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Alt 19.08.2017, 17:07   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Der Kuss - Tina sucht die Liebe, Teil 13

„Ja“, presste Hendrik zwischen zusammengepressten Lippen hervor. „Alles okay. Aber der soll nur aufpassen, dass er mir nicht im Dunkeln begegnet. Den mach ich noch fertig.“
„Ach, Unsinn“, sagte Isabell, „vergiss den Quatsch doch einfach.“
„Ich würde so etwas auch nicht vergessen“, wandte Tina ein, „das war schon heftig, was Thomas da behauptet hat.“
„Glaubt ihm doch eh keiner.“ Isabell drehte sich zu Carsten und den anderen um. „Oder wie seht ihr das?“
Carsten zuckte die Schultern.
„Ich habe keine Ahnung. Aber ich spiel nicht nochmal Kindermädchen für Leute, die meinen, sie müssten sich unbedingt prügeln.“
„Brauchst du auch nicht“, sagte Hendrik.
„Na hoffentlich. Nimm dich einfach zusammen.“
Carsten drehte sich zu Luis und Marcel um.
„Ich geh jetzt. Kommt ihr mit?“
„Klar“, sagten die beiden fast wie aus einem Mund und Sergej schloss sich an.
„Ich komme auch mit.“
„Ich auch“, das kam von Cassie.
Als alle bis auf Hendrik, Isabell und Tina verschwunden waren, sagte Isabell zu Hendrik: „Wo wohnst du? Ich glaube, wir bringen dich besser nach Hause.“
„Ich glaube auch, das ist eine gute Idee“, sagte Tina, obwohl sie das nicht wirklich so empfand. Sie hatte überhaupt keine Lust darauf, dass Isabell sich in irgendeiner Weise zwischen sie und Hendrik drängte, aber hier war sie selbst eindeutig zu langsam gewesen. Sie hätte Hendrik selber vorschlagen sollen, ihn nach Hause zu bringen und Isabell davon abbringen sollen. Das ging nun nicht mehr. Um ihr trotzdem zu zeigen, dass Hendrik und sie etwas verband, von dem Isabell nichts wusste, fügte sie, an Hendrik gewandt, hinzu:
„Dann machen wir das heute mal umgekehrt.“
„Wieso umgekehrt?“ Isabell schien etwas verwirrt von dieser Aussage, aber da ihr weder Hendrik noch Tina weitere Auskunft darüber gaben, wie dies gemeint war, fragte sie nicht weiter.
„Also gehen wir“, sagte sie stattdessen. „Wo müssen wir hin?“
Hendrik winkte ab.
„Nirgendwo. Ich geh schon alleine, und außerdem ist es sowieso ziemlich weit, von hier aus fast anderthalb Kilometer.“
„Macht mir nichts, ich bin sportlich“, Tina grinste.
„Mir macht das auch nichts, und wir kommen mit“, erklärte Isabell energisch, „ich jedenfalls möchte verhindern, dass du Thomas heute Abend noch einmal allein begegnest.“
„Ich bin kein Baby“, sagte Hendrik verärgert, „ich kann gut auf mich allein aufpassen.“
„Hat man ja vorhin gesehen. Kommt, wir gehen.“
Hendrik schüttelte den Kopf.
„Ich lass mich nicht von Mädchen nach Hause bringen, das ist ja lächerlich.“
Und er rührte sich nicht vom Fleck.
Isabell zuckte die Achseln.
„Wie du willst. Wir haben es dir angeboten.“
Sie sah Tina an.
„Also ich gehe. Kommst du mit?“
„Nee, geh ruhig, tschau.“ Insgeheim atmete Tina auf. Sie hatte befürchtet, Isabell an diesem Abend gar nicht mehr los zu werden und wusste auch nicht, warum Isabell geradezu so tat, als seien sie Verbündete oder gar die besten Freundinnen. Sie und Isabell mochten sich doch eigentlich gar nicht. Das wusste eine von der anderen, auch wenn sie (noch) keine offene Feindschaft pflegten, also was stand Isabell hier und tat so, als hätte sie ein riesiges Interesse daran, dass Tina mit ihr ging? Vielleicht wollte sie auch nur vor Hendrik demonstrieren, was für ein netter Mensch sie war, denn der kannte sie schließlich nicht.
Isabell sah Hendrik an und sagte: „Ich hoffe, dass du dir heute Abend nicht doch noch ein Veilchen einfängst, wäre schade um dein hübsches Gesicht. Also bis dann“, und dann war auch Isabell in der Nacht verschwunden.
Tina und Hendrik waren allein.

