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Alt 18.09.2006, 10:08   #1
Coldeyes
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 16


Standard Friedhofsschnee

Weiße Flocken wirbelten durcheinander. Sie bildeten einen schönen Kontrast zu seinem schwarzen Mantel. Sie schwebten langsam hernieder, wurden auf dem samtigen Stoff des Ärmels zu tausend glitzernden Sternen und lösten sich dann im Nichts auf, starben einen kleinen Tod, stiegen wieder auf und fielen noch mal, nur um den ewigen Kreislauf zu schließen. Tom beobachtete diese Schauspiel eine Weile lang an. Der schwarze Engel aus Marmor am Grab neben ihm war schon weiß und seine zum Himmel hin ausgestreckte Hand ließ ihn zum Himmel flehen, daß er ihn doch aufnehmen möge.
Ein einsamer Engel in einer vergessenen Welt.
Er merkte erst nach einigen Minuten, daß Jasmin hinter ihm stand. Sie lehnte an einer der Eichen, die in dieser einem Park gleichenden Anlage wuchsen. Ihr langer, schwarzer Ledermantel war offen und ihr Rollkragenpullover lies sie erhaben wirken. Jasmin kam zu Tom rüber, gab ihm einen Kuß auf die Wange und setzte sich. "Na wieder geträumt?", sie lächelte sanft. Tom wischte sich den schwarzen Lippenstift ab. "Ist doch interessant wie du es immer schaffst mich zu stören." Er grinste breit, "Was machen die anderen?" "Die schießen ein paar Fotos. Ist schließlich der erste Schnee dieses Jahr. Stefan meint das gäbe ein 'cooles Feeling'. Naja. Wußtest du, daß er Gestern Geburtstag hatte? Er läßt sogar eine Flasche Wein rum gehen. Hab dir was mit gebracht." In ihrer Hand erschienen wie aus dem Nichts zwei mit Ornamenten verzierte Weingläser, gefüllt mit einer dunkelroten Flüssigkeit. Sie hielt eines Tom hin. " Auch einen Schluck?" Tom nahm es an und trank. Ein bittersüßer Geschmack benetzte die Zunge und lies ihn erschauern. Dann traten weitere Geschmacksnoten hinzu. Etwas Nelke, ein Hauch Zimt und eine Prise Muskat. Der Wein hinterließ einen aromatischen Nachgeschmack. "Schmeckt gut. Wo hat Stefan den her?" "Den Wein hat er gekauft und dann die Gewürze dazu gemischt. Ungewöhnlich aber lecker. Kommst du jetzt mit?" "Ne ich will allein sein." Tom verfolgte wieder eine Schneeflocke, die dem Kreislauf folgte.
"Allein mit dir oder allein mit den Gräbern?" Jasmin lachte, stand auf und ging.
"allein mit dir." Flüsterte Tom.
Jasmin blieb stehen.
Einen Augenblick trafen sich ihre Blicke als Jasmin sich umdrehte. Tom sah nichts in ihren azurfarbenen Augen. Weder Verachtung noch Überraschung, noch Freude. Jasmin kam wieder näher, setzte sich neben Tom. Beide sagten nichts, blickten nur hinaus in den Schnee.
"Wie lange schon?" Jasmin brach das Schweigen.
"Ein Tag ein Monat ein Jahr. Ich weiß es nicht mehr."
"Und warum gerade jetzt?"
"Weil ich an den Kuß denken mußte."
Es war schon länger her. Beide waren auf einer Feier. Beide kannten sich bis dahin nur vom sehen, mal ein Wort hier, mal ein Gruß dort. Mehr nicht. An diesem Abend hatten beide getrunken, unterhielten sich, verstanden sich. Und dann küßten sie sich. Unschuldig, ohne Sünde, ohne Gedanken, ohne Zeit. Sie küßten sich um des Küssens willen. Etwas unbeschreibliches, daß nur sie kannten und indem sie völlig aufgingen. Dann war er gegangen und ließ sie in der Nacht zurück.
"Ist aber schon länger her."
"Ich weiß. Aber zählt das? Ist das wichtig?"
Jasmin schwieg.
Tom fuhr fort.
"Ich meine, daß ich ... dich mag sehr sogar. Wirklich sehr. Wir verstehen uns, teilen gemeinsame Leidenschaften. Ich will dich bei mir haben, deine Wärme spüren wenn mir kalt ist,... deine Nähe, wenn ich einsam bin... und dein Lachen, wenn ich traurig bin. Das ist alles. Ich will dich einfach um mich haben."
Jasmin schwieg.
"Ich weiß nicht was ich noch sagen soll. ... Ich ... liebe dich."
Jasmin stand auf und ging. Ihr Glas fiel zu Boden und der Wein hinterließ eine blutige Spur auf dem unschuldigen weißen Schnee, wo sie sich mit Toms Tränen vermischte.
Nur der Engel weinte mit ihm.
Coldeyes ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.09.2006, 15:37   #2
Appelschnut
 
Dabei seit: 07/2006
Beiträge: 279


Traurig und so tragisch. Ich hab deine Geschichte jetzt wegen Zeitmangel nur kurz überflogen, aber ich mag sie - ganz besonders wegen der Traurigkeit!
Appelschnut ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.09.2006, 21:40   #3
FatLouie
 
Dabei seit: 08/2006
Beiträge: 61


Oh, ich finde deine Geschichte so schön. Weil sie so traurig ist und du es geschafft hast, dass der Leser mitfühlt und die Trauer, die auf den Korb folgt, nachempfinden kann.
FatLouie ist offline   Mit Zitat antworten
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