Körper ging, außer durch seine Beine, und der Speichel von den Mundwinkeln fließen ließ. Als darauf keine Antwort kam, wünschte er sich das erste Mal in seinem Leben die Schmerzen zurück und einen neuen Hustenanfall. Schleim tropfte ihm auf sein Hemd. Es war viel zu still im Haus. Unruhig starrte er auf die Schüssel, die seine Schwester ihm von der Behindertenwerkstatt mitgebracht hatte. Ganz leise meinte er etwas zu hören und ihm fürchtete davor. Wahrscheinlich ist es doch nur der Postbote, dachte er und trotzdem würgte es ihn, dass er anfing so viele Worte auszuspucken, wie noch nie seit seiner Krankheit. Er bekam fast keine Luft mehr und doch klatschten seine vermeintlichen Worte nur mitsamt seinem Speichel auf seinen Hemdkragen.

Als er selbst wieder still wurde, vernahm er noch den Nachklang der Haustür, die ins Schloss fiel. Dann nichts mehr. Bedrückende Stille beherrschte das Haus, nur sein Atem war unnatürlich laut. Er saß da, wie immer, unverrückt, unbeweglich, hilflos. Kein Finger konnte ihm den Schleim vom Kinn wischen. Es vergingen lange Minuten, in denen er sich nach zwanzig Jahren erst richtig seiner Lähmung bewusst wurde. Als seine Schwester plötzlich wieder vor ihm stand, hatte sie keine Hose an. Verzweifelt schrie er sie an, doch es war das erste Mal, dass sie seine Worte nicht verstand. Er hustete, bis er rot anlief und keinen Zentimeter seines Körpers mehr spürte.
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Alt 30.03.2011, 13:06   #2
weiblich FeelLetter
 
Dabei seit: 08/2010
Ort: zwischen Grashalm und Teer
Beiträge: 278


Generell möchte ich mich nie darüber beschweren, wenn Beiträge von mir unkommentiert bleiben. So auch jetzt nicht.

Mittlerweile liest sich der Text auch in meinen eigenen Augen nicht mehr so gut.
Sollten also Kommentare wegen der nicht so brillianten Umsetzung oder wegen des Schreibstils fehlen, dann verstehe ich das.

Fehlen Kommentare wegen des Inhalts, dann würde mich das ehrlich gesagt am meisten interessieren. Ist der Inhalt generell lesenswert, würde ich mich evtl. an eine Überarbeitung wagen. Die weniger spontan ist als die Zeilen oben.

Ist es weder das eine, noch das andere, ist das auch gut so.
Also wer doch noch Lust hat, darauf etwas zu schreiben...

Lg FeelLetter

P.S.: Oft ist das Fehlen von Kommentaren die interessanteste Antwort. Aber diese sollte man dann doch irgendwie hinterfragen
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Alt 31.03.2011, 10:43   #3
weiblich Aquaria
 
Dabei seit: 02/2010
Alter: 42
Beiträge: 521


Hallo Feel Letter,

ich hatte bisher nicht kommentiert, weil ich die Geschichte nicht ganz "rund" finde.

Geschrieben ist sie ganz gut, ich würde sie noch etwas feiner gliedern und ein paar Sätze umstellen, weil du häufig mit "Er wachte auf/ Er hatte/ Er verfluchte ..." anhebst.

Inhaltlich scheint sie mir unvollständig zu sein. Handlungsarme Geschichten, die den Fokus auf die Gefühlswelt einer Figur richten, laufen schnell mal Gefahr, kein "richtiges" Ende zu haben, so kommt es mir hier vor.
Was ist denn mit der Schwester? Warum kommt sie ohne Hose zurück? Hat sie einen Liebhaber an der Tür getroffen, ist sie vergewaltigt worden?

Die Hilflosigkeit des Helden ist aber gut und schonungslos beschrieben. Darauf kam es dir an, oder? Das Drumherum
könnte man verbessern.