„Das war ja vielleicht ein Abend. Soviel war nach der Probe eigentlich noch nie los.“
„Dann habe ich ja richtig Leben in die Bude gebracht.“ Hendrik kramte in seiner Hosentasche nach seinen Zigaretten und nahm sich eine aus der Schachtel. Als er sie anzündete und das Feuerzeug Licht auf sein Gesicht warf, dachte Tina daran, was Isabell gesagt hatte. Er hatte wirklich ein hübsches Gesicht.
„Du kannst auch ruhig nach Hause gehen.“ Hendrik zog tief an seiner Zigarette und blies den Rauch aus.
„Will ich aber noch gar nicht“, sagte Tina und weil ihr nichts Besseres einfiel, fragte sie: „Rauchst du schon lange?“
„Seit ich 16 bin. Warum?“
„Nur so.“
Danach schwiegen sie, bis Hendrik die Zigarette aufgeraucht hatte und die Kippe austrat. Dann straffte er die Schultern und erklärte: „So, ich gehe jetzt.“
„Ja ….“ Tina hob den Kopf und sah ihn an. Er stand dicht vor ihr, er war ein Stück größer als sie. Er müsste sich nur nach unten neigen und mit seinen Lippen ihre berühren...Und erschrocken merkte sie, wie sehr sie sich danach sehnte. Bloß schnell weg hier, ehe er noch merkte, was mit ihr los war!
„Bis dann“, sie wollte die Worte betont forsch sagen, statt dessen hörten sie sich krächzend und heiser an und erregten dadurch Hendriks Aufmerksamkeit.
Er merkte genau, was mit ihr los war – solche Situationen hatte er schon öfters mit Mädchen erlebt – aber er wollte nicht, dass es darauf hinaus lief.
„Wirklich nicht“, spottete eine Stimme in seinem Kopf. „Was ist denn dabei?“
Hendrik versuchte, die Stimme abzuschütteln und wollte nun eigentlich klar Schiff machen. Er wollte ihr sagen, dass das nichts bringen würde, sie sich nicht in ihn verlieben sollte, weil er aus Gründen, die er nicht erklären könne, kein verliebtes Mädchen wollte und holte tief Luft, um die Worte auszusprechen. Und dann – er wusste selber nicht genau, wie und vor allen Dingen warum – lagen auf einmal seine Lippen auf den ihren, sie erschauerte, erschrak fast, dann ließ sie es zu, ließ zu, dass sie beide verschmolzen in einem langen, atemlosen Kuss. Als er geendet hatte, strich Hendrik ihr durch das lange braune Haar.
„Bist du Tina oder Julia“, flüsterte er leise, und dann, noch leiser: „Wer du auch bist, du bist bezaubernd.“

- Fortsetzung folgt -

Geändert von DieSilbermöwe (19.08.2017 um 18:23 Uhr)
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Alt 19.08.2017, 17:23   #2
wolfgang
 
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Hallo Silbermöwe,

eigentlich wollte ich ja gerade eine der vorherigen Geschichten lesen. Aber gut, die hier tut´s auch. Zu meckern habe ich nichts. Ich finde es gelungen, wie Du Hendrik dazu benutzt, um Isabell zu charakterisierten. Jaja - ich meine Isabell und nicht Tina!

Gerne gelesen!

Wolfgang
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Alt 19.08.2017, 23:12   #3
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Lieber wolfgang,

danke fürs Lesen und Kommentieren! Isabell war von Anfang an als Antagonistin vorgesehen, kam aber bisher kaum vor. Hier sollte es auch eigentlich nicht vorrangig um ihre Charakterisierung gehen, ich wollte sie nur endlich einbauen. Interessant, wie sie bzw. dieser Teil bei dir angekommen ist!

