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Alt 23.07.2013, 16:59   #1
männlich Desperado
 
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Standard Der Baieren

Mit der Unabhängigkeitserklärung wurde hierzulande der Adel abgeschafft.

Die alte Welt hinkt diesbezüglich noch ganz schön hinterher, was den einzelnen Kaisern da so an Weltherrschaftsfantastereien durch die gekrönten Häupter spukt, wird noch böse Folgen haben, da braut sich gewaltig was zusammen jenseits des großen Wassers. Soll nicht mein Problem sein, wir haben hier drüben genug davon, der gewählte Mr. Präsident ist ja nun auch nichts anderes als ein Kaiser, wenn auch kein blaublütiger, doch was macht das schon für einen Unterschied in Bezug auf seine mehr oder weniger uneingeschränkte Macht.

Genau so wie es an mir vorbeigeht, wenn die Anglos und der Rest der Welt Kopf stehen und völlig aus dem Häuschen sind, weil im königlichen Hause mal wieder Nachwuchs eingetreten ist, geheiratet wird oder sonst was königlich Familiäres zelebriert. Ich denke mir, so lange die Leute sich wochenlang mit derlei Bedeutungslosigkeiten beschäftigen können, kann es ihnen nicht ganz so schlecht gehen, wie sie immer wieder behaupten. Vermutlich packen sie auch ihre verlorenen Träume in die Wiege oder die goldene Hochzeitskutsche, vergessen für kurze Zeit das Elend ihres tristen Alltags, ich weiß es wirklich nicht, eben weil es mich nicht besonders und nur sehr am Rande interessiert, also ehrlich gesagt nicht die blaublütige Bohne.

Der ganz spezielle Kraut erzählt gern von einem etwas sonderbaren König in seinem schönen Herkunftsland am Rande der Alpen, der märchenhafte Traumschlösser an die Ufer der Seen und auf Berggipfel baut, weil ihm die sogenannte Kunst des Regierens mindestens so verhasst ist wie das blutige Handwerk des Krieges. Inzwischen hat er die Staatskasse schon derart geplündert, dass die Kriegsherren um das nötige Geld für ihre Kanonen fürchten müssen und ihn für verrückt und geisteskrank erklären wollen. Klar hätte er die Kohle besser mal den Armen gegeben, andererseits sollen seine Bauwerke von derart unwirklicher Schönheit sein, dass man sie noch in hundert Jahren und länger bewundern und bestaunen wird, davon jedenfalls ist der Immigrant felsenfest überzeugt, und von den aus aller Herren Länder und allen Ecken und Enden der Welt herbeiströmenden Betrachtern werden noch viele kommende Generationen recht einträglich leben können.

Irgendwie ist mir dieser versponnene König sympathisch, ich könnte gar nicht einmal so genau erklären warum, aber vermutlich deshalb, weil er seine ganz eigene Vision hat und seine Sache durchzieht, egal was der Rest der Familie, der staatlichen Machthaber und der Welt dazu zu sagen haben und davon halten. Und sich außerdem nicht freiwillig mit dem Blut von Eroberungsfeldzügen oder anderen Streitigkeiten sprich Gemetzeln besudelt, für einen König allemal ziemlich ungewöhnlich wenn nicht sogar vorbildlich. Sicher gehört er zu denen, die ein Werk beginnen und nicht zu Ende führen können, weil ihm die Mittel dazu fehlen oder besser gestrichen werden, wer weiß, vielleicht wird ihn die Sache eines Tages sogar sein Leben kosten, aber so lange ihn seine Gegner halbwegs in Frieden und gewähren lassen, macht er seine Träume zu steinerner Wirklichkeit, und das ist mehr als genug, den alles vollbringen was einem so vorschwebt kann sowieso keiner. Jedenfalls lässt er sich nicht irre machen und entmutigen von den Unkenrufen, Schmähungen und Gemeinheiten, die sein abgehobenes Unternehmen von Anfang an begleiten, und das nötigt mir Respekt ab, ob ich das nun will oder nicht.

Dieser Märchenkönig ist auch nur ein Gefangener seiner Zeit, ein Gefangener seiner Herkunft, ein Gefangener seines Wesens und ein Gefangener der Mächtigen wie Unsereins. Wir sind Gefangene.

