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Alt 07.08.2015, 21:43   #1
weiblich shoshin
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Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Standard Kurzer Bericht

Ich weiß es ist schon spät, aber ich wollte dir noch kurz berichten, dass ich alles erledigt habe, wie besprochen. Es hat genauso funktioniert, wie geplant: Sein Widerspruchgeist hat ihn just in die Falle tappen lassen und er ist gänzlich zufrieden mit sich und der Welt, weil er mir seinen Willen aufgezwingen konnte.

Du hast ihn ganz richtig eingeschätzt, das Ergebnis war ihm letztlich egal, es ging ihm nur ums Prinzip, er musste den Tisch als Sieger verlassen.

Ich habe für Momente meinen Triumph auch richtig ausgekostet, aber als ich mich dann seinem Gockelgehabe ausgeliefert sah, er den aufgesetzten Charme eines "Mannes von Welt" versprühte und auch noch witzig sein wollte, da konnte ich mich kaum noch beherrschen, ihn das zu nennen, was er ist: ein vertrottelter, sexistischer, selbstgerechter Lackaffe.

Was mich davon abgehalten hat, ihm das auch zu sagen, war einzig, dass ich ganz fest daran dachte, was du mir eingebläut hattest: "Verliere bloß nicht die Nerven! Du spielst eine Rolle, mehr nicht! Und dann gehst du von der Bühne und bist wieder du."

Aber, mein Lieber, wer bin ich denn? Könnte es nicht auch genau umgekehrt sein? Bin ich vielleicht dort oben auf der Bühne ich und spiele sobald ich sie verlasse?

Du lachst sicher, wenn du das liest und wirst mir wohl gleich antworten, ich sei - mein Hang zur Selbstrefelexion und Aufrichtigkeit in Ehren - viel zu streng mit mir und du verstündest gar nicht, wie jemand, der so liebenswert und klug sei wie ich, an sich selbst derartige zweifeln könne.

Und wenn deine Frau gerade nicht im gleichen Raum ist, wirst du mir wohl noch darunter schreiben "hdl" und danach die Mail sofort löschen.

Ja, ich weiß, du hast mir nie etwas vorgemacht. Du brauchst mich und die Zeit, die du mit mir verbringst, ist für dich wertvoll.

Das stimmt wohl. Ich serviere die Gegner ab und deine Frau serviert das warme Abendessen, das du nach einem schnellen Fick mit mir entspannt genießen kannst.

Und was machst du an den vielen anderen Tagen? Etwa, wenn du während einer Besprechung deine Schenkel an meinen reibst und in einem unbeobachteten Moment schnell meine Hand nimmst und auf deinen Steifen legst, für mehr aber keine Zeit bleibt? Was machst du dann, wenn du zu ihr nach Hause kommst?

Ich gestehe natürlich, dass mich alleine schon diese Gedanken erregen. Du hast ein leichtes Spiel, mich glauben zu lassen, dass du mich liebst. Ich sehe wie sich deine Augen verschleiern, dein weicher Mund die Worte formt, höre wie deine Stimme leiser und dunkler klingt: "Können wir etwas besseres haben?"

Nein, natürlich nicht! Wir haben beide unsere Erfahrungen gemacht, wissen wie Beziehungen laufen, das Verlangen schläft ein, dann die Liebe und übrig bleibt Gewohnheit.

Ich höre wie du sagst: "Ich wache nicht neben dir auf, sondern mit dir."

Ja, du hast ja Recht, ich wollte es genau so. Aber du alleine bist der Puppenspieler. Egal, was ich tue, ich denke langsam wie du, ich entscheide wie du, ich spiele wie du...

Ich liebe Dich!

Lösch es ruhig!


*) Ich weiß das sind abgeluschte Klischees, aber ich wollte mich einfach einmal an einem Prosatext versuchen und hab mich getraut. Es war eine Art erste Fingerübung und ich würde mich über Feedback freuen - herbe Kritik eingeschlossen - es interessiert mich, ob wenigstens die klischeehafte Geschichte schlüssig ist, es grundsätzlich lesbar ist, ob man mit dem Aufbau etwas anfangen kann, ob man mit den Charakteren etwas anfangen kann ...?

Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.08.2015, 02:01   #2
männlich Jeronimo
gesperrt
 
Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237

Liebe shoshin,

ich sehe den Text als eine Geschichte, eine Erzählung. Von der Schreibe her ist sie dir hervorragend gelungen. Ich habe den Text zweimal lesen müssen, ehe ich begriff, dass es sich um zwei verschiedene Männer handelt, wobei nicht klar wird, was zwischen der Erzählerin und dem ersten Mann gelaufen ist. Was immer es auch war, es geschah auf Bitten des zweiten Mannes, der, an dem der Text gerichtet ist.
Es stimmt, das Klischee vom Mann, für den die Frau nur eine Sexgeschichte ist und das auch wohl nicht verschweigt, und die Frau, die damit einverstanden war und sich ihrer unterlegenden Rolle bewusst ist, wird hier gut bedient. Problematisch wird es ist, wenn Frauen über das Einvernehmen hinaus sagen, ich liebe dich! Wenn Liebe ins Spiel kommt, werden bald Wünsche, Bitten, wenn nicht gar Forderungen laut, die die Leichtigkeit der Beziehung kaputt machen. Früher oder später wird eine noch unterschwellige Eifersucht zur Ehefrau offenbar werden.
Aber das muss nicht die Sorge des Lesers sein, die Logik jedoch hält nur den Augenblick der Betrachtung stand:

Er: "Können wir etwas besseres haben?" (Das ist also das Optimale, verheiratet zu sein und nebenbei eine Sexgeschichte am Laufen zu haben, das kann doch auch für die Geliebte nicht besser laufen. Alle sind glücklich, was will man mehr.)

Sie: Nein, natürlich nicht! Wir haben beide unsere Erfahrungen gemacht, wissen wie Beziehungen laufen, das Verlangen schläft ein, dann die Liebe und übrig bleibt Gewohnheit. (Der Weg aller Ehen, unausweichlich, da freut man(n) sich über so ein Alibi, keiner ist schuld, es ist halt so.)

Aber sie wieder: Ich liebe dich!
Optimal wäre doch Sex ohne Liebe, gerade hat sie noch geschildert, wie so etwas ausgeht. Und er tut ihr den Gefallen, wertet sie auf:"Ich wache nicht neben dir auf, sondern mit dir."
Dss gehört zum Einmaleins im Handbuch des Verführers, der seine Geliebte nicht nur auf Sex degradieren will.
Ohne Liebe also eine Win/Win-Situation, nur nicht für die Ehefrau, „Natürlich“ liebt er sie auch, aber er ist halt verheiratet, hat nichts verschwiegen und sie haben beide ein Abkommen. Und er hält sich daran.

Somit ist das Klischee zur Genüge bedient, nur dass die Erzählerin keine dumme Tante ist und noch genau weiß, worauf sie sich einlässt.
Insgesamt ist die Geschichte etwas zu kurz, um die Charaktere einschätzen zu können, aber hat genau die richtige Länge für eine Kurzgeschichte.
Der Schluss hätte etwas pointierter ausfallen können, aber das sagt sich bei dem Thema so.
Die deutliche, direkte Sprache ist sehr angenehm, macht die Frau sympathisch, er verhält sich so, wie ein Mann sich halt verhält, der seine Geliebte behalten will, die ihm ja auch sonst noch nützlich ist.
Da kannst du mal sehen, wie analytisch ein Mann das aufdröseln kann, wenn eine Frau eine Geschichte über starke Frauen schreibt.
Hast du gut gemacht.

