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Alt 25.11.2005, 17:49   #1
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


Standard Am Schicksal zerbrochen

Inhaltsangabe:
Wir befinden uns im Jahre 2018. Die Gesellschaft ist am zerfallen. Jeder muss heutzutage normal sein und sich an die Regeln halten. Wer aus dem Raster fällt, wird bestraft. Die Erwachsenen, die Angst haben, dass ihre Kinder zu schlau werden oder anders sind, misshandeln diese oder versuchen sie loszuwerden.Somit hat sich eine große Gruppe auf den Straßen Deutschlands gebildet - alles Kinder und Jugendliche, die Außenseiter sind und die sich fragen, wofür es sich zu leben lohnt. Somit rutschen sie immer weiter ab, in Probleme mit Drogen, Alkohol und dem Leben auf der Straße...




-1-




Regen. Überall Regen.
Ihr T-Shirt klebte an ihrer Haut, zitternd schob sie ihre Hände unter den nassen Fetzen. Es wurde langsam dunkel, sie konnte es sehen, wie die Sonne hinter den Bäumen unterging, seltsam, dachte sie, dass es regnet und dennoch die Sonne zu sehen ist.
Zichmal wurde ihr gesagt, sie solle sich von dem nassen T-Shirt befreien, sollte es endlich ablegen. Aber das tat sie nicht. Niemals. Und sobald es mal schmutzig war, wusch der Regen es sauber.
Ihre Haare wurden zu nassen Strähnen, ihr Gesicht von Tropfen rein gewaschen. Sie könnte nun weinen, dachte sie, sie könnte weinen und keiner würde es sehen. Aber sie wollte nicht weinen. Nicht mehr. Sie hatte genug geweint.
Das Heim lag am anderen Ende der Stadt, sie wusste das, dennoch trugen sie ihre Füße in die entgegengesetzte Richtung.
Weit weg. Dem Regen entgegen.
Sam war gläubig gewesen. Er hatte viel gebetet und Gott um Hilfe gerufen.
Damals.. ja, damals hatte sie das noch für Schwachsinn gehalten. Doch diese Zeit war längst vorbei.
Die Wolken schoben sich langsam vom Himmel. Sonne, die nun nicht mehr vorhanden war, blitzte nicht mehr hervor. Nur die Dunkelheit machte sich breit, legte sich übers Land und verschluckte den Regen.
Und ich, dachte sie, ich werde auch verschluckt.
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Alt 29.11.2005, 16:52   #2
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


ich poste einfach mal lustig weiter...mal schaun...



-2-




"Scheiße, verdammt."
Besorgt blickte Frail zum Himmel hinauf, doch entsetzt musste sie feststellen, dass sich der Regen zu legen schien.
"Nein, nein, NEIN!"
Sie hält sich die Hände auf die Ohren gepresst, wollte schreien und es selber nicht hören, wollte weinen, jedoch nicht ihre kostbaren Tränen dafür vergeuden.
Der alte Schuppen, der ihr Zuflucht gewährt hatte, schien fast zu zerfallen. Er war alt und morsch und der Regen weichte ihn immer mehr auf mit der Zeit. Ein paar Geräte standen in den Ecken, ein großes altes Fahrrad in der Mitte. Es drohte umzukippen, als Frail wütend den Kopf schüttelte.
Rasch streckte sie ihre Hand aus, verhinderte das schepperte Geräusch. Vielleicht wären die Besitzer aufmerksam geworden. Auch, wenn es nur eine Katze hätte sein können. Nur eine Katze.
Ja, der Regen hatte eindeutig aufgehört. Jetzt gab es keinen Grund mehr, hier zu bleiben. Keinen.
Sie trat hinaus in die frische Luft, es roch nach Regen und Dunkelheit. Sachte schloss sie die Schuppentür hinter sich und zog ihre Jacke ein Stück weiter zu. Dann ging sie mit gesenktem Kopf Richtung Heimat.
Schon von weitem sah sie sein Auto vor dem Haus parken. Sah das Licht in der Küche und im Wohnzimmer. Und schon konnte sie sein Geschimpfe hören, dass sie nicht nach Hause gekommen war. Leise trat sie die Treppen zur Haustür hinauf und schloss die Tür auf. Wenn sie es schaffen würde, in ihr Zimmer zu kommen, bevor er sie hören konnte, dann würde er vielleicht denken, sie sei doch pünktlich dagewesen... Vielleicht...
Als sie die Tür hinter sich schließen wollte, hörte sie es.
Die Wohnzimmertür schloss sich mit einem Krach, die Augen ihres Vaters waren zu Schlitzen verengt.
"Du kommst zu spät", zischte er.
"Ich war noch bei einer Freundin", sagte sie ruhig und sah ihm in die Augen.
"Es hatte geregnet."
Doch zu spät. Ihr Vater holte aus.
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Alt 30.11.2005, 23:59   #3
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


