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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 31.03.2014, 01:35   #1
weiblich Merith
R.I.P.
 
Dabei seit: 10/2013
Ort: Im Isental
Alter: 83
Beiträge: 3.380

Standard Verlorene Tage - Zweitversion

Die junge Frau hatte sich zu einem Besuch bei ihren Eltern durchgerungen und nun saß sie im Zimmer ihrer Kindheit, ihrer Jugend, an dem nichts verändert worden war. Die Tatsache bedrückte sie. Ihre Eltern hatten lange Zeit gehofft, dass sie zurückkehren würde.
Sie fand Briefpapier in kindlichen Farben, den Füller, den sie längst verloren glaubte und begann, ihm zu schreiben, dem unbekannten Freund, mit dem sie seit kurzer Zeit ihre Gedanken austauschte, ihre guten und schlechten Erlebnisse mit ihm teilte. Er hatte Verstand und Humor und manchmal witzelten sie ein wenig boshaft über gemeinsame Bekannte, ohne sich selbst begegnet zu sein. Es drängte sie auch nicht danach, ihr gefiel der Zustand des anonymen Kennenlernens. In den letzten Briefen hatte sich eine gewisse Vertrautheit eingeschlichen, die sie nicht wahrnehmen wollte und doch in jedem Brief danach suchte. Sie wollte ihre mentale Freiheit behalten, zweifelte zugleich daran, ob ihr dies gelingen würde. Seine Briefe waren einfühlsam, charmant, oft auch distanziert, was sie beruhigte.
Es wurde ein langer Brief, in dem sie viel von sich preis gab und am Ende machte sie ihm , zu ihrem eigenen Erstaunen, den Vorschlag, sich irgendwann persönlich kennen zu lernen. Sie verschloss den Brief, ohne ihn noch einmal durchzulesen, sonst wäre sie am Ende doch wieder zu zögerlich gewesen.
Sie vernahm den durchdringenden Ton der Türglocke, gleich darauf hörte sie die Mutter ihren Namen rufen.
Als sie ihn im Vorgarten stehen sah, wußte sie sofort , dass er es war. Sie sah ihn lange Zeit an, er gefiel ihr.
"Hättest du uns doch Zeit gelassen", sagte sie schließlich und noch einmal "hättest du uns Zeit gelassen".
Dan ging sie ins Haus, in ihr Zimmer, nahm den Brief in die Hand, sie hatte ihn an den Unbekannten geschrieben, nicht an den, der so vorschnell an der Haustür stand.
Sie zerriss ihn langsam in winzige Stücke, spürte die schmerzenden Tränen.
Warum hatte es die Lieber immer so eilig ?
Merith ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.03.2015, 14:29   #2
männlich Jeronimo
gesperrt
 
Dabei seit: 10/2011
Alter: 70
Beiträge: 4.237

Liebe Merith,

ich suchte nur eine Geschichte, deren Titel ich nicht mehr wusste, und stieß dabei auf diese.
Und beim Lesen erlebte ich eine Art Déjà-vu, aber nur in Bezug auf das Verhalten der jungen Frau.
Mir hat das Sensible, das Zerbrechliche an dieser Geschichte sehr gefallen, aber in der heutigen Zeit, in der alles husch-husch gehen muss, würde man die junge Frau wohl nur belächeln.
Aber wenn es stimmt, dass sich Menschen im Laufe ihres Lebens nicht grundsätzlich ändern, dann wird sich die inzwischen älter gewordene Frau auch heute noch so verhalten.
Die (Lebens-)Zeit wird weniger, aber das Zeitnehmen bleibt.
Und gehen die Tage verloren, so sind es wohl viele, bleiben sie aber erhalten, so hat man alle.
Eine schöne Geschichte.

Jeronimo
Jeronimo ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.03.2015, 22:49   #3
weiblich Merith
R.I.P.
 
Dabei seit: 10/2013
Ort: Im Isental
Alter: 83
Beiträge: 3.380

Lieber Jeronimo,

wie schön, dass du meine Geschichte gefunden hast und wie gut, dass du diese junge Frau verstehen kannst, so wirst du auch alles andere verstehen.
Und mag aus der jungen Frau auch eine ältere, erfahrene geworden sein, so ist ihr das kostbare Zögern doch geblieben.

Mit Dank für deine Worte
Merith
Merith ist offline   Mit Zitat antworten
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