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Sonstiges Gedichte und Experimentelles Diverse Gedichte mit unklarem Thema sowie Experimentelles.

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Alt 27.06.2014, 18:13   #1
männlich Wenholm
 
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Beiträge: 7

Standard Die Gefilde der Beißerin

Klick und Klack.
Klick. Und Klack.

Wie ich in die Gefilde der Beißerin kam?
Gleich ... Klick. Nur einen Augenblick ¬– gleich kann ich’s sagen ... Klack.
Durch Geburt.
Durch das Klammern an einen Alptraum, auch über das Erwachen hinaus – vielleicht auch durch Fortsetzen des Wachens nach Eintritt des Schlafes.
Klick. Eine weite braune Wüste unter blassviolettem Himmel. Klack. Dieser Himmel ist leer.
Nein, meine Ankunft hier gleicht doch eher dem Danach eines Blinzelns, das keines war. Erst war es nicht, dann war es; erst war es, dann war es nicht – Klick und Klack, Klack und Klick.

Wie ich in die Gefilde der Beißerin kam?.
Ich schweige jetzt darüber. Es ist ja nicht die Ankunft, die mein Herz rasend macht.

Die Gefilde der Beißerin.
So seltsam, dass mir diese Worte einst fremd und nichtssagend erschienen, lächerlich gar. Ganz holprig klangen sie in meinem Ohr – konstruiert, befand das Hirn.
Jetzt fließen sie wie Wasser, sind so leicht und selbstverständlich wie der nächste Atemzug, der jetzt schon getan ist, noch bevor sein Name ganz gedacht war. Ja, auch mein Atem gehört jetzt ihr. Ein und aus, Klick und Klack.

Die Gefilde der Beißerin.
Eine weite braune Wüste unter blassviolettem Himmel. Dieser Himmel ist leer.
Und auch die Wüste ist leer. Weit sehe ich in sie hinein, zu allen Seiten. Sand und Felsen, hinter denen sich nichts versteckt. Leere Wüste unter leerem Himmel.

Dennoch Angst.
Ich bewege mich nicht. Lähmung.

Was, wenn sie nun hier wäre, die Beißerin? Nicht hier in ihrem Land, ihrer Domäne – das ist sie ja ohnehin, auch wenn ich sie nicht sehe.
Nein, hier. Hier!

Man muss sie nicht sehen, sie kann doch hier sein, direkt an meiner Seite. Das verstörend Andere, das sich nicht darum schert, dass man Nahes sehen müsste.

Sehen des Nahen.
Nahen des Sehens.
Klick und Klack.
Klick und Klack.

Starr bin ich wie Stein. Nicht so starr, dass sie mich nicht beißen könnte. Zerbeißen!

Wenn sie hinter mir stünde.
Ganz dicht.
Und dann ihre Unstirn, ihre Unnase, ihren Unmund ¬– ihren gewaltigen, struppigen Unkopf! – auf mich niedersenkte. Ich könnte sie dann riechen und die Haare in meinem Nacken würden sich aufstellen, so wie jetzt. Und meine Muskeln würden sich verkrampfen in Erwartung des großen Bisses, der sie zertrennen, zerschneiden, zerkauen wird – ganz so wie jetzt. Und so schmerzhaft steif wären mir Hals und Nacken, dass ich nicht mehr wissen könnte, sind es die eignen krampfenden Muskeln oder ihre unsichtbaren Zahnbolzen, die mir Schlüsselbein und Schulterblatt zermahlen. Bis sich inmitten meines Körpers zwei Reihen treffen, die nicht ich noch irgendetwas Andres sind.
Klickklack.

Es ist Wachen, und das Grauen drückt mein Herz, einer Würgeschlange gleich.
Es ist Schlafen, und ich sterbe nicht.
Klick und Klack.

Jetzt bin ich gebissen. Atme, Körper, atme noch!
Berge auf meiner Brust, Infarkte eines Träumers.
Gebissen bin ich. Und ich beginne zu sehen.

Sie zu sehen.

Vor mir, leicht zu meiner Linken: Etwas läuft vorbei, wirbelt Staub auf. Ich wage nicht, nach den Spuren zu sehen. Weil ich die Spuren nicht zu sehen wage. Weil die Spuren Schritt für Schritt hinführen zu ihr. Klick und Klack. Klick und Klack.

Vor mir, in mittlerer Entfernung: ein Beinpaar. Ein Beinpaar läuft dort. Nur die Beine, als wäre der Körper unsichtbar. Nur die Beine, nackt und blass und fleischig. Und groß! Hinaus aus meinem Blickfeld.

Den Kopf kann ich nicht wenden, denn Hals und Schultern sind zerstört, zerbrockt von ihrem Biss – giftbrodelnde Wunde, die mich langsam sehend macht.

Von hinten kommt ein langer Arm. Dort, wo die Schulter sein sollte (Klick), ist nichts (Klack). Schon der halbe Bizeps verschwindet in der freien Luft.
Der Arm präsentiert sich mir, zieht sich von links nach rechts direkt vor meinem Gesicht an meinem Blick entlang. Nackt, blass, fleischig. Er gehört zu jenen Beinen. Zur Beißerin, die direkt hinter mir steht und deren Haupt gewiss ganz struppig ist.

Der Arm zieht weiter und verschwindet.

Vor mir, wieder weiter weg: ein schlaffer Bauch, ein Nabel.

Vor mir, wieder nah: ganz kurz die Ahnung eines Rückens, bleich und gespalten vom Schatten des Rückgrats.

Jetzt schreit es in mir.

Vor mir, weit entfernt: die Beißerin. Winzig weit.
Nackt ist sie und bleich.
Und ihr Kopf ist struppig.
Und in der Mitte des Gestrüpps ein bleicher Fleck des Grauens.

Sie geht und eilt und läuft und stürzt auf mich zu und wächst. Klickklickklickklickklackklackklackklack. Und in mir schreit es.
Sie wächst auf mich zu und ich lese der Welt Unsinn an ihrem bleichen Gesicht ab: schwarzstarre Augen des Tieres (Klick), zweifach schwarzgeschlitzte Nase (Klick), schwarzklaffendes Maul (Klack).
Genau jetzt: Ich bin gefallen, liege auf dem Rücken. Ich bin ja selbst nackt. Auf meiner Brust liegt sanft, aber schwer die Hand der Beißerin und hält mich unten.

Das Letzte, was mir möglich ist: mit den letzten Muskelfasern, die zusammenhalten, zitternd den Kopf vom Boden lösen, mich in den großen, schwarzen Augen spiegeln – und zusehen, wie, beginnend mit den Füßen, die Beißerin mich isst.
Klick und Klack.
Klack.
Klack.
Klack.
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