-3-



"Ich fühl mich nicht wohl", murmelte Foggy und spielte gedankenverloren an einer von Carrys Haarsträhnen herum.
"Hm?", machte sie und drehte sich zu ihm um. Sie konnte ihn schlecht sehen, sie hatte nur eine Ahnung, wo er sein könnte. Draußen war es bereits dunkel und das Licht hatten sie eben auch gelöscht. Das einzige was zu hören war, war Foggys Stimme, das Geknister der Bettdecke und ihr eigener Atem.
"Lost... Ich hätte sie niemals gehen lassen dürfen..."
"Ach, Foggy..."
Carry richtete sich auf und tastete nach Foggys Gesicht. Als sie es gefunden hatte, strich sie sanft über seine Wange.
"Mach dir doch keine Vorwürfe, du kannst schließlich nichts dafür."
"Doch... Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen, niemals...", hörte sie seine Stimme aus dem Dunkel.
"Du bist aber nicht ihre Eltern, weißt du. Du hast da leider sehr wenig zu sagen. Es ist traurig, ja... Aber vielleicht wird Lost da geholfen und sie kommt wieder zu euch zurück, was meinst du? Wenn Lost wieder so ist, wie sie es einmal war? Wär das nicht wunderbar?", versuchte Carry es. Sie wollte lächeln, aber es würde nicht nützen. Das Dunkel ließ keine Bilder zu.
"Ich komme sie nicht oft genug besuchen", erwiderte Foggy monoton und ging nicht auf Carrys Frage ein.
"Ich bin gar nicht für sie da. Was soll ich denn machen, wenn sie mal jemanden braucht? Wen hat sie denn dann? Sie ist doch ganz allein."
"Hör doch auf dir Vorwürfe zu machen!"
Carry ließ sich zurück ins Bett fallen.
"Lost ist nicht erst seit gestern da. Sie hat sicher schon einige Freunde gefunden und fühlt sich ganz wohl."
"Du hast sie nicht gesehn."
"Was?"
"Ihre Augen. Du hast ihre Augen nicht gesehen", erwiderte Foggy heiser.
"Foggy, nun mach mal halblang! Es ist tragisch, was passiert ist, ja, das geb ich ja zu. Aber du kannst doch nichts dagegen tun! Glaub mir, es ist besser, dass sie nicht mehr bei euch zu Hause wohnt. Da würde sie keine angemessene Betreuung bekommen. Da wird ihr doch geholfen, ihr gehts besser!"
"Ich hab mich doch gut mit ihr verstanden, ich hätte ihr helfen sollen. Beistehen und so, weißt du...", meinte Foggy. Ließ endlich Carrys Haare los.
"Ich weiß gar nicht mehr, wie's ihr geht, was sie so macht."
"Dann besuchen wir sie mal, mh? Komm, wir gehen sie morgen besuchen, was meinst du? Dann siehst du wie's ihr geht", schlug Carry vor.
"Und es geht ihr sicher besser, glaub mir, ganz bestimmt."
"Wenn du meinst..."
Foggy seufzte und kuschelte sich ins Kissen.
"Ach, tut mir Leid, Carry, ich mach mir nur Sorgen um sie... Aber danke... danke, dass du für mich da bist. Ich liebe dich."
Nun musste sie doch lächeln.
"Ich dich auch, Foggy. Und schlaf jetzt. Du willst doch hübsch aussehen, wenn dich deine Schwester morgen zu Gesicht bekommt, nicht wahr?"
"Ja, natürlich. Schlaf schön, Carry."
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Alt 20.12.2005, 17:00   #4
himbeere
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 27


