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Alt 07.03.2007, 10:49   #1
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Standard 7 Tage Woche

Montag

Es war ein Montagmorgen wie jeder andere. Der Wecker klingelte schrill. Die Sonne stach ihr ins Gesicht und die rechte Seite des Bettes war leer. Stöhnend setzte sie sich auf, band sich die Haare zusammen und stand auf. Gequält schlich sie leise den Flur entlang. Die Nachbarn unter ihnen waren, wie alle Nachbarn, lärmempfindlich. Jeder Schritt, den sie machte, so wurde behauptet, führte bei ihnen dazu, dass der Putz von der Decke bröselte. Albernes Geschwätz, aber um der „guten“ Beziehungen willen, hatte sie sich angewöhnt, sich auf Zehenspitzen zu bewegen. Deshalb trug sie nie Hausschuhe. Das würde einen normalen Gang voraussetzen, damit sie diese nicht verlor. Kalte Füße waren also der Dank der Nachbarschaftsliebe. Nein, keine Liebe. Rücksicht. Warum nahm sie Rücksicht auf ihre Nachbarn? Weil sie im Winter für sie mitheizten? Oder weil auf sie auch Rücksicht genommen wurde und die endlosen und ausufernden Parties nur bis vier Uhr morgens gingen? Nein, definitiv nur, weil sie einfach ein zu netter Mensch war. Nein, nicht einmal weil sie von sich behauptete nett zu sein, sondern weil sie keine Lust auf nervenaufreibende Konfrontationen hatte. Natürlich könnte sie umziehen, aber das wegen dämlichen Nachbarn? Nachbarn waren alle und überall gleich dämlich. Sie alle hielten sich für perfekt. Hielten ihren Mann und ihre Kinder für perfekt und ihre kleine, gemütlich eingerichtete Wohnung. Doch im Grunde waren das alles Attribute, die lediglich zur Selbstdarstellung dienten, um sich selbst ein perfektes Leben vorzugaukeln und den so genannten Freundinnen zu zeigen, wie viel besser sie selbst doch waren. Es war einfach ekelhaft. Und Dank dieser abnormalen Zurechtlegung des Lebens, war sie selbst ständig krank, aufgrund kalter Füße. Das wollte einem Arbeitgeber erst mal plausibel erklärt werden. Schritt für Schritt bekam sie schlechtere Laune. Als sie schließlich am Esstisch saß und in ihre leere Kaffeetasse starrte, war ihre Laune dem Tiefpunkt gleich. Es konnte kaum schlimmer werden. Sie hatte sich, wie so oft, geirrt. Es konnte schlimmer werden. Er saß ihr gegenüber, grinste sie dümmlich an und goss ihr Kaffee ein. Der Dampf der Brühe verschleierte seine Gesichtszüge etwas, aber das Grinsen blieb in ihrem Gedächtnis haften. Sie hasste seine gute Laune am frühen Morgen. Er setzte sich ihr gegenüber und schlug die Zeitung auf. Ab und an lugte er über den Blattrand und seine Augen verrieten, dass er grinste. Sie hasste es angestarrt zu werden. Vielleicht lag es daran, dass sie sich selbst nicht als schön empfand. Warum sollten es dann andere so empfinden? Weil sie hübsch war, glaubte sie tief im Inneren zu wissen. Schon um diese Uhrzeit in solche fatalen Grübeleien zu verfallen, war das absolute Ende des Tages und ihrer schon längst nicht mehr vorhandenen Laune. Es konnte nur noch schlimmer werden. Das würde es sicher werden. Als er die Zeitung beiseite legte, raschelten die Blätter. Perfektionist. Er zupfte und strich so lang an den Seiten herum, bis die Zeitung wie frisch gedruckt neben seiner Tasse lag. Ihrem Blick wohnte ein inbrünstiges Augenrollen bei. Er war