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Alt 05.08.2013, 11:21   #1
männlich Desperado
 
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Standard Blitzgefeit

Der einäugige Puma räkelt sich auf seinem Sonnenplatz, die Geier dösen in den verdorrten Bäumen, selbst die Zikaden schweigen, die Luft drückt schwül und heiß wie in einer Schwitzhütte, ein Gewitter braut sich zusammen.

Dem Blitz ist es völlig egal, wo er einschlägt.

Dreimal hat mich der unberechenbare Halunke schon gestreift. Beim ersten mal, an das ich mich nur mehr schemenhaft erinnere, weil ich noch ein Grünschnabel war mit feuchten Ohren, fährt der Schweinehund mit voller Wucht in die Hütte meiner Alten. Ich lümmle grade im Ohrensessel meines Pa, als es geschieht, ein gewaltiger Paukenschlag reißt mich aus meinen kindlichen Träumen, meine Sitzgelegenheit verwandelt sich flugs in einen leuchtenden fliegenden Teppich, während mein kleiner Bruder, der gerade um die Ecke durch die Tür gestöpselt kommt, die wunderliche Gestalt eines strahlenden Cherub annimmt. Wild fauchend kommen durch die Fensterritzen und Türspalten feurige Zungen hereingeschossen und strecken lechzend ihre flammenden Spitzen nach uns aus. Dann ist wieder geisterhafte Ruhe, mein Bruder knistert und riecht etwas angesengt und verschmort, sonst fehlt ihm dem Himmel sei dank weiter nichts, zumal er seine kurzzeitig unterfunktionelle Lungentätigkeit allsogleich mithilfe gellend durchdringenden Krähens und Kreischens wiederbelebt. Natürlich bin wie immer und an allem ich und ich einzig ganz allein schuld an der Bredouille, wer auch bitte sonst.

Ein andermal viele Jahre später sitze ich zechend mit zwei Kumpels in einem kleinen Zelt am Fuße eines mächtigen Baumes, als er den Riesen mal eben so nebenbei von der Krone bis in die Wurzel zweiteilt, wobei die eine Hälfte seiner gespaltenen Persönlichkeit auf den schwimmenden Boden klatscht, um Haaresbreite an unsrer Regenschutzbehausung vorbei, so dass die Zweige ihre Plane zerreissen. In grelles unbeschreiblich helles weißes Licht getaucht sind wir, mit der untermalenden Schallbegleitung eines Knalls, der dir den Magen bis an die Gurgel hüpfen lässt und das Herz in die Zehenspitzen rutschen, hebt es uns vom Boden und wir schweben für Sekundenbruchteile, die uns erscheinen wie eine Ewigkeit, in der Luft wie ein versunkener Schamane, wenn er in die Welt der Geister abtaucht.

Blind und vollkommen taub hocken wir da, die Haare stehen uns knisternd zu Berge, aber unsere Bierkrügchen halten wir fest in Händen, auch wenn eins davon schäumend durch den Raum gesegelt kam und von einem meiner damaligen Kumpane schlafwandlerisch aufgefangen werden konnte, einfach weil alles unendlich langsam und in Zeitlupe vonstatten ging. Was haben wir gelacht, jung und dumm wie wir waren. Erst als wir den Struwwelkopf aus dem Zelt stecken und des geschälten und qualmenden Baumriesen an unserer feuchtfröhlichen Seite gewahr werden, sitzen wir ein wenig still, für ein kleines besinnlich nachdenkliches Weilchen zumindest.