Tirol ist eine Gegend auf dem alten Kontinent ähnlich der Rocky Mountains. Seine Bewohner sind im ganzen Kaiserreich bekannt als stolzes, unabhängig freies Bergvölkchen, dass selbst dem kleinwüchsig größenwahnsinnigen Korsen seine kühne Stirn bot bis zum äußersten Mittel niederträchtigen Verrats, um seinen Widerstand endgültig niederwerfen zu können. Hat mir ebenjener Immigrant erzählt, von dem diese Geschichte mit dem spinnerten König kommt, der da Traumschlösser in die herrliche Landschaft pflanzt. Sei wie es sei, für den Krieg gegen die Tiroler würde er sich heute noch schämen, der Baieren oder wie er sich und Seinesgleichen nennt. Weil sein Volksstamm auf der Seite Napoleons gegen seine nächsten Verwandten und Stammesbrüder in den Krieg gezogen ist, mit denen er Kultur und Sprache teilt wie zweieiige Zwillinge ihre Fruchtblase. Eines ihrer markantesten Erkennungszeichen ist ein gellender Ruf, den sie mit Hilfe ihres Kehlkopfes erzeugen, mit diesem merkwürdigen Laut verständigen sie sich von Berg zu Berg bis hinunter ins Tal. Die Cowboys haben den sogenannten Jodler von ihnen übernommen.

Der grobe Kerl in Lederhosen mit buschigem Gämsbart auf seinem Tirolerhut ist ein ziemlich Verrückter, ein aus festgefügten Schienen und vorgespurten Hohlwegen Gerückter, der redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist und jede Menge zu erzählen hat. Am überzeugendsten ist er, wenn er mal aus sich rausgeht, mit Vorsicht zu genießen wenn er außer sich gerät. Und da haben wir es ja schon. Aus sich rausgehen und außer sich geraten. Was ja nur bedeuten kann, dass wir für gewöhnlich in unserer Zelle hocken bleiben und uns gut verstecken, damit da ja nichts Unschönes nach außen dringt. Sprich wir verhalten und benehmen uns wie ein reuiger Knacki, was einem echten Baieren zutiefst zuwider ist.

In den Kreisen seines Gebirgsstammes gibt es legendäre verwegene Wildschützen, die in den Jagdpfründen ihrer Könige, Fürsten und Grafen wildern und ihr Leben dabei auf’s Spiel setzen, um ihre hungernden Dörfer mit Fleisch sprich lebenserhaltender Nahrung zu versorgen. Die kommen mir bald so vor wie Desperados oder Indianer, wenn sie da ihr Gesicht mit Ruß beschmieren und durch die Gebirgswälder pirschen, ständig auf der Hut vor den kaiserlichen Jägern, die ihrem meist aus purer Not und Verzweiflung geborenen Treiben ohne Zögern hinterrücks ein jähes Ende zu bereiten Willens und beauftragt sind. Schießen sie in Notwehr mal zurück und treffen unglücklicherweise, genießen sie fortan den Status des Vogelfreien und die Ächtung heimtückischer Mordbuben. So gesehen kann ich es sogar sehr gut verstehen, dass der Immigrant seiner geliebten Heimat den Rücken gekehrt hat. Ob er im Wilden Westen freilich auf recht viel andere Gegebenheiten und Gepflogenheiten stoßen wird, sei mal dahingestellt, bereut jedenfalls hat er seinen Entschluss bis jetzt noch nicht.

Der Baieren ist im Grunde seiner heimatlosen Seele ein durch und durch gutmütiger Bursche, umgänglich und gesellig, friedliebend und humorig, gelassen und abgeklärt, etwas altmodisch und konservativ bisweilen, ein wenig träge und unbeweglich, manchmal ruppig und mürrisch, und mit dem allzu Fremden hat er’s nicht so. Den Apache zum Beispiel traut er nicht so recht über den Weg, die sind ihm zu „hinterkünftig“, wie er sagt, das größte aller Schlitzohren ist nunmal er und er ganz allein. Wenn es aber mal einer Rothaut gelingt, sein Vertrauen und seine Freundschaft zu gewinnen, betrachtet er diese als zwar einigermaßen missglückten, aber im Großen und Ganzen ganz gut zu habenden Baieren. Für ihn ist der wilde Westen und die ganze Welt ein großes Königreich Baieren, sie weiß es nur noch nicht. Die Raramuri zum Beispiel mit ihren Bierfesten, wie er sie von seiner Heimat her kennt und liebt, betrachtet er als eine Art Eigenbrötler, die auf unbedeutende, nicht der Rede werte Weise von dem einen katholischen Glauben abgewichen sind, was jedoch durch die Gottesgabe ihrer Braukunst rundum zufriedenstellend ausgeglichen wird.

