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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 13.04.2010, 21:28   #1
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.111

Standard August '59, barfuß

Extremsommer,
hitzegeladene Luft.
Klingeln von der Straße,
hart und energisch.
Schnell, der Eismann!
Vater und ich laufen
auf nackten Sohlen
über sengenden Asphalt.
Barfußlaufen ist gesund.

Eine Gestalt
in weißer Kluft
mit Schiffchenmütze.
Der Fahrradbauch: ein Kasten
mit blanken Metallhauben.
Ein Groschen die Kugel.
Mit kühlen Kostbarkeiten
in Waffeltüten gedrückt
schlendern wir nach Hause.

Der Eismann
fährt weiter
Richtung Schillerschule,
wir halten ihn nicht auf.
Mutter hat verzichtet.
Wir müssen sparen
für Haushaltswäsche
.
Stettiner Ehrgeiz
gegen Offenbacher Genußsucht.

Am Nachmittag
das Jahrhundertgewitter.
Himmlisches Farbenspiel
in Blau, Gelb und Grün.
Vater öffnet ein Fenster.
Riecht ihr's auch?
Schwefelgestank!

Die Hitze ist geblieben.
Gelüst nach Speiseeis.

13. April 2010
© by Ilka-M.
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Alt 13.04.2010, 22:04   #2
männlich Neny
 
Dabei seit: 10/2009
Ort: Lancre
Alter: 37
Beiträge: 96

Hi Ilka-Maria,

da spult sich beim lesen ein gut vorstellbarer Film ab, wie deine ganze Offenbach-Reihe sehr authentich, gefällt mir gut, vorallem da es mich an die Mittage erinnert mit meiner Uroma im Hof auf den Eismann wartend, während sie ihre Schürze anhat und wir dann beide Zitroneneis essen, ah ich schweife ab .

Die Hitze ist geblieben.
Gelüst nach Speiseeis.

Ich weis nicht wirklich warum, aber diese letzten beiden Zeilen find ich einfach nur toll.

Grüße Neny
Neny ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.04.2010, 22:14   #3
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.111

Hoppla, Du bist 23 und kannst damit etwas anfangen - so mit Eismann usw.? Da bin ich jetzt überrascht!

Nein, Du kannst meine Zeit nicht gekannt haben, aber es scheint Parallelen zu geben, die ich nicht mehr wahrgenommen habe. Da hatte bei mir schon die Versteinerung eingesetzt, die ich erst in den späten 80ern lösen konnte.

Aber ich sage Dir: Da fing mein Leben erst richtig an!

Danke für den Kommentar und ein gute Nacht,
LG, Ilka-M.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.04.2010, 22:40   #4
männlich Neny
 
Dabei seit: 10/2009
Ort: Lancre
Alter: 37
Beiträge: 96

Nun zumindest bei uns gabs seit ich denken kann einen Eismann, wobei der bereits nen Kleintransporter oder so etwas in der Art hatte. Vielleicht liegt es daran das ich in nem recht kleinen Dorf aufgewachsen bin und noch lebe. Eine richtige Eisdiele gibt es z.B. erst seit ein paar Jahren ^^.

Dir auch eine gute Nacht,

Grüße Neny
Neny ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.04.2010, 20:20   #5
männlich pathos79
 
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Dabei seit: 03/2010
Ort: Sauerland
Alter: 44
Beiträge: 737

Ach,was fürn Luxus so ein Eis sein kann...Kann man sich kaum in der heutigen Zeit vorstellen:"Mama,darf ich ein Eis?"Wir hatten als Blagen immer 50 Pfennig in der Tasche.Also eher selbstverständlich,als aussergewöhnlich!
Dein Gedicht hinterlässt einen kühlenden Genuss auf den schwirrenden Gedanken...
Der Leser versucht ja meißtens zu projezieren;ich fühlte mich sofort wie 8.Du schaffst eine vertraute Situation,mit der viele etwas anfangen können.Die eingefangene Atmosphäre,nicht nur in diesem Gedicht,so authentisch,real,einsaugend lässt mich nicht unberührt.Ehrlich!
Eine Frau mit diesem Ehrfahrungsschatz,und der Fähigkeit des Ausdrucks der Gefühle,sollte mal an dieser Stelle gelobt werden

Gruß,pathos
pathos79 ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.04.2010, 21:44   #6
weiblich Ilka-Maria
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Ich staune, daß ich als Kind der 50er und Teenager der 60er Jahre Menschen erreichen kann, die heute in ihren Zwanzigern und Dreißigern sind - und ich freue mich natürlich darüber.

Der Sommer 1959 war übrigens wirklich brutal heiß.

LG
Ilka-Maria
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Alt 16.04.2010, 08:06   #7
männlich Bullet
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Dabei seit: 07/2009
Beiträge: 499

Liebe Ilka,

ich habe ja schon alles gesagt zu deinen "Neuen Gedichten"". Dieses hier: Wunderbar!

Ach eins noch! Pathos79 hat da einen wichtigen Punkt angesprochen. "Vertrautheit". Die Gedichte rufen "Vertrautheit" hervor. Nochmals: Wunderbar!

Gruß
B.
Bullet ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.04.2010, 10:33   #8
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.111

Freut mich, Bullet, danke.
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Alt 16.04.2010, 10:50   #9
weiblich C.Alvarez
 
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Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria Beitrag anzeigen
Stettiner Ehrgeiz
gegen Offenbacher Genußsucht.
Liebe Ilka-Maria,

noch ein sehr schönes deiner Kleinode über deine Erinnerungen, deine Kindheit und Offenbach.
Stettin, ist das nicht Polen? Heute? War das früher beim Deutschen Reich, Schlesien oder so?
Da kommt deine Mutter her? Hoffentlich musste sie nicht vor den Russen flüchten im Krieg, was die Menschen durchgemacht haben...grausam. Nicht die russischen Soldaten, das waren ja keine Menschen. (Hab so meine Probleme mit Russen).

Na ja, auf alle Fälle wieder ein sehr gefühlvoller Text der hochwertigen Art.
Sehr schön.

Liebe Grüsse

Corazon
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.04.2010, 11:30   #10
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.111

Liebe Corazon,

meine Mutter ist in Stettin geboren, das gehörte damals zu Pommern und wurde nach 1945 polnisch. Die Familie brach erst in Richtung Westen auf, als der Krieg schon zu Ende und Pommern von den Russen besetzt war. Bis auf ein Baby, für das keine Milch aufgetrieben werden konnte und das deshalb unterwegs verhungerte, waren alle unbeschadet durchgekommen.

Danke für Deinen Kommentar.

Liebe Grüße
Ilka-M.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.04.2010, 12:01   #11
männlich Ex-Abendstern
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 581

Zitat:
da spult sich beim lesen ein gut vorstellbarer Film ab
Zitat:
Du schaffst eine vertraute Situation, mit der viele etwas anfangen können.
Zitat:
Ach eins noch! Pathos79 hat da einen wichtigen Punkt angesprochen. "Vertrautheit". Die Gedichte rufen "Vertrautheit" hervor. Nochmals: Wunderbar!
Das sehe ich ganz genau so! Und ich schließe mich dem Lob an. Das Gedicht weckt auch bei mir Erinnerungen an die eigene Kindheit:

Mir ist beim Lesen des Textes, als würde jemand eine Tür in meine eigene Vergangenheit aufschlagen...

LG
Abendstern
Ex-Abendstern ist offline   Mit Zitat antworten
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