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Alt 29.06.2012, 19:10   #1
männlich Ex-Erman
 
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Standard Geliebte Gloria - Brief -I-

Meine Liebe Gloria,

gestern versuchte ich mich wieder einmal, aufzuhängen, danach überlegte ich es mir aber doch wieder anders. Die ganze Nacht schaute ich mit weit geöffneten Augen an die Zimmerdecke und ''liebte'' Deine Zwillingsschwester.

Zu Dir sagte ich aber: Lass mich nie allein, wenn jemand schöne Musik spielt, Du weißt, ich neige zum Schauspielern, mache aus nichts ein Theater, so sehr vertiefe ich mich darin, dass ich danach einen Rundgang machen muß und mir ein Publikum suchen und den Leuten alles von mir zeige.

Sei bitte nicht überrascht, wenn ich dabei auch mich selbst manchmal plakatiere.

In der Frühe sah ich den Himmel... nur die Wolken sah ich nicht. Mit Sicherheit hat sie der Wind weggeblasen und nach Süden gebracht. Dieser Wind hat den Geschmack der Erde und des Weihrauchs, doch ich möchte dir eigentlich nicht noch mehr davon erzählen.
Die Natur begnügt sich auch mit wenigen Worten, deshalb dauert der Orkan nicht den ganzen Morgen und der Regen nicht den lieben langen Tag.
Weißt du, die Architektur des Weltalls zu kennen, sie vor allen anderen zu verstehen, und zwar hier, vor meinem Fenster, während ich weiter beharrend und stotternd meinen freunden in Bars, den ewig gleichen Freunden, in ewig gleichen Bars, ewig gleiche Strophen vor die Nasen halte wobei ich aber überzeugt bin, dass ich jeden Tag etwas neues ausspreche – Ja da muss doch was nicht stimmen. Manchmal überkommen mich diese Gedanken. Ich weiß nicht warum.
Es denkt sich jemand einen neuen Krieg aus, jemand den Ehebruch, jemand hat eine Mutter, die ihn aus Langweile bekam, jemand den Mozart, Jemand TBC..
Ich denke ganz im ernst, dass ich dich nicht sehr gut kenne, dennoch bist du mir nicht unbekannt.
Erlauben mir, dass ich in Richtung der Stadt spucke wo du mich auf Dich warten ließest.

Gute Nacht wünsche ich Deinem Ansinnen, dass ich mich öfter unter Menschen begeben sollte. Doch ich kann das nicht. Denn ich begab mich ja immer zwischen die Menschen. Gute Nacht Deinen Tränen.
Deinem einstigen Gang während ich schlafe. Das war vor Millionen von Jahren.

Du kennst doch die kleinen Spielzeuge...
So endlos schätzte ich alle Deine Versuche mir in die Beine Blei zu gießen, wie den Puppen aus Kautschuk die sich immer aufrichten. Bei mir ist das Blei im Kopf.

LG
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Alt 03.07.2012, 23:18   #2
männlich Ex-Erman
 
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Beiträge: 1.453

Standard Geliebte Gloria - Brief – II -

Liebe Gloria,

ich bin von dort weggelaufen. Ich kann mich nicht mehr verstellen.
Deine Zwillingsschwester sagt, dass ich in Dich verliebt bin. Ich schlafe überhaupt nicht mehr. Unentwegt versuche ich zu durchleuchten, wen ich liebe. Doch so langsam dämmert es mir immer mehr, dass ich euch beide liebe.

Dieser Brief ist vermutlich mein letzes Wehgeschrei an Dich. An meine Tür habe ich folgendes Geschrieben: "Eintritt verboten, ansteckende Krankheit – Trauer".
Deine schönsten Briefe verteilte ich an die Kinder in der Nachbarschaft, damit sie aus ihnen Flugzeuge und Schwalben basteln. Ich bitte Dich, lies den Roman ''Ermüdung'' von Jean P. Toussaints und Dir wird alles klar werden. Gestern war ich ein Farbiger, heute ich ein Eskimo und ich habe einen schrecklichen Hunger nach Seehunden!
In dem Moment als meine Hände wieder bluteten, wollte ich den Verband zerfetzen und wieder mit den Fäusten gegen die Wand schlagen. Da verspürte ich, dass ich dich wieder brauche. Zwei Tage habe ich die Züge aus Amsterdam hoffnungsvoll abgewartet. Dann habe ich wieder an deine Zwillingsschwester gedacht und danach zwei Tage auf die Züge aus Brüssel gewartet. Dadurch habe ich Eure beiden Anfahrtszeiten völlig verwechselt - wie immer ...