LG DieSilbermöwe
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Alt 20.08.2017, 07:16   #4
weiblich Ilka-Maria
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Guten Morgen, Silbermöwe,

fleißig, fleißig ...

Aaaaber - bei diesem Teil muss ich zwei Einwände erheben. Der wichtigere: Dein Harmoniebedürfnis hat dich mal wieder eingeholt. Aus fast jedem Absatz lese ich nicht die den inneren Zustand der Figuren heraus, sondern ich erfahre eine Menge über die Autorin Silbermöwe.

Lieber verzichtest du auf einen starken Spannungsbogen, als dich zu trauen, eine Figur ambivalent oder sogar richtig fies zu zeichnen. Isabell - die schon viel eher und öfter als massiver Störfaktor in Tinas Leben hätte treten sollen - ist als Antagonistin reichlich schwach. Sie ergibt kein Konfliktpotential. Statt um Hendrik zu kämpfen, an dem sie offensichtlich ehrlich interessiert ist, räumt sie ohne große Auseinandersetzung das Feld. Warum versucht sie nicht alles, Tina auszustechen, sie lächerlich zu machen, sie dumm dastehen zu lassen, als hässlich zu bezeichnen, bei jeder Gelegenheit Spitzen gegen sie zu verteilen? Warum nutzt Isabell nicht die Situation, sich bei Hendrik einzuschmeicheln, indem sie ihm zuflüstert, sie finde es aufregend, dass er etwas mit Drogen auf dem Kerbholz habe und dass er sich ihr getrost anvertrauen könne? Das mache ihn im Gegensatz zu den anderen Langweilern in der Klasse für sie richtig interessant.

Der zweite Einwand: Du wechselst die Perspektiven, als könntest du dich nicht entscheiden, aus wessen Sicht du die Geschichte erzählen willst. Deine Protagonistin ist Tina, die Handlung sollte also mit ihren Augen gesehen werden. Es ist ohne Belang, was Hendrik wirklich denkt. Vielmehr sollte Tina aus seinen Reaktionen herauslesen können, was in ihm vorgeht. Es spielt keine Rolle, ob sie dabei immer richtig liegt, wichtiger ist, welche Gegenreaktionen ihre Einschätzungen bei ihr selbst ergeben. Da der Leser sich mit Tina identifizieren soll, wäre es für ihn wesentlich spannender, nicht alles zu erfahren, was in Hendrik vorgeht, sondern sich ebenso wie sie an die Figur heranzutasten.

Das Zauberwort bleibt nach wie vor: zeigen statt beschreiben. Wenn Hendrik sich eine Zigarette anzündet, könnte er dabei so nervös sein, dass er das Feuerzeug nicht zum Brennen bringt. Er könnte sich von seinen Gefühlen für Tina ablenken wollen, indem er das Feuerzeug verflucht und wütend die Zigarette wegwirft. Denk dir Bilder aus, die zeigen, was in deinen Figuren vorgeht, das ist immer besser, als ihre Gedanken zu beschreiben, weil der Leser dazu angehalten wird, mitzudenken und die Möglichkeiten selbst durchzuspielen.

LG
Ilka
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Alt 20.08.2017, 11:51   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
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Liebe Ilka-Maria,

danke für deine ausführliche und wie immer konstruktive Kritik! Ich werde genauso ausführlich antworten

Zitat:
Dein Harmoniebedürfnis hat dich mal wieder eingeholt. Aus fast jedem Absatz lese ich nicht die den inneren Zustand der Figuren heraus, sondern ich erfahre eine Menge über die Autorin Silbermöwe.
Uuups, so durchschaubar? Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Es stimmt zwar, dass ich z. B. freiwillig das Feld geräumt hätte, aber sonst ....ich werde in Zukunft versuchen, besser darauf achten.