Wieder ein anderes Mal und wieder viele Jahre später fahre ich mit einer taffen gereiften Lady im feuerroten Einspänner durch den peitschenden Regen, als derselbe plötzlich und wie aus dem Nichts zum Donnerschlag eines mächtigen Sturmgeschützes in gleißendes Licht getaucht ist, regelrecht damit überzogen wie mit einer Gallertglasur, einem Elmsfeuer wie die Seeleute sagen würden –hat was zu tun mit Santo Elmo, dem Schutzpatron der Seefahrer-, der blendende Glanz sieht jedenfalls so ähnlich aus, wie ich ihn aus ihren Beschreibungen kenne. Das Dach, die Flanken, die Lehnen, das Gestänge und Gehäuse, die Räder und Speichen, alles leuchtet aus unzähligen fadendünnen Strahlen, stachlig wie ein vollgespicktes Nadelkissen, in weißer denn weißem Licht. Das arme Pferd steht stocksteif da mit zitternden Flanken, weiß glänzenden Augäpfeln, geblähten Nüstern, aufgestellter Mähne und gesträubten Haaren, wirkt wie ein neugeborenes Fohlen bei seinen ersten Stehversuchen. Zu seinem unfassbaren Glück befand es sich grade in einer glatten und trockenen Steinmulde, als der Blitz dreinfuhr, die aus unerfindlichen Gründen von seiner mörderischen Gewalt, wie durch ein Wunder, verschont geblieben ist. Die Lady hat sich die Leine um die Hand gezogen bis aufs Blut, zittert und bebt zur Säule erstarrt am ganzen Leib und stößt zwischen Atemlosigkeit und -ringen im Rhythmus einer Kuckucksuhr unentwegt aus zugeschnürtem Hals: „Waswardas, waswardas, waswardas?“

„Das, liebe Schwester, war ein Blitz.“, antworte ich gelassen und froh noch am Leben zu sein, ich kenne den Burschen ja bereits. Als wir endlich wieder sehen und hören können, die tanzenden Lichtpunkte aus dem Blickfeld verschwunden sind und das Pfeifen und Dröhnen aus den Ohren, setzen wir unsere Fahrt im Schritttempo fort, die Gute heult plötzlich hemmungslos los wie ein Schulmädchen, es kostet mich einige Mühe sie zu beruhigen.

Dieses seltsame Knacken ist es, das dir am besten und für immer in Erinnerung bleibt. Im Herzen und Zentrum des Kanonenschlages ist es zu vernehmen und spüren, als würde in deinen Ohrmuscheln ein armdicker staubtrockener Stecken entzwei gebrochen werden. Dieses knackende Geräusch ist im Knall und im Licht, es ist in deinem Kopf und durchfährt dich vom Scheitel bis zur Sohle, dringt dir durch Mark und Bein bis in den tiefsten Abgrund deiner schwarzen Seele. Zeitlebens bist du fortan beknackt. Eine Prägung wie das Siegel eines Vertrages, Paktes oder Bundes. Dreimal bestätigt und bekräftigt. Doch, es verändert dich, du könntest nicht sagen wie, aber es verändert dich. Du bist gefeit.

Beim drittenmal war es am intensivsten, vielleicht ist die Erinnerung daran auch nur als nächststehende der drei Erleuchtungen im wahrsten Sinn des Wortes in mein Gedächtnis gebrannt, hätte ich Worte die mehr bedeuten als Schall und Rauch, könnte ich es vielleicht beschreiben. Es ist, als würdest du und alles was ist auf der Welt, schalldicht eingeschlossen im Hall des Donnerschlags und bewegungsunfähig eingegossen in das weiße Licht, in einem Augenblick kürzer als ein Wimpernschlag zu der dichtesten Masse zusammengezogen und gepresst werden, die es überhaupt jemals und irgendwo geben kann in den unergründlichen Weiten des Universums, um dich im selben Moment –und anders ist es nicht zu erklären, weil im Strom eines Blitzes kein Zeitenstrom existiert- mit allem was ist in der Welt und mit der selben unfassbaren Geschwindigkeit auszudehnen und weiten bis in die Grenzenlosigkeit der Unendlichkeit hinein. Bevor du auf dich selbst zurück und in dich zusammenfällst zu einem verschmorten verkohlten Klumpen schwarzer Asche, in der zitternden Brust noch das Gefühl gespannter Leichtigkeit und mit einem tonnenschweren Mühlstein im Kopf. Geladen wie das Munitionsdepot des Forts, würdest du die Finger ausstrecken können, würdest du Blitze schleudern.

Als ich mit dem alten Mescalero beiläufig darüber zum Reden komme, meint der fast erschrocken, dass ich mit den Wasserwesen verwandt sein müsse, die mit den Monstern der Unterwelt im Bunde stehen und sich im ewigen Kampf mit den mächtigen Donnervögeln befinden, und außerdem zu den Menschenkindern der sogenannten Gefeiten gehören würde, einer gefährdeten Gruppe, der keine Gefahr mehr etwas anhaben könne und die deswegen zu Verwegenheit und Vermessenheit neigen würde.