Ein Eisenbahner, der mit mir zu Schule ging, hat mich wiedererkannt und mich zu sich eingeladen um mir was Gekochtes zu servieren. Seitdem ihn die Frau verlassen hat kochte er nämlich selbst, es wäre das Einzige was er noch an seiner Frau liebt, sagt er. Das Essen, denn jedes Mal stellt er sich vor, sie wäre auch im Topf.

Eine zeitlang ging ich in ein Restaurant und habe dort lebende Fische aus einem großen Aquarium gekauft, um sie in den nächstbesten Fluss in Freiheit zu lassen. Als ich kein Geld mehr hatte, gab man mir pro Tag je einen Fisch auf Kredit. So verliefen die Tage noch eine zeitlang.

Eines Tages wurde mein Freund Vater, du kennst ihn, der mit der Rosen-Tätowierung auf der Brust, der in der schlimmsten Winterkälte im Park sein Hemd auszog und Vorbeigehende bat, ihm sein Herz zu zeigen, nur, dass ihn niemand verstand und er sich nicht wieder anzog. Jetzt verstehe ich ihn sehr gut, denn damit wollte er nur sagen, dass er niemanden hat, dem er sein Herz geben könnte. Jetzt hat sogar er Jemanden.

Hab ich Dir übrigens schon erzählt: Es gibt hier eine Frau, die denkt, dass sie in mich verliebt ist, sie ist seit mehrere Wochen in unsere Etage gezogen und manchmal kommt sie mittags bei mir vorbei, zündet alte Zeitungen an, Gloria, die Situation ist keine einfache, weißt du - natürlich - du kennst mich ja - bin ich immer hilfsbereit. So kam es, daß wir einmal abends müde von den Ausräumarbeiten am Kamin saßen, da packte sie unvermittelt einen Holzscheit (mir wollten gerade die Augen vor Müdigkeit zufallen) und schmiß ihn schreiend in den Kamin, so das die Funken stieben. Und sie schrie immerzu nur: Du böse Hexe solltest hierdrin brennen!!!
Schon hatte sie den nächsten Scheit in der Hand - ich konnte es gerade noch verhindern und mußte meine ganze Beruhigungskunst anwenden bis sie endlich schimpfend auf dem Sessel saß - nun begann sie haltlos zu schluchzen - ach Gloria - ca. 1 Stunde mußte ich leise auf sie einreden, bis sie wieder die Alte war - und das alles wegen ihres Mannes - der ist wohl an allem Schuld ...
Sie liebt Kamine. In einem Film sah sie einmal ihren Traumkamin und versucht seitdem, sich etwas Ähnliches zu gestalten.
Hier spielen sich manchmal regelrechte Melodramen ab, weißt du: Sie ist betrübt und ich tröste sie. Sie kann Frauen nicht verstehen, die anderen die Männer ausspannen.
Jedes Mal muss ich sie anders trösten. Das ist auch eine Kunst, ihr jedes Mal einen Ausweg aus dem Unmöglichen zu zeigen. Eines Tages schreibe ich ein Buch über das Trösten.

LG
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Alt 04.07.2012, 00:08   #3
Thing
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Beiträge: 34.998

"Eintritt verboten, ansteckende Krankheit – Trauer".

Das ist mir als Erstes aufgefallen.
Aber ich habe bisher nicht den ganzen Text gelesen. Später mehr.

Liebe Nachtgrüße
von
Thing
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Alt 05.07.2012, 00:34   #4
männlich Ex-Peace
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Dabei seit: 11/2011
Beiträge: 3.449

Lieber Erman,

mir gefällt besonders der zweite Brief richtig, richtig gut.
Klasse gemacht.
Da sind viele Kniffe drin, die mir ein großes Lesevergnügen bereiten.

Alles Liebe
Peace
Ex-Peace ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.07.2012, 14:26   #5
männlich Ex-Erman
 
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Beiträge: 1.453

@Lieber Thing,

es freut mich, dass dir dieser Satz aufgefallen ist.

Hab vielen dank fürs Lesen.

Viele liebe Grüße
Erman






@Lieber Peace,

es freut mich sehr zu sehen, dass dir meine Texte Lesevergnügen bereiten.
Hab vielen dank fürs Lesen und Kommentieren.

Viele liebe Grüße
Erman
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Lesezeichen für Geliebte Gloria - Brief -I-



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