Doch wehe dem Greenhorn oder Raufbold, der ihn in Wut bringt, zum Zorn reizt und außer sich geraten lässt. Was da so aus ihm hervorbricht und herausspringt im entsprechenden Ausnahmefall, hat er wohl aus den wildzerfurchten Bergen seiner Heimat mitgebracht. „Fuchsteufelswild sein“ nennt er selbst diesen tranceartigen Zustand, in dem er ungerührt und mit schier übermenschlicher Belastbarkeit einstecken kann, ohne sich dadurch im Geringsten am Austeilen hindern zu lassen, und frag’ nicht nach Sonnenschein, wenn du die Sternchen funkeln siehst.

Er sagt zwar, dass die Bären seiner Wälder kleiner und gedrungener sind als der mächtige Grizzly, aber ich habe schon beobachtet, wie ein Vielfraß ohne große Mühe und Aufwand einen Grizzly von seinem Riss verjagte, und mag der Baieren selbst auch nicht der Hochgewachsenste unter den Völkern sein, auf eine Rauferei mit ihm kann ich getrost und gerne verzichten. Er ist ein hervorragender gewitzter Ringkämpfer, und wo er hinhaut, da wächst kein Gras mehr. Das kann ich schon allein Infini nicht antun. Ich hab ja auch kein Problem mit ihm, er liebt deftiges Essen und kühles Bier, Tanz und Musik und ansonsten seine Ruhe.

Das war auch das Problem, das Napoleon seinerzeit mit den bairensischen Truppenverbänden hatte. Die ehrlosen Burschen waren weder kampfeswillig noch kriegstüchtig im Sinne von angriffslustig. Das hing sicher auch damit zusammen, dass sie kein Sterbenswort ihrer französischen Kriegsherren und Zwangskameraden verstanden, aber dafür so gut wie jedes ihrer fremdbestimmten tirolerischen Feinde. Und an jedem sonnigen stillen Plätzchen in jedem rauschenden glasklaren Bachlauf jenseits der Fronten kam es folglich zu Zusammenkünften und Verbrüderungen mit gemeinsamen Brotzeiten, Besäufnissen und ausgelassenen Festivitäten. Wenn sie aber wirklich mal unglückseliger Weise und völlig unerwartet in voller Kampfmontur unvermittelt aufeinander prallten, schenkten sie sich gegenseitig nichts und metzelten einander nieder mit zorniger Verzweiflung und in der Raserei auswegloser Wut. Um sich fortan sicherheitshalber besser mal aus dem Weg zu gehen und mit derart strategischer Raffinesse aneinander vorbeizumarschieren und um einander herum, dass selbst Napoleon seinen Meister in der Kriegskunst der Vermeidung gefunden hatte. Eigentlich hätte er den bairensischen Tross ebenso gut oder besser zu Hause lassen können und sollen in ihren lauschigen Biergärten und fahnengeschmückten Festplätzen, aber derlei verfeinert gehobene Lebenskunst kannte der durchgeknallte Korse offensichtlich nicht. Er musste seinen schmutzigen Krieg auf sich und seine französischen Soldaten allein gestellt entscheiden und tat es mit aller Infamie, Grausamkeit und Niedertracht, die Seinesgleichen offenbar angeboren und in die unheilschwangere Wiege gelegt ist.

Ha, den hab ich übrigens auch gesehen in jener schaurigen Tropfsteinhöhle, von der ich zu gegebener Zeit noch erzählen werde, der Korse genießt dort einen unangefochten angemessenen Ehrenplatz.