Noja, erwidere ich, Fisch bin ich nun wirklich keiner, und gefeit war ich schon, bevor der erste Blitz seine Kräfte mit mir gemessen hat, vermutlich hat er’s ja grade deswegen getan.

Genau das meine ich, brummelt der Alte nur und wendet sich anderen Dingen zu.

Ich habe von Männern gehört, die selbiges erlebten und sich blitzartig vom ruchlosen Lumpen, Schwerenöter und Schürzenjäger zum heiligen Mann gewandelt haben, und ich verstehe diese Burschen, doch das tue ich. Warum das bei mir nicht klappen wollte, müsste man vielleicht mal die göttlichen Blitzeschleuderer fragen, Zeus, Wotan oder Donar und wie sie alle heißen, oder die mächtigen Donnervögel, deren Schwingen den Himmel zum Beben bringen, wobei sie Blitze aus ihren Augen schleudern, vermutlich haben sie allesamt ihr Experiment nach dem dritten Fehlversuch abgebrochen, nicht dass sie mich noch auf dem linken Fuß erwischen. Oder sie hatten es aufgrund nicht zu erwartenden Erfolgs gar nicht vor, nicht jeder Blitzableiter ist dazu geeignet, zum goldenen Kirchturmkruzifix der mexikanischen Klöster umgeschmolzen zu werden, und wollten mir lediglich eins vor die Hufe brennen, um meinen irren Ritt in die Finsternis zu stoppen.

Was ihnen zweifellos gelungen ist.

Denn wenn du abends mit Schwindel in der hohlen Birne und einem seltsamen Taubheitsgefühl in jeder Pore erschlagen auf dein Lager sinkst, lässt du erst mal dein bisheriges Leben Revue passieren, es gibt keinen Fluchtweg und nicht einmal ein Mauseloch, du sitzt in der kalten Einzelzelle, im dunklen Hungerloch der Sträflingsinsel und bist geliefert. Was da ansteht an Entscheidung und Veränderung ist unverzüglich zu fällen und schaffen, undurchsichtige Sachen, die du am laufen hast, müssen ohne Aufschub und kompromisslos zum sofortigen Stillstand gebracht werden und möglichst wiedergutgemacht, was es sonst noch gibt an notwendigem Handlungsbedarf, wird dir nach den ersten fälligen Schritten rechtzeitig aufgehen.

Den hat der Blitz gestreift, das sagt man nicht nur so dahin, wenn einer sich über Nacht häutet und ein anderer Mensch sich herausschält oder wenigstens der Wille einer Wandlung von der hässlichen Puppe zum schönen Schmetterling zu erkennen ist. Im Kraftstrom eines Blitzstrahls zu sitzen bedeutet nicht nur ein Erlebnis ungekannter Wucht, es hat die Ausmaße einer spirituellen, ja mystischen Erfahrung, und wer sie noch nicht machen musste, dem wünsche ich sie mit verbindlicher Sicherheit weder an den Hals noch ans Hinterteil.

Bei mir hatte es immerhin zur Folge, dass ich seither auf Stormbringer durch den Hurrikan reite auf der gleißenden Feuerbahn eines zuckenden Blitzes. Ist ja auch schon was.
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.08.2013, 11:27   #2
Thing
R.I.P.
 
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Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 34.998


Kurz und knapp:

Klasse!
Weiterhin gutes Gefeitsein




wünscht
Thing
(Kugelblitz)
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.08.2013, 12:47   #3
weiblich simbaladung
 
Dabei seit: 07/2012
Alter: 67
Beiträge: 3.073


Ich liebe deine Geschichten. Desperado!

Wie immer ein Gewinn.

liebe Grüße,
simba
simbaladung ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.08.2013, 15:49   #4
männlich Desperado
 
Benutzerbild von Desperado
 
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Ort: Erde, Europa, Deutschland, Bayern
Beiträge: 1.747


Es freut mich aufrichtig, Thing und simbaladung,

dass Euch meine Geschichten gefallen, vor allem diese, weil es eine der wenigen ist, in der ich tatsächlich gemachte persönliche Erfahrungen beschreibe.

Herzlich
Desperado
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
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