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.08.2015, 12:10   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
Benutzerbild von DieSilbermöwe
 
Dabei seit: 07/2015
Alter: 60
Beiträge: 6.687

Hallo shoshin,

der Erzählstil gefällt mir sehr! Über den Inhalt kann man sich natürlich von moralischer Seite aus streiten - ob es zu vertreten ist, eine Nebenbeziehung neben Ehemann/Ehefrau zu haben, wenn die erste Beziehung nicht mehr das hält, was man sich einmal von ihr versprochen hat. Ich bin eher dafür, dann die erste Beziehung wieder zu beleben - bzw. sie besser gar nicht erst einschlafen zu lassen. Denn Beziehungen müssen nicht zwangsläufig so laufen, dass erst das Verlangen und dann die Liebe einschläft, keineswegs! Aber man muss sich Mühe geben Beziehungen sind auch immer Arbeit.

Das heißt nicht, dass ich kein Verständnis für Fremdgänger hätte, wenn wirklich ein triftiger Grund vorliegt, beispielsweise das komplette Verweigern von Sex. Wenn man selbst viel Sex braucht und ihn vom Partner jahrelang nicht bekommt, dann kann das sehr wohl ein Grund sein, in die Arme eines anderen zu flüchten.

Andererseits: Warum bringen es manche Frauen oder Männer fertig, für die Zweitgeschichte sich schick zu machen, zu improvisieren, sich was einfallen zu lassen, für die Erstgeschichte aber nicht? Warum ist für manche das Gras auf der anderen Seite immer grüner?

Du siehst es schon an meinem Beitrag: Deine Geschichte bietet durchaus Zündstoff.

Ich finde, sie ist dir gut gelungen.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.08.2015, 14:12   #4
männlich Gylon
 
Dabei seit: 07/2014
Beiträge: 4.269

Liebe Charis,
ich habe es jedenfalls gerne gelesen und dein Stil zu Schreiben sagt mir persönlich zu!

Liebe Grüße Gylon
Gylon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.08.2015, 18:30   #5
männlich ganter
 
Benutzerbild von ganter
 
Dabei seit: 04/2015
Beiträge: 2.478

Standard Geschichten erzählen

Zitat:
Zitat von shoshin Beitrag anzeigen
"Verliere bloß nicht die Nerven! Du spielst eine Rolle, mehr nicht! Und dann gehst du von der Bühne und bist wieder du."

Aber, mein Lieber, wer bin ich denn? Könnte es nicht auch genau umgekehrt sein? Bin ich vielleicht dort oben auf der Bühne ich und spiele sobald ich sie verlasse?
shoshin
Hallo shoshin,

ein hartes Stück Arbeit hast Du Dir vorgenommen. Ein Gedicht dagegen erscheint mir einfacher, überschaubarer. Aber Prosa - wenn kein Korsett den Redefluss begrenzt. Sicher immer gut für die Schreiberin - aber für den Leser?
Als Leser mache ich in dem Text noch nicht meinen Helden aus - meine Bezugsperson. Die unsympathische Betrügerin - nein, vielleicht noch am ehesten der als Trottel vom Betrügerpaar abschätzig dargestellte Betrogene.

Gruß
-ganter-
ganter ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.08.2015, 19:24   #6
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Jeronimo, liebe Silbermöve, lieber Ganter,

Ich danke Euch sehr für eure für mich sehr aufschlussreichen Kommentare und euer positives Aufnehmen dieses Textes.

Lieber Jeronimo, es wird einmal Zeit, dass ich mich bei dir einmal ganz grundsätzlich herzlichst bedanke, denn du hast immer ein Ohr (eigentlich Auge) für meine Texte, was immer es auch ist.

Und hier kommt noch dazu, dass du dir soviel Zeit für einen ausführlichen Kommentar genommen hast! Das ist alles andere als selbstverständlich. Und du hast mir auch meine "Prüfungsangst" genommen, denn wenn du einen Text bemerkst und dazu schreibst, dann weiß ich, dass er nicht ganz so falsch sein kann.

Ich habe in diesem Text wohl mehr weggelassen als geschrieben. Es war eine Gratwanderung eine Kurzgeschichte zu schreiben, weil ich selbst langatmige Texte nicht mag und daher ungeduldig wie ich bin, schnell einmal wegklicke, aber andererseits dann oft für mich scheinbar "Wichtiges" in einem Text vermisse.