Hey Frail!
Ich finde den Gedanken, der hinter der Geschichte steckt (zumindest wie es aussieht) schon mal nicht schlecht. 2018 ist bestimmt einiges anders und es ist mutig, über die nahe Zukunft zu sprechen.
Ob mir die Geschichte gefällt oder nicht, kann ich nicht sagen, weil ich noch zu wenig weiß. Die Ansätze gefallen mir aber. Sie machen mich neugierig auf mehr, vor allem bei Carry und Foggy.
Ich hoffe, man erfährt noch mehr über deine Figuren, denn bisher weiß man fast gar nichts über sie.

Gruß himbeere
himbeere ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.12.2005, 15:35   #5
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


huch, hat ja doch jmd was dazu geschrieben
es freut mich, dass dir die Idee gefällt. Ich hoffe, die folgenden Teile werden dich auch nicht enttäuschen.

...



-4-

Es tutete ein paar Mal. Dann meldete sich eine freundliche Frauenstimme am Telefon.
"Filmpalast am Burghof, Frau Mertens am Apperat, guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?"
Sicher rasselte sie nur ihr Band runter, dachte das Mädchen verbittert.
Aber schließlich sollte man es nicht unversucht lassen.
"Hallo, ich hätte gern eine Karte."
"Für?"
Die Frau wollte freundlich wirken, immernoch, aber irgendetwas lag in ihrer Stimme, was dem Mädchen nicht gefiel.
"Ist mir egal."
Sie dachte kurz nach. Blickte auf das Geld in ihrer Hand, was ihre Mutter ihr zugesteckt hatte.
"Irgendwas, was morgen Abend gegen 20 Uhr läuft."
"Okay, also, da hätten wir dann einmal...", begann die Frau, aber das Mädchen unterbrach sie.
"Suchen Sie etwas aus, ja? Ich will mich überraschen lassen."
Dass sie nicht einmal wusste, welche Filme gerade liefen, spielte keine Rolle. Sie blickte wieder auf die Münzen. Es spielte eine Rolle, dass überhaupt etwas lief, und dass sie dabei sein durfte. Für ein paar Stunden ihrem Leben entschweben und ganz wo anders sein.
Die Frau schien verdutzt zu sein, aber dann murmelte sie etwas, das nach einem "In Ordnung" klang und man könnte hören, wie sie etwas in ihren PC eintippte.
Das Mädchen blickte aus der Telefonzelle hinaus in die Stadt. Sie wirkte grau und öde, leblos und verlassen. Sie war nass geregnet von letzter Nacht, die Blätter strahlten nicht mehr in dem Grün, das sie einmal besessen hatten.
Ja, hatte diese Stadt denn überhaupt mal etwas Lebhaftes besessen?
"Ihr Name?"
"Entschuldigung?"
Sie riss ihren Blick von den regenbenetzten Bäumen und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Telefon.
"Ihr Name noch bitte."
"Achso, ja, ähm, Trinity."
Das Mädchen fuhr sich zögerlich durch ihre dunklen gelockten Haare.
"Und weiter?"
"Nichts... Nur Trinity."
"Moment."
Sie konnte hören, wie der Hörer beiseite gelegt wurde und die Frau sich mit einer anderen Person unterhielt.
Nach einer Weile kehrte sie zum Telefon zurück.
"Wie sagten Sie noch gleich- Trinity?", wiederholte die Frau fragend.
Das Mädchen nickte und fügte rasch ein:"Ja" hinzu.
"Tut mir Leid", sagte die Frau und alle Freundlichkeit war nun dahin.
"Wir haben leider nichts mehr frei."
Und es tutete erneut.
Wie die Stadt, dachte Trinity und hängte den Hörer langsam zurück in die Gabel, die hat auch jede Art von Freundlichkeit verloren.
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Alt 29.12.2005, 13:40   #6
Yve
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 756


