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Alt 09.01.2013, 00:28   #1
männlich Ringelroth
 
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Standard Vom König, der die Zeit anhalten wollte

Vor nicht allzu langer Zeit, in einem nicht allzu fernen Land regierte ein junger König.
Eines Tages beschloss er, nachdem er lange nachgedacht hatte, die Zeit anzuhalten. Er war zu der Erkenntnis gelangt, dass er, wenn ihm dies gelänge, ewig jung und stark bliebe. Seine Reichtümer blieben so für immer in seinem Besitz, und sein Volk könnte auf ewig in Frieden und Wohlstand leben.
Nebenbei, so stellte er sich vor, erlangte er durch diese Tat Berühmtheit auf der ganzen Erde, und untertänigste Bewunderung und größter Ruhm wäre ihm sicher, da noch niemand jemals zuvor eine solche Tat getan hatte.
Die Sache hatte nur einen Haken: Er hatte keine Ahnung, wie er es anstellen sollte, die Zeit anzuhalten.
Also vergrub er seinen Kopf abermals tagelang in seinen weißen feingliedrigen Händen und dachte nach.
Eines Tages, nachdem es eine Woche lang geregnet hatte und er wider Erwarten am Morgen von den wärmenden Strahlen einer lieblichen Frühlingssonne geweckt wurde, hatte er eine Idee: Er ließ alle weisen Männer und Frauen seines Landes zu sich rufen und beauftragte sie, ihm so schnell wie möglich, die Lösung seines Zeit-Problems zu liefern. Bis dahin, durften sie das Schloss nicht verlassen.
Nach langen Tagen und Nächten des Grübelns und Diskutierens, hatten die Doktoren und Professoren die Lösung gefunden und taten sie dem König kund.
Der Älteste trat vor: "Majestät, die Lösung Ihres Problems besteht darin, mit einem Schlage die Zeiger aller Uhren in Ihrem Reiche anzuhalten. So wird die Zeit gezwungen, ebenfalls stehen zu bleiben. Es darf aber auch nicht eine einzige Uhr übersehen werden. Auch die Ihre muss angehalten werden".
Der König war begeistert und sandte sofort Reiter in alle Dörfer und Städte seines Reiches aus, die alle Uhren beschlagnahmten und anschließend zur Sicherheit zerstörten.
Da die großen Uhren an den Kirchtürmen und Rathäusern in der Eile nicht abmontiert werden konnten, ließ er alle Kirchen und Rathäuser anzünden, damit alle Uhren verbrennen sollten. Als alle Uhren zerstört waren, und er seine eigene angehalten hatte, war er sicher, die Zeit besiegt zu haben.
Es zogen mehrere Jahre ins Land, bis der König begriff, dass die vermeintliche Lösung seiner Gelehrten falsch war, und die Zeit unbeirrt weiter lief, als wäre nichts geschehen. Darüber wurde er so zornig, dass er alle Gelehrten köpfen ließ.
Von seiner Idee, die Zeit zu besiegen, konnte er aber nicht lassen. Doch alle klugen Köpfe seines Landes waren tot, und so fragte er in seiner Not seinen Hofnarren, ob dieser eine Lösung wüsste, denn der Hofnarr war im ganzen Königsschloss für seine Cleverness und Gerissenheit bekannt. Und auch dieses Mal, ließ er seinen König nicht im Stich und gab ihm folgenden Rat:
"Majestät", flüsterte er mit heiserer Stimme, damit keiner der Wachen ein Wort mithören konnte. "Ich verrate Euch ein Geheimnis. Die Zeit und das Wasser sind ein und dasselbe Ding.“
Der König staunte: "Was willst du damit sagen, erkläre dich".
Der Hofnarr fuhr fort. "Wasser zerrinnt uns zwischen den Fingern, wenn wir es halten wollen, genau wie die Zeit. Trotzdem kriegen wir es zu fassen.“ Er rückte so nahe an seinen König heran, wie es niemals jemand, außer der Königin, gewagt hätte und flüsterte in das königliche Ohr: „Wasser kann man fassen, wenn es gefroren ist. Das ist das Geheimnis".
Der König verstand immer noch nicht.
"Ihr wisst, mein König, dass mir viele Dinge zwischen Himmel und Hölle bekannt sind, und mein Wissen Euch oftmals genützt hat", machte sich der Hofnarr wichtig.
"Spann mich nicht auf die Folter. Nenn mir endlich die Lösung". Der König war voller Ungeduld.
"Es gibt zwei Arten, das Problem zu lösen, Majestät. Die erste wäre: Lösch die Sonne aus, und lass die Zeit erfrieren. Das hat den Vorteil, dass Eure Majestät hier im Lande bleiben kann, wenn die Zeit stillsteht. Das hat aber den Nachteil, dass all Eure Feinde den gleichen Nutzen davon haben wie Ihr.“