Liebe Grüße,
Aquaria
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Alt 31.03.2011, 17:40   #4
weiblich FeelLetter
 
Dabei seit: 08/2010
Ort: zwischen Grashalm und Teer
Beiträge: 278


Das leuchtet mir ein.
Das Problem dabei ist immer, dass ich viel mehr weiß, als im Text steht, vor allem wenn es sich um wahre Begebenheiten handet. Wie hier.
Ich bin am Überarbeiten.
Danke!
FeelLetter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.03.2011, 17:53   #5
männlich Ex-Schamanski
abgemeldet
 
Dabei seit: 12/2010
Beiträge: 2.884


Mir bleibt auch schleierhaft, was da vor sich gegangen ist. Bin ich zu vernagelt (kommt durchaus vor), oder soll das bewußt offen gelassen werden?

Zitat:
Zitat von Aquaria
Die Hilflosigkeit des Helden ist aber gut und schonungslos beschrieben.
Das finde ich auch.
Ex-Schamanski ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.03.2011, 18:48   #6
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


Ich würde überarbeiten, denn die Hilflosigkeit ist ein steigerndes Moment. was. (Einen Gelähmten mit dem Rollstuhl auf die Treppe zuzuschieben, wirkt drastischer als ein Faustschlag.)

Inhaltliche Ungeeimtheiten und subobtimale Sprachgestaltungl z.B. an folgenden Stellen:

1. Inhalt:
Es klingelt und man hört den Schlüssel: Widerspruch. Es könnte zwar sein, dass jemand, der einen Schlüssel hat, die Schwester an die Tür lockt, um etwas zu tun, was keiner bezeugen können soll. Aber das bliebe Spekulation.

Die Lage der Tür ist zunächst unklar. Es kann die Zimmertür sein, doch gemeint ist die Wohnungstür. Die Schwester muss ja aus dem Blickfeld sein.

Der Schlüssel der Behindertenwerkstatt spielt im Geschehen keine Rolle. Warum wird er erwähnt?

Dass er sich zum erstenmal seit zwanzig Jahren seiner Lähmung bewusst wird, ist unlogisch, doch der Fluch, der in dieser Lähmung liegt, wird ihm brennender als je klar.

Die Schwester versteht seine Worte nicht. Diese Kommunikationsstörung deutet auf eine Entfremdung. Man nimmt an, die Schwester hat sich verändert. Ob sie Opfer oder Täter in dieser Veränderung ist, wäre wesentlich zu wissen.

Die Unklarheiten um den entkleideten unteren Teil des Körpers hat Aquaria schon zur Sprache gebracht. An dieser Stelle erfährt der Ich-Erzähler einen Schock. Ich würde hier punktgenau und atmosphärisch dicht schreiben, nicht so beiläufig, damit der Leser ebenfalls getroffen ist.

Wortwahl:
"unüberwindlich" konnotiert eher Größe, Stärke, als dass man etwas (einen Sitzplatz) nicht verlassen kann.
"das es nicht sein durfte" ist zu lasch für ein Geschehen, dass einen erstickenden Husten auslöst.
"vermeintliche" Worte, gemeint ist: unartikuliert?
"selbst" wieder still.. /"selbst" weglassen/ außerdem war es vorher "zu still" (Inhalt!)
.
Grammatik:
"ihm fürchtete davor" (Ihm grauste/er fürchtete sich)

Liebe Grüße
gummibaum
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Alt 31.03.2011, 22:21   #7
weiblich FeelLetter
 
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Ort: zwischen Grashalm und Teer
Beiträge: 278


Vielen Dank euch allen und vor allem dir, gummibaum, für die detaillierte Hilfe! Das hat mir sehr geholfen.
Ich stell euch jetzt mal die vorläufige überarbeitete Version vor. Etwas mag mir noch nicht ganz gefallen. Vielleicht die vielen Türen. Vielleicht wird die Lähmung nicht mehr ganz so deutlich, weil die Beine nicht mehr erwähnt werden. Aber das muss der Leser beurteilen.