Zitat:
Lieber verzichtest du auf einen starken Spannungsbogen, als dich zu trauen, eine Figur ambivalent oder sogar richtig fies zu zeichnen. Isabell - die schon viel eher und öfter als massiver Störfaktor in Tinas Leben hätte treten sollen - ist als Antagonistin reichlich schwach. Sie ergibt kein Konfliktpotential. Statt um Hendrik zu kämpfen, an dem sie offensichtlich ehrlich interessiert ist, räumt sie ohne große Auseinandersetzung das Feld. Warum versucht sie nicht alles, Tina auszustechen, sie lächerlich zu machen, sie dumm dastehen zu lassen, als hässlich zu bezeichnen, bei jeder Gelegenheit Spitzen gegen sie zu verteilen
Bis hierhin kannte der Leser Isabell ja noch kaum. Ich wollte sie zunächst mal stärker einbauen und fies kann sie immer noch werden - das sollte Stück für Stück kommen, denn auch sie kennt Hendrik ja eigentlich noch gar nicht und ihr Interesse an ihm wird an diesem Abend erst erweckt. So wollte ich das zumindest darstellen.

Zitat:
Warum nutzt Isabell nicht die Situation, sich bei Hendrik einzuschmeicheln, indem sie ihm zuflüstert, sie finde es aufregend, dass er etwas mit Drogen auf dem Kerbholz habe und dass er sich ihr getrost anvertrauen könne? Das mache ihn im Gegensatz zu den anderen Langweilern in der Klasse für sie richtig interessant.
Das ist eine klasse Idee, auf die ich tatsächlich selbst gar nicht gekommen bin und nicht gekommen wäre. Ich denke, ich werde sie in den nächsten Teilen noch so verwenden. Merci beaucoup dafür!

Zitat:
Du wechselst die Perspektiven, als könntest du dich nicht entscheiden, aus wessen Sicht du die Geschichte erzählen willst. Deine Protagonistin ist Tina, die Handlung sollte also mit ihren Augen gesehen werden. Es ist ohne Belang, was Hendrik wirklich denkt
Das sehe ich nun ein wenig anders. Am Anfang blieb mir Hendrik selbst zu blass, eigentlich mehr als Randfigur, und er sollte doch einer der Hauptdarsteller sein. Nachdem ich mir das überlegt hatte, fand und finde ich es nicht verkehrt, auch seine Gedanken und Gefühle einzubauen. Zudem habe ich Tinas Gefühle und Gedanken bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon ausführlich beschrieben, was hätte ich bis zu dem Kuss über ihre Gefühle und Gedanken noch Neues einbauen können? Dass die Geschichte hauptsächlich aus ihrer Perspektive gesehen wird, kommt wieder (und bleibt ja auch nicht in diesem Teil außen vor).

Zitat:
Da der Leser sich mit Tina identifizieren soll, wäre es für ihn wesentlich spannender, nicht alles zu erfahren, was in Hendrik vorgeht, sondern sich ebenso wie sie an die Figur heranzutasten.
Gut, aber ...... siehe oben

Zitat:
Das Zauberwort bleibt nach wie vor: zeigen statt beschreiben. Wenn Hendrik sich eine Zigarette anzündet, könnte er dabei so nervös sein, dass er das Feuerzeug nicht zum Brennen bringt.
Zeigen statt beschreiben, okay, aber so nervös sein, dass er das Feuerzeug in einer solchen Situation nicht zum Brennen bringt, zeigt meines Erachtens nicht den selbstbewussten Jungen, der schon einige Erlebnisse mit Mädchen hatte. Das würde eher auf Schüchternheit und Unerfahrenheit hindeuten.

Zitat:
Denk dir Bilder aus, die zeigen, was in deinen Figuren vorgeht, das ist immer besser, als ihre Gedanken zu beschreiben, weil der Leser dazu angehalten wird, mitzudenken und die Möglichkeiten selbst durchzuspielen.
Das werde ich mir für die nächsten Teile nochmal ausdrücklich vormerken.