Wenn der Baieren nicht unbedingt um sein nacktes Leben kämpfen muss, lässt er das Kämpfen mal lieber bleiben und geht gleichmütig seinen täglichen Geschäftigkeiten nach. Er mag den Krieg nicht leiden, schon gar nicht im Gefolge eines Dahergelaufenen. So richtig erbittert und verbissen Krieg geführt hat der bairensische Volksstamm eigentlich nur einmal im Laufe seiner ziemlich alten Geschichte. Zur Zeit der Bauernkriege nämlich. Dass diese in einem namenlosen Debakel, unbeschreiblichen Desaster und unvergleichlichen Blutbad endeten, muss ich wohl nicht eigens ausdrücklich betonen. Er ist schon in Ordnung der Baieren, du kannst Pferde stehlen mit ihm und Bäume ausreißen, aber nie und nimmer einen Krieg gewinnen. So gesehen ist er dem Desperado in Wesensart und Philosophie durchaus nicht unähnlich.

Leben und leben lassen.

Das ist sein Motto und Slogan, seine Devise und Lebenseinstellung. Wir sind wir, sagt er, bei ihm klingt das wie ein „mia san mia“, und dabei ist es ihm vollkommen gleichgültig, dass er als Bairischeren allein und verlassen auf weiter Flur unter lauter Fremden lebt, weil der Baieren grundsätzlich immer und überall in der Überzahl einer wissenden und schweigend duldenden Mehrheit ist, wo er auftaucht.

Als er der Sprache nicht mächtig ins Land kam, machten sich ein paar Rowdys einen Spaß draus, ihn regelmäßig bis über die Ohren mit Whiskey abzufüllen, den er nicht gewohnt war, und ihm einen fürchterlichen Vollrausch anzuhängen. Seine Entschuldigung, zuhause vor allem Bier zu sich zu nehmen, quittierten die Spottlustigen mit höhnischem Gelächter, dieses Wässerchen würden sie von Kindesbeinen an gegen ihren Durst trinken, er müsse eben noch vieles lernen über die Gepflogenheiten im freien Land des Westens. Eines Tages nun taucht er mit einem schönen runden Fass besten Starkbiers in der Runde auf, niemand kann sagen, wo er das Ding herhat, um diesen Prahlern einmal die Möglichkeit zu geben, ihr erhitztes Gemüt am Gerstensaft zu kühlen und ihre behauptete Trinkfestigkeit unter Beweis stellen zu können. Als die Bande bereits nach recht kurzer Zeit lallend unter dem Tisch Platz genommen hat, neigt er, der in seinem Stuhl sitzt wie ein Fels in der schaumigen Brandung, sich zu den Hingestreckten hinunter und meint schelmisch verschmitzt: „Na, Herrschaften, wie schaut’s aus, trink mer noch eine Halbe?“

Zu einem halben Liter Bier sagt er „die Halbe“, ein Litermaß nennt er „die Maß“, und weshalb das Bier für ihn weibliche Züge trägt, darauf mag jeder sich seinen eigenen Reim machen. Beim Braumeister ist er ein jederzeit herzlich willkommener Gast und gerngesehener geschätzter Vorkoster, und seit er im Village lebt, hat das Bier erheblich an Geschmacksgüte zugenommen und an Qualität gewonnen.

Er ist außerdem ein vortrefflicher und gewiefter Kartenspieler, mit allen Wassern gewaschen und allen Finten und Bluffs dieser Welt bestens vertraut. Seine Sprachmelodie ist der des Englischamerikanischen nicht unähnlich, hier wie dort dominiert ein nuschelnder Singsang voller Umlaute, Verschleifungen und Kürzel. Wenn nun etwa der Baieren sein Blatt mit einem knirschenden Wosisnoezdes kommentiert, will meinen „was ist dann jetzt das“, und der Texaner mit einem what that’s all abou’ -gesprochen wozedsolabau-, will meinen „was ist das alles wegen“, wissen beide Seiten auf Anhieb was damit gemeint ist. Wosisnoezdes wozedsolabau sozusagen, was den Poker erheblich erleichtert. Außerdem bringt er seinen neugewonnenen Kartenfreunden das „Watten und Schafkopfen“ und ihrem Nachwuchs das „Neunerln und Herzeln“ bei, frag mich jetzt bitte niemand, mit welch gewissermaßen verwässerten Eigennamen er die jeweiligen Trümpfe betitelt, Ober und Unter für Dame und Bube gehören da noch zu den gemäßigten.