An dieser Stelle machte der Hofnarr eine Pause und blickte sich prüfend um, ob auch ja niemand in Hörnähe war. Dann atmete er tief ein und blickte seinem König fest in die Augen.
„Die zweite Möglichkeit ist die: Ihr zieht mit all Euren Schätzen und den Menschen, die Ihr in Eurem dann ewigen Leben um Euch haben wollt, zum Nordpol, wo alles Wasser, und somit alle Zeit gefroren ist. Denn nur dort hättet Ihr allein und niemand sonst den Nutzen der gefrorenen Zeit. Das ist das Geheimnis. Ihr habt die Wahl, mein König".
Daraufhin wurde der König sehr nachdenklich und schickte seinen Hofnarren weg, um allein zu sein. Seine Entscheidung musste diesmal wohl durchdacht sein.
Der Hofnarr stolzierte erhobenen Hauptes und mit zufriedener Miene aus dem königlichen Gemach. Er wusste, dass sich der König für einen seiner beiden Vorschläge entscheiden würde. Danach, so freute sich der Hofnarr, danach beginnt meine große Zeit.
Am nächsten Morgen gab der König den Befehl, eine riesige Kanone bauen zu lassen, die größte, die die Welt je gesehen hat. Es erschien ihm angebracht, zunächst im Lande zu bleiben und die Sonne auszulöschen. Dass seine Feinde danach ebenfalls ewig leben würden, erschien ihm als das kleinere Übel.
Als nach vielen, vielen Wochen die mächtigste Kanone, die jemals erbaut worden war, auf die Sonne gerichtet wurde, versammelten sich Tausende seiner Untertanen um das Schloss, um das Spektakel mit eigenen Augen verfolgen zu können.
Der Oberkanonier, der mit der hochköniglichen Aufgabe, der Zerstörung der Sonne, betraut wurde, wartete mit dem Abschuss, bis der glutrote Ball am Abend nur noch einen Millimeter vom Horizont entfernt war.
„Denn in diesem Moment hat die Sonne den größten Umfang“, erklärte er seinem König. „Dann ist es am einfachsten, sie zu treffen.“
Mit einem gewaltigen Knall, der die Grundmauern des solide gebauten Schlosses erzittern ließ, wurde eine riesige Kugel in Richtung Sonne abgefeuert. Die Untertanen brachen nach einer Schrecksekunde in unbeschreiblichen Jubel aus, ließen ihren König hochleben und feierten die ganze Nacht, denn in dem Moment, als die Kugel das mächtige Rohr verließ, verlöschte das Licht der Sonne am Horizont.
Doch als sie am Morgen auf der anderen Seite des Festplatzes wieder aufging, ließ der König den Oberkanonier in Eisen legen und in den Turm sperren.
Nun blieb dem König nur noch die Möglichkeit, sich mit all seinen Schätzen und seiner Familie am Nordpol nieder zu lassen, wenn er sein Ziel noch erreichen wollte.
Der König des Nachbarlandes im Westen machte ihm die Entscheidung leichter. Die riesige Kanonenkugel fiel in dessen Reich wieder zur Erde und zerstörte dabei mit einem Schlage beinahe ein ganzes Dorf. Daraufhin erklärte er seinem Nachbarn den Krieg.
Somit hatte dieser noch einen Grund das Land zu verlassen. Mit einem Tross von vierzig Wagen, beladen mit Gold und Geschmeide, und eskortiert von unzähligen, bis an die Zähne bewaffneten Reitern, machten sich der König und seine Familie auf die lange Reise.
Ob er je am Nordpol ankam, ist nicht überliefert.
Aber seit jenem Tag, schien in diesem herrscherlosen Reich die Zeit tatsächlich still zu stehen.
Alle Gelehrten und klugen Köpfe waren hingerichtet. Alle Schulen und alle Universitäten waren deshalb geschlossen. Alle Kirchen waren abgebrannt. Ebenso alle Rathäuser. Der König hatte alles Geld und Gold mitgenommen, so dass kein Geld mehr da war um irgendetwas neu aufzubauen. Und das Wenige, was noch übrig geblieben war, hatten die Soldaten des Nachbarreiches dem Erdboden gleich gemacht.
Der Hofnarr aber, der sich nach der Abreise des Königs versteckt hielt, bis die feindlichen Soldaten das zerstörte Land wieder verlassen hatten, zog daraufhin durch die verbrannten Dörfer. Dort stellte er sich auf die Marktplätze und verkündete in mitreißenden Reden, dass er das Land wieder aufbauen, und zu altem Glanze führen werde, wenn die Menschen ihn zum neuen König wählten.
Die armen, hungernden und ungebildeten Leute glaubten seinen Worten und fanden wieder Hoffnung. Und alsbald wurde der Hofnarr zum neuen König gekrönt.
Nicht nur im Märchen profitieren nur die Narren davon, wenn irgendwo auf der Welt die Zeit stehen bleibt.
Ringelroth ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.01.2013, 20:12   #2
weiblich Daisy
 