Insgesamt konstatiere ich: Da wolfgang und auch du diesen Teil ganz anders aufgenommen haben als von mir beabsichtigt, habe ich etwas ganz gewaltig falsch gemacht. Das meine ich jetzt nicht negativ - der Leser hat immer recht und ich lerne daraus.

LG und schönen Sonntag

DieSilbermöwe
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Alt 20.08.2017, 21:06   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Das sehe ich nun ein wenig anders. Am Anfang blieb mir Hendrik selbst zu blass, eigentlich mehr als Randfigur, und er sollte doch einer der Hauptdarsteller sein. Nachdem ich mir das überlegt hatte, fand und finde ich es nicht verkehrt, auch seine Gedanken und Gefühle einzubauen. Zudem habe ich Tinas Gefühle und Gedanken bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon ausführlich beschrieben, ...
Entschuldige, Silbermöwe, wenn ich wiederspreche und mein Widerspruch oberlehrerhaft wirkt. Es ist aber so, dass bei den meisten Literaturgattungen Perspektivwechsel den Leser eher verstören als ihn zum Weiterlesen zu animieren.

Ein Autor ist bestrebt, den Leser in seine Hauptfigur hineinzuversetzen, ihn gemeinsam mit dieser Figur alle Höhen und Tiefen durchleben zu lassen, mit den Augen seiner Hauptfigur zu sehen und mit dessen Gefühlen zu fühlen. Jeder Wechsel in das Innere einer anderen Figur würde als ein Bruch erlebt, und in der Regel sträubt sich im Inneren des Lesers alles, diesen Wechsel zu vollziehen, nachdem er sich mit der Hauptfigur identifiziert hat.

Den Beweis dafür kannst du leicht finden, indem du dir berühmte Literatur- und Filmfiguren zum Beispiel nimmst. Ihnen gehören die meisten Kapitel bzw. Szenen. Sie, die Hauptfiguren, sind das Thema und leiten den Leser bzw. den Zuschauer durch die Geschichte, egal ob sie Effi Briest oder Indiana Jones heißen.

Du hältst Hendrik für anfangs zu schwach gezeichnet. Das stimmt, ist aber nicht schlimm, weil ihn sowieso ein Geheimnis umgibt. Er hätte lediglich früher in Erscheinung treten können. Es ist aber ein Irrtum, zu glauben, er sei "eine Hauptfigur". Er ist mehr als das: Er ist das Ziel, das Elixier, der Preis, den die Protagonistin Tina erringen möchte. Auch wenn sie es noch nicht weiß. In den meisten spannenden Geschichten ist es so, dass der Protagonist/die Protagonistin einem Ruf zu folgen gezwungen ist, der nicht als solcher erkannt wird.

Bei den meisten Genres in der Literatur und im Film bleibt der Autor eng an seinem Protagonisten. Gehe die Kurzgeschichten, Novellen, Erzählungen und Filmhandlungen durch, die du kennst. Wer hat z.B. die meisten Szenen in einem Film wie "Die Brücken am Fluss"? Natürlich Meryl Streep - denn es ist ihre Geschichte, aus ihrer Perspektive erzählt. Auch wenn Clint Eastwood eine tragende Rolle spielt, erfährt man nicht viel über diese Figur - aber der Zuschauer weiß alles über die vom Leben enttäuschte Farmersfrau.

Perspektivwechsel passt nicht zu diesen Erzählformen, sondern ist dem Roman vorbehalten. Im Roman laufen die Erzählstränge vieler Pesonen zusammen, der Erzähler/Autor ist auktorial. Er weiß alles über seine Figuren, kann ihre Gedanken lesen und nach Belieben in verschiedene Handlungsorte und in die Zeit des Geschehens eintauchen. Wie z.B. in Schätzings Roman "Der Schwarm". Aber für kürzere Formen eignet sich diese Erzählweise nicht.