Da sich die von ihm mitgebrachte Dreivierteltakt-Musik nur unwesentlich von der ländlichen Amerikas unterscheidet, bläst er die Tuba gleich in mehreren Countrybands, Combos und Tanzkapellen, ein großer Tänzer sei er ob seiner Leibesfülle nicht, wie er bedauernd gesteht, aber da wo er herkommt, würden sie wilde Stammestänze aufführen, wobei sie sich mit den Händen auf Oberschenkel, Waden und Füße klatschen, ihre Bräute um die Hüften fassen und mit ihnen im Kreise herumwirbeln bis zum Schwindel, ja mitunter bis zum gemeinsamen Niederfallen, was das ganze Volk auf dem Tanzboden und drum herum königlich belustigt. Zudem hat er im Village den Wettstreit des Fingerhakelns eingeführt, eine kuriose Form des Kräftemessens, bei dem die zwei Kontrahenten sich mit je einem Finger ineinander verhaken und über den Tisch zu ziehen versuchen. Hinter das Geheimnis seiner Technik ist noch niemand gekommen, schon mancher bärbeißige Trapper und wuchtige Bullenreiter hat sich einen verstauchten Finger geholt und eine Schlappe eingehandelt im Fingerringen mit ihm.

So wie der Mexicano ein leidenschaftlicher Kautschukkauer ist, kaut der Texaner für sein Leben gerne Tabak, der Baieren indessen ist ein sogenannter Schnupfer. Zu diesem Zwecke führt er stets ein rundes Fläschchen oder schlankes Döschen mit sich, aus dem er sich mit dem Zeigefinger der einen Hand eine Prise „Schmeizler“ auf den Rücken der andern klopft, um sich das Häufchen tief in beide Nasenlöcher zu ziehen. Was der Texaner nun an überflüssigem Schleim aus dem Munde in den Spucknapf ausscheidet, entlässt der Baieren durch die Nase in ein großes Schneuztuch.

Sprachliche Übereinstimmungen gibt es zuhauf.

So sagt der Baieren Wossa zu water, wosch zu wash, Eis zu ice, Bier zu beer, Wein zu vine, Glos zu glass, mei zu my, schei zu shy, Wei zu wife, Wind zu wind, sing zu sing, loch zu laugh, Haus zu house, Maus zu mouse, Ox zu ox, Gickerl zu chicken, Krou zu crow, sou zu so und hei zu high, wenn auch bei ihm hoch nicht hoch sondern rutschig und glatt bedeutet, da aber die schwindelnden Höhen nicht selten genau das sind, kann man auch hier durchaus zu sinniger Übereinkunft gelangen. Seufzt der Baieren hingegen einer Lady ein schmachtendes Meiomei Darling ins Ohr, ist das nicht unbedingt zwingend gleichbedeutend mit einem zärtlichen my oh my darling. Und auch ein how wird bisweilen fehlgedeutet, weil es der Baieren sowohl als direkte Aufforderung zum Zuhauen versteht als auch als beleidigende Unterstellung eines Dachschadens. Mit dem Howgh der Indianer geht es ihm da nicht recht viel besser.

Wie die Dinge sich jedenfalls abzeichnen, hat sich der Baieren assimiliert, noch bevor sein Bier warm geworden ist, was ohnehin nie der Fall sein wird. Denn eines hat er mit einem Desperado, Cowboy, Farmer und nicht zuletzt Indianer gemeinsam- er liebt sein Pferd über alles, es ist ihm kostbar und heilig, er verteidigt es auf den Tod und im Härtefall ist sein Klepper das, was er als letzten und einzigen Besitz behütet, es wird gemunkelt, sein Gaul sei ihm wertvoller als seine Frau, was aber auf ihn schon deshalb nicht zutreffen kann, weil er -noch- keine hat. Mag sein aus eben diesem Grunde, man wird sehen. Vielleicht ist er sogar ein Desperado, zumindest aber ein Texaner, der Baieren, und weiß es nur noch nicht.

