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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 29.02.2024, 17:53   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Feldpost

Mädel, ich bin noch heil und gesund,
sage der Mutter, es gehe mir gut.
Jesus, mein Herr, steht mir treulich im Bund,
doch das Feld der Ehre verbrennt meinen Mut.

Bis zu den Knien steck ich fest im Dreck,
schwüre dir lieber: Ich komm wieder heim.
Sage dem Vater, es diene dem Zweck,
schießen und sterben, das müsse halt sein.

Grausam und roh ist hier draußen die Welt:
Uniformiert und mit Stiefeln, gelackt,
kämpft man dafür, dass die Frontlinie hält,
doch Geschosse treffen, als sei jeder nackt.

Täglich schreib ich dir aus meiner Not,
inniglich flehend: Bewahr mir dein Herz!
Bringt einst der Bote nichts, bin ich längst tot.
Neu wirst du lieben im kommenden März.

29. Februar 2024
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 10.03.2024, 08:31   #2
weiblich Lee Berta
 
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Beiträge: 320

Liebe Ilka-Maria,
inhaltlich gefält mir das Gedicht sehr gut und komprimiert den Inhalt historischer Feldpost aus den Weltkriegen.
"Feld der Ehre" sagt man heute nur noch ironisch und die geschilderten Umstände passen nicht zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Der sonstige Duktus passt auch gut in die Vierziger. Man nennt zum Beispiel seine Frau heute nicht mehr "Mädel", was vor den späten Sechzigern aber durchaus üblich war. In der Kaiserzeit hat man sich aber noch etwas schwülstiger ausgedrückt und mit Dativ-"e" (im Drecke), ich tippe darum auf den zweiten. Da hätte man so einen verzweifelten Brief mit religiösem Bezug aber lieber nicht geschrieben, denn die Feldpostprüfstelle hätte ihn vielleicht behalten. Täglich schreiben ging aus logistischen Gründen in der Regel nicht, sondern wöchentlich. Die Stiefel waren nur bei Ausgehuniformen von Offizieren gelackt.
Aber das sind unwichtige Details.

Bei allen Zeilen, die mit "doch" anfangen, habe ich Betonungsprobleme und die erste Zeile der vierten Strophe lässt scheinbar eine Silbe vermissen. Hinter "sterben" ist ein Leerzeichen zu viel. Weiter bin ich unsicher mit dem Konjunktiv schwüre/ schwöre (vermutlich geht beides).
Tut dem Lesevergnügen aber keinen großen Abbruch.

Liebe Grüße,
Lee
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Alt 10.03.2024, 12:20   #3
männlich Nordasche
 
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Beiträge: 48

Standard Hallo Lee Berta,

auch ich fand das Gedicht bemerkenswert, konnte aber die Absicht dieser Nachdichtung nicht erkennen. Die Zuordnung zu den beiden Weltkriegen ist eindeutig. Wobei der naive Patriotismus auf den Ersten, das „Mädel“ auf den Zweiten hindeutet.

Tägliche Briefe an die Verlobte oder die Frau waren möglich: siehe Heinrich Böll, Briefe aus dem Krieg.

Und ich denke nicht, dass die Feldpostprüfstelle den Brief bzw. das Gedicht einkassiert hätte. Dass der Tod zum Soldat-sein dazu gehört war nicht umstritten und die Billigung nach dem eigenen Heldentod einen anderen zu lieben war durchaus im Sinne der NS-Ideologie.
VG
Nordasche
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Alt 10.03.2024, 12:36   #4
weiblich Lee Berta
 
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Ort: Gehirn!
Beiträge: 320

Hallo Nordasche,
vermutlich kann man es nicht verallgemeinern. Mir hat man erzählt, dass diese Briefe (Die waren Briefpapier, Umschlag und Briefmarke in einem) rationiert waren, weil die Post nicht hinterherkam. Wenn man jeden Tag einen geschrieben hätte, wären sieben Briefe am Dienstag bei der Liebsten angekommen, denn die wurden auch gesammelt.
Ob das an jedem Ort zu jeder Zeit so war, weiß ich nicht und auch nicht, ob Offiziere anders als normale Soldaten behandelt wurden.
Ich denke, dass wegen dem Dreck und dem "grausam und roh" der Brief negativ aufgefallen wäre. Allzuviel Jesusgedüdel war auch nicht erwünscht. Den naiven Patriotismus habe ich so interpretiert, dass der Verfasser dadurch die Kritik abschwächen wollte, weil er wusste, dass der Brief eventuell gelesen wird.

Dass die Frau sich danach einen anderen suchen soll, habe ich so in Feldpostbriefen mehrfach gelesen. Es gibt ein Archiv.
https://www.briefsammlung.de/feldpos...ter-weltkrieg/
Andere Kriege sind auch erhältlich und können online als Transkript und im Original gelesen werden.
Die Intention habe ich nicht hinterfragt, weil ich es emotional ansprechend finde. Es bewegt mich und bringt tausend Feldpostbriefe genau auf den Punkt. Welch eine traurige Verschwendung junger Leben.

Liebe Grüße,
Lee
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