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Alt 15.07.2017, 17:59   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Hendrik - Nach dem Theater - Tina sucht die Liebe, Teil 9

Hendrik stand draußen vor dem Theaterraum und sog die abendliche Sommerluft ein. Es war noch hell, langsam erst fing es an zu dämmern. Was für ein Tag war das gewesen! Erst war er „der Neue“ im Leistungskurs, dann „der Neue“ in der Theatergruppe. Aber er hatte es so gewollt; schon immer hatte er sich gewünscht, in einer richtigen Theatergruppe mitzumachen. Erstaunlich nur, dass ihm am gleichen Tag zweimal das gleiche Mädchen über den Weg gelaufen war. Vielleicht war das ja ein Zeichen für irgendwas, wenn er auch nicht wusste, wofür, aber auf jeden Fall sehr viel besser, als wenn ihm dieser Christian nochmal begegnet wäre, der ihm den Satz „Kennen wir uns nicht?“ hinterher gerufen hatte. Hendrik beglückwünschte sich dazu, dass Christian bisher weder in seinen Leistungskursen noch in der Theatergruppe aufgetaucht war. Es stimmte, dass sie sich kannten, aber das musste niemand wissen. Zum Einen, weil Christian ein Typ war, mit dem er nicht unbedingt viel zu tun haben wollte. Und zum anderen, weil das Geheimnis, das er mit sich herumtrug, ein Geheimnis bleiben sollte. Niemand musste wissen, was in seiner Heimatstadt vorgefallen war und was der eigentliche Grund für den Umzug der Familie war.

Er nestelte an seiner Hosentasche und beförderte eine Schachtel Zigaretten zutage, steckte sich eine Zigarette in den Mund, danach suchte er umständlich nach der Schachtel Streichhölzer, die er zu Hause eingesteckt hatte. Sein Feuerzeug war seit dem Umzug verschwunden. Merkwürdig, dass manche Dinge bei einem Umzug verschwanden und nie wieder auftauchten! Ganz offensichtlich hatten sich die Streichhölzer diesem Umstand angeschlosssen, denn so sehr er auch seine Taschen durchwühlte, es waren keine Streichhölzer zu finden.

„Brauchst du Feuer?“ fragte eine Stimme. Aus dem Halbdunkel – die Dämmerung fing allmählich an, in die nächtliche Dunkelheit überzugehen – tauchte ein blonder, schlaksiger Junge auf. Wenn er sich nicht irrte, war das Thomas, der vorhin gefragt hatte, ob die Probe etwa Hendriks wegen verschoben worden war und dem Kurt klipp und klar gesagt hatte, dass Hendrik damit nichts zu tun hatte.
„Ja“, antwortete Hendrik, „hab anscheinend nix dabei. Sowas Blödes.“
Thomas stand ihm nun gegenüber und grinste.
„Wenn du mir eine Zigarette gibst, geb ich dir Feuer“, sagte er.
„Kein Problem.“ Hendrik holte seine Schachtel Zigaretten wieder hervor, klappte sie auf und bot Thomas eine an. Thomas langte mit weit ausholender Geste in die Zigarettenschachtel und nahm sich mit Nonchalance eine Zigarette heraus, wobei er es fertigbrachte, theatralisch mit den Fingern zu wedeln. Hendrik sah dieser kleinen Aufführung staunend zu. Nicht zu fassen! Manche Leute lebten einfach Theater, selbst mit den allerkleinsten Gesten.