Seine Beliebtheit ist inzwischen so groß, dass sie eines Tages noch bairensische Städte in den Westen pflanzen werden, in denen die Männer als Lederhosenträger herumlaufen, in wollenen Kniestrümpfen und mit Gamsbart auf dem Tirolerhut, die Frauen im „Dirndl“, der feschen und durchaus augenweidlichen Tracht des bairensischen Weibsvolkes, es wird Weißwürste geben mit Sauerkraut, Schweinsbraten mit Semmelknödel, warmen Leberkäse mit riesigen Brezeln und vierundzwanzig verschiedene Biersorten, nach der zweiten Mass werden die Leute beseelt bei jeder sich bietenden Gelegenheit „Oans zwoa gsuffa!“ gröhlen, die Ellenbogen ineinander gehakt lauthals singend hin und her schunkeln, dass die Bänke nur so wackeln, und im Verein anfangen zu jodeln.

Andrerseits kann man nie wissen, ob nicht in seiner Heimat auf dem alten Kontinent in absehbarer Zukunft Westernstädte aus dem Boden schießen werden, und ohne dass da scharf geschossen wird, Cowboys, Trapper und Blauröcke in friedlicher Eintracht mit Indianern verschiedenster Stämme und Regionen durch die altehrwürdige Burgenlandschaft reiten. Während bei seinen Nachkommen hierzulande alles Bairensische längst spurlos vom Präriewind verweht ist.

That’s life, life is life, nana nanana.
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Alt 23.07.2013, 17:33   #2
Thing
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Zitat von Desperado Beitrag anzeigen

Andrerseits kann man nie wissen, ob nicht in seiner Heimat auf dem alten Kontinent in absehbarer Zukunft Westernstädte aus dem Boden schießen werden, und ohne dass da scharf geschossen wird, Cowboys, Trapper und Blauröcke in friedlicher Eintracht mit Indianern verschiedenster Stämme und Regionen durch die altehrwürdige Burgenlandschaft reiten.

That’s life, life is life, nana nanana.
Nur während ländlicher Festspiele!

Aber den alten Schlager sing ich gerne mit!
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Alt 24.07.2013, 09:57   #3
männlich Desperado
 
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Nur während ländlicher Festspiele!
Mittlerweile erleben die fast schon traditionellen Western Citys einen Boom an Vereinsgründungen, wobei ich sagen muss, dass sich die Mitglieder um originalgetreue Kostümierung und Nachstellung der damaligen Lebensumstände bemühen und wirklich kunstvolle Gewänder zustande bringen, insbesondere was die indianischen betrifft. Regelmäßig versammeln sie sich in großen SomCDPamps, jüngst erst wieder geschehen, dass hierbei mehrere hundert Jahre Geschichte auf einem Haufen vereinigt sind, macht die Sache nur noch interessanter.

Wenn ich mir die Entwicklung der Mittelalter-Festivitäten so vergegenwärtige, ist da noch jede Menge Potential enthalten und Entfaltung zu erwarten. Freilich könnte man nach dem Sinn des Ganzen fragen, aber es gibt nun wirklich sinnlosere Freizeitunternehmungen und Hobbys.