pünktlich, ordentlich, zuvorkommend, höflich, gebildet und klug. Und er war so langweilig. Sie wurde alleine bei seinem Anblick müde. Was machte dieser Mann in ihrer Wohnung? Sein Anzug passte nicht zu ihrer Inneneinrichtung. Sie war gemütlich. Er gebügelt. Seine Haltung lies keine Zweifel zu, dass sein Anzug mit ihm zusammen noch immer auf einem Kleiderbügel hing. Er hatte sich noch nie gut auf ihrer Couch gemacht, bemerkte sie. Warum hasste sie ihn heute so? Hasste sie ihn schon immer und hatte es nur vergessen? Zugegeben, an ihrer Seite machte er sich nicht schlecht. Er war ein Mann, den Frau gerne mit zu Freunden nahm, weil er sich zu benehmen wusste. Mit ihm konnte man in die Oper gehen oder ins Ballett, ja sogar ins Theater. Er ging zu Buchbesprechungen, besaß eine Mitgliedskarte für die Stadtbibliothek und gehörte einem Literaturclub an. Wollte sie sich in sein Leben zwängen aufgrund des äußerlichen Anscheins? War sie eine von ihren Nachbarsfrauen, die gerne zeigten was sie hatten, auch wenn sie selbst auf der Strecke blieb? Nein, sie wollte kein Bilderbuch. Sie wollte ein Leben. „Was hast du?“ fragte er ernsthaft. Hm. „Liebst du mich?“ „Selbstverständlich!“ Selbstverständlich?! Was war das für eine Antwort? Es war nicht selbstverständlich geliebt zu werden. Es fühlte sich an wie etwas Routiniertes. Ganz falsch. „Wie sehr?“ Er kam ins Stocken. Selbstverständlich. Welch trockener Humor. Immerhin hatte sie welchen im Gegensatz zu ihm. Eigentlich dachte sie, dass sich Gegensätze anziehen würden. Nun ja, vielleicht. In ihrem Fall wohl eher nicht mehr. Was war passiert? Sie fragte sich das ernsthaft. Und hatte ernsthaft keine Antwort darauf. Hatte er sie seelisch und geistig eingeschläfert? Oh, er setzte zu einer Antwort an. „So sehr, dass ich uns bald ein Haus kaufen werde. Dann können wir endlich heiraten und das Leben führen, dass wir uns wünschen.“ Generell keine üble Antwort. Allerdings war es nicht das, was sie sich wünschte. Sie wollte kein perfekt vorgegaukeltes Leben in einem kleinen weißen Haus mit Garten in der Vorstadt. Sie wollte keinen langweiligen Snopp der einen Kleiderständer im Hintern spazieren trug. „Wie lange brauchst du um auszuziehen?“ Erschrocken sah er sie an. „Was?“ fragte er schon fast heißer. „Ich weiß nicht mehr, warum ich mit dir zusammen bin. Ich mag dich nicht und du langweilst mich.“ Er war den Tränen nahe und sie musste lachen aufgrund ihrer spontanen und ehrlichsten Antwort, die sie ihm hätte geben können. Ja, an diesem Tag war sie ein richtiges Miststück. Eigentlich hatte er diese Art nicht verdient. Vielleicht sollte sie ihm später eine e-Mail schicken mit hohlen Erklärungen. Schuldig war sie ihm nichts, aber es wäre einfach eine nette Geste. Glaubte sie. Schließlich war sie nett. Ihre Armbanduhr tickte und es war Zeit zur Arbeit zu gehen. Perfektes Timing. Unter der Dusche kam ganz plötzlich ihre gute Laune zurück. Sie begann zu singen und störte sich nicht mal mehr an den Fugen der Fliesen, die langsam schon Schimmel ansetzten. Das hatte man davon, wenn es im Badezimmer kein Fenster gab. Vielleicht war es klug eine Putzfrau einzustellen. Einmal die Woche grundreinigen hatte noch keiner Wohnung geschadet. Konnte sie sich das leisten? Immerhin fehlte nun sein Gehalt. Ihr Lebensstandart würde rapide sinken. Seltsamerweise war