Der Vernissage-Besucher

[Thing]

Vom Fettstuhl schmilzt die Margarine,
aus einem Kuhdarm weicht die Brunst -
ein Dilettant verzieht die dumme Miene
und fragt: Ist das denn wirklich Kunst?

Das arrivierte Volk verlacht den Kleinen.
Er sieht ganz plötzlich nur noch blauen Dunst.
Verlaufen hat er sich - so wills ihm scheinen.
Er weiß halt nichts von wahrer Kunst.

Er flieht vor den gebleckten Zähnen,
vor Sekt und tiefem Decolletée,
versagt sich künsterlische Tränen
und sagt sich nur: Mein Nacken tut mir weh.

Er macht sich munter - jetzt - auf seine Socken.
Er legt sie nicht in Fette ein.
Er will auch nicht mit Erden rocken.
Niemanden mit sechzehnNullen locken.
Auch erdrückt will er nicht sein.


Als Sonntagsbürger nimmt er jetzt den Bus.
Daheim erwartet ihn ein Katalog.
Auf dieses Schöne wartet er seit Tagen.
Er schnickt die Eintrittskarte: Schuß!
Die Vernissage - ach sie log und trog!
Jetzt widmet er sich wohl und mit Behagen
einem Busch, der andre Künste pflog.

17. April 2014

[Perry]

was mag das wohl für eine Vernissage gewesen sein, wo ein Fettstuhl und Kuhdarm ausgestellt wird.
Man hat ja schon von seltsamen Kunstwerken wie die von Josef Beuys gehört, aber man muss sich ja auch nicht alles reinziehen.
Ob allerdings Kunst aus dem Katalog, eine gute Alternative ist, muss der Protagonist selbst entscheiden.
LG
Perry

[Ilka-Maria]

Zitat von Perry

was mag das wohl für eine Vernissage gewesen sein, wo ein Fettstuhl und Kuhdarm ausgestellt wird.

Das war wohl eher ein Seitenhieb auf die Fettecke des Künstlers mit dem breiten Hut.

Aus dem Gedicht ließe sich eine tolle Eiskrem machen, da stecken genügend Köstlichkeiten drin. Und Seitenhiebe.

[Thing]

Zitat von Ilka-Maria

Das war wohl eher ein Seitenhieb auf die Fettecke des Künstlers mit dem breiten Hut.

Aus dem Gedicht ließe sich eine tolle Eiskrem machen, da stecken genügend Köstlichkeiten drin. Und Seitenhiebe.

Ja, das LyrI ist von der "wahren" Kunst und Kultur so unbeleckt, daß ihm weder Fettstühle noch im Aquarium trudelnde Kalbsköpfe noch feuchtgehaltene Lehmmonstrositäten gefallen -
er ist halt ein kleiner Banause.


Im Übrigen ist Busch der Illustrator im Fritz Fischer-Verlag gewesen, der u.a. Alice Herdan-Zuckmayers "Scheusal" kongenial bereichert hat.

Leider gibt es - dem Banausen tut es weh - keinen Katalog, der seine Delikatessen zeigt.

Und mir wurde das Buch gemopst.
Die Welt ist nicht schlecht, aber manche ihrer Bewohner sind es.

[gummibaum]

Hallo Thing,

ich komme mir ein bisschen wie der Besucher vor und frage daher dumm:

Was hat der Kuhdarm mit Brunst zu tun?
Ist blauer Dunst Zigarettenrauch?
Was sind künsterlische Tränen?
Wie rockt man mit Erden?
Ist am Ende Wilhelm Busch gemeint? (aber das hast du ja schon erklärt)

Gern gerätselt
gummibaum

[Thing]

Zitat von gummibaum

Hallo Thing,

ich komme mir ein bisschen wie der Besucher vor und frage daher dumm:

Was hat der Kuhdarm mit Brunst zu tun?
Ist blauer Dunst Zigarettenrauch?
Was sind künsterlische Tränen?
Wie rockt man mit Erden?
Ist am Ende Wilhelm Busch gemeint? (aber das hast du ja schon erklärt)

Gern gerätselt
gummibaum

Kuhdarm - Brunst:
Ein Stück Kuhdarm schwarzgrüne Kohle acryliert: Das erste Präservativ, Rebellion der Brunst

Blauer Dunst = Lügenmärchen, Illusionen, Schein

Künstlerische Tränen werden angesichts solcher Kunst en masse vergossen,
es sind Tränen der äußerstinneren gewaltigen Emotion.

Mit Erden wird gerockt, wenn die feuchtgehaltenen Tonklumpen vom Künstler auf Westen, Hosen und Röcke der Vernissagehyperhysteriker geschnipst werden.


Ja, eigentlich war der erste große "Cartonist" Wilhelm Busch gemeint.
Aber der andre Busch ist auf seine Art genauso groß.


Nachtgruß
von
Thing

[gummibaum]

Sehr erhellend! Da habe ich, Landpomeranze, wieder viel gelernt. Besten Dank, Thing.

Das Gedicht finde ich (nachdem ich alles verstehe) inhaltlich große Klasse!

Metrisch evtl.:

Niemand mit sechzehn Nullen locken.
Und auch erdrückt will er nicht sein.

dem Meister Busch, ...

Gute Nacht.
LG gummibaum

[Ilka-Maria]

Ich kann in der Kunst viel ertragen und anerkennen, von der "Fettecke" über den "Blitzschlag mit Hirsch", den Ausstellungen der Documenta in Kassel bis hin zum Aktionismus eines Pollock.

Es muss schon hart kommen, um mich leiden zu lassen. Das hat Arnulf Rainer mühelos geschafft, mit dessem "Werk" ich zufällig in einer Nebenausstellung konfrontiert wurde. Lauter Madonnenbilder - genau gesagt: Ikonen -, die schwarz übermalt waren. Als ich mir die Schildchen zu den Bildern ansah, las ich auf ausnahmslos jedem: "Im Besitz des Künstlers."

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[Thing]

Es gibt viele Unsäglichkeiten.
Für mich gehört das tote Kalb im Spiritus-Aquarium dazu.