Nachdem Thomas sich die Zigarette in den Mundwinkel gesteckt hatte, holte er sein Feuerzug aus der Hosentasche, klappte es auf und bot Hendrik zuerst Feuer an.
„Immerhin hat er Manieren“, dachte Hendrik.
Ein, zwei Minuten rauchten sie danach schweigend, dann fragte Thomas unvermittelt: „Wieso bist du so spät noch gekommen?“
Hendrik sah ihn verständnislos an.
„Wohin gekommen? Ins Theater?“
Thomas schüttelte den Kopf.
„Auch, aber das meine ich nicht. Ich habe heute Abend gehört, dass du die Schule gewechselt hast. Sehr ungewöhnlich, so spät im Jahr. Ich hätte bis Anfang des neuen Schuljahres gewartet.“
Hendrik zuckte die Achseln.
„Konnte ich mir nicht aussuchen.“
„Wieso?“
„Weil man halt mit umziehen muss, wenn die Alten umziehen. Mein Vater hat hier eine neue Stelle bekommen.“ Kaum hatte Hendrik den letzten Satz gesagt, bereute er ihn schon.
„Ah, verstehe.“
Hendrik war sicher, dass Thomas überhaupt nichts verstand, aber er wollte nicht länger auf dem Thema herumreiten. Fieberhaft überlegte er, wie er das Thema wechseln konnte.
„Was glaubst du, wer den Romeo spielen wird?“ fragte er dann.
Thomas zuckte die Achseln.
„Keine Ahnung. Kurt war ja mächtig von dir beeindruckt.“
Jetzt war es an Hendrik, die Achseln zu zucken.
„Danach geht es ja nicht, wir haben ja unsere Stimmen abgegeben. Es wird doch gemeinsam entschieden.“
„Ich würde mich nicht wundern, wenn du die Rolle kriegst, aber ich sag dir mal ganz ehrlich: Gut fände ich das nicht.“
Thomas spuckte in weitem Bogen aus, offenbar fand er das besonders männlich.
„Und andere vermutlich auch nicht. Gibt sehr viele, die schon lange dabei sind und was drauf haben. Und dann kommt da ein Neuer ….“ Er ließ den Rest des Satzes unbeendet., aber Hendrik verstand und ärgerte sich. Was sollte das?
„Wenn der Neue aber besser ist?“ sagte er, nun auf Krawall gebürstet. Thomas sollte sich nicht einbilden, dass er klein beigab.
„Naja“, Thomas hatte seine Zigarette aufgeraucht und trat die Kippe aus , „ganz ehrlich, an deiner Stelle würde ich mal aus Respekt vor denen, die länger dabei sind, ablehnen, wenn ich die Rolle bekäme. Kannst es dir ja überlegen. Ich muss jetzt los.“
Und kurze Zeit später war er in der Dunkelheit verschwunden.

Hendrik sah ihm einige Minuten lang nach, dann machte er sich auch auf den Heimweg.
Zuhause kam ihm seine Mutter schon aus dem Wohnzimmer entgegen.
„Na, wie war der erste Tag?“ fragte sie.
Hendrik lachte. „Frag nicht! Ich bin total erledigt.“
„Sind die Leute in der Schule nett?“ fragte sie.
„Eigentlich schon.“
„Und wie war es in der Theatergruppe?“
Hendrik sah seiner Mutter in die Augen.
„Ich werde den Romeo spielen“, sagte er.

- Fortsetzung folgt -
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Alt 19.07.2017, 11:27   #2
weiblich Damaris
 
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Liebe Silbermöwe,
fesselnde, authentisch wirkende Gesellschaftstudie. Obwohl nicht viel passiert bin ich wirklich auf die Fortsetzung gespannt! Bitte schreibe mir, wenn es soweit ist.

Du beschreibst bildhaft die große Theatralik der Zigarette-nehmen-Geste und sprichst nachher von kleinen Gesten. Ich weiß, was du meinst, aber das würde ich ändern, zB selbst im alltäglichen Einerlei o.s.ä.
Als Thomas die Kippe austritt, schmuggelte sich ein Leerzeichen vors Komma.
Sonst hab ich nichts zu meckern.
Liebe Grüße Damaris
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Alt 19.07.2017, 12:19   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
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Liebe Damaris,

erst wusste ich nicht recht, was du meintest mit den Gesten, dann fiel es mir auch auf: "allerkleinste" Gesten passen hier natürlich nicht. Danke für deine Aufmerksamkeit

Eigentlich ist das keine Gesellschaftsstudie, obwohl mir der Gedanke jetzt natürlich durchaus gefällt. Das Kapitel gehört zu der Fortsetzungsgeschichte "Tina sucht die Liebe", die ich vor einigen Wochen begonnen habe, nach einem Exposé, das Ilka-Maria und ich zusammen ausgearbeitet haben.
Ich schreibe jedes WE eine Fortsetzung, hänge im Moment aber bisschen fest. Deswegen passiert auch nicht viel... ich überlege, nun einen Showdown zu schreiben mit Action und die Geschichte schneller zu beenden oder so weiter zu machen.