ihr das im Moment egal. Sie fühlte sich frei und wohl. Wahrscheinlich würde sie ihm keine Träne hinterher weinen. Sicher würde sie es nie bereuen. Was, wenn doch? Dann würde sie eben damit leben müssen. Nachdem sie sich in Schale geworfen hatte, schlenderte sie gelassen erneut den Flur entlang. Er begegnete ihr. Zerstört und fassungslos sah er aus. Sicher hatte ihn noch nie etwas so aus der Bahn, seines ach so geregelten Lebens, geworfen. Er würde es überleben. Sie nahm ihren Hausschlüssel, schloss die dünne Holztüre hinter sich und ging die Treppen hinunter. Typisch, ach so perfekte Nachbarn spielen und dann vergaßen sie die Kehrwoche. Unten im Eingang warf sie einen Blick auf den Kalender, um festzustellen, wen sie dafür mit bösartigen Blicken strafen musste, und stellte fest, dass sie selbst die Kehrwoche vergessen hatte. Egal, denn schließlich tat sie nicht so, als sei sie perfekt. Irgendeiner würde sich sicher daran stören und diese lästige Arbeit für sie erledigen. Dafür würde sie auch weiterhin keine Parties veranstalten und auf Zehenspitzen gehen. Ihr fiel ihr überfüllter Briefkasten auf. Sie würde ihn nach der Arbeit leeren. Rechnungen und eine Unmenge an Werbeblättern würde sie nicht in ihrer Tasche den ganzen Tag spazieren tragen und nach oben schleppen kam sowieso nicht in Frage. Nach der Arbeit. Wenn sie nur an Arbeit dachte, würde sie am liebsten wieder in ihr Bett kriechen. Ihr Job war noch langweiliger als ihr Freund. Ex-Freund, korrigierte sie sich. Sie sorgte jeden Tag dafür, dass die Alkoholiker hinter dem Steuer nicht ausstarben. Schließlich musste ja jemand Straßenschilder überfahren, damit die Stadtwerke etwas zu tun hatten. Oder alte Omis, die sowieso nur Rente kassierten und für nichts mehr zu gebrauchen waren. Die eine Hand wusch die andere. Und am oberen Ende der Kette stand sie; hinter einem Ladentisch eines Spirituosengeschäfts. Sie machte Menschen glücklich, wenn auch nur für die Dauer des Rausches, sie trieb sie in Depressionen und manchmal in den Selbstmord. Sie war dafür verantwortlich, dass die Geburtsrate stieg und die Totgeburten ebenfalls. Sie war an der Verbreitung des HIV beteiligt, weil die meisten im Vollsuff keine Kondome verwendeten. Sie war Ursprung allen Übels. War es moralisch gesehen falsch dort zu arbeiten? Nein, denn was gingen sie die anderen an? Gut, sie konnte die Eigenschaft der Übertreibung ihr eigen nennen. Sie war nicht der Ursprung allen Übels, sie war nur eine Verkäuferin. Auf andere Verkäuferinnen traf das sicher zu. Besonders, wenn man es eilig hatte und in der Schlange an der Kasse stand. Wieso hatte immer sie das außergewöhnliche Glück an der Kasse anzustehen, an der entweder alte Opas ihr Kleingeld sortierten oder die Kassiererin absolut keinen Durchblick hatte? Sicher lag es am Schicksal. Wäre sie schneller fertig gewesen, hätte sie bestimmt ein Bus überfahren oder ein überdimensionales Werbeschild wäre auf ihren Kopf gefallen und hätte sie zermatscht. Also sollte sie für blinde Kunden und trödelnde Kassierer dankbar sein. Selbstverständlich. Wieder lachte sie und trat aus der Haustüre auf den Bürgersteig.
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Alt 07.03.2007, 12:52   #2
Ex-Angel
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Dabei seit: 03/2006
Beiträge: 520


