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Alt 19.05.2013, 17:57   #1
männlich Desperado
 
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Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
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Standard Pfingstrosen

Die Bibel kennt jeder im Westen, der lesen kann, vom Pastor bis zum Revolverhelden.

Allzu viele Bücher gibt es ohnehin nicht, das Buch der Bücher aber findest du in jeder Absteige, und das passende Bibelzitat zur rechten Zeit eignet sich für jede Gelegenheit und sanktioniert jede Absicht, sei sie edel oder verschlagen. Was Wunder also, wenn auch der Desperado schon drin geblättert und geschmökert hat, und zwar mit Vorliebe in den Kapiteln und Abschnitten, die sie ihm nicht bereits in der Schule um die Ohren pfefferten. Etwa beim Kohelet, ich meine, der Mann hat's begriffen, und die Pfaffen und Pauker werden sich schon was bei gedacht haben, dass sie mir den seinerzeit vorenthalten haben, zum Schluss unterlegt der Bengel seine Faulheit noch mit Bibelsprüchen, „Windhauch, alles Windhauch“, wozu also seine kostbare Zeit damit vergeuden, die Schulbank zu drücken?

Ansonsten hatte ich immer wieder mal meine berechtigten Einwände, das fängt ja schon an mit dem „Seid fruchtbar und vermehret euch. Macht euch die Erde untertan“. Für gewöhnlich fruchtbar zu sein und sich fleißig zu vermehren, damit hatte der Mensch ob der damit verbundenen Begleiterscheinungen noch nie Probleme, ich seh' also keinen triftigen Grund, ihm das ausdrücklich sagen zu müssen. Sich die Erde untertan zu machen indessen halte ich für ausgemachten Humbug. Wollte ich Tecumseh's Sichtweise folgen, dass die Erde unsere Mutter sei, dann hat der Mann schon recht insofern, dass alles Leben auf Erden dieses mit Sicherheit mal derselben verdankt, ob nun erschaffen oder allmählich aus der Kraft eines waltenden Geistes entstanden, etwas anderes halte ich persönlich für vollkommen abwegig, undenkbar und ausgeschlossen, da muss man seine Augen schon gewaltsam verschließen, um auf diese merkwürdige Idee kommen zu können, aber nun, was geht's mich an?

Warum aber um Himmels Willen, so frage ich mich, sollte ich meine Mutter unterwerfen? Ich brauchte sie ja nicht einmal zu entmachten, sich rechtzeitig ihrer gängelnden Obhut zu entziehen genügte vollauf. Sich der Erde entziehen zu wollen nun ist schon ein Ding der Unmöglichkeit, sie sich zur Untertanin zu machen hingegen pure Vermessenheit. Einmal abgesehen davon, dass diese ihre scheinbare Beherrschung ohnehin nur dadurch in die sichtbar gemachte Selbsttäuschung umzusetzen ist, sich zuvor die nötige Menge an Menschen zu Untertanen gemacht zu haben, die für einen die anfallende Knochen- und Drecksarbeit erledigen, ist dieses absurde Ansinnen von Vornherein zum kläglichen Scheitern verurteilt, und wieso, so frage ich, sollte Gott seinem Geschöpf einen derartigen Mummenschanz auftragen? Also, das mit dem „Wort Gottes“, das kann wohl so wörtlich nicht zu nehmen sein wie die Bibelfesten eisern behaupten. Da hat sich der Mensch schon so einiges zurechtgerückt und -gelegt, wie auch anders, macht er doch immer und mit allem.

Ich jedenfalls will niemands Untertan sein und folglich niemanden zu meinem Untertanen machen, schon gar nicht die Erde, ich komm gut mit ihr aus und zurecht, sie gibt mir aus freien Stücken, was ich zum Leben brauch. Genau wie es die klugen Indianer nicht müde werden dem dummen weißen Mann zu sagen. Um auf taube Ohren zu stoßen, weil der göttliche Auftrag eben ein anderer sei. Nö du, so einen göttlichen Auftrag braucht niemand, ich schon gar nicht, ohne mich, liebe Leute.

Aber wer weiß, vielleicht ist das Ganze ja auch vollkommen anders gemeint. Vielleicht soll es heißen „sagt ja zum Leben und seid gut zur Erde wie zu einer Schutzbefohlenen.“ Mein Pferd ist ja auch irgendwo mein Untertan, in übertragen tragendem Sinn gewissermaßen, und ich versuche dennoch oder grade deswegen, gut zu ihm zu sein. Deine Kinder sollten dir gehorchen und trotzdem liebst du sie wie deinen Augapfel. Mit etwas gutem Willen kannst du die Erde durch sinnvolle und dankbare Nutzung ihres reichen Angebotes bis zu einem gewissen Grade zu deiner Dienerin machen, das lässt sie sich gern gefallen. Alles eine Frage der sogenannten Auslegung, wofür der Mensch ja eigentlich den Heiligen Geist anwenden könnte, das unbegreifliche Geschenk quasi, an Gottes Sicht und Gedanken teilhaben zu dürfen. Stattdessen nutzt er lieber sein eigenes Spatzenhirn, um Gott das Wort im Munde umzudrehen, nach eigenem Gutdünken zu schalten und walten und diesen Murks dann göttliche Eingebung zu schimpfen. However.