Und nu? Der Ansatz gefällt mir ganz gut. Ich kann mir unter der ganzen Sache noch nicht viel vorstellen, aber schreib mal weiter. Mal schauen wo das so hinführt.
Yve
Yve ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.12.2005, 16:53   #7
Frail
 
Dabei seit: 11/2005
Beiträge: 19


-5-


"Marie-Kristin?"
Die Betreuerin lächelte sanft, blieb vor dem blonden Mädchen stehen. Diese starrte nur gerade vor sich hin.
"Marie-Kristin? Es ist Besuch für dich da!"
Das Mädchen reagierte nicht. Starrte weiter geradeaus ins Nichts. Nun ging die Betreuerin vor ihr in die Hocke.
"Komm schon, das wird dir gefallen. Tom ist da! Er ist gekommen um dich zu besuchen, ist das Nichts?"
Immernoch keine Antwort. Die junge Frau seufzte.
"Schau mal, er ist extra gekommen um dich zu sehen. Willst du ihm nicht auch eine Freude machen?"
Die Tür zum Aufenthaltsraum wurde zugeschlagen. Die Betreuerin zuckte bei dem Krach leicht zusammen, das blonde Mädchen drehte nur den Kopf.
Es war das Mädchen mit dem T-Shirt, sie kannte sie, hatte sie schon gesehen und sich schon mit ihr unterhalten. Sie war vielleicht seit Ewigkeiten die einzige Freundin, die sie hatte. Sie wurde Lonely genannt, sie hatte es ihr anvertraut, aber auch wenn sie nicht oft gerufen wurde- außer den Betreuern nannte sie keiner beim richtigen Namen. Wie war der noch gewesen? Sie konnte sich nicht entsinnen.
Sie war noch nicht lange hier, schwer die ganzen Mädchen auseinander zu halten. Aber sie erkannte sie. Lonely. Das Mädchen, dass ihr T-Shirt so gut wie nie ablegte. Legte sie es überhaupt mal ab?
"Nicht so ein Krach, bitte", sagte die Betreuerin in einem strengeren Ton.
Lonely zuckte mit den Achseln und setzte sich auf einen Tisch. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Make-up verlaufen. Ihre Klamotten schienen feucht zu sein.
"Wo bist du überhaupt gewesen? Wir haben uns Sorgen gemacht!", erwiderte die Betreuerin verägert.
"Ich kann auf mich alleine aufpassen, das wisst ihr. Ich habe schon mit Tanja drüber geredet."
Die Betreuerin seufzte und wandte sich wieder dem blonden Mädchen zu. Das Lächeln hatte sie schnellstens wieder aufgesetzt.
"Also, was ist nun? Möchtest du Tom nicht sehen?"
Ein gleichgültiger Gesichtsausdruck kam ihr entgegen. Würde das Mädchen jemals wieder lächeln?
"Marie-Kristin? Bitte rede mit mir! Deine Familie möchte dich sehen!"
Beim Wort "Familie" zuckte das Mädchen zusammen. Sah zu Boden.
"Komm doch mit."
Die Betreuerin streckte ihr die Hand entgegen, wie bei einem kleinen Kind.
"Komm schon, Marie-Kristin. Komm."
Sie lächelte immernoch milde.
"Lost."
Die Betreuerin drehte sich um. Und das blonde Mädchen hob den Kopf.
Es war die Schwarzhaarige gewesen, die nun in einen Apfel biss.
"Was hast du gesagt?", fragte die Betreuerin verdutzt.
"Lost. Das ist ihr Name. Wenn sie etwas bei ihr erreichen wollen, dann nennen sie sie auch so."
Sie lächelte dem blonden Mädchen aufmunternd zu.
Die verwirrte Betreuerin wandte sich ihr wieder zu.
"Lost..?", versuchte sie es zaghaft.
"Darf ich die beiden hereinbitten?"
Das Mädchen blickte zu Lonely, starr, dann zur Betreuerin.
Sie nickte. Vorsichtig. Langsam.
Die Betreuerin seufzte erleichtert, stand auf und öffnete die große braune Tür.
"Sie können hereinkommen!"
Lost stand nun auf. Ihre Augen blieben als leer als sie die beiden Personen erblickte.
Ihn, mit kurzem blonden Haar und in Markenklamotten gekleidet, sie, mit ihren roten Dreads und dem grünen Rock, der ihr mal so gefallen hatte.
"Lost", sagte er und blickte sie an.
"Foggy."
Ihre Augen waren kalt und stumm.
"Was willst du hier?"
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Alt 06.01.2006, 17:05   #8
Frail
 