also , einfach geil...

ich liebe es... ja das tuhe ich...
und ich musste lachen als ich den anfang gelesen habe weil der so super passt, ja lass den hass raus

aberwürde es schöner finden mit absätzen? weil ich es sonst zu lang atmig finde
Ex-Angel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2007, 17:10   #3
Struppigel
 
Dabei seit: 05/2006
Beiträge: 1.007


Mh. Mir ist die Protagonistin absolut unsympathisch und auf die Länge des Textes geht mir allmählich das indirekte Selbstmitleid und der Hass auf den Keks - nicht ein einziger Mensch wird von ihr mit guten Worten bedacht.
Das hat also leider nicht so meinen Geschmack getroffen, obwohl ein paar lustige Stellen dabei waren.
Noch etwas: Nachbarn? Das sind doch Untermieter, keine Nachbarn. So weit ich den Begriff verstehe, beschreibt dieser nur Menschen, die neben einem wohnen, nicht drunter oder drüber. D.h. so kenne ich das, aber hundertprozentig sicher bin ich nicht.
Struppigel ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 08.03.2007, 10:40   #4
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


@ Angel: Danke für deinen Kom. Ich wusste, dass dir das gefällt Absätze...ne lieber nicht. Die Protagonistin ist gedanklich immer so in Fahrt. Aber jetzt bekommste deinen ersten Absatz

@ Struppi: Ja, die Madame schiebt einen ordentlichen Hass und lässt an niemandem, auch nicht an sich selbst, auch nur ein gutes Haar. Aber der "Montag" ist ja noch nicht mal rum Ich bin aber sicher, dass jeder solche Tage kennt, vielleicht nicht ganz so extrem, aber ich z.B.hab oft Tage, wo mich alles einfach nur nervt. Was die Nachbarn angeht...na ja, ich werfe da einfach alle in einen Topf. Schließlich wohnen sie eben unten drunter nebenan

Yve
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Alt 07.05.2007, 11:55   #5
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Wie immer, war sie die Erste am Arbeitsplatz. Das Gittertor war noch immer unten, der Bürgersteig vor dem Laden verdreckt und die Fenstergitter waren geschlossen. Sie atmete tief durch, während sie aufschloss und versuchte zu ergründen woher ihre schlechte Laune kam. Männer würden schlichtweg behaupten, dass ihre Periode sich ankündigte. So ein Unsinn. Es war nun mal eine traurige Tatsache, dass Männer keine Ahnung von Frauen hatten. Jede Frau, die je einen Versuch gestartet hatte, ihrem Mann zu erklären, wie sie tickte, scheiterte und endete meistens in einer Scheidung. Beziehungen waren eine schrecklich lästige Angelegenheit. Zuerst das berüchtigte Kribbeln, viel leidenschaftlicher Sex und jede Menge Spaß. Dann ging es Berg ab. Immer. Noch nie wurde eine Beziehung mit den Jahren besser. Oder hatte nur sie Beziehungen, die ins Nichts führten. Definitiv nicht, sonst würde die Scheidungsrate nicht stetig steigen. Menschen sind nun mal beziehungsfaul. Wer möchte schon ein Leben lang an einer Beziehung arbeiten. Jeden Tag von Vorne beginnen und seine Kraft in etwas stecken, von dem man sowieso weiß, dass es in einem hässlichen Scheidungskrieg endet. Man sollte sich einfach nach den ersten drei Monaten trennen. Vielleicht war das die Lösung schlecht hin. So bekam sie nur das Schöne und der lästige Rest blieb ihr erspart. Sie nahm sich vor, diese Überlegung festzuhalten.

