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Alt 03.12.2011, 13:57   #1
männlich Jeronimo
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Beiträge: 4.237

Standard Satire: Bogart - Teil 4

Bogart – 4. Sonntag

Teil 1: https://www.poetry.de/showthread.php?t=29863
Teil 2: https://www.poetry.de/showthread.php?t=30072
Teil 3: https://www.poetry.de/showthread.php?t=30333

Karla und ich „skypen“ jetzt miteinander via Webcamera. Ihre helle Kinderstimme ist toleranzbedürftig, und ihr Lachen bewegt sich in Oktaven, die eine Hundepfeife überflüssig machen. Gewisse Mängel muss man halt bei Internetbekanntschaften in Kauf nehmen.
Ich bin eher schweigsam und ein Sprachmuffel, aber das kommt Karla sehr gelegen, denn sie redet schneller, als ein Wasserfall fließen kann. Sie hat gewisse Justierungsschwierigkeiten bei der Steuerung ihrer Sinnesorgane, weil ihr Verstand bereits kapituliert hat bei der Menge an Informationen, die sie mir ungefragt zukommen lässt, so dass meinerseits nur ein gelegentliches Nicken und ein blödes Grinsen notwendig ist, um die einseitige Konversation aufrecht zu erhalten.
Karla berichtet verschämt, aber auch stolz, dass sie sich jetzt verstärkt der Bildung zuwenden will. Sie hat auch schon in den großen Klassikern geblättert, z.B. in der „Apotheken Rundschau“. Ich bestärke sie in ihrer Absicht. Vor allem das Wissen, wie man sich als Frau in Form hält und auf seinen Körper achtet, sei eminent wichtig. Das zeuge von Verantwortung und Intelligenz. Sie gesteht mir, dass es nicht einfach sei, das Gewicht zu halten und fragt dabei, wie ich es schaffe, so schlank zu bleiben.
Ich erkläre ihr, dass ich meine Kalorien einfach verbrenne.
„Ach, das geht?“
Während unseres ersten Chats gebe ich ihr Anweisungen, welche Position sie zu ihrer Webcamera einnehmen muss, natürlich aus rein technischen Gründen. Ihre neuerworbene Bildung ruft sogleich erste Zweifel an meine Order hervor, aber ich als gelernter Romantiker zerstreue ihre Bedenken: „Ich möchte doch so gern dein Herz schlagen sehen“, antworte ich traurig. Und Karla ist mal wieder beeindruckt von meiner Feinfühligkeit und Sensibilität. Sie seufzt glücklich: „Ach, ein anderer Mann hätte mir einfach nur auf den Busen starren wollen.“
Ja, ich kann eben mit intelligenten Frauen umgehen.