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-6-


Die Familie spielt eine wichtige Rolle, dachte Lonely, als sie der Szene den Rücken drehte.
Sie ist ganz oben bei den wichtigen Dingen im Leben, zumindest bei den normalen Menschen unter uns.
Denn wer war schon normal?
Es war schwer zu beantworten.
Sie hörte die Menschen hinter sich streiten, es ging sie nichts an, sie wusste das, und dennoch konnten sich ihre Ohren nicht vor den Gesprächen verschließen.
"Du brauchst nicht einfach aufzutauchen und so zu tun, als wäre nichts gewesen...", murmelte Lost in jenem Moment, in dem Lonely beschlossen hatte, den Raum zu verlassen.
"Ich? Ich tu doch gar nicht so. Ich will dir doch nur helfen! Wenn Mama und Papa so gewesen sind muss das noch lange nicht heißen..."
"Hör doch auf", unterbrach das blonde Mädchen ihren Bruder.
Wie hatte sie ihn genannt? Foggy? Und das Mädchen neben ihm? Sie hatte bisher kein einziges Mal den Mund aufgemacht.
Lonely drehte sich in der Tür nocheinmal um, entdeckte den verwunderten Gesichtsausdruck der Betreuerin, die mit offenen Augen wahrnahm, dass Marie-Kristin doch den Mund aufkriegen konnte und Bruder und Schwester, die sich mehr oder wenig herzlich gegenüberstanden.
"Ich will dir helfen, Lost... Ich will dich wieder nach Hause holen", sagte der Blonde und sah sie flehend an.
Doch Losts Augen waren immernoch genauso kalt wie zuvor. Sie glänzten nur leicht. Würde sie weinen?
"Du willst gar nichts. Du denkst nur an dich selbst. Und jetzt lass mich. Lass mich hier, lass mich allein. Wenn du mich schon hast gehen lassen... dann lass mich wenigstens alleine sein."
Und Lonely drehte sich um und schlug die Tür hinter sich zu.
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Alt 11.01.2006, 22:46   #9
Frail
 