Im Laufe des Tages kam sie zu dem Entschluss, dass es eine Tatsache war, dass Menschen kategorisierbar waren. Man konnte sie sehr wohl in Schubladen stecken. Zum Beispiel war der erste Kunde des Tages ein alter Mann. Bärtig, ungepflegt, schmutzig und er betrat den Laden keine zwei Minuten, nachdem sie geöffnet hatte. Er war die Sorte Mensch, die durch irgendwelche Vorkommnisse ins totale Aus geraten waren. Keine Perspektiven außer um 7 Uhr eine Flasche Schnaps zu kaufen. Er war die Sorte Mensch, die einen in der Straßenbahn, mit einer Fahne, die man auf fünf Meter roch, anlallte und um Kleingeld bettelte. Sicher, er heimste viel Mitleid ein, aber mindestens genauso viel Verabscheuung. Und sie verabscheute ihn. Aus welchen Gründen auch immer, man hatte stets eine Wahl. Sogar alte Säufer wie er. Aber stattdessen entschieden sich 99,9 % dafür, morgens um 7 Uhr in einem Spirituosengeschäft eine oder mehrere Flaschen Schnaps zu kaufen um ihren Alkoholpegel aufrecht zu erhalten. Typische Realitätsflüchtlinge.

Gegen Mittag wurde es etwas voller. Es kamen Prolleten, die wahnsinnig gefährlich aussehen wollten, so taten als gehöre ihnen die Welt und nur Ärger machten. In Wahrheit waren es aber kleine verschüchterte Jungs, die ein zu kleines Geschlechtsorgan besaßen, zu wenig geliebt wurden und das irgendwie kompensieren mussten. Wahrscheinlich hatten sie diese verschrienen Rabenmütter, die ihnen die Muttermilch vorenthalten hatten. Man konnte sich aber auch über alles aufregen. Wen interessierte es, mit was Mütter ihre Kinder satt bekamen? Wieder mal war das nur ein Exempel der „perfekten“ Mütter, die alles Andere verpöhnten, was nicht in eine perfekte Welt passen wollte. Ein Kind musste einfach gestillt werden. Etwas Anderes war abnormal. Alleine bei dem Gedanken schnaupte sie. Die Prolls kauften für gewöhnlich Hochprozentiges, dass sie, wenn sie alleine waren, doch nicht tranken, weil es einfach zu stark war. Aber der Anschein musste schließlich gewahrt bleiben. Oder sie entschlossen sich für Bier. Das war umgänglicher und wurde meistens auch in den dafür vorgesehenen Körperöffnungen entsorgt. Typische Aufschneider und Möchtegernmachos.

Dann gab es da noch die Schublade Teenager. Sehr beliebt bei ihnen: Fruchtweine. Junge Mädchen in kurzen Röcken und noch kürzeren Shirts. Hochhackige Schuhe, Tonnen von Make Up, schrilles Kichern, albernes Geschwätz und jenseits jeder Realität. Kompensation eines Kleingeistes und mangelnder Intelligenz. Einziges Thema: Party, Männer, in dem Fall eher Jungs mit saftigem Grün hinter den Ohren, alles rund um Mode und Tratsch. Sie hielten sich für unglaublich wichtig und wahnsinnig schick. Sie hatten schlichtweg das Rad erfunden. Aber unterm Strich endeten die meisten von ihnen gleich. Möchtegernmacho trifft auf Möchtegernmodel und daraus ergeben sich ungewollte Kinder, die in asozialen Wohnungen aufwachsen und über kurz oder lang genauso werden wie ihre Eltern. Ein schmächlicher Kreislauf. Gut, sie wollte fair sein und die Wenigen erwähnen, die im späteren Leben etwas aus sich machten. Aber der Ehrlichkeit halber sei gesagt: Tussi würde immer Tussi bleiben.