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Hallo Ringelroth,

dein Märchen gefällt mir, ich mag es sogar sehr, denn es ist so ganz im Stil alter, mir liebgewordener Märchen geschrieben. Einzig und allein die Bezeichnung "Cleverness" empfinde ich als nicht optimal passend.
Sehr schön und phantasievoll sind die verschiedenen Ideen, wie man die Zeit anhalten könnte und man spürt, mit wie viel Liebe dieses reizende Märchen von dir geschrieben wurde.

LG Daisy
Daisy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.01.2013, 20:50   #3
männlich Ringelroth
 
Benutzerbild von Ringelroth
 
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Alter: 73
Beiträge: 414


Hallo Daisy,
freut mich, dass dir mein Märchen gefällt, und du hast vollkommen Recht, die Cleverness passt überhaupt nicht. Keine Ahnung, wieso mir das noch nie aufgefallen ist.
Wüsste ich, wie ich es hier ändern könnte, hätte ich es geändert.
Vlt. kennst du den Dreh, wie man seine Texte ändern kann?
Gruß
Ringelroth
Ringelroth ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.01.2013, 22:14   #4
weiblich Daisy
 
Dabei seit: 10/2010
Beiträge: 922


Hallo Ringelroth,

Änderungen lassen sich nach dem Einstellen von Texten nur innerhalb eines gewissen Zeitraums durchführen. Das heißt, dass man während dieser Zeitspanne einen zusätzlichen Button mit der Bezeichnung "Ändern" unter dem Textfeld vorfindet. Nach Ablauf der Änderungsfrist verschwindet dieser Button aber auf Nimmerwiedersehn, leider. Dann kann man nur über die Administration eine Änderung vornehmen lassen. Ich selber habe diese Möglichkeit noch nie genützt, weil ich die Änderungen einfach nur bei mir im eigenen Archiv festhalte.

Ich hoffe, dass ich dir die Vorgehensweise einigermaßen verständlich erläutern konnte und ich freue mich auf weitere schöne Geschichten aus deiner Werkstatt!

LG Daisy
Daisy ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.01.2013, 16:50   #5
männlich Ringelroth
 
Benutzerbild von Ringelroth
 
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Beiträge: 414


Hallo Daisy,
ok, wenn das so ist, dann mach ich es so wie du.
Ein paar Texte und Gedichte habe ich im Laufe der Zeit bereits gepostet.
Gruß
Ringelroth
Ringelroth ist offline   Mit Zitat antworten
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märchen, zeit

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