Nochmal zurück zu Hendrik und deiner Verteidigung des "selbstbewussten Jungen". Hendriks Erfahrungen könnten bis zu seiner Begegnung mit Tina oberflächlich gewesen sein. Ohne ehrliches Interesse an einem Mädchen zu haben ist es einfach, auf "cool" zu machen. Aber jetzt erlebt Hendrik etwas Neues: Er hat Gefühle, die tiefer gehen als bis dahin, wo die Haarwurzel in der Haut sitzt - es geht ans Herz. Das muss ihn aus der Balance bringen, so eine Situation kann nervös machen und zu linkischem Verhalten führen. So etwas hätte ich hier eingebaut. Tatsächlich ist Hendrik das passiert, was er nicht wollte, nämlich sich ein verliebtes Mädchen an den Hals zu hängen (schließlich hat er genügend andere Probleme), und so gibt er dem Impuls nach und küsst Tina - und sogar leidenschaftlich!

Das ist die positive Stelle in deiner Geschichte: Hendrik befindet sich offensichtlich an einem Punkt, an dem er ein Mädchen wie Tina braucht, weil er sich nach jemanden sehnt, auf den er sich verlassen kann, und weil er ihre Qualitäten zu erkennen beginnt. Kurz gesagt: Er beginnt sich zu öffnen. Da steckt eine Menge Stoff drin für die Fortsetzungen.

So, das war das Wort zum Sonntag.

Viel Spaß beim Weiterschreiben in der neuen Woche.

LG
Ilka
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Alt 21.08.2017, 06:44   #7
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Zitat:
Perspektivwechsel passt nicht zu diesen Erzählformen, sondern ist dem Roman vorbehalten. Im Roman laufen die Erzählstränge vieler Pesonen zusammen, der Erzähler/Autor ist auktorial. Er weiß alles über seine Figuren, kann ihre Gedanken lesen und nach Belieben in verschiedene Handlungsorte und in die Zeit des Geschehens eintauchen. Wie z.B. II n Schätzings Roman "Der Schwarm". Aber für kürzere Formen eignet sich diese Erzählweise nicht.
Ich habe die Geschichte eigentlich inzwischen eher als Roman gesehen. Für eine Kurzgeschichte ist sie doch mittlerweile zu lang? Ich las aber auch mal, dass die Länge für die Erzählform keine Rolle spielt (also z. B. ein Essay bleibt ein Essay, egal wie lang er ist), was mich ein wenig ratlos zurück ließ. Nach welchen Kriterien sortiert man nun noch, was noch eine Erzählung und was ein Roman ist?

Zitat:
Tatsächlich ist Hendrik das passiert, was er nicht wollte, nämlich sich ein verliebtes Mädchen an den Hals zu hängen (schließlich hat er genügend andere Probleme), und so gibt er dem Impuls nach und küsst Tina - und sogar leidenschaftlich!
Schön, dass es so angekommen ist, darauf kam es mir nämlich bei diesem Teil am meisten an, das ist mir also dann gelungen.
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Alt 21.08.2017, 07:27   #8
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Ich habe die Geschichte eigentlich inzwischen eher als Roman gesehen. Für eine Kurzgeschichte ist sie doch mittlerweile zu lang? Ich las aber auch mal, dass die Länge für die Erzählform keine Rolle spielt, was mich ein wenig ratlos zurück ließ. Nach welchen Kriterien sortiert man nun, was noch eine Erzählung und was ein Roman ist?
Die Länge ist nicht entscheidend, sondern die Erzählform legt fest, ob es sich um eine Erzählung, eine Novelle oder einen Roman handelt.

Bei Erzählungen und Kurzgeschichten steht der Protagonist im Mittelpunkt, und die Handlung findet innerhalb einer begrenzten Zeit und eines begrenzten Ortes statt. Es gibt nur eine Haupthandlung, auf Nebenhandlungen wird verzichtet.

Eine Novelle unterscheidet sich von einer Erzählung dadurch, dass sie einen höchst außergewöhnlichen Fall schildert. Als klassisches Beispiel für eine Novelle wird oft Kleists "Die Marquise von O." genannt: Eine junge Frau gehobenen Standes wird in ohnmächtigem Zustand von einem Soldaten geschwängert und fordert diesen Mann öffentlich auf, sich bekannt zu geben und seiner Verantwortung zu stellen - für eine Frau in jener Zeit skandalöse Vorgehensweise.