Am Nachmittag sichtete sie häufig nette, alte Damen die ihr Fläschchen Likör für den Nachmittagskaffee mit ihrem Bridgeclub, der ebenfalls nur aus netten und alten Dämchen bestand, einkauften. Im Grunde war es ein kleiner Lästerverein, gespickt mit Fensterspionage und Gruppenbesäufnis. Kaffee mit Schuss. Allesamt hatten Enkel, die ihnen das Geld aus den Taschen zogen und auf „nett“ machten. Hinterrücks aber rauchten und tranken wie die Löcher und Kleinkriege in der Familie anzettelten.

Gegen Abend erschienen Anzugträger wie ihr Ex - Freund. Ertränkt in Parfum, Aktenkoffer aus Leder, selbstverständlich in edlem Schwarz, ein billiger Rosenstrauß unterm Arm. Frisch gekauft von einem ausländischen Blumenhändler an der nächsten Ecke. Von ihnen gab es zwei Sorten. Die eine Sorte macht sich gerade auf den Weg zu seiner Geliebten, während er seiner Frau am Telefon erklärt, dass er im Büro noch jede Menge Arbeit erledigen müsste, oder bei einer Besprechung unabdingbar war. Der Andere machte sich auf den Heimweg zu Frau und einer Schar Kinder. Er kaufte für Gewöhnlich den billigsten Wein um seiner Angetrauten zu zeigen wie sehr er sie doch liebte. Der Sekretärinnenvernascher kaufte Champagner um bei seiner Angebeteten Eindruck zu machen, wie wohlhabend und stilvoll er doch war. Im Groben waren es Heuchler und Betrüger.

Zu Guter Letzt erschienen die perfekten, so von ihr geliebten und geschätzten, Hausfrauen. Jedes Haar saß perfekt, die Kleidung makellos und gebügelt. Die Schuhe und die Handtasche passten perfekt in Stil, Form und Farbe zu dem restlichen Outfit. Das Make Up dezent und stilvoll. Der Ehering mit dem falschen Brillant schick zur Schau gestellt und sämtliche Gold- und Platinkreditkarten in alphabetischer Reihenfolge im Portmonee verstaut, aber gut sichtbar für jeden. Man möchte schließlich zeigen, was Mann hat. Sie kauften normalerweise einen guten und teuren Wein. Schließlich kamen Freunde zu Besuch. Ein nettes Abendessen, teurer Wein, einen vorzeigbaren Mann und wohlerzogene Kinder. Alles musste einfach perfekt sein. Und wieder war sie bei ihren Nachbarn angelangt.

Im Grunde gab es nur wenige echte und ehrliche Individuen. Zu welcher Kategorie sie sich zählen sollte, wusste sie wirklich nicht. Sie wollte nichts von all dem sein, aber in den letzten Monaten war sie wohl in diese Hausfrauengeschichte geschlittert. Das war aber eher ein Versehen. Jetzt war sie den wandelnden Aktenkoffer los und konnte herausfinden, was sie ausmachte. Manch einer würde sagen, ihr Alltag bestand nur aus Klischees. Das eigentliche Interessante war doch, dass Klischees einen wahren Ursprung hatten. Menschen waren eben so. Alle gleich. Alle berechenbar und jeder gehörte in eine Schublade. Es war, als würden sie ein Schild um den Hals tragen. War sie denn anders? Ja, er hatte sie geistig betäubt und sie hatte keine Ahnung, was sie war. Ein leibhaftiges Klischee?

Alles in Allem konnte sie Montage nicht ausstehen. Sie war Garfield. Aber dieser Montag war ein Tag voller Philosophie, Erkenntnisse und Fakten. Ein guter Tag. Nur wirklich weitergeholfen hatte ihr nichts. Sie war Egoistin, denn alle Gedankengänge hätten dazu führen sollen, dass es ihr besser ging. Ja, das musste es sein. ALles sollte darauf hinauslaufen, dass es ihr gut ging und sie sich gut fühlte. Das tat sie erstaunlicherweise. Es war also ein guter Tag für sie.
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