Gelähmt.

Er wachte auf, als sie den Fernseher ausschaltete und sich erhob, um dem Klingeln zu folgen. Dieses hatte er nur schwach vernommen und konnte es auch jetzt erst der Haustür zuordnen, als die Wohnzimmertür hinter seiner Schwester zufiel. Angestrengt murmelte er ihr etwas hinterher, doch sie hörte ihn nicht mehr. Er verfluchte seinen Sitzplatz auf der Couch, er verfluchte das trübe Glas der Wohnzimmertür, das den Schatten seiner Schwester zeigte, bis er verschwand. Die Haustür knackte leise beim Öffnen und eine Männerstimme wurde laut. Wieder versuchte er zu rufen, doch es kamen nur Brocken aus seinem Mund, von denen nur er wusste, was sie bedeuteten. Und sie, wenn sie in Reichweite gewesen wäre.

Es krachte. Er konnte nicht ausmachen, was es war, doch er wusste, dass es nicht sein durfte. Sie durfte die Tür nicht öffnen. Niemals. Schwach stützte er sich auf seine Arme. Da ergriff ihn ein Husten, der sich schmerzvoll durch seinen ganzen Körper zog, nur nicht durch seine Beine. Der Speichel floss ihm aus den Mundwinkeln. Als darauf keine Antwort kam, wünschte er sich das erste Mal in seinem Leben die Schmerzen zurück und einen neuen Hustenanfall. Schleim tropfte ihm auf sein Hemd. Es war viel zu still im Haus. Unruhig starrte er auf die Schüssel auf dem Tisch vor ihm, die seine Schwester von der Behindertenwerkstatt mitgebracht hatte. Erst vorgestern. Nach über dreißig Jahren blieb sie noch immer seine kleine, zerbrechliche Schwester. Seit sie vor seinen Augen leblos aus dem Teich gezogen worden war. Ganz leise meinte er etwas zu hören und ihm grauste davor. Wahrscheinlich ist es doch nur der Postbote, dachte er und trotzdem würgte es ihn. Worte rannen ihm über das Kinn, so viele wie noch nie seit seiner Krankheit. Er bekam fast keine Luft mehr und doch klatschten seine Worte nur mitsamt seinem Speichel auf seinen Hemdkragen.

Als er wieder still wurde, vernahm er noch den Nachklang der Haustür, die ins Schloss fiel. Dann nichts mehr. Bedrückende Stille beherrschte das Haus, nur sein Atem war unnatürlich laut. Er saß da, wie immer, unverrückt, unbeweglich, hilflos. Kein Finger konnte ihm den Schleim vom Kinn wischen. Es vergingen lange Minuten, in denen er sich nach zwanzig Jahren erst richtig der Bedeutung seiner Lähmung bewusst wurde. Als seine Schwester plötzlich die Wohnzimmertür öffnete und wieder vor ihm stand, spürte er etwas Nasses seine Wange hinunterlaufen. Sie hielt noch immer die Türklinke auf der anderen Seite und ließ sie nicht los. Ihr rechter Arm baumelte schlaff gegen den nackten Oberschenkel. Sie hatte keine Hose an. Verzweifelt schrie er sie an, doch es war das erste Mal, dass sie seine Worte nicht verstand. Du darfst keine Fremden ins Haus lassen, nicht die Tür öffnen, stammelte er, hauchte er, doch sie stand nur da. Nackt. Er hustete, bis er rot anlief und keinen Zentimeter seines Körpers mehr spürte.
FeelLetter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.03.2011, 23:17   #8
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


Ja, besser, kann ich jetzt gut nachvollziehen. LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.03.2011, 23:40   #9
weiblich Aquaria
 
Dabei seit: 02/2010
Alter: 42
Beiträge: 521


Schließe mich an. Viel besser. Gut umgesetzt!

Grüße,
Aquaria
Aquaria ist offline   Mit Zitat antworten
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