LG DieSilbermöwe
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Alt 22.07.2017, 20:12   #4
weiblich Damaris
 
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Standard Tina sucht die Liebe

Liebe Silbermöwe,

danke für die Info, so wie ich Zeit habe, werde ich die ganze Story lesen. Wenn ich mir jetzt den Titel der KG anschaue, da steht es ja drin
Schön, dass diese Folge auch einzeln als Geschichte funktioniert.

Ja, der rote Faden ist ein launischer Geselle, aber du wirst das Problem meistern.

Lieben Gruß Damaris
Damaris ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.07.2017, 14:14   #5
weiblich Ilka-Maria
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So, Silbermöwe, weiter geht's :

Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Es stimmte, dass sie sich kannten, aber das musste niemand wissen. Zum Einen, weil Christian ein Typ war, mit dem er nicht unbedingt viel zu tun haben wollte. Und zum anderen, weil das Geheimnis, das er mit sich herumtrug, ein Geheimnis bleiben sollte. Niemand musste wissen, was in seiner Heimatstadt vorgefallen war und was der eigentliche Grund für den Umzug der Familie war.
Sehr gut. Hier wird Spannung aufgebaut. Das solltest du beibehalten, indem das Geheimnis erst nach und nach in Andeutungen Konturen bekommt, ehe es völlig gelüftet wird.

Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Er nestelte an seiner Hosentasche und beförderte eine Schachtel Zigaretten zutage, steckte sich eine Zigarette in den Mund, danach suchte er umständlich nach der Schachtel Streichhölzer, die er zu Hause eingesteckt hatte. Sein Feuerzeug war seit dem Umzug verschwunden. Merkwürdig, dass manche Dinge bei einem Umzug verschwanden und nie wieder auftauchten! Ganz offensichtlich hatten sich die Streichhölzer diesem Umstand angeschlosssen, denn so sehr er auch seine Taschen durchwühlte, es waren keine Streichhölzer zu finden.
Den Absatz würde ich kürzen, er enthält zu viele Details, die für den Fortgang der Geschichte unwesentlich sind. Der Absatz hat nur die Funktion, Hendrik mit Thomas in Kontakt zu bringen.


Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
„Wohin gekommen? Ins Theater?“
Thomas schüttelte den Kopf.
„Auch, aber das meine ich nicht. Ich habe heute Abend gehört, dass du die Schule gewechselt hast. Sehr ungewöhnlich, so spät im Jahr. Ich hätte bis Anfang des neuen Schuljahres gewartet.“
Hendrik zuckte die Achseln.
„Konnte ich mir nicht aussuchen.“
„Wieso?“
„Weil man halt mit umziehen muss, wenn die Alten umziehen. ..."
Gute Idee, Thomas unangenehme Fragen stellen zu lassen, mit denen Hendrik nicht gerechnet hat. Hier merkt Hendrik abermals, dass er der Vergangenheit nicht davonlaufen kann.

Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
„Ich werde den Romeo spielen“, sagte er.
Prima. Diese Aussage charakterisiert Hendrik, der offensichtlich über ein gutes Selbstwertgefühl verfügt. Er scheint zu wissen, was er sich zutrauen kann.

Diese Fortsetzung ist dir gut gelungen.
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 26.07.2017, 17:42   #6
weiblich DieSilbermöwe
 
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Vielen Dank, Ilka. Jetzt bin ich aber doch ein wenig überrascht, denn ich hielt sie eigentlich für weniger gut gelungen als Teil 10 . Obwohl es mir sehr viel Spaß gemacht hat, die Szene zwischen Thomas und Hendrik zu schreiben.

LG DieSilbermöwe
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Lesezeichen für Hendrik - Nach dem Theater - Tina sucht die Liebe, Teil 9

Stichworte
liebe, romeo, theater

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