Wenn die Wüste nach einem kräftigen Regenguss erblüht, für ein paar wenige Tage zum Paradiesgarten von unwirklicher Schönheit und betäubender Farbenpracht erstrahlt, denk ich manchmal an das Gleichnis von den Lilien des Feldes, die da blühen um ihrer selbst Willen und Salomons Garderobe sowie die prunkvolle Ausstattung der abgehobenen Halbgötter und Königtümer der Maya und Azteken um ein Vielfaches in den Schatten stellen, dann kann ich dem Mann aus Nazareth nur uneingeschränkt Recht geben. Dasselbe gilt für die Vögel des Himmels, die da weder sähen noch ernten und doch genährt werden vom himmlischen Vater, wenn ich verzückt ihrem Gesang lausche oder ihre schillernden Hochzeitskleider bestaune.

Bin ich nun ein Dieb, so frage ich, wenn ich mich an den Maisfeldern bediene, die neuerdings das Land bedecken soweit das Auge reicht? Meinetwegen, dann sind wir eben alle Diebe, die Mäuse, Hamster, Hörnchen, Weißwedelhirsche, Raben und Spatzen, der Waschbär trägt seine Räubermaske sowieso immerzu im Gesicht, der hungrige Desperado seinen schlechten Ruf auf den Schultern, es gibt in der Tat Schlimmeres, als ein paar geröstete Maiskolben zu verköstigen, zum Beispiel die Felder der Navajo abfackeln und verwüsten, um ihre Aufmüpfigkeit zu bestrafen und ihren Freiheitsdrang zu bändigen. Da sind so ein paar geklaute Kolben lediglich gerechter Ausgleich, ist ja auch nicht so wichtig, auch dann nicht, wenn die Enteignung am heiligen Sonntag stattfindet. Einmal abgesehen davon, dass du ohne Weiteres dafür erschossen werden kannst, wenn die berittenen Wachtposten dich auf frischer Tat ertappen.

Darüber mit den Gottesfürchtigen in ein vernünftiges Gespräch zu kommen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Die haben da ihr Ding mit der Arbeit im Schweiße ihres Angesichts, was ich nicht so ganz verstehe, denn soweit ich informiert bin, ist das Teil eines uralten Fluchs ganz am Anfang der biblischen Geschichte, wenn nun aber der Erlöser die Menschheit von ihren Sünden erlöst hat und gleichzeitig von deren verhängnisvollen Folgen befreit, vom ewigen Tod beispielsweise, was ja nun sehr viel gewichtiger ist als die mühselige und krankmachende Plackerei zu Lebzeiten, müsste doch logischerweise auch der eben bei dieser Sündenfall-Gelegenheit ausgesprochene Fluch der Arbeit aufgehoben sein und von ihnen genommen. Ich meine, wenn schon denn schon, so eine aufgeschoben stückchenweise Erlösung, die einen lediglich auf ein besseres Jenseits vertröstet, ohne an der Mühsal des irdischen Seins was Entscheidendes und Umwälzendes zu ändern... ich weiß nicht so recht, was ich von der halten soll, ja ob ich die überhaupt in Anspruch nehmen will. Könnte ebenso gut eine leere Versprechung sein.

Es ist schon eigentümlich, dass die Christenleute welcher Konfession auch immer genau diesen radikalen Abschnitt im Evangelium mit unermüdlicher Beharrlichkeit mit einem „Schon, aber das darf man so wörtlich nicht nehmen, das ist mehr so bildlich zu verstehen, im übertragenen Sinne, so schwerpunktmäßig, weißt du, eine Geisteshaltung sozusagen“ ergänzen und seine ganz einfache und eindeutige Aussagekraft damit zunichte machen, grad so, als würde diese ihnen Angst machen mit ihrem schlichten Anspruch der planlosen Sorglosigkeit. Also, bei genauer Betrachtung ist es sogar das Gebot zu einer solchen. Was bitte muss denn dann ihrer Meinung nach wörtlich genommen werden? Nun, wie sollte es anders ein, natürlich ist es das vielzitierte „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ vom Paulus, das sie bei jeder Gelegenheit heranziehen wie das elfte Gebot, um ihren Nacken unter das Joch der Arbeit zu beugen oder ihre Arbeitssklaven darauf einzuschwören, die gefälligst auch dann arbeiten sollen, wenn sie nichts zu essen haben. Nun hat der Paul das Brotzeitverbot zum einen in einem ganz konkreten Zusammenhang gesagt, vielmehr hingeschrieben, zum andern ist er eben doch nur das Paulchen, sprich auch nur so einer von unzähligen sterblichen Heinis, die mir nichts zu sagen haben. Warum also sollte es mich kümmern, wenn da irgendein berühmter Wanderprediger auf den Prärieblumen herumtrampelt und mit Spatzenschrot hinter den Vögeln herballert? Das tun die Farmer auch, da kann ich keine verbindliche Lebensregel drin erkennen, beim besten Willen nicht.

