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Alt 23.10.2007, 02:59   #1
Spike
 
Dabei seit: 10/2007
Beiträge: 4


Standard Die Überfahrt

Nun stehen wir da, nackt unserem Schicksal zugewandt. Alle sind wir gleich vor dem Wasser und dennoch gleichen wir uns nicht im Geringsten. Ein ewig währender Sturm peitscht die Wellen unbarmherzig und treibt sie an, als seien es Sklaven. Wir zittern, doch haben wir keine Angst, denn Tote fürchten sich nicht. Nun sehe ich ihn herankommen, bedrohlich, in schwarzem Glanz, edel zwar und doch so jämmerlich. Sein Boot schneidet sich durch die Wellen, wie eine Klinge durch die Haut, unaufhaltsam und bestimmt. Da ist er der Charon, bereit den Obolus einzusammeln. Gierig greift er nach den Münzen, ohne zu sprechen, ohne Mitgefühl. Eine Kreatur die durch den Tod anderer eine Daseinsberechtigung hat, erfüllt von Hass. Erst als er die Münzen eingesammelt hat, treibt er uns mit dem Ruder grausam in das Boot und ein dumpfes Lachen ist das einzige was er von sich gibt. Er schlägt den Kurs zur Insel ein, auf der wir die Ewigkeit verbringen sollen. Auf halber Strecke jedoch hält er inne und senkt den Kopf, kein Laut ist vernehmbar, selbst der unbarmherzige Fluss Acheron hält ein. Der Fährmann dreht sich um und wendet sich uns zu. Mit weinerlicher Stimme klagt er:“Hier bin ich nun, der Fährmann seit Äonen, habe nie das Glück gesehen. Bin reich von den Münzen der Toten und kann mir doch nichts leisten. Ich bin müde von der Fahrerei und dem stillen hinnehmen des Schicksals der Seelen die ich transportiere. Jeder hasst mich, da ich die letzte Instanz vor dem Jenseits bin. Meine Welt ist Einsamkeit und Trauer. Nie habe ich erfahren was es heißt zu Leben. Der Mensch ist so schwach und erbärmlich, dennoch wünschte ich auch nur einen Tag menschlich zu sein. Meine Existenz ist nutzlos und doch bin ich der Fährmann zur Ewigkeit.“
Andächtige Stille kehrt abermals ein. Wir, die verlebten Seelen, sehen den Charon aus leeren Augen an, nicht im Stande Emotionen zu fühlen, denn Tote fühlen nicht. Er wirft noch einen letzten verzweifelten Blick in die Runde, der nach Wärme schreiend Halt und Mitgefühl sucht, wendet sich dann doch wieder schweren Mutes dem grauen Dunkel der Abenddämmerung zu und geht seinem Handwerk nach, denn er hört die Welt nicht mehr weinen.
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Alt 25.10.2007, 21:53   #2
Askeron
 
Dabei seit: 12/2005
Beiträge: 59


Ein interessanter Text, dem ein paar Absätze mehr und nochmal korrekturlesen sicher gut tun würden.
Die Post Mortematmosphäre gefällt mir soweit ebenso wie die bösartigen Anspielungen und Aussagen zwischendrin. Das die Figur des Charon solche Gefühle und Gedanken haben kann ist nicht ganz mein Ding, aber durchaus nachvollziehbar.
Alles in allem eine brauchbare Idee, gut umgesetzt, die jedoch nicht jedermanns Sache sein dürfte und noch etwas Feinschliff nötig hat.
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Alt 25.10.2007, 22:00   #3
Spike
 
Dabei seit: 10/2007
Beiträge: 4


Danke fürdie Kritik Askeron!

Ja das mit dem korrekturlesen stimmt wohl, aber Komma-setzung ist nicht meine Stärke.
Hab mir schon gedacht, dass Charon in dieser Rolle vielen eher nicht zusagt, aber wie du erkannt hast, war das meine Intention, ihn aus einem anderen Winkel zu sehen.
Nochmal danke für die Rückmeldung!
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Alt 27.10.2007, 18:09   #4
apnoe
 
Dabei seit: 01/2007
Beiträge: 785


hi, mich erinnert dein text zu sehr an den jäger gracchus von kafka.
da ich kafka wirklich sehr liebe, fällt es mir schwer, den ausschnittartig wirkenden text neutral zu lesen und objektiv zu beurteilen.
die motivähnlichkeit und auch meine assoziationen können reiner zufall sein, das ist mir klar.
auch der versuch, die sprache zeitmäßig im stil zurückzusetzen, ist ein für mich nachvollziehbares unterfangen.
trotzdem, kafkas volltext gefällt mir besser, und ich kann ihn vor allem nicht wegschieben.
also tut mir leid, aus der kritik wird nun doch nichts.

lg a.
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Alt 28.10.2007, 23:17   #5
Spike
 
Dabei seit: 10/2007
Beiträge: 4


Wow, man assoziiert mich mit Franz Kafka! Hab ehrlich noch nie was von dieser Erzählung (Kurzgeschichte?) gehört, daher ehrt es mich sehr, mit Kafka in Verbindung gebracht zu werden, auch wenn mir eine Kritik lieber gewesen wäre. Aber trotzdem vielen, lieben Dank. Könntest du bitte in groben Zügen erklären, worum es in Kafkas Werk geht? Dankeschön.
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