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Alt 08.10.2012, 19:21   #1
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
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Standard Schießeisen

Mit einer jammernden Apache-Geige kannst du allen deine Meinung geigen, ohne dass es wer versteht.

Der Bach ist keine Meile entfernt, aber immer wieder glaubt das eine oder andere Großmaul, dich mit seinem Schweißgestank beglücken zu müssen, auch wenn ihm schon die Schmeißfliegen um das verfilzte Haar schwirren, aber er hat dir gefälligst hier und auf der Stelle seine Meinung zu geigen. Eine Meinung, auf die er im Grunde nicht einmal selbst Wert legen kann, es sei denn, er hat wirklich nur Büffeldung in der Birne.

„Woran mag’s wohl liegen, Desperado“, fragt mich der Hufschmied, dessen muskelbepackte Arme vom Handgelenk bis zur Schulter mit winzigen Brandnarben übersäht sind, während er das Eisen schmiedet, solange es glüht, „du kommst doch viel rum, woran liegt’s wohl, dass die Leute sich nicht vertragen können?“

„Du hast doch einen Hund“, sag ich, „wie ist’s, verträgt der sich mit allen andern Kötern?“

„Nun ja“, brummt er, „mit den meisten schon, manche liebt er heiß und innig, manche eher von Weitem, um manche macht er einen großen Bogen und bei andern fletscht er schon die Zähne, bevor sie noch um die Ecke gekommen sind.“

„Und,“ frag ich, „woran liegt’s?“

„Keine Ahnung.“

„Da hast du meine Antwort.“

Manche Leute stellen keine Fragen. Der Krämer etwa, wenn ich ihm meinen Single Army 45er auf den Ladentisch klatsche und was von Munition murmle, weil ich mir die Nummer oder sonstige Bezeichnung derselben nicht merken kann, vielmehr will, da Waffen mich noch nie besonders interessiert haben. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich schon als ganz kleiner Junge den riesigen Colt meines Dads in winzigen Händchen hielt, für den Sohn eines Sheriffs vermutlich nichts Außergewöhnliches, und mir die eifrig abgelutschte Mündung seines Laufes nicht geschmeckt hat.

Ist es notwendig, eine Ahnung zu haben von Waffen, wenn du sowieso ständig dazu gezwungen bist, eine oder mehrere mit dir rumzuschleppen, es sei denn, du bist lebensmüde? Die Dinger funktionieren, wenn sie regelmäßig gereinigt werden, das reicht überall hin. Sie erfinden ohnehin ständig neue, und hast du dich erstmal an eine gewöhnt, gehört sie bereits zum alten Eisen.

Mein Pa entrang sich schon nach meinen ersten Schießübungen ein „geht schon“, was aus seinem Munde höchstes Lob bedeutete, Ma hat’s ohnehin nie gefallen, meine Schulung mit diesem widerlichen Teufelszeug, und ziemlich bald auch meinem Dad nicht mehr, vermutlich weil ich ihm auf viel zu kurze Zeit viel zu gut geworden war. Unbewegliche Ziele wie Flaschen und Blechbüchsen wurden mir sehr bald langweilig, auf Tiere schießen hingegen wollt ich um die Burg nicht, also brauchte ich Kumpels, die irgendwas durch die Luft segeln lassen zu diesem Zwecke, und das waren selbtverständlich die falschen Freunde.

Es ist ein eigentümliche Angelegenheit, ein nicht wegzuleugnendes Naturtalent aufzuweisen bei einer Sache, die unnatürlicher nicht sein kann. Du richtest deinen Arm auf etwas, dein Auge sucht und findet die Linie, das heißt, löst die Richtung des Laufes gewissermaßen auf, indem die Waffe nichts ist als ein kantig runder Klumpen vor deiner Linse, dein Finger krümmt sich, und während du noch den leichten Schlag des Rückstosses in Hand und Unterarm spürst, zerfetzt deine Kugel schon, was da anvisiert war, das ist höchste Wirkung mit geringstem Aufwand und ohne Technik schlicht unmöglich.

Als Anfänger jedenfalls machst du’s so, im Lauf der Zeit wird das Ganze organisch, nach ein paar Jährchen geht die Sache mit dem Schießen wie von selbst und du kannst keinem mehr erklären, wie du’s machst, auf große Entfernung zu treffen, aus der Hüfte oder im Fallen, im Laufen und Rennen, im Sprung oder in vollem Galopp. Du tust es einfach und weißt selbst nicht wie, ich glaube fast, wenn du anfangen würdest, drüber nachzudenken, könntest du es nicht mehr.

Ich hab mich nie gefragt, ob das bei allen so ist und wie die’s machen, ich glaube, da entwickelt wohl jeder seine ganz eigene Methode, dass die meine keine Erlernte ist im Sinne einer Beigebrachten, Übernommenen und Eingeübten, erkenn ich nur daran, dass ich sie niemanden lehren kann und keinem vermitteln oder gar beibringen.

Die meisten Schützen betrachten, behandeln und handhaben ihre Waffe als Instrument, Werkzeug, Gegenstand, was immer, auf alle Fälle wie einen dienlichen Fremdkörper, der ihrem Willen und Können unterworfen ist und den es durch stete Übung zu beherrschen gilt. Ehrlich gesagt, auf die Idee wär ich nie gekommen. Ich hab eine eiserne Hand und schieße aus dem Zeigefinger, keine Ahnung wie ich’s sonst beschreiben soll, aber im Moment des Ziehens, Zielens und Abfeuerns besteht keinerlei Unterschied zwischen dem organischen Rüstzeug von Arm und Hand und dem toten Ding darin, mein Zeigefinger findet den Abzug, ohne ihn gesucht zu haben, ich umfasse keinen Knauf, er fügt sich fließend in meinen Ballen, nein, er wird zu meiner Faust im Bruchteil eines Augenblicks und ohne spürbaren Übergang.

Mit Gewehren geht es mir nicht anders, die Dinger sind so eine Art magischer Zauberstab, ein verlängerter Arm, der sein Ziel findet, wenn es denn eilt, egal wo sein Holz nun grade aufsitzt, ob an Schulter, Brust, Bauch, Oberschenkel oder in der freien Luft, der Rückschlag mag hingehen wo er will, die Kugel aber sitzt, und wenn mich einer verblüfft fragt, ob ich gezielt hab und wenn, woher ich mir die Zeit genommen hab dazu, kann ich nur sagen, ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst, wirklich nicht, ich hab nie Schießen gelernt, ich hab keine Ahnung von Waffen. Eine schlichte Wahrheit, die derjenige dann für falsche Bescheidenheit hält, für Wichtigtuerei oder gar für überheblichen Spott, ist schon ordentlich bescheuert, so ein unergründliches Talent.

Ich fühle mich grundsätzlich nicht verantwortlich. Gäb’s keine Schusswaffen, würden manche Leute mit herkömmlichen Mordwerkzeugen versuchen, mir den Garaus zu machen und das Leben schwer, also müsst ich mich mit denselben meiner Haut erwehren, prinzipiell macht das überhaupt keinen Unterschied. Es kann lediglich in diesem speziellen Falle nicht schaden, mit den entsprechenden Dingern umgehen zu können, ob nun mühsam erlernt oder quasi angeboren.

Schon ein befremdlicher Gedanke, dass mir irgend so eine durchgeknallte Muse das Talent zum Schießen in die unschuldige Wiege gelegt haben soll.

Wird schon gewusst haben warum, denk ich mal.
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