Aber diesbezüglich haben die fleißig schuftenden Christenmenschen Ohren und hören nicht, da bist du als „Nichtstuer“ schlicht machtlos, Arbeit ist eine heilige Sache, ohne die du nicht in den Himmel kommen kannst und amen. Steht zwar nirgendwo so geschrieben im neuen Testament am Ende des Buches der Bücher, und was da vorher so alles stand, und da steht jede Menge, das ist ja nun gewissermaßen überholt durch ebendieses, aber das wollen die Gläubigen nicht so recht wahrhaben, frag mich nicht warum, ich hab's nie begriffen, aber das muss ich ja auch nicht zum Glück. Ich für meinen Teil hab „den besseren Teil gewählt“, das reicht mir vollkommen, und im Gegensatz zu ihrer Argumentation ist es nicht notwendig, das jemandem verständlich machen zu wollen.

Es versteht sich von selbst.

Geändert von Desperado (19.05.2013 um 21:36 Uhr) Grund: Kleine Nachbearbeitung
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 19.05.2013, 22:33   #2
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073


Hallo, Desperado,

wie immer hab ich die Selbstgespräche deines Desperados mit Vergnügen und
aufmerksam gelesen. Was da so in seinem Kopf rumgeht.
Er hat das ganz richtig erkannt, dass der Bibelspruch :" ... und macht euch die Erde untertan" ganz sicher nicht bedeuten kann, dass wir die Erde ausbeuten dürfen, sondern dass wir eher kluge Verwalter sein sollen, Bewahrer, sie uns urbar machen dürfen. Er hat sie vor die Füsse gelegt. Ratzinger hat mal geschrieben: wir sollen die Sprache der Schöpfung wahrnehmen und sie in ihrem Rhythmus und ihrer Logik pflegen. Das gefiel mir gut.
Und in 2. Schöpfungstext steht ja auch: Er setzte ihn in den Garten, dass er ihn bebaue und bewahre! Das trifft es doch.

Das Problem ist ja beim Bibellesen und Auslegen, dass so sie viele Autoren hatte und dass bei den Übersetzungen immer wieder Ungenauigkeiten und
eben jeweils die persönlichen Gedanken des Übersetzers mithineingeflossen sind. Nicht umsonst hat Luther sich bei seiner Übersetzung im wahrsten Sinne des Wortes gequält um die für ihn "richtigen" Worte zu finden.

So hat das hebräisch Wort "habasch" - herrschen über, auch die Bedeutung:
hüten. Interressant find ich auch, dass Adam ( hebr. Mensch, auch : der von der Erde (Adama) genommene heißt. Da wird doch die gegenseitige Verbundenheit ganz deutlich: wenn der Mensch der Erde schadet, schadet er sich im Grunde selbst.

Aber jetzt hör ich mal lieber auf. Ich denke, dass dein Desperado das alles
eh weiß, im Herzen.
Und nicht, dass du denkst, ich könnt hebräisch alles bröckchenweise mal aufgelesen. Ich find das sehr spannend, was man da so findet.

liebe Pfingstgrüße,
simba
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 20.05.2013, 12:44   #3
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
Dabei seit: 03/2012
Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747


Hallo simbaladung,

freut mich, dass Du reingeschaut hast.

Man darf bei alledem nicht vergessen, dass der Desperado seine Gedanken Anfang der Neunziger des neunzehnten Jahrhunderts zu Lederhaut bringt, also zu einer Zeit, in der vieles, was uns heute -da wir sehr schmerzlich lernen mussten, die "Krone der Schöpfung" radikal in Frage zu stellen- selbstverständlich erscheint, damals aber durchaus als Blasphemie gewertet worden wäre. Könnte ein Zeitgenosse von anno dazumal mit seinen freien Gedanken so weit vorausblickend gewesen sein? Ich weiß es nicht.

Andrerseits wirft es die Frage auf, was uns heute alles selbstverständlich erscheint und es beileibe nicht ist.

Pfingstlichen Gruß
Desperado
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