Tatsächlich sind seinerzeit viele Bayern "ins Amerika" ausgewandert, unter anderem die Heimatdichterin Emerenz Meier.
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Alt 24.07.2013, 10:01   #4
Thing
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Zitat von Desperado Beitrag anzeigen
Tatsächlich sind seinerzeit viele Bayern "ins Amerika" ausgewandert, unter anderem die Heimatdichterin Emerenz Meier.
Und viele Pfälzer aus einem bestimmten Kreis, die hier als Musikanten verhungert wären.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.07.2013, 16:45   #5
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Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Und viele Pfälzer aus einem bestimmten Kreis, die hier als Musikanten verhungert wären.
Desperados gewissermaßen...
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Alt 24.07.2013, 16:48   #6
Thing
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Ja.
Es war wirklich der Hunger, der sie nach Amerika trieb.
Viele hatten Erfolg.
Wer unterging, ist mir nicht bekannt, aber es müssen etliche gewesen sein.
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Alt 24.07.2013, 17:30   #7
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Zitat von Thing Beitrag anzeigen
Wer unterging, ist mir nicht bekannt, aber es müssen etliche gewesen sein.
Ja doch, das waren sehr viele. Auch die Emerenz Meier. Es wurde viel versprochen und nichts gehalten, die Leute erst mit dem Land der ungeahnten und unermesslichen Möglichkeiten geködert und kaum angekommen sich selbst überlassen bzw. skrupellosen Ausbeutern ausgeliefert, wobei diese keinerlei Unterschied machten zwischen hochgebildeten oder sonst was für geschulten und qualifizierten Leuten, es ging um billige Arbeitskräfte für den Städtebau und dergleichen, anschließend wurden die Ausgedienten einem völlig ungewissen und ungesicherten Schicksal überlassen, in einer fremden, erbarmungslosen und hochkriminellen Welt. Goldene Pionierstage...
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Alt 24.07.2013, 18:46   #8
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Zitat von Desperado Beitrag anzeigen
Tatsächlich sind seinerzeit viele Bayern "ins Amerika" ausgewandert, unter anderem die Heimatdichterin Emerenz Meier.
Ach ja, die gute Emerenz. Das ist doch die Groschenheftchenschreiberin, der sie in Passau ein Denkmal gesetzt haben, obwohl sie sich noch heute über ihren etwas undurchsichtigen Lebenswandel aufregen, oder verwechsle ich da was?
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Alt 24.07.2013, 19:22   #9
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Zitat von Persephone Beitrag anzeigen
Ach ja, die gute Emerenz. Das ist doch die Groschenheftchenschreiberin, der sie in Passau ein Denkmal gesetzt haben, obwohl sie sich noch heute über ihren etwas undurchsichtigen Lebenswandel aufregen, oder verwechsle ich da was?
Das kann man so nicht sagen. Es gibt einen ziemlich dämlichen Film, "Wildfeuer" soweit ich mich erinnere, der aber auch so was von krass an ihrer Persönlichkeit und Lebensgeschichte vorbeigeht, dass es richtig wehtut. Ihre Erzählungen kenne ich offen gestanden zu wenig, aber als Dichterin war sie eine ganz Große und von Zeit und Umwelt jämmerlich Verkannte, eine hochempfindsame Seele mit scharfem Geist, die nicht zuletzt deshalb auswanderte, weil sie keine gefällige Heimatdichterin mehr sein wollte. Als kleines Anschauungsmaterial eins ihrer letzten Gedichte, geschrieben "im" Amerika.

Kennst du das Land, wo Grabsch und Humbug blüh'n,
die Herzen einzig für den Dollar glüh'n,
wo Geld vor adliger Gesinnung geht,
die Schlauheit hoch, die Treue niedrig steht,
kennst du das Land, dahin, dahin
würd ich, hätt ich die Wahl, nie wieder zieh'n.

Kennst du die Stadt, mit ihrem großen Dreck,
ein Wirtshaus steht an jeder Straßeneck
und in Fabriken schwitzt die Menschenbrut,
es saugt das Kapital ihr rotes Blut,
kennst du die Stadt, dahin, dahin
lass niemals mich, o ew'ger Vater, zieh'n.

Du Stadt am Michigan, voll Weh und Ach,
wo manches hoffnungsvolle Herz zerbrach,
die Sterne nachts am Himmel schau'n mich an,
was hat man dir, du armes Kind getan?
Kennst du die Stadt, dahin, dahin
lass dich von keinen tausend Pferden zieh'n.


Da gäb's noch einige Beispiele wie dieses, die noch im Bayernland entstanden, doch die letzten zwei von zehn Strophen eines weiteren sollen genügen.

Die Armut also -o trift'ger Grund!-
ist's, die mich zum Spott gemacht,
die mich erniedrigt vor euch zum Hund,
die mich um Ehr' und Freunde und
um Glück und Frieden gebracht!

Du feile Herde, so hör' den Schwur:
Ein Ekel sei mir dein Brot
und ein ewiger Feind deine Viehnatur!
Verhung're ich auch, so sterbe ich nur
den gewöhnlichen Dichtertod!


Aber immer gern
Desperado
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Alt 24.07.2013, 19:28   #10
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Da hab ich der Gutsten Unrecht getan.
Aber ich fand die paar Liebesgeschichtchen so übel, dass ich mich nicht weiter beschäftigt habe.
Sollte ich nachholen.
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