Ich habe keine eigenen Erfahrungen mit derartigen Beziehungen. Aber ich habe versucht einen Moment einzufangen, wo irgendwie klar wird, wie das Kartenhaus zu kippen beginnt und das in einen "zeitgemäßen", komprimierten Emailstil zu verpacken.

Wie du, Jeronimo, so schön sagtest: "Die Logik hält nur dem Augenblick der Betrachtung stand."

Und das hat mir an deinem Kommentar, lieber Ganter, sehr gut gefallen: Du weißt nicht, mit welchem diese (Selbst)betrüger du dich identifizieren sollst. Ich ehrlich gesagt auch nicht.

Und das Jeronimo die beiden Männer erst nicht auseinanderhalten konnte, freut mich deshalb ebenso, denn das sollte eigentlich Teil der Überlegung zu diesem Text sein.

Nun, ich will das nicht weiter aufdröseln, es ist ja völlig uninteressant, was ich mir dabei gedacht habe, sondern alleine, was der Leser damit anfängt.

Interessant waren daher auch deine Überlegungen zur Moral, liebe Silbermöve, eben dass dich dieser einfache Text überhaupt dazu anregte, darüber nachzudenken.

Ich teile grundsätzlich auch deine idealistische Auffassung, man sollte lieber versuchen, sich in einer bestehenden Beziehung Mühe geben, um für den Partner interessant zu bleiben, aber nun ja.... aber wer weiß, wie das hier weitergeht.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.08.2015, 20:55   #7
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Lieber Gylon,
tut mir leid!! Ehrlich! Dein Kommentar war da so eingequetsch zwischen den langen, dass ich ihn übersehen habe. Du hast immer ein Ohr (Auge) für uns alle!
Lieben Dank und Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.08.2015, 22:52   #8
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073

Hi, shoshin,

hier noch ein paar Leseeindrücke von mir.

Stil gefällt mir wie den anderen gut. Kühl, präzise, passt gut zu der Protagonistin und der Beziehung, die ja ach so schön geregelt ist und perfekt
funktioniert.( Gute Idee auch, die gewählte Form als Emailbericht, passt klasse.)

Alles palleti? Natürlich nicht. Man weiß, wies endet. Hier die eine Variante, Liebe
kommt ins Spiel. Da brichst du ab. Cliffhänger, wie in einer Serie. Hmm, da könnte es vielleicht noch mal etwas interessanter werden. Fortsetzung?
Wäre eine Idee.

Was mich persönlich mehr als diese Geschichte interessiert hat ist der Anfang, den ich auch ein paar mal lesen musste. Die "Theaterszene" mit dem
"Nochehemann". Mir ging die ganze Zeit durch den Kopf, was ist da genau abgelaufen, was hat sie ihm vorgespielt?

Gefallen hat mir auch ihre Selbstreflexion: Wann bin ich eigentlich echt?
Auch da brichst du schnell ab. Auch das könnt man vertiefen, oder
in Fortsetzungen wieder aufgreifen. Damit würde der Charakter tiefer ausgeleuchtet, vielleicht sogar sympathischer. Ich häng hier auch in der Luft
wie ganter.

lg, simba

.
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.08.2015, 18:38   #9
weiblich shoshin
gesperrt
 
Dabei seit: 02/2014
Beiträge: 1.073

Herzlichen Dank auch dir, dass du dir die Mühe gemacht hast, so ausführlich zu kommentieren, liebe Simba, ich werde über alles nachdenken und hab sogar einen (ganz anderen) neuen Prosatext geschrieben, dem ich allerdings noch nicht so ganz traue. Wir werden sehen, ob ich mich traue, ihn zu veröffentlichen.

Ich will das hier jedenfalls nicht fortsetzen, jedenfalls vorläufig nicht.

Der erste Mann ist aber nicht der "Nochehemann". Mir wird klar, dass hier so einiges unklar ist, was mich aber nicht wirklich stört.

Lieben Gruß
shoshin
shoshin ist offline   Mit Zitat antworten
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