Wir wollen jetzt so oft es geht miteinander chatten und skypen, und ich habe mich bereitwillig dazu erklärt, sie bildungsmäßig zu unterstützen. Dazu gehört zunächst das Wissen um das richtige Outfit, und ich schwärme von der Harmonie der Blusen und dem Rot ihrer Wangen und seither mag ich es, wenn Frauen etwas für ihre Bildung tun.
Während Karla plappert, denke ich darüber nach, wie ich diese Phase unserer Beziehung beschleunigen kann, denn nur der optische Genuss ist in meiner momentanen Enthaltsamkeit irgendwie nicht befriedigend, doch ich muss erst einen Weg finden, diese nervige Sirene in ihr zum Schweigen zu bringen.
Karla fragt, was eigentlich meine Frau gerade macht, und ich bin ihr dankbar für die Vorlage. Ich antworte, dass sich Gunda neben an mit Fred in meinem Schlafzimmer derart verlustiert, dass ich Mühe habe, Karla konzentriert zuzuhören, und vermutlich darf ich nachher wieder die schweren Vorhänge neu anbringen und die Nachttischlampen reparieren. Und diese Ausschweifung verletze mich derart, dass ich emotional so geschockt bin, dass ich nicht weiß, ob ich je wieder eine Frau körperlich nahe kommen kann und das belaste mich sehr.
„Aber Bogart“, ruft Karla entsetzt, „das geht doch nicht! Da kannst du doch nicht bleiben!“
Ich lächle gequält, als stünde ich kurz vor einem Suizid.
„Du bist immer sehr verständnisvoll, Karla. Aber aus beruflichen Gründen muss ich leider den ganzen Tag hier rumhängen, und das geht natürlich an die Substanz.“
„Sag mal, Bogart, was machst du eigentlich beruflich?“
„Ich betreibe etliche Internet-Shops, habe zwar Mitarbeiter, aber letztendlich muss ich immer mit ihnen in Verbindung stehen, so dass ich nur mal gelegentlich einen Tag frei machen kann.“
„Du Ärmster. Und warum schmeißt du deine Frau nicht raus?“
„Sie hat leider das gleiche Wohnrecht wie ich. Ich überlege schon, ein paar Tage zur Entspannung mal ins Hotel zu ziehen, aber ohne moralische Unterstützung traue ich mich nicht. Es ist schrecklich, sie treiben es wie die Karnickel. Was soll ich bloß tun?“
Ich halte verzweifelt die Hand vors Gesicht und zucke mit den Schultern.
„Armer Bogart“, ruft sie mitfühlend viel zu laut.
Ich verziehe den Mund in tiefem Schmerz.
„Weißt du, ich habe da eine Idee. Vielleicht könnte ich mir ein paar Tage frei nehmen, dann könnten wir uns auch mal sehen und uns näher kennenlernen, und du würdest mal aus dem Moloch raus kommen.“
Moloch? Sie scheint intellektuelle Fortschritte zu machen.
„Du meinst es gut, liebe Karla, aber ich weiß nicht, ob ich dir das zumuten kann. Und in ein Hotel schon gar nicht! Das hat so etwas anrüchiges, da würde ich mich schämen. Aber wenn du magst, würde ich ein Ferienhaus mieten, irgendwo, wo es schön ist und ruhig.“
Ich lächle so unschuldig ich kann in die Kamera.
Und Karla ist ganz begeistert.

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.12.2011, 14:55   #2
weiblich Ex-Sabi de Sombre
abgemeldet
 
Dabei seit: 08/2010
Beiträge: 993

mir, jeronimo, gefallen alle 4 teile.
insgesamt äußerst unterhaltsam und im erzählstil locker und flockig.
mach bitte weiter! (bin derweil ein borgart-junkie )

lg sabi
Ex-Sabi de Sombre ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.12.2011, 17:35   #3
männlich Jeronimo
gesperrt
 
Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237

Hallo Sabi,

vielen Dank für Dein Feedback!
Das freut mich doch sehr, dass vor allem die Damen Gefallen an der Satire finden. Hatte ich mich doch eigentlich auf verbale Haue eingestellt angesichts des Machogehabe von Bogart. Ich danke Dir.

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.12.2011, 14:10   #4
männlich Ex-Peace
abgemeldet
 
Dabei seit: 11/2011
Beiträge: 3.449

Hallo Jeronimo,

ich bin absolut begeistert! Deine Bogart-Reihe ist unglaublich gut und unterhaltsam.

Bogart ist KULT!!!

Liebe Grüße
Peace
Ex-Peace ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.12.2011, 14:17   #5
Thing
R.I.P.
 
Benutzerbild von Thing
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998

Ist das gut!
Ich mußte laut lachen (was selten vorkommt).
Süffig, wirklich. Da kann man abhängig werden.

Sonst bin ich hier kein Prosa-Freund, aber Bogart reißt mich von der ersten bis zur letzten Zeile hin.


Thing
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.12.2011, 15:44   #6
männlich Jeronimo
gesperrt
 
Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237

Hallo Peace und Thing,

ich danke Euch recht herzlich für soviel Zustimmung!
Zu Weihnachten wird wohl der nächste Teil fertig.

Nochmals besten Dank!

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
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Lesezeichen für Satire: Bogart - Teil 4

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