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-7-

"Es muss eine Möglichkeit geben."
Er hielt den Kopf zwischen die Hände, die Augen geschlossen, dachte nach.
"Es muss etwas geben um alle zusammenzuholen. So wie ein Netz, weißt du? Ein Netz ist das, was wir brauchen. Ein Netz, mit dem wir sie alle einfangen. Und zusammenholen. Und... die Gesellschaft... aufbauen!"
Gnaw, ihm gegenübersitzend, hielt einen Zettel in der Hand, den er interessiert studierte.
"Hier steht alles drauf. Wirklich alles. Schau's dir nur an, es ist wirklich das, was du brauchst."
Severity runzelte die Stirn, griff nach dem Zettel.
"Ich kann gar nicht glauben, dass Harm so viel..."
Dann zog er überrascht die Augenbrauen nach oben, sagte stumm ein paar Worte.
"Das hätte ich ihm nicht zugetraut."
Gnaw schnürte seinen Mantel enger um sich und sah Severity mit leichter Nervosität an.
"Und? Und? Was hab ich gesagt? Ist es nicht das, was du haben willst?"
"Frail..."
Severity ließ den Namen auf seiner Zunge zergehen.
"Ich habe noch nie von ihr gehört... Harm schreibt, sie wird geschlagen von ihren Eltern... Und dann schau mal da, die ganzen mit dem Drogenproblem! Oder die ganzen Kids aus dem Heim! Meine Güte, das sind... so viele!"
Er ließ entsetzt den Zettel sinken, blickte Gnaw an.
"Das muss Harm uns selber erzählen. Lass ihn uns suchen."
Gnaw nickte.
"Ich habe ihn vorhin hinten beim Kiosk gesehen. Vielleicht ist er noch da? Wir könnten es versuchen."
"Ja, versuchen wirs."
Severity richtete sich auf, blickte wieder auf den Zettel.
"Das ist doch unmöglich... Ich habe nie geglaubt, dass es so viele sind."
"So viele was?"
"So viele von ihnen! Schau dir unsere Stadt doch nur an... Man könnte sagen, sie sei leer von normalen Menschen, aber sind wir es denn nicht bald, wir, die normal sind? Das sind eindeutig zu viele! Ich habe nie gedacht, dass es so viele wären..."
Er schüttelte entsetzt den Kopf.
"Kann das denn möglich sein? So viele Jugendliche, die irgendwie zu Grunde gerichtet werden? Die nicht als normal gelten? Ganz Deutschland..."
"...ist befallen",vollendete Gnaw nickend den Satz.
"Aber wenn du es wirklich versuchst, Sev, dann kannst du die Leute zusammenholen und wieder...neues Leben einschöpfen!"
"Das schaff ich nie allein... Das sind zu viele..."
Er schaute betreten zu Boden.
"Das darf einfach nicht wahrsein... Ich hätte mir die Liste nicht einmal halb so lang vorgestellt... Weißt du, welch kleinen Ort wir haben? Ist dir das bewusst?"
"Es entwickelt sich zum Trend, es wird einfach so! Immer mehr Kids sind der Ansicht.."
"Es sind nicht die Kids, Gnaw!"
Severity blieb stehen, sah seinen Freund vorwurfsvoll und auch ängstlich an.
"Es sind doch nicht sie selbst, es sind die Älteren... Die, die sie dazu machen. Niemals würden sie von selbst so sein."
"Und du? Bist du von selbst so?"
Gnaw sah ihn an.
"Hey, Severity!"
Der Blickkontakt wurde von einem dunkelbraunen Jungen unterbrochen, der nun aus einer Gasse auftauchte und sich durchs schulterlange Haar fuhr. Seine Augen waren mandelbraun- sie blickten zu den beiden hinüber.
"Konnte ich dir helfen?"
Er zog an seiner Zigarette, warf sie dann zu Boden und trat sie aus.
"Die Liste", sagte Severity und ging einen Schritt auf den Jungen zu.
"Sie ist zu lang."
"Was hast du erwartet?"
Der Braunhaarige vergrub seine Hände in den Taschen.
"Wach auf, Sev! Wir haben nichtmehr das 20te Jahrhundert!"
"Ja", murmelte Gnaw und kickte eine leere Coladose zur Seite.
"Willkommen im Jahre 2018."
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Alt 15.02.2006, 18:39   #10
Frail
 
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-8-

Es lag etwas Schnee auf den Straßen. Zu früh, dachte Trinity, das ist noch zu früh. Wir haben erst Ende September, das ist noch zu früh.
Sie hatte Schnee immer mit Weihnachten verbunden, als sie klein gewesen war. Geschenke auspacken mit Oma.
Nun verband sie mit Schnee nurnoch Kälte und ihre Großmutter mit dem dunklen Grabstein, ganz in der hintersten Ecke des Friedhofes.
Ihre Zehen waren kalt.
Es ist zu kalt, dachte sie, es ist doch erst September.
Wenn man zu weit geht kommt man aus dem Ort raus. Sie blickte empor an den schneebedeckten Straßenlaternen.
Nur noch ein bisschen und alles wäre hinter mir.
Es fröstelte sie. Allein der Gedanke wegzugehen, hier raus zu gehen, woanders zu sein - nein, es war nicht nur die Kälte. Es war die Idee... allein zu sein.
Aber war sie denn nicht schon immer allein gewesen?
Wer war denn schon an ihrer Seite gewesen?
Es ist so kalt, dachte sie, als sie den Friedhof betrat, dabei ist doch erst September.
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