Auch das Märchen folgt einer strengen Form und ist an eine Hauptfigur gebunden, die in den meisten Fällen eine Prüfung zu bestehen hat, um den Lohn davonzutragen. Mit anderen Worten: In der Regel geht ein Märchen für seinen Helden gut aus. Eine Sage unterscheidet sich vom Märchen dadurch, dass ihre Figuren oft einen historischen Hintergrund haben und einen tragischen Tod erleiden.

Der Roman, eine noch relativ junge literarische Form, lässt dem Autor dagegen jede Freiheit. Er kann in der Ich-Form schreiben, aus der Sicht seiner Hauptfigur oder auktorial, das heißt, er kann jederzeit die Perspektiven wechseln. Er kann so viele Nebenhandlungen einbauen, wie er für nötig hält. Die Gefahr bei langen, komplexen Romanen besteht darin, dass ein Autor die Übersicht verliert und ihm Logikfehler unterlaufen. Das wird aber oft dadurch wett gemacht, dass der Leser solche Fehler gerade wegen der Komplexität nicht merkt.

Anfängern wird oft geraten, für ihr Erstlingswerk die Ich-Form zu wählen, damit sie das zielgerichtete Schreiben lernen, statt sich in Nebensträngen zu verhaspeln.
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Alt 21.08.2017, 18:08   #9
wolfgang
 
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Hallo Silbermöwe,

ich betrachte Deine Serie als Folge kurzer Geschichten. Da ich nicht alle kenne, weiß ich nicht, ob jede Folge auch für sich allein stehen könnte. Diesen Umstand halte ich aber für wichtig. Ein Text, der funktioniert, muss selbsterklärend sein.

Wenn Dir Fragen des Aufbaus und der Perspektive Sorgen bereiten, empfehle ich Dir von Gustav Freytag: Technik des Dramas. Ich selbst benutze dieses Buch für meine Kurzgeschichten, da der Aufbau einer Kurzgeschichte nach ähnlichen Regeln erfolgt, wie der Aufbau einer Szene im Theater. (Man hat Figuren, die auftreten, ihren Text sprechen und handeln.)

Zudem frage ich mich, ob Deine Serie ein Ziel, ein Ende, hat? Sonst könntest Du hundert Jahre daran schreiben, ohne fertig zu werden. Wäre Dir das Ziel klar, bekämen die Figuren schärfere Umrisse, weil Du wüsstest, in welche Richtung sie sich bewegen.

Soweit erst einmal.

Wolfgang
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Alt 22.08.2017, 06:46   #10
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Liebe Ilka-Maria,

vielen Dank für deine Erklärungen.

Lieber wolfgang,

die Geschichte war von Anfang an als fortlaufende Geschichte gedacht. Das Ziel war eigentlich nicht, jedes Kapitel bzw. jeden Teil so zu schreiben, dass er für sich allein stehen kann. Ein Fortsetzungsroman in der Zeitung z.B. funktioniert auch nicht so. Allerdings habe ich in letzter Zeit auch schon darüber nachgedacht, dass man es so machen könnte, aber mein Ziel war das für diese Fortsetzungsgeschichte nicht. Selbst Soaps setzen darauf, dass eine Geschichte eben nicht für sich abgeschlossen in einer Folge erscheint, sondern es wird eben Spannung durch Abbruch erzeugt.

Danke für den Tipp mit dem Buch, das werde ich mir mal anschauen.

Natürlich hat meine Serie ein Ende, aber warum sollte es mich stören, lange daran zu schreiben? Ich habe ja Zeit... Allerdings hast du wohl recht, dass die Figuren schärfere Umrisse bekommen, wenn man auf ein Ende hinschreibt. Bei mir ist es so, dass mir Ideen meistens aber erst während des Schreibens kommen.

Im Moment überlege ich sogar, ob ich Teil 13, außer Anfang und Schluss, komplett umschreibe. Isabell kommt völlig falsch rüber, das passt nicht.

LG DieSilbermöwe
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